Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Manchmal beginnt eine Reise, bevor wir uns trauen, von ihr zu träumen. Als Christiane, Mitte 30, zufällig von einem Pilgerweg nach Rom liest, regt sich eine unerklärliche Begeisterung in ihr. Ohne genau zu wissen, wonach sie sucht, steht sie kurz darauf in Siena am Startpunkt der Via Francigena. Ihr Rucksack ist schwer, nicht nur vom Gepäck, sondern auch von Ängsten, Schuldgefühlen und einer leisen Sehnsucht nach Veränderung. Zwei Wochen später erreicht sie Rom. Seitdem ist nichts mehr wie es war. Es ist, als hätte sich auf der Reise ein Zauber über ihr Leben gelegt und eine alte offene Wunde geheilt.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 148
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Für Marie
Sei willkommen
Guten Morgen Leben
Es ist soweit
Wir starten heut’ in eine neue Zeit
Wir hab‘n so vieles noch zu seh‘n
Ich will über Berge geh‘n
Und in die Tiefe seh‘n
Guten Morgen Leben
Es ist soweit
Mit Wind im Rücken sind wir zum Start bereit
Wir hab‘n so vieles noch zu seh‘n
Am großen Wasser sitzen
Und in die Weite seh‘n
Es ist soweit. Chris Avedon ft. Lauter Leben, 2016
Text: Nicolas Rebscher
I. VIA FRANCIGENA
Benvenuta a Siena
Monteroni d’Arbia • Oma, läufst du auch mit?
Buonconvento • Giovanni, der Erste
Bagno Vignoni • Bitte einmal durchkneten
Bagno Vignoni • Stehen bleiben
Radicofani • Auf allen Vieren
Acquapendente • Giovanni, der Zweite
Bolsena • Eine Nacht im Palazzo
Monefiascone • Bitte die Carabinieri rufen!
Viterbo • Schau mir in die Augen
Vetralla • Dreierzimmer
Sutri • Mein blaues Wunder
Campagnano di Roma • Ein Ort zum Heiraten
La Storta • Nicht alle Türen öffnen sich
II. ROM
St. Peter und Mama Aura
Einmal ohne Touristen
Angekommen am Kolosseum
Eine private Papstaudienz, bitte. Ich habe vorbestellt.
Francesco, der Erste, Francesco, der Zweite
Do what the Romans do
Arrivederci am Trevi-Brunnen
Paulskirche - Acht Jahre später
Käsekuchen-Rezept
Man sagt, viele Wege führen nach Rom. Meiner führt über die Via Francigena, den italienischen Pilgerweg. Rom ist meine Lieblingsstadt, seitdem ich als Kind ein Foto des Kolosseums in einem Bildband sah. Ich war nur noch nie da, hat sich nicht ergeben. 20 Jahre später soll sich das ändern und ich habe einen Plan. Io vado. Ich laufe. Von Siena nach Rom. Da sola. Allein. Morgen geht es los. 260 Kilometer. Wenn ich jeden Tag 20 Kilometer laufe, müsste ich in zwei Wochen in Rom ankommen. Abgesehen von dem Flug und der Unterkunft heute Nacht habe ich noch nichts gebucht. Ich bin im Sternzeichen Jungfrau geboren und mag die Dinge gerne geordnet und vorhersehbar. Dieses Bedürfnis bedient diese Reise leider nicht. Dafür enthüllt sie eine verborgene Sehnsucht nach Abenteuer. Und das hat seinen Preis: Sicherheit.
Ich bin vor zwei Stunden mit dem Zug aus Florenz in Siena angekommen, die Kathedrale war bereits geschlossen. Ich habe mich durch die Gassen der Altstadt treiben lassen, bin über die Piazza del Campo gelaufen, auf der zweimal im Jahr der Palio, das berühmte Pferderennen, stattfindet, und sitze jetzt auf der Terrasse eines abgelegenen Restaurants. Salmone grigliato con le patate, gegrillten Lachs mit Kartoffeln habe ich bestellt. Dazu ein Glas vino bianco. Zur Beruhigung. Von meinem Platz aus schaue ich auf eine ruhige abschüssige Gasse und mein Blickfeld hat Pause von glücklichen Familien und Paaren.
Auf die Idee, nach Rom zu laufen, hat mich das Buch Alles neu in 7 Jahren von Penny McLean gebracht, das mir vor Weihnachten in einer Buchhandlung in die Hände fiel. Darin empfiehlt die Autorin, im Alter zwischen 28 und 35 für den eigenen psychologischen Reifeprozess zwei Wochen alleine zu verreisen. Am besten mit leichtem Gepäck. Ich erinnere mich noch, wie in mir etwas vor Entzücken aufschrie, als ich das erste Mal vom „Königsweg“ nach Rom las. Gemeint war die Via Francigena, der italienische Pilgerweg, der von Siena nach Rom laut McLean in zwei Wochen zu schaffen sein soll.
Die Via Francigena ist ein Pilgerweg, der zu einem der wichtigsten christlichen Wallfahrtsorte führt: den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus in Rom. Die vollständige Route verläuft von Canterbury, England, durch Frankreich und die Schweiz bis nach Italien. Ich habe mich noch nie für’s Pilgern interessiert, nicht mal für’s Wandern. Umso erstaunlicher, dass mich der Gedanke, Rom zu Fuß zu erreichen, vom ersten Moment an so begeisterte.
Von der Vorfreude der letzten Wochen ist gerade nichts mehr zu spüren. Was wird mich die nächsten Tage erwarten? Ich bin ein paar Übungs-Wanderungen gelaufen, aber keine davon war 20 Kilometer lang, und mein sportlicher Status ist auf einer Skala von 1 bis 10 eher mit 3 bis 4 zu bewerten. Wie naiv zu glauben, ich könnte bis nach Rom zu Fuß gehen! Wenn ich dann noch die vielen Paare und Familien hier sehe, wie sie lachend in den Restaurants sitzen, mit ihren Händen gestikulieren und Aperol Spritz trinken, spüre ich ein Stechen in meiner Brust. In Siena pulsiert das Leben, in mir pulsiert die Einsamkeit.
Wie bin ich hier gelandet? Allein? In Siena? Peter und ich haben uns vor einem Jahr getrennt. Seitdem begleitet mich das Gefühl, das Leben sei mir doch noch etwas schuldig. Etwas mehr Glück. Etwas mehr Liebe. Eine große Liebe. Die große bedingungslose Liebe. Eine, die mich erfüllt und mir das Gefühl gibt, am richtigen Ort zu sein. Da die nicht in Sicht ist, bin ich dem unerklärlichen Ruf nach diesem Abenteuer hier gefolgt.
Hätte ich die erste Etappe doch schon hinter mir! Dann wüsste ich, was mich erwartet. Und hätte bestimmt schon andere Pilger kennengelernt. Ich zahle mein Essen und laufe zurück zum Hotel. Dort schaue ich im Internet nach Unterkünften im ersten Ort. Ich möchte wissen, wo ich morgen schlafe, und buche ein Hotel.
Hotel in Siena: Albergo Tre Donzelle
OMA, LÄUFST DU AUCH MIT?
Als mein Handywecker klingelt, fühle ich mich, als hätte ich die ganze Nacht kein Auge zugetan. Ich stelle den Wecker eine halbe Stunde weiter und schiebe die Erinnerung an die betrunkenen Hotelgäste und das schreiende Kind, das mich wachgehalten hat, weg. Gegen 07:00 Uhr stehe ich auf und schlappe mit meinen Flip-Flops so leise es geht über den kalten Flur in das Gemeinschaftsbad. Zurück im Zimmer ziehe ich mich an und packe meinen Rucksack. Der fühlt sich mit dem Wasser und den Lebensmitteln, die ich gestern noch gekauft habe, untragbar schwer an. Damit will ich heute 20 Kilometer wandern? Ich laufe im Zimmer auf und ab und weiß nicht, wohin mit mir. Ich hole den Reisebericht von Alexander Rich aus meinem Rucksack. Seine Wanderung auf der Via Francigena begann im Schwarzwald und war 1.500 Kilometer lang. Obwohl ich jetzt innerlich die Augen verdrehe, tue ich das, was auch er vor seiner ersten Etappe getan hat. Ich lese das Pilgerlied, das in seinem Buch abgedruckt ist.
1/ Wer nur den lieben Gott lässt walten
Und hoffet auf ihn allezeit,
Den wird er wunderbar erhalten
In aller Not und Traurigkeit.
Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut,
Der hat auf keinen Sand gebaut.
2/ Was helfen uns die schweren Sorgen?
Was hilft uns unser Weh und Ach?
Was hilft es, dass wir alle Morgen
Beseufzen unser Ungemach?
Wir machen unser Kreuz und Leid
Nur größer durch die Traurigkeit.
3/ Sing, betʼ und geh auf Gottes Wegen,
Verrichtʼ das Deine nur getreu,
Und trau des Himmels reichem Segen,
So wird er bei dir werden neu.
Denn welcher seine Zuversicht
Auf Gott setzt, den verlässt er nicht.
Meine Augen werden feucht. Wieso bewegt mich das? Es war kein religiöser Impuls, der mich auf diesen Weg geführt hat. Trotzdem wünsche ich mir gerade nichts mehr, als Gott vertrauen zu können. Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter, packe den Rucksack auf den Rücken und verlasse um 07:30 Uhr das Hotel.
Ich hatte gelesen, die Via Francigena sei sehr gut ausgeschildert. Ich fragte mich im Vorfeld nur, wo ich das erste Schild finden würde, und habe mir deshalb die Navigations-App Komoot heruntergeladen. Sie zeigt Wanderwege in ganz Europa an und soll die nächsten zwei Wochen mein digitaler Kompass sein. Und heute ist Premiere, die Strecke nach Monteroni d’Arbia ist die erste Wanderroute, für die ich die App nutze.
Ich starte durch die ruhige Altstadt südöstlich in Richtung stadtauswärts, schaue noch einmal auf die Piazza Il Campo und bin überrascht, wie viele Bars um diese Uhrzeit schon geöffnet haben. Und Frühstück anbieten. Meine Hamsterkäufe gestern Abend wären also nicht nötig gewesen. Ständig habe ich Sorge, nicht genug zu essen zu haben. Obwohl ich eine Tüte voller Lebensmittel und einen Pfirsich in der Hand halte, zieht es mich in die Bar mit dem Namen Meetlifecafé und ich kaufe noch einen Müsliriegel und einen Tee. Das alles zu tragen, wird zu einem Balanceakt. Der Tee ist viel zu heiß, so dass ich ihn zusammen mit den Lebensmitteln zwischen meinen Händen hin- und herjonglieren muss. Das geht genau 200 Meter gut, bis die Papiertüte mit den Äpfeln aufreißt, und sie über die Straße kullern. Super. Ich sammle alles wieder ein und laufe wenig koordiniert weiter. Kurz vor dem Stadttor, der Porta Romana, sehe ich eine Mauer, auf der ich alles abstellen kann. Vielleicht sortiere ich mich erstmal und trinke den Tee aus. Zum Glück erscheint mir die Situation selber so komisch, dass ich lachen muss. Und da sehe ich auch das erste Hinweisschild auf die Via Francigena. Gut, die ersten 800 Meter habe ich mich zumindest nicht verlaufen.
Hinter der Porta Romana biege ich links in einen kleinen Fußgängerweg ein. Den laufe ich bis zu einer Umgehungsstraße, die um diese Uhrzeit kaum befahren ist, überquere sie und folge dem nächsten Schild in ein Wohngebiet hinein. Je weiter ich laufe, umso ruhiger wird es. Die Straße, zu Beginn noch dicht mit Häusern besiedelt, wird immer lichter und gibt viel früher als erwartet die Sicht auf die toskanische Landschaft frei. Mein Blick folgt den geschwungenen Hügeln, bleibt an entfernten Gutshäusern und Zypressen hängen und verliert sich in der toskanischen Weite, die innerhalb eines Augenblicks die Enge in meinem Brustkorb sprengt. Mich überkommt ein unerwartetes Gefühl von Glück. Und Verbundenheit. Ich war schon einmal in der Toskana, im südlichen Teil in der Nähe von Grosseto. Auch damals hat mich die besondere Energie eingefangen. Aber heute ist es anders. Heute hüllt mich die Toskana völlig ein und gibt mir mit einem Mal das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein. Dabei hat sie etwas Magisches. Genauso wie die Menschen, die mir vereinzelt entgegenkommen und mir freundlich Bon camino, guten Weg, zurufen. Als mir eine ältere Dame überschwänglich zuwinkt, bin ich von ihrer Herzlichkeit so ergriffen, dass mir wieder die Tränen kommen. Anders als heute früh kann ich sie nicht mehr zurückdrängen. Alle Tränen fließen.
Während ich den Weg nur noch verschwommen wahrnehme, sehe ich eine Person plötzlich ganz klar vor meinem inneren Auge: Oma Christine. Mein Herz zerspringt fast vor Schmerz. Unweigerlich schaue ich zum Himmel und spüre, wie sehr ich sie vermisse. Wo kommt dieser Schmerz denn jetzt her? Meine Oma ist seit 28 Jahren tot.
Ich war sieben Jahre, als sie starb. Es ging alles so schnell. Es war an einem Freitag, als bei ihr Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert wurde und sie ins Krankenhaus kam. Drei Tage später war sie tot. Sie ist nur 69 Jahre alt geworden und viel zu früh gestorben. Ich stand nachts in der Küche, als meine Mutter ihre Tante anrief, um ihr zu sagen, dass Oma gestorben war. In meinem Geist erlebe ich die Situation, als sei sie real.
Es ist eine große dunkle Wolke in mir, aber niemand sieht sie. Niemand sieht mich. Ich weiß nicht, wo meine beiden Geschwister sind. Mein Vater räumt in der Küche herum und ist mit sich beschäftigt. Mein kleiner Körper steht nur da und hört zu, was meine Mutter am Telefon sagt. Ich sage nichts, ich weine nicht. Ich muss auf meine Mutter aufpassen.
Mein Bauch zieht sich zusammen vor Wut. Auf das Leben. Auf Gott. Oma Christine war nicht nur meine Namensgeberin, sie war meine Verbündete. Von niemandem habe ich mich so angenommen und geliebt gefühlt wie von ihr. Der Schmerz hat mich damals überrollt wie ein Tsunami. Er war zu viel. Für eine Siebenjährige war er zu viel. Ich habe ihn heruntergeschluckt und mein Körper hat rebelliert. Drei Mandelentzündungen in einem Monat. Bis der Arzt mit einer Mandeloperation drohte, wenn ich das nächste Mal eine Mandelentzündung haben würde. Damit hat dann auch mein Körper aufgehört zu rebellieren und den Schmerz noch eine Ebene tiefer eingelagert. 28 Jahre später scheint die Lagerdauer abgelaufen zu sein und ich spüre den Schmerz, als wäre meine Oma gestern gestorben.
Ich schaffe es nicht, meine Tränen zu kontrollieren, sie laufen immer weiter und ich schäme mich. Vor wem eigentlich? Hier ist doch niemand. Mein innerer Kritiker kriegt sich nicht mehr ein, versteht nicht, woher all diese Tränen kommen, und will mich zur Räson rufen. Keine Chance. Es fließt.
Meine Gefühle fahren Achterbahn. Im einen Moment noch völlig aufgelöst, überkommen mich im nächsten beim Anblick der weiten Wiesen und vielen Mohnblumen Glücksgefühle. Langsam entspanne ich mich und kurz singe ich sogar. Die vier Stunden vergehen viel schneller als gedacht. Unterwegs treffe ich auf einige Fahrradfahrer und Bewohner, aber auf niemanden, der die Strecke zu Fuß geht wie ich. Auf den letzten Kilometern kommt mir auf einem Feldweg ein älterer, schmächtiger Herr mit Hut, bestimmt über 70, mit seinem Hund entgegen. Er begrüßt mich mit Ciao bella, als würden wir uns schon seit Jahren kennen und plaudert fröhlich auf Italienisch los. Ich verstehe zwar kaum, was er sagt, muss aber grinsen. Dann wünschen wir uns alles Gute, geben uns die Hand und er verabschiedet mich mit Ciao tesoro, tschüss, mein Schatz. Kurz vor Ende der Wanderung bringt der alte Herr mein leer geweintes Herz zum Strahlen.
Um 12:30 Uhr komme ich in der Unterkunft an und empfange den ersten Stempel in meinem Pilgerpass. Yes! Das Hotel liegt circa 600 Meter vom Stadtzentrum von Monteroni D’Arbia entfernt und liegt an der befahrenen Via Cassia. Nicht wirklich schön, aber das Zimmer ist freundlich, sauber und ich habe mein eigenes Bad!! Also Luxus im Vergleich zu gestern. Als erstes duschen. Ich war viel zu warm angezogen und bin völlig durchgeschwitzt. Mein Reisegepäck ist übersichtlich. Ich habe zwei Hosen, eine lange, eine kurze, drei Wandershirts, ein Outfit für abends und eine dünne sowie eine dickere Fleecejacke dabei. Und natürlich Wäsche und Strümpfe. Ich hatte Glück, da ich mir vieles von Freunden ausleihen konnte. Es war nicht einfach, schöne Funktionsklamotten zu finden, und die Anschaffung der Wanderschuhe und des Wanderrucksacks haben schon ein halbes Vermögen gekostet. Nach dem ersten Tag bin mit dem Equipment sehr zufrieden.
Nach der Dusche wasche ich meine Sachen und plane meine weiteren Routen. Die Navigation per App hat heute gut funktioniert. Hoffentlich bleibt das die ganze Strecke so. Der Weg war zwar ausgeschildert, aber nicht zu 100 Prozent, oder ich war nicht die ganze Zeit aufmerksam. Kann auch sein.
Ich schaue auf mein Handy und sehe eine Nachricht von Andy.
Andy
:
Ciao Bella, ich habe heute schon dreimal geschaut, wo du steckst! Sieht aus, als kämest du super voran. Ich hoffe, es geht dir gut!
Ich
:
Ich bin froh, die erste Etappe geschafft zu haben. Es ist nur echt verrückt, die Natur und das Alleinsein öffnen alle Schleusen. Ich habe die erste Hälfte des Weges nur geweint.
Andy
:
Oh, da muss ich direkt mitweinen. Lass es zu, das hilft. Vielleicht hilft dir die Reise ja auch anzunehmen, was ist. Drücke dich!
Ich
:
Ja, das glaube ich auch. Es stand auch in dem Buch von McLean, dass man beim alleine Reisen die ersten drei Tage viel weinen würde … hatte ich nur vergessen …
Damit mich meine Familie und meine Freunde lokalisieren können, habe ich meinen Standort via App für sie freigeschaltet. So können sie mitverfolgen, wo ich gerade bin. Andy und ich sind seit der 1. Klasse befreundet und ich wünschte, sie wäre gerade hier. Auf der vierten Etappe, lese ich im Reiseführer von Alexander Rich, soll es nämlich aggressive, freilaufende Hunde geben. Andy hat mich schon oft vor Hunden beschützt und sie von mir ferngehalten. Während mein Puls beim Gedanken an Hunde anfängt zu rasen, fällt mir plötzlich dieses Gebet ein, das ich letztes Jahr irgendwo - ich glaube, in einem Yoga-Ratgeber - gelesen habe:
Lieber Gott, bitte nimm die Angst von mir,
beobachte und beurteile sie für mich
und zeige mir, wie ich sie in Frieden umwandeln kann.
Die Angst ist ein Gefühl, das an mir klebt. Ich habe Angst vor Fehlern, Angst vor Entscheidungen, Angst, etwas zu verpassen. Angst vor Ablehnung. Angst, nie den richtigen Mann kennenzulernen. Und allein zu bleiben. Und eben auch Angst vor Hunden. Ich lese das Gebet noch dreimal und anscheinend beruhigt es mich - genauso wie heute früh das Pilgerlied. Schon komisch. Auf dem Weg heute war ich so wütend auf Gott, und jetzt wünsche ich mir wieder nichts mehr, als auf ihn vertrauen zu können.
Ich habe Hunger. Mal sehen, was Monteroni D‘Arbia kulinarisch zu bieten hat. Der Hotelbesitzer erzählt mir, dass seine Tochter deutsch spricht und dass sie mich mit dem Auto mit in den Ort nehmen könnte. Gut, ich bin heute ausreichend gelaufen, also lasse ich mich 600 Meter fahren. Ich frage sie nach Restaurant-Tipps, die abgesehen von zwei Pizzerien dürftig ausfallen. Der Ort ist überschaubar. Im Grunde besteht er aus einer Hauptstraße mit ein paar angrenzenden Seitenstraßen. Hier gibt es wirklich nicht mehr als zwei Pizzerien. Ein weiteres Restaurant hat noch nicht geöffnet. Habe ich bei meinem Heilpraktiker in den letzten zwei Monaten sieben Sitzungen lang Weizen per Bioresonanz-Therapie ausleiten lassen, um hier direkt Pizza zu essen? Nein. Habe ich eine Wahl? Nein. Also Pizza. Tatsächlich ist das eher eine Imbisspizzeria, in der man einzelne Stücke kaufen kann. Ok, mache ich – und es schmeckt ganz gut.