Die Tore nach Thulien - 8. Episode - Tränen der Herrin - Jörg Kohlmeyer - E-Book

Die Tore nach Thulien - 8. Episode - Tränen der Herrin E-Book

Jörg Kohlmeyer

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Beschreibung

Das Flüchtlingslager erweist sich schnell als zweischneidiges Schwert. Mildreth, die Anführerin und letzte Tochter derer von Hirschingen, hat den Verstand verloren. Sie herrscht mit brutaler Gewalt und führt das Lager nur noch zu einem einzigen Zweck: dem persönlichen Wunsch nach Rache. Als ihre Pläne immer irrwitziger werden, beschließt Liam zu handeln und bringt sich und seine Familie damit in höchste Gefahr. In Leuenburg regt sich inzwischen Widerstand. Asenfried, der Schmied vom Alten Markt, ist nicht untätig und erneuert alte Kontakte zur Leuenburger Unterwelt. Aus alten Feinden werden Verbündete und gemeinsam nehmen die letzten Herzogtreuen den Kampf gegen das Protektorium auf. TRÄNEN DER HERRIN ist die achte Erzählung der "Tore nach Thulien", mit der wir euch in die phantastische, glaubwürdige und erwachsene Welt von Thulien entführen möchten. In den drei Buchreihen Wilderland, Leuenburg und Schlachtgesänge geben wir euch die Möglichkeit, aktiv an der Entstehung der Geschichten und dem Ausbau der Welt teilzuhaben. Wir schreiben Geschichten … und ihr könnt mitmachen! Wie genau das funktioniert, und noch weit mehr, erfahrt ihr auf der Website Tore-nach-Thulien.de 1. Auflage Null Papier Verlag

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Jörg Kohlmeyer

Die Tore nach Thulien

Fantasy Roman

 

 

 

Jörg Kohlmeyer

Die Tore nach Thulien

8. Episode – Tränen der Herrin

(LEUENBURG)

 

 

Coverhintergrund und Logogestaltung: Diana Rahfoth

Published by Null Papier Verlag, Deutschland

Copyright © 2015 by Null Papier Verlag

1. Auflage, ISBN 978-3-95418-573-3

www.null-papier.de/290

 

 

 

Das Flüchtlingslager erweist sich schnell als zweischneidiges Schwert. Mildreth, die Anführerin und letzte Tochter derer von Hirschingen, hat den Verstand verloren. Sie herrscht mit brutaler Gewalt und führt das Lager nur noch zu einem einzigen Zweck: dem persönlichen Wunsch nach Rache. Als ihre Pläne immer irrwitziger werden, beschließt Liam zu handeln und bringt sich und seine Familie damit in höchste Gefahr.

In Leuenburg regt sich inzwischen Widerstand. Asenfried, der Schmied vom Alten Markt, ist nicht untätig und erneuert alte Kontakte zur Leuenburger Unterwelt. Aus alten Feinden werden Verbündete und gemeinsam nehmen die letzten Herzogtreuen den Kampf gegen das Protektorium auf.

Zum Buch

Danke, dass du mit dem Kauf dieses ebooks das Indie-Literatur-Projekt »Tore nach Thulien« unterstützt! Das ist aber erst der Anfang. Lass Dich von uns zu mehr verführen…

Was sind die »Tore nach Thulien«?

Die „Tore nach Thulien“ sind Dein Weg in die phantastische, glaubwürdige und erwachsene Fantasy-Welt von Thulien. Sie werden Dir die Möglichkeit geben, mit uns gemeinsam an den großen Geschichten zu arbeiten und der Welt mehr und mehr Leben einzuhauchen.

Unter www.Tore-nach-Thulien.de kannst du uns besuchen und Näheres erfahren. Wir freuen uns auf Dich!

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Autor

Jörg Kohlmeyer, geboren in Augsburg, studierte Elektrotechnik und arbeitet heute als Dipl.-Ing. in der Energiewirtschaft. Schon als Kind hatte er Spaß am Schreiben und seine erste Abenteuergeschichte mit dem klangvollen Namen »Die drei magischen Sternzeichen« passt noch heute bequem in eine Hosentasche.

Der faszinierende Gedanke mit Bücher interagieren zu können ließ ihn seit seinem ersten Kontakt mit den Abenteuer Spielbüchern nicht mehr los und gipfelte im Dezember 2012 in seinem ersten Literatur-Indie-Projekt »Die Tore nach Thulien«. Immer dann wenn neben der Familie noch etwas Zeit bleibt und er nicht gerade damit beschäftigt ist, seinen ältesten Sohn in phanatasievolle Welten zu entführen arbeitet er beständig am Ausbau der Welt »Thulien«.

www.Tore-nach-Thulien.de

 

In den Untergrund

Die Zeit, endlich mal wieder Farbe zu bekennen, war gekommen. In seinem Alter vielleicht etwas spät, aber immer noch besser als nie. Vor allem, wenn es gegen die verhassten Brüder des Protektoriums ging. Diese Mordbrenner und Halsabschneider brauchten nicht zu glauben, dass sie jetzt, da Herzog Grodwig tot war, einfach so, mir nichts, dir nichts, die Macht in Leuenburg an sich reißen konnten. Und wenn sie es doch versuchen sollten, dann hatten sie eben die Rechnung ohne den Wirt gemacht. In seinem Fall wohl eher ohne den Schmied, aber das spielte jetzt keine Rolle. Am Ende lief es nämlich aufs Selbe raus: Er würde ihnen gehörig in die Suppe spucken. Noch war Leuenburg nicht in der Hand dieser Verräter in Mönchsgestalt, und Asenfried kannte, der Herrin sei Dank, ein paar Leute, die wollten, dass das auch so blieb.

Aufgewühlt und voller Sorge, aber deswegen nicht weniger fest entschlossen, hastete der Schmied vom alten Markt durch die schmalen und verwinkelten Gassen nach Sieben Schänken. Er wollte zum Goldenen Erker und hatte es eilig. Zwar zählte ihn schon so mancher, wie etwa der Söldner vor ein paar Wochen, zum alten Eisen – vielleicht sogar mit Recht, denn ganz so gut zu Fuß wie früher war er tatsächlich nicht mehr – aber zuschlagen konnte er noch genauso hart und präzise wie in jungen Jahren. Wenn nicht gar härter. Schwielige Hände und dicke Arme, über Jahre vom Ringen mit dem Amboss gehärtet, spürten das Gewicht einer Klinge kaum mehr. Außerdem war das verrufene Viertel der Herzogstadt lange sein Zuhause gewesen, und er konnte die altersbedingt müden und leicht eingerosteten Knochen durch seine hervorragende Ortskenntnis mehr als wettmachen.

Grimmig bog Asenfried an der nächsten Ecke scharf nach links. Das direkt dahinter quer über die Gasse gespannte Wäscheseil zwang ihn nicht nur blitzschnell auszuweichen, sondern sagte ihm auch, dass er die unsichtbaren Grenzen nach Sieben Schänken überschritten hatte. Die Häuser wurden schlagartig kleiner, standen dichter beieinander und hatten fast alle etwas Ruinöses an sich. Eitrigen Warzen gleich pressten sie sich hier dicht an dicht auf das Antlitz der alten Herzogstadt. Hässlich und verkommen, gleichzeitig aber auch authentisch und wahrhaftig. Egal ob windschiefe Bretterbude oder verfallenes Herrenhaus, sie alle verpassten Sieben Schänken am Ende seinen unnachahmlich schäbigen Charakter. Für die meisten der widerwärtiger Graus der Stadt, für manche hingegen gerade deswegen ihr süßlich herber Charme.

Asenfried musste schmunzeln. Heruntergekommen, dreckig und unglaublich stolz, so hatte er seine Heimat einst kennen und lieben gelernt. Gut möglich, dass das Lieben auf viele, wenn nicht gar alle, befremdlich und anrüchig wirkte, er aber fühlte sich nun mal wohl dabei. Bei der Herrin, so war Sieben Schänken eben!

Reflexartig tauchte er unter dem ausgefransten Seil hindurch und hielt auf die nächste, kaum erkennbare Seitenstraße zu, die Plundergasse. Dort angekommen, sah er im Vorbeilaufen an der gegenüberliegenden Hauswand den großen, stinkenden Müllhaufen, dem die Gasse ihren Namen verdankte. Jede Menge zerfetzter Kleidungsstücke, Küchenabfälle, zerschlagenes Mobiliar und allerlei sonstiger Unrat türmten sich zu einem halbhohen Berg auf. Ganz oben lag der verweste Kadaver eines Hundes. Mit verfilztem Fell und Myriaden von Fliegen darüber faulte er langsam und gemächlich vor sich hin. Asenfried hielt den Atem an. Es stank erbärmlich.

Von den Bewohnern Sieben Schänkens ständig gefüttert, wurde der Müllberg Tag für Tag größer. Jede Nacht kam neuer Unrat dazu, und wären die Karrenkinder nicht gewesen, würde er den Menschen wohl irgendwann über die Köpfe wachsen. Einzig den verwahrlosten Waisen und Straßenkindern der Stadt war es zu verdanken, dass es bisher nicht so weit gekommen war. Die Arroganz und Unbarmherzigkeit der gutbetuchten Bürger in den anderen Stadtvierteln schwemmte diese armen Seelen immer wieder zielsicher nach Sieben Schänken zurück. Von dort zogen sie dann mit kleinen Handwägelchen los und machten selbst aus dem letzten Verwertbaren noch etwas Geld. Manchmal, wenn gar nichts dabei war, warfen sie den Müll auch einfach in einen Graben vor der Stadt und bekamen mit Glück einen Groschen von den Wachen. Kein besonders schönes System, aber zumindest eins, das funktionierte.

Kaum hatte Asenfried den Müllhaufen passiert, nahm er auch schon den nächsten Abzweig nach rechts. Die Gasse hier war noch schmaler und durch den weiten Überstand der Dächer in ständiges Dämmerlicht getaucht. Dass er auch hier richtig war, verriet ihm ein Blick nach oben. Die alte, handtellergroße Heiligenikone hing noch immer in gut drei Schritte Höhe an der Hauswand. In ihrer halb herausgerissenen Verankerung ragte sie windschief in die Gasse und machte keinen guten Eindruck. Das verwitterte Ding hatte schon bessere Zeiten gesehen und Asenfried fragte sich ernsthaft, warum es noch keiner abgenommen hatte. Für ihn markierte der heilige Cuthbert, dessen Gesicht inzwischen bis zur Unkenntlichkeit verrottet war, seit jeher den Eingang zur Dunklen Gasse, und wenn der Zahn der Zeit nicht bald energischer an ihm nagte, würde das wohl noch eine ganze Weile so bleiben.

Wie immer lag die Gasse in absoluter Ruhe da. Nichts rührte sich und niemand war zu sehen. Einzig ihrem, selbst für Sieben Schänken, schlechten Ruf war es zu verdanken, dass Asenfried und die unzähligen stinkenden Pfützen aus nur langsam versickernden menschlichen Ausscheidungen unter sich blieben. Er wusste genau, dass die Gäste des Goldenen Erkers ihre Notdurft mangels Alternativen allesamt auf der Gasse verrichteten und niemand auf deren Bekanntschaft erpicht war. Die Kloake füllte sich jeden Abend aufs Neue und schwängerte die Luft mit ihrem süßlich herben Gestank.

Als Asenfried, neben all den anderen wenig appetitlichen Eindrücken, der Geruch von Bier in die Nase stieg, hatte er sein Ziel erreicht. Für Fremde war der schmale Hintereingang des Goldenen Erkers kaum zu sehen. Vollkommen unscheinbar fügte er sich zwischen den brüchigen und verwitterten Fassaden und den verschlossenen und mit groben Holzbrettern zugenagelten Fenstern in das trostlose Bild der übrigen Gebäude mit ein. Mehr als das hatte die Dunkle Gasse nicht zu bieten, und mehr brauchte sie auch nicht zu bieten. Sie war Teil von Sieben Schänken und hatte gefälligst auszusehen wie Sieben Schänken: heruntergekommen, verwahrlost und dreckig.

Froh darüber, dem schlimmsten Gestank entgehen zu können, drückte Asenfried den groben Riegel der windschiefen Tür nach unten und trat in den dahinter liegenden Dunst. Die flackernden Kerzen und Öllampen verbreiteten sofort eine schummrige Stimmung und vom Tageslicht drang nur noch wenig nach innen. Zielstrebig ging er durch den Flur in Richtung Wirtsstube. Auf halbem Weg kam ihm Olda, die nur spärlich bekleidete Bedienung entgegen. Als sie ihn bemerkte, zog sie sich rasch das zerschlissene Kleid über die halb heraushängenden Brüste, nickte ihm fahrig zu und verschwand in einem der wenigen Nebenzimmer.

Sigurd, der Wirt, stand hinter dem Ausschank und wischte mit einem speckigen Tuch über den hölzernen Tresen. Mit seinem wild wuchernden Schnurrbart und dem gewaltigen Bauch sah er aus wie ein großes, an Land gespültes Walross. Man konnte also sagen, er hatte sich kaum verändert.

»Schau dir das an!«, rief Sigurd überrascht aus und schlug mit der flachen Hand auf den Tresen. »Erst lässt er sich jahrelang nicht blicken, und dann hat er es auf einmal ganz besonders wichtig.« Ungläubig schüttelte er kurz den Kopf. »Stapft der Kerl doch glatt zweimal in einer Woche durch meinen Schankraum.« Misstrauisch beäugte er Asenfried. »Springt beim Hammerklimpern nichts mehr raus, oder warum treibst du dich schon wieder hier rum?«

»Ich freu mich auch dich zu sehen, Sigurd«, brummelte Asenfried im Vorbeigehen und stellte genervt fest, dass das alte Walross von einem Wirt noch genau derselbe Idiot wie früher war. »Ich will zu meinem Bruder. Mach auf!«

Sigurd stieß einen leisen Pfiff aus. »Na, das ist mal was. Vangar wird sein Glück kaum fassen können.« Er beugte sich weit über den Tresen und gaffte Asenfried mit einem hinterhältigen Lächeln an. »Bist jetzt wohl doch nichts Besseres mehr, hm? Kommst, um alte Familienbande wieder aufzuwärmen oder was?«

Asenfried blieb vor der Theke stehen. Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Meine Familie geht dich nichts an. Bleib bei deinem Bier und grüble über die nächste Gärung nach. Davon verstehst du wenigstens was.«

Sigurds Lächeln verschwand. »Täusch dich bloß nicht Schmied! Ich hab noch ein bisschen mehr auf der Pfanne. Da kannst du Gift drauf nehmen.« Seine Augen spuckten Feuer. »Glaubst du etwa, dein Bruder hat vergessen was geschehen ist? Glaubst du, WIR haben vergessen was geschehen ist? Wenn ja, bist du sogar noch dümmer als ich dachte.«

Asenfried seufzte. Das Walross fing jetzt doch an zu nerven. Ein allerletztes Mal zwang er sich ruhig zu bleiben. »Hör mit dem Scheiß auf, Sigurd!« Er winkte ab. »Das ist lange her und die alten Zeiten sind vorbei, das weißt du genau. Außerdem bist du hier der Letzte, der sich zu beschweren braucht. Wer hat denn dein Bier in höchsten Tönen gelobt und dir damit immer wieder ahnungslose Reisende zugeschoben, hm?«

Sigurd rümpfte die Nase und stieß empört die Luft aus. »Von wegen ahnungslos. Der letzte war ein Berg von einem Mann. Der hätte mir die halbe Mannschaft in der Luft zerrissen! Ich brauch zahme Lämmer, keine wilden Bären!«

Asenfried verdrehte die Augen. »Wenn du mit dem was ich zu dir schicke nicht fertig wirst, ist das dein Problem, nicht meins. Früher warst du auch nicht so zimperlich und hast sie alle wie eine Gans ausgenommen. Wirst langsam zu alt für den Scheiß, was?« Er lächelte bissig und trat kräftig auf den Boden. »Und jetzt halt die Klappe und mach auf! Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit.«

Sigurd stieg die Zornesröte ins Gesicht. »Bei allem was mir heilig ist, Asenfried. Wenn es nicht dein Bruder wäre, der die alte Truppe noch irgendwie zusammenhält, dann könntest du deine Überreste jetzt draußen vom Boden kratzen.« Das Walross streckte sich durch und stemmte die Arme in die Hüften.

Vollkommen unbeeindruckt zog Asenfried die Mundwinkel nach unten und machte große Augen. »Dummerweise ist er aber mein Bruder.« Dann seufzte er und senkte übertrieben traurig den Blick. »Hätte ich’s mir raussuchen können, wär’s vielleicht anders gekommen. Aber so…«, er zuckte mit den Schultern. »Blut ist eben doch dicker als Wasser.« Ein kurzer Seufzer, und die gespielte Bestürzung verschwand aus seiner Stimme. »Jetzt mach endlich das verdammte Ding auf!«

Sigurd funkelte ihn trotzig an. »Ohne Losungswort geht hier mal gar nichts.« Demonstrativ langsam verschränkte er die Arme vor der Brust. Eilig hatte er es nicht.

Asenfried verdrehte die Augen und presste zornig die Lippen aufeinander. Die Vorstellung, dem Kerl an die Gurgel zu gehen, wurde immer verlockender. Nur mit Mühe hielt er sich zurück. »Leck’ mich doch am Arsch du sturer Bock!«, zischte er stattdessen und zog ihm dafür in Gedanken eins mit dem Schmiedehammer über.

»Richtig!« Ein schadenfrohes Grinsen sprang Sigurd plötzlich ins Gesicht. Gleichzeitig griff er blitzschnell nach dem krummen Kerzenhalter an der Wand und zog daran.

Ein dumpfes Knacken, gefolgt von einem kurzen Quietschen, ließ Asenfried zusammenfahren. Eine Sekunde später verlor er den Boden unter den Füßen und wusste, dass er sich getäuscht hatte. Sein letzter Besuch bei Vangar war eben doch schon zu lange her. Die Falltür, die so geschickt in den Dielenboden eingelassen war, lief nämlich nicht parallel, sondern quer zur Theke. Und er stand genau darauf.

Ehe er sich versah, klaffte die verborgene Rampe mit einem langgezogenen Gähnen auf und verschlang ihn in einem Bissen. Er fluchte, drohte auf den versifften Holzbohlen das Gleichgewicht zu verlieren und rutschte die Schräge hinunter. Wild mit den Armen rudernd schlitterte er dem Fuß der Rampe entgegen. Er versuchte noch zu bremsen, doch erst der feste Steinboden beendete seinen unfreiwilligen Abgang. Der abrupte Halt ließ ihn taumeln und er ging in die Knie. Verdammt! Wollte ihn dieser Hurensohn von einem Wirt etwa umbringen?

Wütend rappelte sich Asenfried auf und sah, wie sich die Klappe hinter ihm wieder schloss. Unter Sigurds schadenfrohem Gelächter fiel der Verschluss klappernd in die Halterung zurück und sperrte das Tageslicht aus. Zurück blieben nur das schummrige Flackern zweier Fackeln und ein inzwischen bis aufs Blut gereizter Asenfried. Zornig schlug er sich den Staub von der Hose, sah sich um und ging auf die gegenüberliegende Tür zu. Kurz bevor er sie erreichte, schwang das windschiefe Ding knarzend auf. Ein unrasierter Kerl mit schulterlangem Haar erschien im Durchgang. Er war hager und die Augen lagen ihm tief in den Höhlen. In einen grauen, zerschlissenen Mantel gehüllt stand er im Türspalt und sah nach oben.

»Verdammt, Sigurd! Was ist da los?«, zischte er. »Geht das nicht leiser?« Als er Asenfried bemerkte, wurden seine Augen groß. »Asenfried?« Er blinzelte. »Asenfried, bist du das?« Die Stimme gehörte Kalle, der rechten Hand seines Bruders.

Asenfried brauchte einen Moment, dann aber erkannte er Kalle wieder. Immer noch derselbe, spärliche Stoppelbart und die viel zu hohlen Wangenknochen. Die ein oder andere neue Narbe und ein paar graue Haare mehr, ansonsten aber noch ganz klar Kalle. Ein guter Kerl, der das Herz stets am rechten Fleck trug.

»Ja, ich bin’s, Kalle. Ich will zu Vangar. Ist er da?« Asenfried hielt ihm die Rechte hin und lächelte. Der Ärger über Sigurds dämliches Verhalten war verflogen. »Lang nicht mehr gesehen, hm?«

Kalle starrte ihn an, als hätte er einen Geist gesehen. »Ja das … das kann man wohl sagen.« Anfangs noch zögerlich, griff er Asenfrieds Hand dann umso heftiger. »Bei der Herrin, Asenfried! Es tut gut dich hier unten zu sehen.« Seine Augen begannen zu leuchten. Er freute sich wirklich.

»Geht mir auch so«, log Asenfried. Eigentlich hatte er mit seiner alten Vergangenheit und dem Leben hier unten abgeschlossen, über das Wiedersehen mit Kalle freute er sich aber dennoch. »Ist Vangar da? Ich muss unbedingt mit ihm sprechen.«

»Ja, er ist hier. Aber…«, Kalle druckte herum als er Asenfried hereinließ. »Dein Bruder hat nichts vergessen, musst du wissen. Für ihn ist es, als wäre es gestern gewesen.«

Asenfried schnalzte mit der Zunge. »Das hab ich mir schon gedacht. Vangar war und ist der sturste Bock, der mir je untergekommen ist. Lieber zwickt er sich eine Blutblase, als dass er einen Haken an alten Ärger macht.« Asenfried lachte heißer. »Ehrlich gesagt ist mir das aber scheißegal. Es gibt wichtigeres zu besprechen.«

»Klar. Liegt bei dir. Ich wollt’s nur gesagt haben. Komm mit!« Kalle schloss die Tür und ging voran.

Obwohl sein letzter Besuch hier unten schon mehr als zehn Jahre her war, kannte sich Asenfried noch gut in Sieben Schänkens Untergrund aus. Vieles hatte sich verändert, einiges aber war noch genau wie damals und ließ längst vergessen geglaubte Erinnerungen wieder hoch kommen. Den Impuls, länger darüber nachzudenken, unterdrückte er sofort. Er hatte jetzt keine Lust, sich mit unerledigten Dingen aus der Vergangenheit zu beschäftigen. Die Zeit drängte und er verschloss diesen Teil der Geschichte wieder tief in seinem Innersten. Heute spielte sich sein Leben nur noch oben am alten Markt ab. Er hatte Familie und … der Gedanke an seinen Sohn verpasste Asenfried einen plötzlichen Stich. Hellings Tod war noch zu nah, als dass die Wut auf das Protektorium und die Entwicklung in Leuenburg den Schmerz darüber vertreiben konnten.

In Gedanken korrigierte er sich. Nein, Familie hatte er nicht mehr wirklich, und trotzdem war da eine Frau, die auf ihn wartete. Wegen ihr hatte er sich damals gegen ein Leben am Rande der Gesellschaft entschieden, und wegen ihr würde er jetzt sicher nicht damit aufhören. Im Gegenteil, Viandra brauchte ihn mehr denn je. Helling war ihr ein und alles gewesen. Allein würde sie über seinen Tod niemals hinwegkommen. Er musste sich um sie kümmern. Für Schmuggel oder andere zwielichtige Geschäfte war kein Platz mehr. Mit Gewalt drängte er die düsteren Bilder zurück, stellte jedoch verbittert fest, dass die Liste seiner heimlichen Rückzugsorte gefährlich kurz geworden war.

Angestrengt versuchte er sich auf andere Gedanken zu bringen. »Wie’s aussieht seid ihr immer noch gut im Geschäft. Habt mächtig viel Zeug hier unten stehen.« Allerlei Kisten und Fässer reihten sich an den Seiten des unterirdischen Ganges auf. Einige waren verschlossen, die meisten jedoch leer oder unbrauchbar.

Kalle nickte. »Du weißt doch: Unkraut vergeht nicht.« Er versuchte sich an einem Lächeln. Es misslang kläglich. Seine Miene wurde finster. »Das Geschäft geht noch, ja, aber es ist anders geworden. In den letzten Jahren hat sich einiges verändert, musst du wissen. Die Dinge laufen nicht mehr so gut wie früher.«

Nachdenklich sah sich Asenfried um. »Ihr könnt froh sein, wenn in Zukunft überhaupt noch was läuft. Ärger ist im Anmarsch, und kein kleiner.«

»Ärger? Was für Ärger?« Kalle sah kurz über die Schulter, ehe er die nächste Tür öffnete.

»Komm mit zu Vangar und du wirst es erfahren«, antwortete Asenfried. »Nicht nur hier hat sich was verändert. Auch da oben liegt einiges im Argen.« Er wartete bis die Tür offen war und trat dann mit einem großen Schritt unter dem tiefliegenden Türstock hindurch.

Dahinter befand sich eine große Höhle. Neben weiteren Fässern und Kisten gab es ein paar großzügig angelegte Schlafstätten und eine kleine Feuerstelle. Ein Mann kniete davor und rührte in einem Suppenkessel. Feiner Rauch kräuselte sich an seinem Schnauzbart entlang, strich ihm über das feiste Gesicht und verschwand irgendwo zwischen dem lockigen Haar und der dunklen Höhlendecke. Ein ebenso grauer, zerschlissener Mantel wie der von Kalle hing ihm von den Schultern und schabte bei jeder Bewegung scharrend über den kiesigen Boden.

Direkt dahinter saß ein zweiter Mann auf einem mit schmutzigen Fellen und Decken ausgelegten Stuhl. Die Beine locker überschlagen kaute er auf dem Stiel einer rauchenden Pfeife herum und starrte in die Flammen. Der rötliche Schein des Feuers fiel dabei glänzend auf sein Gesicht und offenbarte eine lange, gezackte Narbe auf der rechten Wange. Die Stelle, wo sein linkes Auge hätte sein sollen, wurde von einer schwarzen Lederklappe bedeckt. Keiner der beiden sah auf, als Kalle und Asenfried die Höhle betraten.

»Wann kommt nochmal die nächste Lieferung?«, wollte der Kerl am Feuer wissen und fuhr sich mit dem Ärmel über die triefende Nase. Er war etwas beleibter und stöhnte bei fast jeder Bewegung leise auf.

»Bei der alten Hure, Trenkl! Sperr endlich deine Ohren auf! Ich hab’s vorhin schon gesagt. Übermorgen! Übermorgen! Hast du das jetzt kapiert? Übermorgen!«

»Ja, ja, ist ja schon gut! Hab’s verstanden.« Der Kerl mit dem Suppenlöffel hob beschwichtigend eine Hand. »Und wer wird bei der Nummer alles mitmachen?«

»Du, Kalle und Piotr. Piotr bringt außerdem noch seinen Wechselbalg mit. Zu viert werdet ihr das Kind schon schaukeln.« Der Mann auf dem Stuhl lachte kurz und nahm dann einen tiefen Zug aus seiner Pfeife.

»Ich an deiner Stelle würde mich etwas bedeckter halten, Vangar«, gab sich Asenfried plötzlich zu erkennen. Ihm reichte was er gehört hatte und er wollte nicht länger warten. Krumme Geschäfte gingen ihn nichts mehr an. Ohne große Umschweife trat er ans Feuer und sah mit unbewegter Miene zu seinem Bruder.

Dem blieb der Pfeifenstiel vor Überraschung fast im Halse stecken. Unglauben und ein dunkler Schatten machten sich in seinem Gesicht breit. Er musste husten und setzte sich aufrecht hin. Trenkl, der Kerl am Feuer, riss die Augen weit auf, ließ den Löffel vor Schreck in den Eintopf fallen und trat ein paar Schritte zurück.

»Das DU dich hier wirklich noch reintraust!«, bellte Vangar eine Sekunde später und sprang auf, als er sich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte. Seine Stimme bebte.

Asenfried zuckte innerlich zusammen. Kalle hatte die Wahrheit gesagt. Vangar war wegen der Sache immer noch sauer. Nein, es war sogar noch schlimmer. So wie er sprach konnte man meinen, dass alles erst gestern geschehen sei. Dabei lag doch ein gutes Jahrzehnt dazwischen. Die Zeit hatte bei ihm offenbar keine Wunden geheilt.

»Ja, ich bin gekommen. Aber nur weil ich kommen musste. Du bist immerhin mein Bruder, egal was damals geschehen ist.« Asenfried ließ sich, anders wie Kalle und Trenkl, nicht von der impulsiven Art seines Bruders beeindrucken. Er kannte ihn besser.

Vangar wurde puterrot im Gesicht. »Du bist nicht mehr mein Bruder! Mein Bruder starb vor über zehn Jahren.« Er schnappte nach Luft, so aufgewühlt war er. »Und nenn mir einen guten Grund, warum ich dich nicht gleich wieder rauswerfen soll!« Er schüttelte den Kopf und warf seine Pfeife zornig auf den Stuhl. »Bruder … pah! Das ist nicht lache!« Er drehte Asenfried den Rücken zu und ging ein paar Schritte vom Feuer weg.

»Vielleicht reicht dir ja zu hören, dass dir und deinen Leuten bald ein Riegel vorgeschoben wird.« Asenfried stand in aller Ruhe da. Er dachte überhaupt nicht daran sich provozieren zu lassen. Stattdessen machte er eine kurze Pause und wählte seine nächsten Worte mit Bedacht. »Das Protektorium ist auf dem Weg hierher, Vangar.«