Dornröschen - Julia Podgorny - E-Book

Dornröschen E-Book

Julia Podgorny

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Beschreibung

- Er nannte mich Dornröschen, weil ich immer viel geschlafen habe. Also schrieb ich ein Buch mit Gründen, weshalb ich nicht wach sein wollte. - In diesem Buch klärt die Autorin mit ihrem Schicksal über die Folgen von sexualisierter Gewalt an Kindern auf. Julia Podgorny beschreibt detailliert, wie sie mit dem Traumata umgegangen ist und welche Stärken sie daraus ziehen konnte. Ein Ratgeber, ein Aufklärungsbuch, eine intime Geschichte mit Happy End.

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Seitenzahl: 260

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Könnte ich mir eine Superkraft auswählen,

würde ich jedem Menschen das Gefühl

von Selbstliebe schenken.

Julia Podgorny

DANKE!

Ich danke allen Menschen in meinem Leben, die mich an diesen Punkt gebracht haben. Auch wenn es in diesem Buch oft so rüberkommt, als wären die Menschen in meinem Leben die schlimmsten der Welt, so ist das nicht der Fall. Ich möchte nicht, dass jemand als schlechter Mensch abgespeichert wird. Es sind einfach Erlebnisse und das Mitspielen von vielen Faktoren auch meinerseits, die zu diesen unglücklichen Situationen geführt haben. Ich möchte mich daher an dieser Stelle für all diese Menschen bedanken, für all die Lektionen, die sie mir auf meiner Reise mitgegeben haben. Ich wünsche euch alles Gute und hoffe sehr, dass ihr euren Weg ebenfalls gefunden habt!

Besonderer Dank gilt meiner Mutter. Sie ist meine beste Freundin und der wichtigste Mensch in meinem Leben. Sie gibt mir immer so viel Halt und so viele wertvolle Ratschläge in meinem Privatleben.

Ein weiterer Dank gilt Nadine. Sie ist eine unfassbare Powerfrau, die mir immer so viel Mut und Inspiration gibt. Ich kann nicht in Worte fassen, wie froh ich darüber bin, diese Frau zu kennen und sagen zu dürfen, dass sie ein Teil meines Lebens geworden ist.

Und zuletzt danke ich all meinen Freunden, die mir in dieser Zeit immer wieder zur Seite standen und sich die Zeit genommen haben, mein Lebenswerk vor allen anderen zu lesen.

PROLOG

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ich weiß den genauen Startzeitpunkt nicht einmal. War es erst auf dem Gymnasium so weit? Im zarten Kindesalter schon? Oder doch bereits im warmen, schützenden Leib meiner Mutter?

Ich kann nicht mehr zählen, wie viele Abschiedsbriefe ich mit dem Glauben geschrieben habe, heute Nacht würde es so weit sein. Einige Male habe ich einfach gehofft, dass meine Gedanken zur Realität werden und ich einfach aufgrund einer bei mir nicht entdeckten Krankheit nicht mehr aufwachen würde. Andere Male hatte ich bereits die Tabletten geschluckt und gehofft, es würde mir leichter fallen zu gehen.

Viele Zeilen dieses Buches entstanden mitten im Heilungsprozess, manche erst nach intensiver und langer Reflektion. Über all die Jahre, die ich nun an diesem Buch arbeite, hat sich viel in meiner Wahrnehmung verändert. So mag es beim Lesen der Zeilen möglicherweise klingen, als wäre ich immer nur an die schlimmsten Menschen der ganzen Welt geraten. Als wären das Monster und ich wäre immer das Opfer gewesen. Doch dem ist nicht so. Zu all diesen Situationen habe auch ich meinen Teil beigetragen. Und würde man meine Expartner nach mir fragen, so würde ihre Sicht der Dinge mich als Unmensch abbilden. Alles eine Frage der Perspektive.

Ich möchte mit diesen Zeilen niemanden an den Pranger stellen. Ich möchte keinen Hass schüren oder jemanden verletzen. Mit diesem Buch möchte ich Aufklärung betreiben. Ich möchte die Geschichte eines misshandelten Mädchens erzählen, das mehrfach versuchte, sich das Leben zu nehmen. Ich möchte ihren Leidensweg zeigen, die Höhen und die Tiefen. Ich will für Verständnis für ähnliche Fälle sorgen und vor allem möchte ich, dass solche Gewalt endlich ein Ende nimmt.

Mit diesen Zeilen will ich Hoffnung schenken. Hoffnung für all diejenigen, die kein Sonnenlicht mehr in ihrem Leben sehen.

Ich wünsche mir eine friedliche Welt, in der jeder vor Selbstliebe strotzt, und dieses Buch ist mein Beitrag dazu.

Meine Social Media Kanäle, meine weiteren Bücher, sowie meinen Podcast, findest du unter folgendem Link:

https://linktr.ee/lilly.hysteria

INHALT

WAS ICH MIT EINEM SERIENMÖRDER GEMEINSAM HABE

DAS SCHWARZE KAPITEL

WIE ALLES BEGANN

WIE ALLES ENDEN SOLLTE

SEX, DRUGS AND ROCK ’N’ ROLL

WHO’S YOUR DADDY?

SCHLIMMER ALS DIE TRENNUNG VON KANYE UND KIM

UND ERNEUT GRÜSST MICH DER TOD

ES IST SO WEIT, ICH BIN OFFIZIELL VERRÜCKT

20-07-2017

DAS GRAUE KAPITEL

UND WAS MACHE ICH NUN?

DOCH KEIN HAPPY-END FÜR MICH?

HOFFNUNG STIRBT ZULETZT, ODER?

LIEBER DOCH NUR WOLKE VIER?

WER SIND DIESE TYPEN VON MURPHY?

WIE, DOCH NICHT NUR MÄNNERPROBLEME?

EIN NEUANFANG, DAS BRAUCHE ICH JETZT!

ER IST EIN MONSTER! ODER DOCH EIN OPFER?

DAS WEISSE KAPITEL

ICH WILL LEBEN

ROTHAARIGE W 25 SUCHT …

BLUT IST BLUT UND WASSER IST WASSER

BIST DU NICHT WILLIG, SO BRAUCH ICH GEWALT

KONTROLLE IST GUT, SICHERHEIT IST BESSER

DIE ZUKUNFT IST SO UNGEWISS

MANIPULATION VOM FEINSTEN

ACHTE AUF DEINE ÖLRESERVEN

ICH BRAUCHE KEINE BESSERE HÄLFTE

SELBSTHASS FÜHRT ZUR SELBSTLIEBE

STREICHELEINHEITEN FÜR DAS EGO

DU BIST DER EINZIGE, DER DICH VERLETZEN KANN

DAS BUNTE KAPITEL

BAD BOYS – ICH HABE ES JA ENDLICH BEGRIFFEN

EXKURS: KONDITIONIERUNG

DIE WELT IST KEIN STUMMFILM

ICH HABE KEINE GEHEIMNISSE MEHR

EHRLICHKEIT WÄHRT AM LÄNGSTEN

BIN ICH WIRKLICH DIE, DIE ICH VORGEBE ZU SEIN?

„HILF MIR, ES SELBST ZU TUN!“

LIEBE IST FÜR ALLE DA

HAST DU HEUTE SCHON DANKE GESAGT?

WAS HÄTTEN ANDERE FÜR MICH TUN KÖNNEN?

UND SO LEBTEN SIE GLÜCKLICH BIS AN IHR LEBENSENDE

DIE LÖSUNG FÜR ALLE PROBLEME

PRAKTISCHE TIPPS

DAS GROSSE WIEDERSEHEN

SCHLUSSWORT

WAS ICH MIT EINEM SERIENMÖRDER GEMEINSAM HABE

Ich hatte mich schon lange für Psychopathen interessiert. Psychologie ist ein sehr spannendes Thema. Der Versuch zu erklären, weshalb ein Mensch wie handelt, fasziniert mich schon immer.

Und was bringt einen Menschen wohl erst dazu, das Leben eines anderen zu beenden? Wie sieht es im Inneren eines Mörders aus? Was empfindet man, wenn man so viel Macht hat, mit dem Leben eines anderen rumzuspielen? Oder jemandem unendlich viele Qualen hinzuzufügen, egal ob psychisch oder physisch?

In Zeiten von Streamingdiensten ist die Auswahl der Dokumentation größer denn je. Und scheinbar interessiert es deutlich mehr Leute, wie es im Inneren eines Psychopathen aussieht. Ein Großteil der angebotenen Dokumentationen handelt genau von diesem Thema. Eine Dokureihe über Häftlinge, die zu ihren Taten befragt wurden, machte mir deutlich, dass beinahe alle diese Personen in ihrer Vergangenheit etwas gemeinsam hatten: eine untypische Kindheit.

Viele wurden bereits früh misshandelt von Eltern, Familienmitgliedern oder Bekannten. Es schockiert mich immer wieder zutiefst, aber es überrascht mich nicht mehr.

Ich selbst könnte niemals auch nur einer Fliege etwas zu Leide tun. Ich bin sehr pazifistisch und vertrete die Philosophie der Kommunikation.

Dennoch würde auch ich gewalttätig werden können, sofern das Leben meiner Liebsten oder mein eigenes bedroht wird. Ich habe einen sehr ausgeprägten Beschützerinstinkt, wie ich zu meiner Überraschung manchmal feststellen darf.

Und ich bin süchtig nach Macht. Ich liebe das Gefühl, wenn ich mit Menschen spielen kann, als wären es meine Marionetten. Es macht mich glücklich zu sehen, wenn ich jemanden um den Finger wickeln kann.

Es beginnt schon bei Kleinigkeiten: Beim Kauf eines neuen Autos überlege ich mir ganz genau, was ich anziehe, und wähle meine Worte sehr bedacht. Dabei wähle ich keine freizügige Kleidung oder biete meinen Körper an oder ähnliches. Ich flirte nicht einmal, ich benutze lediglich eine sehr bildhafte Sprache und versuche mich in meinen Gegenüber zu versetzen.

Ich beschäftige mich schon lange mit der Psychologie und habe sehr viele Typen der Art Mensch kennengelernt. Mit der Zeit kann man schnell einen Menschen in eine bestimmte Schublade stecken und weiß genau, mit welchen Tricks man diesen manipulieren kann.

Besonders Männer sind hier sehr einfach gestrickt. Viele wollen nur bemuttert werden, sie wünschen sich eine fürsorgliche Hand. Auf diese Art und Weise habe ich schon viele Dinge bekommen.

Es geht nur um Macht. Macht, die man jetzt so vergeblich sucht, weil man sie als Kind nicht hatte. Schutzlos, ausgeliefert, machtlos.

Ich hatte als Kind oft gebettelt, dass mein Vater aufhört mich zu prügeln. Ich hatte ihn auch darauf hingewiesen – ich schätze, das war so in der vierten Klasse –, dass Kinder Rechte haben und diese Rechte mich eigentlich vor seinen Prügeltaten schützen sollten.

„Wenn du nicht aufhörst, dann rufe ich die Polizei“, hatte ich ihm zum Abendessen am Tisch gesagt. Aber er lachte mich nur aus: „Du bist meine Tochter, du liebst mich doch.“

Ich hatte es akzeptiert. Er hatte ja auch recht; ich vergötterte ihn und irgendwie habe ich dann gedacht, dass das wohl Normalität sei. Diese Kinderrechte wären womöglich nur ein Märchen gewesen, das man uns Kindern erzählte. Oder diese Rechte galten für alle, nur eben nicht für mich.

Schutzlos, ausgeliefert, machtlos - diese Gefühle hatte ich als Kind nie. Für mich war diese Art der Erziehung meine Normalität. Ich habe erst mit 18 begriffen, dass das nicht normal war. Ich hatte nie mit jemandem über die Probleme zuhause geredet, weil ich nicht wusste, dass es Probleme sind. Welches Kind würde sich denn auch darüber beschweren, dass man als Familie gemeinsam ins Kino geht?

Für mich waren meine Prügeleien ebenso normal wie für andere ein Kinobesuch. Ich hätte vermutlich eher viel Wirbel um einen Kinobesuch gemacht, den gab es nämlich als Familie nie in meiner Kindheit.

Zukünftige Eltern sollten begreifen, dass die Kindheit, die man den Kindern schenkt, für sie als Normalität angesehen wird und die Kinder dann genau mit dieser Normalität aufwachsen. Wird ihnen viel Liebe geschenkt, so wird im Erwachsenenalter Liebe das Normalste auf der ganzen Welt für sie sein. Wird einem Kind vermittelt, dass es nichts wert ist und die Schuld an allem trägt, dann wird es das auch immer denken.

Ich hatte mit 14 damals gedacht, dass ich Schuld am Erdbeben in Haiti hätte. Es macht durchaus keinen Sinn, aber ich war der felsenfesten Überzeugung, dass ich irgendwas falsch gemacht hätte und deswegen so viele Menschen bei dieser fürchterlichen Tragödie zu Schaden kamen. Ich war sehr überzeugt davon. Ich fühlte mich einfach schuldig und konnte nichts dagegen tun.

Verständlicherweise hatte niemand mit dem Finger auf mich gezeigt und mir solche Dinge an den Kopf geworfen, ich hatte lediglich die Nachrichten gesehen und war mit einem unvorstellbar schlechten Gewissen geplagt. Als hätte mich zuvor ein heiliger Flaschengeist besucht und ich hätte mir aus Spaß diese Katastrophe gewünscht und nun festgestellt, dass bei dieser lustigen Idee viele unschuldige Menschen grausam ums Leben gekommen sind. Und das ist nicht übertrieben.

Ich wünsche mir aber ehrlich, dass das eine erfundene Geschichte wäre. Dass ich mir das jetzt ausgedachte habe, um die Spannung aufrechtzuerhalten.

Ich war gerade einmal 14 Jahre alt zu diesem Zeitpunkt und hätte wegen Liebeskummer so sehr weinen sollen, anstatt wegen einem Erdbeben am anderen Ende der Welt.

DAS SCHWARZE KAPITEL

WIE ALLES BEGANN

Rückblickend glaube ich, dass ich mit ungefähr zwölf Jahren bereits in Depressionen gefallen bin. Es ist schwer, das genaue Alter oder den genauen Zeitpunkt auszumachen. Damals kamen SchülerVZ und Facebook ganz groß raus und es war völlig normal – wenn nicht sogar total in –, Selbsthass zu fühlen und extrem pessimistisch zu sein.

Die Hormone gehen mit einem pubertätsbedingt durch und dann hat man auch noch die Möglichkeit bekommen, sich online mit den Hübschen und Beliebten zu vergleichen. Man konnte sich plötzlich hinter einer Fassade verstecken und Menschen beleidigen. Man wurde mit so viel Hass konfrontiert und das war normal.

Die Zeiten waren einfach so und die Teenies waren eben etwas depressiver. Meine damalige Clique hatte auch viel Punkrock gehört, da war der Hass auf die Welt und sich selbst sowieso angesagt.

Ich habe schon immer meine Gefühle mit Musik verarbeitet. Und ungefähr mit zwölf habe ich meinen ersten Song geschrieben, der davon handelt, wie ich meine Mutter vermisse. Sie war immer zuhause, sie war immer da und zu dem Zeitpunkt hatte sie begonnen sich selbständig zu machen.

Sie hat viel gearbeitet und ich musste dann auch viel im Haushalt übernehmen. Ich war schon immer sehr anhänglich und habe Nähe gebraucht – und plötzlich wurde mir diese Nähe entrissen.

Ich glaube, dass es ab dem Zeitpunkt angefangen hat. Mit 13 habe ich das erste Mal versucht mich umzubringen. Ich weiß nicht einmal mehr, was der konkrete Auslöser war, vermutlich wegen irgendeinem Teenie-Streit. Aus einer Mücke wurde einfach ein Elefant, ein ziemlich ernster Elefant.

Aber Gott sei Dank waren meine Eltern fürchterlich streng. Ich durfte abends nicht mit Freunden raus, hatte keinen Zugang zu Tabletten, Zigaretten, Alkohol oder merkwürdigen Gestalten, die mir diese Dinge hätten besorgen können. Ich wurde behütet wie Adams Augapfel.

Und trotzdem habe ich diese Gedanken gehabt. Ich lag eines Abends dann in der Badewanne, ich hatte sie an dem Abend besonders volllaufen lassen. Ich habe öfter versucht meinen Kopf stark an den Badewannenrand zu schlagen, in der Hoffnung, dass ich bewusstlos werde und dann einfach ertrinke.

Nach dem dritten Schlag war ich immer noch bei vollem Bewusstsein und hatte Panik bekommen, dass mich jemand hören könnte, reinstürmen würde und dass ich dann diese Situation erklären müsste.

Also habe ich es gelassen und hielt meinen Kopf unter Wasser, in der Hoffnung, dass das auch so gehen würde. Aber leider war mein Körper doch stärker als mein Geist und ich holte wieder tief Luft an der Oberfläche.

Nach jedem missglückten Selbstmordversuch ging es mir nicht besser, sondern deutlich schlechter. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich nichts in meinem Leben kontrollieren konnte, und nicht einmal die Entscheidung, ob ich lebe oder sterbe, konnte ich selbst fällen.

Jedes Mal kommt das Gefühl der Nutzlosigkeit in mir hoch, ganz nach dem Motto „Nicht einmal das kannst du“. Ich hatte noch nie versucht, mir die Pulsadern aufzuschneiden. Ich wollte niemals, dass ich meiner Familie ein fürchterliches Bild hinterlasse. Selbst in einer solchen scheinbar aussichtslosen Situation hatte ich immer an die Leute in meinem Umfeld gedacht.

Ich wollte es nicht noch schlimmer gestalten, in dem sie ein schreckliches Blutbild vor Augen haben. Also wurde ich einfach kreativ und Gott sei Dank war ich so ahnungslos.

Ein weiteres Mal hatte ich mit 16 versucht, mich umzubringen. Ich hatte mich mit meinen Eltern gestritten. Wir haben in einem Mehrfamilienhaus im zweiten Stockwerk gewohnt.

Vor den Augen meiner Eltern wollte ich vom Balkon springen. Das war das erste Mal, dass ich so rücksichtslos gehandelt hatte. Meine Mutter hat mich am Arm gepackt, mich wieder reingezogen und hat mir dann eine Ohrfeige gegeben.

Ich schätze, sie wollte mich wie in den Filmen damit wieder in die Realität zurückholen. Aber es hatte damals in mir nur noch mehr Emotionen ausgelöst.

Die Tage darauf wollte ich ins Kinderheim, um Abstand von allem zu gewinnen. Mit meinen Eltern war es dann lange nicht einfach. Wir haben seltener über wichtige Dinge geredet, es gab immer wieder normale Tage, an denen alles okay war – oder es zumindest so wirkte. Aber bis ich 18 geworden bin, bis ich mein Erwachen hatte, war es sehr schwierig.

WIE ALLES ENDEN SOLLTE

Folgendes Kapitel habe ich im Alter von 21 Jahren direkt nach meinem letzten Suizidversuch geschrieben. Diese Zeilen sind nicht leicht zu lesen und ich bitte darum, dieses Kapitel nur dann zu lesen, wenn man sich in der richtigen Verfassung dazu fühlt. Es ist sehr ausführlich beschrieben und legt meine Gefühle während des Versuches vollständig offen.

Heute blieb ich zuhause im Bett. Der größte Erfolg war, dass ich es schaffte, meinen unmotivierten Körper auf die Couch zu verfrachten.

Ich war nicht krank, zumindest hatte ich nichts Ansteckendes. Ich hatte nur wieder ein depressives Tief erreicht. Einige Tage zuvor spielte ich erneut mit dem Gedanken des Suizids.

Es war ein banaler kleiner Streit, der mich zu einer solchen übertriebenen Handlung zwang – doch zu diesem Zeitpunkt schien alles berechtigt zu sein.

So waren wir feiern, alle hatten eigentlich gute Laune, ein falsches Wort und zack: Ich saß im Taxi auf dem Heimweg, ohne jemandem ein Wort zu sagen. Ich packte einen Rucksack mit Dingen zusammen, die ich für eine Nacht gut gebrauchen könnte und hinterließ meinem Freund eine Nachricht: „Ich bin bei meiner Mutter, ich muss nachdenken. Füttere bitte morgen früh die Katzen.“

Mein damaliger Freund hatte mich zig Male versucht zu erreichen, ich stellte mein Handy aber stur auf Flugmodus, während ich mir die Tränen wegwischte. Ich verließ die Wohnung und machte mich auf den Weg zu meiner Mutter, ich wollte rennen, einfach weg.

Die Angst, dass mein Freund mich einholen würde, war so groß. Ich hatte keine Angst vor ihm, sondern davor, dass er mich in diesem Zustand sieht und alles nur noch schlimmer wird.

Ich habe es nicht einmal geschafft, unsere Straße zu verlassen, als mir einfiel, dass meine Mutter heute Nacht bei ihrem Freund war. Ich blieb stehen, während in mir drinnen alles zusammenfiel.

Allein, ertönte es in meinem Kopf. Die Tränen liefen heiß meine Wangen runter. Ich wusste, wenn ich jetzt nicht weiterlaufen würde, würde ich genau hier an Ort und Stelle zusammenbrechen und morgen das Gespräch des ganzen Dorfes sein.

Also lief ich wieder zurück in Richtung Zuhause, wo ebenfalls niemand war.

Allein, tönte es dieses Mal lauter in meinem Kopf. Ich konnte kaum mehr etwas sehen, die Tränen wischten jegliche Schärfe aus der Dunkelheit.

Ich wollte in Richtung Felder laufen, damit ich wenigstens über Smartphone mit jemandem in Ruhe reden konnte. Doch von der Richtung würde mein Freund kommen, wenn er denn zu Fuß nach Hause laufen würde.

Ich nahm den anderen Weg, in Richtung Brücke. Hinter einer Absperrung blieb ich stehen, legte meinen Rucksack auf den Boden und setzte mich drauf. Ich holte tief Luft und atmete sie wieder aus. Es war kalt und nass.

Ich suchte mein Smartphone heraus und machte den Flugmodus aus – zehn verpasste Anrufe von ihm, die ich auch jetzt ignorierte. Ich wählte die Nummer meiner Mutter und wartete. „Guten Tag, Sie sind verbunden mit der Mailbox von …“, ich legte auf.

Ein zweites Mal versuchte ich es erst gar nicht. Ich ging meine Kontaktliste durch. Niemand da, den ich an einem Samstag um drei Uhr nachts hätte anrufen können.

Allein, ich steckte mein Smartphone ein und starrte auf die Brücke. „Dich braucht eh keiner, niemand wird dich vermissen“, dachte ich mir.

Mein Handy leuchtete auf, erneut ein Anruf von ihm. „Wieso lässt du mich nicht einfach allein? Du bist besser dran ohne mich!“, zischte ich mein Handy an, während ich es weiter vibrieren ließ. Ich zündete mir eine Zigarette an, in der Hoffnung, dass mich die Brücke nicht mehr so verführerisch anschauen würde.

Ich machte mir Gedanken darüber, ob ich jemals gefunden werde und wie ich meinen Geldbeutel an mir befestige, dass man mich im Fall meines Sprunges trotz aufgeblähtem Gesicht identifizieren kann. Weit würde es mich gewiss nicht treiben, recht bald kam ein Staudamm, der die groben Dinge aufhielt weiterzufließen.

Die Zigarette half nicht. Ich stand auf, machte einen Schritt auf die Brücke zu und blieb stehen. „Ich kann das nicht machen. Geh nach Hause, wenn er da ist, dann bleibst du. Wenn nicht, dann darfst du springen“, machte ich mit mir selbst aus.

Ich war eine Niete im Entscheidungentreffen, daher ließ ich das Schicksal gerne entscheiden. Ich drehte mich um und lief langsam Richtung Zuhause. Schritt für Schritt überkam mich die Angst: Was passiert, wenn er da ist? Und was, wenn er es doch nicht ist?

Ich wusste nicht, welcher Gedanke mir lieber war. Ich bog in unseren Weg durch den Garten ein und blieb stehen. Er schloss gerade die Tür auf und verschwand dahinter, ohne sich einmal umzuschauen. Ich blieb wie eingefroren stehen. Mein Körper versteinerte innerhalb von Sekunden, während sich meine Gedanken überschlugen. Er hatte mich noch nicht gesehen, heißt das also, dass ich immer noch selbst entscheiden muss, was nun passiert?

Ich weiß nicht genau, wie lange ich so stehen blieb, aber es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, und diese Ewigkeit verbrachte ich im Nichts. Bis da dieses warme Gefühl in mir auftauchte, es war nur ein kleiner Funken, aber ich wusste, dass ich jetzt mehr davon brauchte.

Ich ging zur Eingangstür, öffnete sie und lief die Treppen hinauf. An der Wohnungstür blieb ich stehen, legte mein Ohr an die Tür und hielt die Luft an. Ich hoffte, dass er den Zettel lesen würde und wütend wird oder vor Trauer schreit. Ich hatte auf irgendein Geräusch gehofft, das mir zeigt, dass ich wenigstens einer Person wichtig sei.

Doch da war nichts, absolute Stille. Ich schloss die Tür auf und sah ihn auf dem Sofa. Er saß regungslos da und machte sich keine Mühen, etwas zu sagen oder aufzustehen.

Allein.

„Gut, das ist wohl mein Zeichen“, ich legte meine Sachen ab und zog meine Kleidung aus. Mein Freund kam ins Schlafzimmer und fragte, wo ich gewesen sei. „Ich saß draußen und hatte keinen Empfang“, log ich ihn an.

„Ich bin nach Hause gesprintet, habe vor Erschöpfung kotzen müssen, hab hier dann diesen blöden Zettel gesehen und bin zu deiner Mutter gerannt! Du warst nirgends! Ich habe mir so Sorgen gemacht! Und du saßt einfach nur draußen und hast nachgedacht?“, schrie er mich an. Er verließ das Zimmer, ohne zu fragen, weshalb ich dabei war, mir ein weißes Kleid anzuziehen, und ich hörte nur, wie die Balkontür hinter ihm zufiel.

Ich wollte schon immer in Weiß sterben, ich wollte schön aussehen. Das Schicksal scheint wohl derselben Meinung zu sein.

Ich griff nach meinem Geldbeutel und holte dort die Kopfschmerztabletten heraus, die ich zur Not immer dabeihatte. Zwei an der Zahl schluckte ich mit genug Wasser hinunter. In meinem Nachtkästchen fand ich eine weitere Tablette, die ich ebenfalls ohne zu zögern in mich hinunterkippte.

Aber drei würden mich niemals in den unendlichen Schlaf versetzen, nach dem ich mich gerade so sehnte. Die restlichen Tabletten lagen im Wohnzimmer, genauso wie die Schlaftabletten, die ich einmal verschrieben bekam. Das sollte ausreichen.

Ich griff in die Apothekenschublade und holte mit zitternden Händen alles raus, in der Hoffnung, dass er noch lange genug draußen bleiben würde. Doch mein Wunsch erfüllte sich nicht.

Er kam hinein, sah, was ich in den Händen hielt, und nahm es mir sofort weg. „Hast du schon welche davon genommen?“,fragte er mich voller Entsetzen, doch ich schwieg und starrte auf den Boden.

„Hast du welche genommen?“, fragte er, dieses Mal mit einer lauten Stimme. „Wie viele hast du genommen?“, seine Stimme wurde zärtlicher. Er nahm mich in den Arm. Ich bekam Schuldgefühle und versank in meinem Selbsthass. Wie konnte ich diesem wunderbaren Menschen so etwas Schlimmes antun wollen?

„Drei“, schluchzte ich leise. „Drei von was?“ – „Weiß ich nicht genau, schau auf dem Nachtkästchen nach, da liegen die leeren Packungen.“ Mein Freund eilte ins Schlafzimmer, kam sofort wieder zurück und zerrte mich sanft ins Badezimmer.

„Schatz, tu mir jetzt bitte den Gefallen und steck dir den Finger in den Hals. Bitte tu das jetzt für mich.“ Ich spürte, wie er mich anschaute, doch ich konnte seinen Blick nicht erwidern und starrte voller Scham auf den Boden.

„Ich kann nicht“, antwortete ich ihm. Ich konnte einfach diesen Fehler nicht rückgängig machen. Ich wollte sterben, er würde mit meinem Verlust zurechtkommen. Er würde eine bessere und glücklichere Frau finden, ich stand ihm nur im Weg.

„Schatz, bitte. Sonst mach ich es oder ich ruf den Notarzt, bitte. Bitte tu mir den Gefallen“, flehte er mich an. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, in der er versucht hatte, mich zu überreden, endlich diese Tabletten loszuwerden. Doch innerlich wusste ich immer mehr, dass es bereits zu spät sei und dass drei Tabletten bei weitem nicht die Reaktion in meinem Körper auslösen würden, welche ich gerne gehabt hätte.

„Okay“, stimmte ich irgendwann zu, nur damit wenigstens er ruhig schlafen konnte. Ich ging ins Badezimmer, verschloss die Tür und holte die Zahnbürste. Es müsste nur so aussehen und sich nur so anhören, dachte ich. Ich betätigte die Spülung und stand auf, um meinen Mund zu spülen.

„Ist alles draußen?“, fragte er. „Ja, ich glaube schon“, log ich ihn an. Ich wusste, dass nichts rauskam, aber ich wollte ihn beruhigen. Er umarmte mich und zog mir das Kleid aus. „Ich werfe dieses blöde Kleid weg!“, schrie er. Doch ich hielt ihn davon ab: „Das muss ich selbst mit mir ausmachen. Ich werfe es weg, wenn ich so weit bin.“

Mein Freund kam ohne Kleid zurück, er hatte es versteckt. Ich stand immer noch da, halbnackt mitten im Zimmer, den Boden voller Scham anstarrend. Hatte er doch recht und diese drei Tabletten würden mir Probleme bereiten?

Nein, das kann nicht sein, ich habe in Zeiten von starken Schmerzen solche Rationen von Ärzten verschrieben bekommen. Aber als Tagesdosis und nicht um alles auf einmal zu nehmen. Meine Gedanken kreisten umher, während er mich schützend in seinen Armen hielt.

„Es gibt nur ein weißes Kleid, das dir steht. Und das ist das Kleid vor dem Altar“, er hob mein Gesicht und ich musste lächeln. Er hatte es geschafft, er hatte mich aus diesem Loch geholt. Zumindest für heute.

Die Tage danach fielen meinem Freund schwer. Er wusste nicht, wie er mit mir umgehen sollte und fasste mich mit Samthandschuhen an. Ich hatte fürchterliche Kopfschmerzen, doch ansonsten ging es mir gut.

In meinem Halbtagsjob fiel mir dann ein, dass mein Termin beim Psychologen in einigen Stunden sein würde. Ich formulierte die Worte und die Sätze, wie ich ihm diesen Abend beibringen soll, nachdem ich beim letzten Termin doch selbst gesagt hatte, dass ich mir seltenere Termine einmal im Monat bereits zutraue.

Ich stieg ins Auto und dachte weiter darüber nach. Doch bei meinem Psychologen angekommen, schaffte ich es nicht. Stattdessen redeten wir über meinen Kleidungsstil, meinen neuen Job und den neuen Freund meiner Mutter.

Ich hatte es nicht geschafft, etwas zu sagen, auch nicht dann, als mein Psychologe den neuen Termin erneut erst in einem Monat vorschlug. Ich nickte es einfach ab. Ich hatte versagt, erneut.

Liebes Tagebuch, 04.03.2012 (15 Jahre)

Ich bin einmal ausgerastet, weil Mom mich geschlagen hat, weil ich aus dem zweiten Stock springen wollte. Ich wollte mich in der Badewanne umbringen und habe mich gewürgt, bis mir schwarz vor Augen wurde. Ich habe mich dann unter Wasser gehalten und habe mir versucht den Kopf anzuschlagen. Ich bin einfach nur zu dumm, mir das eigene Leben zu nehmen. Nicht einmal das kann ich …

Manchmal scheint es so, wie jetzt, als ob es okay wäre, wenn ich jetzt sterben würde und Suizid begehe. Selbst wenn ich es nüchtern bedenke, scheint es okay zu sein. Als ob es sich so gehört, dass ich als Jungfrau und ohne meinen ersten Kuss sterbe. Ohne wirklich richtig geliebt oder verstanden zu werden.

Es ist okay, morgen nicht mehr aufzuwachen. Liebes Tagebuch, ich bin wirklich bereit zu sterben. Ich glaube, dass ich hier nicht hingehöre. Wenn ich nicht mehr aufwachen sollte und das der letzte Eintrag von mir sein sollte, dann ist das auch okay. Denn ich bin bereit zu gehen.

Auf meiner Beerdigung sollen alle ihr Lieblingskleidungsstück tragen und eine Party soll gefeiert werden. Ich will nicht, dass alle weinen. In meinen Sarg sollen dann auch meine Gitarre und mein Songbuch liegen. Außerdem will ich in einem weißen, wunderschönen Kleid begraben werden und in einem Sarg voller Kornblumen liegen. Bestattung … Die sind toll. Alle sollen nur lustige Momente über mich erzählen und auf meiner Beerdigung lachen und tanzen.

Denn so will ich es. Und meine letzte Bitte wäre, dass ich in Villingendorf begraben werde. Ich will schon immer dorthin zurück. Es ist perfekt dort.

Ich will nicht großartig Tschüss sagen. Es wären zu viele Personen. Die, die mir wirklich was bedeutet haben, wissen es und würden sogar wissen, was ich ihnen sagen würde. Denn ich lebe immer weiter als Erinnerung bei diesen Leuten.

Ich bin bereit. Ich kann, ohne Angst zu haben, gehen und ein neues Leben anfangen. Ich bin bereit hier und jetzt zu sterben. Ich bin bereit, Gott. Ich bin bereit.

Auf Wiedersehen Welt, bis bald.

SEX, DRUGS AND ROCK ’N’ ROLL

Hallöchen. 01.06.2013 (16 Jahre)

Ich weiß auch nicht, was ich dir heute erzählen soll. Ich könnte schreiben und genauer erzählen, dass ich seit Freitag mit sieben Leuten rumgemacht hab. Also in einer Woche …

Ich könnte erzählen, dass Timo und ich uns verkracht haben und dass ich kein Beziehungsmensch bin. Dass es mir Spaß macht, Jungs nach mir verrückt zu ma-chen. Dass ich gelegentlich Tabletten mit Alk runterspül. Dass ich immer feiern bin, spontan, und mich derbe volllaufen lasse. Dass ich auch erst gegen Mitternacht rausgehe. Dass … alles so anders ist.

Es passiert so viel einfach und ich …?

Alles bewegt sich, alles verliebt sich. Ein-fach alle sind glücklich. Und ich …?

Ich lass mich volllaufen. Jeden Freitag und jeden Samstag. Und sonst auch bei jeder Gelegenheit.

Mit 16 entdeckte ich die gesetzliche Freiheit, Alkohol zu kaufen und bis Mitternacht feiern gehen zu dürfen. Meinen Eltern erklärte ich, dass das alle in meinem Alter machen und es völlig normal sei. Außerdem hatte ich ältere Freunde, die würden ja schon auf mich aufpassen.

Ich konnte mich selten an die Abende erinnern, die älteren Freunde hatten mir nämlich immer den hochprozentigen Alkohol gekauft.

Ich kann nicht genau erklären, wie das passiert ist. Aber dort bin ich extrem aufgefallen. Sogar Mitschüler, die mich auf der Schule verachtet haben, wollten auf einmal mit mir in diesem Club befreundet sein.

Dabei kannte ich nicht einmal irgendwelche wichtigen Menschen dort. Ich war einfach da, jedes Mal mit ziemlich viel Promille im Blut und irgendwie habe ich mir eine eigene Marke aufgebaut.

Ich lernte immer mehr Menschen kennen, kam dann immer mehr in den Kreis der Stammgäste und man kannte mich dort. Ich hatte mich auch gerne freizügig gekleidet, wie das eben in der Alternative-Szene Normalität war. Ich habe die Band Pretty Reckless entdeckt, mich in den Style von Taylor Momsen verliebt und versuchte ihren Kleidungsstil mit eigenen Anpassungen nachzumachen.

Dann setzte ich jeden Abend einen Hut auf, den ich mit irgendwelchen Patches händisch verzierte, machte ein paar Männern (und manchmal auch Frauen) schöne Augen und zack: Teddy war geboren.

Mich kannte jeder in dem Laden, entweder liebte man mich oder man hasste mich. Das war nun einmal so. Noch heute treffe ich Leute, die interessante Geschichten über mich kennen, dabei kenne ich diese Menschen überhaupt nicht.

Und mit jedem Abend fand ich immer mehr heraus, dass mein äußeres Erscheinungsbild und meine offene Art die Männer schon fast magisch anziehen. Ich habe sehr früh bemerkt, dass ich anders bin als andere Frauen.

Ich hatte viel Kontakt zu vielen Leuten, die mich alle angehimmelt haben, und diesen Ruhm habe ich sehr genossen. Nach meiner fiesen Mobbingphase auf der Schule hatte ich das ziemlich gebraucht. Ich hatte mich darin gesonnt und habe es mit jeder Faser meines Körpers aufgenommen.

An einem Abend war es normal, mit mehr als einem Mann oder einer Frau irgendwo in einem dunklen Eck oder sogar im Scheinwerferlicht auf der Tanzfläche zu knutschen. Ich konnte mich auch oft nicht einmal an die Namen der Menschen erinnern oder an die Tatsache, dass da was geschehen war. Ich habe viele Herzen gebrochen und viele Menschen verärgert.

Das war eine toxische Mischung. Denn war ich doch der Meinung, dass ich sonst nichts kann, nichts wert bin und generell niemals etwas erreichen werde. Mein Selbstbewusstsein wurde von eben diesen Spielchen mit Männern aufrechterhalten.

Ich hatte die Haltung, dass das einzige Talent, das ich hatte, die Fähigkeit sei, Männer um den Finger zu wickeln. Also habe ich das auch getan. Nicht nur einmal, nicht nur phasenweise, nicht nur aus Spaß. Es war meine Droge und ich habe es gebraucht, um mich selbst besser zu fühlen.