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Der Achtunddreißigjährige Außendienstler Philipp hat mit seiner Delia die Frau fürs Leben gefunden. Die acht Jahre jüngere Gastronomin ist gerade dabei, ihren zweiten Laden in München zu eröffnen und explodiert schier vor Elan und Kreativität. Philipp ist unglaublich stolz auf sie. Als sie seinen Heiratsantrag annimmt, könnte er nicht glücklicher sein. Alles läuft perfekt.
Doch dann beginnen die gesundheitlichen Probleme. Philipp, der raucht und auch sonst nicht besonders gesund lebt, baut körperlich ab. Er fühlt sich immer öfter schlapp und ist erschöpft. Trotzdem ist er nachts unruhig, schläft schlecht, und tagsüber nickt er immer wieder ein. Manchmal leidet er auch unter Erinnerungslücken, und seine Sprache ist verwaschen. Delia glaubt, dass ihr Verlobter heimlich trinkt. Die Harmonie gerät in gefährliche Schieflage ...
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Seitenzahl: 130
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Waches Herz, müde Augen
Vorschau
Impressum
Waches Herz, müde Augen
Philipps Schlafattacken belasten seine junge Ehe
Der Achtunddreißigjährige Außendienstler Philipp hat mit seiner Delia die Frau fürs Leben gefunden. Die acht Jahre jüngere Gastronomin ist gerade dabei, ihren zweiten Laden in München zu eröffnen und explodiert schier vor Elan und Kreativität. Philipp ist unglaublich stolz auf sie. Als sie seinen Heiratsantrag annimmt, könnte er nicht glücklicher sein. Alles läuft perfekt.
Doch dann beginnen die gesundheitlichen Probleme. Philipp, der raucht und auch sonst nicht besonders gesund lebt, baut körperlich ab. Er fühlt sich immer öfter schlapp und ist erschöpft. Trotzdem ist er nachts unruhig, schläft schlecht, und tagsüber nickt er immer wieder ein. Manchmal leidet er auch unter Erinnerungslücken, und seine Sprache ist verwaschen. Delia glaubt, dass ihr Verlobter heimlich trinkt. Die Harmonie gerät in gefährliche Schieflage ...
Delia musste lächeln, als sie den fast pinkfarbenen Apfel aus der hübschen Obstschale, die sie aus ihrem letzten Mykonos-Urlaub mitgebracht hatte, fischte und ihn in schmale Stifte schnitt. Eigentlich war die Siebenundzwanzigjährige allergisch gegen Äpfel, nur bei einer ganz speziellen Sorte blieb das unangenehme Kribbeln auf der Zunge aus. Philipp, ihr Freund, fuhr oft noch auf dem Heimweg von der Arbeit bei mehreren Supermärkten vorbei, um die besonderen Äpfel für seine Freundin aufzutreiben.
Delia schätzte die kleinen Gesten, mit denen ihr Freund ihr zeigte, wie sehr er sie liebte. Obwohl sie erst seit einem Jahr zusammen waren, fühlte es sich für Delia an wie ein halbes Leben. Es gab keinen Tag, an dem Philipp ihr nicht sagte und zeigte, wie wichtig sie für ihn war. Er hatte keine Probleme, seine Gefühle zu zeigen. Vielleicht war er mit seinen fünfunddreißig Jahren auch einfach ein Stück selbstsicherer als die Männer in Delias Alter. Delia bewunderte Philipp für seine Offenheit, war sie selbst doch eher praktisch veranlagt. Wenn es zwischenmenschliche Probleme gab, ging sie ihnen entweder aus dem Weg oder preschte mitten durch sie hindurch, aber stundenlang über ihre Gefühle zu reden, war nicht ihr Ding.
Sie musste schmunzeln, als sie daran dachte, was ihre beste Freundin Juli letztens gesagt hatte: »Philipp ist der emotionale und du der rationale Part. Das balanciert sich perfekt aus.«
Juli hatte recht. So glücklich wie mit Philipp war Delia mit noch keinem Freund gewesen. Ein schnaufendes Geräusch riss sie aus ihren Gedanken.
»Dana-Schatz«, murmelte sie und musste lachen, als sie ihrer schwarzen, etwas zu dicken Mopsdame dabei zusah, wie diese neugierig um die Ecke lugte und sie beobachtete.
Natürlich hatte die Hündin gehört, dass ihr Frauchen wach war und sich etwas zu Essen machte. Die pummelige Hündin tapste ein paar Schritte auf sie zu. Wie immer drängte sie sich mit aller Kraft, die in ihrem kleinen Körper steckte, zwischen Delias Beine und hoffte darauf, dass etwas für sie abfallen würde.
»Das schmeckt dir doch gar nicht«, sagte Delia liebevoll und ging in die Knie, um sie zu streicheln.
Dana war schon alt und hatte weiße Härchen über ihren dicken Knopfaugen, die beinahe aussahen wie Augenbrauen. Delia seufzte. Sie konnte sich noch gut erinnern, wie sie das kleine Fellknäuel vor über dreizehn Jahren auf einem Parkplatz in Empfang genommen hatte. Im Internet hatte sie, gegen den ausdrücklichen Wunsch ihrer Mutter, nach einem Hund gesucht und schließlich eine Anzeige für Mopswelpen entdeckt. Ihre Mutter war strikt gegen die Anschaffung von Haustieren gewesen, was Delia als Teenager wütend gemacht hatte. Sie hatte sich einsam gefühlt, allein in der viel zu großen Doppelhaushälfte, aus dem der Vater längst ausgezogen war. Ihre Mutter war fast immer arbeiten und ihr Bruder schon lange aus dem Haus. Das Mopsbaby hatte die stillen Zimmer mit Leben gefüllt und schließlich auch das Herz der skeptischen Mutter im Sturm erobert. Sogar der Bruder, der eigentlich kein großer Hundefan war, mochte sie. Schnell war die schnaufende Dana ein fester Teil der Familie geworden, und Delia hatte sich nie wieder einsam gefühlt.
Zärtlich gab sie ihr einen Kuss auf die haarige Stirn und beglückwünschte sich zum wiederholten Mal zu der besten Entscheidung ihres Lebens. Als ihr Porridge, das sie jeden Morgen aus Haferflocken, Pflanzenmilch und frischen Früchten zubereitete, fertig war, klingelte ihr Handy.
»Hallo?«, meldete sich Delia und klemmte sich das Smartphone zwischen Schulter und Ohr.
»Hey, mein Liebling.«
»Ist alles in Ordnung?«
Sie wunderte sich über den frühen Anruf.
»Ja, klar. Ich musste nur grad an dich denken«, erklärte Philipp. »Und ich wollte dich noch mal dran erinnern, dass wir uns doch schon um sieben treffen. Schaffst du das?«
Die beiden hatten ein Abendessen in ihrem Lieblingsgasthaus in München geplant, denn es gab etwas Besonderes zu feiern.
»Oh, stimmt ja, das hätte ich beinahe vergessen ... Dann muss ich dafür sorgen, dass ich rechtzeitig aus dem Laden komme«, dachte Delia laut nach.
»Frag doch Juli, ob sie für dich zumacht«, schlug Philipp vor.
»Hast recht«, stimmte Delia der Idee zu. »Du weißt, ich mag das eigentlich nicht, wenn du beim Autofahren telefonierst«, erinnerte sie ihn streng.
»Ja, ja«, Philipp musste lachen. »Aber ich kann nichts dafür, wenn du mir die ganze Zeit im Kopf herumschwirrst.«
Delia konnte Philipp nie lange böse sein, aber der Gedanke, dass ihr Freund während langen Autobahnfahrten unkonzentriert war, gefiel ihr nicht. Als leitender Außenmitarbeiter eines erfolgreichen Mittelständlers verbrachte er viel Zeit in seinem Auto und war, obwohl Delia als Geschäftsführerin ihrer beiden eigenen Restaurants selbst nie spät aufstand, immer schon vor ihr in den frühen Morgenstunden auf der Autobahn unterwegs.
Sie verabschiedete sich mit einem Kuss in den Hörer und schaute auf die Uhr. Sie hatte einen durchgetakteten Morgen. Nach ihrer Sportroutine und dem Frühstück plante sie meist noch ein bisschen Zeit für die Hausarbeit ein. Die kleine Wohnung in München, von der man die Isar sehen konnte, war blitzblank. Die Liebe zur Reinheit hatte sie von ihrer Mutter übernommen, die trotz ihres anstrengenden Berufes immer Zeit zum Staubsaugen oder Bügeln fand. Philipp nannte Delia deshalb gerne seinen kleinen Putzteufel und hatte sich nicht gewehrt, als seine Freundin in der gemeinsamen Wohnung das Zepter übernommen hatte. Neben ein paar Mitbringseln aus dem ersten gemeinsamen Urlaub war die Wohnung modern und stilvoll eingerichtet. Der Tisch im Wohnzimmer wurde passend zur jeweiligen Saison dekoriert, und die Kissen auf der Couch passten zur Farbe der Tischsets. Delia liebte es, ein vorzeigbares Appartement zu haben und freute sich darauf, irgendwann mit Philipp in ein Haus zu ziehen, in dem sie sich stiltechnisch voll austoben konnte.
Als sie ihre blonden Haare in einen Pferdeschwanz gebunden hatte, schnappte sie sich ihre Tasche und musste unwillkürlich ihren Kopf schütteln. Verrückt. Da kannte sie Philipp gerade mal ein Jahr und träumte schon heimlich von einem gemeinsamen Haus. Dabei war sie nicht die Sorte von Frau, die sich so schnell festlegte. Natürlich hatte sie einige Beziehungen gehabt, aber nie eine, in der sie das Gefühl von Freiheit und Geborgenheit gleichermaßen empfand. Meistens hatten die Männer sie eingeengt oder mit ihrer Liebe erstickt, doch mit Philipp war alles anders. Obwohl er sie über alles liebte und ihr jeden Wunsch von den Augen ablas, fühlte sie sich frei. Unabhängigkeit war wichtig. Das hatte sie schon früh von ihrer Mutter gelernt.
Delia ließ die Tür ins Schloss fallen und nahm die Treppe. Auf dem Weg nach unten checkte sie ihr Handy und sah drei verpasste Anrufe von Juli. Die beiden Freundinnen waren gleichzeitig auch Geschäftspartnerinnen und hatten sich in der zweiten Filiale ihrer Restaurants verabredet, die in ein paar Wochen in Grünwald eröffnen sollte. Das erste Restaurant, das den Namen »Küstengut« trug und das seinen Platz am Viktualienmarkt hatte, lief so gut, dass die zweite Filiale ein logischer Schritt war. Trotzdem waren die beiden Freundinnen angespannt, und Delia vermutete, dass das bis zur Eröffnung so bleiben würde. Erst wenn das Tagesgeschäft gut laufen würde, konnten sie durchatmen. Bis dahin standen ihnen noch etliche Stunden der Vorbereitung bevor, und wenn Delia eins von ihrer Mutter, die selbst Gastronomin war, gelernt hatte, dann, dass die Dinge niemals so liefen, wie sie geplant waren.
***
»Und unsereins bekommt wohl nichts davon«, beschwerte sich Martha Giesecke, die rüstige Praxisschwester von Dr. Frank, und warf einen Blick auf die beige, runde Schale, die ihr Chef gerade aus dem Kühlschrank geholt und auf den Tisch gestellt hatte.
Bewusst dramatisch zog sie ihre grauen Augenbrauen nach oben und schaute ihren Chef vorwurfsvoll an. Zusammen mit ihrer Kollegin Marie-Luise Flanitzer saß sie in der Personalküche, um Mittagspause zu machen.
Dr. Frank musste lachen.
»Entschuldigen Sie, ich wusste ehrlich gesagt nicht, ob das was für Sie ist«, sagte er, »aber ich teile gerne mit Ihnen.«
Kritisch ließ die Praxisschwester ihren Blick über die bunten Zutaten wandern, die das Mittagessen von Dr. Frank waren.
»Hat mir Alexandra gestern Abend mitgebracht. Angeblich der neueste Schrei. Frisches Gemüse und roher Fisch«, erklärte er. »Das Restaurant ist gleich beim Viktualienmarkt um die Ecke, und die Leute stehen Schlange.«
»Ja, davon habe ich auch schon gehört«, warf Marie-Louise Flanitzer ein. »Die ganzen Models gehen da hin, weil das so gesund ist und sogar dieser gut aussehende Fernsehmoderator, der überall zu sehen ist.« Sie wartete darauf, dass die anderen beiden selbst auf den Namen kamen.
»Na, so schick kann der gute Kerl ja nicht aussehen, wenn Sie den Namen vergessen haben«, bemerkte Martha Giesecke, die ihren Berliner Akzent nie losgeworden war, belustigt.
»Pfff«, machte Marie-Luise Flanitzer. »Den gibt's schon ewig. Aber der sieht noch richtig jung aus. Sportlich, dunkelhaarig ...?«
»Wahrscheinlich, weil er nur komisches Fischzeugs futtert«, amüsierte sich Schwester Martha.
»Sie sind ein hoffnungsloser Fall«, seufzte Marie-Luise, »ich spreche von Kai Prugna.«
»Ich beteilige mich ja selten an Tratsch, aber ja, der sieht wirklich gut aus«, stimmte Dr. Frank zu und nickte. »Alexa findet den auch süß.«
»Da müssen Sie sich aber keine Sorgen machen. Ick kann Sie beruhigen, die hat nur Augen für ihren Freund!«
Zwinkernd schaute Martha Giesecke ihren Chef an.
Stefan Frank hüstelte und wurde rot.
»Ja«, räusperte er sich. »Das stimmt, das weiß ich wohl.«
Dr. Frank wusste, dass er und seine Freundin Alexandra Schubert bei seinen beiden Angestellten als absolutes Vorzeigepärchen galten.
»Es ist wirklich ein Glück, dass Sie einander gefunden haben«, schwärmte Marie-Luise Flanitzer, die ganz verrückt nach Liebesromanen und romantischen Filmen war. »Dass sie beide sich nach all den Jahren so plötzlich über den Weg gelaufen sind ..., das ist Schicksal.«
»Vielleicht«, entgegnete Dr. Frank und erinnerte sich daran, wie einsam er ohne Alexandra gewesen war. »Egal, ob Schicksal oder Zufall, ich bin jedenfalls sehr froh, dass es so gekommen ist.«
»Wir auch«, ereiferte sich Schwester Martha. »Immerhin sorgt die gute Frau dafür, dass Sie in der Mittagspause nicht verhungern!«
»Und Stil hat sie dabei auch noch. Nicht nur gesund, sondern auch noch total im Trend werden Sie hier versorgt«, stimmte Marie-Luise Flanitzer ein, die die hübsche Augenärztin bewunderte.
»Ach, diesen Schnick-Schnack brauche ich doch gar nicht«, wehrte Dr. Frank ab. »Es ist mir, ehrlich gesagt, völlig egal, ob ein Restaurant bekannt ist oder welche Promis da hingehen. Für mich zählt die Geste, dass Alexandra überhaupt an mich denkt und mir etwas zum Essen mitbringt. Aber Sie haben schon recht, ich habe verdammt viel Glück, dass ich mit einer Frau wie Alexandra zusammen sein darf.«
Genüsslich nahm er eine Gabel voll frischem Gemüse und freute sich darauf, seine Freundin am Abend zu sehen und sich für das tolle Mittagessen zu bedanken.
***
Delia konnte ihre beste Freundin Juli schon von der anderen Straßenseite durch die Glasfront der neuen Geschäftsfiliale sehen. Sie hatte eine Latzhose mit unzähligen Farbklecksen an und stand auf einer Leiter. Nachdem Delia ihren Wagen geparkt hatte, betrat sie den noch fast leeren Raum.
»Das sieht super aus«, lobte Delia, die wusste, dass die kreative Juli äußerst selbstkritisch war.
Während Delia eine geborene Geschäftsfrau war, die sich leicht in komplizierte Gesetze oder Finanzthemen einlesen konnte, war Juli eine Künstlerseele. Sie war diejenige gewesen, die sich den Namen für das Restaurant ausgedacht und eine passende Bildsprache dazu entwickelt hatte. Die dunklen Polohemden der Angestellten trugen einen gestickten blauen Krebs auf der Brust, und überall im Laden fand sich eine mit Meeresbewohnern bemalte Tapete wieder. Juli hatte jedes der Tiere selbst entworfen und stand nun stolz mit dem knallblauen Farbpinsel an der Wand, um dem Raum den richtigen Look zu verpassen.
»Findest du?«, fragte sie unsicher. »Ich frage mich, ob die Muschel nicht zu groß ist.«
Delia musste lachen. »Ich glaube nicht, dass unsere Kunden über die Größenverhältnisse von Muscheln, Fischen und Krebsen nachdenken.«
»Auch wieder wahr«, gab Juli ihrer Freundin recht und stieg die Leiter hinab. »Hast du schon gesehen? Die Theke wurde geliefert.«
Delia war erleichtert. Trotz Lieferschwierigkeiten hatte es das Herzstück rechtzeitig zu ihnen nach Grünwald geschafft. Nach dem Auspacken überprüfte sie, ob alles da war. Die vielen Mulden für die herausnehmbaren Schalen, in denen die Angestellten den klein geschnittenen rohen Fisch für die Kunden zur Auswahl bereit hielten. Die Behälter für die frischen Avocados, die Radieschen und die knackigen Edamame, die unreifen Sojabohnen, die ihren Namen aus dem Japanischen hatten. Die hohen Flaschen für die hausgemachten Dressings mit tollen Kombinationen aus Kokosnuss und Koriander oder Erdnuss und Limette sowie die leckere, aber scharfe Zitronenmayonnaise. Und natürlich auch die unterschiedlichen Döschen, in denen Zutaten wie getoastete Algen und Wasabi Nüsse darauf warteten, am Ende der Zubereitung über die Gerichte gestreut zu werden.
Jeder Kunde konnte sich seine Schale selbst zusammenstellen, und es war für jeden Geschmack etwas dabei. Delia hatte die Idee für das Restaurant aus ihrem Urlaub in Australien mitgebracht. In der Küstenstadt Sydney, in der sie nur schöne Menschen in Yoga- oder Surfklamotten gesehen hatte, waren alle verrückt nach dem gesunden Essen gewesen, und so hatte sie sich entschlossen, das Konzept nach München zu bringen.
»Wahnsinn, oder?«, flüsterte Juli, die sich neben Delia positioniert hatte und auf die Theke starrte. »Wer hätte gedacht, dass es so gut läuft?«
»Ich«, antwortete Delia in ihrer typisch trockenen, aber ehrlichen Art.
Die junge Frau wusste, wovon sie sprach. Seit ihrer Jugend hatte sie als Kellnerin gearbeitet. Erst, um sich ihr Taschengeld aufzubessern und später, um sich das Studium zu finanzieren. Sie war stets flink gewesen, hatte sich nie aus der Ruhe bringen lassen und war immer bemüht gewesen, ihren Gästen eine schöne Zeit zu bescheren. Die Besucher des Restaurants ihrer Mutter, in dem sie viele Jahre gearbeitet hatte, hatten sie für ihre Zuverlässigkeit, ihren Arbeitseifer und die Freundlichkeit sehr geschätzt. Mit der Geschäftsidee eines Fischrestaurants, in dem sich die Gäste ihr Essen selbst zusammenstellen konnten, und ihrer Erfahrung in der Gastronomie war für Delia schnell klar gewesen, dass sie das Projekt zum Erfolg bringen würde.
»Ja«, musste Juli lachen. »Natürlich wusstest du es! Und dabei machst du noch neunzig Prozent der Arbeit.«
»Ach, das stimmt doch gar nicht«, wehrte Delia bescheiden ab.
Es war ihr egal, dass sie im Arbeitsalltag mehr Schichten übernahm oder mehr Zeit in das Geschäft steckte als Juli, die noch studierte. Obwohl Delia vermutlich auch allein in der Lage gewesen wäre, das Restaurant zu führen, war sie froh, dass sie Verstärkung an ihrer Seite hatte. Sie hatte von ihrer Mutter gelernt, dass man es in der Gastronomie nur zu etwas bringen konnte, wenn man mit Menschen arbeitete, denen man vertrauen und auf die man sich hundertprozentig verlassen konnte. Und Juli war genauso ein Mensch.
»Sag mal, warum bist du heute überhaupt hier?«, wunderte sich die Freundin. »Ist heute nicht ...?«
Delia nickte. »Ja, heute ist unser Jahrestag«, bestätigte sie. »Aber wir finden beide, dass das kein Grund ist, nicht zu arbeiten.«
»Passt auch gar nicht zu euch«, kommentierte Juli. »Aber abends seht ihr euch schon, oder?«
Delias Augen funkelten. »Ja, wir gehen ins ›Franz‹.«