Dottore, Pasta & Amore - Walter Cosimo Coriano - E-Book

Dottore, Pasta & Amore E-Book

Walter Cosimo Coriano

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  • Herausgeber: Westend
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Buon appetito! Walter Cosimo Coriano ist Kellner. Süditalienischer Kellner. Und im fliegenden Rollenwechsel ist er als Psychologe, Diplomat, Liebhaber, Schauspieler und Dompteur für seine hungrigen Gäste im Einsatz. Denn in seinem Restaurant feiert das Leben an jedem Tag neue Premieren: Drama und Intrige, Lust und Leidenschaft. Hier hat er seine Erlebnisse aufgeschrieben. Alltagsgeschichten, so vergnüglich wie lustig und nachdenklich stimmend, aus unserem liebsten Soziobiotop und nahesten Ersatz-Urlaubsziel - dem Ristorante! Da gibt es beispielsweise den Patrone, den viele gerne als Franco oder Luigi kennen, und in dessen Haus natürlich das leckerste Essen der ganzen Welt zelebriert wird. Die Servicekollegen, ein eingeschworenes Team, das nicht nur das Trinkgeld teilt, sondern auch die amourösen Abenteuer, denen sich ein italienischer Kellner kaum entziehen kann. Die Köche, eine ganz eigene Spezies in diesem Universum, die im Ruf stehen, mit der Nähe zum heißen Herd auch einen großen Teil ihres Hirns verbrannt zu haben. Und dann die Gäste: Die Banker, Rechtsanwälte und Manager, so kurz wie prägnant allesamt "Dottore" genannt; die Promis von A bis C, für die Tisch 1 (Sehen und gesehen werden) immer reserviert ist; die Stammgäste, Frischlinge und Restaurant-Messis - eben die komplette Typologie der Gäste, wie sie wahrscheinlich nur in einem italienischen Restaurant zu finden ist. Natürlich gehören auch die so falsche wie nervende Kennerschaft bekundenden "Zwei-Expressi-Sager" dazu, denen unser Kellner zwecks kulinarischer Weiterbildung hier sehr gerne einige Einblicke in die süditalienische Küche seiner Großmutter gestattet.

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Seitenzahl: 241

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WESTEND

Ebook Edition

Walter Cosimo Coriano, Jahrgang 1973, entstammt einer Gastronomenfamilie und arbeitet seit vielen Jahren in italienischen Restaurants. Er ist verheiratet und lebt in Frankfurt.

WALTER COSIMO CORIANO

DOTTORE,PASTA &AMORE

Geschichten aus meinemLeben alsitalienischer Kellner

WESTEND

Das Buch stellt keine Behauptungen über reale Personen oder Orte auf. Vielmehr verdichtet es auf der Grundlage verschiedenster Erfahrungen Personen und Handlungen zu Episoden, die lediglich Typisierungen und Stilisierungen beinhalten.

Mehr über unsere Autoren und Bücher:www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Umschlagfoto: Hartmuth SchröderISBN 978-3-86489-553-1© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2014Satz: Publikations Atelier, DreieichDruck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, LeckPrinted in Germany

Inhalt

Buongiorno

Parlare Minestrone

Serviceautistin trifft Aushilfsgigolo

»Siiiiignoooooriiiiina«

Alles für alle

Alle für einen

Aberglaube

Im Allerheiligsten

Drei Tonnen Einsamkeit

Fünf-Sterne-Deluxe-Liebhaber

Chappchialass

Bella Figura

Frischlinge

»Duo notschi Gongozola e duo Schanti parfavor!«

Banker-Tip(p)

Restaurant-Messies

Gast-Arbeit

Cucina Cosimo

Das al-dente-Missverständnis

Die ganze Wahrheit über die Carbonara

Tiramisù – die süße Verführung

Orecchiette à la Mamma

Cosimo spontaneo – einfach, aber lecker

Aus dem Meer

Alles Pasta

Arrivederci

Buongiorno

Ich weiß noch, wie dieser Dottore Professore um die Mittagszeit zum ersten Mal das Ristorante betrat. Ein freundlicher Mensch, der mir sofort sympathisch war. Er kam dann öfter zum Mittagessen, und wir freundeten uns an. Manchmal blieben wir, wenn das Ristorante nach dem Mittagstisch geschlossen hatte, noch zusammen am Tisch sitzen und verplauderten uns. Der Dottore Professore ist ein ziemlich kluger und neugieriger Mensch, der immer wieder eine neue Geschichte von mir hören wollte. Über mein Kellnerleben, das Ristorante und seine Gäste. »Schreib das doch mal auf«, forderte er mich eines Tages auf. »Aber Dottore, ich bin ein Kellner und kein Bücherschreiber«, wimmelte ich seine Überredungsversuche ab. »Du bist ein Kellner, das stimmt«, ließ sich der Dottore Professore von meinen Abwehrversuchen nicht beeindrucken, »aber du bist auch ein wunderbarer Geschichtenerzähler.« So ging das zwischen uns über einige Jahre. Der Dottore schaute immer mal vorbei, brachte mir manchmal eines seiner Bücher mit und verlangte als Gegenleistung neue Geschichten von mir.

Lieber Dottore Professore, jetzt kann ich es Ihnen ja verraten. Ich habe mich wirklich hingesetzt und einige der Geschichten aufgeschrieben, die Sie in mir wachgerufen haben. Die eine oder andere dürfte Ihnen bekannt vorkommen, aber ich habe Ihnen in unseren kurzen Mittagspausen auch nicht alles erzählen können. Ich freue mich schon auf unser nächstes Treffen. Dann werden wir uns an einen Tisch setzen, ich werde Ihnen mein Buch überreichen und meine Gegenleistung einfordern: »Dottore Professore, jetzt erzählen Sie mir doch mal ein paar Geschichten aus Ihrem Leben.«

Danke, dass Sie nicht lockergelassen haben. Aber jetzt erst einmal viel Spaß beim Lesen.

Parlare Minestrone

Entscheidet sich das Schicksal eines Menschen tatsächlich schon am Tag seiner Geburt? Woher soll ich das wissen, ich bin schließlich kein Philosoph, sondern »nur« ein italienischer Gastronom. Doch für mich steht fest: Mein Leben wäre anders verlaufen, hätte sich meine Mamma nicht mit ihrer Idee entschieden durchgesetzt. Denn obwohl meine Eltern schon Anfang der 70er Jahre nach Deutschland ausgewandert und sich in Hövelhof mit ihrem Eiscafé Venezia erfolgreich etabliert hatten, bestand Mamma darauf: »Unser Sohn kommt in Italia zur Welt.«

Und so geschah es. An einem 41 Grad heißen, drückend schwülen Augusttag erblickte ich nach einem 18-stündigen Wehenkampf in San Pietro Vernotico südlich von Brindisi das Licht der Welt und hatte damit schon vor dem ersten Schlückchen Muttermilch zwei für mein späteres Kellnerleben unverzichtbare Lektionen intus:

Du musst die Hitze lieben – und der Unterschied zwischen einem italienischen Hochsommertag und dem heißen Tanz zwischen Cucina und Ristorante ist in Bezug auf die Temperatur tatsächlich minimal.

Du darfst auch unter Druck deine gute Laune nie verlieren – und musst selbst nach einem endlos langen Kellner-Arbeitstag mit der geschätzten Laufleistung eines Halbmarathons in den Knochen in der Lage sein, deine letzten Gäste mit einem freundlich-charmanten »buona notte« zu verabschieden.

Kaum drei Monate alt, siedelte ich dann vom Süden Italiens in den ostwestfälischen Landkreis Paderborn über, doch die wenigen Wochen im Stiefelabsatz meiner apulianischen Heimat hatten ganz offensichtlich ausgereicht, um mich mit allen Vorlieben auszustatten, für die sich ein echter süditalienischer Mann nahezu ausschließlich interessiert: Autos, Frauen, Fußball.

Wobei die Reihenfolge dieser unumstößlichen Top Drei je nach Alter und Persönlichkeit durchaus variabel sein kann. In meiner Kindheit und Jugend dominierte ganz klar der Fußball auf Platz eins. Kicken schien mir der einfachste Weg zu sein, um ohne Umweg auch die Ziele zwei und drei zu erreichen (schnelle Autos und schöne Frauen). Außerdem half mir der Sport, meine Einsatzzeiten im elterlichen Eiscafé auf das unabwendbare Minimum zu reduzieren. Und tatsächlich, mit 17 hatte ich es bereits geschafft, dachte ich zumindest: ein Profivertrag als Zweitligaspieler in der Tasche, die erste Nacht mit einer Frau, was mich für einen Süditaliener als echten Spätzünder charakterisiert, und der erste Alfa – kurz vor der nahen Führerscheinprüfung – in greifbarer Nähe. Heute besitze ich eine Rennlizenz – auch fürs Leben. Ein Knorpelschaden im Knie setzte dann allerdings meiner schon bis ins Detail durchfantasierten Fußballerkarriere – Bielefeld, Lecce, Squadra Azzurra – bereits mit 19 ein ebenso schmerzvolles wie jähes Ende, und auf die Frage meines Vaters: »Was nun?«, war meine ihn überraschende Antwort: »Ich werde Gastronom!«

Immerhin, die Zeit als Fußballspieler hatte mein zuvor recht schwaches Ego mit genügend Selbstbewusstsein aufgeladen, um zu erkennen, dass mir das Aufspielen auf großer Bühne viel Vergnügen bereitet. Und nichts anderes ist in meinen Augen ein gut geführtes italienisches Spitzenrestaurant: ein kulinarisches Theater, in dem das Leben an jedem Tag neue Premieren feiert. Mit Dramen und Intrigen, mit Lust und Leidenschaft. Eine Commedia dell’arte mit Figuren und Geschichten aus allen Schichten der Gesellschaft. Und mittendrin, als Schwungrad und Zeremonienmeister, der Kellner, der durchaus gerne mal den Harlekin gibt, der einen Hang zum Dribbling für die Galerie hat, der aber immer der Spielmacher bleibt, der die Fäden in der Hand behält.

Der Gast soll das Gefühl haben, dass ihm jeder Wunsch erfüllt wird, aber die Regie führe ich: Walter Cosimo Coriano.

»Wie jetzt, Walter???« Esattamente – und weil ich die hochgezogenen Augenbrauen und fragend zerfurchten Stirnfalten nun schon seit vierzig Jahren vor mir sehe, wenn ich nach meinem Namen gefragt werde, ist es hier wohl an der Zeit, diesen selbst in Deutschland heute eher selten vergebenen Vornamen in Bezug auf meine Person etwas näher zu erläutern. Da meine Eltern in Nordrhein-Westfalen inzwischen eine zweite Heimat gefunden hatten, dachten sie, es könne mir sicher nicht schaden, wenn sich dieses bilokale Familienleben auch in meinem Namen manifestieren würde. Heute könnte man das wohl als vorbildliches Integrationsverhalten bezeichnen. Damals war es eine ehrfürchtige Verneigung vor unserem Vermieter, einem amerikanischen Militärattaché mit dem Nachnamen Walther. Der hatte bei meinen Eltern offensichtlich einen so nachhaltig-honorigen Eindruck hinterlassen, dass sie sich für ihren Sohn mehr Respekt und Anerkennung im Leben erhofften, wenn sie ihn Walter nennen würden. Ohne h.

Was sich an diesem Beispiel zeigt, ist ein ganz stark ausgeprägter Wesenszug der Süditaliener: ihr gesunder Pragmatismus. Diese flexible Anpassungsfähigkeit an die gegebenen Umstände, die Offenheit, mit der sie sich auf Neues einlassen, das sonnige Gemüt, mit dem sie sich auch einen grauen Scheißtag zu einem azurblauen Tag am Meer schönreden können, ist für den Süditaliener eine genetisch programmierte Überlebensstrategie. Denn der Süden Italiens war und ist noch immer arm. Weshalb wir für den italienischen Norden bis heute nur die terroni oder contadini sind. Also die Erdumpflüger und Bauern, die sich kein Fleisch zum Essen leisten können. Apulien ist die Kornkammer Italiens, hier wird das meiste Getreide geerntet. Italien lässt sich seine Pasta schmecken, aber wir im Süden halten dafür den Buckel hin. Glaubt vielleicht ein Mensch tatsächlich, dass das Olivenöl, das in aller Welt als »Toskana Originale« verkauft wird, auch dort angebaut und produziert wird? No, no – wir im Süden machen die Drecksarbeit für den Norden. So war das schon immer. Doch nur weil wir ackern wie die Doofen, sind wir noch lange nicht blöd. Im Gegenteil: Die Armut hat uns kreativ gemacht und dazu gezwungen, mobil zu werden. Domenico Dolce (Dolce & Gabbana) aus Sizilien, Gianni Versace aus Kalabrien, Domenico Modugno mit seiner weltbekannten Hymne Volare aus Apulien. Was wäre New York heute ohne die Süditaliener und ihr Little Italy? Oder Hollywood? Ob Frank Sinatra, Martin Scorsese oder Sylvester Stallone – sie alle haben süditalienische Vorfahren. Und so viel steht fest: Sicher neunzig Prozent aller italienischen Gastronomen in Deutschland kommen aus dem Süden Italiens.

Ich bin meinen Eltern im Übrigen sehr dankbar, weil sie darauf geachtet haben, dass ihre Kinder nicht nur Hochitalienisch, sondern auch Hochdeutsch gelernt haben. Viele meiner Kollegen sprechen hier auch nach Jahren noch immer ausschließlich Minestrone, diesen dämlichen bis kuriosen Eintopf aus süditalienischem Dialekt, durchsetzt mit deutschen Wortbrocken: »Ische kanne Ihne heude emfehle eine pesce midde frische pasta.« Das mag ja vielleicht ganz witzig sein, und du darfst als Kellner damit spielen, weil es insbesondere deinen deutschen Gästen sehr gefällt, wenn du dich für sie zum grenzdebilen Pizzabrot machst. Aber wenn du im Leben nicht mehr drauf hast, bleibst du nicht nur als Kellner ein Clown, dem kein Respekt entgegengebracht wird.

Was meine persönliche Vita betrifft, so habe ich mich – mit solidem Schulabschluss, einer Ausbildung zum Hotel- und Restaurantfachmann in Deutschland, Italien und der Schweiz, der Spezialisierung auf französische und deutsche Küche und ungezählten Semestern in der Küche meiner Mamma – dann doch lieber am eigentlichen Wortsinn meiner beiden Vornamen orientiert: Cosimo, der Schöne, und Walter, der Herrscher. Eine perfekte Beschreibung für das, was ein kulinarisch kompetenter und emotional intelligenter Kellner sein sollte: ein schöner Herrscher.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: So ziemlich jeder italienische Mann – und in dieser Beziehung gibt es selbst zwischen Nord- und Süditalienern ausnahmsweise keinerlei Dissens – hält sich mindestens für einen Adonis oder David. Und selbstredend ist der Süditaliener jederzeit fähig, in Sekundenschnelle vom schwitzenden terrone zu einem genital gesteuerten testosterone zu mutieren. Warum wohl sonst liegen die Jungs im Sommer aufgereiht und auf die Ellenbogen gestützt am Strand, lassen die Brustmuskeln spielen und funkeln die vorübergehenden Mädels an wie eine ausgefallene Ampel im Warnblinkmodus? Verglichen mit diesen Anstrengungen haben es wir italienischen Kellner sogar deutlich leichter. Klar sehen wir verdammt gut aus, aber das Bild, das wir abgeben, setzt sich im Ristorante eben auch in großen Teilen aus der Projektion unserer Gäste zusammen, die in uns all das sehen, was sie selbst an Italien lieben: die Sonne, das Meer, la dolce vita und nicht zuletzt das gute Essen.

Serviceautistin trifftAushilfsgigolo

Insbesondere in deutschen Großstädten herrscht bei vielen Gastronomen (und ganz offensichtlich auch bei vielen Gästen) der Irrglaube vor, man könne eine uninspirierte Schnellküche in einen Ort gehobener Gastronomie verwandeln, indem man das (vorzugsweise weibliche) Servicepersonal in möglichst knöchellange Schürzen hüllt. Erscheint dann eine dergestalt kostümierte Figur an deinem Tisch – was gut und gern zehn Minuten dauern kann, bis dir diese Ehre zuteil wird, weil du zuvor trotz bohrender Blicke mit totaler Ignoranz belegt wurdest –, erweist sich leider häufig sehr schnell, dass die Länge der Schürze diametral zur Kompetenz der arrogant bis dämlich grinsenden Servicekraft steht. Der als Beilage gedachte Salat wird zur Vorspeise, weil das dazugehörige Nudelgericht, ein als Carbonara angepriesener, in fettiger Sahnesoße schwimmender Pastaberg mit verklebten Formfleischstückchen erst zwanzig Minuten später deinen Tisch erreicht. Statt »Guten Appetit« wird dir dann auch noch »Viel Spaß« beim Essen gewünscht, wo doch schon der Anblick dieser mirkowellengewärmten Nudeln unmissverständlich klarmacht, dass sich die einzig absolut spaßfreie Zone gerade auf dem Teller vor dir auftut. Wenn es hart kommt, blitzt dich beim Abgang dann auch noch ein vom Schürzenknoten stranguliertes Arschgeweih vom Hüftspeck an, und spätestens jetzt drängt es mich zu rufen: »Eh Kollegin, pack doch mal dein Hirn aus der Tasche. Der Platz zwischen deinen Ohren taugt zu mehr als nur dazu, deine schräge Föhnfrisur spazieren zu tragen.« Derart tiefergelegte Blondinen in Langschürzen begegnen einem natürlich nicht weniger selten auch in der Gestalt eines frisch gegeelten Aushilfsgigolos.

Warum mich das so richtig traurig macht? Ehrlich, mich verletzt diese Interpretation des Servicegedankens zutiefst, weil sie einen in meinen Augen sehr ehrenwerten Berufsstand komplett diskreditiert. »Kellner« ist heute fast ein Schimpfwort geworden, nur weil diese wachsende Horde von Serviceautisten nicht den Hauch einer Ahnung hat, was einen wahren Kellner vor allem auszeichnet: sein wacher Geist und sein extrem multiples Persönlichkeitsprofil.

Als Kellner musst du mindestens hundert Prozent geben. Und du segelst dabei hart an der Schizophrenie, weil du den fliegenden Rollentausch vom sensiblen Psychologen über den weltoffenen Diplomaten oder eloquenten Smalltalker bis zum begehrenswerten Liebhaber aus dem Effeff beherrschen und dabei höllisch aufpassen musst, dass du nach Feierabend noch weißt, wer du bist. Die Grundvoraussetzung dafür ist ein sensibles Kellnerradar. Wie ein Dompteur musst du auf deiner Station den Kreis deiner hungrigen Gäste zu jeder Zeit im Griff haben, selbst wenn du ihnen den Rücken zudrehst. Kein Gang zur Cucina, bei dem du deine Gäste nicht aus den Augenwinkeln scannst und mit jeder Pore auch feinste atmosphärische Störungen wahrnimmst.

An Tisch elf das Pärchen, das sich nun schon seit fünf Minuten hinter den Speisekarten versteckt und anschweigt. Entweder weil sich die beiden sowieso nichts zu sagen haben oder weil sie zum ersten Mal in einem Restaurant der gehobenen Kategorie sind und sie schon der Anblick der Stoffservietten auf dem Tisch einschüchtert und sprachlos macht. Ein schnelles Nicken Richtung Ecktisch: »Klar, zahlen, Rechnung kommt«, plus meiner pantomimisch artikulierten Frage, ob es noch zwei Grappa sein dürfen. »Okay, gerne!« Und da an Tisch sieben sind gerade zwei Stammgäste angekommen. Seit 15 Jahren immer Tisch sieben, immer das gleiche Essen, immer ausgesprochen freundlich. Der Dottore, Ende fünfzig, im Vorstand eines großen Konzerns, maßgeschneiderter Anzug, eine liebenswerte Mischung aus konservativem Wertebewusstsein und liberaler Lockerheit. Die Signora, immer perfekt gestylt, sehr sportlich und mit herausforderndem Lächeln. Wir plaudern kurz über die erwachsenen Kinder und das allgemeine Wohlbefinden. Ich frage: »Wie immer?« Ein kurzer Augenaufschlag als Antwort. Selbstverständlich, was für eine Frage.

Ein paar Tage später erscheint dann der Dottore um die Mittagszeit in wesentlich jüngerer Begleitung, wahrscheinlich seine Sekretärin, und auf den ersten Blick ist klar, dass die beiden mehr als eine geschäftliche Beziehung verbindet. Ich führe den Dottore zu einem Tisch – natürlich nicht Tisch sieben – und begrüße ihn mit den Worten: »Hallo Dottore, lange nicht gesehen, wie geht es Ihnen?« Und er: »Hallo Walter, ja danke, schön, mal wieder hier zu sein, alles bestens.« Damit ist die Sache geklärt: meine Diskretion gegen sein Trinkgeld.

Bei allen Rollen, die ich als Kellner spielen muss, steht mir die des moralischen Richters nun wirklich nicht zu. Hallo? Ein Kellner lebt vom Trinkgeld, und dafür spielen wir sehr gerne den loyalen Freund und Diener. Außerdem lieben wir Süditaliener eben auch die bösen Buben, sofern sie erfolgreich sind, und deshalb ist gegen einen kleinen Deal unter Männern, zumal wenn es um Frauen, Autos oder Fußball geht, nichts einzuwenden. Aber ich bin auch aus ganzem Herzen überzeugt davon, dass der Dottore und seine Signora eine wirklich gute Ehe führen. Sie lieben sich, haben zwei tolle Kinder großgezogen, sie pflegen gemeinsam ihre Tisch-sieben-Rituale, mit denen sie sich gegenseitig versichern, dass in ihrem Leben alles seine Richtigkeit hat. Trotzdem gönnen sie sich hier und da ein paar Freiheiten. Ich halte es jedenfalls nicht für unwahrscheinlich, dass auch die Signora ihrem Dottore ab und an zuhause eine Pasta Aglio e Olio mit reichlich Peperoncino serviert. In Süditalien ist das die »Nudel der Gehörnten«, weil sie sich so schnell zubereiten lässt, dass du deinem Mann auch dann noch ein schmackhaftes Abendessen auf den Tisch stellen kannst, wenn sich das Bodyshaping bei deinem durchtrainierten Personal Trainer deutlich in die Länge gezogen hat, weil der sich heute mal wieder bis zu deinen erogenen Zonen vorarbeiten durfte. Wie auch immer, für mich zählt, was ich sehe. Und bei diesem wunderbaren Paar an Tisch sieben spüre ich auch nach all den Jahren den Respekt und die Liebe, die sie füreinander empfinden.

»Siiiiignoooooriiiiina«

Pause von zuhause. Abstand vom Arbeitsstress. Ein kleiner Kurzurlaub vom Alltag. Genau so soll sich der Besuch in einem italienischen Spitzenrestaurant knapp unterm Sternenhimmel für unsere Gäste anfühlen. Ich weiß, das volle Klischee. Aber ehrlich, genau das ist es doch, was ihr Deutschen euch von einem Besuch beim Italiener versprecht. Das ganz große Pavarotti-Gefühl. Und genau hier kommen wir Kellner ins Spiel. Denn wir sind zu einem nicht unbeträchtlichen Teil für die Magie des Ortes zuständig. Wir sensibilisieren die Sinne für das, was die Küche an frischen Feinheiten zaubert. Wir verführen unsere Gäste, kulinarisches Neuland zu betreten, schaffen es aber auch, die Standards atmosphärisch zu einem großen Gaumenkino zu veredeln, das beim ersten Bissen all die schönen Italienbilder bei unseren Gästen heraufbeschwört.

Ich sage immer: Gutes Essen ist wie guter Sex. Bei beidem steigert die raffinierte Inszenierung den Erlebniswert. Aber wie im Fußball gilt auch hier: Wer zaubern will, braucht die richtige Strategie.

Das Wichtigste – und an diesem Punkt überschätzen auch wir Kellner unsere Fähigkeiten nicht – ist eine gute Küche. Ist der Koch ein Idiot, hast du als Kellner keine Chance, zu großer Form aufzulaufen. Du brauchst einen Spitzenkoch, einen wie Rino, den ich bis heute als einen echten Paganini am Herd und als Hohepriester der Pasta verehre. Er hatte ein großes Feingefühl selbst für die kleinsten Nuancen, die den Unterschied zwischen einer guten Küche und einer wirklichen Spitzenküche ausmachen. Er komponierte seine Gerichte intuitiv und hätte sich locker mindestens einen Stern erkochen können. Doch das interessierte ihn nicht. Er war auf seine Weise nicht ganz von dieser Welt. Was meine Behauptung unterstreicht, dass ausnahmslos allen Köchen ein Teil ihres Hirns in der Hitze des Herdes verschmort ist.

Das Spielfeld für uns Kellner gliedert sich zunächst einmal in unterschiedliche Stationen. Eine Station besteht in der Regel aus sechs Tischen, die von einem Kellner und seinem Commis, also dem Assistenten, bedient werden, der bei Bedarf wahlweise als Brotkorbschlepper oder Tischabräumer beschimpft wird. Diese Grundstruktur wird mit einem taktischen Konzept aus variablem Stellungsspiel und einstudierten Laufwegen verfeinert, denn mit dem Anpfiff müssen wir bereit und in der Lage sein, auf jede neue Spielsituation im Ristorante angemessen reagieren zu können.

Der Tisch des Padrone ist strategisch so positioniert, dass er alle neuen Gäste sehen und, wenn er sie für wichtig genug hält, auch persönlich begrüßen kann. Von noch größerer Bedeutung für den Padrone ist allerdings, dass er von seinem Tisch den Eingang zur Küche, die Bar und auch uns Kellner jederzeit im Blick hat. Denn in der italienischen Gourmet-Galaxie dreht sich alles nur um eine Sonne: den Padrone.

Dann gibt es die Sehen-und-gesehen-werden-Tische. Selbst wenn es an diesen Tischen vier Unheimlich-wichtig-Plätze gibt, wird erst mal nur für zwei eingedeckt. Wer hier Platz nehmen darf, entscheidet der Padrone. Oder, falls der nicht anwesend ist, der geschäftsführende Kellner: Stammgäste, die sich gerne im feinen Outfit bestaunen lassen; A-, B-, C-Promies von glamourös bis peinlich; Business-Runden, die einen Sieg zu feiern haben, und manchmal ganz normale Gäste, die wir an einen dieser Tische führen, weil sie als hübsches Paar ein entzückendes Bild abgeben, das unsere Inszenierung unterstützt. Wie Leuchttürme sind diese Hotspots so im Restaurant verteilt, dass sie von möglichst vielen anderen Gästen gut gesehen werden können. Denn schließlich sollen alle etwas davon haben: Die Tennislegenden und Tortitanen, die echten und vermeintlichen Pop- und Show-Stars, die auch im Restaurant die Bühne für ihr Ego brauchen, aber auch alle Normalos, die sich im Glanz und ob der plötzlichen Nähe zu so viel Prominenz selbst auch ein wenig wichtiger fühlen dürfen. Wunderbar, so soll es sein. Falls es der Padrone nicht vermasselt.

Vor ein paar Wochen erst besuchte eine der derzeit wohl erfolgreichsten deutschen Schlagersängerinnen ganz ohne große Entourage unser Ristorante und landete, warum auch immer, an einem absoluten Katzentisch. Das sind die Tische, die üblicherweise den Langweilern oder den modischen Analphabeten vorbehalten sind, die zuhause offensichtlich ohne Spiegel leben und absolut schmerzfrei durchs Leben laufen, weil man sich so normalerweise nicht auf die Straße traut. Ich sage nur: signalrosafarbene Strech-Leggins. Jedenfalls, an so einem No-go-Tisch landete der nun wirklich smart gekleidete Schlagerstar, wobei es von Format spricht, dass sie zu der Kategorie von Promis zählt, die trotz eines hohen Celebraty-Faktors den Ball jenseits der Bühne wohltuend flach halten. Ganz einfach, weil sie, wie alle anderen auch, nur mal ganz entspannt eine leckere Pasta essen wollen. Daraus wurde nun leider nichts, denn als ich auf dem Rückweg aus der Küche diesen Fauxpas bemerkte, flüsterte ich dem Padrone zu: »Eh Padrone, siehst du die Frau da drüben am Beistelltisch. Du weißt, wer das ist, oder?« Der eh schon schlecht gelaunte Padrone hob unwirsch die Schultern und nuschelte genervt: »No, woher soll ich das wissen, ich kann mich uuunmöglich um alles kümmern.« Ich: »Mensch Padrone, das ist die absolute Topschlagergranate in Deutschland, die hier gerade ein Konzert gibt und die du doch unmöglich …« Noch bevor ich mit meinem Satz zu Ende war, drehte sich der Padrone wie ein geölter Blitz und mit einer agilen Beweglichkeit, die ich ihm bei seinen gut hundert Kilo Lebendgewicht niemals zugetraut hätte, mit einer perfekten Pirouette von seiner Eckbank an mir vorbei in die Senkrechte und tänzelte los zu ihrem Tisch. »Siiiiignoooooriiiiina«, flötete der Padrone die Sängerin in seinem hellsten Tenor an. Dazu muss man wissen, dass dieses lang gezogene »Siiiiignoooooriiiiina« im Kellnerjargon eigentlich bedeutet: »Bella Donna, du bist zum Niederknien schön, und ich würde wirklich alles dafür geben, um dir später noch einmal unter vier Augen die Feinheiten italienischer Liebes- und Lebensart etwas näherzubringen.« Jedenfalls heulte der Padrone, als er ihren Tisch erreichte, sirenengleich: »Scusiiii Siiiiignoooooriiiiina, dass ich Sie so lange vernachlässigt habe, darf ich Sie jetzt zu Ihrem Platz begleiten.« Der Padrone beugte sich leicht nach vorne und hielt ihr wie ein vollendeter Gentleman den Arm hin, aber mir schien fast, dass die zierliche Sängerin dieses Angebot ein wenig zögerlich annahm. Hätte sie mal lieber »Nein« gesagt. Auf dem Weg zu ihrem V.I.P.-Tisch richten sich nun die Augen aller anderen Gäste auf sie und den Padrone, der mit ihr durchs Ristorante stolzierte, als würde er gerade seine Braut zum Altar führen. Hinter ihrem Rücken winkte mich der Padrone mit seiner freien Hand bei Fuß, um dann auf breiter Schleimspur weiter zu säuseln: »Und Siiiiignoooooriiiiina, darf ich Ihnen Walter vorstellen, der sich jetzt ganz persönlich um Sie kümmert.« Walter wird natürlich nicht gefragt, ob er gerade Zeit dafür hat. Das Wort des Padrone ist Gesetz. Also habe ich mich gekümmert, wie immer, wenn ich dem Padrone einen Wunsch erfüllen darf, mit vollem Einsatz und strahlendem Lächeln. Wobei ich einräume, dass ich schon deutlich miesere Aufträge im Einsatz als Pannenhilfe für den Padrone habe erledigen müssen.

Neben den Tischen mit Starappeal gibt es in einem guten italienischen Restaurant auch die etwas schattigeren Plätze, für alle die Gäste, die in Ruhe und etwas ungestörter speisen oder reden möchten. Denn obwohl unsere Inszenierung eher auf entspannten Genuss ausgerichtet ist, wird unsere kulinarische Wellness-Oase nicht selten auch zum Ausgangspunkt oder Verhandlungsort für Geschäfte aller Art.

Unvergessen ist mir der Vorstand eines großen deutschen Konzerns. Ein Manager vom alten Schlag. Ein harter Hund und mit allen Wassern gewaschen. Innerhalb kürzester Zeit war er vom Manager des Jahres zur finstersten Heuschrecke mutiert, wahrscheinlich weil er sich im Dschungel der globalen Spekulations- oder Übernahmegeschäfte böse verzockt hatte, was weiß ich? Als es nun plötzlich eng wurde für ihn, nahm dieser Manager, wie schon häufig zuvor, an seinem Tisch im Ristorante Platz. Nur diesmal blieb er länger sitzen. Dafür wechselten die Tischgäste in stetigem Fluss. Verhandlungspartner und Anwälte in ihren dunkel karierten Sakkos trabten nacheinander an, ließen sich ihre vorbereiteten Papiere um die Ohren hauen und zogen wieder ab. So zog sich das geschäftige Kommen und Gehen über mehrere Tage hin, bis jedes Detail geklärt, der letzte Handschlag vergoldet und die Tinte unter allen Papieren getrocknet war. Nachdem dann alle Advokaten seinen Tisch verlassen hatten, lehnte sich mein Manager breit grinsend zurück und winkte mich zu sich. »Weißt du, mein Junge«, sagte er mit tiefer und gelassener Selbstüberzeugung, »wo ich sitze, ist immer oben.« Dann ließ er sich von seinem Lieblingswein noch eine frische Flasche bringen.

Heute irritieren mich solche Typen eher. Ich kann kaum glauben, wie man so ungebrochen und ohne jeden Zweifel von sich selbst überzeugt sein kann. Fehler absolut ausgeschlossen. Damals aber war ich für einen Moment richtig stolz. Was für ein Typ, dachte ich, der baut die größte Scheiße der Welt, führt trotzdem alle anderen am Nasenring durch die Arena und grinst sich eins mit einer fetten Abfindung im Sack. Und wo zieht er diesen Deal durch? Nicht in seinem Büro, wo er keinem mehr über den Weg traut, weil selbst die Kaffeelöffel im Konferenzraum Ohren haben. Nein, er kommt zu uns. Zu seinem Lieblingsitaliener, denn hier hat er ein Heimspiel, hier fühlt er sich sicher und kein Feind hört mit. Außer dem Kellner. Aber der ist, ein entsprechendes Trinkgeld vorausgesetzt, ein extrem loyaler Freund, und gegen die Verschwiegenheit eines fürsorglichen Kellners ist jede anwaltliche Schweigepflicht ein verschwatztes Kaffeekränzchen.

Ich würde mich jedenfalls nicht wundern, wenn die Vorreservierungen für unsere Businesstische wieder zunehmen. Wo jetzt schon das Handy der deutschen Regierungschefin abgelauscht wird, dürfte die ungestörte Privatsphäre beim Lieblingsitaliener deines Vertrauens für die High-confidential-Gespräche unter vier bis acht Augen eine echte Renaissance erleben: face to face – und die NSA muss draußen bleiben.

Alles für alle

Reden wir mal vom Trinkgeld. Wir Kellner leben schließlich davon. Ehrlich, das ist mir ein wichtiges Anliegen, die Sache mit dem Trinkgeld einmal klarzustellen. Das Trinkgeld macht für einen Kellner nicht nur einen erfreulichen Bestandteil seines Arbeitslohnes aus. Es ist vor allem unsere Wertschätzungswährung, und nur die zählt – fürs Ego. Dafür laufen wir uns die Hacken ab, liefern unsere Service-Performance, und selbstverständlich wird in dieser Währung auch die Kunst der Küche honoriert.

In meinen Augen ist es deshalb eine Unart, die ich bei gar nicht so wenigen Gästen beobachte, die, ohne ein Trinkgeld zu geben, einfach aufstehen und gehen. »Mensch, sag mir, warum du unzufrieden bist!«, würde ich denen am liebsten hinterherrufen. »Hat dir das Essen nicht geschmeckt? Habe ich dich schlecht behandelt? Sag es mir, wenn ich einen Fehler gemacht habe, und gib mir die Chance, es wiedergutzumachen.« Aber sich einfach rauszuschleichen, das geht eigentlich gar nicht. Das Trinkgeld ist ein extrem fairer Deal. Wenn du nicht zufrieden bist, erwarte ich kein Trinkgeld, aber eine nachvollziehbare Kritik. Und wenn wir dich glücklich gemacht haben, dann freue ich mich sehr über einen ebenso nachvollziehbaren Obolus. Ich betone das Nachvollziehbare hier so – weil: Fast noch schlimmer als die Einfachdavonschleicher sind die berüchtigten Aufrunder.

Zu einem Aufrunder kommst du mit einer Rechnung über sagen wir 29,20 € an den Tisch, und dann hält er dir einen Fuffi entgegen und sagt: »29,20? Ähm, ja dann machen Sie doch bitte 20,29 €, ha,ha,ha, nein, war nur Spaß, machen Sie 30, stimmt so!« Dann schaust du dir den Typen an und merkst, der kommt sich in seiner Knauserigkeit tatsächlich auch noch generös und witzig vor. Die Aufrunder begegnen dir aber nicht nur in der Version des geizigen Sparbrötchens. Auch die gut betuchten Gäste spielen beim Trinkgeld nicht selten in der Aufrunderliga.

Da gab es diesen stadtbekannten Immobilienmakler. Immer gestylt für den großen Auftritt. Ein kluger Kopf, den ich sehr mochte. Aber für mein Gefühl hatte er ein Problem: Er hatte sein Adrenalin nicht im Griff. Jedenfalls war er immer eine Spur zu laut, zu arrogant, zu aggressiv unterwegs, und so fegte er nicht selten auch zu uns zum Mittag- oder Abendessen herein. Meist mit ebenso anstrengendem Gefolge. Wenn dann der Abflug mit viel Getöse angesagt war, blieb auf dem Tisch immer so ein klassisches Aufrunder-Trinkgeld von maximal 1,30 € liegen.