IN DER FREMDE - Rebekka Kricheldorf - E-Book

IN DER FREMDE E-Book

Rebekka Kricheldorf

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Beschreibung

Irgendwo eine Bar IN DER FREMDE. Die Menschen kommen und gehen, die Barmänner und –frauen bleiben. Sie alle haben die Heimat verlassen, weil sie nur IN DER FREMDE finden, was sie in der Heimat vermissen: Den ungehemmten Sex. Da ist Hank, der Boys verbraucht wie kein anderer und dabei die Sorge nicht los wird, seine Eltern könnten einen Geheimdienst mit seiner Entführung beauftragen. Da ist die verwitwete Gräfin, die nach vielen frustrierenden Ehejahren – Sex nur im Dunkeln – ihre Liebhaber per Katalog auswählt , denn zwei pro Nacht müssen es sein und da ist Maja, die eigentlich nur den einen will, Ricardo, aber allen anderen zur Verfügung steht, weil Ricardo ein anderes Objekt der Begierde hat. In dieses Idyll von Angebot und Nachfrage dringen Franzi und Clemens ein. Beide auf Weltreise, sie im Augenblick jedoch auf der Flucht vor einer handgreiflichen Machogesellschaft, er, der zwanzig Jahre ältere Professor mit einem ersten Roman auf der Festplatte. Beide bekommen in Rebekka Kricheldorfs Stück eine Lektion fürs Leben. Was sie daraus lernen, behält das Stück nicht für sich. Es werfe – so das Deutsche Theater Göttingen, das dieses Stück in Auftrag gegeben hat – "einen Blick auf verschiedene Versuche, seine exotisch-erotischen Sehnsüchte im Ausland zu befriedigen. Es beleuchtet die verwischende Grenze zwischen Liebelei und Sextourismus, Gefühl und Geschäft." Das hört sich nach einem aufregenden Leseerlebnis und einem sinnenreichen Theaterabend an – auf in die Fremde!

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Seitenzahl: 74

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Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Theatertexte finden Sie auf unserer Websitewww.kiepenheuer-medien.de

© 2015Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH

Schweinfurthstraße 60, 14195 Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Sämtliche Rechte der öffentlichen Wiedergabe (u. a. Aufführungsrecht, Vortragsrecht, Recht der öffentlichen Zugänglichmachung und Senderecht) können ausschließlich von der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH erworben werden und bedürfen der ausdrücklichen vorherigen schriftlichen Zustimmung. Nicht genehmigte Verwertungen verletzen das Urheberrecht und können zivilrechtliche und ggf. auch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen.

ISBN978-3-7375-5599-9

PERSONEN

ERSTER MANN, ungefähr 42

Hank / die Gräfin / Jean-Luc der Barmann

ERSTE FRAU, ungefähr 38

Lester der Barmann / Rosie die Barfrau / Maja / Sven der Cocktailmixer

ZWEITER MANN, ungefähr 45

Der Mann mit der weißen Weste / Der verschlissene Hans / Clemens / Jens der Cocktailmixer

ZWEITE FRAU, ungefähr 24

Curtis / Rita / Der Mann mit der Mappe / Franzi

ORT

Eine Bar in der Fremde

Dieses Werk ist eine Auftragsarbeit des Deutschen Theaters Göttingen.

INTERZONE / PARANOIA CITY

1.

Bar. An der Wand allerhand Kolonial-Ramsch, Jagdtrophäen, ein Gewehr, an der Decke ein Ventilator, an der Seite eine Jukebox, ein Münztelefon. Hinter dem Tresen Lester der Barmann, vorne im Sessel Hank, in weißem Leinenanzug und weißem Hut.

HANKschaut aus dem Fenster Geld und Jugend. Pause Macht und Schönheit. Pause Schutz und Unschuld. Immobilien und gebärfreudiges Becken. Besitzstandswahrende Maßnahme. Intellektueller Gleichklang bei völligem Mangel an erotischer Anziehung. Hirnerweichendes, erotisches Verfallensein bei völligem Mangel an intellektuellem Gleichklang. Pause Vom Erzeuger-Duo eingefädelt, inzwischen sind Kinder da, passt schon, scheiß drauf, was solls. Pause Wie deutlich man auf den ersten Blick erkennen kann, was Paare zusammenhält.

LESTER DER BARMANNhustet ein schreckliches, fast schon kotzendes Husten.

HANK Ich korrigiere mich. Zu erkennen glaubt. Er greift hinter den Sessel, holt eine Bong hervor und saugt blubbernd an ihr. Heute tu ich mal: Nichts. Allerdings unterscheidet sich das Nichts, das ich heute zu tun gedenke, in seinen hervorstechendsten Qualitätsmerkmalen von dem Nichts, das ich gestern tat. Pause Das heutige Nichts ist ein bekifftes Nichts, ein nahezu von allem Tatendrang befreites Nichts, ein Nichts, das mich wohlig in den Sessel drückt, während das gestrige ein betrunkenes Nichts war, das sich gefährlich nah an der Nahtstelle zur Schwermut bewegte. Das heutige Nichts ist ein kognitives, assoziativ-mäanderndes, das zu großen Gedanken einlädt. Pause Und somit schon wieder weniger Nichts ist als Etwas, und zwar: Denken. Nachdenken. Nein. Nachdenken ist was für Hinterherdenker. Bin ich ein Hinterherdenker? Nein, ich bin ein Vornewegdenker. Hast du schon mal irgendwas vorneweg gedacht?

LESTERhustet.

HANK Fühlt sich toll an. Wie eine Entjungferung. Wenn ich nur ein Wort hätte, um Glück zu definieren, was würde ich sagen? Was würde ich sagen? Pause Was würde ich sagen? Komplette Abwesenheit von sozialer Kontrolle.

LESTERhustet.

HANK Hast Recht, strenggenommen ist das kein Wort, sondern ein Satz, aber du musst zugeben, dass es ein Satz ist, der wie ein Wort wirkt. Pause Wirken jetzt als Wirken gemeint und nicht als Wirken. Frauen sind überflüssig. Pause Wenn man sie nicht begehrt, bleibt nichts übrig, warum man sich für sie interessieren sollte.

LESTERkrächzt heiser Na na na na na.

HANK Auf den ersten Blick mag es praktisch sein, direkt unter einem Boy-Bordell zu wohnen. Aber man wird sie nicht mehr los, die kleinen, braunen Zecken. Machen sich auf der Veranda breit. Laufen in deinen Hemden rum. Laden die ganze Sippschaft ein. Sugardaddy hat's ja. Du bist fein raus. Du hast dir den Schwanz bereits erfolgreich weich gesoffen. Pause.Er nimmt einen Zug aus der Bong. Das Problem mit dem Dope ist diese verdammte Libido-Steigerung. Seit ich vom Junk runter bin, treib ich's wie ein Rudel Karnickel.

LESTERkrächzt heiser Ja ja ja ja ja.

HANK Junk bringt einen um, aber dafür hat man untenrum Ruhe. Pause Nach einem Schuss, da geht gar nichts mehr. Klappe zu, Affe tot. Pause Wunderbar. Pause Kommt mich unterm Strich billiger. Ein Boy kostet mich zwar nur einen müden Dollar, aber das Neomycin! Teurer Spaß. Und ohne mach ich's nicht. Nicht mit denen. Die sind verseucht. Durch und durch verseucht. Pause Da kann ich auch gleich in ne tote Ratte beißen. Nichts ist wahr und alles ist erlaubt, sprach Hasan I Sabbah und hatte Recht. Kennst du schon meine neueste Erfindung, den Boy, der sich in Luft auflöst, nachdem ich einen Orgasmus hatte?

LESTERhustet.

HANKsteht auf, nimmt das Gewehr von der Wand, setzt sich und fängt an, es zu putzen. Es wird mal wieder Zeit, ein Einhorn zu schießen.

Der Mann mit derweißen Weste betritt die Bar.

WEISSE WESTE Entschuldigung. Bis wann haben Sie geöffnet?

HANK Bis der Barmann vom Hocker fällt.

WEISSE WESTE Und um wie viel Uhr ist damit zu rechnen?

HANK Mal früher, mal später.

WEISSE WESTEbetrachtet das Gewehr. Betrachtet Hank Borovnik dreiundsechzig Kipplauf Kaliber sieben mal fünfundsechzig?

HANK Yes, Sir. Schauen Sie sich ruhig um. Alle Einhörner, die von der Decke hängen, hab ich mit diesem Darling selbst erlegt.

WEISSE WESTE Hier hängen keine Einhörner.

HANK Was, keine Einhörner? seufzt und steht auf Verzeihung, dass ich Sie nun sich selbst und ihrem dünnen Intellekt überlassen muss. Aber ich habe heute sehr, sehr viel gekifft. Und kiffen macht mich sehr, sehr geil. Und auf meiner Veranda wartet mein Lieblingsboy. Mindestens. Inshallah. ab

WEISSE WESTE Was war denn das für'n Arsch?

LESTERhustet.

WEISSE WESTE Ein Glas Wasser, bitte.

LESTERkrächzt heiser Was?

WEISSE WESTE Ein Glas Wasser, bitte.

LESTERhustet. Schenkt ihm ein Glas voll und knallt es vor ihn hin. Pause

WEISSE WESTE Ein interessanter Ort. Viele weiße Männer, die in Caféhäusern sitzen und nichts tun. Ein wahres Paradies.

LESTERkrächzt heiser Homo-Paradies.

WEISSE WESTE Bitte? Pause Ich hab noch keinen einzigen Hellhäutigen hier irgendwas arbeiten sehen.

LESTERkrächzt heiser Ich. Ich arbeite.

Pause

WEISSE WESTE Ich hab hier ne Villa von meinem Großvater geerbt. Pause Die wollt ich mir mal ansehn. Pause Mein Großvater war Gewürzexporteur. Er hat gearbeitet. War nicht zu seinem Spaß hier.

LESTERkrächzt heiser Wers glaubt.

WEISSE WESTE Bitte? Pause Gibts hier überhaupt so was wie eine Regierung? Eine Justiz? Eine Polizei?

LESTERkrächzt heiser Wir brauchen hier kein Über-Ich in Form einer daddyhaften autoritären Staatsmacht. Wir passen auf uns selbst auf.

WEISSE WESTE Und das funktioniert?

LESTERkrächzt heiser Funktioniert.

WEISSE WESTEbreitet eine Landkarte auf dem Tresen aus Hier. Hier ist die Villa, die ich von meinem Großvater geerbt habe.

LESTERkrächzt heiser Na das ist ja mal spannend.

WEISSE WESTE Bitte?

LESTERkrächzt heiser Sorry, wir schließen jetzt.

WEISSE WESTE Bitte?

LESTERmacht mit den Händen verscheuchende Bewegungen undkrächzt heiser Raus, mein Freund.

WEISSE WESTE Es ist noch nicht mal acht. ab

LESTERkrächzt heiser Na und?

2.

Lester, Curtis, Hank. Auf dem Tresen steht eine Rose im Glas.

CURTIS Wir könnten eine Tanzbar eröffnen. Also, nicht so ne Saufklitsche wie hier. Was richtig Schickes! Gehobenes Ambiente. Mit sogar Livemusik.

LESTERkrächzt heiser Oder Import/ Export.

CURTIS Seit ich ein kleiner Junge war, träume ich von einen Schuhgeschäft. Meint ihr, es gäbe hier Bedarf? Also, für unsereiner, den in der Fremde hängengebliebenen Expat, den alles, alles verlassen hat, außer seinem Anspruch. Dem runtergekommenen Bohèmien-Gentleman. Nicht für den Einheimischen, der glücklich rumschlurft in seinen Kamellederschlappen.

LESTERkrächzt heiser Oder Import/Export.

HANK Ja, Import/ Export. Wir könnten dick ins Reliquien-Geschäft einsteigen. Wir könnten in Äthyl eingelegte Sackratten nach Idaho verschiffen und sie dort als die Sackratten des heiligen Christopherus verscherbeln. Nein. Wir dressieren eine Bande Syphillis-Bazillen und gehen mit ihnen auf Tournee als der weltweit erste Bazillen-Zirkus. Stellt euch vor: Bazillen, die durch mikroskopisch kleine Feuerreifen hupfen, mikroskopisch kleine Wägelchen ziehen und so weiter. Nein. Wir kratzen den moribunden Bettlern den Schorf von den grindigen Schädeln, füllen ihn in hübsche Döschen und verkaufen ihn den Feinschmeckern in St. Louis als Perigord-Trüffel.

LESTERhustet.

CURTIS Du verdirbst einem auch jede Zukunftsvision.

HANK Als alter Pfadfinder sag ich mir immer: Jeden Tag eine gute Tat. Und die heutige gute Tat besteht darin, euch abgebrannten Alkis, die ihr unter fremder Sonne hockt, weil da der Fusel billiger ist, mal wieder zu ein bisschen Erdung zu verhelfen. Big Business wollt ihr aufziehen? Handel treiben? Ihr kriegt doch nicht mal euren eigenen Arsch frankiert.

LESTERkrächzt heiser Wird mal wieder Zeit für ein Hausverbot.

HANK Du kannst dir gar nicht leisten, deinen besten Kunden rauszuschmeißen.

LESTERkrächzt heiser Ja ja ja ja ja.

Pause. Hank zeigt auf die Rose.

HANK Was ist das?

LESTERkrächzt heiser Deko.

HANK Was?

LESTERkrächzt heiser Deko!

Hank beißt der Rose den Kopf ab, zerkaut ihn und schluckt ihn.

LESTERkrächzt heiser Was soll das?

HANK In mir wohnt ein gefräßiger Romantiker.

LESTERkrächzt heiser Hausverbot.

HANK Ja ja ja ja ja. Pause