Drachenliebe - Marion Scheer - E-Book

Drachenliebe E-Book

Marion Scheer

0,0

Beschreibung

Dies ist die fantastische Geschichte einer einsamen Witwe, deren Leben sich durch die Liebe auf wundersame Art verwandelt. Die Leserin wird von Klara liebevoll an die Hand genommen und in eine Märchenwelt entführt, welche Illusion sein mag aber auch die Blickrichtung auf die Realität verändern kann. Das Büchlein eignet sich ebenso als kurzweilige Lektüre, wie als außergewöhnliches kleines Geschenk.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 137

Veröffentlichungsjahr: 2019

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Zur Autorin

Marion Scheer wurde 1952 in Düsseldorf geboren. Im Anschluss an eine Banklehre und einige Jahre als Sachbearbeiterin bei einer Düsseldorfer Großbank, studierte sie Mathematik, Geografie und Geschichte auf Lehramt. Sie lebt und arbeitet seit fast vierzig Jahren an der ostfriesischen Nordseeküste und ist mehrfache Mutter und Oma. Solange sie schreiben kann, betreibt sie in ihrer Freizeit die Schriftstellerei. Dabei verarbeitet sie vorwiegend tatsächliche Begebenheiten und Erlebnisse zu Fantasiegeschichten. Leider verhinderten mehrere schwere Schicksalsschläge, dass ihre Romane und Fantasiegeschichten schon früher veröffentlicht wurden.

Heute lebt die Schriftstellerin mit ihrem jetzigen Ehemann zurückgezogen in der Nähe von Emden.

Kontakt: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Epilog

1.

„Klara, Klara wach auf! Wir sind am Ziel.“

Der süße Traum hielt mich so warm umfangen, dass ich mich weigerte, sofort die Augen zu öffnen. Irgendwie fühlte ich mich auch keineswegs angesprochen. Nur widerwillig wollte die Erinnerung an diesen Namen in mir aufkeimen, der wohl mein eigener sein mochte, ob ich das akzeptierte oder nicht.

Dabei war der Ruf nicht fordernd, nein keineswegs. Es war viel mehr ein zarter Hauch, als ein auffordernder Weckruf. Die liebliche feine Brise streichelte so sanft meine gereifte Haut, dass sich sogleich voller Wonne alle kleinen Härchen aufrichteten. Dann war wieder diese Musik in meinem Kopf, dieser Singsang aus sehnsuchtsvollen Tönen und Worten, die eigentlich keine Silben hatten, sondern aus zarten Bildern bestanden, welche mühelos ohne Umwege, in meinen Geist einströmten.

Zum wiederholten Male erstaunte mich diese ätherische Art der Kommunikation. Würde sich eine betagte Frau, wie ich, jemals daran gewöhnen können?

Dann, ganz unvermittelt, war alles wieder da! Eine unbändige Neugierde überschwemmte mich mit solcher Gewalt, dass ich ruckartig beide Augen aufriss und voll Erstaunen um mich blickte. Beinahe wäre ich in einer unüberlegten Bewegung von Funkels Rücken gerutscht und zwei Meter tiefer im hohen Gras gelandet.

„Vorsichtig, Klara! Ich lege mich erst nieder, dann kannst du absteigen“, hauchte der schillernde Drache in mein Hirn.

Ja, jetzt war ich hellwach.

Dies war also seine Heimat. Ein grünes Land von offensichtlicher Fruchtbarkeit. Über uns wölbte sich ein unwirklich türkisblauer Himmel mit zwei Sonnen, die wie durch einen geschwungenen Drachenschweif miteinander verbunden wirkten. Die strahlende Kraft dieser Zwillingssterne ließ es allerdings nicht wirklich zu, dass meine ungeschützten Augen sie exakt betrachteten. Schon nach diesem flüchtigen Blick rannen mir Tränen über die Wangen.

Mein in sämtlichen Grünschattierungen schimmerndes Reittier senkte sich sanft ins weiche Gras und blieb reglos liegen, um mir den Abstieg zu erleichtern. Es gelang mir, nach all der Übung in den letzten Wochen, einigermaßen graziös auf dem festen Untergrund zu landen. Dies war mir umso wichtiger, weil wir diesmal nicht allein waren. In etwa fünfzig Drachenlängen Entfernung weideten einige von Funkels Artgenossen am Rande eines idyllischen mit riesenhaften Bäumen bestandenen Haines.

Die prächtigen Tiere hoben jetzt erstaunt die Köpfe und schauten in unsere Richtung. Ich ahnte, dass sich ihre samtigen Nüstern blähten und erregt die Luft einsaugten, so wie ich es bei meinem Drachenfreund schon oft beobachtet hatte. Dann durchströmten mich eine ungeduldige Erwartung und eine Erregung, wie ich sie eigentlich erst kannte, seit Funkel so ungestüm in mein Leben gerauscht war.

„Wollen wir sie begrüßen?“, fragte ich mit lauter Stimme. Funkel zuckte leicht zusammen. Der aufdringliche Klang meiner Worte hallte in einem sich mehrfach brechenden Echo durch die klare Luft, bis ich nur noch verstümmelte Brocken davon wahrnahm, tausend Splitter eines zarten Glases, das auf einem harten Boden zerschellt war.

Die weidenden Drachen peitschten daraufhin das unschuldige Gras erregt mit ihren schuppigen Schwänzen. Ein sirrendes Geräusch wie von unzähligen mähenden Sensen drang in derselben unerträglichen Art bis zu uns.

Funkel erhob sich ruckartig und reckte sich auf volle Größe. Ich hatte das Gefühl, er wollte Eindruck schinden mit seiner wirklich beachtlichen Statur und blendenden Schönheit. Seit ich ihn regelmäßig bürstete, war er noch glänzender geworden. Die Strahlen der beiden Sonnen brachen sich unwiderstehlich auf seinem wie tausend Edelsteine glitzernden Schuppenkleid, als er jetzt majestätisch an meiner Seite auf seine Artgenossen zu schritt.

Er machte bewusst kleine elegante Bewegungen, damit ich nicht neben ihm in einen unangenehmen Laufschritt fallen musste. Dennoch hätte diese leichte Anstrengung in der ungewohnten Atmosphäre mir vor nicht allzu langer Zeit beachtliche Probleme bereitet, das war mir vollkommen bewusst. Ein alternder Körper fordert nun mal seinen Tribut.

Vor Jahren hatte ich die Hoffnung aufgegeben, den merklich fortschreitenden Verfall irgendwie aufhalten zu können.

Vielleicht, wenn meine leider magere Rente es erlaubt hätte, wären kostspielige kosmetische Behandlungen oder verjüngende Operationen möglich gewesen. Aber ich hatte einige der Reichen und Schönen, nach vergleichbaren Eingriffen, mit den Bildern aus ihrer Vergangenheit verglichen und mich danach wieder desillusioniert meinem natürlichen Alterungsprozess überlassen.

Bis – ja, bis? Das erzähle ich später, sonst schweife ich ab.

Wir näherten uns also der farbenprächtigen Drachengruppe, die sich inzwischen so ausgerichtet hatte, dass fast alle Tiere ihre Köpfe in unsere Richtung streckten, um uns aus ihren lauernden gelbschwarzen Reptilienaugen kritisch zu beobachten.

Es dauerte für meine Begriffe unendlich lange, bis wir Funkels Familie endlich erreichten. Jetzt konnte ich die einzelnen verschieden großen Tiere genau in Augenschein nehmen. Jedes war ein absolutes Individuum. Keine Färbung des Schuppenkleides glich der anderen. Zwar hielten sich die Farben alle im Spektrum zwischen Gelb und Blau, aber ich war höchst erstaunt, welche malerischen Möglichkeiten sich darin boten.

Daneben war die Größe wohl abhängig vom Alter und Geschlecht der Drachen. Die ausgewachsenen Männchen waren so riesig wie mein Funkel, einige Jungtiere noch ziemlich klein und niedlich. Ich hätte jedoch, ohne den Schutz meines Freundes, keinen Pfifferling für mein Leben gegeben, auch wenn ich nur so einem frischgeschlüpften Reptil begegnet wäre.

Funkel hatte mir genau erklärt, dass Drachen Allesfresser seien. Auf ihrem Heimatplaneten lebten sie meist vegetarisch, weil es ein großes nahrhaftes Angebot an Pflanzen gab.

Ich konnte nun auch die wundervollen Bäume mit ihren mächtigen Stämmen und den seltsam fedrigen Blättern bewundern. Einer der großen Drachen reckte sich, ungeachtet unseres Überraschungsbesuches, diesen Leckerbissen entgegen. Er hatte sein gefährlich wirkendes Raubtiergebiss in einen starken Ast geschlagen und rüttelte nun an dem Baum, um einige kürbisgroße rote Früchte abzuschütteln.

Die zarten riesigen Blätter wirbelten wie überdimensionale Fächer zu Boden. Drei Jungdrachen hüpften ungeduldig um ihn herum und schlugen sich dabei spielerisch mit ihren gezackten Schwänzen.

Als eine der reifen Früchte, mit einem überlauten dröhnenden Plumps, im Gras landete, stürzten sie sich alle gleichzeitig darauf. Mich wunderte, dass außer einem gelegentlichen Schnauben, dabei absolute Stille herrschte.

„Schau, Klara, meine vier Schwestern!“ Funkel vollführte eine Art Verbeugung in Richtung von vier hübschen schlanken mittelgroßen Drachen, die erst ihn und dann mich durchdringend betrachteten. Zwischendurch bewegten sie die Köpfe in sanften Schwingungen aufeinander zu, scheinbar, um sich gegenseitig tief in die Augen zu blicken.

Ich hielt den Mund, weil ich nun wusste, dass meine laut ausgesprochenen Worte sie nur unnötig aufregen würden. Die Atmosphäre dieses Planeten ließ jedes laute Geräusch als donnerndes Echo durch die Luft schleudern. Dann wagte ich eine zaghafte Verbeugung. Ich konnte nicht behaupten, dass ich mich sonderlich wohl fühlte zwischen diesen riesenhaften Ungeheuern.

Nun würde sich zeigen, ob mein Vertrauen in Funkel tragfähig und überhaupt berechtigt war. Vielleicht wollte er sich ja bei seiner Verwandtschaft einschmeicheln, indem er einen fleischigen Leckerbissen von einem anderen Stern vorbeibrachte?

Ich hatte, seit ich dem Drachen begegnet war, wieder einen guten Appetit entwickelt und einige Kilos zugelegt. Auch wenn mein altes Fleisch vielleicht zäh war, würde ich für einen kleinen Drachensnak sicher noch ausgezeichnet herhalten.

Dann hörte ich sie in meinem Kopf, wie sie miteinander kommunizierten. Die Bildersprache zeigte mir ihre Erinnerungen. Sie dachten zurück an die gemeinsame Kindheit. Es waren fröhliche unbeschwerte Bilder voller wundersamer Pflanzen und seltsamer kleiner Tiere, die äußerst flink der Nachstellung durch die Jungdrachen entgingen. Die Drachenfamilie hatte einen liebevollen Zusammenhalt. Die alten Tiere wurden geachtet und respektiert. Sie waren besonders klug und gaben überall den Ton an.

Während die Drachen gedanklich in ihren Erinnerungen schwelgten, sah ich ihre Augen freudig glänzen. Ich fühlte, dass Funkel glücklich war, seine Familie wiederzusehen. Hin und wieder schnaubte er mutwillig oder rieb seinen muskulösen Hals zärtlich an dem einer seiner Schwestern.

Aufmerksam konzentrierte ich mich auf die Bilder, die mir zuströmten, um nichts zu verpassen. Auch alle anderen Mitglieder des Rudels waren inzwischen still geworden und hatten ihre Nahrungsaufnahme unterbrochen. Sie schienen sehr interessiert einer unhörbaren Melodie zu lauschen.

Plötzlich legte sich eine dunkle Wolke über den Gedankenaustausch. Ich fühlte tiefe unaussprechliche Trauer. Die Drachenaugen blickten nun trübe. Die Tiere ließen die stolzen Köpfe mit den gezackten Hornkronen sinken. Ich sah die Bilder vom Tod der Eltern. Die Geschwister waren von ihren Erzeugern für immer verlassen worden. Die Weisheit und Güte der Altvorderen waren auf ewig von der Familie gegangen.

Die überwiegend gelb getönte Drachenfrau bewegte sich als erste aus der traurigen Erstarrung. Sie verpasste zuerst Funkel und dann ihren drei Schwestern je einen übermütigen Nasenstüber. Daraufhin wurde die ganze Gruppe wieder munter.

Fröhliche bunte Bilder flogen von allen Seiten auf mich zu, als redeten sie plötzlich völlig durcheinander. Ich hatte wirklich Mühe eine Einordnung der Informationen vorzunehmen. Mir kam der Gedanke, dass es sich jetzt um eine Art Familienklatsch und –tratsch handelte.

Ich musste wohl etwas hilflos dagestanden haben, denn Funkel stupste mich kurz an, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. Als ich erstaunt in seine Augen blickte, blinzelte er mir aufmunternd zu.

„Klara, das ist meine Familie! Sie freuen sich, dass ich sie besuche und wollen alles von mir wissen. Verstehst du, was sie sagen?“

Ich blinzelte zurück und nickte zustimmend, immer darauf bedacht, keinen Ton von mir zu geben, was mir wirklich schwerfiel, weil ich eigentlich als nicht mundfaul gelte.

„Bruder, du kommunizierst mit ihr in unserer Sprache?“ Die türkis schimmernde Schwester wippte aufgeregt mit ihrem langen schlanken Hals und scharrte mit dem rechten Vorderfuß, dass das unschuldige Gras nur so durch die Gegend flog. Sofort taten die drei übrigen es ihr gleich. Einige der anderen Drachen, die sich wieder dem Fressen hingegeben hatten, hoben aufmerksam ihre Köpfe und sogen die Luft durch die aufgeblähten Nüstern.

Funkels zartes Schnauben schien sie jedoch augenblicklich zu beruhigen.

„Das ist Klara. Sie ist meine menschliche Gefährtin. Unsere Wege haben sich gekreuzt, und wir haben Gefallen aneinander gefunden.“

Das war es, was in meinem Kopf ankam, natürlich ist es hier in schlichte Worte übersetzt. Doch ich konnte nicht verhindern, dass ein wundervoll warmes Gefühl in mir aufwallte. Es strömte von meinem Herzen aus bis in die entlegenste Körperregion und erfüllte mich mit wohliger Freude und Erregung.

Die stahlblaue Schwester mit einem giftgrünen Zackenkamm blickte mich durchdringend an. Ihr angsteinflößender Drachenkopf näherte sich mir bis auf wenige Zentimeter. Ich konnte den Geruch des frischen zermahlenen Grases wahrnehmen, das sie zu sich genommen hatte. Sie schnüffelte und ließ ihre gespaltene blutrote Zunge leicht und äußerst flink durch die Zähne schießen.

Ich bemühte mich, nicht zusammenzuzucken. Tiere konnten Angst wittern. Also versuchte ich mich zu entspannen und innerlich ein kleines unschuldiges Liedchen zu summen. Das verhinderte auch, dass sie meine Gedanken las. Funkel hatte mich diesen Trick gelehrt. Jetzt war ich ihm sehr dankbar dafür.

„Sie ist deine Gefährtin? Vergisst du, dass sie von anderer Art ist und dazu von diesem hoffnungslos verseuchten Planeten stammt?“ Ruckartig näherte sich der Kopf der Schwester dem von Funkel. Sie musste dafür einen großen Bogen mit ihrem Hals schlagen, während der mit gefährlichen Hornzacken bewehrte Schwanz ebenfalls herum schwang, um ihr Gleichgewicht zu stabilisieren.

Ich wich zurück, weil ich befürchtete getroffen zu werden. Funkel schnaubte wieder beruhigend und warf mir einen langen zärtlichen Blick zu.

„Keine Angst, Klara! Meine Freunde sind auch die Freunde meiner Familie.“

Wieder überwältigten mich diese wohligen Gefühle. Ich liebte diese Lebendigkeit, die sie neuerdings in mir auslösten.

Nachdem mein Mann verstarb, war in mir alles kalt und leer zurückgeblieben. Oft hatte ich mich traurig gefragt, ob dies das Leben gewesen war, und ich nun nur noch auf den Tod warten könne. Ich fürchtete mich beim Aufwachen vor dem langen unausgefüllten Tag und beim Schlafengehen vor der trostlosen Stille der Nacht.

Niemals wollte ich an den Punkt zurück, wo Funkel mir glücklicherweise begegnet war.

Ich schüttelte mich ein wenig, um die traurige Erinnerung zu entfernen. Dann blickte ich meinen Freund dankbar an und versuchte ein Lächeln. Wie immer versank ich sofort mit Haut und Haaren in seinen Märchenaugen. Er ließ keinen Zipfel von mir außerhalb, sondern sog mich ganz in seinen Zauberbann. Ich fühlte mich leicht wie eine zarte Feder, frei wie ein Vogel im Wind und glücklich wie ein Kind in den liebevollen Armen seines starken Vaters.

„Wie kommt es, dass sie uns versteht? Das sollte doch wohl kaum möglich sein!“, wollte die vierte Schwester wissen, während sie mit ihren großen golden schimmernden Flügeln eine Menge Wind machte und mit den Vorderfüßen im Gras scharrte.

„Klara ist ein überaus sensibler Mensch. Sie empfindet intensiver als die meisten Erdbewohner. Ich weiß aber nicht, ob das der wahre Grund ist. Wahrscheinlich ist es eine Fügung des Schicksals, und ich akzeptiere die Dinge, wie sie sind“, verkündete Funkel mit großem Enthusiasmus. Ein abermaliges beruhigendes Schnauben schloss sich seinen Ausführungen an.

Dann reckte er sich gewaltig in die Höhe, sodass sich seine Vorderbeine etwas vom Boden abhoben und er seinen Schwanz als Stabilisator benötigte, um nicht zu Schwanken. Die wie Saphire glänzenden ausgebreiteten Flügel schwangen elegant neben seinem mächtigen geschmeidigen Körper. In diesem Augenblick erinnerte er mich an einen wunderschönen riesigen Schmetterling, meinen verzauberten Falter, auf dem ich durch alle Dimensionen des Seins reisen konnte.

„Hüte unser Geheimnis vor ihr – egal, was geschieht!“, warnte die Schwester mit stechendem Blick. Und ein gut wahrnehmbarer Schwefelgeruch drang mir aus ihrer Richtung in die Nase.

2.

Auf dem Rückweg zur Erde schmiegte ich mich müde an den starken Rücken meines fantastischen Freundes. So metallisch sein schuppiges Kleid auch glänzte, hatte es nichts mit einem Panzer gemeinsam, sondern erinnerte mich irgendwie an Moosgummi. Der mächtige Körper war samtweich und wohlig warm zwischen meinen Schenkeln. Ich umklammerte Funkel, wie ich es gewohnt war, um nicht abzurutschen und dämmerte in der undurchdringlichen Dunkelheit vor mich hin, während Wogen reiner Liebe mich durchpulsten.

Er hatte mir versucht zu erklären, auf welche Weise wir zwischen den Welten und den verschiedenen Dimensionen reisten, aber mein kleiner ungeschulter Verstand reichte nicht aus, seine Informationen zu erfassen. Es hatte mit Physik zu tun.

Als ich einmal einen Bericht im Fernsehen über die Existenz von Wurmlöchern in unserem Universum verfolgte, meinte Funkel, dass einige unserer Forscher schon auf dem Weg der Erkenntnis seien.

Aber warum sollte ich mein armes Gehirn zermartern, um diese Dinge zu verstehen, die derart märchenhaft erschienen, dass ich sie meiner besten Freundin – wenn ich denn noch eine hätte - nicht glauben würde?

So verlegte ich mich ganz darauf, die Zeit mit meinem wundersamen Freund zu genießen und mit all meinen Sinnen zu erfahren, statt irgendetwas davon mit dem so begrenzten Verstand zu erfassen.

Meine glühende Wange an seinen sehnigen Hals gekuschelt, überließ ich mich ganz den sanften lebendigen Flugbewegungen und ließ meine Gedanken träge umher schweifen. Geborgen wie ein Kind an der Mutterbrust, erschreckten mich weder seltsame Geräusche noch farbenprächtige Lichterscheinungen, die hin und wieder blitzend die Dunkelheit zerrissen.

Wie öde und freudlos war mein armes Leben vor der Begegnung mit Funkel gewesen.

Ja, alle sagen, dass Kinder dem Leben einer Frau Sinn geben. Es mag vielleicht sein, dass ich ungerecht bin. Mein einziger Sohn war gewiss ein entzückendes Baby gewesen und zweifelsfrei die Freude seiner Eltern. Bereitwillig hatte ich jahrelang auf vieles verzichtet, um ihn in angemessener Weise großzuziehen und ins Erwachsenendasein zu begleiten. Immer hatte ich deshalb das Gefühl, Jahre meines Lebens nicht richtig gelebt zu haben.

Ich träumte manchmal von versäumten Chancen und unerfüllten Wünschen. Beruflich hatte ich es nach dem Auszug des Jungen nicht mehr geschafft, Fuß zu fassen. Ich jobbte hier und da, immer für wenig Geld nahe an der Grenze zur Ausbeutung. Das hatte mit Selbstverwirklichung nichts gemeinsam, aber ich war dankbar für die Chance, mich nicht vollkommen überflüssig zu fühlen.

Am Rande der schweren körperlichen Arbeit gab es auch viele sehr anrührende menschliche Begegnungen, für die ich bis heute dankerfüllt bin. Meine langjährige beste Freundin Annelore stammte aus dieser Zeit. Leider litt sie seit zwei Jahren an fortschreitender Demenz und lebte in einem Pflegeheim. Sie erkannte mich bei meinen regelmäßigen Besuchen inzwischen nicht mehr – und Leben konnte man das auch eigentlich nicht nennen.