VILLA DOLOROSA - Rebekka Kricheldorf - E-Book

VILLA DOLOROSA E-Book

Rebekka Kricheldorf

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Beschreibung

Irina feiert Geburtstag. Ein rauschendes Fest mit Tanz und vielen Gästen soll es werden. Doch Irina ist angeödet, die wenigen, die gekommen sind, sitzen auf dem Boden rum und Bruder Andrej hat seine neue, bereits schwangere Freundin mitgebracht. Auch Irinas Schwestern Olga und Mascha tragen nicht gerade zur Erheiterung bei: Mascha ist gefangen in einer lieblosen Ehe und verguckt sich prompt in Andrejs einzigen, verheirateten Freund Georg. Olga ist die Alleinverdienerin des Quartetts und muss die ganze Familie über Wasser halten. Denn das Erbe der Eltern ist längst zum Fenster hinausgeworfen und die Familienvilla marode. Doch Irina liegt davon unbeeindruckt im Bett und denkt über eine weitere Verlängerung ihres Studiums nach, obwohl sie sich noch nicht so recht fürs nächste Studienfach entscheiden kann. Auch in den beiden Folgejahren scheitert die traditionelle Geburtstagsfeier: an einer neuen Schwangerschaft, einer Affäre, Selbstmordversuchen, Schulden, Arbeits- und Perspektivlosigkeit – oder einfach an der falschen Musik und gar nicht erst eingeladenen Gästen. Der Zusammenhalt der Geschwister wird auf die Probe gestellt und am Ende bleibt die Frage: Brauche ich einen Plan B für mein Leben? Oder reicht auch eine Therapie?

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Seitenzahl: 99

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Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Theatertexte finden Sie auf unserer Websitewww.kiepenheuer-medien.de

© 2014Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH

Schweinfurthstraße 60, 14195 Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Sämtliche Rechte der öffentlichen Wiedergabe (u. a. Aufführungsrecht, Vortragsrecht, Recht der öffentlichen Zugänglichmachung und Senderecht) können ausschließlich von der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH erworben werden und bedürfen der ausdrücklichen vorherigen schriftlichen Zustimmung. Nicht genehmigte Verwertungen verletzen das Urheberrecht und können zivilrechtliche und ggf. auch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen.

ISBN978-3-7375-0051-7

Dieses Werk entstand als Auftragswerk des Theaterhauses Jena.

Personen

Irina Freudenbach, 28

Olga Freudenbach, 37

Mascha Klepstedt-Freudenbach, 25

Andrej Freudenbach, 38

Georg, 45

Janine, 20

Ort

Salon in einer Villa

Irinas 28. Geburtstag

Salon in der Villa. An den Wänden ein paar leere Bilderrahmen

IRINA Was für eine öde Party. Es wurde nicht getanzt. Vielleicht wurde nicht getanzt, weil die Musik zu öde war, ich weiß nicht, ich hab keine gute Musik, ich hör ja immer nur Opern. Nächstes Jahr mach ichs anders. Nächstes Jahr gibts ne richtige Party mit guter Musik. Und dann wird getanzt. Ich werd dafür sorgen, dass nächstes Jahr gute Musik da ist, damit getanzt wird, ich halts nicht mehr aus, dieses Sitzen, dieses Trinken, dieses Reden, diese sogenannten Parties, die keine sind, sondern Sit Ins, sitzen, im Kreis, sitzen, trinken, reden, das tun wir ständig, eine Party heißt Party, damit was anderes gemacht wird, getanzt zum Beispiel, tja. Wenn ich gute Musik hätte. Hab ich aber nicht. Nur Opern.

MASCHA Irina. Die Party ist noch nicht vorbei. Ich hab Musik. Drüben. Ich müsste nur schnell über die Straße rennen und ein paar CDs holen. Oder ich ruf Martin an, dass er welche rüberbringt.

IRINA Lass mal. Bemühe deinen Gatten nicht unnötig, der sicher schon im Pyjama in den Federn liegt und Hermann Hesse liest. Es ist eh keine richtige Party, denn es sind ja bloß Verwandte da. Bloß wieder: Nur Verwandte. Ich kenne einfach zu wenig Menschen.

OLGA Du kennst genug Menschen, du lädtst sie nur nicht ein, weil sie dir zu öde sind, wie du sagst, zu öde, alles ist dir zu öde, da musst du dich nicht wundern, wenn keine Party zustande kommt, wenn du keinen einlädst, weil dir alle zu öde sind, oder irre ich mich, sags mir, falls ich mich irre.

IRINA Olga. Hast du nicht gute Musik? Du musst doch Musik haben.

OLGA Klagte ich allerdings, dass ich bloß Öde träfe, so hätte dies Berechtigung, da ich tatsächlich nur solche treffe, in der Schule, öde Schüler, öde Lehrer, Tag für Tag diese Schafsgesichter, klagte ich, so klagte ich mit Berechtigung, aber du, in der Uni, lauter interessante Menschen, aber dir sind sie zu öde, weil du ein solcher Snob bist, dass jeder, der sich mit einem Eröffnungssatz an dich wendet, der kein schillerndes Bon Mot oder ein besonders kluger Witz ist, auf der Stelle durchfällt.

IRINA Du musst doch irgendwo Musik haben.

MASCHA Das Problem ist, dass sie gar nicht mehr hin geht, in die Uni, wann war sie denn da zum letzten Mal? Am Kühlschrank hängt ein Seminarplan, ganz umsonst hängt er da, er hängt da, ich kann ihn bereits auswendig, Montag zehn Uhr Dialektik der Aufklärung, Dienstag sechzehn Uhr Wahrheit und Sprache, Mittwoch fünfzehn Uhr Logik, Donnerstag vierzehn Uhr Das Sein und das Nichts, die liegt doch jeden Tag bis zwölf im Bett und grübelt, dann steht sie langsam auf und geistert herum in ihrem Nachthemd, in diesem Spitzennachthemd, das sie noch von Oma hat, geistert durch die Zimmer, trinkt Kaffee, schaut aus dem Fenster, raucht, hängt rum, hängt im Tag, hängt da wie ihr Seminarplan und vergilbt, genau wie er, gilbt vor sich hin, heute wird sie achtundzwanzig, gilb gilb.

IRINA Ich schmeiß euch gleich raus. Olga. Musik.

OLGA Früher, als ich so alt war wie du, da hatte ich jede Menge Musik. Ich war ganz verrückt nach Musik. Aber alles auf Platte. Ich habe eine riesige Plattensammlung, die ist aber im Keller. Du kannst gern runtergehen und die Kiste suchen, wenns dir Spaß macht. Tolle Musik, aber alles auf Platte.

IRINA Wir haben keinen Plattenspieler.

OLGA Doch, haben wir. Den alten, den Papa mir geschenkt hat damals. Steht auch im Keller. Kannst du suchen, wenns dir Spaß macht. Der Keller ist so voll, oh je, ich glaub nicht, dass du den findest. Ich geh da jetzt jedenfalls nicht runter und suche.

IRINA Hab keine Lust. Ist eh zu spät. Nächstes Jahr! Da geh ich ein paar Tage früher in den Keller und such die alten Platten und den Plattenspieler und der wird angeschlossen an riesige Boxen und dann: Gibt’s ne Party. Ne richtige.

OLGA Nächstes Jahr.

MASCHA/IRINA/OLGA Was du heute kannst besorgen, dass verschiebe ruhig auf morgen.

IRINA Zehn Menschen waren da. Zehn Menschen, und keiner hat getanzt. Alle haben nur Nudelsalat und Chips gefressen, sich ein paar Biere in den Rachen gekippt, öde Anekdoten aus ihren öden kleinen Leben erzählt und sind dann früh nach Hause gegangen. Nächstes Jahr mach ichs anders. Ich lade hundert Menschen ein und es gibt richtige Musik, hundert Menschen minus den zehn von heute, die taugen nichts.

MASCHA Pack deine Geschenke endlich aus.

IRINA Geschenke. Oh je.

OLGA Na los.

Irina packt Geschenk aus. Ein Bilderrahmen aus Holz

IRINA Andrej!

Andrej kommt.

IRINA Danke. Ich häng ihn gleich zu den anderen.

stehtauf und nagelt den Rahmen zu den anderen an die Wand

ANDREJ Den hab ich selbst geschnitzt.

OLGA/MASCHA/IRINA Wissen wir!

IRINA Bleib, bleib, bleib. Trink mit uns.

ANDREJ Mein Roman. ab

MASCHA Roman. Wie lange schreibt er schon an seinem Roman?

OLGA Er hat noch nicht mal angefangen. Er ist noch am Konzept.

IRINA Das Genie der Familie. Wenigstens einer, der was tut.

OLGA Zu tun vorgibt. Und ich bittschön, was mach ich? Ich bin die einzige in dieser Familie die arbeitet, oder irre ich mich, sagts mir, falls ich ich irre. Und es macht mich nur fertig. Jeden Tag diese Gesichter, die mit leeren Augen in ihre glanzlose Zukunft starren, und dann steh da mal vorne und erzähl was von Kafka, von Kleist, von Lenz, und stell eine einfache Frage, ganz simpel, so was wie nenn mal einer ein Lieblingsmotiv, ein Lieblingsmotiv von beispielsweise Borchert, und Stille herrscht, dröge Schafsstille, und dann zuckt ein Finger hoch und du freust dich, dass wenigstens einer, einer noch wach ist, und dann nimmst du ihn dran und kriegst zu hören, darf ich mal aufs Klo, und am liebsten sagtest du jetzt, gern Jonas, und wenn du schon dort bist kannst du dich gleich im Pissoir ersäufen, auf dich wartet eh keine Zukunft, die besser ist als die Gegenwart, verlasse diesen Planeten lieber jetzt, dann sparst du dir viele tausend Stunden Leerlauf, aber das darfst du nicht, du bist ja die Autoritätsperson, die positive Werte vemitteln muss, hätt ich nur einen Zahnarzt geheiratet, schön die Bude dekoriert und dann shoppen gegangen, von jeder Mission befreit, aber Scheiße, zu spät, dazu bin ich zu klug, und zu alt, ich bin schon siebenunddreißig, Scheiße, bald werd ich vierzig, dann wird aber so was von gefeiert, aber bloß ich, ich allein, irgendwo auf Gomera, ihr, ihr seid auf keinen Fall, auf gar keinen Fall eingeladen.

Irina packt Geschenk aus.

IRINA „Die Chronik des Schiller-Gymnasiums von achtzehnhundertsiebzig bis zweitausend von Martin Klepstedt.“ Na toll. Das habt ihr mir schon letztes Jahr geschenkt.

MASCHA Echt? Hab ich vergessen.

IRINA Darüber hinaus ist es mies geschrieben. Kannst du Martin gern mal sagen.

MASCHA Dabei hat er sich so damit abgemüht.

IRINA Mühe allein reicht halt nicht. Kannst du Martin gern mal sagen.

OLGA Ich fürchte, dass sie mich zur Direktorin wählen werden, nur, weil kein anderer da ist, denn dieses Kollegium, dieses gesamte Kollegium, sorry Mascha, inklusive deines Gatten, ist so was von schlicht, ich kann ja nichts dafür dass ich die Beste bin, ich tu gar nichts, streng mich nicht groß an und bin trotzdem die Beste, weil alle anderen so schlicht sind, das kommt davon, dass man uns so gebildet hat, dass wir so kluge Eltern hatten, ein Elend. Jetzt sitzt man da mit seiner Bildung und Feingeistigkeit und ist allein, und dann wählen sie einen noch zur Direktorin, weil kein anderer da ist, das bedeutet bloß mehr Arbeit, ich hätte niemals anfangen dürfen mit dieser Arbeiterei, jetzt komm ich aus der Nummer nicht mehr raus. Irina, mach bloß nicht denselben Fehler, du hast doch so viele reiche Verehrer, such dir einen aus und heirate, dann wird alles gut, ich kann nicht mehr, ich bin schon fast vierzig, was ist mit diesem Jens, warum hast du den nicht eingeladen?

IRINA Jens, Jens, Jens. Der ist mir zu öde.

OLGA Aber er gibt nicht auf.

IRINA Und dafür soll ich ihn jetzt belohnen, für seine Hartnäckigkeit? Wer am längsten durchhält, gewinnt den Blumentopf?

OLGA Ich mag solche Männer. Die wissen, was sie wollen. Die sich nicht so leicht abbringen lassen.

IRINA Dann nimm du ihn doch.

Andrej streckt den Kopf zur Tür rein.

ANDREJ Ich hab noch einen Freund eingeladen. Ich glaube aber, der kommt nicht mehr.

ab

OLGA Ich wäre froh, wenn sich überhaupt jemand für mich interessierte, und du bist dermaßen wählerisch –

IRINA Jens oder Sven oder Jan oder Gerd, immer dasselbe Modell, immer diese jungen Dozenten, diese gebildeten Männer, blass und ungelenk, die sich bewegen, als hätten sie ihren Körper erst seit gestern, die klug daherreden und witzig sind, na toll, aber dürr wie Äste und verkrampft, die hoffen, dass ich sie erotisch erlöse, Irina, du bist so lebendig, ich kanns nicht mehr hören, dabei bin ich innerlich dermaßen tot und bräuchte selbst einen, der mich wiederbelebt. Die können auch alle nicht tanzen. Was soll ich mit einem Mann, der sich nicht bewegen kann, dem seine Gliedmaßen am Rumpf herunterhängen wie angenäht. Ach nee du. Und immer so leicht zu begeistern, das ödet mich an, ob nun Sven oder Jan oder Gerd, jetzt halt Jens, schon wieder so einer, ja, er ist nett, ja, er ist klug und alles, ich mag ihn, aber hätt ich ihn heut eingeladen hätt er sich Hoffnungen gemacht und es ist so ermüdend, ständig die Erwartungen zu enttäuschen, die man entfacht hat, warum auch immer, dabei steh ich meist nur so rum.

packtGeschenkaus

IRINA Ein Samowar. Wer schenkt mir so einen Müll? Olga.

OLGA Immerhin besser als der Mann zum Selberbacken, den du mir zu meinem Siebenunddreißigsten geschenkt hast.

IRINA Ja, ja, das fandst du überhaupt nicht lustig. Und dieser Samowar ist jetzt die Revanche. Krieg der Präsente, Teil vier: Käptn Killer-Kitsch greift an. Mir reichts. Den Rest mach ich nicht auf.

Andrej streckt den Kopf zur Tür rein.

ANDREJ Falls dieser Freund noch kommen sollte: Er heißt Georg und ist ein sehr netter Typ. Allerdings hat er große Probleme. Mit seiner Frau. Die macht ständig malt Anführungszeichen in die Luft Selbstmord. Wenn ihr mich fragt: Die ist nicht depressiv. Die macht nur Terror. Aufmerksamkeits-Terror. Und er fällt drauf rein. Ich würd so eine sofort sitzen lassen. Sofort. Aber er ist zu weich. Armer Kerl.

verschwindet

OLGA Seit wann hat Andrej Freunde?

Andrej streckt den Kopf zur Tür rein.

ANDREJ Falls er kommt: Sagt bloß nicht, dass ich euch das gesagt hab. Das mit seiner Frau.

verschwindet

MASCHA Er ist verliebt. Ich hab ihn vorgestern im Park gesehen. Mit einer, mit einer, was soll ich sagen, sagen wir: sehr bunten Person. Ich fang mal unten an. Rosa Schuhe. Solche Absätze macht Geste Drüber ein Rot-gelb geblümtes Kleid, so ein Kleid, das es im Kik-Textil-Discount auf dem Wühltisch gibt, na ja, also dann hatte sie noch goldene Haarspangen, ganz schlimm. Und Andrej latscht bei ihr untergehakt durch den Park wie so ein frisch geduschter Kleinbürger, so ein nach Billigseife duftender Stiesel, ganz verwandelt, unser Bruder, tja, wo die Liebe hinfällt, wächst kein Gras mehr.

IRINA Vielleicht war es eine Nutte.