Dr. Stefan Frank 2534 - Stefan Frank - E-Book

Dr. Stefan Frank 2534 E-Book

Stefan Frank

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Beschreibung

Der große Schock

Als Lena krank ist, erfährt sie etwas Furchtbares


Mitfühlend betrachtet Dr. Stefan Frank die junge Frau, die neben ihm im Zugwaggon sitzt. Mit fiebrig glänzenden Augen schaut sie aus dem Zugfenster. Offenbar plagen sie heftige Kopfschmerzen, denn immer wieder presst sie die Hände gegen ihre Schläfen.
Plötzlich stößt sie einen leisen Wehlaut aus. Sie versteift sich auf ihrem Platz, ein Ruck fährt durch ihren Körper, und sie stürzt auf den Boden. Dort beginnt sie unkontrolliert zu zucken.
Dr. Frank leistet sofort Erste Hilfe, ihm ist schnell klar, worauf die Symptome seiner Mitreisenden hindeuten: Vermutlich leidet sie unter einer Hirnhautentzündung!
Wenig später bestätigt sich Dr. Franks Verdacht. Durch sein rasches Eingreifen kann die Frau gerettet werden. Allerdings hat die Erkrankung schwere Folgen für die Patientin. Als sie wieder zu Bewusstsein kommt, erfährt sie, dass sie ab jetzt für immer taub ist ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Der große Schock

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: LightField Studios / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9197-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der große Schock

Als Lena krank ist, erfährt sie etwas Furchtbares

Mitfühlend betrachtet Dr. Stefan Frank die junge Frau, die neben ihm im Zugwaggon sitzt. Mit fiebrig glänzenden Augen schaut sie aus dem Zugfenster. Offenbar plagen sie heftige Kopfschmerzen, denn immer wieder presst sie die Hände gegen ihre Schläfen.

Plötzlich stößt sie einen leisen Wehlaut aus. Sie versteift sich auf ihrem Platz, ein Ruck fährt durch ihren Körper, und sie stürzt auf den Boden. Dort beginnt sie unkontrolliert zu zucken.

Dr. Frank leistet sofort Erste Hilfe, ihm ist schnell klar, worauf die Symptome seiner Mitreisenden hindeuten: Vermutlich leidet sie unter einer Hirnhautentzündung!

Wenig später bestätigt sich Dr. Franks Verdacht. Durch sein rasches Eingreifen kann die Frau gerettet werden. Allerdings hat die Erkrankung schwere Folgen für die Patientin. Als sie wieder zu Bewusstsein kommt, erfährt sie, dass sie ab jetzt für immer taub ist …

Die Behandlung von Vergiftungen gleicht einem Spaziergang am Rand eines brodelnden Vulkans. Ein falscher Schritt und …

„Entschuldigen Sie, bitte“, holte eine Frauenstimme Dr. Frank aus seiner Lektüre.

„Ja?“ Er klappte seine Broschüre zu und blickte hoch. Dabei ließ er einen Finger als Lesezeichen zwischen den Seiten.

Die junge Frau auf dem Platz neben ihm strich sich eine widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn. Seinem geschulten Blick entging nicht, dass Schatten auf ihren blassen Wangen lagen und dass ihre Augen fiebrig glänzten. Sie krampfte die Hände in die Lehne, als hätte sie Schmerzen.

„Entschuldigen Sie, bitte“, wiederholte sie, „können Sie mir vielleicht sagen, wo wir gerade sind?“

„Nun …“ Unwillkürlich richtete er den Blick zum Zugfenster. Die Aussicht war noch dieselbe wie bei ihrer Abfahrt vor einigen Stunden: Draußen wirbelten dicke Schneeflocken vorüber! Die verschneite Landschaft und der wolkenverhangene Himmel verschwammen im weichen Weiß des Schnees. Dazu stürmte es heftig. Es sah aus, als würde der ICE durch eine riesige Schneekugel fahren, die jemand kräftig geschüttelt hatte.

Und so ging das schon seit dem vergangenen Wochenende!

Der heftige Wintereinbruch hatte Stefan Frank dazu veranlasst, seine Reisepläne zu ändern. Anstatt mit dem Auto war er mit dem Zug nach Hamburg gefahren, denn die Autobahnen waren bei diesem Wetter unberechenbar.

Nach drei ebenso informativen wie anstrengenden Tagen auf dem Ärztekongress befand er sich nun auf der Heimreise. Wenn es nach der Aussicht ging, hätten sie genauso gut auf direktem Weg nach Alaska sein können!

„Draußen sieht man leider nicht viel mehr als den Schnee“, sagte er, „aber zum Glück haben wir die Anzeige hier im Zug.“ Er deutete zu der Tafel über dem Mittelgang.

Seine Nachbarin kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf.

„Ich kann das leider nicht lesen. Können Sie erkennen, was da oben steht?“

„Ja, der nächste Halt ist Ingolstadt.“

„Also haben wir bis München noch eine halbe Stunde Fahrt vor uns?“

„Sogar noch etwas mehr, würde ich annehmen.“

„Das ist gut. Haben Sie vielen Dank.“ Sie schenkte ihm ein Lächeln und zog ein Lehrbuch für Schwedisch aus ihrem Rucksack. „Ich sollte noch ein paar Vokabeln wiederholen.“

„Ist Schwedisch sehr schwierig zu erlernen?“

„Eigentlich nicht. Unsere beiden Sprachen stehen sich ziemlich nah. Manche Begriffe kann man sich beim Lesen zusammenreimen. So heißt kyss zum Beispiel Kuss. Allerdings gibt es auch falsche Freunde. So ist ein fartyg nicht etwa ein Fahrzeug, sondern ein Schiff. Und das schwedische Wort öl bedeutet Bier und keinesfalls eine Salatzutat.“

„Das sollte man tatsächlich vorher abklären“, erwiderte Stefan Frank schmunzelnd. „Studieren Sie die Sprache?“

„Leider nicht. Ich lerne sie nur in meiner Freizeit und bin, ehrlich gesagt, noch nicht sehr weit. Irgendwann möchte ich gern ein paar Wochen in Schweden verbringen. Ich möchte tagsüber wandern und nachts im Zelt übernachten, wo es mir am besten gefällt. Davon träume ich schon lange, aber bisher haben mir entweder die Zeit oder das Geld für so eine lange Reise gefehlt. Die Sprache zu lernen, hilft ein bisschen gegen das Fernweh.“ Sie stockte und rieb sich die Schläfen.

Stefan Frank bemerkte es und beugte sich ein wenig zu ihr.

„Entschuldigen Sie die Frage, aber fehlt Ihnen etwas?“

„Etliche Stunden Schlaf“, seufzte sie. „Die werde ich daheim endlich nachholen. Ich komme gerade von einem Lehrgang, wissen Sie? Dort bin ich kaum zum Schlafen gekommen. Es gab so viel Neues zu lernen. Und abends habe ich lange mit den Kollegen geplaudert. Das war sehr schön, aber auch anstrengend.“

„Was machen Sie denn beruflich?“

„Ich bin freischaffende Lektorin. In meinem Beruf verbringt man den größten Teil der Tage allein daheim am Schreibtisch, deshalb tut es gut, einmal persönlichen Kontakt zu Kollegen zu haben. Die vergangenen Tage waren wunderbar, aber jetzt kann ich es kaum erwarten, wieder heimzukommen. In München muss ich umsteigen, dann bin ich eine halbe Stunde später in Grünwald.“

„Ich komme auch aus Grünwald. Stefan Frank ist mein Name.“

„Frank? Sind Sie zufällig Arzt? Und haben Sie eine Praxis in der Gartenstraße?“

„Ja, das trifft alles zu.“

„Na so was! Wie klein die Welt doch ist. Meine Nachbarin ist bei Ihnen Patientin und schwärmt sehr von Ihnen, deshalb habe ich schon überlegt, in Ihre Praxis zu wechseln.“ Sie lächelte ihn an. „Lena Eckstein heiße ich.“

„Es freut mich, Sie kennenzulernen, Lena. Kommen Sie gern zu mir. Meine Praxis hat ab morgen wieder geöffnet.“

„Vielen Dank. Das werde ich mir merken.“ Sie kramte in ihrer Handtasche und förderte eine Wasserflasche und eine Schachtel Schmerztabletten hervor. Während sie zwei Tabletten einnahm, piepte sein Handy. Er hatte eine Nachricht erhalten.

Dr. Frank zog sein Mobiltelefon hervor und rief die Mitteilung auf. Die Zeilen kamen von Alexandra. Seine Freundin hütete sein Haus, während er nicht daheim war.

Hast du eine gute Reise, Liebling? Hoffentlich steckt dein Zug nicht in irgendeiner Schneewehe fest. Hier schneit und schneit es ohne Unterlass. Ich muss gleich noch einmal Schnee schaufeln, damit das Haus nicht völlig eingeschneit wird. Komm mir gesund heim, ja? In Liebe Alexandra

Sein Herz wurde weit. Nach einem schweren Schicksalsschlag war er lange Jahre allein geblieben, bis Alexandra das Glück in sein Leben zurückgebracht hatte. Die warmherzige Augenärztin war sein Ein und Alles. Er konnte es kaum erwarten, wieder bei ihr zu sein.

Mein Zug ist kurz vor Ingolstadt, schrieb er zurück. Wenn alles gut geht, bin ich in anderthalb Stunden daheim.

Er schickte die Nachricht ab und erhielt wenig später eine Antwort.

Das ist großartig. Kannst du mir vielleicht ein aktuelles Foto von dir senden? Du warst so lange fort. Wer weiß, ob ich dich noch wiedererkenne …

Lange? Es waren nur drei Tage!

Und die kamen mir vor wie eine Ewigkeit.

Ja, mir auch …

Er lehnte sein Handy an das Fenster, stellte den Selbstauslöser ein und formte mit den Händen vor der Linse ein Herz. Als es klickte, kontrollierte er die Aufnahme. Ja, es war gut zu erkennen. Er schickte das Foto ab und erhielt wenig später eine Antwort: ein Herz, geformt aus Frauenhänden …

Sanft strich er über das Display.

Im selben Augenblick näherte sich klappernd der Rollwagen des Bordrestaurants. Ein sehniger Mann mit grauem Bart und der Dienstkleidung der Bahn bot lautstark einen Imbiss an.

„Kaffee? Tee?“ Fragend blickte er nach links und rechts. Sein Zungenschlag verriet seine Hamburger Wurzeln.

„Könnte ich einen Kaffee bekommen?“, bat Dr. Frank.

„Sehr gern. Mögen Sie auch etwas Gebäck dazu? Ich habe Zimtplätzchen.“

„Nur den Kaffee, bitte. Mit Milch, wenn es geht.“ Stefan Frank bezahlte und bekam einen Becher hingestellt. „Was für ein Sturm da draußen, nicht wahr?“

„Ach wo. Das nennen Sie hier im Süden einen Sturm?“ Sein Gegenüber kniff verschmitzt ein Auge zu. „Bei diesem Wetter knöpfen wir uns im Norden noch nicht einmal die Jacke zu!“

„So so.“ Schmunzelnd nahm Dr. Frank einen Schluck Kaffee, während der Bordsteward seinen Weg fortsetzte.

Seine Nachbarin hatte sich unterdessen in ihr Lehrbuch vertieft. Auch er nahm sich nun wieder seine Unterlagen vor und vertiefte sich darin. Das gedämpfte Rumpeln der Räder über die Schienen begleitete seine Lektüre im Hintergrund.

Sie erreichten Ingolstadt. Hier verließen einige Reisende das Abteil. Wenige andere stiegen zu. Der ICE setzte sich wieder in Bewegung.

Stefan Frank war gerade bei einem Abschnitt über das ärztliche Einschreiten bei akutem Leberversagen angekommen, als die Abteiltür polternd aufgeschoben wurde und ein Mann durch das Abteil strebte. Er war von großer, durchtrainierter Statur und bewegte sich wie ein Mensch, der seine Ziele fest im Blick hat und darauf zustrebt. In seinen dunklen Haaren glitzerten Schneekristalle.

Offenbar war er soeben erst zugestiegen. Unter seiner wattierten Jacke trug er einen blauen Norwegerpullover, dazu Jeans und Stiefel. An der Leine führte er einen Foxterrier – einen kleinen Hund mit braun geflecktem Fell, nach vorn abgeknickten Ohren und pfiffigen braunen Augen.

Plötzlich blieb der Unbekannte stehen und fasste die Platznachbarin von Dr. Frank überrascht in den Blick.

„Lena?“, fragte er mit dunkler Stimme. „Was machst du denn hier?“

Ihr Kopf ruckte hoch.

„Manuel.“ Ihre Miene gefror. Sekundenlang arbeitete es in ihrem Gesicht. Es war schwer zu sagen, was sie empfand, aber erfreut war sie über diese Begegnung nicht. So viel war offenkundig. Sie schaute zu dem Foxterrier hinunter. „Was machst du denn mit dem armen Hund?“

„Er begleitet mich.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen.“

„Warum denn nicht?“

„Weil dir Verpflichtungen ein Gräuel sind. Du würdest dich sogar scheuen, dir eigene Unterhosen anzuschaffen, wenn es nicht absolut notwendig wäre. Sie könnten ja irgendwelche Ansprüche an dich stellen.“

Der Unbekannte zog die Augenbrauen hoch. Dann verzogen sich seine Lippen zu einem Schmunzeln.

„Ich hätte nicht erwartet, dass meine Unterhosen für dich von so großem Interesse sind. Nach all der Zeit …“

„Das habe ich auch nicht gesagt. Du verdrehst schon wieder meine Worte“, erwiderte sie.

„Und du die Augen“, konterte er.

Diese beiden kennen sich schon länger, stellte Stefan Frank fest, der ungewollt Zeuge des kleinen Schlagabtauschs wurde.

„Kommst du gerade aus dem Urlaub zurück, Lena?“

„Nein, ich war beruflich unterwegs.“

„Und daheim wartet dein neuer Freund auf dich?“

„Das geht dich nichts mehr an.“

„Wie ist er denn so, dein Neuer?“

„Ich habe nicht gesagt, dass ich wieder einen Freund habe, aber wenn es so ist, dann trägt er mich auf Händen.“

„Wirklich? Da kennt er dich aber schlecht.“

Ihr Nasenrücken kräuselte sich.

„Warum glaubst du das?“

„Weil man dich nicht tragen muss, Lena. Du bist stark genug, um deinen Weg selbst zu gehen. Aus eigener Kraft.“

Sie schluckte, und sekundenlang flammte in ihren Augen ein Ausdruck auf, der verräterisch wie Sehnsucht aussah. Hastig wandte sie den Kopf ab und blickte aus dem Fenster. Was auch immer in ihr vorging, der Unbekannte sollte es offenbar nicht sehen.

Er schien zu verstehen, denn er nickte kaum merklich.

„Gute Reise noch, Lena“, sagte er sanft. Dann strebte er mit seinem Hund weiter und verließ das Abteil.

Lena blickte ihm nach. Dabei machte sie eine jähe Handbewegung, warf ihr Lehrbuch herunter und bückte sich danach, um es aufzuheben. Als sie es wieder vor sich hinlegte und darauf niedersah, bemerkte sie nicht, dass die Buchstaben nun auf dem Kopf standen. Das Buch lag falsch herum.

Ein Wiedersehen mit dem früheren Freund?, vermutete Stefan Frank. So etwas ist immer schmerzlich, aber diese junge Frau wirkt regelrecht krank. Ihre Wangen glühen, und nun reibt sie sich schon wieder die Schläfen, als hätte sie entsetzliches Kopfweh. Ob ich ihr noch einmal meine Hilfe anbieten soll?

Während er noch darüber nachdachte, stieß Lena plötzlich einen leisen Wehlaut aus. Sie versteifte sich auf ihrem Platz. Ein Ruck fuhr durch ihren Körper, und sie begann unkontrolliert zu zucken!

Ihre Augen verdrehten sich, sodass nur noch das Weiße zu sehen war. Sie verlor die Kontrolle über ihren Körper und rutschte auf den Boden. Zuckend blieb sie im Mittelgang liegen. Ein Krampfanfall!

Dr. Frank reagierte sofort.

Er sprang auf, nahm seine Jacke vom Haken und rollte sie unter dem Kopf der jungen Frau zusammen. Dann tastete er nach ihrem Puls. Ihr Herz raste, und ihre Haut war feucht und heiß. Sie glühte beinahe vor Fieber!

Das ist nicht einfach ein Infekt, erkannte er. Alles deutet auf eine Hirnhautentzündung hin. Oh, das ist nicht gut.

Die übrigen Mitreisenden spähten erschrocken zu ihnen herüber.

Er griff nach seinem Mobiltelefon, um einen Rettungswagen zum Hauptbahnhof zu rufen. Lena brauchte dringend medizinische Hilfe. Mehr, als er ihr hier ohne Ausrüstung bieten konnte.

„Halten Sie durch, Lena“, drängte er. „Hören Sie mich? Halten Sie durch!“

***

Vier Monate später

Alles war fort. Alles.

Lena fuhr auf ihrer Couch hoch und blickte sich mit weit aufgerissenen Augen um. Ihr Herz pumpte so wild, als wollte es ihr mehrere Rippen sprengen. Kalter Schweiß bedeckte ihre Haut. Und sie schrie. Sie spürte, wie ihre Stimmbänder Vibrationen in ihrem Hals erzeugten. Aber sie hörte nichts! Kein Geräusch. Nicht der allerkleinste Laut drang zu ihr durch. Es war, als würde ihr Kopf in einem Vakuum stecken!

Lena schlug die Hände vor ihr Gesicht. Sie wollte nichts mehr sehen – nicht den zauberhaften Sonnenuntergang vor ihrem Fenster, nicht die Meisen, die hungrig am Futterhäuschen nach Körnern pickten, nicht einmal die vielen Genesungskarten, die auf ihrem Schreibtisch aufgereiht waren und sie trösten sollten.

Sie wollte in dem schwarzen Schlund verschwinden, der sich vor vier Monaten vor ihr aufgetan hatte.

Die Stille. Diese endlose Stille.

Das Fenster stand offen. Ein milder Abendwind blähte die Vorhänge. Trotzdem fröstelte Lena. Denn das alles fühlte sich so unwirklich an. So, als wäre sie kein Teil dieser Welt.

Nur langsam beruhigte sich ihr wilder Herzschlag wieder.

Was sie geweckt hatte, wusste sie nicht. Ein Geräusch konnte es jedenfalls nicht gewesen sein, denn die Stille war seit vier Monaten ihr ständiger Begleiter.

Als sie im Zug einen Krampfanfall erlitten hatte, war Dr. Frank an ihrer Seite geblieben und hatte sie davor bewahrt, irgendwo anzustoßen und sich zu verletzen. Er hatte auch dafür gesorgt, dass sie mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht wurde. Dort hatten die Ärzte bei ihr eine Hirnhautentzündung diagnostiziert.

Lena hatte etliche Tage auf der Intensivstation zugebracht, dem Tode näher als dem Leben. Nach und nach war ihr Fieber gesunken, aber die Entzündung hatte sich ausgebreitet. Und das war nicht ohne Folgen geblieben.

Binnen weniger Tage hatte Lena ihr Gehör verloren. Seitdem fühlte sie sich, als wäre ihre Verbindung zur Welt gekappt worden. Alles war fort: das Geräusch ihres eigenen Atems, das Rascheln ihrer Kleidung bei einer Bewegung, das Ticken ihrer Uhr, sogar ihre eigene Stimme …

Früher hatte sie nicht einmal geahnt, wie wichtig die Geräusche des Alltags für sie waren. Sie halfen ihr beim Orientieren und gaben ihr Sicherheit. Jetzt hörte sie es nicht mehr, wenn der Postbote an ihrer Tür klingelte, wenn die Straßenbahn heranrumpelte oder die Kaffeemaschine prustete, sobald sie durchgelaufen war.

All dies hatte Lena mit ihrer Umwelt verbunden, ohne dass es ihr bewusst gewesen war. Jetzt war sie isoliert. Als würde sie auf einem einsamen Planeten festsitzen.

Am meisten fehlte es ihr, sich mit anderen Menschen zu unterhalten. Für ihr Gegenüber war es umständlich, jede Bemerkung erst aufschreiben zu müssen.