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Gewalt gegen Frauen hat in Deutschland erschreckende Ausmaße angenommen: Jeden Tag wird eine Frau ermordet, alle paar Minuten erlebt eine Frau brutale Gewalt. Im öffentlichen Raum haben Frauen und Mädchen Angst vor Übergriffen. Wie hängt diese Entwicklung mit unserem Umgang mit Prostitution zusammen? Freier, das belegen Studien und Experten, gehen nicht nur immer brutaler mit Prostituierten um, sie sind auch gewaltbereiter gegen Frauen allgemein. Viele verurteilte Sexualstraftäter waren zuvor Sexkäufer. Darum geht Prostitution uns alle an: Sexkauf trägt zur Verrohung unserer Gesellschaft bei und ist ein Hindernis für die Gleichstellung. Dieses Buch klärt und rüttelt auf. Es erzählt erschütternde Geschichten von Frauen, die als Prostituierte arbeiten, und legt die dramatischen Konsequenzen für diese Frauen, aber auch für uns als Gesellschaft offen. Und es zeigt Wege aus dieser Misere, denn eine gewaltfreiere Welt für Frauen und Mädchen ist möglich.
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Seitenzahl: 274
Veröffentlichungsjahr: 2025
Barbara Schmid
Die unverborgene
Gewalt
gegen
Frauen
Wie Prostitution den Frauenhass in unserer Gesellschaft fördert, zur Gefahr für jede Frau wird und was wir dagegen tun können
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.
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Originalausgabe
1. Auflage 2025
© 2025 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Türkenstraße 89
80799 MünchenTel.: 089 651285-0
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Redaktion: Anke Schild
Umschlaggestaltung: Karina Braun
Umschlagabbildung: AdobeStock.com/SrGr
Satz: Kerstin Stein
eBook: ePUBoo.com
ISBN druck 978-3-7474-0722-6
ISBN ebook (EPUB, Mobi) 978-3-98922-143-7
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
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»Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.«
Artikel 1, Absatz 1, Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
Gewalt gegen Frauen ist ein wachsendes Problem in unserer Gesellschaft: Jeden Tag wird in Deutschland eine Frau ermordet, alle paar Minuten erlebt eine Frau brutale, oft sexualisierte Gewalt. Es gibt kaum eine Frau, die nicht irgendwann Opfer von sexuellen Übergriffen wird – von Catcalling über Begrapschen bis hin zu Vergewaltigung. Besonders erschreckend: Gewalt gegen Frauen geht nicht nur, wie oft vermutet, von dem Fremden nachts im Park aus, sondern häufig von Männern aus dem persönlichen Umfeld, oft sogar vom eigenen Partner. Männliche Gewalt kann Frauen also überall begegnen.
Zur sexualisierten Gewalt gehört auch die Prostitution, zumal die große Mehrheit der Prostituierten dieser nicht freiwillig nachgeht. Prostitution, das sagen Expertinnen und Experten und belegen Studien, trägt zur Normalisierung von Machtmissbrauch bei und verstärkt ein Klima, in dem Frauen entwertet werden und Gewalt legitimiert wird.
Prostitution hat es schon immer gegeben – doch nie ohne die, die sich durch Macht Zugriff auf den Körper eines anderen Menschen verschaffen. Sei es durch Gewalt (Vergewaltiger) oder durch Geld (Freier). Es geht dabei immer um Macht. Es geht um die Ausübung männlicher Dominanz über weibliche Körper. Nicht um Respekt, nicht um Konsens, nicht um eine gleichberechtigte sexuelle Begegnung.
Sexkäufer begehen einen kommerzialisierten sexuellen Übergriff. Der Konsens, der in jeder sexuellen Handlung grundlegend sein muss, wird durch Geldzahlung ersetzt und somit ausgehebelt. Die Prostituierte will in der Regel nicht den Sex; sie braucht vielmehr das Geld. Häufig für ihren Zuhälter, ihren Bordellbetreiber, ihren Drogendealer – oder schlichtweg zum Überleben.
Es ist für mich eine der größten patriarchalen Lügen, Frauen und Mädchen und letztlich der gesamten Gesellschaft weiszumachen, dass durch die Zahlung von Geld ein sexueller Übergriff legitimiert oder gar aufgehoben werden könne. Der Übergriff bleibt bestehen. Er verschwindet nicht, unabhängig von der Summe, die gezahlt wird, oder vom Ort des Geschehens, ob Bahnhofstoilette oder Luxus-Hotelzimmer. Der eigentliche Profiteur dieser Umdeutung ist das Patriarchat: Männer kaufen sich im wahrsten Sinne des Wortes »frei«. Unsere liberale Prostitutionsgesetzgebung verschleiert nicht nur diesen kommerzialisierten sexuellen Übergriff, sondern hat ihn sogar rechtlich und gesellschaftlich legitimiert – und damit das sexuelle Zugriffsrecht des Mannes auf den Körper der Frau gefestigt und entstigmatisiert.
Einige Länder haben das System der Prostitution bereits umfassend analysiert, bewertet und infolgedessen das Nordische Modell mit dem Sexkaufverbot eingeführt. Diese Länder erkennen Prostitution als geschlechtsspezifische Gewalt an, stellen Prostituierte straffrei, bieten Ausstiegsmöglichkeiten an und klären die Gesellschaft über die negativen Folgen des Sexkaufs auf. Das generelle Sexkaufverbot bewirkt zudem eine nachhaltige Reduzierung der Nachfrage. Schließlich wird der Sexkauf auch als gesellschaftliches Hindernis für die Gleichstellung der Geschlechter bewertet. Die Argumentation ist eindeutig und geht mit der These dieses Buches konform: Sexkäufer üben sexuelle Gewalt aus, während Dritte – Zuhälter, Bordellbetreiber, Menschenhändler – profitieren und die Gesellschaft im Ganzen und die Frauen im Besonderen Schaden nehmen.
Nach einem Vierteljahrhundert fehlgeleiteter Prostitutionspolitik in Deutschland ist es ermutigend, dass sich Barbara Schmid mit klarem, analytischem Blick der der Prostitution inhärenten sexuellen Gewalt annimmt – nämlich jener, die von Freiern ausgeht. Denn letztlich muss die Debatte neu ausgerichtet werden: Nicht die Prostituierte gehört ins Zentrum, sondern der Sexkäufer. Die Frage ist nicht, ob sie will, sondern warum er darf und warum unsere Gesellschaft, warum wir alle dabei zuschauen.
Simone Kleinert
Erste Vorsitzende Bundesverband Nordisches Modell – zur Umsetzung des Gleichstellungsmodells in Deutschland e. V. und Frauenrechtsaktivistin
Vor fünf Jahren habe ich unter dem Titel Schneewittchen und der böse König die Biografie der Zwangsprostituierten Katharina M.1 geschrieben. Seither werde ich zu Vorträgen eingeladen und mache Lesungen an Schulen, um aufzuklären und Prävention zu betreiben. Dabei fällt mir immer wieder auf, wie wenig die Menschen über das Thema Prostitution wissen. Kaum einer weiß, dass es dabei meistens um Menschenhandel, Armuts- und Zwangsprostitution geht und dass sogenannte Loverboys im Internet Schülerinnen ausspähen, um sie später auf den Strich zu schicken. Damit geht es alle an, die Kinder haben oder Enkelkinder oder Freunde mit Kindern. In Schulklassen mit 13- und 14-Jährigen, in die ich eingeladen werde, sitzen immer öfter Opfer solcher Loverboys. Und wer weiß, dass kriminelle Banden und Clans das Milliardengeschäft im Milieu dominieren2 und Deutschland durch seine liberale Politik – wie sie sich insbesondere im Prostitutionsgesetz der rot-grünen Bundesregierung von 20023 zeigt – zum »Bordell Europas« geworden ist? Menschenhandel und Prostitution sind ein Geschäftszweig solcher Organisierter Kriminalität, die unser aller Sicherheit bedroht. Viele haben das Bild der »Pretty Woman« und Julia Roberts vor Augen, wenn es um Prostitution geht. Dabei handelt es hier um moderne Sklaverei und brutale Ausbeutung.
Jetzt werden viele trotzdem noch denken: Was geht mich Prostitution an? Die Antwort ist: Es geht uns etwas an, denn wenn täglich 1,2 Millionen Männer in Deutschland Sex4 kaufen, wenn jeder vierte Mann5 schon mindestens einmal bei einer Prostituierten war, dann macht das etwas mit der Gesellschaft. Über die Hälfte der Sexkäufer sind verheiratet oder fest liiert. Es geht hier also auch um Ehefrauen und Freundinnen, die in der Regel keine Ahnung haben, dass ihr Partner sie mit Prostituierten betrügt. »Es sind unsere Söhne, Brüder, Väter, unsere Lebensgefährten und Kollegen«, verdeutlicht Frauenrechtlerin Alice Schwarzer.6
Und es geht vor allem um eine weitgehend unbeachtete Folge des Sexkaufs: Er fördert Gewalt gegen Frauen. Viele verurteilte Vergewaltiger haben zuvor Sex gekauft. Studien belegen, dass Sexkäufer gewaltbereiter gegenüber Frauen allgemein sind. Dass sie sich eher als Nicht-Sexkäufer vorstellen können, mal eine Frau zu vergewaltigen7, und dies zum Teil auch schon getan haben8. Und Therapeutinnen berichten aus ihrer Praxis, dass die »Nutzung« von Prostituierten auch zu sexueller Gewalt in Beziehungen führt. Weil dadurch Männern das Bild vermittelt wird, sie hätten ein Recht auf Sex und die Frauen müssten sich fügen.9
In Freierforen zeigt sich, wie Sexkäufer mit Prostituierten umgehen. Ganz offen beschreiben sie Gewalt, die schon beim Lesen oft kaum auszuhalten ist. Sie sind frauenverachtend, rassistisch und geben sich als die ganz harten Kerle. Dass sie es oft mit Zwangsprostituierten, Minderjährigen und Frauen zu tun haben, die das nicht freiwillig tun und häufig dabei erkennbar Schmerzen haben, ist vielen bewusst, aber letztlich egal. Schließlich haben sie für die »Dienstleistung« bezahlt.
Internationale Organisationen wie die UN oder auch das EU-Parlament werfen Deutschland immer wieder vor, dass hierzulande eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen fehlt.10 Und in dem Zusammenhang geht es immer wieder um Menschenhandel und Prostitution. Die Bundesrepublik ist, wie bereits beschrieben, aufgrund ihrer liberalen Prostitutionsgesetzgebung zum größten europäischen Umschlagplatz von Menschenhandel und zu einer Drehscheibe der Zwangs- und Armutsprostitution geworden.11 Als ich kürzlich für das Magazin chrismon philippinische Pflegekräfte interviewt habe, erzählten mir die Frauen, dass sie Angst gehabt haben, nach Deutschland zu kommen. Sie hatten Angst, in der Prostitution zu landen. So schauen Menschen, die hier dringend zur Pflege gebraucht werden, inzwischen auf Deutschland. Es ist zum Schämen. Für den UN-Menschenrechtsrat verhindert die liberale Prostitutionsgesetzgebung zudem die Gleichstellung in Deutschland.12 Solange Frauenkörper in Deutschland ganz legal gekauft werden können, kann es keine Gleichberechtigung geben.
Und tatsächlich hat die Gewalt gegen Frauen in Deutschland erschreckende Ausmaße angenommen, wie in einem Bericht des Bundeskriminalamts (BKA) von November 2024 nachzulesen ist: Nahezu jeden Tag wird in Deutschland eine Frau getötet, weil sie eine Frau ist.13 Dazu kommen noch dreimal so viele versuchte Femizide, wie diese geschlechtsspezifischen Verbrechen genannt werden. Statt über »Femizide« wird allerdings häufig über »Familiendramen« und »Beziehungstaten« berichtet – damit soll verharmlost werden, dass es hier um die Tötung von Frauen geht, die getötet werden, weil sie Frauen sind. Alle vier Minuten erlebt eine Frau in Deutschland Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. Die Zahlen von sexualisierter Gewalt gegen Frauen, schwere Körperverletzungen und Stalking sind besorgniserregend. Vielerorts trauen sich Frauen bei Dunkelheit nicht mehr allein auf die Straße. Sie meiden abends Bahnhöfe und dunkle Ecken, wann immer es geht.
Vermutlich kennt jede von uns Frauen, die abends nur mit Pfefferspray in der Hand vor die Tür gehen oder auf dem Weg von der Bahn bis zur Haustür mit einer Freundin oder einem Freund telefonieren, damit bei Gefahr schnell die Polizei verständigt werden kann. Aus diesem Grund gibt es das »Heimwegtelefon e. V.«14, mit dem Ehrenamtliche Frauen nachts am Telefon begleiten. Neuerdings wird überlegt, bei uns eigene Frauenabteile in U- und S-Bahnen einzuführen. Damit sich Frauen sicherer fühlen können. 2024 wurden bei uns in Zügen über 1100 Sexualdelikte gemeldet. In Tokio, Mexiko-Stadt und Rio de Janeiro gibt es solche Schutzabteile im Bahnverkehr schon länger.15
Das Gefühl von Angst und Unsicherheit ist weit verbreitet. Und das hat einen Grund: 12 Millionen Frauen sind in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von Gewalt geworden.16
Unser Land ist frauenfeindlicher, misogyner geworden in den letzten Jahren. Rechte Parteien stellen inzwischen das Abtreibungsrecht und damit das Selbstbestimmungsrecht von Frauen infrage und schwadronieren von der guten alten Zeit, als die Frau noch am Herd ihren Platz hatte und der Mann das Sagen. Dazu passen die Tradwifes, ein neues, altes Frauenbild, das gerade von jungen Frauen auf Social Media gefeiert wird, die auf die eigene Karriere verzichten, um sich ganz Kindern und Ehemann zu widmen. Gleichzeitig geben Alpha-Männer dort Tipps für echte, harte Männer, die auf devote Frauen stehen. Es boomen gerade traditionelle Rollenbilder und junge Männer werden immer konservativer in ihren Anschauungen. Das ist ein besorgniserregender Backlash.
Für die Wiesbadener Soziologin Manuela Schon trägt Prostitution wesentlich dazu bei, die »niedrige Position aller Frauen in der Gesellschaft aufrecht zu erhalten«17. Und für die SPD-Politikerin Leni Breymaier fördert Prostitution Frauenhass und Respektlosigkeit.
Was ist los in unserem Land? Was macht Frauen zu Opfern und was Männer zu Tätern? Welche Rolle spielt dabei Prostitution? Und welche die Politik, die 2002 aus der zuvor sittenwidrigen Prostitution einen Beruf wie jeden anderen machen wollte? Darum geht es in diesem Buch. Es soll informieren über diese weitgehend verborgene Parallelwelt, die doch einen erheblichen Einfluss hat auf unser aller Leben.
Seit 2014, als ich die Zwangsprostituierte Katharina M. kennenlernte, habe ich viele Gespräche zu dem Thema geführt, habe mich mit Prostituierten und Aussteigerinnen, die sich selbst »Überlebende« nennen, unterhalten. Ließ mir von Anwältinnen und Anwälten, die Opfer vertreten, von ihren Verfahren berichten. Bei Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten habe ich mich über deren Erfahrungen informiert. Wirklich belastend waren die Gespräche mit Ärztinnen und Ärzten, die – überwiegend ehrenamtlich – Prostituierte versorgen, die oftmals keine Krankenversicherung haben und sich keinen Arztbesuch leisten können. Das gilt auch für die Berichte der Therapeutinnen und Therapeuten, die mir aus ihrer Praxis erzählt haben. Ich sprach mit Bordellbetreibern, Zuhältern und dem Verwalter eines Laufhauses. Und ich habe immer wieder das Gespräch mit Politikerinnen und Politikern gesucht, wobei mir aufgefallen ist, wie wenig viele über das Thema wussten oder wissen wollten, wenngleich sie als Gesetzgeber darüber entscheiden. Und ich habe mit Betroffenen und Hilfsorganisationen in Frankreich und Schweden gesprochen und mir ihre Erfahrungen schildern lassen – beide Länder haben das sogenannte Nordische Modell (dazu später mehr) eingeführt und bestrafen den Sexkauf.
Mich hat das Thema seit 2014 nicht mehr losgelassen. Es macht mich wütend, wie in Deutschland mit Frauen umgegangen wird. Wie die Politik die Augen zudrückt, wenn es um Frauenhandel und Zwangsprostitution geht. Der Staat duldet hier die Geschäfte von kriminellen Clans und Organisierter Kriminalität. Frauenhandel ist ein Geschäftszweig dieser Kriminellen, die dazu mit Waffenhandel, Drogen und Verbrechen aller Art unsere Sicherheit bedrohen. Das geht uns alle an. Mir geht es um die Frage: In welchem Land wollen wir leben? Wo wachsen unsere Töchter und Söhne auf? Welche Gesellschaft wollen wir sein?
Das Ergebnis meiner Recherchen finden Sie in diesem Buch. Auch Betroffene kommen darin zu Wort. Wer könnte besser als diese Überlebenden schildern, was das für Männer sind, die Sex kaufen? Wie es wirklich zugeht im schummrigen Licht von Bordellen und Laufhäusern, Modellwohnungen und auf dem Straßenstrich? Und wie es ist, »Eigentum« einer Rockerbande zu sein, verkauft zu werden, jahrelang. Und eine Überlebende wird erzählen, wie es ist, in der Prostitution elf Kinder zu gebären. Weil mit hochschwangeren Frauen besonders viel Geld verdient werden kann. Diese Überlebenden berichten von Gewalt, vom Zwang zur Prostitution. Von der vermeintlich großen Liebe, dem Loverboy, der sich als Zuhälter erweist und Unvorstellbares verlangt. Sie beschreiben die Hörigkeit, die Verzweiflung und Abhängigkeit von Drogen, weil Prostitution anders nicht auszuhalten ist. Menschen in der Prostitution haben ein 18-fach18 erhöhtes Risiko, vorzeitig zu sterben: an Drogen- und Alkoholmissbrauch, an unbehandelten Krankheiten, an Selbstmord oder Mord. Prostituierte werden weltweit im Schnitt nicht älter als 33 Jahre.19
Dieses Buch nimmt Sie aber nicht nur mit in ein dunkles, verstörendes Milieu, sondern es zeigt auch, dass eine gewaltfreie Welt für Frauen und Mädchen möglich ist. Acht Länder, darunter Schweden und Frankreich, haben zu einem anderen Umgang mit der Prostitution gefunden. Prostituierten wird dort geholfen, Freier werden hart bestraft und der Markt für Frauenhandel ausgetrocknet. Die Gesellschaft hat sich in diesen Ländern geändert. Respekt und Gleichberechtigung sind machbar. Und wir alle können etwas dazu beitragen.
Sie werden Loverboys genannt. Klingt erst mal nett und vielversprechend, nach Liebe und jungen Männern, nach Romantik und großen Gefühlen. Doch hinter diesem harmlosen Begriff verbirgt sich ein brutales Verbrechen, das überall und immer häufiger in Deutschland an jungen Mädchen begangen wird.
Es sind meist junge Männer, die jungen Mädchen die große Liebe vorspielen. Diese Loverboys erkennen die unerfüllten Wünsche, die Bedürfnisse ihrer Opfer und gehen zum Schein darauf ein. Die Mädchen glauben dann, sie hätten ihren Märchenprinzen, die ganz große Liebe gefunden. Dabei haben diese Männer nur ein Ziel: mit den Körpern der Mädchen und jungen Frauen viel Geld zu verdienen. Sie sind geschickte Manipulatoren, machen ihre Opfer abhängig von sich. Und hörig.
Dann kommt der Moment, in dem sie etwas Unvorstellbares, ja Ungeheuerliches von ihrer Freundin verlangen: Verkauf deinen Körper! Tu es für unsere Zukunft. Hilf mir, meine Schulden zu bezahlen. Dann sind wir frei und können so leben, wie wir es uns erträumen …
So oder ähnlich läuft es in Fällen von Loverboy-Kriminalität. Erst die große rosarote Liebe, dann Probleme, fast immer geht es um Geld. Und dann die vermeintlich einfache Lösung: Das Mädchen verkauft seinen Körper. Nur kurz. Nur so lange, bis die Schulden bezahlt sind. Das müsse ihr die große Liebe, die gemeinsame Zukunft doch wert sein.
Und dann schnappt die Falle zu. In Deutschland lässt sich mit den Körpern von Mädchen und Frauen einfacher Geld verdienen als mit Drogen und Waffen. Und nahezu gefahrlos für die Täter. Wer mit Kokain erwischt wird, hat ein Problem. Eine Waffe kann man nur einmal verkaufen. Mädchen und Frauen dagegen immer wieder, viele Jahre lang. Und da die Opfer nur in den allerseltensten Fällen etwas gegen ihre Peiniger unternehmen, ist das Risiko für diese Verbrecher minimal.
Katharina M.20 ist so ein Opfer. Sie musste sich für ihre große Liebe mehr als zehn Jahre lang prostituieren. In dieser Zeit hat sie ihren Körper an die unvorstellbare Zahl von 25 000 Männern verkaufen müssen. Zehn und mehr Freiern hatte sie täglich Zugang zu allen Körperöffnungen zu gewähren, oral, vaginal und anal. Das ist der harte Alltag von Prostituierten in Deutschland. Psychisch und physisch macht das die Frauen kaputt. Die wenigsten tun das freiwillig, sie sind Opfer von Menschenhandel und Loverboys. Was deren Opfern angetan wird, lässt sich nie heilen, nicht ungeschehen machen. Bestenfalls können jahrelange Therapien den Opfern und ihren Familien helfen, mit dem, was passiert ist, weiterzuleben.
Katharinas Weg in die Katastrophe begann ganz harmlos auf einem Reiterhof. Sie wuchs als eines von vier Kindern in der Nähe von Bayreuth auf. Ihre Mutter arbeitete anfangs noch als Lehrerin, der Vater als Anwalt in seiner eigenen Kanzlei. Und als die jüngere Schwester eines Tages in der Nähe einen Reitstall entdeckte, durften bald beide Mädchen dort Reitunterricht nehmen, bekamen später sogar ein eigenes Pferd. Katharina war da 13 Jahre alt.
Was niemand damals ahnte: Heinz, der nette Reitlehrer, der vor Kurzem mit seiner Frau Zwillinge bekommen hatte, war ein brutaler Zuhälter, der sogar seine eigene Frau auf den Strich schickte. Wie auf allen Reiterhöfen gab es auch dort viele junge Mädchen, die ritten und ihre Freizeit auf dem Hof verbrachten. Auch für Katharina wurde der Reiterhof schnell zur zweiten Heimat. Sie war verrückt nach Pferden, schlief in Bettwäsche mit aufgedruckten Pferdemotiven, und ihr Tagebuch von damals ist voll mit gemalten Bildern ihrer Lieblingstiere.
Katharina gefiel es dort, auch weil es viel lockerer als zu Hause zuging. Heinz, der Chef, war für jeden Blödsinn zu haben, ganz anders als ihr strenger Vater. Und Heinz merkte, wenn es ihr nicht gut ging, und nahm sich Zeit, um mit ihr zu reden. Heinz tröstete sie auch, wenn es wieder mal Stress mit ihrer Mutter gab.
Und eines Tages fing dieser Traummann an, mit ihr zu flirten. Ausgerechnet mit ihr, Katharina. Seine Hand blieb ein bisschen länger als notwendig auf ihrem Oberschenkel, wenn er den Sitz des Sattels überprüfte. Seine Augen strahlten sie an und er machte ihr Komplimente. Dann ließ er Katharina das teuerste Pferd im Stall reiten, an das er sonst keine andere Reitschülerin heranließ.
»Warum ich? Er kann doch jede haben«, schrieb Katharina damals in ihr Tagebuch. Einerseits war sie darüber total glücklich, andererseits hat sie das auch verunsichert. Denn sie war so unglücklich mit ihrem Aussehen. Zu groß, mit 1,80 Meter größer als die meisten Jungen in ihrer Klasse im Gymnasium, schlaksig, wusste oft nicht, wohin mit ihren langen Armen und Beinen, und dann trug sie auch noch eine Brille. Auf dem Reiterhof gab es viele Mädchen, viele, die sie für attraktiver hielt als sich selbst.
Aber für Heinz war sie etwas ganz Besonderes, sagte er. Seine Ehe laufe immer schlechter, erzählte er ihr, wenn sie sich im Stall oder im Wald mit ihren Pferden trafen. Mit einer wie Katharina könnte er sich ein ganz anderes Leben aufbauen. Einen eigenen Reitstall, während dieser hier seinen Schwiegereltern gehöre. Wenn es nach ihm ginge, dann würde alles größer und schöner, nur die besten Pferde würde er anschaffen und dazu viele Hunde. Katharina hätte damals so gerne einen eigenen Hund gehabt, doch die Eltern verboten ihr das.
Das heimliche Verhältnis der beiden lief auf diese Weise schon einige Jahre. Inzwischen war Katharina 16 oder 17 Jahre alt. Ihr gefiel es, dass er sie wie eine erwachsene Frau behandelte und nicht wie ein dummes Kind. Als solches fühlte sie sich zu Hause von ihren Eltern behandelt.
Er nahm sie mit in die nächsten Großstädte, nach Nürnberg und Frankfurt. Dort, wo sie niemand kannte, liefen sie Hand in Hand durch die Straßen und küssten sich in aller Öffentlichkeit. Und er fing an, mit ihr Freunde im Milieu zu besuchen »Echt?«, fragte Katharina aufgeregt, als er ihr sexy angezogene Frauen an der Nürnberger Frauentormauer zeigte. »So sehen also Prostituierte aus«, stellte sie fest. »Ja, die verdienen ein Wahnsinnsgeld und können sich alles leisten«, erklärte ihr Heinz. Heute weiß sie, dass diese Besuche, die Ausflüge ins Milieu, nur ein Ziel verfolgten: Sie sollte das alles als einen ganz normalen Job ansehen, mit dem sich sehr schnell sehr viel Geld verdienen lässt. Heinz’ perfider Plan.
Und dann fingen die Probleme an. Es gab Gerüchte im Dorf, der Reitlehrer hätte was mit seiner Schülerin Katharina. Die stritt ihren Eltern gegenüber alles ab. Auch ihre jüngere Schwester konnte das alles anfangs gar nicht glauben: »Der Heinz, der packt doch keines von uns Mädchen an.« Mehr und mehr Eltern zogen ihre Kinder und Pferde vom Hof ab. Und Heinz machte Katharina große Vorwürfe, sie sei an allem schuld. Der Hof stünde vor dem Ruin, jetzt müsse sie das Geld verdienen. Er stellte sie vor die Alternative: »Wenn du mich wirklich liebst, dann machst du es wie die Frauen in Nürnberg. Nur ein Jahr und wir haben unseren eigenen Reitstall und können immer zusammen sein.« Wenn sie nicht bereit dazu sei, dann sei alles aus.
Für Katharina brach eine Welt zusammen: Mit ihren Eltern hatte sie sich heillos zerstritten. Den Kontakt zu ihren Freundinnen hatte sie abgebrochen, Heinz sah es nicht gerne, wenn sie mit ihrem alten Freundeskreis zusammen war. Und da war der Mann, mit dem sie die schönsten Stunden ihres Lebens verbracht hatte. Mit dem sie von einer gemeinsamen Zukunft geträumt hat, mit Pferden und Hunden auf einem eigenen Hof. Ja, sogar über ein Baby hatten sie schon gesprochen. Alles würde kommen, wenn sie erst den eigenen Reitstall hätten.
In ein paar Monaten würde sie volljährig und dann könnte ihr niemand mehr Vorschriften machen. »Es ist aussichtlos, es gibt kein Zurück für mich«, schrieb sie damals in ihr Tagebuch und machte sich selbst Mut: »So schlimm wird es schon nicht werden.«
Trotzdem hoffte Katharina bis zuletzt, dass ihre große Liebe Heinz dies nicht von ihr verlangen würde. Beim ersten Versuch, sie in einem Bordell in Bremen unterzubringen, hatte sie so sehr geweint, dass sie umkehren mussten. Doch ihre Lage wurde immer verzweifelter. Sie sah, dass es Heinz immer schlechter ging. Er machte sich Sorgen und brauchte das Geld so dringend. Zurück zu ihren Eltern konnte sie nicht. Ihre Mutter, davon hatte Heinz sie überzeugt, würde sie wegsperren lassen, in eine Psychiatrie. Sie käme nie mehr raus.
Und so landete Katharina in Mannheim. In der Lupinenstraße, der Bordellgasse mit den kleinen, bunt angemalten Häusern in der Stadt, die am Zusammenfluss von Rhein und Neckar liegt. Sie war nicht einmal volljährig, erst 17 Jahre und acht Monate alt, und hätte in drei Tagen wieder aufs Gymnasium gehen müssen. Prostitution ist in Deutschland erst ab 18 Jahren erlaubt. Doch nach einem Ausweis wurde sie nicht gefragt. Stattdessen musste Katharina ihre Arbeitskleidung der Bordellbetreiberin vorführen, rote Unterwäsche und hochhackige Stiefel. Und sie bekam Vorschriften, wie sie sich zu schminken hatte. Allerdings zitterten ihre Hände so sehr, dass sie eine gefühlte Ewigkeit für den verlangten Lidstrich brauchte.
Der 8.9.2000 war Katharinas erster Arbeitstag als Prostituierte: Lupinenstraße 12, erster Stock rechts, ein dunkler Gang. Sie war in einem Laufhaus im Rotlichtbezirk von Mannheim gelandet, Frauen mieten dort ein Zimmer, sitzen auf einem Barhocker vor der Tür und bieten sich an. Sie erinnert sich:
„Wildfremde Männer fassen mich an, wie auf dem Viehmarkt, begrabschen meine Brüste, fassen mir an den Hintern und fahren mir mit ihren Fingern in die Spalte zwischen meinen Pobacken. Ich kneife meinen Hintern ganz fest zusammen und verschränke meine Beine, damit die gierigen Hände nicht noch tiefer in mich eindringen können. Sie kommen mir so nah, dass ich den Geruch von Alkoholfahnen und Achselschweiß einatmen muss. Ich könnte kotzen. Ich weiß noch nicht, dass man sich wehren kann, dass man sich wehren muss, dass das ganz normal ist und dass man den Kerlen ganz einfach auf die Finger haut. Anfassen ist nicht erlaubt, es sei denn, der Freier bezahlt dafür.
Sie wissen alle, dass ich neu bin. Freier riechen so etwas förmlich, und erst recht die Puffrutscher21, die um neue Frauen kreisen wie die Aasgeier um einen Kadaver. Außerdem bin ich die Jüngste hier. Es ist, als hätte ich den Stempel ›Frischfleisch‹ auf die Stirn bekommen. Dann fragt der Erste: ›50 Mark?‹ Ich nicke und ab diesem Moment komme ich nicht mehr zum Nachdenken. 21 Männer werden es in dieser Nacht. Sie wollen es alle ohne Gummi und werden ungeduldig, wenn ich das Kondom mit meinen zittrigen Fingern nicht schnell genug über ihren Schwanz streifen kann.
Blasen oder Verkehr kosten 50 DM, beides 70, die halbe Stunde kostet 150 DM und eine ganze 300. BH ausziehen, Stellungswechsel, anal ... alles kostet extra. Das hat mir Heinz vorher auch immer wieder eingebläut, aber noch kann ich mich gegen die Männer nicht behaupten. Sie sind dreist und nutzen meine Hilflosigkeit schamlos aus.“
21 Männer für ein Mädchen, das bis dahin nur Sex mit einem Mann hatte, Heinz, ihrer großen Liebe. Und Freier sind in der Regel keine zärtlichen Liebhaber. Sie kaufen sich einen Frauenkörper zur Befriedigung; wie es den Frauen damit geht, ist den meisten egal. In den vielen Jahren, die nach diesem ersten Tag noch kommen sollten, hat Katharina alles erleben müssen: Schläge, Würgen, Todesangst, Demütigungen, Quälereien, Freier, die sich tagelang nicht gewaschen haben, um zu zeigen, dass sie sich alles herausnehmen können.
Nach diesem ersten Tag, besser gesagt: der ersten Nachtschicht, tat ihr alles weh, der Bauch, die Scheide, trotz Betäubungssalbe und Gleitmittel. Die Brustwarzen schmerzten vom Begrabschen und Kneifen unzähliger Hände. Das Zimmer, in dem sie auch schlafen musste, stank nach Rauch und dem Schweiß der Männer, die sie hatten. Bei der Vorstellung, dass in ein paar Stunden wieder wildfremde Männer in sie eindringen sollten, wurde ihr ganz schlecht. Ihr Bauch fühlte sich an wie eine einzige große Wunde.
Der einzige Lichtblick in dieser Düsternis war der Anruf von Heinz. »21 Männer«, staunte er. »Gut gemacht!« 1160 DM hatte sie eingenommen, 150 DM kostete das Zimmer, also blieb eine schöne Stange Geld übrig. Rund 1000 DM für den gemeinsamen Reiterhof. Am Telefon träumten sie noch ein bisschen von ihrer wunderschönen Zukunft. »Bald kann uns niemand mehr trennen«, versprach Heinz.
In der Zeit danach brachte Heinz »seine« Katharina immer wieder in anderen Städten unter. Bordelle werben gerne mit »neuen Frauen«, und das sind dann Frauen wie Katharina, die ständig in andere Städte verschoben werden, um dort die Nachfrage nach »Frischfleisch« zu bedienen. Und es hat auch den Grund, dass diese Frauen nirgendwo die Möglichkeit haben sollen, Kontakte zu knüpfen und womöglich einen Ausstieg zu finden. So müssen sie nach ein paar Wochen wieder woanders Freier »bedienen«.
Irgendwann stand Katharina dann selbst an der Nürnberger Frauentormauer. Die Zeit der unbeschwerten Ausflüge in die Lebkuchenstadt – das erschien ihr schon sehr weit weg. Sie musste sieben Tage in der Woche anschaffen, 365 Tage im Jahr, ohne Pause. Nicht einmal an Weihnachten hatte sie frei, im Gegenteil. An einem 24. Dezember wurden es 42 Männer! Offenbar ist der Drang groß, sich noch mal zu »entspannen«, ehe die Familie sich am Heiligen Abend zur Bescherung versammelt. Und die, die ohne Familie sind, suchten abends halt Wärme im Bordell.
Für Katharina endete diese Rumreiserei erst, als Heinz in Bayreuth ein eigenes Bordell gepachtet hatte, zu dem später noch ein Barbetrieb hinzukam. Ganz korrekt ist das jetzt nicht beschrieben: Heinz war der Chef, aber Pächterin war Katharina und die Schanklizenz lief auch auf ihren Namen. Was sie damals nicht ahnte: Heinz hatte ein ellenlanges Vorstrafenregister und hätte nie die Erlaubnis dazu bekommen. Die Stadt Bayreuth erlaubte das alles einer damals 21-Jährigen, die weder Kapital noch Erfahrung im Führen eines Betriebs aufweisen konnte. Katharina trug damit ganz allein das Risiko für Steuern und Sozialversicherungen, die Heinz natürlich nie gezahlt hat. Und als Katharina sich aus der Prostitution befreien konnte, hatte sie einen Berg Schulden und Ärger mit der Steuerfahndung.
Vom Honeymoon war bald nicht mehr viel übrig. Schon nach ein paar Monaten hat Heinz sie zum ersten Mal geschlagen. Und seine Beteuerung »Das wird nie wieder vorkommen« war nicht viel wert. Ihre große Liebe hat sie mehrfach fast totgeschlagen. Katharina kann bis heute mit der rechten Hand nicht schreiben, weil er ihr den Daumen gebrochen hat und sie nicht zum Arzt gehen durfte. Manchmal mussten ihr die Kolleginnen beim Anziehen helfen, so schlecht ging es ihr. Und an solchen Tagen, erkennbar verprügelt und verletzt, hat sie besser als sonst verdient. »Je elender eine Frau aussah, desto begehrter war sie für die Freier«, musste Katharina feststellen.
Warum hat sie das so lange ausgehalten? Ihre Familie hat in all den Jahren alles versucht, um sie da rauszuholen. Aber Katharinas Gefängnis bestand nicht aus Türen und Schlössern. »Das Gefängnis ist im Kopf«, beschreibt die forensische Psychiaterin Dr. Nahlah Saimeh das Verhalten solcher Opfer.22 Es beruht auf der Angst vor dem Täter und gleichzeitig auf der Angst, ihn zu verlieren, weil sich die betroffenen Frauen ohne ihn völlig allein und hilflos wähnen. Dazu komme das Versprechen einer besseren Zukunft. Das, wofür die Frauen das alles auf sich nehmen. Loverboys sind sehr erfolgreich mit dieser Form von psychischer Gewalt. Sie manipulieren ihre Opfer. Diese bleiben dem Täter gegenüber loyal, auch wenn sich ihr Leben in eine Hölle verwandelt hat. Sie können ihn nicht verlassen, weil diese Hörigkeit, die psychische Abhängigkeit, es ihnen unmöglich macht. Darum ist es auch so aufwendig, die Opfer zu therapieren. Viele brauchen Jahre, bis sie wieder ein halbwegs normales Leben führen können. Heilen lässt sich das nicht, was Loverboys diesen Frauen angetan haben. Umso schlimmer, dass die Zahl von Opfern dieser Kriminellen bei uns gerade steigt. Die Betroffenen können nur mit therapeutischer Hilfe lernen, damit besser umzugehen.
So war das auch bei Katharina, sie hat bis zuletzt daran geglaubt, dass sie für einen gemeinsamen Reiterhof anschaffen geht. Dass es die Pferde, die Traktoren, den ganzen Hof gibt, von dem ihr Heinz immer wieder mal Fotos gezeigt hat, um sie bei Laune zu halten. Hinzu kam, dass sie keine Zeit hatte, um mal in Ruhe über das, was sie da tat, nachzudenken. Sie musste eigentlich rund um die Uhr zur Verfügung stehen, hatte keinen Tag frei, seitdem ihr Martyrium in der Mannheimer Lupinenstraße begonnen hatte.
Sie war Hure, Tänzerin, Bardame, Hausmeisterin, Putzfrau und Buchhalterin. Sieben Tage in der Woche. Sie wusste oft nicht einmal, welche Jahreszeit es gerade war. Im Bordell waren alle Fenster abgeklebt und jeder Tag gleich schummrig dunkel. Irgendwann fing sie an zu trinken, weil sie entdeckt hatte, dass sich mit Alkohol das Elend besser ertragen ließ. In ihrem Fall war es viel Alkohol, vier, fünf Flaschen Prosecco und dazu ein, zwei Flaschen Hochprozentiges: 3,5 Promille und mehr notierten Ärzte, wenn Katharina mal wieder zusammengeschlagen im Krankenhaus gelandet war. Und wunderten sich, dass ihre Patientin damit noch gerade gehen und sich unterhalten konnte.
Dass sie die ganze Zeit belogen und ausgebeutet wurde, kam ihr nie in den Sinn. Kurz vor dem Ende, als sie von Heinz noch einmal brutal zusammengeschlagen wurde, schrieb sie ihm per SMS: »Dann verkaufen wir alles, wir machen halbe-halbe und jeder geht seinen Weg.« Und kurz vorher hatte sie ihm noch geschrieben: »Wenn ich einen Wunsch frei hätte, ich würde mir wünschen, dass du mich liebst.«
Vom 8.9.2000 bis zum 9.4.2011 hat Katharina ihren Körper verkaufen müssen. Rund 25 000 Freier hat sie in der Zeit ertragen und ihrem Zuhälter, der vermeintlich großen Liebe, Heinz, weit über eine Million Euro eingebracht. Geld, von dem sie bis heute keinen Cent gesehen hat.
Das Landgericht Bayreuth hat ihn zu neun Jahren Haft verurteilt, wegen Menschenhandels, Zuhälterei, gefährlicher Körperverletzung und Betrug. Und er muss Katharina eine Million Euro zahlen. Was er bis heute nicht getan hat.