Die Zeit ist ein Augenblick - Gabriele Henkel - E-Book

Die Zeit ist ein Augenblick E-Book

Gabriele Henkel

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Beschreibung

Die bewegenden Memoiren der Society-Ikone

Gerade einmal 16 Jahre alt ist Gabriele, als ihre Eltern sie nach London schicken, ohne einen Pfennig in der Tasche. Allein schlägt sie sich in der fremden Stadt durch, lernt Englisch und wird Journalistin – bis sie 1955 in die Industriellen-Dynastie Henkel einheiratet. Von da an gehört Gabriele Henkel zum internationalen Jetset: Als Sammlerin erobert sie die Welt der Kunst im Sturm, in ihrem eleganten Heim an der Düsseldorfer Chamissostraße veranstaltet sie legendäre Abendgesellschaften, bei denen sich Gäste wie Hildegard Knef und Helmut Schmidt die Klinke in die Hand geben. Ihre Erinnerungen erzählen von einem Leben voll Liebe, Kunst und Glamour – und von einer mutigen Frau, die immer ihren eigenen Weg ging.

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Seitenzahl: 217

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Buch

Gabriele Henkel, die Grande Dame aus Düsseldorf, legt ihre Memoiren vor. Eine schillernde Biographie. Ein Zeitdokument. Eine Liebeserklärung an das Leben.

Gabriele Henkel ist eine Ikone, die dem gesellschaftlichen und kulturellen Leben der Bundesrepublik Glanz verliehen hat. Ein wechselvolles Kapitel der deutschen Geschichte spiegelt sich in ihrer Biographie. Ihre Erinnerungen lesen sich auch als Lebensbericht einer Frau, die sich nie mit ihrer Rolle als Gattin begnügt hat. Gabriele Henkel ging ihren eigenen Weg, und der führte aufs internationale Parkett. Die Kunstwelt wurde ihre Bühne, Künstler und Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft waren Gäste im Hause Henkel.

Ihre Memoiren sind ein gesellschaftliches Ereignis. Wie waren sie wirklich, all die Berühmtheiten, die in ihrem Leben eine Rolle spielten? Das Wort hat Gabriele Henkel.

Autorin

Gabriele Henkel, geborene Hünermann, begann zunächst als Journalistin in London und Bonn, bis sie 1955 Konrad Henkel heiratete, den späteren Chef des Henkel-Konzerns. Sie ist eine weltweit anerkannte Kunstsammlerin, seit 1972 sitzt sie im Internationalen Beirat des Museum of Modern Art (MoMA) in New York. Als Künstlerin trat sie mit phantastischen Raum-Installationen hervor, als Publizistin schrieb sie für internationale Medien. 1990 wurde sie Honorar-Professorin für Kommunikationsdesign an der Universität Wuppertal. Gabriele Henkel lebt in Düsseldorf, ihrer Geburtsstadt.

GABRIELEHENKEL

Die Zeit ist ein Augenblick

Erinnerungen

Deutsche Verlags-Anstalt

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

1. AuflageCopyright © 2017 Deutsche Verlags-Anstalt, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenCovergestaltung: FavoritbüroCovermotiv: John Bulmer, Auf dem "Berg"Fest mit Konrad Adenauer, März 1965Typografie und Satz: DVA / Andrea MogwitzGesetzt aus der Adobe GaramondISBN 978-3-641-22497-4V003www.dva.de

Für Konrad Henkel in Liebe

Inhalt

Einleitung

1.Das Glück der Liebe

2.Alles ist Kindheit

3.Ich bin doch kein Eichhörnchen

4.Und so, wenn mich nicht alles täuscht, ist das Leben

5.Schmetterlinge weinen nicht

6.Auf den Flügeln der Zeit

7.Ausgewählte Briefe

Bildteil

Anhang

Personenregister

Quellennachweis

Einleitung

Mich hat nie der Wunsch geleitet, mit vielen Worten mir ein eigenes Denkmal zu bauen. Nichts liegt mir ferner. Ich halte es eher mit Walt Whitman. Der große amerikanische Dichter hat von dem Bestreben gesprochen, »das Rätsel aller Rätsel zu lösen. Und das nennen wir: Sein.« Das war auch mein Bestreben beim Schreiben meiner Erinnerungen.

Mein Blick zurück gilt dem Puzzle meines Lebens. Es fügt sich aus so vielen einzelnen Geschichten zusammen – Fügungen, im wahrsten Sinne des Wortes, Erlebnisse, Ereignisse, Begegnungen. Ja, das Glück meines Lebens waren die Menschen, die Persönlichkeiten, die ich kennenlernen durfte. Manchmal waren sie auch das Unglück.

Natürlich steht an erster Stelle Konrad Henkel, der Mann meines Lebens. Wir haben 1955 geheiratet, und da wurde aus der Arzttochter Gabriele Hünermann die Ehefrau des Chemikers Konrad Henkel. Er war damals noch nicht der Industrielle, der Patriarch des Konzerns mit all den Marken, die es in jedem Haushalt gab, »Persil«oder »Pril«oder »Fa«. Das wurde er erst später.

Konrad konnte mit Menschen umgehen, auch wenn er von Natur zurückhaltend war. Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er es wohlwollend billigte, wie ich unser Haus an der Chamissostraße in Düsseldorf oder unser Landhaus in Hösel in eine gesellschaftliche Bühne verwandelte. Joseph Beuys, Hildegard Knef, Henry Kissinger, Günther Uecker, Gregor von Rezzori, Helmut Schmidt, Bob Wilson, Peter Wapnewski – das Spektrum konnte nicht groß genug sein. Gelegentlich endeten die Abende im Salon tumultuös, zum Beispiel als zwei prominente Autoren dermaßen in Rage gerieten, dass sie die venezianischen Gläser – gefüllt mit Champagner – an Gemälde flämischer Manieristen schleuderten. Zum Glück war Konrad schon zu Bett gegangen.

Ich liebe Gemälde wie meine Freunde. Ein Tag mit Kunst ist ein guter Tag. Und ich hatte viele gute Tage, insbesondere seit 1970. Da bekam ich den ehrenvollen Auftrag, eine Kunstsammlung für die Firma Henkel aufzubauen. Sie wächst bis heute. Nach dem Tod von Konrad, am 24. April 1999, war sie mein Trost in der Trauer. Es ist ein Privileg, mit Künstlern befreundet zu sein. Frank Stella und ich sind seit langen Jahren eng vertraut, und die New Yorker Kunstwelt nahm mich mit offenen Armen auf – der Kunsthändler Leo Castelli, die Factory um Andy Warhol, der Architekt Philip Johnson. Von Letzterem stammt übrigens der zauberhafte Skulpturenhof im Museum of Modern Art, dem Museum, das mich in seinen Internationalen Beirat berief.

Bazon Brock, damals Dekan der Bergischen Universität in Wuppertal, schrieb einmal: »Bildung umfasst nicht nur Aspekte des Geisteslebens, sondern auch die erlernbare Technik des gesellschaftlichen Lebens.« Er meinte damit wohl auch die visuelle, kommunikative Ausgestaltung meiner Soirees für Freunde und Gäste, von denen Joseph Beuys sagte: »Es sind wahre Kunstwerke. Du musst sie signieren.«

1990 ernannte Bazon Brock mich zur Professorin an der Universität Wuppertal. Aus der Tochter des Professors Hünermann, Chefarzt des Düsseldorfer Marienhospitals, war selber eine Professorin geworden, für Kommunikationsdesign.

Ich erinnere mich, wie ich als Kind immer wieder fasziniert vor meinem Lieblingsbild stand, einer Abbildung von »Tizians Tochter Lavinia«, es hing in meinem Elternhaus über der Anrichte im Esszimmer. Das war meine erste Begegnung mit Kunst – und meine letzte Erinnerung an eine glückliche Kindheit. Der Zweite Weltkrieg brach aus, Düsseldorf wurde in Schutt und Asche gelegt, das Bild unter Trümmern begraben. Es folgten Jahre der Flucht, von einem Unterschlupf zum nächsten, zusammen mit meiner Mutter und meinen drei Geschwistern. Vater war an der Front. Ein einziger Albtraum.

Ich bin nie richtig zur Schule gegangen. Kontinuierlich, wie es sich gehört, meine ich. Wie denn auch, in dieser schrecklichen Zeit? Und in den ersten Nachkriegsjahren hatte ich Hand im Haushalt anzulegen, schließlich mussten wir unsere Existenz wiederaufbauen. Ich war ein verschüchtertes Mädchen mit »Haaren wie Sauerkraut«, wie mein Vater meinte, und »zu dick«, wie meine Mutter fand. Auch das war nicht gerade ermutigend.

Als ich sechzehn Jahr alt war, schickten meine Eltern mich nach London, ohne einen Pfennig in der Tasche. Das Leben lag vor mir, ich musste es nur noch anpacken. Aber wie? Ich begann als Au-pair-Mädchen, lernte Englisch und wurde Journalistin. Das war schon lange mein Traum gewesen, doch ich hätte mir nicht träumen lassen, dass meine Artikel schon kurz darauf in dem renommierten amerikanischen Nachrichtenmagazin Newsweek erscheinen würden.

Jeder ist seines Glückes Schmied, heißt es so schön. Aber das stimmt nicht ganz. Es gehört auch eine Portion Glück dazu. Ich denke, ich wäre Journalistin geblieben, hätte der Zufall – oder das Schicksal – mich nicht mit Konrad Henkel zusammengeführt. Nahezu ein halbes Jahrhundert haben wir gemeinsam erlebt. Wir tanzten nicht durch die Jahrzehnte, dazu waren die Zeiten zu wechselhaft. Sie bescherten uns die DDR, das Wirtschaftswunder, den Mauerbau, den Deutschen Herbst, die Wiedervereinigung, den Euro. Es war eine bewegte, eine geschichtsträchtige Epoche.

Dasselbe gilt für die Welt der Kunst, der Literatur, des Theaters – wie hat sie sich verändert! Wenn ich mein Leben Revue passieren lasse, dann geht es nicht nur um mich, sondern um die Menschen, die in dieser Epoche ihre Spur hinterlassen haben. Ich kannte viele von ihnen gut und war mit ihnen befreundet.

All die wunderbaren Freundschaften, über so viele Jahrzehnte – sie haben mich geprägt, sie haben mich beglückt, und jetzt ist mein Herz manchmal schwer. Die meisten Menschen, die mir nahe standen, leben nicht mehr. Ich vermisse meine Lebensgefährten. Einsamkeit gehört zu meinem Leben.

Zum Glück gibt es die Briefe. Meine Korrespondenz mit Friedrich Torberg zum Beispiel umfasst zwei Jahrzehnte. Sie stammt noch aus einer Zeit, als Mitteilungen nicht per SMS verschickt wurden, sondern seitenlang waren und im Briefkasten landeten, dank dem Postboten. Torberg, der überragende Schriftsteller, war der geistvollste Briefschreiber in meinem Leben.

Oder der Austausch mit Ludwig Bemelmans – Hunderte von Briefen, die er liebevoll mit Zeichnungen illustrierte. Er war ja auch Cartoonist für die Vogue und den New Yorker. Onassis gab ihm den Auftrag, das Kinderzimmer auf seiner Yacht »Christina« auszumalen. Durch ihn lernte ich John F. Kennedy und dessen schöne Frau Jackie kennen.

Wenn ich in die alten Korrespondenzen eintauche, dann kommt es mir plötzlich so vor, als stünden die Freunde wieder leibhaftig vor mir. Ich höre ihre Stimmen, ich sehe ihren Gang, ich erinnere mich förmlich an den Duft ihres Eau de Toilette. Sogar die Nase hat ein Gedächtnis.

»Die Zeit ist ein Augenblick«, hat Jean Paul gesagt. »Unser Erdendasein wie unser Erdengang ein Fall durch Augenblicke.« Jean Paul hat Poesie mit Romantik und Humor verbunden. So empfinde ich rückblickend mein Leben. Es war ein intensives Leben, der Liebe und der Kunst gewidmet. Es gab Höhen und Tiefen, stets begleitet von Lebensfreude.

Hier also meine Erinnerungen. Es ist keine Biografie, wie man sie über Napoleon erwartet, kein chronologischer Rückblick auf ein Leben, das sich wie ein mächtiger Strom durch Schlachten und Siege zieht. Meine Biografie sprudelt eher in Form von Reminiszenzen über die kostbaren Kieselsteine im Flussbett der Erinnerung. Eine Liebeserklärung an das Leben.

Düsseldorf, Juni 2017

Gabriele Henkel

1.Das Glück der Liebe

Gabriele Henkel? An den neuen Namen musste ich mich erst einmal gewöhnen. Ich war Anfang zwanzig. Die Kindheit, die Jugend, die erste Zeit als angehende Journalistin in Bonn, all das war mit meinem Mädchennamen verbunden: Gabriele Hünermann. Nun war ich Ehefrau, hatte eingeheiratet in die Familiendynastie Henkel, ein Markenname, der in Deutschland in jedem Haushalt ein Begriff war.

Henkel. Die Firma war das Aushängeschild des deutschen Wirtschaftswunders. Ein paar Jahre später sollte das »neue Persil« seinen Siegeszug antreten, »Persil 59«, benannt nach dem Jahr, in dem es auf den Markt kam.

Die Geschicke des Konzerns lenkte Jost Henkel, der ältere Bruder von Konrad. Er war Vorsitzender des Aufsichtsrats. Konrad Henkel war Wissenschaftler mit Herz und Seele. Er arbeitete im Labor der Firma. Dort trug er – leidenschaftlicher Chemiker, der er war – einen weißen Kittel. Als ich ihm einmal einen Besuch abstattete und ihn zur Begrüßung umarmen wollte, drehte er sich erschrocken weg und meinte: »Das tut man hier nicht.« Er war ein pflichtbewusster, zurückhaltender Mann. Umarmungen waren meine emotionale Mitgift in die neue Familie. Meine materielle Mitgift: ein Barockschrank, eine Biedermeierkommode, Spitzendecken und silbernes Besteck. Mehr besaß ich nicht. Die Biedermeierkommode hatte schon in meinem Kinderzimmer gestanden, und nun stand sie in dem Zimmer, das für unser erstes Kind vorgesehen war. Drei Jahre nach unserer Hochzeit war ich schwanger.

Konrad, der schon drei Töchter aus erster Ehe hatte, versicherte mir, dass er sich auf seine vierte Tochter freue. Aber es wurde ein Sohn, Christoph. Drei Stunden vor der Geburt saß Konrad noch bei mir im Zimmer in der Frauenklinik und bastelte ein Schiffsmodell. Dann erhob er sich und sagte sachlich, wie er war: »Das Boot ist fertig, ich gehe nach Hause.«

Wir wohnten damals noch in Konrads Junggesellenwohnung in der Grunerstraße in Düsseldorf, einem bescheidenen Zuhause. Bald erwies sich, dass es zu klein für die junge Familie war, und nach Jahren zur Miete wurde das eigene Haus zum Thema.

Konrad hatte einen Bauplatz an der Bergischen Landstraße gekauft. Ich flog nach Los Angeles, um den berühmten österreichischen Architekten Richard Neutra zu besuchen und ihn um einen Entwurf zu bitten. Er hatte herrliche Häuser in der Wüste gebaut und wusste als Europäer, wie ein großbürgerliches Haus auszusehen hat. Sein Entwurf war genial, zeitlos. Er baute von außen nach innen, ganz so, als lebten wir auch im Rheinland nach dem Motto: It never rains in Southern California. Für mein Schlafzimmer waren keine Wände vorgesehen, sondern nur Glasfronten. Überall sollte Wasser rieseln, so wie an den Glasscheiben in der Wüste. Der Architekt hatte jedoch das europäische Klima vergessen. Schade, sein Entwurf konnte leider nicht umgesetzt werden.

Was nun? Wir packten die Kinder ein, Christoph und die drei Töchter, und machten Sommerferien. Auf Cap d’Antibes hatten wir eine Villa gemietet, die Villa Fiamma, ein charmantes altes Haus, ausgestattet mit provenzalischen Möbeln und Bildern des 18. Jahrhunderts. In dem benachbarten Pinienwäldchen war ein Becken mit Seerosen, wo nachts die Frösche ihre quälenden Konzerte anstimmten.

Ein Mann namens Fritz Mandl kam des Weges, Österreicher, vermutlich Waffenhändler. Außerdem sammelte er Frauen. Wir waren zweimal seine Gäste bei späten Mittagessen an seinem Badehaus. Zweimal zu oft. Die Wut, dass er mich nicht in seine Kollektion einreihen konnte, animierte ihn zu verrückten Manövern. Einmal – ich schwamm gerade arglos im Meer – legte er es darauf an, mir mit seinem Speedboot Angst einzujagen. Nicht weit entfernt lag eine majestätische Segelyacht vor Anker. Der blendend aussehende Herr an Bord veranlasste seine Matrosen, mich aus der Mandl-Gefahrenzone zu retten. I was his pick-up, im wahrsten Sinne des Wortes. An Bord wurden mir ein flauschiger Frotteemantel und ein Föhn gereicht. Ich wusste nicht, dass es sich bei meinem Retter um den wichtigsten Industriellen Italiens handelte, den Chef der Fiat-Werke – Gianni Agnelli. Wir hatten einen wunderbaren Segelnachmittag, tauschten Telefonnummern aus, und dann wurde ich an Land gebracht.

Tage später ließ er mich erneut abholen, wieder auf sein Schiff Agneta. Er war ein Bild von Mann. Er hatte Charisma, eine bezwingende Ausstrahlung. Wir sollten uns im Leben noch öfter begegnen. Später saß er, zusammen mit Konrad, im internationalen Beirat der Chase Manhattan Bank, auf Wunsch von David Rockefeller. So lernte ich auch seine Frau Marella kennen, eine neapolitanische Prinzessin, deren Schönheit sich in Jahrzehnten nicht veränderte. Ihr klassisches Profil, ihr Schwanenhals, fotografiert von Richard Avedon, wurde zur Ikone des Jetsets.

Die Agnellis waren berühmt für ihren erlesenen Geschmack. Sie wohnten in märchenhaften Häusern, an den schönsten Orten der Welt: der Villa Fiorentina an der Côte d�Azur, dem Chalet in Gstaad, dem riesigen Apartment in New York oder der Wohnung in Rom mit Blick auf den Präsidentenpalast. Seine amourösen Abenteuer hatte L’Avvocato, wie er genannt wurde, lieber in Rom im Grandhotel, in seiner Suite, diskret und perfekt eingerichtet, mit gedämpftem Licht. Ich besuchte ihn dort mehrfach auf einen Aperitif, zusammen mit meinem Freund Sandro d’Urso. Gianni hatte die Eigenschaften seiner Rennwagen: schnell und elegant. Immer ungeduldig, stets in Eile. Das schloss nahezu aus, dass man ihn als guten Liebhaber bezeichnen durfte.

*

Sommer, das war stets die Jahreszeit, die mein Herz höher hüpfen ließ. Sie bedeutete Ferien, Zeit für einander, Zerstreuung. Eigentlich die Zeit, in der sich das Leben am leichtesten anfühlte. Auch die höheren Mächte, die mitunter Unheil bringen, schienen Urlaub zu machen.

Welch ein Schock war es, als mitten im Sommer 1961 das Schicksal zuschlug: Jost, Konrads älterer Bruder, verstarb völlig unerwartet an einer Lungenentzündung. Er wurde nur einundfünfzig Jahre alt.

Jost Henkel, der Vorstandsvorsitzende des Henkel-Konzerns, war eben noch omnipräsent gewesen: Die Kolonnen der Henkel-Vertreter schwärmten durch das Land, von Haustür zu Haustür, um die deutsche Hausfrau für das »neue Persil«zu gewinnen – im Gepäck hatten sie einen Werbespot, in dem Jost von dem Produkt schwärmte (»Das beste Persil, das es je gab«). Und nun lebte Jost nicht mehr. Schrecklich!

Unser Leben änderte sich schlagartig. Von einem Tag auf den anderen musste Konrad seinen geliebten weißen Kittel an den Nagel hängen und in die Rolle des obersten Konzernlenkers schlüpfen. Chef über ein Imperium mit zwanzigtausend Angestellten – das behagte ihm gar nicht. Aber er stellte sich der Verantwortung, pflichtbewusst, wie es seine Art war.

Das Schicksal bescherte uns somit auch die Antwort auf die Frage nach den eigenen vier Wänden. Wir beschlossen, in das Haus von Jost zu ziehen, ein hübsches Reihenhaus mit einem großen Garten in der Chamissostraße.

Häuser haben eine Seele, und dieses Haus war natürlich traurig, ebenso wie wir, dass Jost nicht mehr da war. Wir wollten uns alle Mühe geben, es aufzuheitern. Lebensfreude und Glück sollten einziehen. Oder wie es in einem Gedicht von Adelbert von Chamisso heißt, dem Namenspaten unserer Straße: »Das Glück ist Liebe.«

Ich nahm den Umbau in Angriff, und der Architekt meiner Wahl war Helmut Hentrich. Er hatte sich mit mutigen Hochhäusern einen Namen gemacht, allesamt im sogenannten Internationalen Stil, dem Dreischeibenhaus in Düsseldorf oder dem BAT-Hochhaus in Hamburg. Nun musste er seine Kunst an einem flachen Haus beweisen.

Hentrich machte sich an die Arbeit, und das Ergebnis war – ja, wie soll ich sagen? – interessant. Ein sonderbarer Prototyp einer undefinierbaren Architektur. Die Fassade mit ihrem weiß verputzten Backstein, ein bisschen Bauhaus, ein bisschen Bungalow. Extrem niedrige Decken, sehr viele Fensterfronten. Eine Herausforderung für die Inneneinrichtung.

Da kam mir Valerian Stux-Rybar in den Sinn. Ich hatte ihn in dem besagten Agnelli-Sommer kennengelernt, bei amerikanischen Freunden in ihrem Palazzo in Saint-Jean-Cap-Ferrat. Ein Ästhet, der nur Maßanzüge des Mailänder Schneiders Caracenitrug und fließend fünf Sprachen beherrschte. Er war ungarisch-jugoslawischer Herkunft und 1945 zusammen mit seinen Eltern in den Westen geflohen. Die Familie lebte eine Weile in Venedig; seine Mutter verkaufte Familienschmuck; sein Vater stürzte bei einem Herzinfarkt in den Canal Grande. In New York wurde Valerian erst Schaufensterdekorateur, dann machte er Karriere als Interior Designer. Und wie! Die Hautevolee war ihm geradezu verfallen, sie liebte seinen erlesenen Geschmack, seinen Esprit und seinen luxuriösen Stil. Außerdem galt er als der teuerste Innendesigner der Welt. Zu seinen Kunden gehörten die Rothschilds, Sir James Goldsmith, Stavros Niarchos, Christina Onassis, um nur ein paar herauszugreifen. Ich bat ihn also, mir bei der Innenausstattung zur Seite zu stehen.

Wir fuhren gemeinsam nach Paris, um einzukaufen. Was gab es Schöneres, als mit Valerian Stux-Rybar auf Shoppingtour zu gehen?

In diesem Zusammenhang eine Anekdote: Ich wohnte im Hotel Lancaster, Rue de Berri, eine Seitenstraße der Champs-Élysées, wo oft Regisseure und Schauspieler, auch Marlene Dietrich, abstiegen. Wenn die Dame an der Telefonzentrale den Gast nicht fand, rief sie im Zimmer des Freundes oder der Freundin an. Man verständigte den Portier durch Zuruf im Treppenhaus, wo man zu finden sei. Daraus ergaben sich manchmal filmreife Situationen. Eines Abends standen in meinem Hotelzimmer hundert rote Rosen. Absender: der amerikanische Regisseur William Wyler, den ich zufällig kennengelernt hatte. Er war fest davon überzeugt, dass ich Karriere beim Film machen könnte, und wollte mich überreden, mit ihm nach Hollywood zu Probeaufnahmen zu fliegen. Eine verlockende Vorstellung: HOLLYWOOD! Aber ich wollte nicht abhauen und meine Familie im Stich lassen.

Die Freundschaft mit Valerian hielt ein Leben lang. Wenn ich ihn in New York besuchte, zogen wir uns erst einmal wild an, Bomberjacken und Lederhosen, und dann ging’s zu Bloomingdale’s, später zum Lunch in die Polo Bar im Westbury Hotel.

Bei einem Dinner, das Valerian in seinem Apartment gab, saß ich einmal zwischen John Richardson, dem unvergesslichen Autor der ultimativen Picasso-Biografie, und zu meiner Linken der legendäre Schriftsteller Gore Vidal. Er war als Drehbuchautor von Ben Hur bekannt und erfolgreich mit Romanen, in denen er die amerikanische Geschichte behandelte.

Und erst die gemeinsamen Reisen mit Valerian! Nach Mexiko, zum Beispiel, auf Einladung des Expräsidenten Miguel Aleman. Wir flogen nach Oaxaca, Valerian, sein Lebensgefährte Jean-François Daigre, eine Freundin und ich, und dort bestiegen wir den mystischen Monte Alban. Ich zog zum ersten Mal an der Marihuana-Zigarette von Valerian und erwartete, mit Schreibblock und Bleistift ausgerüstet, wie die Surrealisten ungewöhnliche Gedanken und Einfälle. Nichts passierte. Bei sinkender Sonne lachten wir und fühlten uns on top of the world.

Dann weiter nach Rio, zur Copacabana. Es war eine Augenweide, den jungen Leuten beim Schwimmen, Surfen, Tanzen und Picknicken zuzuschauen.

Valerian meinte: »Wenn man sich am Strand im Badeanzug behauptet, hat man gewonnen. Wird man angesprochen, gilt das nur der Person. Und das ist doch das höchste Kompliment.«

Sein letztes Domizil in Manhattan war 16 Sutton Place, ein Mausoleum. Darin eine Höhle, das Schlafzimmer, mit einem gewaltigen Spiegel an der Decke. Unter den verschlossenen Fenstern befand sich ein eisenbeschlagener antiker Kasten voller Gerätschaften für Sadomaso-Praktiken. Ich wohnte im Gästezimmer. Nur Samstagabend nicht, da wich ich zu Freunden aus, wenn der jeweilige Gespiele eintraf. Valerian bot mir an, doch einmal zuzuschauen, aber um Himmels willen, das Peitschenritual mit einem an Seilen hängenden jungen Mann wollte ich nun wirklich nicht sehen. Das Ritual dauerte die ganze Nacht, und gegen fünf Uhr morgens wurde in der Küche ein leichtes Essen eingenommen. Valerian behauptete, die körperliche Ertüchtigung sei gut für sein Herz, wie Jogging.

Unser Haus an der Chamissostraße 9, oder die »Chami 9«, wie wir sie nannten, verdankte Valerian viel. Ebenso natürlich Helmut Hentrich, dem Architekten, der ebenfalls ein enger Freund wurde.

Hentrich hatte eine große Affinität zur Natur. Die natürliche Umgebung war immer Teil seiner Architektur. Das Haus baute er so um, dass Wohntrakt und Garten dank einer breiten, ausladenden Glasfront förmlich ineinander übergingen. Hentrich liebte Glas, und seine Glassammlung hatte Weltruhm. Warum ein Baumeister, der mit harten Werkstoffen umging, sich dem fragilsten aller Materialien, dem Glas, zuwandte, erklärte er in seinen Memoiren: »Dieses wunderbare durchsichtige Material hatte schon in meiner frühen Jugend etwas Geheimnisvolles für mich. Dass eine feste berührbare Masse durchsichtig sein konnte, war wie ein Wunder.«

Konrad schätzte meinen Geschmack, den Stil, in dem ich das Haus einrichtete. Er unterstützte auch meinen Drang zur bildenden Kunst. Zu der Zeit erwarben wir unsere ersten Kunstwerke, Arbeiten des Bildhauers Norbert Kricke, Lithografien von Pablo Picasso und Ernst Ludwig Kirchner, Aquarelle von Emil Nolde, Gemälde von Massimo Campigli und Domenico Gnoli.

Mit der Gestaltung des Gartens beauftragten wir den Landschaftsarchitekten Roland Weber. Er hat mit fürstlichen Handbewegungen bestimmt, wo die Bäume gesetzt werden sollten. Unser Garten war nach englischem Muster angelegt, keine Symmetrie, keine Hecken, keine Irrgärten. Birken, japanische Büsche und Hortensien säumten die Rasenflächen.

Weiß blühende Rosenstöcke sorgen bis heute dafür, dass vor dem Bild von Konrad, das auf meinem Schreibtisch steht, immer eine frische Blüte liegt. Ich liebe das Bild. Es zeigt Konrad beim Kartenspielen, er war ja ein begeisterter Skatspieler. Sein Blick ist auf das Blatt in seiner Hand gerichtet, mit der anderen Hand rauft er sich die Haare. Der Gesichtsausdruck: skeptisch. Ich habe das Foto irgendwann in den Siebzigerjahren gemacht, auf dem Lehenhof, unserem Landsitz bei Kufstein, wo er gern mit den Jägern spielte. Er trägt einen blauen Pullover. Die Farbe stand ihm immer gut, sie passte zu seinen schönen blauen Augen.

Meine erste Begegnung mit Konrad war lustig: Er hatte sich als Trapper verkleidet. Er liebte den Karneval, und es bereitete ihm Spaß, sich zu verkleiden. Ich war nicht kostümiert, trug einen schwarzen Petticoat und eine weiße Bluse. Das Karnevalsfest artete ziemlich aus; jedenfalls habe ich irgendwann auf dem Tisch getanzt. Daraufhin meinte Konrad zu seinem Freund Walter Kobold, genannt »Wibbel«: »Schau dir die mal genauer an!« Das war keine gute Idee, denn Wibbel fing an, für mich zu schwärmen, und Konrad beäugte das zunehmend kritisch.

Ich war damals eine junge Journalistin in Bonn, das jüngste Mitglied der Bundespressekonferenz und schrieb meine ersten Artikel für das Bonner Büro von Newsweek. Es war noch nicht lange her, dass ich in London mit dem Journalismus begonnen hatte, beim Observer. Wie es mich nach London verschlug, erzähle ich später mal, aber wie meine Zeit in London abrupt endete, das ging so: Ich hatte mich in einen jungen Mann namens Oscar verliebt, und das behagte meinem Vater gar nicht – also kommandierte er mich zurück nach Deutschland. Ich war noch nicht volljährig.

Die Besuche von Konrad in Bonn häuften sich. Er war seit vier Jahren geschieden und offenbar bereit, wieder anzubandeln. Aus Düsseldorf kam er regelmäßig in seinem schönen Mercedes 300 angefahren. Ich zeigte ihm den Bundestag, die Pressebaracke und was es alles so zu sehen gab in Bonn. Eines Abends brachte er mich nach Hause, und zum Abschied sagte er: »Ich rufe dich an, wenn ich wieder in Düsseldorf bin.« Das Wetter verzögerte das Einhalten seines Versprechens: dichtes Schneetreiben, glatte Straßen. So war ich, als er anrief, schon schlaftrunken, nahm den Hörer nur kurz ab, ließ ihn fallen und schlummerte friedlich weiter. Konrad war in Sorge, mir sei etwas passiert, und fuhr im Schneetreiben nach Bonn zurück. Es klingelte an der Tür. »Ich wollte schauen, ob alles in Ordnung ist«, sagte er. Dann fuhr er durch die Winternacht nach Düsseldorf zurück. Das hat mich umgeworfen. Ich hatte noch nie erlebt, dass ich einem Menschen so wichtig war.

Jede Liebe hat ihr Geheimnis. Konrad überzeugte mich durch sein liebevolles und souveränes Wesen und durch seinen wunderbaren rheinischen Humor. Er wusste mit mir umzugehen, überhaupt kam er gut mit Frauen zurecht und hatte sein Leben lang großen Erfolg bei ihnen. Das bemerkte ich bei Gesellschaften. Seine Weltläufigkeit und sein Witz wurden sehr geschätzt. Er war ein ungewöhnlicher Mann, hochintelligent und eine Mischung aus Bescheidenheit und Selbstbewusstsein. Ich war gern in seiner Nähe.

Es wurde Sommer, und die Ferien standen an. Konrad verbrachte sie in Sankt Moritz mit seiner Familie, spielte Golf und wanderte mit den Kindern. Irgendwann schlug er vor, ich solle doch dazukommen. Also fuhr ich im Postauto ins Engadin. Es war beklemmend; ich war nicht gewohnt, mit einem geschiedenen Mann, seinen Kindern und seiner Exfrau zusammen zu sein. Konrad fand das wichtig.

Bald kannten wir uns fast ein Jahr. Ich war meines Newsweek-Jobs ein wenig überdrüssig, reif für den nächsten beruflichen Schritt, und der zeichnete sich auch ab: ein Vorstellungsgespräch beim Ullstein-Verlag in Berlin. Ich war gerade drei Tage in der Stadt, da tauchte überraschend Konrad auf. Er schätzte meine Berlinpläne überhaupt nicht. Wir übernachteten in der Pension Bärbel am Kurfürstendamm. Am Morgen erschien er in meinem Zimmer, setzte sich auf den Bettrand und gab mir einen Kuss auf die Wange. Unser erster Kuss! Ja, so war Konrad: reserviert, zurückhaltend.

Auf dem Heimflug erklärte er knapp, er müsse mit meinem Vater sprechen. Mit meinem Vater? Hatte er vor, um meine Hand anzuhalten? Das wäre mir sehr stürmisch vorgekommen. Ich war mir bewusst, unsere Beziehung war etwas Besonderes. Aber heiraten? Das war nicht mein Plan. Als ich Konrad später mal fragte, warum er mir keinen Heiratsantrag gemacht habe, meinte er: »Du hättest doch nicht Ja gesagt, oder ich hätte sehr lange warten müssen.«