Mach mich glücklich - Susan Andersen - E-Book
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Susan Andersen

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Beschreibung

Die selbstbewusste Lily Morrisette glaubt, ihren Ohren nicht zu trauen: Dieser ungehobelte Marinesoldat Zach Taylor beschuldigt sie doch tatsächlich, hinter dem Vermögen seiner kleinen Schwester Glynnis her zu sein. Dabei passt Lily nur ein paar Wochen auf Glynnis' Wohnung auf. Der misstrauische Zach wittert prompt einen weiteren Schmarotzer und macht sich sofort an die Verfolgung der beiden. Um Schlimmeres zu verhindern, beschließt Lily, diesen Temperamentsbolzen nicht mehr aus den Augen zu lassen. Eine eigentlich reizvolle Aufgabe – denn Zach sieht wirklich unverschämt gut aus ... »Susan Andersen schreibt wahnsinnig gute Thriller - voll gefährlicher Liebe und abgründiger Spannung!« (Romantic Times Magazine)

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Susan Andersen

Mach mich glücklich

Roman

Ins Deutsche übertragen von Katharina Wegner

Edel eBooks Ein Verlag der Edel Germany GmbH

Copyright dieser Ausgabe © 2014 by Edel Germany GmbH Neumühlen 17, 22763 Hamburg

Copyright © 2003 by Susan Andersen

Published by Arrangement with Susan Andersen

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel "Getting Lucky"

Ins Deutsche übertragen von Katharina Wegner

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München

Konvertierung: Jouve

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26

1

Lily Morrisette wollte gerade das Wasserglas an die Lippen setzen, um einen Schluck zu trinken, als sie mitten in der Bewegung yerharrte und fasziniert den großen Mann anstarrte, der durch die Küchentür trat. Die Granitfliesen unter ihren Füßen verbreiteten einen matten Glanz, und außer dem fernen Ticken der alten Standuhr im Wohnzimmer war in dem großen Haus direkt am Strand von Laguna Beach kein Laut zu hören. Der Mann brachte einen Schwall kühler, salziger Luft mit sich, der nach den ersten Frühlingsblumen roch. Aber kühl war nicht unbedingt das Wort, das Lily bei seinem Anblick als Erstes in den Sinn kam. Im Gegenteil, er war einer der heißesten Typen, die ihr jemals unter die Augen gekommen waren.

Von den Fotos, die ihr Glynnis Taylor gezeigt hatte, wusste sie natürlich, wer er war. Allerdings wurde ihm keines der Bilder auch nur annähernd gerecht, und schon bei seinem bloßen Erscheinen stockte Lily der Atem.

Er war etwa einen Meter achtzig groß und strahlte etwas Geheimnisvolles und Gefährliches aus. Letzteres ließ sich allein aus seiner Haltung schließen. Und alles Übrige — das tiefschwarze Haar und die Wangen mit den dunklen Schatten, die langen Beine und die breiten Schultern, über denen sich ein marineblaues T-Shirt spannte — nun, was soll man sagen, er war ganz einfach eine Wucht.

Lily überlegte kurz, ob sie sich das Wasser statt in den Mund nicht lieber auf eine Körperstelle schütten sollte, an der sie jetzt dringender eine Abkühlung nötig hatte. Sie tat es natürlich nicht! Aber hier stand er in Fleisch und Blut vor ihr: der Mann ihrer Träume.

Doch dann machte er seinen Mund auf und zerstörte die Illusion.

»Wer sind Sie denn?«, fuhr er sie an und ließ dabei einen olivgrünen Matchsack von der Schulter rutschen und auf den Fliesenboden fallen. »Und was haben Sie in meiner Küche zu suchen? Wo ist Glynnis?«

Seine Augen waren von einem klaren, hellen Grau, mit einem kohlschwarzen Ring um die Iris. Unter seinen dichten, dunklen Wimpern hervor musterte er mit intensivem, undurchdringlichem Blick ihre dünnen, minzgrünen, mit einer Schnur zusammengehaltenen Pyjamahosen und ihr Tanktop. Sein prüfender Blick erinnerte Lily an jedes einzelne ihrer überflüssigen zehn Pfund, die sie einfach nicht loswerden konnte. Mit einem Klirren stellte sie ihr Glas auf der Küchentheke ab, verzichtete jedoch darauf, ihm im gleichen unhöflichen Ton zu antworten.

»Sie müssen Zach sein.« Sie trat einen Schritt vor und streckte Glynnis’ Bruder die Hand entgegen. »Glynnis ist weggefahren. Ich bin Lily — Lily Morrisette. Ich habe schon viel von Ihnen gehört, seit ich hier eingezogen bin.«

»Was Sie nicht sagen«, knurrte er und übersah ihre ausgestreckte Hand. Seine Stimme war so tief, dass sie ihr Vibrato praktisch bis in die Fußsohlen spüren konnte, genau wie damals, in ihrer Jugend, die Bässe aus dem Autoradio des Nachbarjungen, wenn er an ihrem Haus vorbeifuhr. Und sie war fast so kalt wie sein eisiger Blick, als er fortfuhr: »Glynnis hatte schon immer das Talent, irgendwelche verkrachten Existenzen aufzulesen, die eine traurige Geschichte zu erzählen wussten, aber dass sie so weit gehen würde, in meiner Abwesenheit tatsächlich eine von ihnen in unserem Haus unterzubringen, hätte ich nicht gedacht.«

»Wie bitte?«

»Ich hoffe, Sie haben bekommen, was Sie wollten, solange die Gelegenheit günstig war, Lady« Er bedachte sie mit einem so geringschätzigen Blick, dass Lily all ihre Selbstbeherrschung aufbringen musste, um nicht zurückzuweichen. »Denn jetzt dürfen Sie Ihren hübschen kleinen Hintern hier wieder rausbewegen, jetzt ist Schluss mit freier Kost und Logis. Packen Sie Ihre Koffer.«

Er fand ihren Hintern hübsch? Und klein? Reiß dich zusammen, Lily, ermahnte sie sich. Mein Gott, was war nur los mit ihr? Hier ging es ja wohl kaum darum, was er von ihrem Hintern hielt. Sie straffte ihre Schultern und reckte das Kinn vor. »Nein«, sagte sie mit fester Stimme und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Was?« Er sah sie so entgeistert an, als hätte ihm in seinem ganzen Leben noch nie jemand widersprochen.

Vielleicht hatte das ja auch noch niemand getan, überlegte Lily, der jetzt wieder einfiel, dass er irgendeine große Nummer bei den Marines war, spezialisiert auf Aufklärungseinsätze. Dann verhärtete sich sein Mund, und ihre Aufmerksamkeit wurde auf die feine weiße Narbe gelenkt, die seine Oberlippe teilte.

Seltsam, was innerhalb von ein paar Minuten passieren konnte und wie viel schlechte Manieren ausmachten. Was sie eben noch für ungeheuer sexy gehalten hatte, kam ihr nun irgendwie finster vor. Eine hässliche Seele in einem schönen Körper, sagte Grandma Nell immer, und zum ersten Mal verstand Lily ganz tief in ihrem Innersten, was sie damit gemeint hatte. Die Seele dieses Kerls hatte gewiss nichts Schönes an sich, und sie hatte keine Lust, diejenige zu sein, die bei diesem schwachsinnigen Kräftemessen nachgab. »Welchen Teil des Wortes haben Sie nicht verstanden?«, fragte sie mit unschuldiger Miene. Dann nahm ihre Stimme die Schärfe an, die sie sich im jahrelangen Umgang mit launischen Küchenchefs, bei denen sie ihr Handwerk lernte, angeeignet hatte. »Ich werde nirgendwo hingehen, Sie sollten sich also besser an meinen Anblick gewöhnen.«

Bevor sie sich’s versah, hatten sich die neunzig Kilo eines wutentbrannten Mannes vor ihr aufgebaut und brachten ihr schmerzhaft zu Bewusstsein, dass sie selbst von nicht eben beeindruckender Statur war. »Sie können es sich schwer machen, oder Sie können es sich leicht machen«, sagte Zach, und das tiefe Timbre seiner Stimme schickte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. »Aber wie Sie es auch halten wollen, Schwester, Sie werden von hier verschwinden.«

Lily warf ihren Kopf zurück, um ihm in die bleigrauen Augen zu blicken. »Kommen Sie mir nicht zu nahe, Sie Möchtegerngeneral. Denn eines sage ich Ihnen: Wenn Sie mich auch nur anfassen, haben Sie schneller die Polizei am Hals, als Sie sich umschauen können.« Sie hasste es, wenn Menschen ihre Größe dazu einsetzten, ihr Angst einzujagen.

»Klar, da fang ich gleich an zu zittern, wenn ein solches Persönchen wie Sie die Bullen ruft.« Allerdings warf er ihr dabei einen Blick zu, als begreife er nicht, wo sie ihre Kaltschnäuzigkeit hernahm, und trat einen Schritt zurück. Um es nicht zu sehr nach Rückzug aussehen zu lassen, vollbrachten sein eiskalter Blick und sein kantiges Kinn das Unmögliche und wurden noch härter. Er beugte sich vor, gerade weit genug, um ihr zu näher zu kommen, aber doch nicht so nahe, dass sie Anlass hatte, ihm erneut zu drohen.

»Wissen Sie, was«, sagte er leise mit einem gefährlichen Unterton, »ich erspare Ihnen die Mühe und rufe sie selbst. Dann können die Sie von meinem Grund und Boden entfernen, und ich kann mich in Ruhe aufs Ohr hauen. Nachdem ich die letzten beiden Tage auf Armeelastern verbracht habe, bin ich nicht in der Stimmung, mich mit einer Betrügerin abzugeben, die meine Schwester um ihr Erbe bringen will.«

»Ach, verdammt —«

Lily hatte keine Lust, sich noch weiter seine bösartigen Unterstellungen anzuhören, und machte auf dem Absatz kehrt. Aus dem Augenwinkel sah sie seinen selbstzufriedenen Gesichtsausdruck und kämpfte hart gegen den Ärger an, der in ihr aufgestiegen war. Statt ihrem Zorn Luft zu machen, stolzierte sie aus der Küche und über den Flur zu ihrem Zimmer, wo sie sich augenblicklich zu dem kleinen Safe begab, den sie in dem Nachtischchen neben ihrem Bett untergebracht hatte.

Sie war überrascht, keinen Dampf durch ihre Poren aufsteigen zu sehen, so heiß, wie das Blut durch ihre Adern pulsierte. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, und dann gaben plötzlich ihre Knie unter ihr nach, und sie ließ sich auf das Bett sinken. Auf der Bettkante sitzend, umklammerte sie die kleine Kassette in ihrem Schoß und atmete tief durch. Wie hatte die Situation nur so schnell aus dem Ruder laufen können?

Zach Taylor war zwar ein kompletter Idiot, was seine Meinung über ihre Rolle im Leben seiner Schwester betraf, aber abgesehen davon hatte er vielleicht gute Gründe, sich Sorgen zu machen. Glynnis würde in nicht einmal einer Woche fünfundzwanzig werden und dann zu einem ansehnlichen Vermögen kommen, dessen Herkunft Lily nicht kannte. Es musste etwas mit einem Familienunternehmen und Glynnis’ Großvater zu tun haben, dachte sie, wusste aber nichts Genaueres, da ihre Freundin immer anfing, zusammenhangloses Zeug zu reden, wenn das Gespräch auf dieses Thema kam. Was Lily dagegen wusste, war, dass Glynnis bei der Auswahl ihrer Freunde bisher kein besonders glückliches Händchen bewiesen hatte — zumindest, was die männlichen Freunde anbelangte. Tatsächlich hatte sich Glynnis schon mehrmals die Finger an Typen verbrannt, die nur wegen ihres Geldes hinter ihr her gewesen waren, und es war kein Geheimnis, dass sie auf jeden, der ihr eine rührselige Geschichte erzählte, hereinfiel. Aber das hatte sich vor kurzem geändert.

Bestimmt hatte Bruder Zach so seine Zweifel, dass sich ihre fragwürdige Menschenkenntnis nur auf das männliche Geschlecht bezog.

Lily musste auch einräumen, dass sie möglicherweise ein winzig kleines Vorurteil Zach gegenüber hatte und bereits das Schlimmste von ihm dachte, bevor sie ihn überhaupt kennen gelernt hatte. Glynnis bewunderte ihren Bruder, aber aus dem, was sie von ihm erzählt hatte, schloss Lily, dass er ein Macho war, einer dieser Alpha-Männchen-Typen, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatten, die weiblichen Angehörigen der Sippe in Abhängigkeit zu halten. Einen Moment lang hatte sie der Umstand, dass Zach aussah wie ein junger Gott, darüber hinweggetäuscht, seine Unterstellungen hatten sie allerdings gleich wieder zur Besinnung gebracht.

Vielleicht sollte sie ihm aber noch eine Chance geben. Er war eindeutig gestresst und vollkommen erledigt von den Strapazen der Reise. So etwas konnte aus dem freundlichsten Menschen einen Kotzbrocken machen. Vielleicht sollten sie noch einmal von vorne beginnen. Sie öffnete die Kassette auf ihrem Schoß, nahm das Gesuchte heraus, stellte sie dann wieder in das Schränkchen und ging zurück in die Küche. Sie wollte ihm das Papier zeigen und ihm in aller Ruhe erklären, wie es dazu gekommen war, dass sie hier wohnte.

Ihre Bereitschaft, Zach eine zweite Chance zu geben, bedeutete jedoch nicht, dass sie Blümchen vor seinen Füßen verstreuen würde. Ihr Plan sah nicht vor, die Duckmäuserin zu spielen, sobald sie die Küche betrat und sich im Fadenkreuz dieser Ich-mache-keine-Gefangenen-Augen wieder fand. Sie hielt ihm das Dokument höflich entgegen, statt es gegen seine muskulöse Brust zu knallen, wie sie es vielleicht fünf Minuten zuvor getan hätte, bedachte ihn dafür aber mit einem äußerst kühlen Blick.

»Was soll das sein?« Ohne ihre Antwort abzuwarten, öffnete er das dreifach gefaltete Blatt Papier und begann zu lesen. Seine dunklen Augenbrauen zogen sich bedrohlich über seiner Nase zusammen, und dann schnellte sein Blick hoch und durchbohrte sie.

»Ein Vertrag?«, sagte er gefährlich leise. »Sie haben einen Mietvertrag mit meiner Schwester geschlossen? Ich muss wohl nicht fragen, wessen Idee das war.«

Lily merkte, wie sich ihre guten Absichten augenblicklich in Luft auflösten. Sie mochte seinen Ton nicht, und noch weniger mochte sie, was er ihr unterstellte. Denn das war eine Beleidigung, besonders in Anbetracht dessen, dass dieser Vertrag ihre Idee gewesen war, damit Glynnis lernte, mit Geld umzugehen — etwas, das dieser Möchtegerngeneral hier ihr schon längst hätte beibringen sollen. Sie konnte sich gerade noch am Riemen reißen. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie richtig verstanden habe«, sagte sie mühsam beherrscht. »Wie Sie sehen, zahle ich eine faire, marktgerechte Miete und wohne hier keineswegs umsonst.«

Er sah sie nur an, was sie erst recht aufbrachte: »Sie haben den Vertrag gelesen — Sie müssen doch sehen, dass er meine Interessen nicht über die Ihrer Schwester stellt. Und es ist auch nicht so, dass ich den Vertrag aufgesetzt hätte, Glynnis und ich sind damit zu einem vollkommen vertrauenswürdigen Anwalt gegangen.«

»Und der war ... Warten Sie, lassen Sie mich überlegen.« Er ließ seinen Blick langsam über ihren Körper wandern, wobei er sich an gewissen Stellen etwas länger aufhielt. »Zufällig ein guter ›Freund‹ von Ihnen?«

»Ich fass es nicht! Wie kann ein so netter Mensch wie Glynnis einen solchen Widerling zum Bruder haben?« Und wie konnte ich mich auch nur eine Sekunde lang irgendwelchen Fantasien über diesen Kerl hingeben? Lily sah ihn so verächtlich wie nur möglich an, sein Gesicht blieb jedoch völlig ausdruckslos. Sie hatte das Gefühl, jeden Augenblick würden Rauchwölkchen aus ihren Ohren treten wie bei dem HB-Männchen, und riss ihm den Vertrag aus der Hand. »Jetzt reicht’s. Ich geh in mein Zimmer. Und wagen Sie es bloß nicht, mir auch nur einen Schritt zu nahe zu kommen.«

Als sie steifbeinig aus der Küche stakste, hörte sie, wie er seine Tasche vom Boden aufhob. Und auch wenn er sich so lautlos wie eine Katze bewegte, spürte sie doch, dass er ihr folgte, und sie musste an sich halten, um nicht loszukreischen. Sie ballte die Fäuste und beschleunigte ihren Schritt. Sie wollte nur noch alleine sein.

Allerdings war sie nicht schnell genug, um nicht noch zu hören, wie er zischte: »Hätt ich mir denken können. Sie haben sich sogar mein Zimmer unter den Nagel gerissen!«

Ärger stieg gallig in ihr auf. Als sie eingezogen war, hatte sie sich erboten, das kleinere, hintere Zimmer zu nehmen, aber Glynnis wollte nichts davon wissen. Sie hatte darauf bestanden, dass Lily, wenn sie schon Miete bezahlte, für ihr Geld wenigstens ein Zimmer mit Meerblick bekam. Allerdings hatte sie vergessen zu erwähnen, dass das Zimmer, das sie Lily gegeben hatte, das ihres Bruders war.

Lily drehte sich nicht um, als sie die Tür aufstieß, weil sie den Ausdruck auf seinem Gesicht nicht sehen wollte. »In fünf Minuten werde ich mein Zeug hier rausgeschafft haben.«

»Aber nein, lassen Sie’s«, sagte er gespielt freundlich. »Ich will Sie doch nicht vertreiben. Ich nehme mit dem Gästezimmer vorlieb.«

Lily schnappte ungläubig nach Luft. »Damit Sie das der Liste meiner vermeintlichen Verbrechen hinzufügen können? Das würde Ihnen wohl so passen.« Sie marschierte durch das Zimmer, riss ihren großen Koffer vom Schrank und zerrte die Kleider, die im Schrank hingen, von den Bügeln. Sie warf sie in den Koffer, nahm ihre Schuhe vom Boden des Schranks und sammelte die gerahmten Fotos und Parfümfläschchen auf der Kommode ein. Anschließend leerte sie die Schubladen und warf den Inhalt auf das Durcheinander im Koffer. In eine Ecke quetschte sie ihr Schmuckkästchen, sah sich noch einmal um, um sicherzugehen, dass sie nichts vergessen hatte, und ging dann in das angrenzende Bad und suchte ihre Kosmetika und Waschsachen zusammen.

Als sie aus dem Bad kam, sah sie Zach vor dem Koffer stehen und den Inhalt mustern. Ihre Wangen begannen zu glühen. Dass ausgerechnet ihre Spitzenunterwäsche ganz oben zu liegen gekommen war, musste mit Murphys Gesetz zusammenhängen. Sie schubste Zach beiseite und verstaute die Sachen aus dem Badezimmer. Dann hob sie den Koffer mit beiden Händen hoch. Sie hatte genug Zeug für drei Koffer hineingequetscht — zu viel jedenfalls, um ihn jemals zuzubekommen.

»Das müsste alles sein«, sagte sie mit erzwungener Höflichkeit und bemühte sich, den Koffer gerade zu halten, damit nichts aus den diversen Fläschchen auslief, und trug ihn zur Tür. »Jetzt gehört das Zimmer wieder ganz Ihnen.« Wie erwachsen du doch bist, lobte sie eine zarte Stimme in ihrem Kopf. Und höflich. Ja, wirklich — Höflichkeit ist das Allerwichtigste.

Sie verzichtete darauf, sich für ihr reifes Verhalten auf die Schulter zu klopfen. Denn die traurige Wahrheit war, wenn sie nicht beide Hände voll gehabt hätte, wäre sie sehr versucht gewesen, die Zimmertür so heftig hinter sich zuzuschlagen, dass diesem Typen alle schneeweißen Zähne im Mund geklappert hätten.

Zach fielen immer neue Flüche ein, während er durch das im spanischen Stil erbaute Haus lief und die Haustür abschloss. Er konnte vor Wut kaum an sich halten und beschloss, dass das ein weiteres Verbrechen war, dessen er die kleine Miss Lily Morrisette anklagen konnte — dass sie nämlich einfach abgehauen war, ohne sich darum zu kümmern, ob die Haustür abgeschlossen war.

Dann kam ihm die Absurdität dieses Gedankens zu Bewusstsein. Ja, sicher doch. Das war so, als sorge man sich, ob der Fuchs den Hühnerstall auch brav wieder hinter sich zumachte, wenn er ging, oder? Eindringlinge von außen waren wohl kaum das Problem, hatte er den schlimmsten doch bereits im Haus.

Wobei der Vergleich mit dem Fuchs ganz gut passte, denn genau daran erinnerte sie ihn. Schlau, geschickt und verschlagen. Verdammt klug. Und dann ihre Kulleraugen und die weichen Haare und ein Körper wie ...

Er schüttelte entschlossen den Kopf und machte sich auf den Weg zu seinem Zimmer. Heute Abend würde er das Problem nicht mehr lösen können. Er war so verdammt müde, dass er kaum mehr aus den Augen sehen konnte. Besser, er holte sich zuerst eine Mütze voll Schlaf und überlegte dann, wie er Miss Morrisette loswurde.

Nett von Glynnis, ihm was zu tun zu geben, wenn er nach Hause kam. Wo steckte sie überhaupt? Und wann musste er sich endlich nicht mehr um sie kümmern? Schließlich war sie eine erwachsene Frau. Und er war ein liberal denkender Mensch — ja, er glaubte fest daran, dass Frauen ebenso gut für sich selbst sorgen konnten wie Männer. Wenn nicht sogar besser.

Allerdings ... Glynnis war anders. Seine kleine Schwester hatte immer etwas Unbedarftes und Unschuldiges und eine gewisse Ahnungslosigkeit an sich gehabt, die es geradezu unmöglich machte, sich nicht um sie zu sorgen. Sie war neunzehn und er dreißig gewesen, als sie zu ihm nach Camp Lejeune zog, wo er damals stationiert gewesen war. Ihr Großvater war gerade gestorben, ihre Eltern hatte sie nie kennen gelernt, und sie hatte jemanden gebraucht, der sie in ihrer damaligen Verunsicherung unter seine Fittiche nahm. Da. er das einzige noch lebende Familienmitglied war, war ihm diese Aufgabe zugefallen, und er hatte sie gerne übernommen — wann immer es ihm möglich war. Allerdings konnte er nicht ständig für sie da sein, da er oft außer  Landes war. Außerdem war sie ja auch kein Kind mehr. War sie nicht sogar ein Jahr älter, als er gewesen war, als er das Haus in Philadelphia, dieses Mausoleum, verlassen hatte, um zu den Marines zu gehen? Warum sollte er also ein schlechtes Gewissen haben, wenn er nicht dauernd in ihrer Nähe sein konnte? Aber er fragte sich doch, ob sie nicht ein bisschen mehr Vernunft angenommen hätte, wenn er in den letzten sechs Jahren öfter die Gelegenheit gehabt hätte, ihr auf die Finger zu sehen.

Besonders was ihren Umgang mit Geld betraf. Glynnis war in Geldangelegenheiten ein hoffnungsloser Fall. Er konnte sich nicht an einen einzigen Monat in der Zeit ihres Zusammenlebens erinnern, in dem sie mit ihrem Unterhalt aus dem Treuhandvermögen ausgekommen wäre. Vielleicht war aber auch das sein Fehler gewesen, weil er ihr immer ausgeholfen hatte. Er hätte ihr vielleicht nicht immer wieder etwas »borgen« sollen, gerade weil sie in neun von zehn Fällen nichts Besseres zu tun gehabt hatte, als sein Geld einem dieser dahergelaufenen Schnorrer in den Rachen zu werfen. Sie war einfach zu vertrauensselig und schadete sich nur selbst mit ihrer Gutmütigkeit.

Was ihn unwillkürlich zurück zu der recht kurvenreichen Miss Lily brachte. Er schob den Gedanken an sie jedoch eisern beiseite, schälte sich aus seinen Klamotten und tappte mit seinem Waschbeutel in der Hand nackt ins Bad. Fang bloß nicht damit an. Er wusch sich, putzte sich die Zähne und ging dann zurück in sein Zimmer, wild entschlossen, sich den dringend benötigten Schlaf zu holen.

Doch vor lauter Erschöpfung konnte er nicht schlafen. Er hatte einen Monat frei und wollte diese Zeit eigentlich mit seiner Schwester verbringen und damit, sich zu überlegen, wie er seine letzten zwei Jahre in der Armee verbringen wollte. Aber Glynnis war nicht zu Hause, und allein der Gedanke, dass er sich mit seiner Laufbahn auseinander setzen musste, nervte ihn. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, hatte er auch noch eine Erektion von dem Geruch, den dieser Marilyn-Monroe-Verschnitt auf seinem Kissen hinterlassen hatte, der seine Schwester um ihr Vermögen bringen wollte. So hatte er sich seine Heimkehr nicht vorgestellt.

Er warf sich auf den Rücken, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte die Decke an. Na und, was war schon dabei? Dann war er eben ein bisschen geil — kein Problem. Und da er nicht gewillt war, gegen Lilys Tür zu trommeln, um in Erfahrung zu bringen, wo seine Schwester war, konnte er wegen Glynnis heute Nacht nichts mehr ausrichten. Immerhin konnte er an das, was von seiner Militärlaufbahn übrig geblieben war, einige Gedanken verschwenden.

Nichts war mehr so wie zu Beginn. Das fing schon damit an, dass er der Letzte aus der ursprünglichen Truppe war. Seine engsten Freunde Coop Blackstock, dem er am ersten Tag der Rekrutenausbildung begegnet war, und John, »the Rocket«, Miglionni, den er bald darauf kennen gelernt hatte, waren schon seit ein paar Jahren nicht mehr bei der Armee. Coop war mittlerweile mit seinen Agenten-Thrillern zum Bestseller-Autor geworden, und Rocket hatte ein eigenes Büro als Privatdetektiv Und die anderen Kumpel aus ihrer Einheit hatten entweder die Armee verlassen, waren versetzt worden oder gestorben.

Und deshalb war Zach jetzt so etwas wie der alte Herr in einer völlig neu zusammengesetzten Aufklärungseinheit, die aus lauter Achtzehn-, Neunzehn- und Zwanzigjährigen bestand. Verdammt. Er rieb sich die Stirn. Wie hatte das passieren können? In jedem anderen Beruf würde ein Sechsunddreißigjähriger in einer körperlichen Verfassung wie er als Mann in den besten Jahren gelten. Aber die Aufklärungseinsätze waren die Angelegenheit junger Männer, und seine Vorgesetzten hatten schon Andeutungen gemacht, ob er die aktive Arbeit nicht besser den Jüngeren überlassen und sie stattdessen in den Feinheiten des Jobs unterrichten wolle. Unterrichten!

Klar, jüngere Männer konnten tagelang ohne Schlaf auskommen und zeigten keinerlei Ermüdungserscheinungen, während er diese Fähigkeit irgendwann in den letzten Jahren eingebüßt hatte. Und, ja, der letzte Einsatz in Südamerika war verdammt hart gewesen. Aber es hatte schließlich auch eine Temperatur von vierzig Grad geherrscht, und die Luftfeuchtigkeit war nicht ohne gewesen. Selbst die kleinen Hosenscheißer, wie er sie manchmal bei sich nannte, hatten damit zu kämpfen gehabt.

Was sollte es also. Er konnte sehr wohl noch mit ihnen mithalten. Gut, in der letzten Zeit war er vielleicht nicht mehr so gerne im aktiven Einsatz wie früher, aber das ging bestimmt wieder vorbei. Es hatte ihn eben frustriert, wie die letzte Mission verlaufen war.

Er brauchte nur ein wenig Erholung, dann wäre er wieder fit. Er hatte es sich immer vorgestellt, dass er bis zu seinem Ausscheiden aus der Armee bei einer Aufklärungseinheit blieb, und dieser Zeitpunkt wäre gekommen, wenn er die zwanzig Jahre hinter sich hatte und pensionsberechtigt war. Die Frage war nur, wie er sich bis dahin seine Vorgesetzten vom Leib halten sollte.

Aber es hatte wohl wenig Sinn, sich jetzt den Kopf darüber zu zerbrechen. Er drehte sich auf die Seite, boxte das Kissen zurecht und stopfte es sich unter den Kopf. Dabei löste sich wieder eine kleine Duftwolke und kitzelte seine Nase, und sofort stieg Lilys Bild vor seinem inneren Auge auf, doch dieses Mal wurde er es nicht so leicht wieder los.

Sie war ziemlich klein — er wäre überrascht, wenn sie mehr als ein Meter fünfundfünzig messen würde. Aber jeder Zentimeter, jedes Pfund an ihr war Eros pur. Es war nicht nur die Summe aus dem blonden Haarschopf, den blauen Augen und der sanft gebräunten Haut. Es war die Art, wie sie sich bewegte, und dieses ganz und gar Weibliche an ihr. Es waren die Pheromone, die sie verströmte. Und es waren diese Rundungen.

Mann, o Mann. Diese Kurven.

Wie ein Pin-up-Girl: runde Brüste, schmale Taille und volle, üppige Hüften. Sie war ausgestattet wie ein Cadillac — gut gepolstert und mit Klasse, einfach einladend. Man musste sie nur ansehen, und schon kamen einem die wildesten Gedanken.

Die falschen Gedanken allerdings. Zach zog das Kissen unter seinem Kopf hervor und warf es im hohen Bogen in die Ecke. Er drehte sich um und legte den Kopf auf seinen Arm. Aber nun stieg der Geruch, den er mit dem Kissen loszuwerden gehofft hatte, aus dem Laken. Er fluchte. Er hatte lange, anstrengende Tage hinter sich, und er war erledigt — bestimmt lag es daran.

2

Am nächsten Morgen stand Lily nackt vor der Spiegeltür des Kleiderschranks und musterte ihre Figur. Je länger sie schaute, desto mürrischer wurde sie. Wer hatte bloß so große Spiegel erfunden? Sie hätte wetten mögen, dass es ein Mann mit einer sadistischen Ader war.

Okay, damit tat sie vielleicht jemandem Unrecht. Vielleicht war er ja ein ganz netter Kerl — einer, der vollkommen vernarrt war in seine elfenhafte Frau, und er hatte das Ding erfunden, damit sie ihren gertenschlanken, sicherlich knabenhaften Körper nach Herzenslust von Kopf bis Fuß betrachten konnte. Abgesehen davon war es ja auch nicht so, dass das Bild, das Lily entgegenblickte, so schlimm war. Wenn sie allein ihre Maßstäbe anlegte, dann würde sie vermutlich sogar sagen: Nicht toll. Könnte durchaus einige Verbesserungen vertragen. Aber insgesamt gesehen nicht schlecht für eine Fünfunddreißigjährige, die leidenschaftlich gerne isst.

Nur leider war ihr Blick beeinflusst von der Erinnerung an Zach Taylors kalte graue Augen, die über ihren Körper gewandert waren, und zu wissen, dass er sicherlich niemals gegen Orangenhaut kämpfen musste, war auch nicht gerade erhebend. Sie zog ihren Bauch ein, reckte sich, so weit es ging, in die Höhe und drehte sich vor dem Spiegel hin und her. Ihr Spiegelbild gewann dadurch allerdings kaum. Sie war einfach so furchtbar ... rundlich.

Sie stieß die Luft wieder aus und musterte die verschiedenen Teile, die das Ganze ausmachten. Einige konnte man durchaus lassen. Sie mochte ihre Schultern, und auch ihre Arme waren gut geformt. Sie hatte schöne Haut, und ihre Brüste waren okay. Wenn sie ein Wörtchen hätte mitreden dürfen, hätte sie kleinere gewählt, aber so groß, dass die Leute gafften, waren sie glücklicherweise auch nicht. Und sie waren noch immer dort, wo sie sein sollten — das musste man ihnen lassen.

Das waren also die Pluspunkte, der Rest war ein bisschen heikler. Sie hatte eine kurze Taille, und ihre Hüften und ihren Hintern konnte sie nur als Strafe des Schicksals bezeichnen. Sie wollte lieber gar nicht erst darüber nachdenken, mit diesen überflüssigen Zentimetern würde sie sich niemals abfinden. Und da sie nur einen Meter sechzig groß war (nun ja, um genau zu sein, ein Meter achtundfünfzigeinhalb), wuchsen ihre Beine auch nicht gerade in den Himmel. Glücklicherweise hatte sie wenigstens schöne gerade Schultern, sonst hätte sie wie eines dieser Stehauf-Männchen ausgesehen, die, egal, wie oft man sie umwarf, immer wieder in die Höhe schnellten.

Aber Gott sei Dank gab es ja die Segnungen der Kosmetik und all die anderen Dinge, die das Leben einer Frau leichter machten. Was soll’s?, dachte sie, als sie nach einem ihrer Lieblingswäschestücke griff, jeder sieht angezogen besser aus. Sie schlüpfte in den winzigen eisblauen Slip, hüllte ihre Brüste in den passenden Spitzen-BH und rückte die Träger zurecht. Dann zog sie ihre frisch gebügelten Designer-Jeans an und stieg in ein Paar rote Riemchensandalen, die sie zehn Zentimeter größer machten, und streifte einen farblich passenden, ärmellosen Pulli mit V-Ausschnitt über. Als krönenden Abschluss legte sie einen goldenen Kettengürtel um und rückte ihn auf dem seidigen Jersey-Stoff zurecht, bis er locker zwischen Taille und Hüfte saß. Sie trat einen Schritt zurück und nickte zufrieden. Ein Hauch Gold verlieh jedem Outfit das gewisse Etwas, und mit Hilfe des Gürtels konnte sie ihre Kurven betonen und gleichzeitig ihre Figur modisch strecken.

Sie tänzelte ins Bad und schaltete ihre elektrischen Lockenwickler ein. Während sie darauf wartete, dass sie heiß wurden, trug sie flüssiges Make-up auf, puderte ihre T-Zone, pinselte einen Hauch Rouge auf ihre Wangenknochen, und danach schminkte sie ihre Augen sorgfältig mit Farben, die ihr ein natürliches Aussehen verliehen.

Gerade als sie Wimpernzange und Mascara zurück in das Badezimmerschränkchen legte, leuchtete das Lämpchen auf, das anzeigte, dass die Lockenwickler heiß genug waren. Sie wickelte ihre Haare auf, putzte sich die Zähne, legte einen hübschen rosa Lippenstift auf und nahm die Lockenwickler wieder heraus. Einen Augenblick ließ sie die Haare auskühlen, dann bürstete sie sie durch, warf die Bürste in das Schränkchen, beugte sich nach vorne und fuhr sich mit beiden Händen durch die Locken. Wieder aufgerichtet, zupfte sie ihre Frisur hier und da noch ein wenig zurecht und ging zurück ins Zimmer, um sich erneut vor dem Spiegel zu mustern. »Schon viel besser«, murmelte sie. »Auf einem Nacktfoto sieht auch jeder erst nach einer gehörigen Retusche wirklich gut aus, da bin ich mir sicher.«

Trotzdem ging ihr auf dem Weg in die Küche durch den Kopf, dass es nicht schaden könnte, wieder einmal eine kleine Diät einzulegen. Vielleicht sollte sie sich mit einem Stück Obst zum Frühstück begnügen.

Es war ein guter Vorsatz — der sich allerdings sofort in Luft auflöste, als sie die Kühlschranktür öffnete und ihr Blick auf einen Karton mit Eiern fiel. Sie nahm eine Orange heraus, aber gleichzeitig ließ sie zwei Eier mitgehen, einen großen Egerling, eine Frühlingszwiebel und eine Tomatenhälfte und legte alles auf die Arbeitsplatte neben dem Herd. Dann erinnerte sie sich an den verlockend aussehenden geräucherten Gouda im Käsefach, nahm auch den heraus und schnitt eine Ecke ab. Sie träufelte etwas Olivenöl in eine Bratpfanne, stellte sie auf den Herd und zündete das Gas an. Als die blauen Flammen am Rand der Pfanne hochleckten, schlug sie die Eier in eine Schüssel, die sie aus dem Schrank geholt hatte. Sie gab ein wenig Milch und Salz und Pfeffer dazu und rührte die Mischung mit einem Schneebesen schaumig, dann stellte sie sie beiseite, um schnell die anderen Zutaten zu schneiden.

Sie liebte gutes Essen, und zwar alles daran — den Geruch, den Geschmack, die Konsistenz. Diese Leidenschaft für Essbares und alle Arten seiner Zubereitung hatte sie dazu veranlasst, gleich nach der High School eine Kochschule zu besuchen und danach eine Reihe von Praktika und Lehrgängen bei den berühmtesten Köchen Kaliforniens zu absolvieren.

Während sie die Eiermischung in die heiße Pfanne gab und das Gemüse und den klein gewürfelten Käse gleichmäßig darauf verteilte, summte sie vor sich hin. In der Zeit, bis das Omelett so weit gestockt war, dass sie es zusammenklappen konnte, deckte sie den Tisch mit einem hübschen Teller, einer Stoffserviette und silbernem Besteck. Dann machte sie sich noch rasch eine Tasse Tee, schnitt zwei dünne Schnitze der Orange zurecht und dekorierte damit den Teller. An die Spüle gelehnt, aß sie den Rest der Orange.

Wenig später ließ sie das Omelett auf ihren Teller gleiten und setzte sich damit an den Tisch. Einen Moment lang sog sie genießerisch den Duft ein und bewunderte den appetitlichen Anblick des von Orangenschnitzen umrahmten Omeletts auf dem blauen Teller. Dann nahm sie mit ihrer Gabel einen Bissen davon und steckte ihn in den Mund. Sie schloss die Augen. Ah, das war köstlich. Wie sehr liebte sie doch gutes Essen. Noch war der Tag nicht gekommen, an dem sie eine leckere Mahlzeit nicht mehr zu schätzen wusste. Gut, manchmal, wenn sie schlechter Laune war, verging ihr zwar kurz der Appetit, aber zu ihrem Glück — oder auch Unglück, bedachte man, dass alles, was sie sich zwischen die Zähne steckte, ohne Umweg auf ihren Hüften landete — war sie von Natur aus ein hoffnungsfroher Mensch.

Dieses hoffnungsfrohe Naturell bekam einen schweren Dämpfer verpasst, als sie während des Essens ein Kribbeln in ihrem Nacken aufblicken ließ und sie Zach in der Tür herumlungern sah.

Er hatte sich mit einer seiner breiten Schultern lässig gegen den Türrahmen gelehnt und betrachtete sie mit einem äußerst seltsamen Gesichtsausdruck. Aber schon im nächsten Moment war der rätselhafte Ausdruck aus seinem Gesicht verschwunden, und er löste sich vom Türrahmen und schlenderte in die Küche. Er blieb neben dem Tisch stehen und bedachte sie mit einem missmutigen Blick. »Sind Sie immer noch da?«

Lily ließ ihre Gabel sinken. »Ja«, sagte sie, »und damit wir nicht immer wieder dasselbe Gespräch führen müssen, werde ich versuchen, das Ganze in so schlichte Worte zu fassen, dass selbst Sie es verstehen. Ich. Werde. Nicht. Gehen. Und schon gar nicht, weil Sie von der lächerlichen Idee besessen sind, dass ich Glynnis um ihr Erbe bringen will. Ihre Schwester war so freundlich, mir ein Zimmer anzubieten, als ich auf der Straße stand, nachdem meine Wohnung den Besitzer gewechselt hatte, und solange sie mich nicht bittet zu gehen, werde ich hier auch nicht das Feld räumen.« Zumindest nicht bis zur letzten Maiwoche, wenn sie wieder ihre Stelle als Köchin auf einer Firmenjacht antreten würde — allerdings empfand Lily nicht das geringste Bedürfnis, Glynnis’ Bruder davon in Kenntnis zu setzen.

Sie sah ihn an. Warum musste ein solcher Idiot bloß so attraktiv sein? Er hatte, seinem frischen Aussehen nach zu urteilen, gerade geduscht, seine Haare waren noch feucht und seine Wangen glatt und glänzend von der Rasur. Er sah ganz einfach umwerfend aus. Es war doch mal wieder typisch, dass der erste Mann seit langem, der ihre Hormonproduktion wieder ankurbelte, sich als komplette Flasche erwies! Das Leben war einfach ungerecht.

Und wie um diese Feststellung zu bestätigen, fragte er sie mit seinem weichen Bariton: »Hat meine Schwester eigentlich erwähnt, dass das Haus auf meinen Namen läuft und nicht auf ihren?«

Zach sah zu, wie Lily seine Worte verdaute. Einen Moment lang schien sie wie vor den Kopf geschlagen, aber sie fasste sich schnell, das musste man ihr lassen. Sie reckte ihr fein geschnittenes Kinn in die Höhe und warf ihm einen kühlen Blick zu.

»Ich nehme an, Sie wollen damit die Gültigkeit meines Vertrages mit Glynnis in Frage stellen?«

»Kann sein.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und starrte auf sie hinunter. Aber was er da sah, war viel zu hübsch, daher richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Teller, der vor ihr stand und auf dem das appetitlichste Omelett lag, das ihm je unter die Augen gekommen war. Es war dessen verführerischer Geruch gewesen, der ihn überhaupt erst in die Küche gelockt hatte, und jetzt, da er es in seiner goldbraunen Vollkommenheit vor sich liegen sah, lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Sein Magen knurrte.

»Dann werden wir uns wohl vor Gericht wieder sehen«, sagte Lily und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf sie. Mit flammend roten Wangen und blitzenden Augen von einem so strahlenden Blau, dass er vermutete, sie trage farbige Kontaktlinsen, schob sie ihren Stuhl vom Tisch zurück und erhob sich. Sie trug ihren Teller zur Spüle und kratzte die Reste ihres Essens in den Müll. Dann warf sie ihm über die Schulter einen langen, ruhigen Blick zu. »Weil ich nämlich nicht ausziehen werde.«

Einen Moment lang war Zach das vollkommen egal. Er sah das perfekte Omelett im Mülleimer verschwinden und hätte beinahe laut aufgeheult. Nur weil sie es nicht aufessen wollte, hieß das doch nicht, dass man es wegwerfen musste! Er hätte sich seiner schon angenommen. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt eine anständige Mahlzeit bekommen hatte; während der letzten vierundzwanzig Stunden sicher nicht. Hunger, Schlafmangel und die Sorge um seine Schwester hatten an seinen Nerven gezerrt, sodass er sich jetzt drohend vor ihr aufbaute. »Wo ist Glynnis?«, fauchte er, wohl wissend, dass sein Zorn zu nichts führte.

Lily erwiderte nichts, aber etwas in ihren Augen bestätigte Zach, dass sie die Antwort wusste, und entgegen seiner sonstigen Art verlor er für einen Moment die Beherrschung, packte Lily an den Oberarmen und schüttelte sie. Er senkte den Kopf und brüllte sie an: »Wo, zum Teufel, ist sie?«

Zuerst spürte er die Wärme und Weichheit ihrer Haut. Dann sah er, wie ihre kristallblauen Augen sich weiteten, und die Angst, die in ihnen stand, traf ihn bis ins Mark. Fluchend ließ er sie los, trat einen Schritt zurück und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Ich möchte einfach nur wissen, wo meine Schwester ist.« Als er den entschuldigenden Ton in seiner Stimme hörte, knurrte er gleich wieder: »Offensichtlich hat es Ihnen nicht genügt, es sich hier bequem zu machen.«

»Was soll das denn heißen? Meinen Sie vielleicht, dass ich ihr etwas angetan habe? Mein Gott, sie ist verreist!« Lily verschränkte die Arme vor der Brust und rieb ihre Oberarme. »Vielleicht sollten Sie mal etwas wegen Ihrer Paranoia unternehmen und zum Seelenklempner gehen.«

Er schob das Schuldgefühl beiseite, das ihn überkam, als er sah, wie sie über die Arme rieb, als suche sie nach Verletzungen, und drang weiter auf sie ein. »Verreist? Wohin? Und mit wem?«

»In den Norden«, gab sie kühl zurück. »Mit einem Freund.« Mit in die Höhe gerecktem Kinn sah sie ihn aufmüpfig an. Aber sie konnte seinem Blick nicht standhalten.

Das sagte ihm mehr als alle Worte — dieser »Freund« war jemand, der ihm nicht gefallen hätte. »Oh, Scheiße! Sie ist schon wieder mal mit einem Hochstapler unterwegs, oder?«

»Womit Sie wohl andeuten wollen, dass ich auch einer bin. Oder etwa nicht?«

»Tja, Süße, wem der Schuh passt ...« Trotz ihres blonden Wuschelkopfes und dieses süßen Schmollmunds war es ganz sicher nicht ihre übliche Masche, die Unschuld zu spielen. Die kleine Miss Lily versuchte sich vermutlich öfter an der schwanztragenden Bevölkerung.

»O Gott!« Sie schüttelte angewidert den Kopf und bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. »Sie sind wirklich schwer von Begriff.«

»Na, dann geben Sie sich doch mal ein bisschen mehr Mühe. Warum setzen wir zwei uns nicht hin und machen es uns gemütlich. Dann können Sie mir erzählen, wohin genau Glynnis gefahren ist — und wer ihr verdammter Reisebegleiter ist.«

»Ganz wie Sie wünschen«, sagte sie mit kühler Stimme. »Und kann ich sonst noch etwas für Sie tun, wo wir schon mal dabei sind?«

»Zu einem dieser Omeletts würde ich nicht Nein sagen.«

»Selbstverständlich — aber bevor ich mich an die Arbeit mache, noch eines.« Sie streckte ihm ihren Hintern entgegen, klatschte sich auf eine der hübschen runden Backen und bedachte ihn mit einem liebreizenden Lächeln. »Sie können mich mal hier lecken.«

Er musterte das betreffende Körperteil eingehend und hob dann langsam den Blick. »Auch dazu würde ich nicht Nein sagen.«

Sie gab ein wütendes Schnauben von sich, machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte aus dem Raum — diesen Eindruck erweckten zumindest ihre steifen, sanft gebräunten Schultern, als sie die Küche verließ. Richtiges Stolzieren musste auf so hohen Absätzen ganz schön schwer sein.

Er beobachtete das rhythmische Wippen ihrer Hüften, als sie davonstöckelte. Wie kann ein so netter Mensch wie Glynnis einen solchen Widerling zum Bruder haben? Ihre gestrigen Worte kamen ihm wieder in den Sinn, und sein Blick verfinsterte sich. Was war nur an ihr, das jegliche Zurückhaltung, die ihn normalerweise seine Zunge im Zaum halten ließ, zunichte machte? Zwei lausige Minuten in ihrer Gegenwart, und all die Manieren, die ihm über Jahre hinweg eingehämmert worden waren, waren dahin.

So mit Frauen zu sprechen hatte man ihm gewiss nicht beigebracht. Seine Großmutter würde sich im Grabe umdrehen — sie hatte sehr genaue Vorstellungen gehabt, wie ein Gentleman mit Frauen umzugehen hatte, und sie hätte ihm was erzählt, wenn sie mitbekommen hätte, wie wenig Respekt er Lily erwies.

Diese Frau ging einem aber auch ziemlich an die Nerven! Wie sie zum Beispiel gerade genug Parfüm auftrug, um den Wunsch in ihm zu wecken, ihr so nahe zu sein, dass er mehr davon riechen konnte. Oder wie sie es anstellte, dass sie so aussah, als sei sie gerade nach einem wirklich heißen Tête-à-tête aus dem Bett gekrochen. Ganz zu schweigen von der Art, wie sie ging, mit diesem Hüftschwung und den kleinen Trippelschritten. Mann, sie aß sogar verführerisch. Bei dem Anblick, wie sie einen Bissen Omelett in ihren Mund steckte, wäre er beinahe in die Knie gegangen. Er kannte Frauen, die während eines Orgasmus nicht halb so ekstatisch aussahen.

Er schüttelte den Kopf und versuchte, das Bild aus seinem Kopf zu verscheuchen. Er verstand das alles nicht. Was hatte sie nur an sich, das ihn so anzog? Lily war nicht unbedingt die schönste Frau, der er je begegnet war. Wenn man es genau nahm, nicht einmal die mit dem meisten Sex-Appeal. Aber er musste nur im selben Raum wie sie sein, und schon konnte er kaum seinen Blick von ihr abwenden, und das, ohne dass sie irgendwas Besonderes tat.

Und du glaubst wirklich, dass das Zufall ist, Schlaukopf?

Zach fluchte. Verdammt. War der Blick eines Mannes erst mal an einem verwuschelten blonden Haarschopf und den Kurven eines solchen Luders hängen geblieben, dann übernahm todsicher ein anderes Körperteil als sein Hirn das Denken. Aber auch wenn Lily Morrisette die erotischste Frau war, die ihm jemals unter die Augen gekommen war, hatte sie doch eine Art, ihm gegenüberzutreten, keinen Zoll nachzugeben, die fast etwas Männliches hatte. Sie wusste offensichtlich ganz genau, was sie tat.

Er glaubte nicht, dass er irgendwelche voreiligen Schlüsse zog, wenn er ihre Motive anzweifelte. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass Glynnis dem Falschen vertraute. Sie war in ihrem Leben schon an eine ganze Reihe echter Loser geraten, und mehr als ein Kerl hatte geglaubt, er hätte ausgesorgt, wenn er sie rumkriegte. Gut, nicht alle waren auf ihr Geld aus gewesen, daher misstraute er keineswegs von vornherein jedem Menschen, mit dem sie in Kontakt kam. Das musste er seiner Schwester zugestehen, sie hatte es geschafft, ein paar echte Freunde zu gewinnen. Allerdings waren alle ihre Freundinnen, die er bislang kennen gelernt hatte, in demselben Alter wie sie gewesen — junge Frauen Anfang zwanzig, die entweder zu kichern oder unverblümt zu flirten anfingen, wenn er versuchte, so etwas wie ein intelligentes Gespräch mit ihnen zu führen.

Sie hatten jedenfalls nichts mit Lily gemein. Ihnen fehlte zum Beispiel ihre Ausstrahlung, die daher rührte, dass sie das Spiel kannte. Es bedurfte langer Jahre und viel Erfahrung, diese Art von Weltläufigkeit zu erwerben. Auch wenn es nicht unbedingt zu seinen Stärken gehörte, das Alter von jemandem zu schätzen, ginge er jede Wette ein, dass Lily um einiges älter war als seine Schwester — eher Mitte dreißig wie er als Mitte zwanzig wie Glynnis.

Und unter solchen Umständen musste man sich doch fragen: Was wollte eine so selbstsichere Frau wie Lily von einem naiven Mädchen, das neun oder zehn Jahre jünger war, wenn nicht ihr Geld?

Jedenfalls musste er unbedingt der Frage nachgehen, woher sie sich kannten.

Lily lief aufgebracht in ihrem Zimmer auf und ab. Wie hatte sie nur immer davon träumen können, einen älteren Bruder zu haben! Wenn Mr. Ich-habe-das-Kommando-überalles-um-mich-herum als Beispiel gelten konnte, dann konnte sie sich glücklich schätzen, Einzelkind zu sein.

Es kostete sie einige Mühe, nicht vor Wut mit den Zähnen zu knirschen. Nein, also wirklich! Am gestrigen Abend hatte sie seine Unhöflichkeit damit entschuldigt, dass er offensichtlich müde war und deswegen nicht klar denken konnte, aber wie konnte er es wagen, so mir nichts, dir nichts anzunehmen, sie sei nicht integer? Ja, sie war eine vollbusige Blondine mit blauen Augen, die sich gerne schminkte und Schmuck liebte; und nur wenige Männer hatten sich bisher die Mühe gemacht, hinter diese äußere Fassade zu blicken. Aber es bestand doch ein gewaltiger Unterschied zwischen dem Umstand, für ein dummes Blondchen gehalten zu werden, und Zachs ekelhaften Unterstellungen.

Sie ließ sich auf die Bettkante sinken und konzentrierte sich darauf, ihr inneres Gleichgewicht wieder zu finden und die Situation ganz nüchtern und sachlich zu betrachten. Es dauerte eine gewisse Zeit, aber schließlich kehrte ihr Pulsschlag zu einem normalen Rhythmus zurück.

Dann klopfte es an ihrer Tür. Lily zuckte zusammen und gab zu ihrem Verdruss einen Schrei wie eine verschreckte Eule von sich. Sie sprang vom Bett auf und starrte die geschlossene Tür an, die Hände zu Fäusten geballt. Ihr Herz begann wieder zu rasen, und alle guten Vorsätze waren vergessen. »Hauen Sie ab!«

»Machen Sie die Tür auf, Lily Ich möchte mit Ihnen reden.«

»Na, wenn das so ist«, zischte sie. »Ich eile, ich fliege, großer Meister.«

»Ich habe genau gehört, was Sie gesagt haben.« Er besaß auch noch die Unverschämtheit, amüsiert zu klingen. Aber seine gute Laune hielt offensichtlich nicht lange an. Denn jetzt hämmerte er gegen die Tür. »Machen Sie endlich die verdammte Tür auf!«

Mit ein paar wütenden Schritten hatte sie das Zimmer durchquert, riss die Tür auf und starrte verärgert in sein gebräuntes Gesicht. »Sind Sie eigentlich auch imstande, einen einzigen winzigen Satz von sich zu geben, ohne dabei zu fluchen?«

Er blinzelte und sah zu ihrer Überraschung etwas betreten aus. »Tut mir Leid«, brummte er mit seiner tiefen Stimme. »Ich bin schon so lange Soldat, dass ich vergessen habe, dass man sich in der zivilen Welt ein wenig gesitteter verhält. Aber ich will mich bessern.« Dann schien er sich plötzlich daran zu erinnern, dass er ja eigentlich mit seinem Feind sprach. Er trat ins Zimmer und zwang sie, zurückzuweichen. Im nächsten Moment hatte sie sich jedoch wieder gefangen und gab keinen Zentimeter mehr preis. »Aber deswegen bin ich nicht hier«, sagte er. »Ich will wissen, wie Sie meine Schwester kennen gelernt haben.«

Und schon war er wieder da, dieser herrische Befehlston, der verlangte, dass man ihm Rede und Antwort stand, und zwar zack-zack. Lily hätte ihm beinahe geantwortet, er könne sie mal. Dann fiel ihr allerdings ein, dass sie das bereits gesagt hatte, und eine heiße Röte überzog ihr Gesicht, als sie an seine Reaktion dachte. Vermutlich war es besser, ihm ein für alle Mal den Wind aus den Segeln zu nehmen. Daher atmete sie ein Mal tief durch und antwortete wahrheitsgemäß: »Wir haben uns in einem Yoga-Kurs kennen gelernt.«

»Wo?«

»Bei Headlands, drüben am Harbor Drive in Dana Point.«

»Und wer war zuerst in dem Kurs?« Er ließ die Fragen auf sie niederprasseln, als sei er der Vorgesetzte und sie ein kleiner Rekrut. »Sie oder Glynnis?«

»Glynnis«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Er bedachte sie mit einem Blick, als hätte sie soeben seine schlimmsten Vermutungen bestätigt. »Aha.«

»Was soll das heißen, ›aha‹?« Als müsste man Hellseher sein, um zu wissen, worauf er abzielte. Sie straffte die Schultern. »Ich wohnte zu dieser Zeit noch um die Ecke, zwischen San Juan Capistrano und Dana Point. Glynnis ist diejenige, die den längeren Weg auf sich nahm, um den Kurs zu besuchen. Kennt Ihre Paranoia denn gar keine Grenzen?«

»Lassen Sie mich mal sehen, ob ich das alles richtig verstanden habe«, sagte er und blickte auf sie hinunter. »Eine Mittdreißigerin, die offensichtlich über kein Einkommen verfügt, besucht ganz zufällig denselben Yoga-Kurs wie meine reiche vierundzwanzigjährige Schwester — und ehe man sich’s versieht, zieht sie bei ihr ein.« Er zog seine Augenbrauen hoch. »Sie haben Recht, ich muss vollkommen paranoid sein. Ihr beide habt ja sonst so viel gemeinsam, nicht wahr?«

»Ich habe Ihnen gesagt, dass ich Miete zahle! Ihre ›reiche Schwester‹ ist die halbe Zeit über pleite, und deshalb haben wir von diesem Arrangement beide was, bis ich eine neue Wohnung gefunden habe! Abgesehen davon kennen Sie mich überhaupt nicht! Wie kommen Sie auf die Idee, dass ich kein Einkommen habe?«

»Stimmt, das muss sich noch zeigen. Aber heute ist ein ganz normaler Werktag, Schätzchen, und soweit ich sehe, haben Sie sich darauf eingestellt, den ganzen Tag zu Hause herumzulümmeln.« Seine kalten grauen Augen wanderten schnell an ihr auf und ab, bevor er ihr wieder ins Gesicht sah. »Aber wenn Sie tatsächlich Glynnis’ Treuhandvermögen aufstocken, können Sie das doch ganz einfach beweisen, oder? Zeigen Sie mir einfach einen Kontoauszug mit der Mietüberweisung.«

Verdammter Mist, das geht nicht. »Ich habe in letzter Zeit keine Auszüge bei der Bank geholt.«

»Na, das hätte ich mir doch gleich denken können.«

Das erste Mal in ihrem Leben war Lily nahe dran, jemanden zu schlagen. Sie trat einen Schritt auf ihn zu. »Ich habe jetzt endgültig genug von Ihrem Gerede. Ich will, dass Sie augenblicklich aus meinem Zimmer verschwinden.«

Er sah auf sie hinunter und machte keine Anstalten zu gehen, bis sie ihm einen Schubs gegen die Brust gab. Daraufhin bequemte er sich dazu, langsam einen Schritt rückwärts zu machen, blieb dann aber wieder stehen, bis sie ihn erneut schubste. Er trat in den Flur.

Lily starrte zu ihm hinauf. »Sie wollen wissen, was Glynnis und ich gemeinsam haben, Sie Möchtegerngeneral?«

Er zog eine Augenbraue hoch.

»Wir fragen uns beide, wie es kommt, dass manche Männer solche Idioten sind«, sagte sie und zählte die Klagen all ihrer Bekannten auf, die schon eine Weile auf der Suche nach dem richtigen Mann waren. »Entweder wollen sie dich ändern, dich bumsen oder die Kontrolle über dein Leben haben. Na? Erkennen Sie sich in dieser Kurzbeschreibung wieder?« Mit einem lauten Krachen fiel die Tür vor seiner Nase ins Schloss.

Einen Moment lang blieb es auf der anderen Seite still, dann sagte Zach: »Ich will wissen, wo meine Schwester ist.« »Und ich will, dass endlich der Hunger auf der Welt besiegt wird. Es sieht so aus, als würden wir beide enttäuscht werden.«

»Mag ja sein, dass Sie sich damit ein bisschen übernommen haben, aber ich werde meine Antwort kriegen. Sie werden es mir sagen. Wollen wir wetten?«

Darauf kannst du warten, bis du schimmelig wirst,

3

»Warum erzählst du diesem Idioten nicht einfach, womit du dein Geld verdienst, damit du endlich deine Ruhe hast?«

Lily lächelte ihre Freundin Mimi über den Restauranttisch hinweg schief an. »Das wäre sicherlich das Vernünftigste, klar. Aber sobald ich ihn nur sehe, bin ich schon auf hundertachtzig und zu keinem klaren Gedanken mehr imstande.«

»Genau deshalb sollst du ja dem weisen Rat deiner Freundin folgen.« Mimi schob ihre Leopardenfellhandtasche auf die Seite, um auf der ecrufarbenen Leinentischdecke Platz für ihre Ellbogen zu schaffen, und beugte sich mit ernster Miene vor. »Gönn dir doch das Vergnügen, und zeig ihm einen deiner Lohnstreifen, Lil, wenn er die vielen Nullen vor dem Komma sieht, wird er sich wie ein Volltrottel vorkommen, und jedes weitere Wort wird ihm im Hals stecken bleiben.«

»Meinetwegen soll er dran ersticken«, murmelte Lily, und fügte dann, erschrocken über ihre eigene Boshaftigkeit, schnell hinzu: »Das meine ich natürlich nicht wörtlich.« Sie schüttelte verwirrt den Kopf. »Mein Gott. Bevor ich Zach Taylor kennen gelernt habe, dachte ich immer, ich bin ein friedliebender Mensch. Aber er macht mich einfach so ... so verdammt ...«

»An?«

»Wütend!« Inmitten der Geräuschkulisse aus klapperndem Besteck, gedämpften Unterhaltungen und klassischer Musik, die aus verborgenen Lautsprechern rieselte, saß sie steif wie ein Ladestock auf ihrem gepolsterten Stuhl. »Und noch was. Ich schulde ihm keine Erklärungen. Er ist derjenige, der den hirnrissigen Schluss gezogen hat, dass ich hinter Glynnis’ Kohle her bin. Wie komme ich dazu, mir ein Bein auszureißen, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen?«

»Vielleicht weil es dir das Leben leichter machen würde?« Dann schüttelte Mimi den Kopf. »Okay. Ich sehe schon, du hast dir vorgenommen, stur zu bleiben wie ein Esel. Für jemanden, der normalerweise so sanftmütig ist, bist du auf einmal ganz schön bockig.«

»Ich weiß, ich verhalte mich dumm und pubertär, aber so und nicht anders ist es nun mal. Vielleicht wird mir ja ein nettes, entspanntes Mittagessen zu etwas mehr Reife verhelfen.«

»Dann beantworte mir noch eine letzte Frage, und ich lasse dich in Ruhe: Findest du nicht, dass man das Ganze auch mit einer gewissen Ironie betrachten kann? Wenn du eine Sache kannst, dann ist es doch, mit Geld umzugehen.« »Das lernt man, wenn man in Armut aufwächst«, stimmte Lily ihr zu. »Ich war nicht älter als acht, als ich mir geschworen habe, dass ich finanziell abgesichert sein werde, wenn ich erwachsen bin.«

»Und das hast du geschafft«, sagte Mimi. »Du hast jedes einzelne deiner kurzfristigen Ziele erreicht und bist gerade dabei, auch noch die meisten deiner langfristigen Vorhaben in die Tat umzusetzen.«

Lily entspannte sich ein bisschen. Mimi hatte Recht. Die Laufbahn, die sie eingeschlagen hatte, brachte ihr gutes Geld ein, und die Investitionen, die sie in den letzten Jahren getätigt hatte, waren noch einträglicher. Also, zum Teufel mit Zachariah Taylor und seinen haltlosen Anschuldigungen! Sollte er sie sich doch sonst wohin stecken. Solange sie wusste, dass genau das Gegenteil der Fall war, nämlich dass sie seiner Schwester eine gewisse Eigenverantwortlichkeit in finanziellen Dingen beigebracht hatte, konnte es ihr egal sein, was er glaubte. Sie lächelte verzagt. »Du meinst also, ich habe keinen Grund, griesgrämig zu sein?«

»Nein, mein Schatz. Ich weiß, ich habe leicht reden, schließlich bin ich ja nicht diejenige, die beleidigt wurde. Aber vielleicht solltest du es dir wenigstens nicht gar so sehr zu Herzen nehmen. Was willst du wegen der Schwester unternehmen?«

»Glynnis?«

»Ja. Taylor hört sich nach einem Arschloch erster Güte an, aber wenn ich mal ein bisschen Advocatus Diaboli spielen darf: Du hast doch selbst gesagt, dass er wahrscheinlich eine gewisse Erfahrung hat, wenn es darum geht, die Menschenkenntnis seiner Schwester einzuschätzen. Ihre bisherigen Leistungen auf diesem Gebiet scheinen ja nicht unbedingt überzeugend zu sein.«

»Stimmt, da kann ich dir nicht widersprechen.« Trotz aller guten Vorsätze war Lily, wie sie feststellte, nicht bereit, ihm irgendwelche Zugeständnisse zu machen. »Und worauf willst du hinaus, Mimi?«

»Auf nichts Bestimmtes eigentlich.« Sie lachte. »Aber vielleicht geht es ihm nicht nur darum, Kontrolle über sie zu haben, wenn er wissen will, wo sie sich rumtreibt. Was, wenn er wirklich ernsthaft um ihr Wohlergehen besorgt ist? Vielleicht erklärt das, warum er irgendwelche Informationen aus dir herausholen will?«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Glynnis kann manchmal wirklich ziemlich blauäugig sein — das erste Mal, als wir uns länger miteinander unterhalten haben, war sie völlig durcheinander, weil sie gerade entdeckt hatte, dass der äußerst charmante Mann, in den sie bis über beide Ohren verknallt war, nur ein Auge auf ihr Konto geworfen hatte. Aber schließlich ist sie alt genug. Wenn sie gewollt hätte, dass ihr Bruder etwas von ihren Plänen weiß, hätte sie ihm eine Nachricht hinterlassen oder ihn angerufen. Es ist jedenfalls nicht meine Aufgabe, ihn von ihrem Verbleib in Kenntnis zu setzen. Abgesehen davon mag ich David wirklich gerne, und ich bin felsenfest davon überzeugt, dass er ihr gut tut.« Sie nippte an ihrem Wein. »Wenn unser Möchtegerngeneral erfährt, dass David es möglicherweise gewagt hat, sie in den Hafen der Ehe zu locken, dann ... Ich zittere schon bei dem bloßen Gedanken, was dann passiert. Das Geschrei, das er anstimmen wird, ist noch das Wenigste.« Sie sah ihre Freundin über den Tisch hinweg an. »Mann, ich fange an zu bedauern, dass ich das verdammte Apartment nicht gekauft habe, als es angeboten worden war. Dann würde ich mich jetzt wenigstens nicht im Mittelpunkt dieser Schmierenkomödie wiederfinden.«

»Nein, stattdessen hättest du ein dickes Minus auf dem Konto. Und wofür? Deine Traumwohnung war es ja wohl nicht. Sie war in Ordnung, aber sie haben viel zu viel für dieses Stückchen Immobilie mit seinen gerade mal fünfundsechzig Quadratmetern verlangt. Mein Gott, für einen solchen Preis würde ich zumindest einen Blick aufs Meer erwarten, auch wenn man sich dazu aus dem Fenster hängen muss.«

Es freute Lily, dass Mimi sie in ihrer Entscheidung bestätigte. »Du hast Recht. Gut, dass du mich daran erinnerst, dass mein Herz nicht an der Wohnung hing — nicht so sehr jedenfalls, um meine Ersparnisse für die Anzahlung und die Notarkosten zu opfern.«

Die Sonne warf goldene Strahlen durch das Fenster. Lily sah hinaus auf die Palmen, deren grüne Blätter sich in der sanften Brise bewegten. Einen Moment lang gab sie sich ihrem Traum hin, sich eines Tages irgendwo niederzulassen und ihr eigenes Restaurant zu eröffnen, bevor sie sich wieder dem dringlicheren Problem zuwandte. »Eines ist klar«, sagte sie, »ich werde mich sofort auf die Suche nach einer neuen Wohnung machen müssen. Ich hatte gehofft, mir damit Zeit lassen zu können, bis ich von meinem nächsten Job auf der Argosy zurückkomme, aber das Schicksal hat es wohl anders gewollt. Die Vorstellung, mich von diesem Typen vertreiben zu lassen, gefällt mir zwar nicht, aber ich habe nicht die geringste Lust, mit ihm zusammenzuwohnen.«

»Überleg es dir noch mal.« Mimi strich eine lange Strähne ihres kunstvoll gefärbten, honigblonden Haars zurück, die ihr über die Schulter gefallen war. »Schätzchen, ich rate dir, sag dem Mann die Wahrheit. Vielleicht kriegt er wegen seiner ekelhaften Unterstellungen ein so schlechtes Gewissen, dass er dich dort umsonst wohnen lässt.« Sie grinste breit. »Und dann rückt der Termin der feierlichen Eröffnung deines Restaurants gleich viel, viel näher.«

Lily lachte kurz auf. »Ich bezweifle, dass Zach Taylor in seinem Leben schon mal irgendetwas peinlich gewesen ist. Abgesehen davon ist unser Verhältnis an einem Punkt angelangt, von dem aus kein Weg zurück zu einem zivilisierten Umgang führt.« Der flüchtige Gedanke an seine Lippen mit der feinen weißen Narbe erinnerte sie daran, dass sie noch ein paar rote Blutkörperchen besaß, die ihr gehörig einheizen konnten, und sie rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl herum. »Nein«, sagte sie mit großer Entschiedenheit, um das Bild zu vertreiben. »Mein Traum muss wohl noch einen oder zwei Monate warten.«

»Wenn du meinst«, sagte Mimi. »Aber ich glaube, du machst einen Fehler.«

Lily bedachte sie mit einem schiefen Lächeln. »Das wäre nicht der erste.« Dann nahm sie die Speisekarte. »So. Weißt du schon, was du als Nachspeise nimmst? Ich habe bereits von verschiedenen Seiten gehört, dass das Tiramisu hier fantastisch ist. Das muss ich unbedingt probieren.«

Zach öffnete auf ein herrisches Klopfen hin die Tür und war im ersten Moment erstaunt, als er sah, wer davor stand. Von allen Leuten, die er auf seiner Schwelle vermutet hätte, wäre John Miglionni so ungefähr der Letzte gewesen.

Aber da stand er, sein ehemaliger Kamerad bei den Marines, gegen den weiß verputzten Türbogen gelehnt, die Hände in den Taschen seiner Hose vergraben. Er verzog sein braun gebranntes Gesicht zu einem breiten Grinsen und entblößte dabei zwei Reihen blendend weißer Zähne. »Hallo, Midnight«, sagte er lässig. »Lange nicht gesehen.«

»Rocket!« Die Freude über das Wiedersehen riss Zach aus seiner Erstarrung. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, er trat einen Schritt vor, und die beiden Männern klopften sich zur Begrüßung auf die Schultern. Als Zach wieder zurücktrat, entdeckte er den glatten schwarzen Pferdeschwanz in Johns Nacken, und er zog leicht daran. »Was haben wir denn da? Ich mag ja nicht mehr der Jüngste sein, aber zumindest sehe ich wie ein guter Amerikaner aus. Wann hast du dir denn dieses süße Schwänzchen wachsen lassen?«

»Leck mich, Taylor.«

»Besser nicht. Ein paar von uns machen das noch immer lieber beim weiblichen Geschlecht.«

Sie grinsten einander an, zufrieden, mal wieder einige Derbheiten losgeworden zu sein, und das erste Mal, seit er nach Hause gekommen war, fühlte sich Zach wieder eins mit sich selbst. Er machte eine auffordernde Handbewegung. »Beweg deinen Hintern ins Haus«, befahl er. »Gott, wie lange ist es her? Zwei Jahre? Was führt dich in diese Gegend?«

»Mein letzter Fall.« John folgte Zach in die Küche, wo dieser zwei Bier aus dem Kühlschrank holte. »Nachdem ich ihn unter Dach und Fach gebracht hatte, dachte ich mir, dass es eine Schande wäre, wenn ich nicht bei dir vorbeischaue, da ich schon mal in L. A. bin.«