Diva Michaela - Ursula Gerster - E-Book

Diva Michaela E-Book

Ursula Gerster

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Beschreibung

"Mami, darf ich im Schulchor mitsingen?" So begann die Karriere einer Operndiva. Über Schul- und Kinderchor, bis in den Opernchor der Semperoper. Bald sang Michaela als Solistin kleinere Rollen. Bei einem Konzert in Südtirol begegnet sie ihrer großen Liebe, einem Countertenor. Gemeinsam erfüllen sie sich ihre Träume. Sie reisen um die Welt, leben in Schottland, Dresden und auf der Insel. Zwei Mädchen bereichern bald ihr Leben. Michaela muss eine Weile pausieren. Doch die Opernwelt will nicht auf diese Stimme verzichten, deren Timbre im Laufe der Zeit immer dunkler und sinnlicher wird.   Michaela beschreibt ihr Leben in großen und kleinen Ereignissen. Berichtet von Erfolgen und Niederlagen, von Ängsten und Höhenflügen. Diva Michaela ist die Fortsetzung des Romans "Carmen und Cherubino" 

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Ursula Gerster

Diva Michaela

Eine Sängerin mit Leidenschaft

Für die geliebte Mezzonistin BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Titel

Diva Michaela

Eine Sängerin mit Leidenschaft

von

Ursula Gerster

 

Die Fortsetzung des Romans

>Carmen und Cherubino<

 

Für die geliebte Mezzonistin

Rechte & Impressum

 

Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Ähnlichkeiten mit wahren Begebenheiten und oder Person sind Zufall.

Nachdruck oder Reproduktion (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder anderes Verfahren) sowie die Einspeicherung, Verarbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung mithilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt oder auszugsweise, ist ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Autorin untersagt.

Alle Rechte vorbehalten © Februar 2020

 

 

 

 

 

 

Impressum

Text und Layout: Ursula Gerster

Covergestaltung: Wine van Velzen

Die Romanfiguren

 

Die Romanfiguren

 

Michaela Seiler-Schubert, Sopranistin

Christina Seiler-Schubert, Sopranistin,

 Michaelas Mutter, genannt Mami

Thomas Schubert, Bariton u. Dirigent an der Semperoper, Michaelas Vater, genannt Papi

Helga und Franz, Michaelas Großeltern, mütterlicherseits

Kurt Seiler, Christinas Bruder, Gutsbesitzer bei Moritzburg, Pferdezüchter

Dr. med. vet. Susanna Mahlsdorf, Kurts Verlobte

Marianne und Georg, Michaelas Großeltern, väterlicherseits

Sybille Strasser, Auslandskorrespondentin, genannt Bille, Michaelas Schulfreundin, die sie nach dem Abi aus den Augen verlor

Kyra Orlowsky, Stella Narov,

Christinas Freundinnen & Michaelas Patentanten

Phillip Roon, Modezar und Michaelas erste Liebe

William Mc Dougal, Earl of Melrose, Countertenor und Michaelas große Liebe

Shadia El Sayedi, Michaelas Freundin+ Kollegin

Kathrin Sommer, Michaelas Freundin+ Kollegin in Aachen

Ben Zoller, gen. Benzo, Dirigent in Aachen, Kathrins Verlobter

Ludwig Hallmaier, Intendant, Bayerische Staatsoper

Martti Raauma, Dirigent, Nachfolger von Alexander Narov

David Parker, Chef der >Met< in New York

1. Teil

 

Dresden

  »Mami, Mami!«

Michaela warf ihre Schultasche auf die Garderobenbank, rannte die Treppe hinauf und flog ihrer Mutter in die Arme. Atemlos sprudelte sie hervor:

 »Ich darf im Schulchor mitsingen. Frau Weinberger hat gesagt, ich hätte eine ganz tolle Singstimme!«, erzählte sie eifrig weiter, während der nasse Schnee von ihren Stiefeln auf den Teppich tropfte. »Sie will sogar ein Singspiel mit uns einüben. Ich glaube für das nächste Schulfest…oder so.«

Christinas Blick wanderte von den nassen Stiefeln hinauf in das lachende, vor Aufregung gerötete Gesicht ihrer Tochter. Sie nickte verstehend.

 »Jetzt zieh erst mal die nassen Schuhe aus, Liebes. Dann können wir essen und du berichtest mir der Reihe nach, was Frau Weinberger mit euch vorhat.«

In diesem Moment kochten die Nudeln über. Das zischende Geräusch rief Christina in die Küche zurück.

 »So ein Mistwetter«, schimpfte Thomas. Er klopfte sich den Schnee vom Mantel und schloss die Haustür.

»Dieser olle Schneematsch blockiert den ganzen Straßenverkehr. Es taut, aber es ist saukalt draußen. Trotzdem müssen wir am Nachmittag zur Probe.«

  Michaela umarmte ihren Vater und küsste ihn flüchtig, dann deckte sie den Tisch fertig. »Darf ich nachher mit zur Probe?« fragte sie so ganz nebenbei. Thomas setzte eine strenge Miene auf. »Aber nur, wenn du deine Hausaufgaben fertig hast!«

  »Ooch«, murmelte Michaela. »Wir sollen über das Thema Beru7fswunsch schreiben. Da kann ich viel schreiben. Ich hab ja verschiedene Ziele. Apothekerin, Architektin wie Tante Kyra und…« Sie blinzelte ihrer Mutter zu. »Natürlich Opernsängerin.«

Christina stellte lächelnd fest. Du willst mir also Konkurrenz machen. Da haben dir deine Patentanten aber einen schönen Floh ins Ohr gesetzt!« Thomas brummte:

  »Aber ohne Ausbildung geht nix – und vorerst schon gar nix. Du bist ja noch viel zu jung. Deine Stimmbänder sind noch nicht ausgewachsen, so wie du auch«, schmunzelte er. Michaela protestierte und stellte sich auf die Zehenspitzen.

  »Oh Papi, ich hab doch bald Geburtstag, auch wenn’s noch ein paar Wochen dauert und ich bin schon groß!«

  »Das Essen wird kalt!«, funkte Christina dazwischen, »verschiebt eure Fachgespräche auf heute Abend.«

 Die kleine Familie genoss das Mittagessen schweigend und blickte ab und zu in den nassen Schneefall hinaus. Morgen war Dreikönigstag und da wünschte man sich eine verschneite Stadt. Über Nacht sollte ja die Kälte wiederkommen, sagte jedenfalls der Wetterbericht. Michaela schob den letzten Löffel Schokopudding in den Mund und lehnte sich zurück.

  »Geht bitte nicht ohne mich. Ich schreibe schnell meine Gedanken auf. Morgen ist keine Schule, da kann ich ausführlicher schreiben und die Fehler ausbügeln.«

 Die Eltern nickten. »Wir fahren um fünf Uhr los.«

 

Michaela

  Viele Gedanken schwirrten mir durch den Kopf. Ich musste sie nur in die richtige Reihenfolge bringen. Was ich später einmal werden wollte, war doch eigentlich noch gar nicht so wichtig für mich, aber ein Ziel stand schon felsenfest vor meinen Augen. Ich wollte und würde Opernsängerin werden, so wie Mami und meine Patentanten, egal wie! Doch viele Hindernisse mussten auf diesem Weg überwunden werden. Nein, nicht die Schule. Die schaffte ich sicher mit links. Doch dafür musste ich meine Trägheit überwinden. Zum Beispiel, die Hausaufgaben nicht erst in letzter Minute zu machen und für den Unterricht zu lernen. Viel lieber spielte ich Klavier oder hörte mir Mamis CDs an. Und sang nicht schön, aber laut mit. Das tat ich aber nur, wenn Mami nicht zuhause war. Sie war nicht immer begeistert davon. Wenn ich mich allzu traurig fühlte, dachte ich an Tante Kyra und an Tante Stella. Die Stimmen der beiden machten mich wieder fröhlich und meine Traurigkeit flog davon. Oh, gleich fünf…

  Michaela klappte das Notizheft zu und schnappte sich ihre Tasche. Die Eltern warteten schon in der Diele auf sie. Alle drei mummelten sich dick in Schal und Mütze ein und machten sich auf den Weg zur Straßenbahnhaltestelle. In dem Schneetreiben kamen sie nur langsam voran und die Bahn ließ auch noch auf sich warten. So langsam wurde es kälter. Auch in der Bahn war es nicht warm, weil immer wieder die Türen aufgingen und eiskalte Luft durch den Wagen zog. Michaela spürte es an der Nasenspitze. Kurz vor der Augustusbrücke hielt die Bahn plötzlich an – nichts ging mehr. Aufgeregtes Gemurmel und dann die Durchsage des Wagenführers:

  »Liebe Fahrgäste, der automatische Weichenregler ist witterungsbedingt ausgefallen. Wir müssen sie bitte auszusteigen. Wir können nicht weiterfahren.«

 Die Familie eilte über die Brücke und erreichte pünktlich den Bühneneingang der Semperoper und schüttelte sich den Schnee von den Mänteln. Christina brühte in ihrer Garderobe gleich heißen Tee auf. Thomas wärmte seine klammen Hände gern an der heißen Teetasse. Michaela studierte nebenbei die Partitur.

  »Mami, welche Partie singst du eigentlich in dieser Oper?«

 Christina schmunzelte:

   »Na die der jugendlichen Geliebten, die Lola. Heute ist die erste Probe mit dem Orchester, Darum ist dein Vater auch so nervös.« Thomas murmelte etwas und stand auf.

  »Ich geh‘ dann schon mal. Mein Orchester wartet.«

  »Ich komme gleich nach, muss mich erst einsingen.« Christina wandte sich um. »Michaela hilft mir dabei, ja?« Die nickte begeistert. »Dann kann ich gleich hören, ob es mir gefällt. Leg los, Mami!«

  Christina summte nur die schwierigsten Tonfolgen vor sich hin, während sie sich schminkte, auch wenn es noch keine Vorstellung war. Sie mochte nicht ungeschminkt auf die Bühne gehen, denn das helle Licht der Scheinwerfer, ließ sie blass und kränklich aussehen. Nachdenklich hörte Michaela zu, stützte dabei gespannt das Kinn in die Hand. Sie summte gelegentlich mit und blätterte in der Partitur der >Cavalleria Rusticana<. Es klopfte. Thomas schaute herein. »Kommt ihr zwei, wir wollen anfangen.«

    Die Probe zog sich in die Länge. Thomas ließ oft Passagen wiederholen.  Er bestand auf absoluter Notentreue der Interpretation des Orchesters und der Sänger. Michaela langweilte sich allmählich. Sie hatte sich die Probe lustiger vorgestellt. Sie kannte doch das Libretto und wusste, dass es sich um ein unterhaltsames Stück handelte, wenn auch nicht immer lustig. Gut, dass Bille nicht mitgekommen ist, die hätte sich noch mehr gelangweilt, dachte Michaela. Sie hört zwar zu, konnte sich aber bald nicht mehr konzentrieren. Ihre Gedanken wanderten zu ihrem Aufsatz, den sie übermorgen schreiben musste. Bis sie auch dafür den Faden verlor und ihr ab und zu die Augen zufielen. »Mami, was ist?« gähnte sie, als Christina ihr auf die Schulter tippte.

  »Aufwachen, Kleines, die Probe ist aus. Wir beide fahren schon nach Hause. Papi hat noch eine Besprechung mit dem Intendanten. Hoffentlich fährt die Bahn wieder.«

  Christina traute dem Wetter nicht, aber der Schneefall hatte aufgehört und es blitzten schon einzelne Sterne durch die abziehenden Wolken. Hmm, das würde eine kalte Nacht werden. Michaela vergrub vorsichtshalber ihre Nase wieder in den Schal. Die Straßenbahn fuhr ihnen genau vor der Nase weg, als sie außer Atem die Haltestelle erreichten. Die nächste Bahn ließ lange auf sich warten. Thomas war schon zuhause. Der Kachelofen strahlte gemütliche Wärme aus. Sogar der Tisch war gedeckt.

  »Wie kam’s denn«, lachte Christina, »haben wir etwas zu feiern?« Thomas nickte lächelnd.

  »Freilich, ab nächsten Monat gibt’s mehr Gehalt für mich und vielleicht auch die ersehnte Beförderung. Die Direktion hat sowas angedeutet.«

 Für diese gute Nachricht bekam er von Christina und Michaela einen Kuss. Dann ließen sich die drei das Abendessen schmecken. Thomas legte Messer und Gabel ordentlich auf den Teller und lehnte sich zurück, blinzelte zu Michaela hinüber.

  »Mäuschen, magst du nicht mal bei uns in der Oper mitsingen? Es sind viel zu wenige Kinder diesmal im Chor, darum klingt es so dünn. Das hast du bestimmt auch schon gehört?«            Michaela kämpfte mit den letzten Erbsen auf ihrem Teller, dann blickte sie auf.

  »Prima Idee, Papi, das wollte ich eh‘ schon lange. Bis jetzt hast du mich nicht gefragt.  Kann denn Bille auch mitkommen? Singen kann sie – aber nicht so gut wie ich«, fügte sie in einem Anflug von Divenhaftigkeit hinzu. Thomas stand auf und strubbelte Michaela liebevoll durch die Haare.

  »Klar, wir brauchen jede freiwillige Stimme. Ihr zwei steckt doch auch so immer zusammen, also warum nicht auch auf der Bühne?« Christina nickte lächelnd.

  »Eines Tages werden wir die Oper übernehmen, so wie die Wagners in Bayreuth.«

 Michaela ging früh zu Bett an diesem Abend. Die Töne schwirrten noch lange in ihrem Kopf herum. Wenn dieser Sängerberuf immer so anstrengend war wie heute Abend, dann würde sie es sich noch einmal überlegen, ob sie eine Karriere daraus machte. Die Basis dafür, ein gutes Stimmchen, wie die Leute immer sagten, ja die hatte sie. Aber? Ich frage einfach mal Tante Kyra, überlegte sie noch und war schon im Land der Träume.

 

Michaela

  Zehn Jahre war ich damals alt – und ich frage mich bis heute, ob der Traum, den ich in dieser Nacht träumte, meinen Entschluss beflügelte, nun doch Opernsängerin zu werden. In so einem Traum herrscht ja meist ein heilloses Durcheinander – und ein bisschen unwirklich war das alles schon. Es geschah wie hinter einem Schleier.

  Ich stand vor einer, nein, in einer riesigen Bauzeichnung und konnte darin umhergehen. Als Architektin hatte ich den Plan gezeichnet, so stand es jedenfalls in großer Schrift am unteren rechten Rand der Zeichnung. Plötzlich verwandelte sich der Plan zum fertigen Objekt. Es handelte sich um ein Opernhaus mit eigener Apotheke. Dort verkaufte ich in den Spielpausen keine Medizin, sondern Noten, und zwar singenderweise!

  Die Besucher kamen in Scharen, um mich zu hören und Noten zu kaufen, die auch als Eintrittskarten galten. Das war ein ganz tolles Gefühl. Auch Mami, Tante Kyra und Tante Stella waren mit von der Partie. Papi dirigierte, natürlich ohne Noten. Was wir aufführten, daran erinnere ich mich nicht mehr. War dieser Traum ein Hinweis auf meine berufliche Laufbahn? Immer wieder wurde mir gesagt, dass ich zuerst einen >sogenannten< bürgerlichen Beruf ergreifen sollte, damit mein Leben im abgesicherten Modus ablaufen konnte.  Aber welchen Beruf sollte ich ergreifen? Eine Sängerlaufbahn allein, sei zu unsicher. Hach, verflixt noch mal! Ich konnte mich nicht entscheiden zwischen Architektin und Apothekerin. Baupläne zeichnen war nicht so mein Ding. Ich hasste das Fach Geometrie. Diese Berechnungen brachte ich nie auf den rechten Nenner, egal, wieviel Hirn ich auch einsetzte. Das Zeichnen langweilte mich einfach. Ich fragte mich oft, wie Tante Kyra es bis zum Dipl. Ing. geschafft hatte. Na, mit Fleiß und Ehrgeiz natürlich! Auch wenn es sie manche Überwindung gekostet hatte, wie sie mir einmal verraten hatte. Chemie mochte ich eigentlich lieber, folglich ging mein Blick in Richtung Apothekerin. Ich war schon immer gut im Zusammenmixen von Pülverchen. Auch wenn’s manchmal knallte und blitzte. Studieren musste ich für beide Berufe. Das hieß weiterlernen nach der Schule und dem Abi, siehe oben!

  Kurz und gut, ich stürzte mich mit Begeisterung in die alltägliche Arbeit im Opernchor und zog Bille mit. Unsere freien Nachmittage schrumpften. Je nach dem, was auf dem Spielplan stand und die Kinderstimmen benötigt wurden, zum Beispiel bei >Carmen< und der >Cavalleria Rusticana<. Für die Vorstellungen mussten wir uns auf die Abende einstellen und für uns Couchpotatos fielen die Seifenopern aus. Das ging uns aber am A… vorbei. Die richtigen Opern boten ein viel interessanteres Vergnügen, vor allem, weil wir auch darstellerisch gefordert wurden. Von wegen, nur an der Rampe rumhängen. In >Carmen< hieß es marschieren:

»Schnell herbeigestürmt wie’s Wetter, ‚s kommen die Soldaten ja, Hört der Trompete Geschmetter:

Trateratatata!

Wenn die Wachen aufmarschieren, geh’n wir wie Soldaten mit,

Lasst voran uns defilieren: Eins! Zwei! Im gleichen Schritt.

Brust heraus, den Kopf nach oben,

und die Arme ziehet an; Rasch die Füße nun gehoben,

So marschier’n wir Mann für Mann!

Wir sind da! Tatateratatata!

 

Schwetzingen, zehn Jahre später

  Michaela warf die Tasche aufs Bett und griff nach dem Telefon.

   »Ah Mami, wie schön deine Stimme zu hören…Ja, es geht mir gut…natürlich bin ich nervös«, kicherte sie. »Du weißt doch wie das ist. Fein dass ihr beide kommt! Ich freue mich riesig. Wenn ihr unten in der ersten Reihe sitzt, hilft mir das sicher, mein Lampenfieber in den Griff zu bekommen. Mami du hast ja die Tricks von Tante Kyra noch drauf, oder? Hmm…also bis Morgen!«

 Sie legte den Hörer auf und ging ins Bad. Ja, ihre Karriere als Opernsängerin hatte eigentlich schon vor 22 Jahren begonnen. Als sie zum ersten Mal die Bretter, die die Welt bedeuteten, betreten hatte, im Bauch ihrer Mutter. Zu Hause entkam sie den Tönen auch nicht.

 

Michaela

    Ja, so begann meine Sängerinnenkarriere. Nein, nicht erst am ersten Probennachmittag für >Cavalleria Rusticana< in der Semperoper. Viel früher schon bekam ich Musik in meine Ohren. Vielleicht schon in jener Nacht, als meine zukünftigen Eltern in Baden-Baden ein Konzert gaben. Sie kannten sich erst seit drei Monaten, nein falsch. Sie kannten sich schon länger, aber jetzt erst hatte es zwischen ihnen gefunkt. Sicher hatte auch das Konzertprogramm dazu beigetragen, dass sie später nach einer kurzen Eifersuchtsszene, im Hotelzimmer einander verführten, um den schönen Abend romantisch zu beenden. Zumal nach dem guten Essen in Victors Restaurant. Kyras Vater flirtete mit meiner Mutter, kam aber nicht zum Zuge. Sie ließ sich nicht von dem charmanten älteren Herrn um den Finger wickeln. Sie liebte nur meinen Vater. Und sie lieben sich immer noch heiß und innig. Mutter Opernsängerin, Vater Dirigent und Sänger. Erblich belastet nennt man das wohl in meinem Fall. Mami ist immer noch die kleine zierliche Person mit der großen Sopranstimme. Die von Tante Kyra beschützt wurde und ihr die Angst vor dem Lampenfieber nehmen konnte. Als Baby liebte ich Mamis klaren Sopran, wenn sie übte, egal was sie sang. Mit Däumchen im Mündchen lauschte ich Mozarts Melodien. Wenn sie aber zu hohe oder was gelegentlich vorkam, falsche Töne produzierte, hielt ich mir schnell die Ohren zu oder strampelte.  Ich hatte keine Möglichkeit zur Flucht aus der dunklen warmen Höhle. Wie gern hätte mitgesungen, verzichtete aber lieber auf das Gurgeln mit Fruchtwasser. Mamis Atemübungen kamen auch meiner Lunge zu Gute. Sie trimmten mein Atemvolumen auf Sängerinnen-Niveau. So sagten es jedenfalls der Arzt und die Hebamme. Ich hatte es eigentlich darauf angelegt auf der Opernbühne in die Welt zu kommen. Den Einsatz dazu würde Papi mit dem Taktstock geben. Aber Mami blieb in den letzten Wochen vor meiner Ankunft zu Hause. Ich hatte ihr wohl einige Probleme verursacht. So kam ich schließlich in einem sterilen Kreißsaal zu Welt. Nix mit zauberhafter Opernwelt! Das war an einem sonnigen Februartag. Mein erstes Debüt! Die Stimme war da – und wie! Tante Stella und ich können leider nicht gemeinsam feiern. Bis zu ihrem Geburtstag hätte ich zu lange warten müssen. Hier in Schwetzingen gebe ich morgen wieder ein Debüt. Die Festspiele habe ich darum ausgewählt, weil es hier mein köstliches Lieblingsgemüse gibt, den Spargel.  Ich kann nie genug davon bekommen, würde sogar darin baden.

  Es war ein weiter Weg bis hierher und er ist noch nicht zu Ende. Noch bin ich an keinem Opernhaus fest engagiert. Tingle hin und her, stoße mir die musikalischen Hörner ab, wie Tante Kyra sagen würde. Ich wohne noch immer im Elternhaus am Stadtrand von Dresden, fast auf dem Dorf. Habe seit einigen Wochen mein eigenes Reich unter dem Dach. Ich liebe schräge Wände, so gemütlich ist’s nur bei mir. Ich hab’s mir selber ausgebaut. So konnte ich mein Architekturstudium gleich praktisch anwenden und zeigen, was ich gelernt hatte. Dazu gab’s Tipps von den Patentanten. Die beiden kommen immer gern zu uns, wenn sie an der Semperoper gastieren. Zwei Häuser weiter mieten sie immer dieselben Ferienwohnung, denn bei uns ist leider wenig Platz für Gäste. In unserer Villa aus der Gründerzeit leben meine Großeltern im Parterre – und wir im ersten Stock. Im Dachgeschoß residier ja ich.

  Ein großes, teils verwildertes Grundstück mit altem Baumbestand umgibt das Haus. Wir lieben diesen wilden Garten, der sich bis zur Elbe hinunterzieht. Die Elbe war für mich als Kleinkind tabu. Es gab ein absolutes Verbot für mich, dort zu spielen. Ich durfte nur dort sein, wenn ein Erwachsener dabei war. Der Fluss hätte mich ohne weiteres mitgenommen bis nach Meißen, wäre ich hineingefallen. Meine Großeltern väterlicherseits hätten mich dort rausfischen können, hoffentlich noch lebendig. Als ich in die Schule kam, wurde das Elbe-Verbot bald aufgehoben. An dem Tag, als ich ganz stolz, nach vielem Wasserstrampeln, mein Schwimmabzeichen nach Hause brachte. Aber mal ganz ehrlich, so ganz geheuer ist mir tiefes Wasser immer noch nicht. Sei es nun ein See, ein Fluss oder gar das Meer. Lieber bin ich im Schwimmbad oder an einem kleinen Bach, der sich fröhlich plätschernd durch die Wiese schlängelt. Ich brauche immer Grund und erreichbares Ufer, zur Sicherheit, in der Nähe.

  Bille und ich waren im Sommer kaum aus dem Garten heraus zu locken. Dort erledigten wir unsere Hausaufgaben, bestellten unser kleines Beet oder spielten nur. Ha, Lesen nicht zu vergessen, im Baumversteck. Bille, sie heißt richtig Sybille, hatte immer neue Ideen.  Sie wohnte schräg gegenüber von uns in einem etwas kleineren Haus, welches aber Platz genug hatte für die Familie. Billes ältere Brüder, zwei an der Zahl, gingen ihre eigenen Wege. Wir Mädels waren ihnen nicht erwachsen genug. Wir Mädels machten unser eigenes Ding.

  An Regentagen blieben wir meistens im Haus. Ich hatte zum Glück ein geräumiges Kinderzimmer und soo viel Platz zum Spielen. Zu gerne führten wir auch Theaterstücke auf. Solche, die in der Schule gelesen wurden oder auch selbstgeschriebene, für die Sommerfeste in unserer Straße. Das war Billes Leidenschaft. Sie übernahm selbstverständlich die Regie und die Hauptrollen. Mir blieb die Darstellung der anderen Personen, oft drei oder mehr Rollen gleichzeitig, jedenfalls während der ersten Proben. Einfach war es nicht, die Nachbarskinder für das Theaterspielen zu begeistern. Sie zickten rum, übernahmen lieber die einfache Rolle des Publikums und klatschten fröhlich Beifall, auch wenn das Stück ein Trauerspiel war. Dann erklärten Bille und ich die Vorstellung für beendet und zogen uns beleidigt hinter den Vorhang zurück.

  »Die ham‘ geene Ahnung von Gunst und Gultur«, war dann immer Billes Kommentar. Doch wir gaben nicht auf, Kultur auf die Straße zu bringen.

  Sie musste sich oft meine Opern- und Operettenbegeisterung gefallen lassen. Ich spielte ihr aus meiner Plattensammlung Aufnahmen mit meinen Lieblingssängern vor und sang die Arien pantomimisch mit, dirigierte Walzer und Sinfonien wie Papi. Bille hört geduldig zu, spendete Beifall, obwohl es nicht so ganz ihr Musikgeschmack war. Natürlich gab es hin und wieder heiße Diskussionen zwischen uns, welche Sänger besser waren oder gut aussahen. Meistens endete der Streit in lautem Gelächter. Wenn Bille sich wieder mal zuhause sehen ließ und nicht gleich nach der Schule mit zu mir ging, dann kam sei bestimmt gegen Abend. So war ich nicht mit Oma und Opa allein. Meine Eltern hatten ja in der Woche drei oder vier Vorstellungen zu meistern und fast jeden Nachmittag Probe. Gut, dass meine Großeltern im Hause wohnten. Großvater arbeitete bis zur seiner Pensionierung, als beamteter Billettknipser und Straßenbahnfahrer und war immer unterwegs in der Stadt. Großmama war eine künstlerisch begabte Schneiderin. Hätte sie die Möglichkeit gehabt, wäre sie als junge Frau Modedesignerin geworden. Aber die Liebe kam dazwischen und zwei Kinder, meine Mami Christina und Onkel Kurt. Ich saß oft bei ihr und las, während die Nähmaschine ratterte. Ihre Versuche, mir das Nähen beizubringen, waren vergeblich. Meine Nähte glichen immer Schlangenlinien oder der Faden riss. Ich bastelte lieber mit Opa in seiner Werkstadt im Garten. Auch Mami war keine Nähkünstlerin. Sie malte und zeichnete gerne. Ich bin nicht aus der Art geschlagen, wie Sie vielleicht mutmaßen werden. Ich habe meine Studienzeit erfolgreich hinter mir und darf mich jetzt Dipl. Ing. nennen, für Bauwesen und Landschaftsarchitektur. Nebenbei und gegen Ende des Studiums verlegte ich den Schwerpunkt auf den Gesang. Das kommt mir jetzt sehr zu Gute. Tante Kyra war und ist eine strenge gute Lehrerin. Man durfte sie nur nicht reizen, dann ging sie kurz aber heftig in die Luft. Vor allem, wenn man absolut nichts kapieren wollte. Sie konnte einen zaghaften Kandidaten richtig platt machen, mit ihrem russischen Temperament. Tante Stella blinzelte mir dann immer heimlich zu.

  »Nimm‘s nicht so schwer, sie meint’s nicht so!«

Tatsächlich nahm mich Tante Kyra gleich darauf in den Arm, ermahnte mich aber:

  »Mäuschen, nimm’s dir zu Herzen. Mir ist es auch nicht anders ergangen bei Elisabeth. Und es hat mir sehr geholfen.«

  Oh verflixt, jetzt hätte ich doch beinahe die letzte Probe vergessen…

  Michaela schnappte sich die Noten und eilte den langen Gang hinunter, wischte im letzten Moment atemlos durch die Tür in den Konzertsaal.  Alle Musiker saßen schon auf ihren Plätzen und blätterten in den Noten. Der Dirigent wandte sich ihr zu. Einen Augenblick schaute er sie finster an, lächelte dann aufmunternd und begrüßte sie mit einem festen Händedruck. Dann hob er den Taktstock. Ganz konzentriert, aber mit halber Stimme begann Michaela zu singen und hörte gleichzeitig die Stimme ihrer Mutter:

  »Ich sprach, dass ich furchtlos mich fühle und trotz Gefahr, Mut meine Seele belebt…«

  Die Micaëla war Christianes Lieblingspartie – und diese Liebe hatte sie in vielen Unterrichtstunden an ihre Tochter weitergegeben. Die Probe verlief ohne weitere Hindernisse. Langsam wurde es Zeit zum Mittagessen. Michaelas Magen hatte sich schon öfter gemeldet, einmal sogar mitten in einem Lied. Michaela erschrak, nahm einen Schluck Wasser und sang weiter. Der Konzertmeister und der Dirigent hatten es gehört und schmunzelten in sich hinein. Den Nachmittag verbummelte Michaela in der Stadt. Leider begann es zu regnen und sie flüchtete sich in ein Café. Sie genoss den Cappuccino und blätterte in bunten Zeitschriften und Magazinen, hörte dem Gemurmel der anderen Gäste zu. Allein hier zu sitzen war aber doch ein wenig langweilig. Schade, dass Bille nicht dabei war. Gerade jetzt kreuzte die Schulfreundin wieder ihren Gedanken auf. Wo sie jetzt wohl steckte? Wann hatten sie sich zum letzten Mal gesehen? Michaela konnte sich nicht mehr daran erinnern. Nach dem Abitur hingen sie nicht mehr so oft zusammen. Nein, zerstritten waren sie nicht. Es hatte sich einfach so ergeben. Sie rührte gedankenverloren im Cappuccino.

Michaela

  Doch, jetzt fällt’s mir wieder ein. Wir saßen unten an der Elbe auf unserem Badesteg, ließen die Füße im Wasser baumeln und schwiegen. In die Stille hinein fragte Bille plötzlich:

  »Hast du eine Idee, wohin wir unsere Abi-Reise machen sollen? Ich dachte an einen vier Wochen Tripp per Bahn durch ganz Deutschland.« Ich nickte nachdenklich.

  »Bahn ist gut. Wie wäre es mit Skandinavien? Rentiere, Blaubeeren, endlose Wälder und Weite, Nordkap und finnisches Bier!«

  »Lange helle Nächte, klare Seen, Einsamkeit und fröhliche Städte«, warf Bille ein.

 So schwärmten wir eine Weile, konnten uns aber nicht einigen, wer die besseren Argumente hatte. Schnell noch ein paar Runden gegen die Strömung geschwommen und dann ab zum Nachmittagskaffee.

  »Ginder kommt, der Gaffee wird kalt!«

 Das war die Stimme meiner Großmutter. Ihrem Ruf folgten wir gerne, Dresdener Eierschecke und Blechkuchen zieht immer. Ein paar Tage später kam Bille mit einer traurigen Nachricht, die sie mir schonend beizubringen versuchte.

   »Jetzt ist es endgültig, wir werden von hier wegziehen. Mein Vater, der Herr Oberstleutnant wird in H. das Garnisonskommando übernehmen und wir müssen mit«, schniefte sie, versuchte mich aber zu trösten. »Wir werden uns viele Briefe schreiben und viel telefonieren und all die technischen Möglichkeiten nutzen, die es heut zutage gibt, Mail, FB und so weiter, weißt du!«

  Doch das half nicht gegen meine Traurigkeit und den Zorn, der trotz ihrer lieben Worte in mir aufstieg. Ich sah es ein, sie musste mit, konnte nicht alleine hierbleiben, (aber doch bei uns wohnen), schoss es mir durch den Kopf. Bille musste ja alles aufgeben, den Schulchor, den Kirchenchor und nicht zuletzt den Opernchor, in dem wir mittlerweile sehr engagiert waren. Die Freunde und die liebste Freundin, mich. So war es jetzt an mir, Bille zu trösten. Ich berief mich auch auf die vielfältigen Möglichkeiten, die Verbindung zwischen uns nicht abreißen zu lassen. Noch war es nicht so weit. Die Vorbereitungen für den Umzug von Billes Familie waren erst angelaufen. So blieb uns noch eine Gnadenfrist bis zu unserer Trennung, die wir effektiv nutzen wollten. Die Abi-Reise war beschlossene Sache und führte uns wirklich vier Wochen mit Rucksack und Eisenbahn durch Skandinavien.

  Beinahe wäre aber nichts daraus geworden. Ich hatte mich inzwischen nach einer Gesanglehrerin umgesehen, da Mami meinen Unterricht nicht weiter übernehmen konnte. Sie war öfter mit Papi auf Tournee und konnte die Termine nicht absagen, wegen mir. Doch die besagte Dame sagte ab. Tante Kyra war auch nicht erreichbar, beruflich sehr eingespannt und selten zuhause in München oder Griechenland. Also verschoben sich meine Gesangsstunden bis auf weiteres. Nach der Abi-Reise würde ich weitersuchen und die Termine in Einklang bringen. Huch! Eine diffizile Rechenaufgabe: Architektur, Musikhochschule und Gesangsunterricht möglichst unter einen Hut zu bringen. Meine Eltern schüttelten die Köpfe, wenn ich das Gespräch darauf brachte. Ich liebäugelte mit Landschaftsarchitektin – und auch darum wollte ich unbedingt nach Skandinavien. So planten Bille und ich erst mal unsere Reise und schleppten stapelweise Prospekte aus dem Reisebüro nach Hause und vertieften uns in die Schönheit der skandinavischen Landschaft. Es blieb uns auch genügend Zeit, den Führerschein zu machen. Über das erste Auto machten wir uns keine Gedanken. Die Reise war uns erst mal wichtiger. Das Interrail-Ticket war uns dabei sehr behilflich.

  An einem trüben Nachmittag brachte Papi uns im strömenden Regen zum Bahnhof. Gut gelaunt und abenteuerlustig wurden wir nun doch noch nass. Die nassen Klamotten verteilten wir im ganzen Abteil. Der Schaffner meinte lachend, ob wir schon für das Campen üben wollten.  In Kiel schien dann die Sonne. Am meisten freuten wir uns auf die Schiffsreise,  hatten aber auch ein wenig Angst vor der Seekrankheit. Doch die verschonte uns. Die Kabinen in der Sparklasse der >MS Color Line Fantasy< waren wirklich klein und eng, aber wir hatten sie ja nur zum Schlafen gebucht. Das Leben an Bord lockte uns und sollte nicht spurlos an uns vorüberziehen. Also dann, das Gepäck abgestellt und wieder an Deck. Mehrere Bars warteten auf uns und auch das Tanzvergnügen. Die Seekrankheit hatte keine Chance uns zu erwischen. Wir hingen zwar an der Reling, aber nicht um die Fische zu füttern. Es gab ja nicht nur Wasser bis zum Horizont zu sehen.  Ein kreischender Möwenschwarm umkreiste uns und Schweinswale begleiteten uns einige Seemeilen lang. Die Einfahrt in den Oslo-Fjord wollten wir nicht verpassen. Gleich nach dem Frühstück entdeckten wir die ersten Landmarken. Oslo empfing uns mit strahlendem Sonnenschein Das kleine Hotel war nicht weit weg vom Rathaus und vom Opernhaus entfernt. Natürlich pilgerten wir dorthin. Der Spielplan sagte uns allerdings nicht zu. Wagner und moderne Oper gab’s im Angebot. Also verzichteten wir und ließen uns durch die Stadt treiben. An der Straße zum Schloss entdeckten wir gemütliche Cafés, von denen wir eins testeten. Gut gestärkt besuchten wir dann den Vigeland- Skulpturenpark und ließen uns von den Figuren verzaubern.

  Zwei Tage später saßen wir im Zug nach Trondheim. Der großartige Nidaros Dom zog uns in seinen Bann. Nicht nur  Frankreichs gotische Kathedralen, sind einen Besuch wert. Wir mussten uns aber bald trennen. Ein Hurtigruten Schiff wartete auf uns. Das zweite Schiffsabenteuer begann. Wir enterten die Kabine auf der MS Princesse Ragnhild und richteten uns für fünf Tage ein. Machten auch Station auf den Lofoten, überquerten den Polarkreis und sahen uns in Tromsö um. Im Hafen von Harstadt wartete schon die MS Kong Harald, um uns weiter in den Norden mitzunehmen. In Honningsvag stiegen wir aus und machten uns per Bus auf den Weg zum Nordkap. Der Busfahrer raste im rasanten Tempo die Serpentinen hinauf, oft mit nur zwei Rädern über dem Abgrund. Da half nur noch anklammern an der Lehne des Vordersitzes, um nicht umher geschleudert zu werden. Bille holte vor jeder Kurve tief Luft, sprach sich selbst Mut zu. Wir hatten Glück. Kein Nebel umwallte den nördlichsten Punkt Europas, nicht ganz nördlich und widerlegte somit Tante Stellas Unkenruf, dass am Nordkap immer Nebel sei. Aber ein kalter Wind pfiff aus dem Westen zu uns herüber. Er kam von der vorgelagerten Insel. Sie ist der eigentliche nördlichste Punkt Europas.

 Zurück in Honnigsvag nahmen wir den Bus nach Alta. Am anderen Morgen erkundeten wir das Städtchen und fanden ein Reisebüro, welches uns weiterhalf, denn wir wollten ja weiter nach Finnland. Wir mussten leider auf die steinzeitlichen Felszeichnungen verzichten. Die Eisenbahn brachte uns über Nacht nach Oulo. Die Hafenstadt bietet nicht viele Sehenswürdigkeiten, also weiter nach Süden. Wir ließen das landschaftlich karge Lappland hinter uns, durchfuhren endlose Wälder und vorbei an klaren Seen. Der Saimaa-See lächelte uns zu und mittendrin die Burg Olavilinna. Das kleine Städtchen durchstreiften wir ein paar Tage lang. In den Wäldern ringsum waren die Blaubeeren noch nicht reif, aber schon so groß wie Kirschen. Tante Stella hatte uns von den Opernfestspielen in der Burg vorgeschwärmt, wo sie schon gesungen hatte. Aber bis Juli/August wollten und konnten wir nicht warten. Tante Stellas Reiseroute zu verfolgen, von der sie uns berichtet hatte, haben wir nicht geschafft.

  Aber auf Bille wartete eine Überraschung. Vom Städtchen Savonlinna wanderten wir über eine alte Holzbrücke hinüber zur Burg.  Vor lauter Gucken und Reden achtete Bille nicht auf den Weg, stolperte und wäre fast hingefallen.  Ein junger Mann, der hinter uns ging, fing sie auf. Er hielt sie eine Weile fest und redete beruhigend auf sie ein. Natürlich verstanden wir beide kein Wort. Dazu waren unsere finnischen Sprachkenntnisse zu dürftig. Englisch half uns immer weiter und ab und zu auch Deutsch. Vor allem bei älteren Leuten, die wir vorzugsweise nach dem Weg fragten. Nur bei dem jungen Mann half uns das nicht viel. Bille hatte den ersten Schreck überwunden und wir gingen weiter, flüchteten vor dem ersten Donner in die Burg. Der junge Mann trabte schweigend neben uns her. Bille und er tauschten immer wieder Blicke. Na, sollte sich da etwas anbahnen? Ich fühlte mich langsam wie ein drittes oder fünftes Rad am Wagen und begann mich zu ärgern. Hinter dem großen Burgtor schien ich für die beiden nicht mehr vorhanden zu sein. Na, das konnte ja was werden. Das Burgcafé war geöffnet. Wir setzten uns und unser Begleiter bestellte drei Kaffee. Ich hielt’s nicht mehr aus, wollte endlich wissen, wer der freundliche junge Mann war und fragte ihn direkt. Bille wusste es ja schon.

   »Ja«, lachte Mirkko, so hieß er und schüttelte seine blonde Mähne. »Ich wohne in der Burg und kann sie euch gerne zeigen, wenn ihr wollt. Mein Vater ist hier Burgwart, sozusagen der Hausmeister. Ich studiere in Helsinki Musik und Schauspiel und Deutsch und habe ein paar Tage Ferien. Ich kann euch gerne am Montag nach Helsinki mitnehmen.« So antwortete er grinsend in einwandfreiem Deutsch. Bille schickte ihm einen liebvollen Blick, also damit ihr Einverständnis und blinzelte mir zu.

  »Das ist eine gute Idee«, meinte sie. »Dann sparen wir die Bahnfahrt und sehen noch mehr von der Landschaft.«

  An diesem Nachmittag trieben wir uns in der Burg herum. Mirkko zeigte uns seine Lieblingsplätze. Er begann mit dem Rundgang im Verlies. Buh, dort unten war es feucht und kalt und dunkel. Verrostete Eisenketten hingen noch an der Wand. Es fehlte nur das Skelett daran, um den Grusel komplett zu machen. Nix wie weg.  Auf der Bühne vor dem Rittersaal fühlten wir uns wohler. Die Sonne spielte Scheinwerfer. Ich hätte gleich singen wollen. Zauberflöte oder Macbeth? Die Akustik war wunderbar. Hinter der Bühne ging es eng zu, nicht nur während der Festspiele. Zwei Künstler müssen sich eine Garderobe teilen, in der man sich kaum drehen kann. Überall stößt man an felsige Wände. Viel Privatsphäre gibt’s da nicht. Der Zugang zur Bühne ist recht niedrig, nur durch ein wenig Kletterei zu erreichen. Ich machte mir aber noch keine Gedanken darüber. Schließlich schlenderten wir über den Wehrgang zu den Türmen. Freie Aussicht über den See, auf dem Segelboote kreuzten. Den Abend ließen wir in der Sauna ausklingen, so wie sich das an einem Wochenende in Finnland gehört. Nicht zu vergessen der Grillspaß und viele Flaschen Bier dazu. Im Nachhinein muss ich sagen, wurde Mirkko mir immer sympathischer. Er war wirklich ein Gentleman. Gerne wären wir noch länger in Savonlinna geblieben, aber unser Urlaub neigte sich dem Ende zu. Die letzten Tage blieben für Helsinki reserviert. Auf dem Weg dorthin lotste uns Mirkko noch nach Turku. Das dürften wir nicht auslassen, meinte er. In dem Schloss habe er auch schon gewohnt. Von den Landschaftsgärten sah ich nicht viel, aber von der Landschaft: Wasser, Wälder und Wiesen und spektakuläre Sonnenuntergänge. Meistens krabbelte ich alleine ins Hotelbett. Bille und Mirkko ließen sich Zeit und fanden lange nicht aus den Federn. Bille genoss ihr Reiseabenteuer. Mit Mirkko sahen wir mehr von Land und Leuten, als wenn wir alleine unterwegs gewesen wären.  Doch nach vierzehn Tagen hieß es Abschied nehmen, im Olympiahafen von Helsinki.

>Schön ist die Liebe im Hafen…<

  Die MS Finlandia schob sich durch die Schären vor Stockholm. Mit fiel es schwer Skandinavien hinter mir zu lassen und ich versprach mir, dass mich meine Opernkarriere auch dorthin führen würde. Auch Bille wollte nicht loslassen. Sie wollte Mirkko am liebsten mitnehmen. Er tröstete sie und versprach ihr hoch und heilig, sie in den Semesterferien zu besuchen. Was er dann tatsächlich auch wahrmachte. Nicht immer ist ein Urlaubsflirt so beständig, wie zwischen Bille und Mirkko. Leider war ich damals nicht zu Hause und konnte die Wiedersehensfreude nicht miterleben. Aber Bille berichtete mir begeistert davon und ich durfte auch seine Briefe lesen, na ja, nicht alle!

 Meine Bewerbungen an verschiedene Apotheken und Architekturbüros hatte ich abgeschickt. Jetzt blieb mir nur noch, die Antworten abzuwarten. Natürlich rechnete ich mit Absagen, aber bis es soweit war, wollte ich die Wartezeit nutzen. Die Musikhochschule hatte auch Ferien. Also las ich Fachbücher, übte Klavier, studierte Noten zuhause – und was weiter? Ich wusste es nicht.  Ein Anruf aus Griechenland brachte mir die Lösung. Ich war in die Partie der Micaëla vertieft, die ich so gerne einmal auf der Bühne singen wollte, allein schon Mami zuliebe. Sie hatte mich bisher unterrichtet, aber nun war ihre Freizeit doch sehr begrenzt. Die Semperoper hatte in diesem Sommer ihren Schwerpunkt auf Tourneen gelegt und einige der Solisten mussten mit. Auch Papi und das halbe Orchester tourten durch die Republik. Vier Tage in der Woche waren meine Eltern nicht zuhause. Zum Glück waren Oma und Opa ja da. So brauchte ich um meine Versorgung nicht zu bangen. Doch war die Zeit recht langweilig für mich. Daran konnte auch die Gartenarbeit nichts ändern und das tägliche Warten auf den Briefträger.

 Bille war auch nicht mehr da. Wir konnten uns nicht mehr treffen, die Köpfe zusammenstecken und uns über alles austauschen, Klatsch und Tratsch aus der Promiwelt. Über unsere musikalischen Vorlieben streiten und Fachgespräche über den Opernchor und die neueste Mode führen. Telefonieren brachte auch nicht viel. Sie fehlte mir einfach. Ihren philosophischen Erkenntnissen konnte ich oft nicht zustimmen. Ich hielt dagegen, so kamen wir ins Streiten, was aber meist in Gelächter endete. Meine Patentanten waren weit weg auf ihrer Insel und dachten sicher nicht an ihr Patenkind, das zu Hause versauerte. Weit gefehlt, sie hatten mich nicht vergessen.

 So klingelte an diesem regnenden öden Sonntagnachmittag laut und aufdringlich das Telefon. Ich hielt mir die Ohren zu, starrte auf die Noten, um sie mir einzuprägen und auch den Text. Auf Französisch, dem Original. Mami hatte es auch lernen müssen, folglich konnte ich es auch! Aber Omas Stimme war nicht zu überhören.

  »Michaela«, tönte es von unten herauf, »deine Patentanten wollen dich sprechen!«

Wie der Blitz sauste ich hinunter in die Diele, hielt den Hörer ans Ohr, meldete mich atemlos.

  »Michaelamäuschen«, klang Tante Stellas dunkle Altstimme in mein weit offenes Ohr.

  »Hast du Lust für ein paar Wochen zu uns auf die Insel zu kommen. Du hast doch jetzt sicher Zeit?«

 Tante Kyra flüsterte laut und vernehmlich im Hintergrund. »Lass ihr keine Zeit zum Überlegen. Versprich‘ ihr Himmel und Hölle! Sie muss kommen. Ich brauche unbedingt eine Schülerin!«  Tante Stella wehrte sie ab.

  »Ja, ja, Kyra, ich bin doch schon dabei unsere Kleine zu überzeugen. Sie kommt ganz best…«

 Dann hörte ich ein Geräusch, das ganz nach einem Kuss klang. Sie vergaßen, dass ich mithören konnte. Dann hörte ich nichts mehr, außer leisen Tönen der Zärtlichkeit. Ich grinste in mich hinein und lauschte stillvergnügt. Oh diese zwei Turteltäubchen! Tante Kyra meldete sich wieder. Sie sprach nicht, sie sang leise. Hingerissen lauschte ich dieser >Stimme, die ich schon als Baby so liebte:

  »Sag Michaela kommst du zu uns?

 

Um mit uns zu Singen, nur für deine Kunst?

Du wirst schon seh’n, es wird ganz toll.

Sehnend Verlangen schwellt uns die Brust,

Freudiges Bangen, herrliche Lust!

Die Insel wartet lang schon auf dich,

Möch’t dich umfangen, denn sie liebt dich.

Lustig wird’s werden, das glaube mir

Und auch die Sterne möchten dich seh‘n.

Sie schicken Träume vom großen Glück.

Bei Tag und Nacht bist du nicht allein

Wir üben mit dir Töne dann ein.

Sag Michaela, wann kommst du an?

Das wir erfüllen unseren Plan!«

 

  Sie hatte wieder einen Text aus >Figaros Hochzeit< umgedichtet. Cherubinos Kanzone aus dem zweiten Akt. Egal wer sie sang, Kyra oder Stella, eine meiner Lieblingsarien. Tante Stella schmunzelte und schüttelte den Kopf. Ich sah es nicht, konnte es mir aber lebhaft vorstellen. Was hätte ich tun sollen? Nein sagen? Das kam nicht infrage. Auf das liebevolle umsorgen der beiden verzichten und die griechische Wärme nicht genießen sollen? Meine Eltern hatten sicher nichts dagegen, da war ich mir sicher. Und meine Wartezeit auf die Antworten der Apotheken und der Fachschulen konnte ich so sinnvoll nutzen. Ich beschloss, mich darauf zu freuen. Wir würden ja nicht nur üben, sondern auch die Insel unsicher machen. Diesmal durfte ich alleine die Inselferien genießen.

  »Ich komme!! Heute Abend kommen Mami und Papi zurück. Dann werden wir alles besprechen. Ich ruf dann an oder schicke euch eine Mail, wenn‘s zu spät werden sollte!«

  »Alles klar, Kleines, wir freuen uns. Lass uns nicht zulange zappeln«, lachte Tante Stella und legte auf.

 Das war die Idee, meine übrige Zeit sinnvoll zu nutzen, anstatt zuhause nur rumzuhängen. Tante Kyra hatte mir ja schon oft ihr Wissen über die klassische Gesangskunst vermittelt. Leider blieben uns immer nur ein paar Stunden, wenn die Damen wieder einmal in Dresden gastierten. Zum Abschied tröstete sie mich immer.

  »Kind, ich kann dir nur das beibringen, was ich selber kann. Beim nächsten Mal gibt’s neue Übungen, versprochen!  Ich möchte wieder Unterricht nehmen, meine Kenntnisse und Tricks auffrischen und sehn, was es Neues gibt. Irgendwann kann ich dann selbst unterrichten. Aber so weit ist es noch nicht. Nebenbei müssen Stella und ich die Opernbühnen der Welt weiterhin erobern. Vielleicht ruft ja wieder mal die >Met<«, schmunzelte sie und nahm mich in die Arme, hauchte einen Kuss auf meine Stirn.

  Tja und das nächste Mal ließ immer länger auf sich warten. Ich las nur auf den Kulturseiten der Tageszeitungen, wo Kyra und Stella gerade die Opernwelt aufmischten. Ansichtskarten flatterten aus London, Edinburgh, Paris, St. Petersburg, Manaos, Sydney und Kapstadt in unseren Briefkasten. Die letzte Karte kam aus Tokio. Jedes Mal träumte ich mich wieder mit auf die Bühne, als Mimi, Tatjana oder Despina, am liebsten mit den beiden zusammen. Würde ich je soweit kommen? Ein wenig Bühnenerfahrung konnte ich ja schon vorweisen. Im Dresdener Opernchor, manchmal zusammen mit Mami, die mir half, wo sie nur konnte. Jetzt war ich 22 und es wurde langsam Zeit, ernsthaft mit der Ausbildung zu beginnen.

  Tante Kyra war der Schlüssel dazu. Von ihrer Erfahrung würde ich am meisten profitieren und das auch noch kostenlos. Denn! Gesangsstunden sind teuer. Rund hundert Dollar pro Stunde, wie sie mir mit erhobenem Zeigefinger klarlegte, sei kein Pappenstiel. Und ohne Basis nutzt auch die qualifizierteste Ausbildung nichts. Hurra, diese Grundvoraussetzung, ein schönes Stimmchen, ja das hatte ich. Jetzt musste nur noch eine Stimme daraus werden. Der Gesangsurlaub auf der Insel würde mich auf jeden Fall weiterbringen. Die Familie war einverstanden. Mami und Papi waren ein bisschen traurig, weil sie ja nicht mitfahren konnten. Der Semperoper Spielplan verhinderte dies. Für die beiden konnte der Intendant auf die Schnelle keinen Ersatz finden.

 

Auf der Insel

  Nun, allein auf die Insel zu fliegen, war kein Abenteuer für mich, ich genoss es. Schließlich wurde ich von zwei geliebten Frauenzimmern erwartet, um es mal mit den Worten des Wachtmeisters Paul Werner aus >Minna von Barnhelm< zu sagen. In der Ankunftshalle wartete aber nur Tante Stella auf mich.

  »Oh«, staunte ich, sah mich erwartungsvoll um. »Wo ist denn Tante Kyra? Sie wird doch nicht krank sein? «

Tante Stella lächelte beruhigend.

  »Nein, sie ist sehr beschäftigt. Wie immer ist es ihr im letzten Moment eingefallen, dass sie ja noch kein Programm für deinen Unterricht hat. Jetzt grübelt sie schon drei Tage darüber. Wenn ich sie etwas frage, brummt sie nur.«

 Tante Stella verstaute mein Gepäck im Kofferraum und startete den Wagen.                                    »Los geht’s. Du wirst Hunger haben!«

  Nun ja, es war ja auch schon fast Mittag. Unterwegs schwiegen wir. Meine zweite Sehnsuchtsheimat hatte sich kaum verändert. Ich ließ die Landschaft an mir vorüberziehen. Silbrige, lichte Olivenhaine, kleine geduckte Dörfer zwischen verstreuten Felsen. Alles überstrahlt von der hellenischen Sonne, die ich mittlerweile so liebte, wie meine Patentanten. Nur darum flogen sie so oft wie möglich aus dem nassen kalten München nach Süden. Stella hielt mit einem Ruck vor dem Haus. Tante Kyra lehnte lässig am Türrahmen.

  »Wo bleibt ihr denn?«, rief sie und breitete die Arme aus. »Ich bin schon seit drei Stunden fertig mit dem Konzept und warte ungeduldig auf meine Schülerin.«

 Ich lief zu ihr hinauf und versank für lange Sekunden in ihrer liebevollen Umarmung.

  »Willkommen meine erste, liebste Schülerin«, flüsterte sie und blinzelte zu Stella hinunter. Und schob mich ins Haus. Gleich umfing mich, kühle, blaue Dämmerung. Auf der Terrasse warteten ein kühles Getränk und kleine Häppchen. Tante Stellas Spezialität. Sie hatte aus verschiedenen Zutaten leckere Köstlichkeiten gezaubert, aus dem Rezeptbuch ihrer Mutter. An diesem Tage wurde es zu heiß zum Üben. Wir pflegten eine ausgedehnte Siesta. Danach packte ich meine Koffer aus. Spazierte später durchs Haus, um all die vertrauten Orte meiner Kindheit wieder zu entdecken. Ich war schon lange nicht mehr hier gewesen. Während ich durch den Garten schlenderte, überlegte ich mir eine neue Gestaltung. Genau, das war die Idee! Tante Stellas Garten umzugestalten, sollte meine Diplomarbeit werden. Ich lief bis zu den Stufen, die hinunter zum Meer führten. Ob Tante Stella meine Idee gut finden würde? Die Rosen durfte ich nicht anrühren, das hätte mir lebenslanges Besuchsverbot beschert. Sie waren Tante Stellas Heiligtum. Sie bewahrten mit ihren prachtvollen Blüten das Andenken an Alexander. Und die große Liebe zu seiner Stella und zu Kyra.

  Alexander war Tante Stellas Ehemann – und in seinem Beruf als Musikdirektor der Bayerischen Staatsoper, ein berühmter Künstler gewesen. Tante Stella erzählte mir oft von dem glücklichen Leben, das sie mit ihm geteilt hatte. Fast jedes Mal endete auch die lustigste Episode damit, dass Tante Stella in Tränen ausbrach. Dann nahm Tante Kyra sie in die Arme und ich ging still hinaus, um beide in ihrem Kummer nicht zu stören. Alexander Narov kam bei einem schrecklichen Verkehrsunfall ums Leben. Er war auf dem Heimweg von DVD Aufnahmen in Hamburg, als auf der A 8 kurz vor München, auf eisglatter Fahrbahn ins Schleudern geriet, und zwischen Lkw und Anhänger eingeklemmt wurde.

  Zeichnungen entstanden in meinem Kopf, die ich gleich nachher zu Papier bringen wollte. Doch dazu kam es nicht. Ich landete im Pool. Oh, war das herrlich, einfach nur rumzuhängen im kühlen Wasser. Die Tanten und ich hatten keine Lust gehabt, extra zum Meer hinunter zu stiefeln. Ein Cappuccino und fröhliche Gespräche, war alles, was wir wollten. Schließlich wollten die beiden das Neueste aus dem Dresdener Opernleben erfahren. Ich lauschte begierig den spannenden Geschichten, die Stella und Kyra von ihren Engagements in aller Welt zum Besten gaben. Kein Telefon störte unsere Runde.  Langsam schlich sich die blaue Dämmerung von Westen heran.

  »Reichlich trockene Luft hier«, stellte Tante Kyra plötzlich augenzwinkernd fest. »Außerdem knurrt mein Magen wieder. «

 Tante Stella grinste spöttisch: »Hast du das gehört, Michaela? Meine liebste Süffleuse hat wieder Durst. Sei bitte so lieb und zünde schon mal die Kerzen an.«

  Damit verschwanden die beiden im Haus. Ich zündete brav die Kerzen auf dem Tisch an und freute mich an dem zauberhaften Licht, das jetzt die Terrasse ein wenig erhellte, in der Dunkelheit. Das helle Dunkel blieb. Ein Streifen Abendrot im Westen, der auch auf dem Meeresspiegel funkelte, darüber funkelnde Sterne. Die Zikaden begannen ihr Konzert und ich hörte einfach zu, schloss die Augen und fühlte mich wohl und geborgen, auch wenn der warme Zephyros meine Haare zauste. Er trug vom Grill herüber auch den Duft von Souflaki, gefüllten Tomaten und Tsatziki. Da drang Tante Kyras Stimme in mein Ohr. Ich fühlte ihre kühle Hand auf meiner Schulter.

  »Aufwachen, Kleines. Jetzt gibt es was zu futtern.«

Sie hielt mir ein Tomatenbrot unter die Nase, mit viiiel Knoblauch.

  Ein exzellenter, rubinroter Rosé durfte natürlich nicht fehlen. Der Hauswein der beiden Damen, den Georgios regelmäßig ins Haus lieferte. »Magst du ein Glas?« Ich nickte. Jetzt war ich im Urlaub angekommen. Noch! Denn morgen begann das das private Gesangsstudium bei Tante Kyra. Ihre schmalen Lippen formten sich zu einem zauberhaften Lächeln. Sie prostete mir zu, legte eine Hand auf ihr Dekolleté, verbeugte sich leicht.

   »Ich will ja nicht angeben, Michaela. Ich habe inzwischen dazugelernt, was den Gesangsunterricht betrifft. Elisabeth hat mir viel beigebracht, wovon ich einiges vergessen hatte, aber ich hab’s wieder im Kopf. Ich darf mich jetzt Gesangspädagogin nennen. Ich werde deine Stimme zu Höchstleistungen bringen. Natürlich nicht jetzt in den drei Wochen. Wir müssen ja langsam anfangen. Die Grundlagen legen wir zusammen. Stella wird uns gerne dabei helfen. Sie spielt ja besser Klavier, als ich. Wir schaffen das!«

  Sie umarmte mich, drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Tante Stella hatte uns nachdenklich zugehört und wedelte jetzt mit dem Zeigefinger vor Tante Kyras Nase rum.

  »Nun mal langsam mit der Violin‘, die ist noch neu! Sei nicht so streng mit ihr. Sie ist doch noch jung. Falscher Ehrgeiz bringt nichts. Du weißt doch wie das ist, wenn man die Stimme zu sehr forciert! Ich sage nur, Husten!«

 Tante Kyra schaute sie über den Rand ihrer Lesebrille mit großen kornblumenblauen Augen an, in denen es gefährlich funkelte.

  »Ja, ja, ich hab’s kapiert, meine Liebste! Ich werde ganz lieb sein und nicht drängeln. Aber jetzt Schluss mit der Theorie. Morgen geht’s in die Praxis. Genießen wir lieber den schönen Abend!«

  »Lasst uns erst mal tafeln«, lachte Tante Stella. »Alles andere kann warten.« Damit war das Thema vom Tisch. Mit der Violin‘ meinte sie meine Stimme, die in der Tat neu war und etwas dünn klang, trotz vieler Übungsstunden in der Musikschule und im Opernchor. Ich vertraute Tante Kyras gesangspädagogischen Fähigkeiten und hoffte auf mehr Fülle und Ausdruckskraft. Es würde uns beiden viel Zeit und Geduld abverlangen. Wir genossen die blaue Nacht, sahen in die Sterne und tranken Rosé. Beide Damen gingen bald zu Bett. Ich blieb noch eine Weile auf der Terrasse und hörte die beiden ab und zu leise kichern. Als der Zephyros stärker wurde, löschte ich die Kerzen und nahm die leeren Flaschen und Gläser mit ins Haus…

 

Schwetzingen

 Michaela blätterte im Programmheft und überlegte dabei, ob sie in den Speisesaal hinuntergehen oder das Essen aufs Zimmer bestellen sollte. Sie schaute immer wieder auf ihre Uhr. Wo Claudia nur blieb? Claudia Wild war ihre Agentin und eigentlich immer pünktlich.  Als sie neulich telefonierten, hatte sie eine wichtige Neuigkeit nicht verraten und damit Michaela erst recht neugierig gemacht. Da klopfte es energisch an der Zimmertür. Eine junge Frau mit dunkler Kurzhaarfrisur lugte um die Ecke. »Störe ich?«, fragte sie leise. Michaela blickte lächelnd auf.

  Du störst nie, Claudia. Endlich! Du hast mich ja lange zappeln lassen. Hast du wieder mal den Zug verpasst? Sie umarmten sich. Claudia wedelte aufgeregt mit einem Brief vor Michaelas Nase herum.

  »Nee, der Typ von der Agentur in Aachen hat ewig nicht angerufen, um mir die Bestätigung zu geben. Ich habe schon ein neues Engagement für dich angeleiert. Hoffentlich nimmst du an! So eine Gelegenheit kommt nie wieder, sage ich dir! Das Stadttheater Aachen sucht dringend eine >Eliza<. Du solltest dich bewerben – oder am besten gleich hinfahren«, sprudelte sie hervor.

   »Die >Eliza<?« Michaela war skeptisch. »Ist das wirklich eine Partie für mich? Eignet sich meine Stimme für ein Musical?«

  »Na klar, du musst ja nicht opernmäßig aufdrehen«, lachte Claudia, »du warst doch auch ein Jahr in der Musicalklasse oder standet ihr nur auf Oper?«

 Michaela drohte ihr mit dem Zeigefinger.

  »Keine abfälligen Bemerkungen über die Oper – sonst!«

Claudia ließ sich ihr gegenüber in einen Sessel fallen.

  »Nee, war nicht so gemeint«, wehrte sie ab. »Lies mal das Angebot durch. Ist doch eine gute Chance. Ich kann erst verhandeln, wenn du zugestimmt hast.«

Michaela nickte, stand auf und holte ihren Terminkalender vom Schreibtisch, blätterte hin und her.

  »Wann ist denn das Casting? Hmm, im September. Da habe ich ein paar Tage frei. Also Claudia, ruf in Aachen an, mach einen Termin aus. Ich bin dabei. Kommst du mit zum Essen und morgen früh mit zur Generalprobe?«

 »Deswegen bin ich ja hier«, lachte Claudia. »Ich muss mich doch ab und zu mal wieder von deiner Stimme verzaubern lassen.«

  Im Hotelrestaurant setzten sie sich an einen kleinen Tisch am Fenster. Sie genossen das Spargel- Menü und sprachen hauptsächlich über Michaelas neue Pläne. Wichtigstes Thema war das Engagement in Aachen und das Konzert Ende September in Meran, welches Claudia ihr vermittelt hatte. Der Veranstalter hatte ihren Vorschlägen zugestimmt. Danach würde man weitersehen. Vielleicht konnte sie ja mit Claudias Verhandlungsgeschick in Aachen einen Zweijahres -Vertrag ergattern. Ich muss unbedingt Tante Stella anrufen, dachte sie. Sie kann mir sicher ein paar Tipps geben. Sie kannte ja den Betrieb am Stadttheater sehr gut.

Michaela

   Aber erst mal musste ich die Generalprobe überstehen. Das verflixte Lampenfieber, das ich von Mami geerbt hatte, hinderte mich daran, das reichhaltige Frühstück zu genießen. Keine Lust auf Rührei mit Speck und Bohnen, sowieso nicht. Hilfe! Ich konnte mich nur zu einem Milchkaffee und Käsebrötchen zwingen. Sonst ging nichts rein – oder gleich wieder raus und das wollte ich nicht riskieren. Tante Kyras gute Ratschläge gegen Lampenfieber schwirrten mir durch den Kopf. >Du schaffst das<, hatte sie mir immer wieder gesagt. Die Partie der >Micaëla< ist ja nicht so groß. Die Kollegen verstanden mich. Ihnen erging es ja nicht anders. Also los, ins Kostüm schlüpfen und ab in die Maske. Toi, Toi, Toi von Claudia, ab auf die Bühne. Die Musik fuhr mir in alle Zellen – und ich war wirklich die Micaëla, die Don José innig liebt, ihn aber doch nicht bekommt, weil er Carmen verfällt. Schüchtern, wie die Rolle es verlangte, schlängelte ich mich durch die Menge auf dem Platz vor der Zigarettenfabrik, um José zu suchen. Carmen hatte José inzwischen eingefangen und verhext. Unsere Carmen, Sylvia Saamio, sang und spielte sie perfekt, mit dunklem Timbre und rassiger Figur. Man nahm ihr diese Rolle sofort ab. Hoffentlich würde das Publikum es auch so sehen. In ihr bekam Tante Kyra eine Konkurrentin, wenn sie sich je begegnen würden.

  Privat war Sylvia eine liebenswürdige, etwas schüchterne junge Frau. Sylvia Saamio war Finnin, hatte samische Wurzeln mit einem Touch Bohemien, den sie ihrem Großvater verdankte, wie sie oft lachend zugab. Die männermordende Carmen gab sie nur auf der Bühne. Wir verstanden uns gut, unterhielten uns in Finnisch und Englisch. Das gab immer wieder Anlass zu Lachanfällen. Ich hatte doch die Grammatikregeln nicht mehr alle im Gedächtnis, nach ca. 4 Jahren, seit der Abi-Reise. Wann braucht man in der Oper schon mal Finnisch? In Savonlinna vielleicht? Aber soweit war es noch nicht.

  Ach du Schreck! Jetzt ging’s mir wie Mami. Ich fand den Brief für Don José nicht mehr. Mami war dasselbe Missgeschick passiert, ausgerechnet bei der Premiere! Tante Kyra hatte sie aber beruhigen können. So wie sie jetzt auch in meinen Gedanken flüsterte: »Tief Luft holen, Michaela, lass deine Stimme das Denken übernehmen.«

Puh! Und es klappte. Ich schnappte mir einen herumliegenden Zettel und meine Stimme ließ mich nicht im Stich. Später im dritten Akt brachte ich ein paar zu dunkle Töne rein:

  »Ich sprach, dass ich furchtlos mich fühle…«, sah wie der Dirigent die Stirn runzelte. Daran müsste ich noch arbeiten, bemerkte er bei der Nachbesprechung. Vielleicht sollte ich doch auf Mezzo umsteigen? Ich werd‘s mir überlegen. Ich bin ja noch in der Ausbildung. Da gab’s noch diverse Möglichkeiten.

 Die Carmen -Premiere in Schwetzingen wurde ein Erfolg. Unser ganzes Team wurde von der örtlichen Presse gefeiert. Umjubelt natürlich, Manuel Castellon, der als Don José und echter Spanier aus Sevilla, von weiblichen und männlichen Fans belagert wurde. Sylvia und ich waren nicht so gefragt. Die Herren Fans hielten sich zurück. Aber wir wurden doch einige Autogramme los, vorwiegend bei älteren Damen (kicher).      

  Mann war ich glücklich. Mein erstes Debüt. Sowas gibt wirklich Auftrieb und würde hoffentlich die nächsten Jahre noch anhalten. Tausend Dank an meine Patentanten, die mein Talent erkannt hatten und mich immer noch fördern. Das Fernsehen sendete eine informative Reportage über das Carmen -Projekt, in der alle zu Wort und Gesang kamen. Bei den Proben standen die Fernsehleute immer ein wenig im Wege und gerieten bei der Hauptprobe in den Trubel der ersten Szenen. Ich hielt den Tonmann für Don José, er stand mit dem Rücken zu mir, ich merkte es aber schnell.

  »Nein, ihr seid nicht der, den ich meine, Don José – so wird er genannt.«

 Der Tonmann schaute mich ganz verdutzt an, als ich ihn ansang. Er grinste und ich ging weiter. Alle zehn Vorstellungen wurden ein Erfolg. Nach der Dernierenfeier wollte ich rasch ins Hotel. Ich hatte keine Lust mehr auf die vielen Reden und Glückwünsche. Am anderen Tag flüchtete ich nach Hause, zu Mami und Papi. Dort konnte ich mich am besten erholen. Inzwischen hatte Claudia den Termin mit dem Stadttheater klargemacht. Ein paar Tage bis zur Abreise nach Aachen blieben mir noch. Dort wartete ein neues Abenteuer auf mich. Die Welt des Musicals. Tante Stella hatte damit in Aachen erste Erfolge gefeiert. Erst im Chor und dann als Solistin, unter anderem als >Eliza<. Ich hatte aber immer noch so meine Zweifel. Meine komödiantische Seite war nicht gefördert worden, während der Unterrichtsstunden in der Musikhochschule. Der Dozent legte herzlich wenig Humor an den Tag. Er nahm selbst die witzigsten Texte außerordentlich bierernst. Tante Kyra hätte ihre helle Freude an diesem humorlosen Herrn gehabt.

 Das forderte unsere Clique, wir waren zu sechst, immer wieder zu Streichen heraus. Leider kann ich mich nicht mehr erinnern, was wir so alles anstellten. Nur, dass wir einige Texte umdichteten und mit bierernster Miene in unseren Vortrag einbrachten. Mitschüler und Zuschauer konnten kaum an sich halten, um nicht laut heraus zu platzen. Nur, unser ernster Professor merkte in den meisten Fällen nichts. Nun, der Gute wurde bald darauf pensioniert und der neue Dozent brachte neue Akzente in den Musicalunterricht.

 Da war es aus mit unseren persönlichen Kabarettprogrammen. Tante Kyra war übrigens immer sehr begeistert, wenn sie unsere Texte las. Entdeckte sie doch in den Umtextungen ihre eigene Kreativität von damals wieder. Sie hatte es noch nicht verlernt und forderte immer wieder Regisseure und Souffleusen heraus. Aber nur bei den Proben, wenn es nach ihrem Gefühl gar zu ernst zuging…

 

Dresden

 Thomas hob seine Tochter mitsamt ihrem Gepäck aus der Waggontür und küsste sie auf die Stirn.

  »Da ist ja mein kleiner Opernstar. Mami freut sich schon sehr auf dich. Sie hat die ganze Zeit mit dir mitgefiebert. Seit deiner Premiere gab es kaum einen anderen Gesprächsstoff bei uns. Sie ist schon wieder in der Oper. Heute ist die letzte Vorstellung von >Cavalleria Rusticana<. Ab morgen haben wir viel Zeit für uns. Die Ballettcompagnie übernimmt die Unterhaltung und mein Stellvertreterdirigiert. Allerdings muss ich zwischendurch Noten studieren.

  »Ach Papi, können wir gleich zu Mami fahren? Ich hab doch so viel zu erzählen.« Thomas warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Hmm, wenn wir uns beeilen, erwischen wir sie am Bühneneingang. Sie weiß ja, dass du kommst und wird auf uns warten.«

 Sie mussten sich Geduld üben. Der Straßenverkehr ließ kaum eine Lücke, um aus dem Parkplatz vor dem Bahnhof zu kommen. »Zu Fuß wären wir schneller«, stellte Michaela fest. Thomas schüttelte den Kopf.

 »Willst du Mamis Siebensachen und die Blumen aus der Garderobe bis nach Hause schleppen?«

 Am Bühneneingang wartete niemand.  Der Pförtner schickte sie hinauf zur Garderobe. Es wird noch gefeiert, feixte er. Vater und Tochter drängelten sich durch die Chorleute und klopften an die offene Tür. Ein fröhliches >Herein< ertönte. Sektkorken knallten. »Immer herein mit euch«, lachte Christina. »geduldige Schafe gehen viele in einen Stall.«

 Man konnte die kleine Person fast übersehen, in all dem Gewimmel aus Gratulanten und Blumensträußen. Die Freunde verzogen sich nach und nach. Sie wollten die Wiedersehensfreude der Familie nicht stören. Der Intendant zwinkerte im Hinausgehen Michaela zu:

  »Freut mich, so eine berühmte Sängerin in unserem Haus zu sehen.« 

 Sie dankte ihm lachend für das Kompliment, dachte aber im Stillen.

  »Berühmt? So weit ist es noch lange nicht, aber schön wär‘s ja!«

 Es war aber doch fast Mitternacht, als die Familie Seiler-Schubert zuhause ankam. Sie schlichen sich leise ins Haus, um die Großeltern nicht zu wecken. Gegen zehn Uhr am anderen Morgen wurden Christina Und Thomas vom Kaffeeduft geweckt, der aus der Küche herüberwehte. Michaela hatte den Kaffeetisch schon gedeckt und liebevoll geschmückt. Sie schenkte allen Kaffee ein und berichtete von ihren Plänen.

  »Hmm, wie hab‘ ich das vermisst. Gibt’s nich‘ in Schwetzingen.« Sie biss herzhaft in ihr Schmalzbrot. »Ich möchte gerne wieder mal zu Onkel Kurt fahren. Mal sehen, was unsere Pferdchen machen. Sicher springen auch wieder Fohlen umher.« Christina nickte.

  »Dein Onkel hat schon nach dir gefragt, letzte Woche. Er hat sich bei mir beschwert, weil du dich gar nicht mehr auf dem Gestüt sehen lässt.«   »Ja«, seufzte Michaela, rührte gedankenverloren in ihrem Kaffee.

  »Mit Bille war ich fast jede Woche draußen. Aber seit sie nicht mehr hier ist, habe ich gar keine Lust mehr auf das Landleben. Bevor ich nach Aachen fahre, möchte ich aber noch mal hin. Vielleicht noch diese Woche. Wir sollten das schöne Herbstwetter nutzen.« Thomas ließ die Zeitung sinken.

  »Gute Idee, meine Kleine. Ich kann leider nicht mitfahren. Ich muss die Wiederaufnahme von >Orpheus und Eurydike< vorbereiten.«  Michaela riss die Augen auf.

  »Wiederaufnahme? Etwa mit Tante Kyra und Tante Stella?«

  »Ja«, schmunzelte Christina und verriet so das kleine Geheimnis. »Kyra hat vor ein paar Tagen ihr Kommen zugesagt. Stella kommt später, sie ist noch in London. Wir wollten es dir eigentlich nicht verraten.«

 

Michaela