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Zweifach-Mama und Businessfrau Annabelle Clauß wird mit verschiedensten Symptomen in die Waldner-Klinik eingeliefert. Kopfschmerzen, Sehstörungen, Gang- und Gleichgewichtsstörungen sowie eine verwaschene Sprache. Was zunächst aussieht wie ein Schlaganfall entwickelt sich zur Vermutung auf Multiple-Sklerose. Doch auch diese kann nicht bestätigt werden. Annabelles Zustand verschlechtert sich so rapide, dass sie auf die Intensivstation verlegt werden muss. Sie ist bei Bewusstsein, versteht aber offenbar nichts von dem, was um sie herum geschieht. Dr. Waldner und sein Team stehen vor einem Rätsel.
Uli und Stefan diskutieren noch, als eine beunruhigende Nachricht aus der Radiologie kommt. Annabelle leidet wahrscheinlich nicht unter MS, sondern unter einer Gehirnentzündung, einer cerebralen Vaskulitis, Ursache unbekannt. Währenddessen sucht Moritz Clauß die Versicherungskarte seiner Frau und findet in ihrer Tasche ein kleines durchsichtiges Päckchen mit weißem Pulver. Der Familienvater ist entsetzt. Seine Frau nimmt heimlich Drogen? Sind sie vielleicht der Auslöser für ihre Beschwerden?
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Seitenzahl: 121
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Verwechslungsgefahr
Vorschau
Impressum
Verwechslungsgefahr
Annabelle leidet am Susac-Syndrom
Zweifach-Mama und Businessfrau Annabelle Clauß wird mit verschiedensten Symptomen in die Waldner-Klinik eingeliefert. Kopfschmerzen, Sehstörungen, Gang- und Gleichgewichtsstörungen sowie eine verwaschene Sprache. Was zunächst aussieht wie ein Schlaganfall entwickelt sich zur Vermutung auf Multiple-Sklerose. Doch auch diese kann nicht bestätigt werden. Annabelles Zustand verschlechtert sich so rapide, dass sie auf die Intensivstation verlegt werden muss. Sie ist bei Bewusstsein, versteht aber offenbar nichts von dem, was um sie herum geschieht. Dr. Waldner und sein Team stehen vor einem Rätsel.
Uli und Stefan diskutieren noch, als eine beunruhigende Nachricht aus der Radiologie kommt. Annabelle leidet wahrscheinlich nicht unter MS, sondern unter einer Gehirnentzündung, einer cerebralen Vaskulitis, Ursache unbekannt. Währenddessen sucht Moritz Clauß die Versicherungskarte seiner Frau und findet in ihrer Tasche ein kleines durchsichtiges Päckchen mit weißem Pulver. Der Familienvater ist entsetzt. Seine Frau nimmt heimlich Drogen? Sind sie vielleicht der Auslöser für ihre Beschwerden?
Mit geschlossenen Augen lag Annabelle Clauß im Bett und lauschte auf das morgendliche Chaos in der Wohnung. Dem Geschrei und Kichern nach zu urteilen, ärgerte der fünfjährige Juri wieder einmal seinen kleinen Bruder Sascha. Doch das war nicht der Grund, warum Annabelle schon vor dem Klingeln des Weckers wach geworden war. Es lag an den Vorboten des Migräneanfalls. Ähnlich wie die aufsteigende Sonne den neuen Tag begleitete, kündigten Wahrnehmungsstörungen die bevorstehende Kopfschmerzattacke an. Deshalb hatten Mediziner dieses Phänomen auch »Aura« genannt, nach Aurora, der griechischen Göttin der Morgenröte.
Wie Sonnenstrahlen blendeten Annabelle die Blitze vor ihren Augen, und sie litt unter Sprach- und Sehstörungen. Manchmal kribbelten auch ihre Finger, bevor die furchtbaren Kopfschmerzen einsetzten.
Schon als Kind hatte sie ab und zu Kopfschmerzen gehabt. Mit vierzehn Jahren bekam sie zum ersten Mal Migräne. Daher kannte sie auch diesen harten, pochenden Schmerz, der meistens nur die rechte Kopfseite betraf. Aber es kam auch vor, dass Hinterkopf, Haaransatz, Stirn und Schläfen schmerzten, manchmal auch der Schulteransatz. Vor den Schwangerschaften waren die Anfälle am häufigsten und stärksten gewesen. Danach hatte sie erst einmal Ruhe gehabt und manchmal nur einmal im halben Jahr einen Anfall erlitten. Doch ausgerechnet jetzt, wo sie auf keinen Fall krank werden durfte, überfielen sie die Schmerzen wieder.
»Wahrscheinlich gerade deswegen«, murmelte Annabelle und hätte am liebsten die Bettdecke wieder über den Kopf gezogen, um wenigstens das Kreischen der Kinder zu dämpfen, die inzwischen durch die Küche tobten.
Seufzend rappelte sich Annabelle hoch und schwang die Beine über die Bettkante. Im Bad nahm sie das Schmerzmittel, das der Hausarzt Dr. Frank für diese Notfälle verschrieben hatte. Es war nur ihm und dem Medikament, das er für sie gefunden hatte, zu verdanken, dass sie an solchen Tagen überhaupt aufstehen, sich um ihre Kinder kümmern und sogar zur Arbeit gehen konnte. Unter der Dusche ging sie im Kopf die Liste mit den Aufgaben des Tages durch. Nachdem sie die Kinder an diesem Morgen im Kindergarten abgeliefert hatte, musste sie einen Abstecher in die Reinigung machen, um ihre Kostüme und Hosenanzüge abzuholen. In der Mittagspause musste sie den kaputten Reifen des Wagens zum Flicken bringen, damit das Reserverad so schnell wie möglich wieder gewechselt werden konnte. Nach ihrem letzten Termin im Telekommunikationsunternehmen warteten ihre Söhne darauf, wieder vom Kindergarten abgeholt und ins Kinderturnen und zum Fußballtraining gebracht werden. Die freie Stunde würde Annabelle wie immer nutzen, um einkaufen zu gehen und nebenbei telefonisch noch zwei, drei Dinge mit ihrer Assistentin zu besprechen.
Dieses Programm wäre auch ohne Kopfschmerzen schwer genug zu bewältigen gewesen. Zum Glück setzte die Wirkung der Medikamente ein, so dass sich Annabelle wenigstens wieder halbwegs klar im Spiegel sehen konnte. Nachdem sie sich angezogen hatte, trug sie etwas Make-up, Rouge, Eyeliner und Wimperntusche auf, verließ das Bad und gesellte sich zu ihrer Familie.
Der dreijährige Sascha schob laut brummend ein Spielzeugauto über den Boden. Ihr Mann Moritz saß alleine am Frühstückstisch, trank Kaffee aus seinem Becher, den er als Abschied von Freunden der Technischen Universität München bekommen hatte, und las in einer Wirtschaftszeitung.
»Wo ist Juri?«, fragte Annabelle nach einem Guten-Morgen-Kuss.
»Er zieht sich gerade an.«
»Hat er gefrühstückt?«
»Haferflocken und Tee.«
Wie schaffte Moritz das bloß? Bei ihm waren die Jungs gerne bereit, sich eine Weile selbst zu beschäftigen und ließen ihn in Frieden, bis er ein Angebot machte. Annabelle dagegen hatte eine Anziehungskraft auf ihre Söhne wie ein Neodym-Magnet: Sie hatten sie im Griff.
Mit ihrem Laptop und einem Becher Kaffee setzte sich Annabelle zu ihrem Mann. Die Kopfschmerzen waren inzwischen auf ein erträgliches Maß geschrumpft, so dass sie sich normal unterhalten konnte, ohne dass er etwas bemerkte. Moritz hatte auch so schon Probleme genug. Er sollte sich nicht auch noch um sie sorgen.
Bevor Annabelle den Laptop aufklappte, schickte sie einen zärtlichen Blick über den Tisch. Obwohl sie inzwischen seit über sieben Jahren verheiratet waren, konnte sie immer noch nicht glauben, dass Moritz ihr Ehemann und Vater ihrer Kinder war. Der charmante, geistreiche Moritz, der eines Tages in das Unternehmen für Telekommunikation gestolpert war, in der Annabelle inzwischen eine Führungsposition innehatte. Zu gut erinnerte sie sich noch an ihre Enttäuschung, als er festgestellt hatte, sich in der Tür geirrt zu haben. Eigentlich hatte er einen Zahnarzttermin gehabt, der nebenan praktizierte.
Der Gong aus dem Radio riss Annabelle aus ihren Erinnerungen. Sie klappte den Laptop auf.
»Hast du die Nachricht vom Kindergarten gesehen? Am Mittwoch ist Elternabend.«
»Nein.« Moritz legte die Zeitung weg und griff nach seinem Mobiltelefon. Er öffnete den Kalender und scrollte durch seine Termine. »Mittwochabend treffe ich mich mit einem Investor.«
»Gut, dann übernehme ich den Elternabend.« Annabelle tippte eine Notiz in den Computer.
»Gehst du heute zu Juris Fußballspiel?«, fragte Moritz.
»Ach, richtig, das Spiel. Ich bringe ihn hin. Bleiben kann ich nicht, weil ich noch einkaufen muss. Die Milch ist aus, und Brot haben wir auch kaum noch.«
»Ich kann leider auch nicht kommen, weil wir ein Meeting mit unserem Programmierer haben«, seufzte Moritz. »Juri wird sehr enttäuscht sein.«
»Ich weiß.« Sofort hatte Annabelle ein schlechtes Gewissen. »Wir haben die Wahl. Entweder, es gibt morgen früh Geschrei wegen der fehlenden Milch oder heute Abend, weil keiner von uns unseren Sohn anfeuern konnte.«
Die meisten Frauen in Juris und Saschas Kindergarten verpassten nie einen Elternabend oder eine Aufführung. Egal, ob berufstätig oder nicht, gute Mütter nahmen sich einfach die Zeit. Dieselben Mütter jubelten auch, wenn ihre Männer früher aus dem Büro kamen, um ihre Sprösslinge anzufeuern. Väter, die Spiele verpassten, arbeiteten. Frauen, die keine Zeit hatten – so wie Annabelle meistens – waren schlechte Mütter.
Schnell wischte sie diesen Gedanken beiseite und leerte ihren Kaffee.
»Juri, Sascha, zieht euch schon mal die Schuhe an. In fünf Minuten ist Abfahrt, sonst komme ich zu spät zur Arbeit.«
»Immer deine blöde Arbeit«, maulte Juri.
Nur mit Mühe konnte sich Annabelle einen bissigen Kommentar verkneifen. Dank ihrer blöden Arbeit hatte die kleine Familie genug zu essen. Sie konnte die Miete für die Wohnung in Grünwald aufbringen, die Gebühren für Kindergarten und Sportunterricht und all die anderen Kosten tragen, die tagtäglich anfielen, bis Moritz' Softwareentwicklungsfirma endlich Gewinn abwarf. Seine Selbstständigkeit war auch der Grund dafür, warum derzeit so viel an Annabelle hängenblieb. Sie hatten abgemacht, dass sie ihm den Rücken freihielt, bis das Geschäft lief. Das schuldete sie ihm nach allem, was er in den vergangenen Jahren für die Familie getan hatte.
Endlich waren Juri und Sascha bereit zum Aufbruch, Moritz begleitete sie bis hinunter auf die Straße, wo sich ihre Wege trennten.
»Bis später, mein Schatz. Hab einen guten Tag.« Annabelle küsste ihren Mann zum Abschied.
Einen kleinen, heißen Moment lang wollte sie sich in seine Arme werfen, diesen sonnigen Frühlingstag mit ihm und den Kindern im Grünwalder Park verbringen, wie sie es früher manchmal getan hatten. Doch diese Zeiten schienen ein für alle Mal der Vergangenheit anzugehören. Zum Glück verging auch dieser schwache Moment, und ein weiteres Mal siegte Annabelles Pflichtbewusstsein. Ein letzter Kuss, dann machte sie sich mit den Kindern im Schlepptau auf den Weg.
***
Seit es endlich wieder Frühling geworden war, begrüßten die Vögel zwitschernd und jubilierend jeden neuen Tag. Durch das gekippte Fenster drang ihr Gesang in Alexandra Schuberts Schlaf und weckte sie schließlich auf. Nach einem Blick auf den Wecker sah sie hinüber zur anderen Bettseite. Stefan schlief noch tief und fest. Kein Wunder! Er war am Abend so spät aus der Waldner-Klinik gekommen, dass Alexa längst geschlafen hatte.
Auf bloßen Füßen ging sie hinüber in die Küche. Bald darauf zog ein verführerischer Kaffeeduft durch den Flur.
»Träume ich?« Verschlafen streckte sich Stefan im Bett und blinzelte seine Freundin an. Was für ein wunderschöner Anblick! »Hoffentlich bist du keine Fata Morgana und löst dich gleich in Luft auf.«
»Für eine Luftspiegelung ist es viel zu kalt.«
Sie hatte recht. Selbst im März sanken die Temperaturen oft noch auf einen niedrigen, einstelligen Bereich. Bibbernd stellte Alexa die beiden Kaffeetassen auf die Nachttische und schlüpfte zu Stefan unter die Decke.
Ihre Nähe war verführerisch. Er zog sie näher an sich und küsste sie. Ihr anschmiegsamer Körper weckte Begehrlichkeiten. Im nächsten Moment schrie er auf.
»Du hast ja eisige Füße!«
»Das ist nur zu deinem Besten«, kicherte Alexa. »Es ist nämlich schon kurz nach sieben.« Sie deutete auf den Wecker. »Deine Patienten haben wahrscheinlich kein Verständnis dafür, dass sie warten müssen, während wir uns hier vergnügen.«
Seufzend gab sich Stefan geschlagen.
»In diesem Fall schadet ein bisschen Abkühlung tatsächlich nicht. Aber ich warne dich. Heute Abend werde ich mir die Belohnung für meine Vernunft abholen.«
»Ich kann es kaum erwarten«, hauchte Alexandra und küsste ihren Liebsten, dass er sein Vorhaben um ein Haar schon wieder vergessen hätte.
»Wir sollten unseren Kaffee trinken, bevor er kalt wird.«
Zehn Minuten später standen sie im Bad nebeneinander vor dem Spiegel.
»Gestern ist es spät geworden, oder?« Alexa tupfte Zahnpasta auf beide Bürsten. »Was ist denn passiert?«
»Ich habe mich gestern Abend noch mit dem alten Herrn Peters unterhalten, den ich neulich zur Weiterbehandlung in die Klinik überweisen musste, da kam eine Unfallmeldung herein. Stell dir vor, wegen dem Konsum von Drogen verlor eine Fahrerin die Kontrolle über ihren Wagen und rammte mehrere Fahrzeuge. Alleine in die Waldner-Klinik wurden vier Personen gebracht. Es grenzt an ein Wunder, dass niemand lebensgefährlich verletzt wurde. Ich bin gegen ein Uhr nachts gefahren, da war Uli noch im OP.«
»Der Arme.« Alexandras ganzes Mitgefühl galt dem Mann, mit dem ihr Freund Stefan schon seit so vielen Jahren befreundet war.
Die beiden hatten sich während des Medizinstudiums kennengelernt und sich auch dann nicht aus den Augen verloren, als sich ihre beruflichen Wege getrennt hatten. Während sich Stefan als Allgemeinarzt und Geburtshelfer niedergelassen hatte, erfüllte sich Ulrich Waldner den Traum einer Privatklinik, natürlich nicht ohne Stefan Belegbetten anzubieten. Seiter trafen sich die beiden Freunde fast täglich, und Dr. Stefan Frank legte im Rahmen seiner Kompetenzen Hand an, wann immer Not am Mann war.
»Ich habe bei der Erstversorgung und den leichten Fällen unterstützt. Aber trotzdem ist natürlich noch genug Arbeit übrig geblieben.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Alexandra trocknete sich das Gesicht ab. Ihre und Stefans Augen trafen sich im Spiegel. »Ich finde ja nach wie vor, dass Autofahren hoffnungslos unterschätzt wird. Überleg doch nur, wie viele Unfälle passieren, weil die Fahrer zu alt oder nicht fit sind. Erst neulich war ein Mann in unserem Alter zum Sehtest in meiner Praxis ...«
»Lass mich raten«, unterbrach Stefan seine Liebste. »Du hast ihm sofort den Führerschein entzogen?«
Schmunzelnd verteilte Alexa Feuchtigkeitscreme auf der Haut.
»Schön wär's. Leider musste ich es bei einer Warnung belassen, nicht zu fahren, bis er eine geeignete Sehhilfe hat. Fünf Minuten später sah ich ihm vom Fenster aus zu, wie er davongefahren ist.« Seufzend stellte sie die Creme zurück in den Schrank.
Nur noch etwas Eyeliner, mehr brauchte sie nicht für den frischen, natürlichen Look, den sie bevorzugte.
»Ich hätte ein bisschen Kosmetik viel nötiger als du«, stellte Stefan mit einem Blick in den Spiegel fest.
Der Widerspruch folgte auf den Fuß.
»Auf gar keinen Fall! Du siehst auch mit Augenringen noch unverschämt gut aus, dass ich dich am liebsten gar nicht in die Praxis gehen lassen würde.« Alexandra bedachte ihren Freund mit einem nachdenklichen Blick. »Kannst du nicht eine Sturmhaube übers Gesicht ziehen?«
Diese Vorstellung brachte Stefan zum Lachen. Er zog Alexa an sich und küsste sie.
»Abgesehen davon, dass ich weiß, was ich an dir habe, musst du dir ohnehin keine Sorgen machen«, versicherte er mit zärtlicher Stimme. »Dank der Scharlach-Epidemie handelte es sich bei meinen Besuchern derzeit in erster Linie aus blassen Müttern mit ihren gepunkteten Kindern.«
Alexandra lachte mit ihrem Liebsten.
»Dann sollten wir dir eine Superhelden-Maske besorgen. Die Kleinen hätten bestimmt einen Heidenspaß mit dir.«
***
Nicht umsonst zählte die beschauliche Gemeinde Grünwald zu den beliebtesten Wohnorten im Umland von München. Neben Jugendstil-Villen in riesigen Gärten standen moderne Ein- und Mehrfamilienhäuser. Besonders reizvoll für Familien war der Grünwalder Freizeitpark, der für alle Altersgruppen Erholung, Spiel und Spaß bot.
Davon bekam Annabelle in letzter Zeit leider nur wenig mit. Seit Monaten spielte sich ihr tägliches Leben zwischen Kindergarten, Arbeit, Supermärkten, Fußballplatz und Turnhalle ab.
Auf der Suche nach einer Wohnung hatte sich das Paar für diese Gemeinde entschieden, in der sie ihre Familie gründen wollten. Die schicken Häuser und kostspieligen Wägen vor der Tür versprachen ein erfolgreiches Leben, an dem das Ehepaar nur zu gerne teilhaben wollte. Außerdem waren die Arbeitsplätze schnell und unkompliziert von der neuen Wohnung aus zu erreichen. So hatte das Ehepaar nicht lange gezögert, als sie auf der Suche nach einem Mietobjekt auf die Gartenwohnung gestoßen waren.
Trotz der horrenden Miete war es Liebe auf den ersten Blick gewesen.
»Wir verdienen beide voll. Und wenn wir einmal Kinder haben, gibt es hier viele Betreuungsmöglichkeiten, dass du schon bald wieder in deinen Beruf zurückkehren kannst.« Mit diesem Argument hatte Moritz auch noch die letzten Bedenken vom Tisch gewischt.
Doch dann hatten die Querelen zwischen Moritz und seinem Chef begonnen, die in Moritz' Beschluss mündeten, sich mit seiner Software selbstständig zu machen.
Heute wünschte sich Annabelle manchmal, die Zeit zurückdrehen zu können. Der Druck, der seither auf ihr lastete, war enorm. Deshalb hatte sich wahrscheinlich auch ihre Migräne zurückgemeldet, die auf dem Weg zum Kindergarten wieder stärker wurde. Offenbar verloren die Medikamente inzwischen schneller ihre Wirkung, als ihr lieb war.
Annabelle parkte den Wagen auf dem Parkplatz vor dem Kinderhaus. Genau wie am Abend, wenn sie ihre Kinder wieder abholte, waren die meisten Stellplätze um diese Uhrzeit frei. Und wie fast jeden Tag, wenn noch keiner seiner Freunde da war, rannen beim Abschied dicke Krokodilstränen über Saschas Pausbacken.
»Mama nicht weggehen«, schluchzte der Kleine, als ginge es um Leben und Tod.