Dr. Stefan Frank 2684 - Stefan Frank - E-Book

Dr. Stefan Frank 2684 E-Book

Stefan Frank

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Beschreibung

Die Achtunddreißigjährige Eva hat sich ihren absoluten Traum erfüllt. Im Süden von München führt sie eine kleine Alpakafarm und bietet tiergestützte Pädagogik für Kinder mit sozialen und psychischen Problemen an.
Eva liebt ihre Arbeit, doch das Leben ist alles andere als einfach für sie. Ihr großer Perfektionismus, die sich hinziehende kraftraubende Scheidung von ihrem manipulativen Ex-Mann und nicht zuletzt die immer stärker werdenden Schmerzen in allen möglichen Körperregionen kosten sie mit der Zeit zu viel Kraft. Sie hat bereits einen Ärztemarathon hinter sich, doch es gibt bisher weder eine klare Diagnose noch ein wirksame Therapie für ihre Beschwerden. Inzwischen hat sie resigniert - Schmerzen und Erschöpfung bekämpft sie mehr schlecht als recht mit Schmerz- und Schlafmitteln.
Doch dann tritt die Wissenschaftsjournalistin Michaela, die einen Artikel über die pädagogische Arbeit mit Tieren schreibt, in ihr Leben, und alles ändert sich.
Sofort ist da diese unglaubliche Sympathie, und Eva erlebt seit langer Zeit wieder Gefühle von Gelöstheit, echter Freude und tiefem Vertrauen. Mit der Zeit spürt sie immer wieder eine große Sehnsucht, Michaela ganz nah zu sein. Da ist ein Knistern zwischen ihnen, eine Spannung, die Eva sich nicht erklären kann. Was passiert hier plötzlich mit mir? Was ist das zwischen uns?, fragt sie sich ängstlich ...


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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Wenn Liebe Angst macht

Vorschau

Impressum

Wenn Liebe Angst macht

In der schwersten Zeit ihres Lebens erlebt Eva zum ersten Mal echte Gefühle

Die Achtunddreißigjährige Eva hat sich ihren absoluten Traum erfüllt. Im Süden von München führt sie eine kleine Alpakafarm und bietet tiergestützte Pädagogik für Kinder mit sozialen und psychischen Problemen an.

Eva liebt ihre Arbeit, doch das Leben ist alles andere als einfach für sie. Ihr großer Perfektionismus, die sich hinziehende kraftraubende Scheidung von ihrem manipulativen Ex-Mann und nicht zuletzt die immer stärker werdenden Schmerzen in allen möglichen Körperregionen kosten sie mit der Zeit zu viel Kraft. Sie hat bereits einen Ärztemarathon hinter sich, doch es gibt bisher weder eine klare Diagnose noch eine wirksame Therapie für ihre Beschwerden. Inzwischen hat sie resigniert – Schmerzen und Erschöpfung bekämpft sie mehr schlecht als recht mit Schmerz- und Schlafmitteln.

Doch dann tritt die Wissenschaftsjournalistin Michaela, die einen Artikel über die pädagogische Arbeit mit Tieren schreibt, in ihr Leben, und alles ändert sich.

Sofort ist da diese unglaubliche Sympathie, und Eva erlebt seit Langem wieder Gefühle von Gelöstheit, echter Freude und tiefem Vertrauen. Mit der Zeit spürt sie immer wieder eine große Sehnsucht, Michaela ganz nah zu sein. Da ist ein Knistern zwischen ihnen, eine Spannung, die Eva sich nicht erklären kann. Was passiert hier plötzlich mit mir? Was ist das zwischen uns?, fragt sie sich ängstlich ...

Es war ein kühler, aber klarer Herbstmorgen. Über den Wiesen hinter Eva Weinigers kleinem, altem Bauernhaus in dem winzigen Dorf Sonnenham lag noch ein wenig Morgennebel, doch es versprach, ein sonniger Tag zu werden.

Eva öffnete beide Küchenfenster und sog begierig die frische, fast beißend kalte Morgenluft ein. Dann machte sie sich still daran, ihre Thermoskanne mit Tee vorzubereiten. Sie hatte in den letzten zwei Jahren gelernt, dieses morgendliche Ritual zu lieben. Morgens um sieben fühlte es sich noch an, als gehöre die Welt ihr allein. Da war niemand, der etwas von ihr wollte, niemand, der etwas von ihr brauchte – und vor allem niemand, der ihr vorschrieb, wie sie zu sein hatte. So wie es all die Jahre zuvor Normalität für sie gewesen war ... all die Jahre ihrer Ehe mit Moritz. Eva schauderte unwillkürlich, doch das lag nicht an der Kälte.

Als sie ihren Tee fertig aufgebrüht hatte, zog sie sich ihren gefütterten Parka über den warmen Norwegerpullover, nahm sich eine Handvoll melassefreie Rübenschnitzel aus dem Kühlschrank und steckte diese in die Taschen ihres Parkas. Dann zog sie ihre hohen Gummistiefel an und verließ das Haus.

Mit der Thermoskanne in der Hand stapfte sie gemächlich über das nasse Gras zu der Weide am Waldrand. Wie jeden Morgen zauberte die Aussicht, gleich ihre geliebten Alpakas begrüßen zu können, den Anflug eines Lächelns in ihr sonst meist ernstes – fast schon melancholisch wirkendes – Gesicht.

Silvester, der einzige Hengst ihrer kleinen Herde erblickte sie schon von Weitem. Er gab ein leises Schnalzen von sich und trabte erwartungsvoll an den Zaun, wo er Eva mit aufmerksam gespitzten Ohren erwartete. Sein dunkles Fell war zu dieser Jahreszeit dick und wollig.

Nach und nach folgten ihm die anderen Tiere – fünf an der Zahl –, und als Eva das Zauntor erreicht hatte, stand die ganze Herde dichtgedrängt da und schaute sie aufmerksam aus dunklen Knopfaugen an. Eva wusste, dass man Tiere nicht vermenschlichen sollte – das war eines der ersten Dinge, die sie den Kindern erklärte, wenn diese zum ersten Mal mit den Alpakas in Berührung kamen. Dennoch hatten die Tiere natürlich Gefühle, und für Eva war es ganz klar, dass die freudige Erwartung, die die Tiere bei ihrem Anblick zu empfinden schienen, echt war und keine Einbildung. Es spielte keine Rolle, dass diese Freude zum Teil an die Leckereien in den Taschen von Evas Parka geknüpft war ... Liebe ging halt auch durch den Magen. Wenn das für Menschen galt, dann für Tiere erst recht.

Geschickt hakte Eva die Stromdrähte des Tores aus, um die Weide zu betreten. Als sie das Tor wieder schloss, versuchte Silvester vorsichtig, an ihrer rechten Tasche zu knabbern. Er konnte erstaunlich zudringlich sein für ein Alpaka. Eva lachte und schob sanft seinen Kopf zur Seite.

»Langsam«, murmelte sie zärtlich und streichelte den beiden jungen Stuten Rosie und Paula den Hals. »Ihr müsstet doch langsam wissen, wie der Hase läuft. Ich bekomme meinen Tee, und dann bekommt ihr eure Leckerlis.«

Ohne sich umzusehen, ging sie ein paar Schritte zu der alten Holzbank, die unter der großen, ausladenden, jetzt herbstlich kahlen Birke stand. Sie wusste, dass ihre Tiere ihr im Gänsemarsch folgen würden. Das taten sie immer.

Eva setzte sich, goss sich einen Becher heißen Tee ein und trank langsam und mit geschlossenen Augen die ersten paar Schlucke. Dann öffnete sie die Augen und ließ den Blick über die jetzt geduldig vor ihr wartenden Tiere, die sanft ansteigende Wiese, den dunklen Saum des Waldes und den langsam heller werdenden Himmel schweifen. Wie jeden Morgen war das in ihr aufsteigende Gefühl der Dankbarkeit fast überwältigend. Auch wenn sie tagsüber immer wieder in Stress geriet und sich so manches Mal von Sorgen, den ewigen Schmerzen und den vielen schwierigen Erinnerungen verfolgt fühlte – am Morgen war da vor allem eins: ein Gefühl von Liebe und von grenzenloser Freiheit. Liebe zu ihren Tieren und ihrer Arbeit – und Freiheit von über fünfzehn Jahren Eheunglück. Sie war frei, wirklich frei. Und das spürte sie jeden Morgen aufs Neue – so intensiv, dass es wie ein warmes, helles Vibrieren in ihrem ganzen Körper war. Wieder nahm sie mit geschlossenen Augen einen Schluck Tee, doch da stupste sie jemand vor die Brust. Es war Silvesters Tochter Greta, ein siebenmonatiges Jungtier mit karamellfarbenem Fell, unter normalen Umständen das wildeste Tier der ganzen Herde. Jetzt schaute Greta Eva ruhig aus ihren unergründlichen braunen Augen an, als wollte sie sagen: »Ja, ja, alles gut und schön ... aber jetzt wird es ja wohl langsam Zeit für uns, oder?!«

Eva kraulte Greta hinter den Ohren, und die ließ es sich gern gefallen. Dann stand sie auf und begann möglichst gerecht, die Rübenschnitzel unter den Tieren zu verteilen. Dabei stand sie mit beiden Beinen fest auf der Erde, sodass es nicht so schlimm war, falls eins der größeren Tiere sie versehentlich anrempeln sollte.

Eva hatte viel von ihren Alpakas gelernt! Nie wieder würde sie sich von irgendjemandem umherschubsen lassen – egal, ob Tier oder Mensch ...

***

Finn war nervös. Aber das war nichts Ungewöhnliches. Er war eigentlich immer nervös. Entweder er war nervös, oder ihm war einfach alles zu viel. Das waren die Momente, in denen er »platzte«, wie Frau Weiniger es nannte.

Erst neulich hatte er seine kleine Schwester so doll geschubst, dass sie hingefallen war und sich die Knie und das Gesicht aufgeschürft hatte. Finn wusste selbst nicht, warum er das getan hatte. Ihm war ja vollkommen klar, dass Klara mit ihren zweieinhalb Jahren nicht wirklich etwas dafür konnte, wenn sie ihn so wahnsinnig reizte. Und dass er mit seinen fast neun Jahren die Verantwortung hatte, anständig und rücksichtsvoll mit kleinen Kindern umzugehen. Und auch mit größeren eigentlich ...

Ängstlich ergriff er die Hand seiner Mutter. Was würde Frau Weiniger wohl von ihm denken, wenn sie hörte, wie fies er zu seiner kleinen Schwester gewesen war? Vielleicht würde sie ihn dann nicht mehr mögen. Denn er glaubte schon, dass sie ihn mochte – noch zumindest. Und er mochte sie. Sehr sogar. Sie und die Alpakas. Seine neuen, besten Freunde.

Finn und seine Mutter gingen um das alte Bauernhaus herum und sahen, wie ihnen Eva Weiniger aus Richtung der Weide am Waldrand entgegenkam. Mit ihrem karierten Hemd, ihren hohen Stiefeln und ihrem breitkrempigen Hut sah sie fast aus wie ein Cowboy, fand er. Nur, dass sie nicht mit Pferden und Rindern arbeitete, sondern mit Alpakas. Sie winkte und lächelte, und Finns Herz rutschte ihm noch ein wenig tiefer in die Hose. Am liebsten hätte er kehrtgemacht und wäre zum Auto zurückgelaufen.

»Mama?«, brachte er zögernd hervor.

»Ja?« Die Stimme seiner Mutter klang abwesend.

»Was, wenn ... wenn Frau Weiniger jetzt sagt, dass ich nicht mehr kommen darf?«

»Warum sollte Sie?«, entgegnete seine Mutter kühl. »Sie bekommt schließlich ein fürstliches Honorar für ihre Arbeit.«

»Aber was, wenn sie sagt, dass ich ... dass ich ... dass sie mir keine Verantwortung mehr überlassen kann ... für die Alpakas. Wegen der Sache mit Klara?«

»Ja, dann hast du dir das wohl selbst zuzuschreiben. Ich würde es ihr nicht verübeln, ehrlich gesagt. Diese Viecher sind bestimmt teuer. Wenn sich da eins verletzt, weil du wieder einen Ausraster hattest ... Die Dinge, die wir tun, haben eben Konsequenzen! Das kannst du gar nicht früh genug lernen ...«

»Hallo, Finn! Hallo, Frau Arlberg!« Eva Weiniger stand mit geröteten Wangen und etwas außer Atem vor ihnen. Unter ihrem Hut hatten sich ein paar Strähnen ihres langen blonden Haars hervorgewagt. Sie schüttelte Finn lächelnd die Hand.

»Schön, dich zu sehen! Sollen wir gleich loslegen? Wir können heute mal ein paar Weidenzweige für unsere Bande holen. Du wirst sehen, Greta liebt die über alles!«

Finn strahlte sie an. Greta war sein Liebling. Irgendwie fühlte er sich mit ihr verbunden, weil sie auch manchmal so wild und verrückt war. Wenn das Jungtier über die Weide raste und Bocksprünge vollführte, machte sein Herz auch jedes Mal einen Hüpfer.

»Frau Weiniger, ich muss vorher noch mit Ihnen reden«, erklang die Stimme seiner Mutter.

Einen Moment lang hatte er tatsächlich vergessen, was passiert war. Wieder wurde Finn von der ihn ewig begleitenden Nervosität gepackt. Er ließ die Hand seiner Mutter los und begann, an seinen Fingernägeln zu kauen. Am liebsten hätte er irgendwo gegen getreten. Irgendetwas getan, damit dieser unerträgliche Druck in seinem Inneren weniger wurde.

»Worum geht es denn?«, fragte Frau Weiniger seine Mutter. Ihr Gesicht war jetzt ernst.

»Der Finn hatte mal wieder einen seiner Ausraster. Diesmal hat er seine Wut an seiner kleinen Schwester ausgelassen ...«

»Ich verstehe«, unterbrach Frau Weiniger seine Mutter freundlich, »aber ich denke, es ist am besten, wenn Finn mir selbst davon erzählt.« Sie nickte ihm aufmunternd zu. »Oder, Finn? Wir sind doch eigentlich sehr gut im Gespräch miteinander.«

Er nickte stumm, traute sich aber nicht, Frau Weiniger in die Augen zu schauen.

»Na ja, ich will nur, dass Sie wirklich wissen, was vorgefallen ist«, beharrte seine Mutter. »Er hat seine Schwester so hart geschubst, dass die jetzt Schürfwunden im Gesicht hat ... völlig ohne Grund! Das müssen Sie einfach wissen. Ich kenne meinen Sohn schließlich – der redet sich aus so Sachen ganz geschickt raus, wenn man ihn lässt! Das hat er schon imm...«

»Frau Arlberg«, unterbrach Frau Weiniger seine Mutter wieder. Ihre Stimme war noch immer freundlich, aber jetzt auch sehr bestimmt. »Sie wissen ja, dass die Basis meines pädagogischen Ansatzes Vertrauen ist. Ich hab sehr gute Erfahrungen damit gemacht, solche Themen und Situationen mit den Kindern und Jugendlichen selbst zu besprechen. Langjährige Erfahrungen! Vielleicht können Sie mir da ein wenig vertrauen?«

»Ja, ich weiß nicht ...«, antwortete Finns Mutter irritiert. Dann schaute sie auf die Uhr. »Also, wenn Sie meinen. Ewig Zeit habe ich jetzt sowieso nicht.« Sie zögerte kurz, dann wandte sie sich zu Finn und gab ihm einen schnellen Kuss auf die Stirn. Am liebsten wäre er zurückgewichen, aber er wusste, dass sie das nicht mochte. Schon gar nicht in der Öffentlichkeit.

»Ich erwarte, dass du Frau Weiniger die Wahrheit sagst, klar?!«

»Mach ich«, murmelte der Junge.

»Also, gut, dann bis nachher. Und denk dran, Finn, wir müssen um Punkt vier Uhr los, also kein Gebummel.«

»Ja, okay ...« Der Druck in seinem Inneren war jetzt so stark, dass er das Gefühl hatte, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis er wieder platzte.

»Wir kriegen das hin, Frau Arlberg. Machen Sie sich keine Sorgen.« Frau Weinigers Stimme klang jetzt beruhigend, fast so, als spräche sie mit einem aufgeregten Alpaka. »Also, bis nachher.«

Seine Mutter wandte sich zum Gehen, und Finn stieß unwillkürlich den Atem aus. Eva Weiniger machte sich schon auf den Weg zu dem Weidensträuchern neben dem Haus. Im Gehen drehte sie sich um und lächelte ihm aufmunternd zu.

»Na, komm. Als Erstes füttern wir mal unsere Freunde, oder?«

Langsam folgte er ihr. Vor dem Haus hörte er das Auto seiner Mutter starten und wenden. Vielleicht würde Frau Weiniger ihn ja doch weiter zu den Therapiestunden kommen lassen. Sie wusste schließlich, dass er immer gut mit den Alpakas umging! Er rannte los und machte dabei ein paar übermütige Bocksprünge – so wie er es bei Greta schon oft beobachtet hatte. Plötzlich fühlte er sich ganz leicht.

»Komm, Frau Weiniger, die Tiere wollen doch nicht ewig auf uns warten!«, rief er fröhlich.

Als sie kurz darauf inmitten der Herde standen und sie mit ein paar jungen Weidenzweigen fütterten, erzählte Finn Frau Weiniger alles. Sie hörte ihm aufmerksam zu, ohne ihn zu unterbrechen. Auch die Alpakas schienen zuzuhören. Ruhig mampften sie die Zweige und warfen ihm ab und zu einen aufmerksamen Blick zu. Er hatte das Gefühl, dass sie ihn irgendwie verstanden. Oder ihn zumindest nicht verurteilten für das, was er getan hatte. Für das, was er war ... cholerisch, aggressiv, gemein ... ohne daran zu denken, wie es den anderen wohl gehen mochte mit seinem Verhalten ...

»Und es stimmt ja auch«, schloss er seine Erzählung, »ich bin so. Aber ich kann irgendwie nichts daran ändern. Obwohl ich es die ganze Zeit versuche.«

»Wer sagt, dass du so bist?«, fragte Frau Weiniger ihn ruhig.

»Meine Mutter. Und meine Klassenlehrerin auch. Die anderen Kinder sagen nur, dass ich ein Ochse bin. Ein blöder Ochse.«

Eva Weiniger schüttelte den Kopf.

»Ich finde, du bist ganz anders. Ich erlebe dich hier als sehr besonnen und fürsorglich. Du hast ganz schnell begriffen, was die Tiere von dir brauchen. Dass du ihnen anfangs zurückhaltend begegnen musst, damit sie Vertrauen zu dir fassen können. Das ist ein Zeichen dafür, dass du sehr empathisch sein kannst.«

»Pathisch? Was bedeutet das?«

»Empathisch. Das bedeutet, dass du die Fähigkeit – und auch die Bereitschaft – besitzt, dich in andere hineinzuversetzen. Also, dass du Gefühle, Gedanken, Bedürfnisse und Charaktereigenschaften von anderen wahrnehmen und verstehen kannst. Und dir vorstellen kannst, wie es ihnen wohl geht.«

Er nickte. »Ja, ich weiß, glaube ich genau, wie es Klara ging, als ich sie geschupst habe. Es hat richtig doll wehgetan, und sie hat sich bestimmt furchtbar erschrocken. Bestimmt war sie auch wütend. Außerdem hat sie das nicht verstanden. Ich bin doch ihr großer Bruder, der sie mag und sie sonst immer beschützt – warum also tue ich ihr so weh?«

Eva sah den Jungen erstaunt an. »Wow! Das war jetzt ein Grad von Empathie, den so mancher Erwachsener nicht hinbekommen würde. Ich bin wirklich beeindruckt, Finn!«