Dr. Stefan Frank 2722 - Stefan Frank - E-Book

Dr. Stefan Frank 2722 E-Book

Stefan Frank

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Beschreibung

Polizist Leon Wagner und seine Kollegin haben an diesem Abend Streifendienst. Als sie einen Wagen mit auffälligem Fahrstil sichten, halten sie die Fahrerin an. Es handelt sich um Ella Hürth, die sogleich vor Schmerzen kollabiert und Leon in die Arme fällt. Erst im Krankenhaus wacht sie wieder auf und entdeckt den Polizisten, zu dem sie sich auf den ersten Blick hingezogen fühlt. Er hat eine Weile an ihrem Bett gewacht und gibt ihr schließlich seine Nummer, falls sie noch mal in Not gerät. In Gedanken bei Ella, verlässt er die Notaufnahme und bemerkt nicht das herannahende Auto, das ihn schließlich erfasst und schwer verletzt.
Zwei Wochen später wacht Leon aus dem spinalen Schock auf. Er muss erfahren, dass er nun vollständig ab der Hüfte an querschnittsgelähmt ist. Die Schmerzen, die täglichen neuen Herausforderungen und die ungewisse Zukunft bereiten Leon schlaflose Nächte. Er will keinen Besuch empfangen, sein Handy hat er seit dem Unfall nicht mehr angeschaltet. Erst einige Wochen später, in der Reha, schaltet er zum ersten Mal sein Smartphone an. Und da ist sie: Eine Nachricht von Ella, der Frau, deren Leben er gerettet hat, bevor seines zerstört wurde ...


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Seitenzahl: 129

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Ich hab an dich gedacht, Ella

Vorschau

Impressum

Ich hab an dich gedacht, Ella

Ein Polizist wird vor der Waldner-Klinik von einem Auto erfasst

Polizist Leon Wagner und seine Kollegin haben an diesem Abend Streifendienst. Als sie einen Wagen mit auffälligem Fahrstil sichten, halten sie die Fahrerin an. Es handelt sich um Ella Hürth, die sogleich vor Schmerzen kollabiert und Leon in die Arme fällt. Erst im Krankenhaus wacht sie wieder auf und entdeckt den Polizisten, zu dem sie sich auf den ersten Blick hingezogen fühlt. Er hat eine Weile an ihrem Bett gewacht und gibt ihr schließlich seine Nummer, falls sie noch mal in Not gerät. In Gedanken bei Ella, verlässt er die Notaufnahme und bemerkt nicht das herannahende Auto, das ihn schließlich erfasst und schwer verletzt.

Zwei Wochen später wacht Leon aus dem spinalen Schock auf. Er muss erfahren, dass er nun vollständig ab der Hüfte an querschnittsgelähmt ist. Die Schmerzen, die täglichen neuen Herausforderungen und die ungewisse Zukunft bereiten Leon schlaflose Nächte. Er will keinen Besuch empfangen, sein Handy hat er seit dem Unfall nicht mehr angeschaltet. Erst einige Wochen später, in der Reha, schaltet er zum ersten Mal sein Smartphone an. Und da ist sie: Eine Nachricht von Ella, der Frau, deren Leben er gerettet hat, bevor seines zerstört wurde ...

Ella war zufrieden. Ihre kurzen dunklen Haare lagen perfekt. Die großen blauen Augen strahlten noch mehr, weil sie ihre Wimpern mit schwarzer Mascara betont hatte. Und ihre helle ebenmäßige Haut hatte sie lediglich mit einem Tupfer Rouge aufgehübscht.

Die vierunddreißigjährige Schneiderin freute sich auf einen Abend mit ihren Freunden. Janus, der Freund ihrer besten Freundin Manu, feierte an diesem Samstag das Ende seiner Doktorarbeit. Ella hatte keine Ahnung, woran genau Janus arbeitete. Sie wusste lediglich, dass er an der Uni beschäftigt war und sich immer besonders wichtig gab, wenn er nach seinen Studien gefragt wurde. In der Regel war das für Ella immer der Zeitpunkt gewesen, ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken. Auf Maik, zum Beispiel, den sie schon lange heimlich anhimmelte, obwohl bekannt war, dass der Ingenieur sich nie auf längere Beziehungen einließ.

Trotz ihrer Schwärmerei für den Mann mit dem schiefen Lächeln genoss Ella ihr Single-Dasein in vollen Zügen. Sie liebte die Freiheit im Privat- wie im Berufsleben. Also war es nicht verwunderlich, dass sie fünf Jahre nach Abschluss ihrer Ausbildung zur Schneiderin ihr eigenes kleines Ladenlokal eröffnet hatte. Am Rand der Münchner City gelegen, erschien das Lädchen wie ein Überbleibsel aus einer vergangenen Zeit. Zwei alte Holzstufen mussten im Inneren erst überwunden werden, sofern man die Räumlichkeiten betrat und zur Ladentheke gelangen wollte. Deckenbalken und Sprossenfenster gaben dem Ganzen den letzten Schliff eines gemütlichen Wohnzimmers. Daher bot Ella auch Handarbeitskurse in den frühen Abendstunden an. Hierfür hatte sie einen runden antiken Esstisch aufgetrieben, da sie wollte, dass sich ihre Kundinnen rundum wohlfühlten, wenn sie ihre kleinen Projekte bei Tee und Keksen aufnahmen und sich dabei angeregt unterhielten.

Natürlich fühlte sie sich manchmal allein, vielleicht sogar einsam. Doch bislang war es ihr immer gelungen, diese Phasen durch Arbeit oder Treffen mit ihren Freunden auszufüllen. Außerdem hatte Ella kein Problem damit, für einsame Nächte eine kurzfristige männliche Lösung zu finden, solange niemand dabei zu Schaden kam.

Ella schaltete das Licht im Badezimmer aus und zog die Tür hinter sich zu. Obwohl es bereits April war, wurde es abends immer noch viel zu früh dunkel. In der Dämmerung des letzten hereinfallenden Tageslichts tastete sich die junge Frau durch den Flur und stieg auf Strümpfen die Treppe herab. Als sie die Mitte der Treppe erreicht hatte, überlegte sie kurz, ob sie ihre Stiefeletten schon mit nach unten genommen hatte, oder ob sie noch im Schlafzimmer standen. Doch genau in dem Moment, als sie umdrehen wollte, um wieder hochzugehen, rutsche Ella an der Kante einer Stufe ab. Viel zu schnell passierte, was nicht hätte passieren dürfen. Mit einem harten Aufschlag landete sie ungebremst auf ihrem Steißbein und rutschte Stufe für Stufe bis ans Ende der Treppe.

Mit gekrümmtem Rücken verharrte Ella, den Kopf eingezogen, als bestände Gefahr, dass er ebenfalls Schaden nehmen könnte. Dann wartete sie auf den Schmerz. Erst nach einigen Sekunden traute sich die Verunglückte wieder zu atmen. Dabei richtete sie sich langsam auf und zog sich am Geländer der Treppe hoch, immer darauf bedacht, ihren Rücken und ihr Steißbein zu schonen. Pochen war alles, was sie empfand.

Langsam schlich sie zu dem Spiegel, der in dem geräumigen Flur stand. Dort schaltete sie das Licht an und zog ihr Kleid so weit hoch, dass sie den unteren Teil ihres Rückens sehen konnte. Nur eine Schürfwunde, da, wo der Knochen ihrer Wirbelsäule am stärksten herausragte. Vorsichtig fühlte sie mit ihrer rechten Hand nach der Stelle, doch alles brannte und pochte stumpf, sodass sie das Ausmaß einer möglichen Verletzung nicht hätte erkennen können.

Ella ging langsam in den Wohnraum ihrer kleinen Wohnung im Haus ihrer Eltern. Dort stand noch der Kaffee, den sie sich eben erst gekocht hatte, um wach genug für die Party zu sein. Also ging sie auf den Couchtisch zu und nahm einen Schluck des mittlerweile kalten Getränks. Dann stieg sie wie betäubt die Treppe wieder hinauf, um sich die Stiefeletten aus ihrem Schlafzimmer zu holen, die sie zuvor vergessen hatte. Aber als sie oben angekommen war, spürte sie, dass sich etwas in ihrem Körper veränderte. Ein Rauschen begann in ihrem Kopf, das nach Aufmerksamkeit verlangte. Leichte Panik machte sich in der Frau breit, die es gewohnt war, ihr Leben allein zu bewältigen. Doch sie wusste, dass sie nun vermutlich auf Hilfe angewiesen war.

Ella überlegte, wo sie ihr Handy verstaut hatte, doch dann fiel ihr ein, dass es neben der Kaffeetasse auf dem Couchtisch lag. Also ging sie vorsichtig, Stufe für Stufe, die Treppe wieder hinunter, wobei sie immer noch ihre Stiefeletten in der Hand hielt, und holte sich zunächst einen Eimer aus dem kleinen Abstellraum neben der Haustür. Ihr war so übel geworden, dass sie vermutete, dass sich ihr Magen durch einen Schwall Säure von dem Schock des Unfalls würde erholen müssen.

Zusammen mit dem Eimer ging sie auf die Couch zu und legte sich hin. Rauschen. Übelkeit. Ein Kribbeln in ihren Armen und ihren Beinen. Und langsam, aber bestimmend ein unerträglicher Schmerz am untersten Ende ihres Rückens.

Minuten blieb die alleinstehende Frau liegen, bis sich ihr Kreislauf insofern stabilisiert hatte, dass sie keine Angst mehr haben musste, ohnmächtig zu werden oder sich zu übergeben. Erst danach griff sie mit einer Hand nach ihrem Handy und wählte die Nummer ihrer besten Freundin.

»Hallo?«, meldete sich eine rauchige Stimme.

Ella hatte ihre Freundin immer um deren Stimme beneidet, da sie sexy klang, ob sie es beabsichtigte oder nicht. Ihre Stimme dagegen schien ihr viel zu sanft und mädchenhaft.

»Manu? Ich glaube, ich kann nicht zur Party kommen.« Im Hintergrund hörte Ella die Bässe von Musik einen unbestimmten Rhythmus angeben.

»Hä? Aber du hast doch zugesagt. Ist dir was dazwischengekommen?«, wollte ihre Freundin wissen.

»Ich bin gerade gefallen. Kannst du ...« Wie sollte sie ihre Freundin fragen? Immerhin hatte sie sie noch nie um einen solchen Gefallen gebeten.

»Ella? Süße? Du musst lauter sprechen«, rief Manu in den Hörer und lachte dabei.

»Sag mal, kannst du mich vielleicht ins Krankenhaus fahren?«

»Wohin fahren?«

»Ins Krankenhaus. Ich glaube, ich hab mich ernsthaft verletzt.«

»Was willst du denn jetzt im Krankenhaus? Ist was passiert?«

Doch zu Ellas Enttäuschung klang ihre Freundin nicht besorgt, sondern hatte denselben Ton wie immer. Also wiegelte sie ab. Um keine Umstände zu machen.

»Nein«, antwortete sie schnell und rang sich ein gekünsteltes Lachen ab. »Nein, alles gut. Kleiner Scherz. April, April. Feiert ihr ruhig. Ich komm einfach etwas später.« Und dann legte sie auf.

Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so allein gefühlt. Die Stille nach dem Telefonat lastete wie ein Gewicht auf ihrer Brust. Doch der Schmerz in ihrem Steißbein erforderte, dass sie handelte. Also richtete sie sich auf, wobei sie das Gesicht verzog bei der Bemühung, ihren unteren Rücken bei der Bewegung zu schonen, schlich in den Flur, wo ihre Stiefeletten standen, schlüpfte hinein und griff nach ihrer Handtasche.

Als sie draußen war, erkannte sie an den dunklen Fenstern, dass ihre Eltern ebenfalls noch nicht wieder zu Hause waren. Sie hatten für diesen Abend Theaterkarten und wollten danach essen gehen, um ihren Hochzeitstag gebührend zu feiern.

Schön für euch, dachte Ella missmutig und stieg schließlich unter Schmerzen in ihren Wagen. Ob sie das Krankenhaus unter den Schmerzen überhaupt erreichen würde, bezweifelte sie.

***

»Weißt du, was das Schlimmste an Abenden wie diesem ist?«, maulte Sarah, die gerade einen Schluck aus ihrer Wasserflasche genommen hatte und den Verschluss wieder zuschraubte.

»Was?« Leon sah geradeaus auf die Straße, den Kopf nach hinten gelehnt und die Hände im Schoß.

Die beiden Polizisten waren Streifenbeamte mit der Aufgabe, Gefahren zu erkennen, abzuwehren und in Notfällen zu handeln. Leon Wagner war mit seinen siebenunddreißig Jahren schon seit einigen Jahren im Streifendienst. Seine jüngere Kollegin Sarah dagegen wünschte sich eine Versetzung in die Direktion K herbei, wobei K für Kriminalität stand und auf Delikte wie Brand, Tötung und Diebstahl spezialisiert war.

»Die ewige Warterei. Stundenlang sitzt man im Auto und wartet darauf, dass man zum Einsatz gerufen wird.«

Leon sah seine Kollegin belustigt von der Seite an.

»Na ja, unsere Arbeit besteht aber auch nicht nur aus Sitzen und Warten, oder?«

»Nein«, gab Sarah zu und schraubte ihre Flasche wieder auf. »Manchmal haben wir auch richtig Glück und dürfen ein paar betrunkene Rüpel anhalten. Ganz großes Kino.«

»Wenn du weiter so viel trinkst, wird dein Abend hauptsächlich daraus bestehen, alle paar Minuten eine Toilette aufzusuchen«, scherzte Leon.

Sarah gab ihm daraufhin einen Schlag in den Bauch.

»Halt die Klappe, Wagner! Und außerdem: Irgendwie müssen wir ja den Abend rumkriegen.«

Leon hatte schon Polizist werden wollen, seit er ein kleiner Junge gewesen war. Zusammen mit seinem Opa hatte er amerikanische Krimiserien geschaut. Immer heimlich, damit Oma nichts mitbekam und vermutlich noch schimpfte. Mehr mit Opa als mit ihm.

Die Serie, an die er sich am meisten erinnern konnte, war »Starsky and Hutch«. Ein ungleiches Duo, das sich auf actionreiche Verbrecherjagden spezialisiert hatte. Vor allem der rote Gran Torino, ein sportlich-edler Wagen mit weißem Streifen an den Seiten, hatte es dem damals Achtjährigen angetan.

Heute wusste Leon, dass Polizisten nicht mit sportlichen Autos fuhren, keine coolen Lederjacken trugen und nur dann die typischen Pilotenbrillen mit Spiegelglas aufsetzten, wenn sie das Gespött der Kollegen auf sich ziehen wollten.

Der Polizeiberuf war in der Realität bescheidener. Leon trug eine dunkelblaue Uniform mit Schutzweste und Mütze. Sein Gürtel war durch eine gesicherte Waffe und Handschellen beschwert. Und das klassische Polizeiauto war nur in den seltensten Fällen ein Sportwagen, sondern meistens ein BMW M3.

Doch Leon liebte seinen Beruf. Egal, ob er betrunkene Autofahrer aus dem Verkehr zog, zu einer Schlägerei beordert wurde oder auf dem alljährlichen Oktoberfest das Schlimmste allein durch seine Anwesenheit verhindern konnte – er hatte am Ende eines Tages immer das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben. Etwas Richtiges. Und dieses Gefühl war nicht selbstverständlich.

***

Jetzt nur nicht ohnmächtig werden! Dieses Mantra wiederholte Ella in Gedanken immer wieder, während sie ihren Wagen durch Münchens Innenstadt lenkte. Die grellen Lichter des Straßenverkehrs halfen ihr, die Besinnung nicht zu verlieren, doch der Schmerz in ihrem Steißbein war so heftig, dass er fast ihre gesamte Aufmerksamkeit erforderte. Um das Fahren so angenehm wie möglich für ihren unteren Rücken zu bereiten, fuhr die junge Frau besonders vorsichtig, was bedeutete, dass immer wieder jemand hinter ihr hupte.

Als sie einem Schlagloch auswich, da das die Schmerzen nur noch unerträglicher gemacht hätte, wäre sie beinahe mit einem SUV zusammengestoßen. Der Mann hinter dem Steuer hupte und drohte ihr mit der geballten Faust, während er Wörter ausspuckte, die Ella nicht hören konnte.

Am liebsten wäre sie an die Seite gefahren, um sich von dem Schock und dem Schmerz zu erholen, doch ihr war bewusst, dass weder das eine noch das andere vom bloßen Warten verschwinden würde, also zwang sie sich dazu weiterzufahren und keine weiteren Verkehrsteilnehmer zu gefährden. Als sie in der Nähe des berühmten Englischen Gartens war, spürte sie jedoch, dass ihr Plan nicht aufging. Eine schleimige Kugel aus Übelkeit waberte in ihrem Magen, während ihr Kopf verdächtig rauschte. Wenn sie sich jetzt übergeben müsste, wo könnte sie sich erleichtern? Panisch blickte sich Ella im Wagen um und schüttete mit der rechten Hand hektisch ihre Handtasche aus. Das müsste reichen. Besser, als sich auf den eigenen Schoß zu kotzen!

Als sie bemerkte, dass die Straße vor ihr gefährlich schwankte, wurde ihr klar, dass diese Autofahrt böse enden würde. Immer schwerer ging ihr Atem, während ihr Herz alarmiert zu pochen begann. Ein aufwallendes blaues Licht war das Letzte, was Ella erkennen konnte. Dann war sie weg.

***

»Bingo! Da haben wir doch schon den ersten Besoffenen für diesen Abend«, rief Sarah aus, als sie einen Kleinwagen entdeckten, der verdächtig langsam und dazu noch mit einigen Schlenkern fuhr.

Leon schaltete sofort das Blaulicht des BMW ein und startete den Wagen. Wer solch einen Fahrstil fuhr, konnte nur betrunken sein. Da musste er seiner Kollegin recht geben.

»Was meinst du? Welche Ausrede können wir uns diesmal anhören?«, fragte Sarah ihren Kollegen, die es sichtlich leid war, alkoholisierte Fahrer aus dem Verkehr zu ziehen. »Entschuldigung, aber ich habe wirklich nur ein Glas getrunken«, äffte sie die Stimme einer Frau nach, die sie am Abend zuvor angehalten hatten. Die Frau hatte von dem erwähnten Glas immerhin 1,3 Promille im Blut gehabt.

»Vielleicht der Klassiker: Da muss mir jemand was ins Glas geschüttet haben«, stieg Leon auf die Vermutung seiner Sitznachbarin ein.

»Oder auch immer gut: Wie? Ich dachte, mit zwei Bier darf man fahren! Aber nicht mit zwei Fässern Bier, du Idiot!«

Leon grinste über die Sprüche seiner Kollegin, obwohl er sich nie dazu herabließ, gemein über die Fahrer zu reden, die sie anhielten. Er wusste, dass jeder Mensch eine Geschichte hatte. Wenn jemand alkoholisiert Auto fuhr, war das zwar ein Fehler, der gefährlich werden konnte. Doch deswegen musste es sich nicht gleich um einen schlechten Menschen handeln. Vielleicht hatte jemand versucht, seinen Kummer zu ertränken. Oder hatte eine üble Nachricht erhalten. Es gab viele Ursachen, die dazu führten, dass jemand zum Alkohol griff. Oftmals waren es leichtsinnige Partygänger. Doch einmal hatte Leon auch einen Mann angehalten, dessen Sohn gerade an den Folgen von Krebs gestorben war. Leons Job war es, die Gefahren zu reduzieren. Die Menschen zu be- oder verurteilen, gehörte nicht dazu.

Zur Erleichterung der Polizisten blieb der Wagen vor ihnen nach mehreren Metern stehen, nachdem Leon das Blaulicht eingeschaltet hatte. Doch dass der Fahrer es nicht einmal geschafft hatte, das Auto an den Straßenrand zu lenken, sondern nun den kompletten Verkehr behinderte, bestätigte Sarahs und seinen Verdacht, dass der Insasse des Autos volltrunken war.

»Boah, echt jetzt?«, stöhnte Sarah.

»Na komm, führt kein Weg dran vorbei«, entgegnete Leon, schaltete den Motor aus und öffnete die Fahrertür.

Stumm folgte seine Kollegin. Während er sich der Fahrerseite näherte, blieb Sarah auf der anderen Seite, damit sie so das verdächtige Auto von beiden Seiten inspizieren konnten.

Nichts regte sich in dem Wagen. Als Leon schließlich in das Fenster schaute, sah er einen zierlichen Kopf, der zur Seite geneigt war. Bestimmt klopfte er gegen die Scheibe der Tür. Erst dann bewegte sich der Kopf, sodass er das Gesicht einer Frau erkennen konnte. Ihre Lippen bewegten sich, doch nur leicht, sodass der Polizist sich immer weiter von der Vermutung, dass es sich um eine alkoholisierte Person handelte, verabschiedete.