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In dem E-Book werden die wichtigsten Stationen im Leben Kafkas in Prag dargestellt. Neben den Orten in Prag, die im Leben Kafkas von Bedeutung waren, wurden natürlich auch die Erinnerungsstätten dazu genommen, die zum größten Teil erst nach der demokratischen Wende entstanden sind. Um Kafkas Leben und Werk noch besser zu verstehen, sind auch ein umfangreicher Lebenslauf des Autors sowie Biografien seiner Familienmitglieder und Freunde enthalten. Weitere Themenschwerpunkte sind Kafkas Verhältnis zu seinem Vater oder seine wichtigsten Liebesbeziehungen. Wichtig für ein tiefergehendes Verständnis ist auch das Kapitel, das die Lebensverhältnisse in Prag um 1900 skizziert. So können die folgenden Seiten auch als eigenständige Biografie Kafkas gelesen werden. Über die vielen Querverweise beziehungsweise Verlinkungen lassen sich viele wichtige Themen auf einfache Art und Weise vertiefen.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Vorwort
Prag um 1900
1. Sozioökonomische Entwicklung
2. Politische Entwicklung und nationale Konflikte
3. Bevölkerungsentwicklung, Spannungen und Antisemitismus
4. Städtebauliche Veränderungen im Prag der Jahrhundertwende
5. Kulturelle Blüte
6. Technischer Fortschritt, Alltag und Freizeit
Franz Kafkas Leben in Prag
Teil 1: Die Wohnungen der Eltern
Teil 2: Die eigenen Wohnungen
Teil 3: Schule, Studium und Arbeit
Teil 4: Freunde und Freizeit
Teil 5: Gedenkstätten in Prag
Die Biografie Franz Kafkas
Die früheste Kindheit (1883 - 1888)
Die Volksschulzeit (1889 - 1893)
Die Gymnasialzeit (1893 - 1901)
Studium an der Karls-Universität (1901 - 1905)
Berufliche Etablierung und erste Publikationen (1907 - 1910)
Kafkas Durchbruch als Schriftsteller (1911 - 1913)
Die Kriegsjahre (1914 - 1918)
Die letzten Jahre (1919 - 1924)
Familie, Freunde und Beziehungen
Die Familie Kafkas
Die Freunde
Kafkas Liebesbeziehungen
Über den Autor
Alexander Schlegel
Bildnachweise
Impressum
"Hier war mein Gymnasium, dort in dem Gebäude, das herübersieht, die Universität und ein Stückchen weiter links hin mein Büro. In diesem kleinen Kreis – und mit seinem Finger zog er ein paar kleine Kreise – ist mein ganzes Leben eingeschlossen."
Dieses Zitat Kafkas veranschaulicht eindrucksvoll die räumliche Nähe der Orte, die das Leben des Schriftstellers prägten. Wer sich in Prag auf die Spuren Kafkas begibt, wird erstaunt feststellen, wie eng diese Plätze beieinanderliegen und dass die meisten von ihnen im historischen Stadtzentrum zu nden sind. Noch beeindruckender ist, wie viele dieser Gebäude bis heute erhalten geblieben sind. Allein in der Zeltnergasse, der heutigen Celetná, mietete die Familie Kafka Geschäftsräume und Wohnungen an drei verschiedenen Adressen, die man heute noch besichtigen kann
Auf den folgenden Seiten werden die wichtigsten Stationen im Leben Kafkas in Prag dargestellt. Neben den diversen historischen Lokalitäten in der Stadt, die im Leben Kafkas von Bedeutung waren, stelle ich natürlich auch die Erinnerungsstätten vor, die zum größten Teil erst nach der demokratischen Wende entstanden sind.
Um Kafkas Leben und Werk noch besser verstehen zu können, enthält dieses E-Book eine umfangreichen Biograe des Autors sowie Lebensabrisse seiner Familienmitglieder und Freunde. Kafkas Verhältnis zu seinem Vater oder seine Liebesbeziehungen bilden eigene wichtige Themenschwerpunkte. Für ein tiefergehendes Verständnis von Kafkas Lebensumstände dient auch das Anfangskapitel über das allgemeine Leben in Prag um 1900.
So lässt sich das E-Book auch als eigenständige Biograe Kafkas verwenden. Über die vielen Querverweise beziehungsweise Verlinkungen können viele Themen auf einfache Art und Weise vertieft werden.
Ich freue mich auf jegliches Feedback und wünsche Ihnen viel Freude bei der Spurensuche!
Alexander Schlegel
Um 1900 war Prag eine kulturell und wirtschaftlich aufstrebende Metropole im Habsburgerreich. Die Stadt, die zur österreichischen Krone Böhmens gehörte, erlebte in dieser Zeit eine Vielzahl von sozioökonomischen, politischen und kulturellen Veränderungen, die durch das Spannungsverhältnis zwischen Deutschen und Tschechen nicht nur geprägt, sondern auch belastet wurde.
Prag entwickelte sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem bedeutenden Industriezentrum, das vorrangig von den Sparten Maschinenbau, Textil- und später Elektroindustrie geprägt war. Dieser Aufschwung zog Menschen aus ländlichen Gegenden an, wodurch die Stadt schnell wuchs. Die Zuwanderung führte zu einer starken Zunahme der unteren Schichten, die in der prosperierenden Industriestadt Prag eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse erhofften. Der wirtschaftliche Aufschwung erreichte das Heer von Arbeitern, Dienstmädchen und ungelernten Kräften aber nicht. Während die etablierte Oberschicht und das Bürgertum von den Veränderungen profitierten, lebten die unteren Schichten unter prekären Umständen. Elende und unhygienische Wohnverhältnisse waren in vielen Teilen der Stadt verbreitet. Die Schere zwischen Arm und Reich ging in dieser Phase der Industrialisierung gewaltig auseinander
Prag war die Hauptstadt des Königreichs Böhmens, das wiederum eines der Kronländer der Habsburgermonarchie war. Offiziell behielt es den Titel eines Königreichs. Der Kaiser von Österreich führte auch den Titel „König von Böhmen“. In der Praxis war dies jedoch ein eher symbolischer Status, da die tatsächliche Macht zentral von Wien aus gesteuert wurde.
Die politischen Strukturen in Prag um 1900 waren also stark vom zentralistischen Habsburgerreich geprägt. Die österreichische Monarchie war ein Vielvölkerstaat, in dem die Tschechen zwar eine zahlenmäßig große, aber gleichzeitig eine politisch wenig einflussreiche Gruppe darstellten. Darum kämpfte die nicht zuletzt wirtschaftlich immer wichtiger werdende tschechische Bevölkerung zu dieser Zeit um mehr Autonomie und Anerkennung ihrer kulturellen und politischen Rechte. Prag als Hauptstadt von Böhmen war jedoch noch stark unter dem Einfluss der deutschsprachigen Minorität innerhalb des eigenen Landes. Die Deutschen besetzten hohe Positionen in Verwaltung, Justiz, Handel und Bildung in weit höherem Ausmaß, als es ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung zukam. Obwohl das Pendel der Bevölkerungsanteile ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasant in Richtung der tschechischsprachigen Bevölkerung ausschlug, kämpfte der schwindende deutschsprachige Anteil verbissen um seine angestammten Privilegien. Zumal es sich hier vielfach um eine etablierte Oberschicht handelte, deren Stimme im deutschsprachigen Wien oft auf offene Ohren stieß und bei der (Neu-)Besetzung wichtiger Stellen bevorzugt wurde.
Gut lässt sich dieses Wechselspiel an der Badenischen Sprachenverordnung erkennen. Im Jahre 1897 versuchte die Wiener Regierung mit dieser Verordnung die tschechische Sprache als zweite Amtssprache neben Deutsch in Böhmen und Mähren zu etablieren. Diese Entscheidung stieß auf heftigen Widerstand bei den Deutschsprachigen, primär der deutschsprachigen Beamtenschaft, die ihren Einfluss bedroht sahen. Der Protest verstärkte die Spannungen zwischen der Deutschen und Tschechen. Mit der Konsequenz, dass diese Verordnung wieder zurückgenommen wurde und Innenminister Badeni seinen Hut nehmen musste.
Auch an den Schulen in Prag lässt sich dieser Konflikt ablesen. So entstanden in dieser Zeit viele separate Schulen und Universitäten für Deutsche und Tschechen. Der Konflikt nahm in der Folgezeit nicht ab, als die tschechische Nationalbewegung auf mehr Autonomie innerhalb des Kaiserreichs drängte. Politisch befand sich Prag inmitten dieses Spannungsfeldes, das erst mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs seine erzwungene Auflösung fand.
Prag war zur Jahrhundertwende eine multiethnische Stadt mit einer vielfältigen Bevölkerungsstruktur. Die Bevölkerung wuchs zwischen 1870 und 1910 um mehr als 50 Prozent und erreichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die stattliche Zahl von über 700.000 Einwohnern. Vor allem Tschechen aus der ländlichen Umgebung zogen nach Prag. Dieser Zuzug führte natürlich dazu, dass sie innerhalb weniger Jahrzehnte die absolute Mehrheit der Einwohner von Prag stellten. Im Zeitraum von 1847 bis 1890 ging der Anteil der Deutschen von 64 % im Jahre 1847 auf 12 Prozent im Jahre 1890 zurück, während die Tschechen mit 87 Prozent im Jahre 1890 die absolute Mehrheit in Prag darstellten.
Zwischen diesen rivalisierenden Blöcken stand eine zahlenmäßig vergleichsweise geringe jüdische Bevölkerung, die vorwiegend deutschsprachig und oft gut ausgebildet war. Sie spielten eine zentrale Rolle in den intellektuellen und wirtschaftlichen Kreisen der Stadt und waren häufig Ziel von antisemitischen Anfeindungen, die sowohl von deutschen als auch tschechischen Nationalisten geschürt wurden. Es kam dabei immer wieder zu Übergriffen und gewaltsamen Demonstrationen. Dieser anwachsende Nationalismus heizte die Spannungen noch an, und die Juden standen immer mehr als Prellbock zwischen den beiden großen ethnischen Gruppen. Sie versuchten sich als neutrale Gruppe zu positionieren, doch dies gelang angesichts des zunehmenden Drucks und der politischen Spannungen in der Stadt kaum. Beispielhaft sind in diesem Zusammenhang die antisemitischen und deutschfeindlichen Krawalle in Prag in der Folge der schon erwähnten Sprachenverordnung, wo ein ethnischer Konflikt zwischen Deutschen und Tschechen plötzlich in antisemitische Krawalle umschlug. Der randalierende Mob konnte erst nach Tagen und großen Zerstörungen in der Prager Innenstadt von Polizei und Militär gestoppt werden.
Um 1900 erlebte Prag tiefgreifende städtebauliche Veränderungen, die das Stadtbild nachhaltig prägten. Diese Modernisierungsmaßnahmen zielten auf die Anpassung der Stadt an die Bedürfnisse einer modernen Metropole ab und spiegelten den Wunsch wieder, Prag zu einer repräsentativen Hauptstadt Böhmens und zu einem modernen Zentrum Mitteleuropas zu machen.
Historische Aufnahme aus dem alten Judenviertel vor dem Abriss
Eine der radikalsten städtebaulichen Maßnahmen war der Abriss und die Umgestaltung des Judenviertels, das seit Jahrhunderten bestand und als Josefov bekannt war. Die hygienischen und baulichen Zustände in diesem mittelalterlich geprägten Viertel waren schlecht, aus der erzwungenen baulichen Begrenzung des Gettos entstand ein Wildwuchs aus Häusern und dunklen Gassen. Zudem konnten nach Jahrhunderten die Besitzstände oft nicht mehr geklärt werden und auch die hohe Bevölkerungsdichte nach Auflösung des Gettos erhöhte noch einmal die hygienischen Probleme. Zwischen 1893 und 1913 wurde daher der größte Teil des Viertels abgerissen und durch breite Straßen und repräsentative Gebäude im Stil des Jugendstils und des Historismus ersetzt. Diese Umgestaltung orientierte sich stark an der Pariser Stadtplanung des 19. Jahrhunderts, die ebenfalls auf breite Boulevards und große Plätze setzte. Einige historische Gebäude blieben erhalten, wie die meisten Synagogen, das Alte Jüdische Rathaus und der Alte Jüdische Friedhof. Sie sind bis heute wichtige Zeugnisse des einstigen Judenviertels.
Auch der Wenzelsplatz, der ursprünglich als Pferdemarkt diente, wurde um die Jahrhundertwende weiterentwickelt und erlangte seine Bedeutung als zentrale Achse im neuen Stadtzentrum. Der Platz wurde verbreitert und mit modernen Geschäftsgebäuden und Restaurants umgeben, die das Zentrum des gesellschaftlichen Lebens bildeten. Der Bau repräsentativer Gebäude wie das Hotel Europa, ein Meisterwerk des Jugendstils, verlieh dem Wenzelsplatz einen modernen und weltoffenen Charakter. Er entwickelte sich zu einem Mittelpunkt für Handel, Politik und öffentliche Versammlungen. Diese zentrale Rolle nimmt der Wenzelsplatz bis heute ein.
Die neuen Bedürfnisse der städtischen Bevölkerung nach Grünflächen und Erholungsmöglichkeiten führten zum Ausbau öffentlicher Parks wie dem Letná- und dem Stromovka-Park. Die Parkanlagen boten den Prager Bürgern Raum für Spaziergänge und Geselligkeiten. Sie wurden zu wichtigen Erholungsgebieten in der zunehmend verdichteten Stadt. Besonders der Letná-Park, der eine Aussicht auf die Altstadt bietet, war ein beliebter Ort für Vergnügungen und Feste.
Mit dem Ziel, Prag stärker an andere Städte anzubinden und den innerstädtischen Verkehr zu modernisieren, wurde das Eisenbahnnetz stark ausgebaut. Der Hauptbahnhof (Praha hlavní nádraží) wurde im Stil der Wiener Moderne erbaut und diente als Hauptverkehrsknotenpunkt. Auch der Bau neuer Brücken wie der Čech-Brücke (Čechův most), einer modernen Jugendstilbrücke, erleichterte die Verbindung zwischen den Stadtteilen beiderseits der Moldau und verbesserte die Erreichbarkeit des Zentrums. Die Modernisierung und Erweiterung des Straßenbahnnetzes trugen ebenfalls dazu bei, Prag verkehrstechnisch besser zu erschließen und das städtische Leben zu erleichtern.
Rund um das Zentrum entstanden neue Wohngebiete und Viertel mit moderner Infrastruktur, die den Anforderungen eines modernen städtischen Lebens gerecht wurden. Der Jugendstil, der um 1900 in Prag populär wurde, prägte viele dieser neuen Bauten und machte Prag zu einem Zentrum dieser kunstvollen Architekturrichtung. Gebäude wie das Gemeindehaus (Obecní dům) und die Fassaden vieler privater Wohnhäuser erhielten reiche Dekorationen und setzten neue Maßstäbe in der Stadtgestaltung.
Den Konflikten ungeachtet erlebte Prag um 1900 eine kulturelle Blüte, die stark von verschiedenen Strömungen beeinflusst war und die Stadt zu einem Zentrum der mitteleuropäischen Kunst und Literatur machte. Die Stadt war ein Schmelztiegel, in dem tschechische, deutsche und jüdische Kulturen koexistierten und einander inspirierten. Besonders in der Literatur und Philosophie entstanden bedeutende Werke, die sich mit den Fragen der Identität und der Moderne auseinandersetzten.
Die kulturelle und sprachliche Vielfalt Prags führte zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Identität, Zugehörigkeit und den kulturellen Spannungen in der Stadt. Autoren wie Franz Kafka, Rainer Maria Rilke und Max Brod schrieben in deutscher Sprache, während tschechische Autoren wie Jaroslav Hašek und Karel Čapek ihre Themen oft in den Kontext der nationalen Wiedergeburt und des Widerstands gegen die österreichisch-ungarische Monarchie stellten.
Prager Autoren waren stark von den geistigen Strömungen der Zeit beeinflusst, insbesondere vom Existenzialismus und der Psychoanalyse. Dies zeigte sich in Kafkas absurden und oft düsteren Geschichten, die die Fragilität des Individuums in einer scheinbar sinnlosen Welt betonten. Wie in vielen europäischen Metropolen wurde Prag als moderner, oft entfremdender Lebensraum beschrieben. Franz Kafka thematisierte die Enge und Widersprüchlichkeit der urbanen Existenz in Werken wie ‚Der Prozess‘ oder ‚Das Schloss‘. Auch in der tschechischen Literatur tauchte die Stadt als ein ambivalenter Ort von Fortschritt und Isolation auf.
Um 1900 war Prag ein Schmelztiegel verschiedener Kunst- und Architekturstile, stark beeinflusst von den künstlerischen Strömungen aus Paris, dem damaligen Mekka der Kunst. In der Architektur dominierte der Jugendstil mit prägnanten Bauwerken wie dem Gemeindehaus und der Villa Bílek, während auch Neobarock, Neorenaissance und beginnende Moderne präsent waren. Die Prager Kunstszene war eng mit der Wiener Secession und deutschen Avantgardebewegungen vernetzt, aber auch von den in Paris vorherrschenden Strömungen wie Impressionismus, Postimpressionismus und dem aufkommenden Kubismus beeinflusst. Besonders der Jugendstil, vertreten durch Künstler wie Alfons Mucha, fand in Paris seine stilistische Vollendung, bevor er nach Prag zurückwirkte. Paris bot mit seinen Salons, Galerien und Kunstakademien ein kreatives Umfeld, das zahlreiche Künstler aus Mitteleuropa inspirierte und prägte.
In der Musikszene war Prag ebenfalls ein Zentrum von Kreativität und Fortschritt. Der Komponist Antonín Dvořák, der eine führende Rolle in der tschechischen Nationalmusik einnahm, brachte das tschechische musikalische Erbe in die Welt. Auch Bedřich Smetana hatte mit seinem Zyklus „Mein Vaterland“ (Má vlast) bereits zuvor den Boden für eine eigenständige tschechische Musikkultur bereitet. In den Konzertsälen und Theatern Prags trafen sich Menschen aller Nationalitäten, um die neuesten Werke tschechischer und internationaler Komponisten zu hören.
Auch das Theater in Prag um 1900 stand im Spiegel der Spannungen zwischen der tschechischen und deutschen Bevölkerung und diente gleichzeitig als Ort nationaler Selbstbehauptung. Das Nationaltheater, 1883 eröffnet, wurde zu einem Symbol des tschechischen Wiederauflebens und präsentierte Werke vieler zeitgenössischer tschechischer Autoren, wie Alois Jirásek, Jaroslav Vrchlický oder Vítězslav Hálek. Gleichzeitig war das deutschsprachige Theater in Prag, wie das Neue Deutsche Theater (heute Staatsoper), ein bedeutendes Zentrum für die Aufführung zeitgenössischer Opern und Dramen. Hier wurden Stücke von Gerhart Hauptmann, Arthur Schnitzler oder Frank Wedekind aufgeführt. Beide Theaterwelten existierten nebeneinander, schotteten sich aber, bei aller Rivalität, nicht voneinander ab.
Nicht nur die Hochkultur oder das veränderte Stadtbild prägten das Leben der Menschen um 1900. In dieser Zeit wurde Prag stark vom technologischen Fortschritt geprägt, der das Leben der Bewohner in allen sozialen Schichten gleichermaßen veränderte. Neue Erfindungen und eine sich stetig verändernde städtische Infrastruktur verbesserten die Lebensqualität und veränderten den Alltag und die Freizeitgestaltung der Menschen grundlegend.
Eines der sichtbaren Zeichen des technischen Fortschritts war die Elektrifizierung der Stadt, die in den 1890er Jahren begann und bis 1900 in Teilen der Stadt weit fortgeschritten war. Auch die Prager Straßenbahn wurde elektrifiziert und ermöglichte es den Einwohnern, sich schneller und effizienter fortzubewegen. Straßenbeleuchtung mit Elektrizität verbreitete sich und erhöhte die Sicherheit auf den Straßen. Die Installation von Telefonleitungen ermöglichte den Einwohnern, über größere Distanzen zu kommunizieren, was insbesondere für Geschäftsleute und die Verwaltung von Bedeutung war.
Das Eisenbahnnetz war ein weiterer Motor des technischen Fortschritts und verband Prag mit anderen wichtigen Städten der Monarchie und darüber hinaus. Es machte Prag zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt und brachte täglich viele Menschen und Güter in die Stadt. Auch moderne Wasser- und Abwassersysteme wurden ausgebaut, um die Hygiene und die Versorgung der schnell wachsenden Bevölkerung zu verbessern.
Im Alltag hatten die Menschen mit den Herausforderungen der Urbanisierung und Industrialisierung zu kämpfen. Die Wohnbedingungen in den Arbeiterbezirken waren oft eng und unhygienisch, da die Infrastruktur der Stadt mit dem rasanten Bevölkerungswachstum nur schwer Schritt halten konnte. Gleichzeitig entwickelten sich neue Konsum- und Kaufgewohnheiten. Die zunehmende Verbreitung von Warenhäusern und Kaufhäusern brachte modernen Konsum in die Stadt und machte Waren für verschiedene Bevölkerungsschichten zugänglich.
Für viele Menschen war die Arbeit im städtischen Umfeld durch lange Arbeitszeiten und harte Bedingungen gekennzeichnet, besonders in den Fabriken und Werkstätten der Industrie. Arbeiterrechte und Sozialgesetze spielten eine wachsende Rolle in den politischen Diskussionen und führten immer wieder zu Protesten und Streiks. Während die Wohlhabenderen zunehmend von den neuen technischen Annehmlichkeiten profitierten, kämpfte die Arbeiterklasse häufig mit der Bewältigung des Lebens in einer dicht besiedelten und schnelllebigen Stadt.
Prag bot um 1900 zahlreiche Freizeitmöglichkeiten, die Menschen aus allen Schichten anzogen. Die Stadt verfügte über ein reichhaltiges Angebot an Theatern, Opern und Konzertsälen. Das Nationaltheater und das Deutsche Theater, heute das Ständetheater, waren zentrale Orte für Theater- und Opernaufführungen. Auch der Besuch von Cafés und (Garten-)Restaurants wurde im städtischen Leben immer beliebter. Hier trafen sich Intellektuelle, Künstler und Bürgerliche zum Austausch und zur Entspannung. In diesem Kontext wurde auch das Prager Caféhaus zu einer wichtigen Institution, wo politische und literarische Ideen diskutiert wurden. Berühmte Cafés wie das Café Slavia oder das Café Louvre, wo auch Franz Kafka verkehrte, existieren noch heute.
Für das breite Publikum gab es im Zentrum und in den Randbezirken zahlreiche Wirtshäuser, Varietés und Tanzlokale. Auch Vergnügungsparks und Kinos begannen sich zu etablieren. Der Letná-Park und der Stromovka-Park (ehemaliger Königlicher Wildpark) waren beliebte Erholungsgebiete, wo die Menschen spazieren gingen oder sich im Freien trafen. An der Moldau entstanden neue Sportmöglichkeiten, wie Rudern und Schwimmen, die gerade bei der jungen Generation und den neuen Mittelschichten Anklang fanden.
Sportvereine und Sokol, die tschechische Turnbewegung, gewannen in diesen Jahren an Popularität und förderten den Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl der tschechischen Bevölkerung. Diese Bewegungen waren mehr als nur Sport; sie galten auch als Ausdruck des tschechischen Nationalstolzes und der Solidarität.
Franz Kafka verbrachte den Großteil seines Lebens im elterlichen Haushalt, den er erst 1914 im Alter von 31 Jahren verließ. Die Familie zog mehrfach innerhalb der Prager Altstadt um. Der Komfort und die Größe der Wohnungen verbesserten sich mit jedem Umzug: ein Zeichen für den wirtschaftlichen Aufstieg des Vaters, Hermann Kafka, der als wohlhabender Kaufmann ein Textilgeschäft führte. Trotz des wachsenden materiellen Wohlstands war das Familienleben von Strenge und Distanz geprägt. Die häufig wechselnden Dienst- und Kindermädchen, die den Haushalt führten, da auch die Mutter im Geschäft mitarbeitete, sorgten für eine unstete Atmosphäre, in der schon der heranwachsende Sohn bereits in frühen Jahren eine innere Distanz zu seiner Umwelt entwickelte.
Das Prager Tagblatt kündigte für den 3. Juli 1883 einen warmen Sommertag an und die Wassertemperatur der Moldau betrug badetaugliche 20 Grad. Doch das beschäftigte Julie Kafka und ihre Hebamme Sofie Popper mit Sicherheit nicht, als sie an diesem Tag Julies ersten Sohn Franz zur Welt brachten. Die Geburt fand, wie im 19. Jahrhundert noch üblich, zu Hause statt und verlief wohl ohne Komplikationen, denn eine Woche später wurde der Junge in der elterlichen Wohnung von Dr. Moritz Weisl nach jüdischem Ritus beschnitten. Pate war der Likörfabrikant und Weinhändler Angelus Kafka (1837–1908), ein Cousin des Vaters.
Die Eltern Kafkas zogen in das Eckhaus kurz nach ihrer Hochzeit ein, die man am 3. September 1882 im nahe gelegenen Hotel Goldammer feierte. Die junge Familie lebte hier bis zum Mai 1885. Der wachsende geschäftliche Erfolg von Vater Hermann (er betrieb ein neu gegründetes Galanteriewarengeschäft) ermöglichte bald den Umzug in Wohnungen, die größer waren und mehr Komfort boten.
Ursprünglich diente das Mietshaus, um 1730 von dem bekannten Baumeister Ignaz Dientzenhofer erbaut, als Prälatur für die benachbarte St.-Niklas-Kirche. Im Jahre 1897 brannte das mehrstöckige Haus ab. Für den Wiederaufbau übernahm man einzig das intakt gebliebene Portal mit der darüber liegenden Balkonbrüstung vom alten Gebäude. Darum sollte man auch eher von einem Geburtsort als von einem klassischen Geburtshaus sprechen, da der heutige touristische Anziehungspunkt kaum mehr dem Mietshaus von 1883 entspricht.
In den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts lag der Wohnort der Familie im Grenzbereich von Altstadt und des zur damaligen Zeit noch existierenden Gettos. Der Abriss des alten Judenviertels begann gegen Ende des 19. Jahrhunderts, in Kafkas Kindheits- und Jugendjahren.
Im Erdgeschoss des Hauses existierte lange eine ständige Ausstellung zu Leben und Werk des Autors, die für den Kenner wenig ergiebig war und als einzige Attraktion ein paar Erstausgaben Kafkas zu bieten hatte. Heute gibt es an dieser Stelle ein an sonnigen Tagen gut besuchtes Café. Der Platz davor wurde im Mai des Jahres 2000 in „Franz-Kafka-Platz“ (Namesty Franze Kafky) umbenannt.
Die konkav gewölbte Gedenktafel mit dem plastisch herausgehobenen Porträt Kafkas ist an der Gebäudeaußenseite angebracht. Sie ist das Werk des tschechischen Bildhauers Karel Hladik (1912–1967) und stammt aus dem Jahre 1965. Das Porträt zeigt das Seitenprofil des Autors, das von keiner Fotografie her bekannt ist. Hladik orientierte sich dafür an der Physiognomie eines Enkels von Kafkas Schwester Ottla, der nach übereinstimmender Erinnerung von Zeitzeugen vergleichbare Gesichtszüge aufwies.
Adresse : Nám. Franze Kafky 24, 110 00 Staré Město Wegbeschreibung: Vom Altstädter Ring aus geht man links an der St.-Niklas-Kirche vorbei. Dahinter befindet sich der „Namesty Franze Kafky" mit dem Geburtshaus Franz Kafkas. Route per Google-Maps:https://maps.app.goo.gl/bHERZD4AJb1W96X59
In rascher Folge zog die Familie in den Jahren 1885 bis 1888 mehrfach um. Die Stationen waren: Wenzelsplatz 56, Geistgasse V/187 und Niklasgasse 14. Leider sind diese Miethäuser nicht mehr vorhanden. Von dem Standort des Krennhauses in der Niklasgasse erhält man einen guten Eindruck, wenn man sich am Altstädter Ring direkt vor die St.-Niklas-Kirche stellt. Linker Hand, direkt an einer Grünfläche mit Verkaufsbuden, stand in etwa das Krennhaus, das nach vorn hin noch etwas tiefer in den Platz hineinreichte als die Stände heute. Wie man auf historischen Aufnahmen ersieht, lag das Bauwerk neben dem Altstädter Rathaus, dessen neugotischer Erweiterungsbau noch komplett erhalten war. Der Ratshausanbau brannte 1945 aus und wurde nicht wieder aufgebaut. Von der anderen Seite schob sich das Haus vor die dahinter liegende St.-Nikolaus-Kirche. Sie war auch der Grund, warum man das Mietshaus im Jahre 1901 abriss: Die Stadtplaner störten sich daran, dass das Gebäude den freien Blick auf die barocke Sehenswürdigkeit verstellte. Die Familie wohnte hier von Juni 1887 bis August 1888.
Am 27. September 1887 wurde hier Kafkas Bruder Heinrich geboren, der nach wenigen Monaten, am 10. April 1888 an den Folgen einer Mittelohrentzündung starb. Es war das zweite Kind der Familie, das früh sein Leben verlor. Georg, der als Erstes nach Franz geboren wurde und im Haus am Wenzelsplatz 56 auf die Welt kam, erlag, kaum älter als ein Jahr, am 15.12.1886 den Masern. Diese Familientragödie hinterließ bei Kafkas Mutter tiefe Spuren: Für den Tod der beiden Söhne machte sie die behandelnden Ärzte verantwortlich, was in ihren Augen zu verhindern gewesen wäre, wenn sie mehr Zeit gehabt hätte, sich um die Kinder zu kümmern. Doch der geschäftliche Erfolg hatte Priorität, zumal bei einem ehrgeizigen Unternehmer-Ehepaar wie den Kafkas. Zudem war es in jüdischen Familien normal, dass die Ehefrau im Familienunternehmen mitarbeitet. Die Pflege und Erziehung der Kinder wurde darum in erster Linie dem Hauspersonal überlassen. Die Eltern kamen an gewöhnlichen Arbeitstagen hauptsächlich zur Mittags- und dann erst wieder zur Schlafenszeit nach Hause.
Adresse : Mikulášská 19/2 110 00 Praha 1-Staré Město Wegbeschreibung: Das Krennhaus befand sich direkt am Altstädter Ring, zwischen dem Altstädter Rathaus und der St. Niklas-Kirche. Heute befindet sich an der Stelle nur mehr Rasenfläche und Stände. Route per Google-Maps:https://maps.app.goo.gl/unhRH7MNM47spB8ZA
Eingang des Sixthauses um 1900
In der heutigen Formgebung gibt es das im romanischen Baustil erbaute Sixthaus seit 1796, einzelne Kreuz- und Tonnengewölbe gehen sogar auf das Jahr 1220 zurück. Benannt wurde es nach dem Stadtkanzler Sixt von Ottersdorf, der nach der Vertreibung seines vormaligen Besitzers, einem Hus-Anhänger, das Haus 1567 erwarb. Im Jahre 1626 wiederum kaufte Filip Fabricius das Anwesen, der 1618 als habsburgisch-katholischer Statthalter mit zwei anderen aus dem Fenster der Prager Burg geworfen wurde. Die Tat ging als „Zweiter Prager Fenstersturz“ in die Geschichtsbücher ein und stellte das Fanal für den Dreißigjährigen Krieg dar.
Das Haus soll in seiner bewegten Geschichte auch berühmte Zeitgenossen wie den im 14. Jahrhundert berüchtigten Volkstribun Cola di Rienzo und den Renaissance-Dichterfürsten Francesco Petrarca beheimatet haben.
Die Familie Kafka wohnte hier nur kurz, vom August 1888 bis Mai 1889. In den Monaten gab es Aufregung um das Geschäft des Vaters: Hermann Kafka wurde beschuldigt, Hehlerware erworben zu haben. Am 16. Oktober 1889 wurde die Anklage aber wieder fallen gelassen
Adresse : Celetná 553/2, 110 00 Praha 1-Staré Město Wegbeschreibung: Die Celetná geht direkt vom Altstädter Ring, rechts von der Teynkirche, ab. Route per Google-Maps:https://maps.app.goo.gl/aRyjt5TZqZS3BTjp8
Als Nächstes zog die Familie in das Haus Minuta, das zu Anfang des 17. Jahrhunderts errichtet wurde und heute noch den Großen von dem Kleinen Altstädter Ring trennt. Die Fassade des Gebäudes besitzt beeindruckende Sgraffitos, die biblische und antike Mythen zeigen. Obwohl bereits vor 1615 angebracht, waren sie zu der Zeit, als die Familie Kafka hier wohnte, noch übertüncht.
Die Familie lebte hier vom Juni 1889 bis September 1892. Die Wohnung war größer als die bisherigen, eher provisorischen Unterkünfte, und die Zimmer befanden sich im ersten Stock des Hauses. In dieser Zeit kamen zwei Schwestern Kafkas auf die Welt: Elli (1889) und Valli (1890).
Durch den Haupteingang des Gebäudes kommt man in einen Innenhof mit den typischen Prager Pawlatschen, einer Art umlaufenden Balkon, über den man in die Wohnungen gelangt. Obwohl Kafka das Ereignis nie konkret zeitlich eingeordnet hat, spricht einiges dafür, dass es hier zu der bekannten Erziehungsmaßnahme gekommen sein, die er im Brief an den Vater eindrucksvoll geschildert hat:
Pawlatsche im heutigen Haus Minuta
"Direkt erinnere ich mich nur an einen Vorfall aus den ersten Jahren. Du erinnerst Dich vielleicht auch daran. Ich winselte einmal in der Nacht immerfort um Wasser, gewiss nicht aus Durst, sondern wahrscheinlich teils um zu ärgern, teils um mich zu unterhalten. Nachdem einige starke Drohungen nicht geholfen hatten, nahmst Du mich aus dem Bett, trugst mich auf die Pawlatsche und ließest mich dort allein vor der geschlossenen Tür ein Weilchen im Hemd stehn. Ich will nicht sagen, dass das unrichtig war, vielleicht war damals die Nachtruhe auf andere Weise wirklich nicht zu verschaffen, ich will aber damit Deine Erziehungsmittel und ihre Wirkung auf mich charakterisieren. Ich war damals nachher wohl schon folgsam, aber ich hatte einen inneren Schaden davon. Das für mich Selbstverständliche des sinnlosen Ums-Wasser-Bittens und das außerordentlich Schreckliche des Hinausgetragenwerdens konnte ich meiner Natur nach niemals in richtige Verbindung bringen. Noch nach Jahren litt ich unter der quälenden Vorstellung, dass der riesige Mann, mein Vater, die letzte Instanz, fast ohne Grund kommen und mich in der Nacht aus dem Bett auf die Pawlatsche tragen konnte und dass ich ein solches Nichts für ihn war."
Doch gab es auch harmlosere Episoden, wie das Geschenk eines "Sechserls", das für den kleinen Franz zu einem Problem wurde:
"Ich hatte einmal als ganz kleiner Junge ein Sechserl bekommen und hatte große Lust es einer alten Bettlerin zu geben, die zwischen dem großen und dem kleinen Ring saß. Nun schien mir aber die Summe ungeheuer, eine Summe die wahrscheinlich noch niemals einem Bettler gegeben worden ist, ich schämte mich deshalb vor der Bettlerin etwas so Ungeheuerliches zu tun. Geben aber musste ich es ihr doch, ich wechselte deshalb das Sechserl, gab der Bettlerin einen Kreuzer, umlief den ganzen Komplex des Rathauses und des Laubengangs am kleinen Ring, kam als ein ganz neuer Wohltäter links heraus, gab der Bettlerin wieder einen Kreuzer, fing wieder zu laufen an und machte das glücklich zehnmal ( oder auch etwas weniger, denn, ich glaube die Bettlerin verlor dann später die Geduld und verschwand mir ). Jedenfalls war ich zum Schluss, auch moralisch, so erschöpft, dass ich gleich nach Hause lief und so lange weinte, bis mir die Mutter das Sechserl wieder ersetzte."
Adresse : Staroměstské nám. 3/2, 110 00 Praha 1-Staré Město Wegbeschreibung: Man geht am Altstädter Ring am Uhrturm des Rathauses vorbei und in etwa 100 Meter Entfernung davon befindet sich das Haus, das aufgrund der schönen Sgraffitos kaum zu übersehen ist. Route per Google-Maps:https://maps.app.goo.gl/zHxiLhKpEp4i1KeNA
Mit dem Einzug in das spätgotische Haus „Zu den drei Königen“ wohnten die Kafkas wieder in die Zeltnergasse und damit ganz in die Nähe des Sixthauses, wo sie für kurze Zeit von August 1888 und Mai 1889 lebten. Die Wohnung befand sich im ersten Stock des Mietshauses. Mit diesem Umzug fand die Familie das erste Mal ein richtiges Zuhause. Man lebte hier vom September 1892 bis Juni 1907. Es gab zwar noch kein eigenes Bad, aber in der Küche hatte man immerhin fließendes Wasser. Doch nicht nur die Familie zog um, sondern auch das väterliche Geschäft wurde in die Zeltnergasse verlagert.
Kurz nach dem Umzug, am 29. Oktober 1892, kam Kafkas jüngste Schwester Ottla zur Welt, zu der ihr Bruder später das engste Verhältnis innerhalb der Familie haben sollte. Franz, der mit dem Einzug auch sein letztes Volksschuljahr begann, verlebte hier die gesamte Gymnasialzeit, seine Studienjahre, sowie zum Teil das Gerichtsjahr, das sich an die Promotion anschloss. Kafka hatte hier erstmals ein eigenes Zimmer, um das ihn sein damaliger Freund und Mitschüler Hugo Bergmann beneidete:
"Wir beide waren von erster Jugend an befreundet. Die Mutter von Franz Kafka kannte meine Mutter, und so wurde ich bald ein Hausgenosse von Franz in ihrem Hause in der Zeltnergasse. Es machte auf mich einen großen Eindruck, dass Franz schon als junger Schüler ein eigenes Zimmer hatte, von dem man in die Zeltnergasse herabsehen konnte, ja dass er sogar einen eigenen Schreibtisch besaß."
Die Haushälterin und Erzieherin Anna Pouzarova, die vom Oktober 1902 an für ein Jahr im Hause Kafka lebte, erinnerte sich später wie folgt an die Einrichtung von Kafkas Zimmer:
"Sein einfach eingerichtetes Zimmer war links vom Speisezimmer. Die Tür des Zimmers war ständig geöffnet. Neben der Tür stand der Schreibtisch, auf ihm lag das 'Römische Recht' in zwei Bänden. Gegenüber beim Fenster war ein Fahrrad, dann das Bett, daneben ein Nachtkästchen, bei der Tür ein Bücherregal und ein Waschtisch."
Kafka, der in der Gymnasialzeit anfing zu schreiben, begann hier auch seine ersten größeren Texte. Während von den kleineren Prosastücken nur „Das Gassenfenster“ erhalten geblieben ist und in sein Erstlingswerk „Betrachtung“ einging, fällt in das Jahr 1904/05 die erste Fassung der „Beschreibung eines Kampfes“.
Adresse : Celetná 602/3, 110 00 Praha 1-Staré Město Wegbeschreibung: Vom Altstädter Ring aus geht die Celetná rechts neben der Teynkirche ab. Das Haus befindet sich dann im ersten Drittel auf der rechten Seite. Route per Google-Maps:https://maps.app.goo.gl/tfqDXK6wFeCYQgRx6
Das Mietshaus „Zum Schiff“ war damals eines jener modernen Mietshäuser in Prag, die im Zuge der Sanierung des ehemaligen Gettos hochgezogen wurden. Es gab einen Lift im Haus und die Wohnungen hatten auch ein Bad. Im Juni 1907 zog die Familie in das Haus und wohnte dort bis zum November 1913. Leider ist das Gebäude im Jahre 1945 zerstört worden. An seiner Stelle stand bis in jüngster Vergangenheit das InterContinental Prague, das nach seinem Umbau in „Fairmont Golden Prague" umbenannt und voraussichtlich im Frühjahr 2025 wiedereröffnet wird.
Den Ausblick aus seinem Zimmer beschrieb Kafka mit den folgenden Worten:
"Der Anblick von Stiegen ergreift mich heute so. Schon früh und mehrere Male seitdem freute ich mich an dem von meinem Fenster aus sichtbaren dreieckigen Ausschnitt des steinernen Geländers jener Treppe die rechts von Cechbrücke zum Quaiplateau hinunter führt. Sehr geneigt, als gebe sie nur eine rasche Andeutung. Und jetzt sehe ich drüben über dem Fluss eine Leitertreppe auf der Böschung die zum Wasser führt. Sie war seit jeher dort, ist aber nur im Herbst und Winter durch Wegnahme, der sonst vor ihr liegenden Schwimmschule enthüllt und liegt dort im dunklen Gras unter den braunen Bäumen im Spiel der Perspektive."
Das Hotel während seines Umbaus 2024
In dieser Wohnung schrieb Kafka die berühmt gewordene Erzählung „Das Urteil“, aber auch „Die Verwandlung“ sowie Teile des Romans „Der Verschollene“. Besonders die kurze Erzählung des Urteils, das er in einer Nacht niederschrieb, bewegte ihn sehr. Heute wissen wir auch, dass diese Nacht seinen Durchbruch als Schriftsteller bedeutete. Für einen Moment vergaß Kafka alle (Selbst-)Zweifel und hielt diese Stunden der Erfüllung voller Freude im Tagebuch fest:
"23. September Diese Geschichte "Das Urteil habe ich in der Nacht vom 22. bis 23. von zehn Uhr abends bis sechs Uhr früh in einem Zug geschrieben. Die vom Sitzen steif gewordenen Beine konnte ich kaum unter dem Schreibtisch hervorziehn. Die fürchterliche Anstrengung und Freude, wie sich die Geschichte vor mir entwickelte, wie ich in einem Gewässer vorwärtskam. Mehrmals in dieser Nacht trug ich mein Gewicht auf dem Rücken. Wie alles gesagt werden kann, wie für alle, die fremdesten Einfälle ein großes Feuer bereitet ist, in dem sie vergehn und auferstehn. Wie es vor dem Fenster blau wurde. Ein Wagen fuhr. Zwei Männer über die Brücke gingen. Um zwei Uhr schaute ich zum letzten Male auf die Uhr. Wie das Dienstmädchen zum ersten Male durchs Vorzimmer ging, schrieb ich den letzten Satz nieder. Auslöschen der Lampe und Tageshelle. Die leichten Herzschmerzen. Die in der Mitte der Nacht vergehende Müdigkeit. Das zitternde Eintreten ins Zimmer der Schwestern. Vorlesung. Vorher das Sichstrecken vor dem Dienstmädchen und Sagen: "Ich habe bis jetzt geschrieben." Das Aussehn des unberührten Bettes, als sei es jetzt hereingetragen worden. Die bestätigte Überzeugung, dass ich mich mit meinem Romanschreiben in schändlichen Niederungen des Schreibens befinde. Nur so kann geschrieben werden, nur in einem solchen Zusammenhang, mit solcher vollständigen Öffnung des Leibes und der Seele. Vormittag im Bett. Die immer klaren Augen. Viele während des Schreibens mitgeführten Gefühle, zum Beispiel die Freude, dass ich etwas Schönes für Maxens <Arkadia> haben werde, Gedanken an Freud natürlich, an einer Stelle an <Arnold Beer>, an einer anderen an Wassermann, an einer an Werfels <Riesin>, natürlich auch an meine >Die städtische Welt<"
Kafka litt sehr unter der ungünstigen Aufteilung der Wohnung. Zwar besaß er ein eigenes Zimmer, das für damalige Verhältnisse eher ungewöhnlich war, dennoch hatte er kaum Rückzugsmöglichkeiten, da es das Durchgangszimmer zwischen Wohn- und Schlafzimmer der Eltern war. In der Erzählung „Großer Lärm", die er 1911 in sein Tagebuch schrieb und kaum ein Jahr später in einer Prager Literaturzeitschrift abdrucken ließ, beschrieb er - kaum verhüllt - den typischen Alltag in der Wohnung.
Adresse : Pařížská 30, 110 00 Staré Město, TschechienWegbeschreibung: Vom Altstädter Ring wechseln Sie in die Pařížská und gehen direkt bis an sein Ende zur Brücke "Čechův most". An der Stelle, wo früher das Haus "Zum Schiff" stand, befindet sich heute das Hotel.Route per Google-Maps:https://maps.app.goo.gl/h5oNtFhHsUKjBovG9
Das Oppelthaus war, wie schon das „Haus zum Schiff", ein modernes Miethaus mit eigenem Aufzug, das im Zuge der Assanierung 1897 gebaut wurde. Hier richtete sich die Familie, die im November 1913 einzog, im dritten Stockwerk in einer geräumigen Sechszimmerwohnung ein. Nach Einsicht in den erhaltenen Wohnungsgrundriss kommt der Kafka-Experte Hartmut Binder zu der Schlussfolgerung, dass Kafkas Zimmer auf die Pariser Straße (Parizska trida) führen musste und das Schlafzimmer der Eltern wahrscheinlich links daneben lag. Dagegen ging das Zimmer Ottlas, der einzig noch im Haus der Eltern lebenden Tochter, rechts von dem Erker auf die Ringseite hinaus. Diesen Ausblick beschrieb Kafka in einem Brief an Grete Bloch:
"Geradeaus vor meinem Fenster im 4ten oder 5ten Stock habe ich die große Kuppel der russischen Kirche (gemeint ist die St.-Niklas-Kirche) mit zwei Türmen und zwischen der Kuppel und dem nächsten Zinshaus den Ausblick auf einen kleinen dreieckigen Ausschnitt des Laurenziberges mit einer ganz kleinen Kirche. Links sehe ich das Rathaus mit dem Turm in seiner ganzen Masse scharf ansteigen und sich zurücklegen in einer Perspektive, die vielleicht noch kein Mensch richtig gesehen hat."
Das „Oppelthaus" wurde im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt. Es ist in veränderter Form wieder aufgebaut worden. Im September 1920 zog auch noch die Schwester Ottla mit ihrem Mann David in das Stockwerk darunter ein und wohnte hier bis zum Januar 1925. In dieser Zeit wurden deren beide Töchter Vera (*1921) und Helene (*1923) geboren.
Franz Kafka lebte hier bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Danach musste er sein Zimmer zeitweilig räumen, um seiner Schwester Elli und ihren zwei Kindern Platz zu machen, die einzogen, da Ehemann Karl Hermann zum Militär musste. Kafka, der daraufhin das erste Mal selbstständig und außerhalb der elterlichen Einflusssphäre lebte, zog erst nach Ausbruch seiner Lungentuberkulose zeitweilig wieder in die elterliche Wohnung ein. Er bewohnte in der Folgezeit Ottlas Zimmer, die 1917 nach Zürau übersiedelte und dort, sehr zum Verdruss ihres Vaters, eine Landwirtschaft unterhielt. In den letzten Monaten wurde dem schon Schwerkranken das Schlafzimmer der Eltern eingerichtet. Hier schrieb er die ersten Kapitel des Schloss-Romans und kurz vor seinem Tode, im März 1924, „Josefine, die Sängerin oder das Volk der Mäuse“.
Mutter Julie Kafka gab die Wohnung erst im Januar 1932 wieder auf, nachdem ihr Mann im Jahr zuvor gestorben war.
Adresse : Staroměstské nám. 934/5, 110 00 Staré Město Wegbeschreibung: Das Oppelthaus befindet sich am Altstädter Ring und ist der erste Eckhaus zu Beginn der Pařížská třída und gegenüber der St. Niklas-Kirche. Route per Google-Maps:https://maps.app.goo.gl/82ZwbA6YU3MyKLzT8
Franz Kafka lebte bis zu seinem 31. Lebensjahr in der elterlichen Wohnung – ein auch für die damalige Zeit ungewöhnlich später Auszug. Erst mit Beginn des Ersten Weltkriegs verließ er das Elternhaus, da sein Zimmer anderweitig durch seine Schwester und deren Kinder genutzt wurde. In den folgenden Jahren bezog er mehrere eigene Wohnungen in Prag, die aber oft nur einen provisorischen Charakter hatten. Nach der Diagnose einer Tuberkulose kehrte er jedoch wieder in die Wohnung seiner Eltern zurück, wo er bis zu seinem endgültigen Umzug nach Berlin 1923 lebte.
Es ist die Zeit des Ersten Weltkriegs: Der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien vom 28. Juli 1914 folgte am 31. Juli die allgemeine Mobilmachung. Das hatte gravierende Folgen für die Familie Kafka. Während Franz Kafka zwar für tauglich, aber als für die Versicherungsanstalt unabkömmlich vom Militär freigestellt blieb, mussten seine beiden Schwager, Karl Herrmann und Josef Pollak, sofort einrücken. Auch Kafkas engste Freunde wie Max Brod, Oskar Baum oder Felix Weltsch wurden sofort oder in den folgenden Monaten einberufen.
Franz Kafka notierte dieses epochale Ereignis scheinbar unbewegt in dem berühmt gewordenen Kurzeintrag am 2. August 1914 in seinem Tagebuch:
Deutschland hat Rußland den Krieg erklärt. - Nachmittag Schwimmschule.
Am Samstag den 1. August brachte man den einberufenen Karl Herrmann, Ellis Ehemann, zum Zug und beschloss kurzerhand, dass Elli und ihre zwei kleinen Kinder nicht alleine in ihrer Wohnung zurückbleiben sollten.