Das Haus auf Monkey Island - Rebekka Kricheldorf - E-Book

Das Haus auf Monkey Island E-Book

Rebekka Kricheldorf

0,0

Beschreibung

Die Küche eines Hauses auf einer einsamen Insel im Pazifik beherbergt ein Expertenteam: Die Psychologin Kristina, Hannes, den Soziologen, André, den Master of Manipulation mit Schwerpunkt Neuro-Ökonomie und Ann, die Neurobiologin. Sie sind Gäste des Unternehmens Animalsdelight und sie sollen das fast Unmögliche schaffen: Die perfekte Vermarktung künstlich erzeugten Fleisches. Gelänge es ihnen, dann müsste fortan kein Vierbeiner für einen Burger sein Leben lassen, das Weltklima würde sich schlagartig verbessern und der Applaus der Menschheit ob der hohen ethischen Wertigkeit ihres Tuns wäre dem Expertenteam sicher. Allein: der in vitro Burger kostet zehnmal soviel wie sein tierisches Original und es bedarf somit aller Anstrengungen, das Belohnungszentrum des menschlichen Gehirns dergestalt zu manipulieren, dass ein Paradigmenwechsel stattfinden kann. Was Ann, André, Hannes und Kristina aber nicht wissen: Sie sind ein Teil des Experiments. Denn Das Haus auf Monkey Island ist ein Smart House, das den tiefen Bedürfnissen seiner Bewohner mühelos auf die Spur kommt. Das betrifft nicht nur die Lieblingssorte Kartoffel-Chips oder die musikalische Untermalung der morgendlichen Dusche, auch bei der Auswahl des ersehnten Porno-Kanals oder der Droge für zwischendurch ist der "Geist des Hauses" behilflich. Mehr und mehr begreifen die vier, in welcher Situation sie sich befinden und müssen feststellen, dass ein Spaß ohne Ende auch das Ende durch Spaß bedeuten kann. Denn der Algorithmus wertet nicht…

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 83

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Theatertexte finden Sie auf unserer Website www.kiepenheuer-medien.de

© 2019 Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH

Schweinfurthstraße 60, 14195 Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Sämtliche Rechte der öffentlichen Wiedergabe (u. a. Aufführungsrecht, Vortragsrecht, Recht der öffentlichen Zugänglichmachung und Senderecht) können ausschließlich von der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH erworben werden und bedürfen der ausdrücklichen vorherigen schriftlichen Zustimmung. Nicht genehmigte Verwertungen verletzen das Urheberrecht und können zivilrechtliche und ggf. auch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen.

Personen:

ANN, ca. 30

KRISTINA, ca. 50

HANNES, ca. 50

ANDRE, ca. 35

ORT Küche eines Hauses auf einer Insel im Pazifik

Prolog

HANNES' STIMME Wie bin ich hierhergekommen? Welche Taten, welche Unterlassungen, verpassten und ergriffenen Chancen, Akte des Willens und Akte der Willkür haben mich in genau diese Gegenwart geführt und zu dem gemacht, der ich jetzt bin? Schritt für Schritt, Wiederholung um Wiederholung, Routine um Routine wurde ich immer unumkehrbarer zu dem, mit dem ich nun zu leben habe. Was in mir brachte mich dazu, die Rituale zu pflegen, die ich pflege, die Überzeugungen zu leben, die ich lebe, die Sprache zu sprechen, die ich spreche? Bin ich tatsächlich das Beste, was aus mir zu machen war? Gibt es eine Möglichkeit der Umkehr? Und wenn ja, wozu? Wohin umkehren, was anders machen, wer werden, wer sein, statt meiner? Ich wanke ziellos durch die Welt und die Entourage der Geister folgt mir, die körperlosen Umrisse meiner Schatten-Persönlichkeiten, der möglich gewesenen, aber verworfenen Ichs. Die Alternativ-Hannesse, die nie entwickelt wurden, die verkümmerten, weil ich mich an vielen kleinen Kreuzungen anders entschieden habe. Bin ich die Summe meiner Versäumnisse? Hätte ich zu einer Zeit X ein anderes Buch gelesen, eine andere Bar besucht, eine andere Frau geküsst, ein Zugticket in eine andere Stadt gebucht – ich wäre ein anderer geworden. Ich wäre ein anderer.

EINS / ANKOMMEN

1.

Küche. Hannes am Tisch, spielt Gitarre und raucht. Fängt an, zum Geklampfe zu singen. Eine Rock-Ballade aus den Siebzigern. Lässt den Blick schweifen. Entdeckt den Rauchmelder an der Decke.

HANNES Scheiße!

Springt auf, tritt die Kippe aus, klettert auf einen Stuhl und schraubt hektisch den Rauchmelder ab.

Ann kommt, holt sich einen Kaffee.

HANNES Scheiß Rauchmelder!

ANN Das ist kein Rauchmelder. Das ist ein Kohlenmonoxidmelder.

HANNES Ist doch dasselbe.

ANN Rauchmelder messen die optische Durchlässigkeit der Luft. Kohlenmonoxidmelder messen das Überschreiten eines Grenzwerts der Verbrennungsgase. Wenn das für dich dasselbe ist, bitte.

Ab. Kristina kommt. Beginnt, alle Schränke aufzureißen.

HANNES Was suchst du?

KRISTINA Einen Smoothie-Maker.

HANNES Einen WAS?

KRISTINA Smoothie-Maker.

Schweigen.

Hannes klettert vom Stuhl, setzt sich wieder hin, zündet sich die nächste Kippe an und klampft weiter. Kristina hat einen Smoothie-Maker gefunden. Sie holt Obst aus der Obstschale, wirft es in den Smoothie-Maker und schaltet ihn ein. Ohrenbetäubender Krach. Hannes lässt die Gitarre sinken. André kommt, in perfekter Joggingausrüstung, dehnt sich.

ANDRE Ganz schön laut!

KRISTINA Was?

ANDRE Ganz schön laut, das Gerät!

KRISTINA Ja! Sorry! Ist gleich vorbei!

Stellt den Smoothie-Maker ab, gießt sich einen Smoothie ein.

KRISTINA Auch einen?

ANDRE Danke. Nicht vor dem Training. Fummelt an seinem Self-Tracker.

KRISTINA Was ist das fürn Ding?

ANDRE Eine Fitness-Uhr. Die misst über Sensoren meine Körperdaten.

HANNES Du gehst laufen? Bei diesen Temperaturen?

ANDRE Du rauchst noch? In deinem Alter? Ab.

Kristina lacht.

HANNES Ab wann wurde der Konsum von Obst-Matsch eigentlich so populär?

KRISTINA Du wohl mehr so der Mettbrötchen-Typ, was?

Schweigen. Hannes grinst und klampft.

KRISTINA Da ist so ein Schalter. Soll ich mal draufdrücken?

HANNES Curiosity kills the cat.

KRISTINA But satisfaction brought it back. Drückt auf den Schalter. Leise rumpelnd fährt ein Rollladen hoch. Ein riesiges Panorama-Fenster mit Blick auf einen traumhaften Strand wird sichtbar.

HANNES Wow. Monkey Island, ich liebe dich.

KRISTINA Ein Arbeitsplatz im Paradies.

HANNES Und der Werbefuzzi rennt jetzt da draußen rum. Bei vierzig Grad im Schatten.

KRISTINA Wenn's ihm was gibt?

Ann kommt.

ANN Wir sollten langsam mal eine Strategie entwickeln.

KRISTINA Hast du die Wahnsinns-Aussicht gesehen?

ANN Sonne. Palmen. Strand. Sehr hübsch. Wo ist André?

HANNES Ann, entspann dich. Wir sind gerade erst angekommen.

ANN Je schneller wir anfangen, desto schneller sind wir fertig. Je schneller wir fertig sind, desto schneller sind wir hier wieder weg.

KRISTINA Dass es Leute gibt, die von hier schnell wieder weg wollen –

ANN Leute, die ein Leben haben. Wo ist André?

HANNES Freiluft-Sport.

ANN Spinner. Meeting in einer Stunde?

HANNES Ok.

KRISTINA Ay ay, Captain.

Ann ab.

KRISTINA Dieser Neuro-Nazi geht mir jetzt schon auf den Sack.

HANNES Du hast keinen Sack. Also, nehm ich jetzt mal an.

KRISTINAgrinst Wer weiß, wer weiß. Du wirst es nie erfahren.

Schweigen.

HANNES Also, ich finde, dass Ann extrem gut organisiert wirkt. Solche Leute brauchen wir im Team.

KRISTINA Ich sag immer: Sympathie schlägt Kompetenz.

HANNES Gefährliches Konzept.

KRISTINA Ja. Hat mir schon zwei Beziehungen ruiniert. Aber ich geb nicht auf.

HANNES Wie wär's statt eines sympathischen Inkompetenten oder eines kompetenten Unsympathen mal mit einem sympathischen Kompetenten?

KRISTINA Gibt's leider selten im Angebot. Vor allem in der Ausführung mit Schwanz.

HANNES Tut mir leid.

KRISTINA Fühlst du dich verantwortlich? Du kannst doch nichts für die Defizite deines gesamten Geschlechts.

Ann rennt vorbei.

ANN Und was ist das hier? Kaffeepäuschen, bevor überhaupt erst angefangen wurde? Ab.

KRISTINA Tja. Die einen nennen es organisiert, die anderen Stock im Arsch.

HANNES Ja, ok, sie wirkt ein bisschen, als hätte sie zu viele Fleißbienchen im Sammelheft. Aber der Druck auf Frauen, ständig ihr Können zu beweisen, ist immer noch viel größer, vor allem in so männlich dominierten Bereichen wie der Hirnforschung.

KRISTINA Du nimmst sie nur in Schutz, weil du ein bisschen auf sie stehst.

HANNES Nee. Nicht mein Typ.

KRISTINA Aha. Deine Objektwahl ist wohl mehr narzisstisch.

HANNES Legst du bitte deinen inneren Freud wieder an die Leine? Ich bin längst austherapiert.

KRISTINA So, so.

HANNES Aber ich gebe zu, dass ich durchaus zur jüngeren Frau neige.

KRISTINA Wusst ich's doch. Ich sag immer: Leben, überrasch mich mal! Aber das Leben so: Nö.

André kommt mit knallrotem Gesicht.

ANDRE Viel zu heiß. Holt Wasser, trinkt.

KRISTINA Junge, warum quälst du dich so? Wir haben einen perfekt ausgestatteten Fitness-Raum im Keller. Klimatisiert.

ANDRE Weiß ich.

KRISTINA Dann nutz ihn doch, diesen Fitness-Raum.

ANDRE Ja, Mama. Mach ich. Fummelt an seinem Self-Tracker.

HANNES Sie lesen Ihre Uhr und Ihre Uhr liest sie.

ANDRE Was?

HANNES Werbeslogan für Self-Tracker von Apple. Schweigen. Sport ist Mord. Zündet sich eine Zigarette an. André schaut ihn lange scharf an.

ANDRE Krieg ich einen Zug?

HANNES Du kannst auch gern ne Ganze haben.

ANDRE Danke. Ein Zug reicht.

Hannes reicht ihm die Kippe, André zieht daran und gibt sie Hannes zurück.

Schweigen.

ANDREzu Kristina Was denn?

KRISTINA Was sammelt das Ding da eigentlich alles?

ANDRE Blutzuckerwerte, Körperfettanteil, verbrannte Kalorien, zurückgelegte Schritte, Herzfrequenz –

KRISTINA Wow. Und wohin gehen diese Daten?

ANDRE An meinen PC.

KRISTINA Und wohin noch?

ANDRE Wie, wohin noch? Zu den Illuminaten natürlich, die damit die Weltherrschaft an sich reißen.

Ann kommt.

ANNwedelt den Rauch weg. Puh. Da züchtet aber jemand wieder kräftig nikotinische Azetylcholinrezeptoren. Setzt sich. Also, das Wasserbett find ich schon cool. Ich wollte immer ein Wasserbett. Und jetzt, zack, hab ich eins im Zimmer.

HANNES Welches Wasserbett?

ANN Habt ihr kein Wasserbett?

KRISTINA Nö.

HANNES Nein.

ANDRE Nee.

ANN Tja. Da hab ich mir wohl das beste Zimmer unter den Nagel gerissen, sorry.

KRISTINA Ich steh gar nicht so auf Wasserbetten.

HANNES Ich auch nicht.

ANDRE Kann ich auch drauf verzichten.

Schweigen.

ANDRE Ich find ja den Massage-Stuhl viel besser. Hab ich gleich gepostet.

HANNES/ ANN / KRISTINA Hä?

ANDRE Habt ihr etwa nicht? Tja.

HANNES Ein großartiger Arbeitsplatz! Eine Insel ganz für uns allein! Und diese unfassbare Kohle, die die uns zahlen.

ANN Tja, wenn man von Ling Ka Shing gesponsert wird –

ANDRE Ling who?

ANN Ka Shing. Achtreichster Mann Chinas. Finanziert Animalsdelight. Und somit auch uns.

KRISTINA Ach, Kohle, Kohle, Kohle! Kohle interessiert mich nicht.

HANNES Und das sollen wir dir glauben?

KRISTINA Die Glück-Geld-Korrelation ist längst widerlegt, mein Freund.

HANNES Sag das mal der armen Sau, die den ganzen Tag bei McDonalds an der Fritteuse steht.

KRISTINA Ich rede nicht von den Armen. Ich rede von dir und mir.

HANNES Woher willst du wissen, dass ich nicht arm bin?

KRISTINA Die Wachstumsrate eines jeden geldbasierten Glücksgefühls stagniert bei einem Jahreseinkommen von Siebzigtausend Euro. Erzähl mir nicht, dass du fette Wohlstandsmade da drunter liegst.

ANDRE Oh Gott, wir haben eine Systemkritikerin unter uns.

HANNES Ich verbitte mir sämtliche Madenvergleiche. Ich weiß, dass ich ein paar Kilo abnehmen könnte. Es gibt aber charmantere Arten, mir das zu sagen.

KRISTINA Sei nicht so ne Snowflake, Hannes. Was ich sagen wollte, ist: Wie wär's zur Abwechslung mal mit einer Glück-Sinn-Korrelation?

Ann, André und Hannes stöhnen.

ANDRE Muss ich diesen Sinnvoll-Leben-Kitsch jetzt wochenlang ertragen?

KRISTINA Ich nehm normalerweise keine Jobs in der freien Wirtschaft an.

ANDRE Sieht man.

KRISTINA Aber hier hab ich das Gefühl, Teil von was wirklich Sinnvollem zu sein. Einer Weltrevolution!

ANN Na na na –

KRISTINA Na klar, was sonst? Genau das passiert hier. Ist euch überhaupt bewusst, was das hier bedeutet? Die Ausmaße? Die Tragweite? Was passiert, wenn wir Erfolg haben? Wie viel Regenwald gerettet, wie viel Methangase eingespart –

ANDRE Wenn ich noch einmal das Argument der furzenden Kühe hören muss –

KRISTINA Wenn dir die Klimafolgen schon egal sind, dann interessiert dich ja vielleicht der ethische Aspekt. Wie viel Tierleid vermieden wird, wenn man die Möglichkeit, Fleisch im Labor zu züchten –

ANDRE Ist mir doch wurscht. Ich bin hier, weil mich die marketingstrategische Herausforderung kickt. Das ist was anderes, als ne neue Sorte Streichschokolade zu vermarkten.

ANN Mein Motor war und ist immer nur: Neugier.

HANNES Sie würde ihre eigene Großmutter sezieren, könnte sie dabei was Neues rausfinden.

ANN Ich würde mich sogar selbst sezieren, könnte ich dabei was Neues rausfinden.

HANNES Und ich, ich geb's zu, bin hauptsächlich wegen der Kohle hier.

Kristina stöhnt.

HANNES