Don Quijote - Rebekka Kricheldorf - E-Book

Don Quijote E-Book

Rebekka Kricheldorf

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Beschreibung

Das Lesen nicht nur bildet, sondern auch in den Wahnsinn treiben kann, wissen wir spätestens seit Miguel de Cervantes Don Quijote von der Mancha. Der voluminöse Barockroman – über tausend Seiten hanebüchene Abenteuer – ist allerdings den heutigen Lesern nur noch anekdotisch in Erinnerung. Vom Kampf gegen Windmühlen weiß der Halbkundige zu berichten, von einer frühen Satire auf die abenteuerliche Welt der Ritterromane, von einem Pferd namens Rosinante (keine Stute übrigens) und natürlich von einem kugelrund gedachten Knappen mit dem literaturläufigen Namen Sancho Panza. Der Don Quijote ist Weltliteratur also im besten Sinne, bekannt und fast vergessen, und daher wie geschaffen zu einer Zweitexistenz auf der Bühne, auf der sein Schöpfer nie wirklich reüssierte. Wer Rebekka Kricheldorfs Bearbeitungen klassischer Stoffe kennt – "Der große Gatsby" oder "Lysistrata" zum Beispiel – der weiß, dass sie mit großen Werken zu spielen weiß. Und so wird auch aus Cervantes' Werk ein skurriles Kabinett Kricheldorfscher Personen, die sich die Wirklichkeit mit der Fiktion teilen und Altes neu erzählen. Die Bühnenbearbeitung ist für das Theater Osnabrück entstanden. "Gibt es noch einen Ausweg aus Wahn und Wirklichkeit – und kann man beides überhaupt unterscheiden?" fragt das Theater. "Schluss!" antwortet Don Quijote. "Mit solchem Relativismus kommt ein Kavalier nicht weit."

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Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Theatertexte finden Sie auf unserer Websitewww.kiepenheuer-medien.de

© 2017 Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH

Schweinfurthstraße 60, 14195 Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Sämtliche Rechte der öffentlichen Wiedergabe (u. a. Aufführungsrecht, Vortragsrecht, Recht der öffentlichen Zugänglichmachung und Senderecht) können ausschließlich von der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH erworben werden und bedürfen der ausdrücklichen vorherigen schriftlichen Zustimmung. Nicht genehmigte Verwertungen verletzen das Urheberrecht und können zivilrechtliche und ggf. auch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen.

Personen:

Herr Alfons alias Don Quijote

Sancho Panza

Barbier

Pfarrer

Nichte

Haushälterin

Ein Typ / Sänftenträger 1 / Sänftenträger 2 / eine Dame / Sträfling 1 / Sträfling 2 / Sträfling 3 / ein Wärter / Häscher 1 / Häscher 2 / ein Bauernmädchen / Herzog / Herzogin / Page / Zofe/ ein Leser

ERSTER TEIL

1. Im Dorf

Im Hause Alfons. Herr Alfons, die Nichte, der Pfarrer, der Barbier und die Haushälterin sitzen um einen großen Tisch und löffeln Suppe. Sancho erscheint mit einem Paket in der Hand.

SANCHO Trari, trara, die Post ist da.

Schweigen. Herr Alfons erhebt sich, greift sich das Brotmesser, kippt die Suppenschüssel aus und setzt sie sich auf den Kopf.

NICHTE Onkel?

BARBIER /PFARRER / HAUSHÄLTERIN Herr Alfons?

DON QUIJOTEdeutet auf Sancho Ihr da.

SANCHO Wer, wir? Wo? Äh, ich? Ein Brillenträger, zum Tragen des hilfreichen Geräts zu eitel, oder aber blau, blau, blau wie der Enzian und deshalb mich doppelt, womöglich dreifach sehend, so meine abrupte Diagnaste. Ah, oder, ach ja, im pluralierbaren Sinne haben Sie allerdings Recht, wären ich und mein guter Wille zwei, zählt man noch mein edles Gemüt und meine weiße Weste hinzu, wären wir glatt eine Gruppe, täten also im Kino Gruppenrabatt kriegen, dies nur am Rande, wen's interessiert. Eventüell auch im Vergnügungspark, oder im –

DON QUIJOTE Schluss! Was hieltet Ihr davon, wenn Euer Leben wäre wie ein Roman?

SANCHO Nun ja, strenggenommen ist mein Leben bereits wie ein Roman! Ein mittelmäßiger, aber liebevoll gestalteter Postboten-Roman. Sind Sie im Jängre des Postboten-Romans bewandert, Herr Alfons?

DON QUIJOTE Dies zu behaupten wäre die dreisteste Aufschneiderei.

SANCHO In einem Postboten-Roman, verzeihen Sie die Belehrung, hätten Sie die Suppe vorher aufgegessen und sich dann erst die Schüssel auf den Kopf gesetzt. Von wegen der Ökonomik.

DON QUIJOTE Derlei Krämerlatein mag vielleicht für Euresgleichen gelten. Wie alt seid Ihr, Briefzusteller?

SANCHO Gerade fünfzig geworden, Herr Alfons.

DON QUIJOTE Und wie lange schon im Amt?

SANCHO Seit meinem fünfzehnten Lebensjahr. Vor mir der Vater und der Vater vom Vater und der Vater vom Vater vom Vater sowohl als auch der Vater vom Vater vom –

DON QUIJOTE Schluss! Wisst Ihr, was heute für ein Tag ist? Hm? Mein Geburtstag.

SANCHO Oha.

NICHTE Stimmt gar nicht.

SANCHOsingt Hoch soll er leben, hoch soll er leben –

BARBIER Der Herr Alfons ist Jungfrau, Aszendent Fisch.

PFARRER Der Herr Alfons hat den Rubikon des halben Jahrhunderts bereits vor Monaten überschritten.

SANCHO – drei Mal hoch!

HAUSHÄLTERIN Zu diesem Anlass hatten der Barbier, der Pfarrer, die Nichte und ich zusammengelegt und dem Herrn Alfons seinen sehnlichsten Wunsch erfüllt. Die vierzehnbändige –

BARBIER In Schweinsleder gebundene –

PFARRER Mit Widmung des Autors versehene –

NICHTE Zwanzig Kilo schwere –

PFARRER Erstausgabe –

HAUSHÄLTERIN Der Abenteuer der Ritter der Tafelrunde.

BARBIER Mit Frontispiz in Gold.

PFARRER Billig war die nicht.

BARBIER Oh nein. Ich glaub gar, ich hab mein Lebtag nicht so viel Geld für eine Lektüre ausgegeben.

PFARRER Aber so ein runder Geburtstag –

HAUSHÄLTERIN Weil, die alte hatte er gar schlimm zerlesen.

NICHTE Die Seiten so abgegriffen dünn, dass sie beim kleinsten Husten zu Staub zerfielen.

BARBIER So sehr liebte der Herr Alfons sein Ritterbuch!

PFARRER Wie gesagt, dieses Ereignis war bereits gewesen.

BARBIER Und ereignet sich keinesfalls heute.

HAUSHÄLTERIN Lassen Sie sich bloß nicht vom Herrn Alfons ins Bockshorn jagen, Herr Postbote.

DON QUIJOTE Ich rede nicht vom Herrn Alfons. Ich rede von Don Quijote.

HAUSHÄLTERIN / PFARRER / BARBIER / NICHTE Hä?

DON QUIJOTE Dem edlen Don Quijote, der am heutigen Tag seinen Geburtstag feiert.

PFARRER Was für eine Spinnerei haben wir jetzt zu erwarten?

BARBIER Schon als die Suppe den Bach runterging, schwante mir nichts Gutes.

NICHTE Erzähle mehr, Onkel, das klingt interessant.

PFARRER / BARBIER / HAUSHÄLTERIN Aber Nichte!

DON QUIJOTE Ich habe beschlossen, ab heute ein fahrender Ritter zu sein und hab mir zu diesem Zwecke rasch einen angemessenen Namen erfunden.

NICHTE Warum gerade jetzt, Onkel?

DON QUIJOTE Weil ich beim Suppe-Löffeln eine Erleuchtung hatte.

PFARRER Er liest zu viel.

DON QUIJOTE Seht diesen Teller. Dieser Teller ist unser Ego, aller Nicht-Teller um den Teller herum der Rest der Welt. Nun hat man ja wohl die Pflicht, über den Tellerrand des Privaten hinauszuschauen und sein Leben in den Dienst der Welt zu stellen. Schlicht: Es etwas Höherem zu weihen.

SANCHO Jawoll, Herr Alfons. Ich hab auch durchaus einen Sinn fürs Höhere. War mein Vater bereits Postbezirksmeister, hab ich's schon zum Postkreismeister geschafft. Und mein Sohn Sanchito Pansa junior soll dereinst –

DON QUIJOTE Schluss! springt auf den Tisch und fuchtelt mit dem Brotmesser Ein nettes Weib finden. Sich häuslich einrichten. Über die Runden kommen. Die Finanzschafe ins Trockene bringen. Was für ein wohliges sich Suhlen in sündiger Selbstliebe! Da draußen gibt es Menschen, die Beistand brauchen. Schwache, Arme, Kranke! Von Fortuna in die Pfanne Gehauene! Witwen und Waisen, Krüppel und Sieche! Wer steht ihnen bei? Wer hat genug Ehre im Leib, Seite an Seite mit den vom Fatum Gefoppten gegen das Unrecht in die Schlacht zu ziehen? Wer ist Manns genug, sein Leben in den Dienst der vom Weltgeist Genasführten zu stellen? Der Ritter. Denn für den Ritter sind Anstand und Moral keine leeren Worte, sondern Leitbilder allen Handelns. Für den Ritter gibt es nicht Mein und Dein, es sprudeln die Quellen der Gebirgsbäche für jeden, den da dürstet. Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? Windige Krämer, die mit allem Handel treiben, was nicht niet- und nagelfest ist, halten das Monopol auf Wasser in ihren gierigen Klauen. Wucherer mit kalten Seelen verpfänden ihres Opfers letztes Hemd und ziehen ihm noch die armseligste Hütte unterm Gesäße fort. In einem Ritterherz herrscht nobelste Gerechtigkeit, doch wessen muss es Zeuge sein? In dieser aller Wirklichkeiten schlimmster hat der zu Unrecht verurteilte Sträfling, der zu arm ist, sich einen Advocatus zu leisten, das Nachsehen und büßt unterm Beile des Henkers seinen Kopf ein. Es merkt sogar ein blinder Volltrottel: Die Güter dieser Welt sind ungerecht verteilt. Und Menschsein bedeutet mitnichten, die Kuh und den Hund und das Huhn nachzuäffen, essen kopulieren schlafen, Menschsein bedeutet, die Welt zu einem gerechteren Ort zu machen, ergo, das, was Gott verbockt hat, indem er das Böse erfand, auszugleichen. Denn wo beginnt Menschsein? Nicolas?

BARBIER Öh –

DON QUIJOTE Menschsein beginnt dort, wo die Natur aufhört.

Die Nichte applaudiert.

SANCHO Das war eine hirnerweichend schöne Rede, mir zittern jetzt noch die Synoden. Vor allem die Stelle mit dem Huhn hat meine Fantasie stark simuliert, in Richtung saftiges Brathuhn. Falls zufällig ein solches im Hause –

PFARRER Pscht! Ist es gestattet, eine gegenteilige Meinung zu äußern? Erstens. Gott hat ja wohl nichts verbockt. Das war der andere da, der Teufel! Zweitens. Das ist mir doch eine zu niedere Meinung von der Natur, die ja immerhin Mutter genannt wird. Und seit wann wären Mütterlichkeit und Menschlichkeit Gegensätze?

DON QUIJOTE Der Stärkere, der nicht aus eigener Leistung stärker ist, sondern bloß aus einer Laune deiner geliebten Natur heraus, muss seine Stärke zum Schutze des Schwächeren verwenden, sonst ist er kein Mensch, sondern ein Lumpenhund.

SANCHO Als Kind besaß ich einen Hund aus Lumpen, den ich über alles –

PFARRER Scht! Darum, Herr Alfons, zahlt der Stärkere schließlich Steuern.

DON QUIJOTE Steuern, Pfaffe, Steuern? Gerade von dir hätte ich in den Kategorien Empathie und Humanismus mehr erwartet.

PFARRER Ich bin ja auch dafür, den Armen zu geben. Aber muss man dafür seine gesamte Identität einem Wahn opfern?

DON QUIJOTE Wahn? Und das sagt einer, der in einer ziemlich albernen schwarzen Kutte vor mir sitzt und an die unbefleckte Empfängnis glaubt.

PFARRER Na na na, wir wollen unseren Streit nicht auf dem Rücken der Jungfrau Maria austragen.

SANCHO Ich kannte auch mal eine Maria, aber für eine Jungfrau lag sie ziemlich viel auf dem –

DON QUIJOTE Schluss!

Don Quijote reißt das Päckchen auf. Ein Ritterbuch.

DON QUIJOTE Ah, die Abenteuer des edlen Armadis von Gallien, verfasst vom nicht minder edlen Heinrich von Kastilien, in der Zeit seiner zwanzigjährigen Gefangenschaft im Castel del Monte! Der fehlte meiner Sammlung noch.

PFARRER / BARBIER / HAUSHÄLTERIN Uh!

HAUSHÄLTERIN Mit sechs las er seinen ersten Roman.

PFARRER Ab da ging's rasant bergab mit ihm.

BARBIER Ward nicht mehr gesehn im Sonnenlicht.

HAUSHÄLTERIN Hockte in der Stube, las sich das Gehirn zu Matsch.

PFARRER All die ausgedachten Erlebnisse dieser erfundenen Gestalten haben seinen Sinn für den Alltag verdorben.

BARBIER Literatur generell macht schon schwachsinnig. Aber Ritterromane machen regelrecht irre.

HAUSHÄLTERIN Vierundvierzig Jahre Fehl-Lektüre und das ist das Ergebnis.

BARBIER Wär der Herr Alfons lieber wie die anderen Jungs in die Fußballmannschaft eingetreten.

DON QUIJOTE So wie du, Barbier?

PFARRER Unser Nicolas. Ist auch lieber Daheim geblieben und hat seinen Puppen das Haar gekämmt.

BARBIER Na und? Diese früh entdeckte Leidenschaft führte wenigstens direkt in einen Broterwerb hinein. Wohingegen dem Herrn Alfons seine direkt in eine mentale Sackgasse führte.

HAUSHÄLTERINzum Pfarrer Leon, du nun auch kein Held auf dem Rasen, soweit ich mich erinnere. Hast am Rand gestanden und den Regenwürmern gepredigt.

PFARRER Na und? Diese früh entdeckte Begabung fürs Rhetorische führte direkt in eine Berufung hinein. Du, meine liebe Simone, hast dich in Teichen gespiegelt und geziert getan. Wolltest groß rauskommen im Vaudeville.

HAUSHÄLTERIN Tja. Träume sind Schäume.

PFARRER / BARBIER Träume sind Schäume!

NICHTE Ich, ich werd groß rauskommen. Wartet's ab.

DON QUIJOTE Hör ich da meine Gene flüstern? Ich möchte dich dringend darin bestärken, das Große zu wagen, Nichte. Unbesehen der Beschaffenheit des Großen, das du bewirken willst. Schau dich um. Betrachte sie dir gut, die Visagen. Das wird aus dir, wenn du das Große aus den Augen verlierst.

BARBIER Herr Alfons, das finden wir nun doch etwas überheblich. Ist es doch des Menschen Pflicht, seinen Platz zu finden in der Gemeinschaft und ihr mit sinnvoller Tat zu dienen.

DON QUIJOTEgähnt demonstrativ. Zu Sancho Reitet Ihr mit mir?

SANCHO Äh. Wozu?

DON QUIJOTE Um Abenteuer zu erleben.

SANCHO Da muss ich erst meine Frau fragen.

DON QUIJOTE Das kann auch der Herr Pfarrer übernehmen. Wenn wir weg sind.

SANCHO Dann kann sie sich ja nicht mehr dazu äußern.

DON QUIJOTE