Drunter und Drüber - Susan Andersen - E-Book

Drunter und Drüber E-Book

Susan Andersen

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Beschreibung

Auf die unerwartete Erbschaft seiner ehemaligen Pflegemutter, mit der er seit Jahrzehnten verkracht ist, reagiert der attraktive Bauunternehmer J.D. Carver äußerst misstrauisch. Er kann es kaum glauben, dass die leibliche Tochter, Dru Lawrence, und ihr 10-jähriger Sohn ohne weiteres bereit sind, mit ihm zu teilen. Als J.D. jedoch die unglaublich verführerische Dru näher kennen lernt, verwandelt er sich spontan zu einem hingerissenen Verehrer - was Dru nun ihrerseits total verwirrt! Das Erben hat eben tatsächlich seine Tücken ... "Wie immer ein reines Lesevergnügen - knisternd sinnlich, unglaublich fesselnd und wunderbar warmherzig." Romantic Times Freche Frauenunterhaltung vom Feinsten: sexy, witzig und herrlich turbulent! Eine echte Konkurrenz für Susan Elizabeth Phillips und Cathy Kelly!

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Seitenzahl: 463

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Kurzbeschreibung:

Auf die unerwartete Erbschaft seiner ehemaligen Pflegemutter, mit der er seit Jahrzehnten verkracht ist, reagiert der attraktive Bauunternehmer J.D. Carver äußerst misstrauisch. Er kann es kaum glauben, dass die leibliche Tochter, Dru Lawrence, und ihr 10-jähriger Sohn ohne weiteres bereit sind, mit ihm zu teilen. Als J.D. jedoch die unglaublich verführerische Dru näher kennen lernt, verwandelt er sich spontan zu einem hingerissenen Verehrer - was Dru nun ihrerseits total verwirrt! Das Erben hat eben tatsächlich seine Tücken ...

"Wie immer ein reines Lesevergnügen - knisternd sinnlich, unglaublich fesselnd und wunderbar warmherzig." Romantic TimesFreche Frauenunterhaltung vom Feinsten: sexy, witzig und herrlich turbulent!Eine echte Konkurrenz für Susan Elizabeth Phillips und Cathy Kelly!

Susan Andersen

Drunter und drüber

Roman

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2019 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2001 by Susan Andersen

Published by Arrangement with Susan Andersen

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Ins Deutsche übertragen von Uta Hege

Copyright © der deutschsprachige Ausgabe 2003 by Verlagsgruppe Random House GmbH

Covergestaltung: Anke Koopmann, Designomicon, München

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-330-4

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www.edelelements.de

In Liebe,

den um Sues Tisch versammelten Frauen,

für Jahre des Gelächters, der Gespräche und

der spektakulären Mahlzeiten.

Für

Mildred und Mom,

Monica und Jenny,

Tara und Renee,

Sari und Karen,

Lucille und Thelma,

Neesa und Rachel,

und natürlich Sue

sowie allen Brillen tragenden Mädchen

- Susie

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Epilog

Prolog

Dru Lawrences Onkel Ben kam bewaffnet mit einem polizeilichen Führungszeugnis eines gewissen J.D. Carver zu der monatlichen Besprechung. »Er ist sauber«, sagte er und klatschte das Zeugnis auf den langen, rustikalen Konferenztisch. »Als Erwachsener ist er nicht einmal straffällig geworden, und seine Jugendakte ist unter Verschluss.«

»Mein Lieber, du solltest dich darüber freuen«, erklärte Tante Sophie und tätschelte ihm, ehe sie ihm das Zeugnis aus der Hand riss, um es selbst zu lesen, begütigend den Arm. »Das ist schließlich eine sehr gute Nachricht.«

Dru konnte die schlechte Laune ihres Onkels jedoch durchaus verstehen. Star Lake Lodge war seit vier Generationen ein Familienunternehmen und es hatte sie alle erschüttert, dass der Erbe des Anteils von Großtante Edwina ein Fremder, noch dazu ein fremder Städter, war. Edwina hatte sich über so viele Jahre niemals in die Geschäfte eingemischt, dass Dru beinahe vergessen hatte, dass sie Miteigentümerin des Hotels gewesen war.

»Vielleicht«, sagte sie jetzt langsam, »kommt dieser Carver ja nur mal kurz vorbei, um einen Blick auf das zu werfen, was sie ihm vererbt hat. Wahrscheinlich wird er gar nicht bleiben – und wir schicken ihm am Ende genau wie bisher Edwina einfach jeden Monat einen Scheck.«

»Darauf würde ich mich lieber nicht verlassen, Schätzchen«, meinte Onkel Ben. »Aufgrund seines, wenn auch ziemlich knappen Schreibens, habe ich den Eindruck, als hätte er die Absicht, sich hier häuslich einzurichten und die Leitung des Hotels möglichst ganz zu übernehmen.«

Plötzlich schob Sophie ihren Stuhl ein Stück zurück, marschierte ans Fenster, beugte sich nach vorn und fächerte sich etwas von dem leichten Wind zu, der durch die grünbraunen Gingham-Vorhänge in das Besprechungszimmer wehte. Dru stand auf, trat vor das Eichenbüfett am anderen Ende des Raums, griff an einer Sammlung handgeflochtener Körbe vorbei nach einem Krug Wasser und schenkte etwas davon in ein bereitstehendes Glas. Dann trug sie es zu ihrer Tante und verrückte auf dem Weg das Ölgemälde mit den schneebedeckten Birken, damit es in einer Reihe mit den anderen Landschaftsbildern an der holzvertäfelten Wand hing.

»Ich weiß nicht gerade viel über diesen Carver«, gab sie, als sie wieder Platz nahm, unumwunden zu. »Nur, dass er einer von Großtante Edwinas ›Jungs‹ gewesen ist. Ehrlich gesagt kann ich mich sogar an sie selbst bestenfalls bruchstückhaft erinnern.« Wie Drus Eltern war auch Edwina immer nur zu kurzen Gastspielen in ihrem Leben aufgetaucht. Die Großtante war für sie vor allem eine weltgewandte, freundliche Besucherin gewesen, die regelmäßig im August für eine Woche aus ihrem eleganten Heim in Seattle zu ihnen an den See gekommen war.

Sophie rollte das Glas an ihrer Schläfe hin und her und lächelte versonnen. »Wenn du die Gelegenheit bekommen hättest, etwas öfter mit ihr zusammen zu sein, hättest du sie ganz sicher gemocht.« Sie kehrte an den Tisch zurück und strich vorsichtig mit einer Fingerspitze über den dort liegenden Bericht. »Ich habe Edwina sehr bewundert. Und J.D. ist für sie von Anfang an jemand Besonderes gewesen. Er war der allererste Junge, den sie bei sich aufgenommen hat.«

»Und der Einzige, an dem sie ihrer Meinung nach am Ende gescheitert ist«, fügte Onkel Ben viel sagend hinzu.

»Daran kann ich mich erinnern!« Dru richtete sich auf. »Oder zumindest daran, dass ich als Kind an eurem Küchentisch gesessen und mit angehört habe, wie sie sich große Vorwürfe gemacht hat, weil sie meinte, sie hätte irgendeinen Jungen vollkommen falsch behandelt. Irgendwie ging es dabei um die Uhr von ihrem Vater.«

»Genau das war J.D.«

»Ich hatte den Eindruck, als hätte sie ihn wirklich gern gehabt.«

»Ja, das hat sie. Er war der Hauptgrund, weshalb sie sich all dieser sozial schwachen Kinder angenommen hat.« Ben seufzte leise. »Edwina hatte ein hervorragendes Gespür für Menschen. Und schließlich konnte sie mit ihrem Anteil an unserem Hotel machen, was sie wollte.« Er sah seiner Nichte ins Gesicht. »Allerdings sind Soph und ich nicht mehr so aktiv wie früher, so dass du diejenige sein wirst, die täglich mit J.D. zusammenarbeiten muss. Wie sollen wir also deiner Meinung nach in dieser Sache vorgehen?«

»Tja, eine Anfechtung des Testaments wäre sinnlos – nach allem, was ich gehört habe, war Großtante Edwina bis zu ihrem Tode im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte.«

»Die Frau hatte bis zum Ende einen rasiermesserscharfen Verstand«, erklärte Ben.

»Dann haben wir sicher keine andere Wahl als ihren Wunsch zu respektieren.«

»Darüber denke ich genauso«, meinte auch Sophie. »Und wenn wir das schon tun, machen wir es besser richtig und bereiten J.D. einen möglichst herzlichen Empfang.«

»Allerdings«, fügte Dru trocken hinzu, »habe ich aufgrund dieser zusätzlichen Belastung sicher eine entsprechende Gehaltserhöhung verdient.«

Ben hob den Kopf von seinen Notizen und sah sie über den Rand von seiner Lesebrille hinweg an. »Darüber müssen wir ganz bestimmt sprechen. Aber erst bei der Versammlung nächsten Monat. Diesen Monat haben wir bereits ein anderes Problem. Wir müssen dringend verschiedene Reparaturen durchführen lassen, nur ist es leider so, dass es keine fähigen Handwerker mehr in unserer Gegend gibt.«

1

Als J.D. Carver einen Tag früher als geplant in Star Lake, Washington, ankam, war der Tank seines uralten Ford Mustang laut Anzeige leer. Aber das war er immer – die Nadel klemmte, seit der Wagen 1993 von ihm erstanden worden war. Der Kofferraum war mit ein paar seiner Lieblingselektrohandwerksgeräte, einer Werkzeugkiste und einem gut bestückten Zimmermannsgürtel beladen, auf dem Rücksitz lagen zwei Tischsägen, in seiner Hosentasche steckte eine antike goldene Uhr, und eine alte Leinentasche enthielt alles, was er sonst noch auf der Welt besaß. Außerdem war er befrachtet mit einem Sammelsurium unguter Gefühle, das ihm wie ein Felsbrocken im Magen lag.

Sein Leben in Seattle war vollkommen verpfuscht, und es half ihm nichts zu wissen, dass die Schuld daran allein er selber trug. An seinen Kumpel Butch, an Bob Lankovich, den Mann, in dessen Unternehmen er vom kleinen Auszubildenden zum Vorarbeiter aufgestiegen war, und der inzwischen im Knast saß, oder dessen schwachsinnigem Sohn Robbie wollte er momentan nicht einmal denken.

Er hatte von dem ganzen Durcheinander – von seinem Pariah-Dasein und den ständigen Drohungen, die gegen ihn ausgestoßen wurden – schlicht die Nase voll. Himmel, er war ein Ausgestoßener in Rat City. Wie konnte jemand etwas tun, das derart schlimm war, dass er selbst in einer Gegend mit einem solchen Namen ein Aussätziger war? Das unerwartete Erbe von Edwina Lawrence kam genau zur rechten Zeit. Der perfekte Zeitpunkt, um einer Stadt den Rücken zuzukehren, in der ihn nichts mehr hielt.

Er lachte verbittert auf. Natürlich war auch in seiner Beziehung zu Edwina mehr als ein Wurm drin gewesen. Verdammt, vielleicht sollte er anfangen zu angeln. Köder besaß er in Gestalt der Würmer, die in seinen Beziehungen zu eigentlich allen Menschen steckten, schließlich mehr als genug.

J.D. rieb sich den steifen Nacken. Dies war so ziemlich seine letzte Chance. Seine Einzimmerwohnung hatte er gekündigt, die Werkzeuge, die nicht in den Wagen gepasst hatten, hatte er verhökert und sein Bankkonto geleert. Es war ihm also nichts geblieben in der Stadt, in der er aufgewachsen war, und falls die Sache schief ging, wüsste er ganz einfach nicht wohin. Also würde er dafür sorgen, dass die Sache klappte, egal, was geschah.

Er parkte seinen Wagen vor dem Sandstein-Holz-Gebäude, dessen hälftiger Eigentümer er urplötzlich war, blieb ein paar Minuten sitzen und atmete den würzigen Duft des klaren Seewassers und der Nadelbäume ein. Dann griff er in die Tasche seiner Jeans und strich mit einem Finger über die goldene Uhr von Edwinas Vater, die ihm zusammen mit dem Anteil an dem Hotel von ihr hinterlassen worden war.

Obwohl sie ihn einmal des Diebstahls ebendieser Uhr bezichtigt hatte.

Dieser uralte Verrat machte ihm stärker zu schaffen als die Drohungen, die Robbie gegen ihn ausstieß, oder die Enttäuschung, weil er – wie nicht anders zu erwarten – von Butch zur Begleichung einer alten Schuld aufgefordert worden war.

Er schnaubte leise. Die Feststellung, dieser Verrat mache ihm zu schaffen, war eine höfliche Untertreibung.

Wie immer zogen sich auch jetzt seine Eingeweide bei der Erinnerung an die alte Geschichte elendig zusammen, doch das durfte nicht passieren, und so stieg er aus dem Wagen, schulterte seine Leinentasche und starrte auf die imposante mit Schindeln gedeckte Sandsteinveranda, die entlang der gesamten Vorderfront des Haupthauses verlief.

War es nicht schon schlimm genug, dass ein in der Kindheit erlittenes Unrecht sein ganzes bisheriges Leben hatte trüben können? Weshalb störte die Erinnerung daran ihn ausgerechnet jetzt in seiner Konzentration?

Denn – jede Wette – sicher finge in spätestens zwei Minuten der gnadenlose Kampf mit Edwinas Verwandten um den ihm von ihr vererbten Anteil an dem bisher familieneigenen Unternehmen an.

Dru dankte der Angestellten am Empfang und legte den Hörer des Telefons mit einem leisen Seufzer auf. O Gott, er war da. Mit leicht beschleunigtem Herzschlag straffte sie die Schultern. J.D. Carver stand draußen im Foyer. Dabei hätte er erst morgen kommen sollen.

Sie hatte sich eingebildet, sie hätte sich bereits völlig an die neue Situation gewöhnt. Hatte ehrlich gedacht, sie wäre bereit, Edwinas Erben mit offenen Armen sowohl in ihrem Betrieb als auch im Kreis der Familie zu empfangen. Doch dem plötzlichen Rasen ihres Pulses zufolge hatte sie sich darin offenbar getäuscht.

Sie stand auf, sah nach, ob ihr ärmelloses weißes Polohemd mit dem diskreten Logo des Hotels ordentlich in ihrer kurzen Hose steckte, strich mit beiden Händen über den frisch gestärkten dunkelgrünen Stoff, atmete tief ein und langsam wieder aus. Okay, sie war bereit. Sie wünschte sich nur, er wäre nicht früher als erwartet angekommen. Dadurch würde ihr Plan, ihn als Familie zu begrüßen, natürlich durchkreuzt.

Dru richtete sich zu ihrer ganzen Größe auf. Egal, jetzt müsste sie die Sache halt allein durchstehen. Seit ihrem sechzehnten Lebensjahr hatte sie beruflich täglich Dutzende von Fremden im Hotel empfangen, und außerdem waren Tante Soph und Onkel Ben nicht weit von ihr entfernt drüben in der für Carver reservierten Hütte, um sie möglichst einladend für ihn zu gestalten, und kämen bald zurück. Nicht dass sie sie bräuchte. Sie machte sich auf den Weg in Richtung des Foyers. Sieh ihn einfach als lang verreisten Vetter von dir an.

Was leichter gesagt als getan war, dachte Dru, als sie wenige Minuten später den vor dem mächtigen steinernen Kamin hockenden Hünen sah. Selbst von hinten betrachtet entsprach er keineswegs ihrer Vorstellung von einem Cousin.

Von der Stelle, an der seine dunklen Haare in seinen sonnengebräunten Nacken fielen, bis hin zu den mit Arbeitsstiefeln bekleideten Füßen, schien er ein einziges energiegeladenes Muskelpaket zu sein. Ein strahlend weißes T-Shirt spannte sich über seine breiten Schultern und seinen sich nach unten verjüngenden Rücken, bis es im Bund einer eng um seine muskulösen Schenkel und seinen straffen Hintern liegenden abgewetzten Jeanshose verschwand. Für den Bruchteil einer Sekunde setzte Drus Herzschlag aus für sie unerfindlichen Gründen aus.

Sie räusperte sich leise. »Mr. Carver?«

Er blickte über seine Schulter. Seine dunklen Brauen stießen über der Nase zusammen und er schien ebenfalls kurz den Atem anzuhalten. Doch das hatte sie sich vermutlich nur eingebildet, denn er sagte mit neutraler Stimme: »Nennen Sie mich nicht Mister. Mein Name ist J.D.«, und stand mit einer geschmeidigen, kraftvollen Bewegung auf.

Bei voller Größe sah er regelrecht furchteinflößend aus. Sein T-Shirt lag eng um seine Brust und seinen flachen Waschbrettbauch und schien über den Muskeln seiner Oberarme beinahe zu zerreißen. Er verströmte eine solche Energie, dass Dru aus einem Reflex heraus einen Schritt zurücktrat.

Dann jedoch riss sie sich zusammen und reichte ihm die Hand. »Also gut, J.D. Ich bin Dru Lawrence, die Hotelmanagerin.« Sie sah ihm in die Augen und merkte, dass das, was sie anfänglich für Braun gehalten hatte, ein von einem dunkelgrünen Ring umgebenes leuchtendes Grünbraun war. »Willkommen in der Star Lake Lodge.«

Ihre Finger begannen zu prickeln, als er sie kraftvoll mit seiner schwieligen Hand ergriff, und am liebsten hätte sie sie ihm ruckartig entrissen. Was war nur mit ihr los? Himmel, er war nicht der erste gut gebaute Mann, den sie in ihrem Leben traf – und es war völlig untypisch für sie, zu reagieren wie ein junges Mädchen, das sich plötzlich dem Sport-Ass ihrer Schule gegenübersah. Als er sie endlich losließ, widerstand sie dem Verlangen, sich die Hand an ihrer Hose abzureiben. Um die verbleibende Hitze loszuwerden, sagte sie sich erneut, denk an ihn als den lange verschollenen Cousin, und zwang sich zu einem Lächeln.

Ohne sich die Mühe zu machen, ihr Lächeln zu erwidern, nickte er mit dem Kopf in Richtung des Kamins. »Der Feuerbock ist gerissen. Er muss rausgezogen und wieder zusammengeschweißt werden.«

Himmel, der Kerl hatte wirklich Nerven – er war noch keine zehn Minuten da und fing schon an zu kritisieren. Dru bekam vor Zorn leuchtend rote Wangen und dachte, »Leck mich doch am Arsch«, sagte jedoch mit ruhiger Stimme: »Ich werde es notieren«, und fragte mit einem neuerlichen, noch gezwungeneren Lächeln: »Ist das hier Ihr Gepäck?«

Sie hatte sich bereits nach der Tasche gebückt, als seine Hand nach vorn schoss und sie ihr unter der Nase wegriss. Also stopfte sie die Hände in die Hosentaschen und richtete sich auf. Ihm eine Ohrfeige zu geben wäre sicher nicht der allerbeste Anfang für ihre Partnerschaft. »Sicher wollen Sie sich nach der langen Fahrt ein wenig frisch machen. Ich zeige Ihnen Ihre Hütte.«

»Dru!« Sally Jensen, das Mädchen vom Empfang, kam angeschossen, bedachte J.D. mit einem entschuldigenden Lächeln, starrte ein paar Sekunden reglos auf seine Brust und zwang sich, wieder ihre Vorgesetzte anzusehen.

Zum ersten Mal, seit sie ihrem neuen Partner gegenübergetreten war, verzog Dru den Mund zu einem echten Lächeln. Wow. Einen Augenblick lang hatte sie sich wirklich eingebildet, der Kerl würde ihr vielleicht gefährlich, aber J.D. Carver war anscheinend einer dieser Typen, auf die die Frauen flogen – wahrscheinlich hätte sie sich also eher Gedanken machen sollen, hätte sie seinen Adoniskörper nicht ebenfalls bemerkt. »J.D., das ist Sally Jensen, unsere Empfangschefin. Sally, J.D. Carver, der neue Miteigentümer unseres Hotels.«

J.D. runzelte die Stirn, aber Sally kam bereits auf ihr Anliegen zu sprechen. »Brian Kebler hat eben angerufen und gesagt, er wäre krank.«

»Hätte er nicht heute eine Gruppe Wasserskifahrer mit rausnehmen sollen?«

»Ja, die Jacobsens, um drei. Ich habe bereits versucht, einen Ersatz für ihn zu kriegen, aber ohne Erfolg. Wenn Ihnen nicht noch jemand einfällt, den ich anrufen könnte, sitzen hier nachher sieben enttäuschte Kinder.«

»Wie wäre es mit Monica White? Hat sie heute die Mittagsschicht? Sie fährt Boot, seit sie alt genug war, um über das Steuerrad zu sehen, und sie hat gesagt, sie würde gern mal eine Gruppe übernehmen.«

»Ich werde gucken, ob sie da ist. Wenn nicht, rufe ich bei ihr zu Hause an, um sie zu fragen, ob sie Zeit hat. Aber was soll ich machen, wenn ich sie nicht erwische?«

»Dann melden Sie die Kinder im Adlernest zu einer Eiscreme-Party an.«

»Okay, das könnte funktionieren. Danke.« Sally machte auf dem Absatz kehrt und lief eilig davon.

»Oh, Sally, einen Moment!«, rief Dru ihr hinterher. »Bitten Sie, statt der Eiscreme-Party, Onkel Ben, auf Plan B zurückzugreifen. Falls Monica nicht kann, hat er ja vielleicht Zeit. Und wenn keiner der beiden frei ist, folgen Sie Plan C.«

Sally reckte zustimmend die Daumen in die Höhe.

Dru wandte sich wieder an J.D. und merkte, dass er sie reglos musterte. Er hatte eine kräftige Nase, die aussah, als ob sie mehr als einmal gebrochen gewesen wäre, und einen breiten, vollen Mund. »Können wir?«

Er schwang sich seine Tasche über die Schulter und nickte mit dem Kopf.

»Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass es einen nicht umbringt, wenn man zu anderen ein bisschen nett ist?« Verdammt. Normalerweise war sie die personifizierte Diplomatie, aber etwas an diesem Typen reizte sie bis aufs Blut.

Er blickte kurz an ihr herab und dann in ihr Gesicht. »Bisher hatte ich einfach keinen Anlass, besonders nett zu sein.«

Dru zuckte mit den Schultern und wandte sich dem Seitenausgang zu. Ihr sollte es egal sein, wenn er weiter derart stur die Lippen aufeinander presste. Vielleicht hatte er ja schlechte Zähne oder so.

Was jedoch keine Erklärung für ihre plötzlichen Hitzewallungen war.

Sie nahm eine beinahe militärisch straffe Haltung an und erklärte ihm mit kühler Stimme: »Star Lake Lodge gibt es bereits seit neunzehnhundertelf.« Sie öffnete die Tür zum Treppenhaus. »Wir verfügen über einunddreißig Zimmer, einschließlich vier Suiten, sowie über acht Hütten, von denen in diesem Sommer sieben vermietet werden können. Die Hütte, die wir für Sie hergerichtet haben, hat im letzten Winter einen leichten Sturmschaden erlitten.« Wenn sie nicht eine Bleibe für ihn hätten finden müssen, wäre die Hütte wahrscheinlich leer geblieben. In den letzten Jahren waren Instandhaltung und Reparaturen ihre größten Sorgen, da es in der Gegend kaum noch gute Handwerksleute gab. »Ich fürchte, das Verandadach ist nach wie vor nicht repariert.«

J.D. zuckte mit den Schultern. »Damit kann ich leben.« Als sie vor ihm die Treppe hinabstieg, löste er seinen Blick von ihren wiegenden Hüften und konzentrierte sich stattdessen auf den dicken, seidigbraun schimmernden Zopf, der ihr im Rücken hing. »Ich hätte angenommen, dass Sie mich einfach in irgendeins der Zimmer stecken.« Am besten gleich im Keller.

Sie lugte über ihre Schulter. »Außer in der Skisaison haben wir im Sommer den meisten Betrieb. Wir sind zurzeit so gut wie ausgebucht, und deshalb müssten Sie, wenn Sie ein Zimmer wollten, alle paar Tage umziehen. Aber Sie sollen es hier ja schließlich bequem haben.«

Ja, sicher. Er traute keinem Menschen, der es gut mit ihm zu meinen schien. Dafür hatte Drus feine, aufrechte Großtante gesorgt.

Nicht, dass er unbedingt glücklich gewesen wäre, bevor sein Leben im Alter von vierzehn von Edwina Lawrence völlig auf den Kopf gestellt worden war. Zahlreiche Pflegefamilien abzuklappern war sicher für kein Kind das Ideale, aber zumindest hatte sein Leben ein bestimmtes Verlaufsmuster gehabt, und er hatte die Regeln genauestens gekannt. Regel Nummer eins hatte gelautet: Mach es dir niemals zu bequem. Da er früher oder später – für gewöhnlich eher früher – garantiert auf der Straße gelandet war.

Das oberste Überlebensgebot war gewesen, sich niemals große Hoffnungen zu machen, doch Edwina war anders gewesen. Sie hatte ihn eingewickelt und schließlich hatte er einige der schmerzlich erlernten Lektionen tatsächlich vergessen. Sie hatte ihn sich ausgesucht – er war ihr von keinem überlasteten Sozialarbeiter aufgezwungen worden. Und die Tatsache, dass sie anders als alle ihm bekannten Menschen gewesen war, hatte ihn verführt.

Kennen gelernt hatten sie einander an dem Tag, an dem er versucht hatte, ihr den Geldbeutel zu klauen. Eine ziemlich blöde Idee, aber irgendwie hatte das Gerede seines Kumpels Butch vom leichten, schnellen Geld ihn am Schluss verführt.

Die zerbrechlich aussehende alte Dame jedoch hatte ihn gelehrt, dass sich Verbrechen nicht lohnte. Nicht nur, dass sie sich an ihrer Tasche festgeklammert hatte, hatte sie sich obendrein auch noch in seinem Bein verkrallt. Die einzige Möglichkeit, sich von ihr zu befreien, hätte darin bestanden, sie vielleicht ernsthaft zu verletzen. Als Butch davongelaufen war und ihn seinem Schicksal überlassen hatte, hatte J.D. im Geiste bereits das Knallen der Gittertüren in der Jugendstrafanstalt gehört.

Statt ihn jedoch bei den Bullen anzuzeigen wie jeder normal denkende Mensch, hatte sie ihn mitgenommen, hatte offiziell die Pflegschaft für ihn beantragt und ihm gezeigt, was es hieß, wenn man irgendwo daheim war.

Bereits am allerersten Tag hatte er sich unsterblich in sie verliebt.

Sie hatte ihn gelehrt, dass es eine völlig andere Welt gab als die der schmutzigen, dunklen Gassen in der City, in denen er bis dahin aufgewachsen war. Doch was sie mit der einen Hand geboten hatte, hatte sie ihm mit der anderen genommen, und zwar genau in dem Moment, als er seinen Argwohn endlich aufgegeben hatte, angefangen hatte zu glauben, dass er des sauberen neuen Lebens, das Edwina ihm bot, tatsächlich würdig war. Und während er sie anfangs beinahe angebetet hatte, hatte er sie am Ende regelrecht gehasst.

Scheiße. Beinahe wäre J.D. Dru in die Fersen getreten, als er die Vergangenheit dorthin zurückblinzelte, wohin sie auch gehörte – in die Vergangenheit. Himmel, das Ganze war zwanzig Jahre her. Besser, er käme endlich mal darüber hinweg.

Dru öffnete die Tür am Fuß der Treppe und sofort wurden sie beide in den Duft der Büsche und Bäume eingehüllt.

»Sie haben von einer Skisaison gesprochen«, sagte er zu Dru. »Ich sehe nirgends irgendwelche Lifts.« Obgleich der See in den Bergen lag, hätte er sich ein Skigebiet doch anders vorgestellt.

Dru spähte über ihre Schulter und ihre blauen Augen blitzten. »Das liegt daran, dass man bei uns nur Langlauf machen kann. Sehen Sie den Pfad da drüben?« Sie wies in Richtung eines Wegs, der an der Seite des Berges im Gehölz verschwand. »Wir nennen ihn Treetop, und von dort aus sind wir mit einem über hundert Kilometer langen Wegenetz verbunden, auf dem man im Sommer wandern oder biken und im Winter eben Skilanglauf machen kann.«

Sie berührte ihn beiläufig am Arm, was in ihm das Gefühl auslöste, als hätte sie ihm einen elektrischen Schlag verpasst. Mit ausdrucksloser Miene trat er einen Schritt zur Seite und sah sie fragend an.

»Kommen Sie.« Sie hatte eindeutig nichts gemerkt. »Zu Ihrer Hütte geht es hier entlang.« Sie folgte dem Weg hinab in Richtung See.

J.D. rieb sich die prickelnde Stelle seines Arms. Was zum Teufel ging hier vor sich? Am liebsten hätte er es auf die Tatsache geschoben, dass er es nicht gewohnt war, wenn man ihn berührte, doch das erklärte nicht das Aussetzen seines Herzschlags, als sie zu ihm ins Foyer gekommen war. Sein erster Gedanke war gewesen: Haben. Sie hatte so weich und wohl gerundet ausgesehen. Runde Augen, runde Wangen, runde Brüste, runder Hintern. Er hatte es vorhin nicht verstanden und verstand es jetzt auch nicht. Sie war durchaus hübsch, auf eine robuste Art, der Typ des netten Mädchens von nebenan. Ganz sicher nicht sein Typ, so dass sein plötzliches Verlangen völlig deplatziert gewesen war.

In Rat City entwickelte man einfach keine Vorliebe für robuste nette Mädchen von nebenan. Er hatte ein Faible für freche Weiber mit möglichst wilden Mähnen, großen Titten und so engen Kleidern, dass man jede noch so kleine Rundung möglichst sofort mitbekam.

Während er jetzt sah, wie sie in Shorts und Turnschuhen vor ihm den Weg hinunterlief, versuchte er herauszufinden, was der Grund für seine Gefühlsverwirrung war. Sicher, ihr Körper wäre in enger Garderobe sicher das reinste Dynamit. Aber er musste kein Genie sein, um zu sehen, dass sie sicher niemals wirklich enge Kleider trug. Dazu war sie mit ihrem seidig weichen, sanft wippenden Zopf, der sommersprossigen Nase und den großen, arglosen, überraschend blauen Augen ganz einfach zu ... frisch. Sicher hing sie, anders als die Frauen, die er kannte, nie in der Hoffnung, irgendein Kerl lüde sie auf einen Drink ein, in irgendwelchen Bars rum. Sie wirkte eher wie die Art, die großäugig darauf hoffte, dass der Mann, der sie ansprach, sofort mit ihr Trauringe kaufen ging.

Sie bogen um eine Kurve und unvermittelt erstreckte sich vor ihnen der in der Sonne glänzende See. Geformt wie einer der Strümpfe, die man an Weihnachten für das Christkind über den Kaminsims hängte, lag er blau und friedlich da. Fröhliches Geplansche und Gelächter, das Surren eines Sprungbretts und das gelegentliche schrille Trällern der Pfeife eines Rettungsschwimmers drangen durch die Stille zu ihnen herüber.

»Hinter der nächsten Biegung gibt es einen mit Seilen abgeteilten Schwimmbereich und ein großes Floß«, erklärte Dru über ihre Schulter, bog auf einen zweiten kurzen Pfad ab und wenig später standen sie auf einer sonnenhellen kleinen Lichtung, an deren anderem Ende eine Hütte mit nur einem halben Vordach stand. Ein Mann von vielleicht Mitte fünfzig saß auf dem Geländer und rauchte eine Zigarette, während ein kleiner Junge in einem Star-Wars-Phantom-Menace-T-Shirt ein Laserschwert gegen eine Reihe imaginärer Feinde schwang.

Der Kleine sah sie zuerst und seine Miene hellte sich erkennbar auf. »Mom!«, rief er, schleuderte seine Waffe achtlos auf den Boden, warf sich von der Treppe der Veranda an Drus Brust, klammerte sich wie ein Affe mit Armen und Beinen an ihr fest, schlang ihr die verdreckten Hände um den Nacken, lehnte sich zurück und sah sie grinsend an.

»Wow, allmählich bist du für eine derart schwungvolle Begrüßung ein bisschen zu groß.« Obgleich sie sich nur mühsam auf den Beinen halten konnte, küsste sie ihn ebenfalls breit grinsend auf die Nase.

Es war eine Szene, wie sie J.D. bereits hundertmal als Außenseiter mit angesehen hatte. Er kreuzte die Arme vor der Brust, beobachtete Sohn und Mutter und gratulierte sich zu seinem Scharfsinn. Da hast du’s, Kumpel. Alles was hier im Augenblick noch fehlt, ist der Anruf über Handy, dass die Mama des besten Freundes leider etwas später zum Kaffeetrinken kommt.

Weiter entfernt von deinem Frauentyp könnte sie nicht sein.

2

Dru verschränkte ihre Hände im warmen Rücken ihres zehnjährigen Sohnes und sah über seinen Kopf hinweg ihren Onkel an. Er drückte gerade seine Zigarette am Verandapfosten aus. Die Tatsache, dass er vor Tate zum Glimmstängel gegriffen hatte, konnte nur eines bedeuten. »Hat Soph mal wieder einen ihrer schlimmen Momente?« Ihre für gewöhnlich stets gut gelaunte, ausgeglichene Tante war vor ein paar Monaten in die Wechseljahre eingetreten und inzwischen gingen sie ihr alle, wenn sie einen ihrer gefürchteten Stimmungsumschwünge bekam, möglichst aus dem Weg.

»Ihr ist mal wieder total heiß«, erklärte Tate der Mutter. »Und als Opa Ben gesagt hat, sie hätte eine der Spinnweben unter der Decke übersehen, hat sie gefragt, wie es ihm gefallen würde, wenn sie ihn mit diesem Staubwedel den A...«

»Tate!«

»Ich wollte es ja gar nicht sagen.« Obwohl ihm die Vorstellung, das Wort auszusprechen, eindeutig gefiel.

»Ich habe ihn vors Haus gebracht, bevor sie ihren Satz vollenden konnte«, versicherte ihr Ben.

»Aber ich weiß trotzdem, was sie sagen wollte«, meinte Tate mit einem Grinsen, bei dem seine großen Schneidezähne blitzten. »Sie wollte sagen, A...«

»Denk am besten noch nicht einmal daran, mir das Wort dadurch unterzujubeln, dass du es jemand anderem in den Mund legst.«

»Mist.« Mit einem erneuten breiten Grinsen löste er die Beine von den Hüften seiner Mutter, sprang zurück auf die Erde, wandte sich dem Haus zu, entdeckte J.D. und betrachtete ihn mit großen Augen. »Hi. Ich bin Tate. Und wer sind Sie?«

»Tut mir Leid, J.D. Wo bleibt mein Benehmen?« Auch wenn es kaum zu glauben war, hatte Dru den Typen tatsächlich kurzfristig vergessen. »Das ist mein Sohn Tate. Tate, das ist Mr. Carver.«

»J.D.«, verbesserte er sie und reichte dem Jungen eine schwielige Hand. »Wie geht’s, Junge?«

»Super.« Tate ergriff die ihm gebotene Hand und verzog so schmerzlich das Gesicht, dass Dru sofort erkannte, dass er J.D.s Knöchel zu Staub zermahlen wollte. Immer, wenn er Hände schütteln konnte, fühlte er sich wunderbar erwachsen. Nur war ihm nicht klar zu machen, dass ein normal fester Griff genügte, um zu zeigen, dass er ein echter Mann war. In Bezug auf Frauen schien er das Konzept durchaus zu verstehen, doch sobald ein Mann die Hand ausstreckte, erlag er der Versuchung zu beweisen, dass er ein eisenharter Kerl war.

Da J.D. bisher nicht unbedingt der Inbegriff von Freundlichkeit und Kumpanei gewesen war, beeilte sich Dru zu sagen: »Und das hier ist mein Onkel Ben Lawrence. Onkel Ben, J.D. ist einen Tag früher angekommen.«

»Das sehe ich.« Ben kam von der Veranda herunter. »Tate, hör bitte auf zu versuchen, ihm sämtliche Knochen im Handrücken zu brechen – ich habe dir doch schon erklärt, dass das nicht nötig ist. Und jetzt geh bitte ins Haus und sag deiner Oma, dass J.D. hier ist.« Als Tate sich zum Gehen wandte, wuschelte er ihm zärtlich durch das glänzende braune Haar. »Aber sei auf der Hut. Womöglich ist sie ja noch auf dem Kriegspfad.« Sein Blick folgte dem Jungen, der sein Schwert vom Boden aufhob und vorsichtig zur Tür trabte, schließlich wandte er sich an J.D. und reichte ihm die Hand. »Willkommen in der Star Lake Lodge.«

Dru verfolgte, wie die beiden Männer einander musterten. Ihr Onkel war älter und weniger durchtrainiert als der Mann aus Seattle, doch für sein Alter sah er fantastisch aus. Inzwischen ging er in den Hüften ein wenig auseinander und seine Schultern waren nicht mehr ganz so muskulös wie in jungen Jahren, aber sein grau meliertes Haar lag immer noch in dichten Locken um sein freundliches Gesicht und seine braunen Augen wurden infolge häufigen Lächelns von zahllosen Lachfalten gerahmt.

Eine Art von Falten, die J.D. ganz sicher nie bekam. Er erwiderte Bens Händedruck mit der ernsten Reglosigkeit, die Dru schon an ihm kannte, beantwortete höflich seine Fragen, sprach jedoch kein Wort, um die gegenseitige Vorstellung ein wenig zu erleichtern. Es war, als hinge ein großes Zutrittverboten-Schild um seinen Hals, und das brachte Dru aus irgendeinem Grund entsetzlich auf die Palme. Glücklicherweise kamen Tate und Tante Sophie aus der Hütte, ehe sie sich vergaß und etwas unverzeihliches Rüdes zu ihm sagte.

Dru war ehrlich erschüttert, weil sie auch nur versucht war, so etwas zu tun. Was hatte dieser Kerl nur an sich, das sie ihre hart erarbeitete Selbstbeherrschung einfach vergessen ließ? Dieses beinahe übermächtige Verlangen, ihn zu einer Reaktion zu reizen, war sicherlich nicht gut.

»Oma Sophie ist wieder sie selbst«, verkündete Tate mit gut gelaunter Stimme, während er seine Großtante an der Hand in Richtung des kleinen Grüppchens auf die Lichtung zog. »Ich glaube nicht, dass sie Opa Ben noch länger mit dem Staubwedel den A...«

» Tate!«

Unbeeindruckt von der entnervten dreistimmigen Warnung zuckte er gelassen mit den Schultern und bedachte seine Oma ehrenhalber mit einem Blick aus seinen laserblauen Augen. »Das willst du doch nicht mehr, oder?«

»Nein«, stimmte Soph ihm trocken zu. »Ich kann mit Sicherheit sagen, dass der Impuls verflogen ist.« Sie trat neben ihren Gatten, schlang ihm einen ihrer Arme um die Taille, tätschelte ihm mit ihrer freien Hand die Brust und murmelte zerknirscht: »Tut mir Leid, Ben.«

»Ich weiß, Baby.« Er legte einen Arm um ihre Schulter und zog sie eng an sich heran.

Dru war sich der Tatsache bewusst, dass J.D. nach wie vor vollkommen reglos an ihrer Seite stand, und sie versuchte, ihre Tante und ihren Onkel durch seine Augen zu sehen.

Sie lebte schon so lange und so gerne bei den beiden, dass sie sie nicht unvoreingenommen sehen konnte, doch selbst nach all den Jahren rief ihre gegenseitige Nähe warme Freude und gleichzeitig eine gewisse Wehmut in ihr wach. Es gehörte einfach zu ihrer Beziehung, dass sie ständig geradezu magisch voneinander angezogen wurden. Allerdings war es keine Beziehung, die andere ausschloss – ihre natürliche Wärme erstreckte sich auf jeden, der ihnen am Herzen lag.

Drus Eltern hatten als rastlose Menschen sämtliche Erdteile bereist. Eine ihrer frühesten Erinnerungen an die zwei war die, dass sie sie bei Tante und Onkel abgegeben hatten, um sich die Welt ansehen und etwas Neues und Aufregendes ausprobieren zu können. Als sie in die Schule gekommen war, hatte sie stets den Moment gefürchtet, an dem sie mittags aus dem Bus gestiegen war. Sie hatte nie gewusst, ob, und wenn ja, wer sie dort erwartete. Manchmal hatte einer ihrer Eltern dort gestanden, meistens jedoch hatte eine Nachbarin sie netterweise zusammen mit ihren eigenen Kindern mitgenommen oder sie hatte sich alleine auf den Weg gemacht. Bereits lange bevor ihre Eltern, als sie neun gewesen war, in den Anden einen tödlichen Unfall mit einem Heißluftballon erlitten hatten, hatten Sophie, Ben und die Star Lake Lodge für sie Sicherheit und Geborgenheit repräsentiert.

Der vertraute Anblick der an Ben gelehnten Sophie zauberte ein Lächeln auf Drus Gesicht. Ihre einundfünfzigjährige Tante sah aus wie Anfang vierzig. Mit ihrer drallen Figur, ihren schimmernden Haaren und ihrem leuchtenden Teint zog sie noch immer die Augen selbst junger Männer auf sich. Ihre strahlende Erscheinung hätte einem Furcht einflößen können, wäre da nicht gleichzeitig die ständige Bereitschaft zu einem warmen, einladenden Lächeln gewesen.

Auch jetzt trat sie mit einem breiten Lächeln und ausgestreckten Armen auf den Neuankömmling zu. »Willkommen«, sagte sie und umfasste herzlich seine Pranken. »Schade, dass ich bei Ihrer Ankunft nicht im Hotel war, um Sie zu begrüßen. Dru, meine Liebe, hast du ihm schon gezeigt, wie er mit seinem Wagen zum Auspacken bis hierher an die Hütte fahren kann?«

»Nein, aber ich kann es jetzt tun, wenn er möchte.« Druwandte sich an J.D. und zog fragend eine Braue in die Höhe.

Er zuckte mit seinen muskulösen Schultern. »Nicht nötig«, erklärte er ihr brüsk. »Ich habe alles, was ich brauche, bei mir.« Er nickte in Richtung der Leinentasche, die einen Meter neben ihm auf der Erde stand.

Sophie strahlte. »Also gut, dann. Hätten Sie vielleicht gern ein bisschen Zeit für sich, um Ihre Sachen auszupacken und sich einzurichten?«

»Ja, das wäre gut«, antwortete er, fügte jedoch nach kurzem Zögern ein leises »Vielen Dank« hinzu.

»Dann werden wir jetzt gehen. Tate! Komm mit, Schätzchen.«

Der Junge kam fröhlich angerannt. »Kann ich jetzt vielleicht schwimmen gehen? Es ist schon fast drei und dieser Dean aus Zimmer Zweihundertelf hat gesagt, er wäre ab drei unten am See.«

Als Dru hinter Sohn, Tante und Onkel den Weg hinunterlief, sah sie sich noch einmal nach ihrem neuen Partner um. Die Hände in den Hosentaschen, stand J.D. reglos und mit zusammengepressten Lippen mitten auf der Lichtung. Er wirkte ein bisschen einsam, ja beinahe ... verloren.

Mit einem leisen Schnauben drehte sie sich wieder um und folgte Tate, der sich, während er mit seinem Plastikschwert die Luft durchtrennte, vergnügt mit Ben und Sophie unterhielt. Na, sicher.

Einen absurderen Gedanken hatte sie garantiert seit zig Jahren nicht mehr gehabt.

J.D. warf seine Tasche auf das breite Bett und schaute sich um. In der kleinen Hütte gab es ein Schlafzimmer, ein Bad, eine winzige Küche und ein Wohn-Esszimmer, dessen beide Hälften durch eine Bogentür mit eingebauten Buchregalen voneinander getrennt waren. Er hatte alles, was er brauchte, und jemand – wahrscheinlich Sophie Lawrence – hatte sogar eine Vase mit frischen Blumen auf den kleinen Esszimmertisch und eine auf den Tisch im Schlafzimmer gestellt. Etwas an diesem heimeligen Szenario rührte ihn tatsächlich an.

Die Hütte war offensichtlich erbaut worden, ehe vom Holz-Raubbau die Rede gewesen war, und er sah bewundernd auf die kunstvoll ineinandergefügten Wandbretter, die Hartholzböden und die Tür- und Fensterrahmen aus dem Holz einheimischer Föhren. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit seiner auf der verblichenen Patchwork-Tagesdecke liegenden Tasche zu und zog einen Stapel weißer T-Shirts, Unterwäsche, Jeans, Rasierzeug und ein paar seiner kostbareren Werkzeuge daraus hervor.

Als Letztes strichen seine Fingerspitzen über den am Boden der Tasche liegenden Stapel alter Briefe. Behutsam nahm er sie heraus und starrte auf den in Edwinas zittriger Handschrift adressierten obersten Umschlag.

Er wusste überhaupt nicht, weshalb er ihre Briefe all die Jahre aufgehoben hatte. Bis auf die ersten hatte er sie bisher nicht einmal geöffnet, denn er ahnte, was in ihnen stand: nämlich, dass Edwina ihm verziehen hatte.

Und zwar ein Verbrechen, das er nicht begangen hatte, was wirklich verdammt großzügig von ihr gewesen war. Abermals erbost über dieses alte, ihm zugefügte Unrecht warf er das mit einem Gummiband zusammengehaltene Bündel in den neben dem Nachttisch stehenden Papierkorb und stürmte aus dem Zimmer.

Eine Minute später jedoch war er zurück und fischte die Briefe wieder heraus. Ihm war zwar nicht klar, warum – er wäre nämlich ein wesentlich glücklicherer Mensch, wenn es ihm endlich gelänge, diesen Teil seines Lebens als den Ballast abzuwerfen, der er schließlich war. Aber irgendwie hing er selbst nach all diesen Jahren noch daran. Also beförderte er die Briefe zurück in die Tasche, verstaute sie im Schrank und schloss nachdrücklich die Tür.

Leider hieß aus den Augen nicht automatisch aus dem Sinn. Er zog die goldene Uhr von Edwinas Vater aus der Tasche, strich vorsichtig mit dem Daumen über den mit einer Gravur verzierten Deckel, drückte auf das winzige Knöpfchen an der Seite, klappte den Deckel auf, betrachtete das Zifferblatt, und vor seinem geistigen Auge tauchten Szenen aus seinem früheren Leben auf. In dem Versuch, die unwillkommenen Erinnerungen endgültig zu verdrängen, klappte er den Deckel schnaubend wieder zu und schob die Uhr zurück in seine Jeans. Das erste Mal hatte er Edward Lawrences Uhr an dem Tag gesehen, als er von Edwina mit heimgenommen worden war. Die Uhr hatte auf einer ledergebundenen Kladde auf einem antiken Schreibtisch im Arbeitszimmer gelegen.

Ein so wunderbares Stück hatte er nie zuvor gesehen. Er hatte gefunden, die Uhr sähe aus, als gehöre sie einem wirklich reichen Menschen, und das hatte ihm gefallen. Noch stärker jedoch war er vom Alter der Uhr angezogen worden – auch wenn er nicht hätte in Worte fassen können, was ihm daran so gefiel.

Erst als Erwachsenem war ihm bewusst geworden, dass es die Beständigkeit gewesen war, die das Stück repräsentierte, die Tatsache, dass es sich über zwei Generationen hinweg im Besitz ein und derselben Familie befunden hatte, von der er derart beeindruckt gewesen war. Er selbst hatte seinen Vater nie gekannt, und für seine Mutter war der Konsum von Drogen weitaus wichtiger gewesen als der eigene Sohn, so dass er allein von der Vorstellung einer Familie, die ihre Kinder nicht nur versorgte, sondern obendrein noch Dinge aus den Leben der einzelnen Personen extra für sie aufhob, regelrecht überwältigt worden war. Vor seinem Einzug bei Edwina hatte er nie auch nur einen einzigen Gegenstand besessen, und schon gar nichts, was ihm von einem seiner Ahnen hinterlassen worden war.

Edwina hatte das geändert und während einiger Monate hatte er das Gefühl gehabt, als lebe er in einem Traum. Sie hatte ihn behandelt, wie man seiner Vorstellung nach eigene Kinder behandelte. Weshalb ihn der Verrat am Ende umso schmerzlicher getroffen hatte, als plötzlich Edwards Uhr verschwunden und er von ihr beinahe des Diebstahls bezichtigt worden war. Das hatte er ihr nicht verziehen, und – so lächerlich es in den Augen anderer vielleicht war – der Geist dieser Empörung lebte wie atomarer Abfall mit einer endlosen Halbwertszeit in seinem Innern fort.

Falls es also eines gab, was er ganz sicher wusste, dann, dass die Lawrences, auch wenn sie sich wie anständige Menschen gaben, ihren Anspruch auf ein wertvolles Besitztum, wie damals die Uhr und jetzt dieses Hotel, ganz sicher nicht so frohen Herzens aufgaben, wie sie ihn glauben machen wollten. Er stapfte aus der Hütte, schlug die Tür hinter sich zu und marschierte über den Pfad zurück in Richtung des Hotels.

Sie führten bestimmt irgendwas im Schilde. Und er hatte die Absicht, herauszufinden, was.

Noch während die Empfangsdame Dru darüber informierte, dass J.D. auf dem Weg zu ihrem Büro war, wurde auch schon die Tür geöffnet und er trat unaufgefordert ein. Sie verfolgte, wie er die Tür hinter sich schloss, und sagte in den Hörer: »Die Nachricht kam ein bisschen spät, aber trotzdem vielen Dank. Da ich Sie aber gerade am Apparat habe, Joy, würden Sie wohl bitte der Hauswirtschafterin sagen, dass ich ihren Bericht schon heute Nachmittag auf dem Tisch haben möchte? Die Kaffeepäckchen werden zu spät in den Zimmern ausgelegt und ich muss wissen, welchen Grund es dafür gibt.« Sie legte den Hörer zurück auf die Gabel und hakte den Posten »Hauswirtschafterin« auf ihrem Zettel ab.

Dann erhob sie sich trotz ihres beschleunigten Herzschlags langsam von ihrem Stuhl und sah ihn höflich lächelnd an. »Hallo, J.D. Sie brauchen sicher irgendetwas für Ihre Hütte, oder?«

»Nein, ich bin der Bücher wegen hier.«

Seine Antwort kam so unerwartet, dass sie ihn mit großen Augen musterte. »Wie bitte?«

»Die Bücher. Sämtliche finanziellen Unterlagen über das Hotel. Ich bin sicher, Sie haben schon mal etwas davon gehört.«

»Ich weiß, was Bücher sind.« Sie schüttelte den Kopf, kam hinter ihrem Schreibtisch hervor und trat vor einen Schrank. »Ich suche sie Ihnen raus.«

»Beide Sätze.«

Sie nahm eine geradezu militärisch straffe Haltung an und fuhr zu ihm herum. »Ich weiß nicht, mit was für Unternehmen Sie es für gewöhnlich zu tun haben, Mr. Carver, aber hier in der Star Lake Lodge gibt es nur einen Satz Bücher, und diese werden tadellos geführt.«

Er machte einen Schritt nach vorn und plötzlich schrumpfte ihr Büro auf eine einzige Wand, die nur aus seinen Schultern und seiner breiten Brust zu bestehen schien. Sie reckte das Kinn, doch gleichzeitig wich sie unwillkürlich vor ihm zurück. Es machte sie wütend, dass es ihm so mühelos gelang, sie einzuschüchtern, und so blieb sie, als er sich prompt noch näher an sie heranschob, wie angewurzelt stehen. »Wollen Sie mich vielleicht quer durch mein Büro verfolgen?«, fragte sie mit kühler Stimme, dann jedoch verlor sie die Beherrschung und sie fauchte: »Wer zum Teufel hat Ihnen eigentlich Manieren beigebracht? Ganz sicher nicht Großtante Edwina.«

In seiner Wange zuckte ein kleiner Muskel. »Nein, das, was ich von Edwina gelernt habe, ist, dass man nichts auf irgendwelches Gerede geben soll, weil nämlich der einzige Mensch, auf den man sich wirklich verlassen kann, immer man selber ist.«

»Ach ja? Sie müssen schon entschuldigen, wenn ich nicht in Tränen ausbreche, weil Sie von ihr derart schlecht behandelt worden sind. Ich habe nämlich den Eindruck, dass Edwina nicht nur geredet hat, denn schließlich sind Sie hier, oder etwa nicht? Und zwar als hälftiger Eigentümer unseres Hotels.«

Er schob sich tatsächlich noch dichter an sie heran. »Und das schmeckt dir gar nicht, Süße, habe ich nicht Recht?«

Sie hielt es für besser, verstünde sie ihn falsch. »Dass Sie schlecht über die Frau reden, von der Ihnen so viel hinterlassen worden ist?« Sie ignorierte ihre Reaktion auf seine Nähe und reckte abermals das Kinn. »Ja, Sie haben Recht, das finde ich geschmacklos.«

Seine Augen blitzten auf, was Dru mit Genugtuung erfüllte, weil es ihr endlich gelungen war, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das war nur fair, denn schließlich hatte er sie bereits mehr als einmal völlig aus dem Gleichgewicht gebracht.

Sein Blick wurde wieder kühl und distanziert. »Tja, sehen Sie, so ist es nun mal mit uns Typen aus der Gosse«, knurrte er. »Wir saugen Geschmacklosigkeit quasi mit der Muttermilch in uns auf und einziges Ziel in unserem Leben ist es, etwas zu bekommen, ohne eine Gegenleistung dafür erbringen zu müssen.« Er strich mit einer rauen Fingerkuppe über ihre Wange und ließ eine brennend heiße Spur auf ihrer Haut zurück.

Dru riss ihren Kopf nach hinten, doch er wich keinen Millimeter. »Und es ist uns vollkommen egal, wem wir dabei auf die Füße treten müssen«, erklärte er ihr leise. »Das sollten Sie sich merken.« Sein Daumen strich über ihre Unterlippe, doch ehe sie ihm auf die Finger schlagen konnte, zog er seine Hand zurück und sah sie mit einem unverschämten Lächeln an, das ihr zeigte, dass mit seinen Zähnen alles in Ordnung war. Wenn auch eventuell ein wenig schief, waren sie doch strahlend weiß und wirkten durch und durch gesund.

Als sie ihm wieder in die Augen blickte, zog er eine Braue in die Höhe. »Was ist jetzt mit den Büchern?«

Mit wild pochendem Herzen öffnete Dru die Schranktür, zog die Ordner heraus und drückte sie ihm zornig in die Arme. »Hier. Das sind die letzten drei Jahre. Machen Sie sie nicht schmutzig und verlieren Sie sie nicht.«

»Dann esse ich meine Erbsen wohl besser nicht wieder mit dem Messer.«

Verlegen, weil sie derart unhöflich gewesen war, verzog sie sich wieder auf ihren Stuhl, schnappte sich einen Bleistift und trommelte in der Hoffnung, sich den Anschein einer Frau zu geben, die keine Zeit für derartigen Unfug hatte, ungeduldig damit auf der Tischplatte herum. »Passen Sie halt einfach auf die Bücher auf.«

»Sehr wohl, Ma’am.« Er salutierte und schlenderte dafür, dass er mehrere Pfund Leder an den Füßen hatte, erstaunlich geschmeidig aus dem Raum.

Dru saß noch lange kochend hinter ihrem Schreibtisch. Sie und J.D. kamen ganz eindeutig nicht miteinander zurecht, aber sie hatte das grässliche Empfinden, als wäre sein unerträgliches Benehmen im Vergleich zu den Gefühlen, die er in ihr wachrief, ein eher geringfügiges Problem.

O Mann, diese Sache gefiel ihr ganz und gar nicht. In ihrem ganzen Leben hatte sie bisher nur auf Tates Vater ähnlich leidenschaftlich reagiert. Doch selbst Tony hatte ein deutlich schwächeres Verlangen in ihr wachgerufen, und bereits das hatte sie an den Rand des Verderbens geführt.

Sie war damals achtzehn Jahre alt und zum ersten Mal, seit Ben und Sophie sie bei sich aufgenommen hatten, aushäusig gewesen. Das College hatte aufregend und viel versprechend angefangen. Sie war sich so erwachsen vorgekommen, und als sie sich am Ende ihres ersten Jahres in Tony verliebte, hatte sie sich eingebildet, besser könne ihr Leben nicht mehr werden. Das erste Mal fort von zu Hause und schon hatte sie die Liebe ihres Lebens gefunden.

Während des gesamten zweiten Collegejahres waren sie und Tony unzertrennlich gewesen. Sie hatten alles zusammen unternommen: gelernt, gespielt, geredet, gelacht und sich geliebt. Himmel, wie hatten sie sich geliebt! Streit hatte es nie zwischen ihnen gegeben und sie hätte geschworen, dass ihre Beziehung im Himmel geschlossen worden war. Dann hatte sie am letzten Tag der Frühjahrsprüfung festgestellt, dass sie ein Kind erwartete.

Und dass ihre Beziehung zu dem guten Tony doch nicht im Himmel geschlossen worden war. Denn bereits am nächsten Tag hatte er sich heimlich aus dem Staub gemacht.

Sie war allein zurückgeblieben und hatte sich die größten Vorwürfe gemacht. Sie hatte kaum glauben können, dass sie derart unvorsichtig gewesen und dass der Traum von einer wunderbaren Zukunft nunmehr begraben war. Sie hatte mit morgendlicher Übelkeit gekämpft, sich gefragt, wie es mit ihrem Leben weitergehen sollte, und entsetzliche Angst davor gehabt, Tante und Onkel zu beichten, wie naiv und sorglos sie gewesen war.

Während der quälenden ersten drei Wochen hatte sie, voll der Abneigung gegen das ungewollte Baby, ernsthaft mit dem Gedanken an eine Abtreibung gespielt. Das war ihr als die praktischste Lösung erschienen: Sophie und Ben würden niemals erfahren, wie verantwortungslos sie sich gebärdet hatte, und sie nähme einfach ihr altes Leben wieder auf. Doch ihr Gefühl hatte ihr etwas anderes geraten ...

Also hatte sie allen Mut zusammengenommen und Tante und Onkel gebeichtet, dass sie Mutter werden würde.

Sie hatten sich wunderbar verhalten. Sie hatte sich davor gefürchtet, die Enttäuschung in ihren Augen zu sehen, aber sie hatten sie, ohne auch nur ein Wort über die von ihr begangene Dummheit zu verlieren oder etwas auf das Geschwätz der Leute in ihrem winzigen, hinterwäldlerischen Dorf zu geben, nach Kräften unterstützt. Und Tate wurde die wirkliche große Liebe ihres Lebens – sie hatte ihre Entscheidung, ihn alleine aufzuziehen, nicht eine Sekunde bereut. Trotzdem war es nicht gerade einfach gewesen, und sie hatte gelernt, in Gefühlsdingen äußerst vorsichtig zu sein. Niemals wieder wollte sie ihr Leben derart aus den Fugen geraten lassen wie damals vor elf Jahren.

Aus diesem Grund war ihr egal, was für eine heiße Nummer dieser J.D. Carver war, und dass ihr Herz einen Hüpfer machte und sie weiche Knie bekam, sobald sie ihn nur sah. Er würde nicht einfach hier hereinschneien und das angenehme, sichere Leben durcheinanderbringen, das sie für sich und ihren Sohn aufgebaut hatte und das ihr nahezu heilig war.

3

Drus Onkel trat aus dem Souvenirgeschäft und traf in der Halle auf J.D. Beide Männer blieben stehen und J.D. straffte die Schultern, als er merkte, dass Ben den Stapel Bücher betrachtete, mit denen er aus Drus Büro gekommen war. Doch Ben sagte lediglich: »Und, haben Sie sich bereits ein wenig eingelebt?«

J.D. nickte.

Ben steckte die Hände in die Hosentaschen und bedachte den jüngeren Mann mit einem neugierigen Blick. »Der Anwalt, der Edwinas Testament eröffnet hat, hat erzählt, dass Sie im Baugewerbe sind.«

»Ja.«

»In diesem Bereich gibt es im Sommer immer alle Hände voll zu tun. Konnten Sie da so einfach weg?«

»Allerdings.« J.D.s Lachen klang total humorlos. »Das Unternehmen, bei dem ich tätig war, ist kaputt gegangen, als der Eigentümer in den Knast gewandert ist.«

»Aua. Was hatte er denn verbrochen?«

»Er hatte minderwertige Materialien verwendet, weil ihm das, was er verdient hat, offenbar nicht reichte.«

Ben grunzte. »Eine hässliche Geschichte. Und wie sind sie ihm auf die Schliche gekommen? Hat ihn jemand verpfiffen?«

»Ja-« J.D. sah ihm reglos in die Augen. »Ich.« Offenbar hatte Lankovich mehrere Bauvorhaben mit minderwertigen Materialien durchgeführt, doch J.D. hatte das erst bemerkt, als die Sicherheit eines Gebäudes, das die Männer unter seiner Leitung mit größter Sorgfalt errichtet hatten, durch schlechte Baustoffe gefährdet worden war. Das hatte ihn derart erbost, dass er zur Polizei gegangen war.

Als er sah, wie Ben die Kinnlade herunterklappte, fügte er abwehrend hinzu: »Ich wollte den Kerl gar nicht anzeigen – Lankovich ist immer anständig zu mir gewesen. Er hat mich ausgebildet und mich sogar zum Polier gemacht. Aber ich hatte nur die Wahl, ihn entweder zu verpfeifen oder damit leben zu müssen, dass vielleicht Menschen verletzt oder sogar ums Leben kommen würden, nur, weil ich die Klappe gehalten habe.«

»Oh, ich verurteile Sie überhaupt nicht. Sie haben das Richtige getan, auch wenn es sicherlich nicht leicht war. Aber ich schätze, Sie haben eine Menge Leute stolz auf sich gemacht.«

J.D. konnte ein geringschätziges Schnauben nicht verhindern. »Dort, wo ich herkomme, verpfeift man seinen Arbeitgeber nicht. Also habe ich jede Menge Leute gegen mich aufgebracht. Lankovichs Sohn zum Beispiel, der sich für einen ganz harten Kerl hält, hat es sich zum Ziel gesetzt, mich für das, was ich getan habe, bezahlen zu lassen. Und die meisten anderen reden einfach nicht mehr mit mir.«

»Das tut mir Leid«, meinte Ben mit mitfühlender Stimme. »So was ist nicht einfach.«

Das war leicht untertrieben. Robbie Lankovich hatte ihn auf Schritt und Tritt verfolgt und die Männer, die J.D. für Freunde gehalten hatte, hatten ihm, sobald er in ihre Nähe gekommen war, den Rücken gekehrt. Nie zuvor war er in einer solchen Lage gewesen und er hoffte, dass es auch nie wieder dazu käme. Ben gegenüber jedoch zuckte er gleichmütig mit den Schultern. »Tja, manchmal laufen die Dinge eben nicht so, wie man es sich wünscht.«

»Hat der Junge, der sich für so clever hält, denn eine Möglichkeit gefunden, Sie dafür bezahlen zu lassen, dass sein Vater von Ihnen verpfiffen worden ist?«

»Nein.« Sein Lächeln war kälter als der Wind am Nordpol. »Er hat sich wirklich Mühe gegeben, aber seine tatsächlichen Fähigkeiten liegen weit hinter seinem dummdreisten Gerede.«

Sie tauschten noch ein paar nichts sagende Sätze aus und dann betrat J.D. das Adlernest, eine Mischung aus Café und Bar am Ende des Foyers. Die große Glasfront des zweigeschossigen Raums bot einen atemberaubenden Blick auf die steil abfallenden, umliegenden Berge. Von dem kleinen, dazugehörigen Balkon hätte man sicher eine noch phänomenalere Aussicht gehabt, doch der Zutritt war mit einem Band und einem Schild »Geschlossen wegen Bauarbeiten« gesperrt. Sofort war seine Neugierde geweckt. Er trat vor die Flügeltür und sah, dass das gesamte Balkongeländer abgerissen war. Er drehte den Türknauf, um sich den Schaden aus der Nähe anzusehen, doch eine Stimme in seinem Rücken sagte: »Der Balkon ist aus Sicherheitsgründen gesperrt, Sir.«

J.D. drehte sich um und entdeckte den Mann, der zuvor hinter der Bar gestanden hatte.

»Wir hatten letzten Winter außergewöhnlich heftige Schneefälle«, erklärte der Barkeeper, während er ein paar Teller und Gläser von einem in der Nähe stehenden Tisch nahm und ihn anschließend mit einem Lappen abrieb. »Unter dem Gewicht ist das Geländer weggebrochen.«

»Dazu hat es sicher keines allzu großen Gewichts bedurft. Sieht aus, als wäre das Holz ziemlich verrottet.«

Der Barkeeper nickte. »Bei all dem Schnee im Winter und dem Regen im Frühjahr und Herbst bleibt ihm nicht viel Zeit zum Trocknen, so dass der Großteil des Geländers und das Balkonbodens alle paar Jahre ausgewechselt werden. Kann ich Ihnen etwas bringen, Sir?«

»Ja, ich nehme ein Corona.«

Der Mann ging zurück an die Bar und J.D. setzte sich an einen Tisch direkt am Fenster. Das Mittagessen war vorbei, für die Happy Hour war es noch zu früh, und so hatte er den Raum ganz allein für sich. Als das bestellte Bier kam, nickte er zum Dank und schlug dann das älteste der Bücher auf.

Wider Erwarten fiel es ihm schwer, sich auf die Überprüfung der Finanzen des Hotels zu konzentrieren, denn ständig kehrten seine Gedanken zu seiner aufgezwungenen Partnerin zurück. Er war sich nicht ganz sicher, ob er als Sieger oder als Verlierer aus dem Scharmützel hervorgegangen war. Er wurde von Frauen nicht gerade umschwärmt, nie zuvor jedoch hatte eine ihn angesehen, als wäre er geradewegs aus der Steinzeit in die Gegenwart katapultiert worden. Allerdings musste er sich eingestehen, dass es ihn auf eine primitive Art befriedigt hatte, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Doch was zum Teufel hatte dieses Bedürfnis überhaupt in ihm geweckt?

Er war mit der Absicht, ein nüchternes, geschäftsmäßiges Gespräch zu führen, in ihr Büro marschiert. Sie jedoch hatte ihn mit diesem falschen Lächeln angesehen. Er hatte sich mit instinktiver Kampfbereitschaft ins Gefecht gestürzt. Als sie ihn dann noch der Geschmacklosigkeit bezichtigt und ihn gemustert hatte, als wäre er geradewegs aus einem Abwasserkanal gekrochen, war es um seine guten Vorsätze geschehen.

Doch leicht war sie nicht kleinzukriegen. Er hätte gedacht, die jahrelang in Rat City angewandte Praxis der körperlichen Einschüchterung würde bereits genügen, doch ihre großen, runden Augen und der weiche, runde Körper schienen eine Mogelpackung zu sein – denn sie hatte sich ihm erfolgreich widersetzt. Abgesehen von dem einen Schritt nach hinten, hatte sie ihre Bereitschaft demonstriert, sich ihm gegenüber zu behaupten.

Und plötzlich hatte sein Bemühen, herauszufinden, was zum Teufel sie und ihre Sippe gegen ihn im Schilde führten – verdammt noch mal –, den Charakter eines Vorspiels für ihn gehabt.

Er richtete sich auf. Himmel, Mann, bist du vollkommen verrückt geworden? Die Behauptung, er wäre einzig darauf aus, etwas umsonst zu kriegen, hatte nicht gestimmt, doch genau das war passiert – und wie oft hatte ein Typ wie er im Leben wohl ein derartiges Glück? Er hatte die Absicht, diese Gelegenheit zu nutzen. Spielchen in der Art Ich weiß, dass ich dich dazu bringen kann, dass du es genauso willst wie ich waren sicher nicht der richtige Weg, doch er wollte verdammt sein, wenn er diese Chance vertat.

In Seattle gab es nichts mehr für ihn. Nicht einmal mehr Butch, der als Einziger so etwas wie Familie für ihn gewesen war.

Und trotzdem ...