Gefährliche Liebe - Susan Andersen - E-Book
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Gefährliche Liebe E-Book

Susan Andersen

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Beschreibung

Ein gefährliches Katz- und Maus-Spiel vor verführerischer Kulisse! Der Ermittler Tristan MacLaughlin trennt Job und Privates wie kein anderer – bis er zu einem ganz besonderen Fall hinzugezogen wird: In Reno werden immer wieder Showtänzerinnen ermordet. Auch die schöne, geheimnisvolle Amanda gerät ins Visier des Killers. Und während MacLaughlin alles tut, um sie zu schützen, kommen sich der Cop und die kühle Blondine immer näher, bis die Funken fliegen… »Susan Andersen schreibt wahnsinnig gute Thriller - voll gefährlicher Liebe und abgründiger Spannung!« (Romantic Times Magazine)

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Seitenzahl: 526

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Susan Andersen

Gefährliche Liebe

Roman

Ins Deutsche übertragen von Ingrid Klein

Edel eBooks

Edel eBooks Ein Verlag der Edel Germany GmbH

Copyright dieser Ausgabe © 2014 by Edel Germany GmbH Neumühlen 17, 22763 Hamburg

Copyright © 1989, 2002 by Susan Andersen

Published by Arrangement with Susan Andersen

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel "Shadow Dance"
Ins Deutsche übertragen von Ingrid Klein

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München

Konvertierung: Jouve

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

eISBN 978-3-95530-459-1

www.edel.comwww.facebook.com/edel.ebooks

Inhaltsverzeichnis

TiteleiImpressumProlog123456789101112131415161718192021

Prolog

Das wohlige Gefühl, mit dem Amanda Rose Charles Dienstagmorgen aufwachte, hielt ungefähr fünfundvierzig Sekunden an. Dann erinnerte sie sich an das gestrige Gespräch mit Charlie kurz vor der Mitternachtsshow, und ein bleiernes Gewicht legte sich ihr auf die Brust, schnürte ihr die Luft ab. Gähnend stützte sie sich auf einen Ellbogen, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und griff nach dem Telefon auf dem Nachttisch. Sie stellte es neben ihrem Bauch auf das Bett, zögerte aber einen Moment und betrachtete es unschlüssig. Schließlich nahm sie den Hörer ab und tippte die vertraute Nummer ein.

Das Telefon klingelte zehnmal, bevor sie aufgab und auflegte. Verdammt.

Wo war Maryanne? Der Gedanke, die Polizei anzurufen, gefiel ihr ganz und gar nicht – Maryanne würde fuchsteufelswild werden, wenn sich herausstellte, dass es nicht nötig gewesen wäre. Aber sie und Rhonda hatten sich gestern Nacht auf dem Nachhauseweg darauf geeinigt, die Polizei heute anzurufen, wenn Maryanne nicht nach Hause käme. Sie hatten sie jetzt drei Tage lang nicht gesehen. Nicht dass sie zum ersten Mal, ohne jemandem ein Wort zu sagen, einfach verschwunden war. Sie tat das immer mal wieder, obgleich sie drei sich darauf verständigt hatten, in jedem Fall zu hinterlassen, wo man erreichbar und wann voraussichtlich wieder zurück war, wenn man für eine Weile wegfuhr. Sie machten sich schreckliche Sorgen, und es war so rücksichtslos von ihr... was aber absolut typisch für Maryanne war.

Sich jedoch nicht krankzumelden, war reiner beruflicher Selbstmord. Und das sah Maryanne absolut nicht ähnlich. Amanda hoffte nur, dass der Kerl es auch wert war.

Womit sie eigentlich nicht rechnete. Das waren sie nämlich selten.

Diese Fixiertheit auf Männer, die alle außer ihr umzutreiben schien, war ihr ein Rätsel. Manchmal kam sie sich wie die einzige Erwachsene in einem Raum voller Pubertierender vor, wenn die Unterhaltung sich wie üblich um Männer und Sex drehte. Aber das war das geringste ihrer Probleme heute Morgen. Also schlug Amanda entschlossen die Bettdecke zurück und stieg aus dem Bett. Sie unterdrückte ein Gähnen, ging hinüber zu ihrem Schrank und zog ein altes Trikot aus der Schublade. Zuerst würde sie ihr morgendliches Training durchziehen und dann noch einmal versuchen, Maryanne zu erreichen.

Obwohl sie entschlossen war, das Thema nicht weiter zu verfolgen, kreisten ihre Gedanken während der Stretchübungen ständig darum. Sie dachte darüber nach, wie viel leichter es ihr meistens fiel, sich mit Frauen, statt mit Männern zu befreunden. Vielleicht lag es daran, dass sie mit drei Schwestern aufgewachsen war. Es war nicht so, dass sie Männer nicht mochte. Als Tanzpartner waren sie unschlagbar, und einige waren auch durchaus gute Freunde. Aber sie waren definitiv total anders. Sie nahm an, dass es an ihr lag, ihre grundlegend unterschiedliche Natur nicht zu verstehen, so dass sie Männern lieber aus dem Weg ging. Es geschah automatisch – sie war unbewusst ständig auf der Hut.

Nicht dass ihre Motive, ob bewusst oder unbewusst, auch nur den geringsten Einfluss auf den Klatsch innerhalb der Tanzszene gehabt hätten, dachte sie ironisch, während sie sich auf dem Bauch liegend bog, bis die Zehenspitzen den Kopf berührten. Die Gründe waren absolut irrelevant. Man wusste halt, was man sah, und genau das wurde verbreitet. Vom ersten Moment an, in dem sie sich der Tanzszene angeschlossen hatte, ging ihr ein bestimmter Ruf voraus.

Natürlich war es sozusagen unmöglich, sich keinen Ruf zu erwerben in diesem Geschäft. Mitglied einer Tanztruppe zu sein, hatte ihrer Meinung nach sehr viel Ähnlichkeit mit dem Aufwachsen in einer Kleinstadt. Jeder wusste alles über einen, und was man nicht genau wusste, wurde erfunden. Unterschiedslos wurde man abgestempelt, und war das erst mal passiert, bedurfte es quasi höherer Gewalt, sich davon zu befreien. Ihr schien der Stempel »Eisjungfrau« aufgedrückt worden zu sein. Oder auch »frigides Miststück«, je nachdem, mit wem man sich unterhielt und wie derjenige, dem sie einen Korb gegeben hatte, damit klarkam.

Sie zog es allerdings vor, sich für wählerisch zu halten.

Als sie mit achtzehn Jahren nach New York gekommen war, war sie das erste Mal allein auf sich gestellt gewesen und belastet mit schmerzhaften seelischen Narben, die nur oberflächlich verheilt waren. Teddy gab es nicht mehr; ihr Privatleben war eine einzige Katastrophe; und um sie herum, in ihrer freizügigen neuen Umgebung, priesen Freundinnen, Wohngenossinnen, Kolleginnen und überhaupt jeder in der Tanzwelt die sexuelle Freiheit. Sie hatte sich fest vorgenommen, ihnen nachzueifern, ein ebenso wildes, ungezügeltes Leben zu führen und Dinge zu tun, bei denen ihre Eltern sie enterbt hätten – hätten sie es je erfahren.

All die Dinge, die ihre Schwester Teddy getan hätte.

Also tat sie ihr Bestes, ihre erschreckend überholten Ansichten abzulegen, aber es hatte irgendwie nicht geklappt. Sie hatte zwar ihre Jungfräulichkeit verloren, was allerdings keine umwerfende Erfahrung gewesen war. Danach fragte sie sich erst recht, was die ganze Aufregung sollte, und entschied, dass wahlloser Sex nicht ihr Ding war.

Amanda zuckte im Stillen die Achseln, während sie sich langsam wieder streckte und die Sitzposition einnahm. Sie spreizte die Beine, bis sie eine senkrechte Linie zu ihrem Rumpf bildeten, und, gestützt auf die Unterarme, beugte sie den Oberkörper, bis er den Fußboden berührte. Als sie damals zurückgekehrt war zu ihren altmodischen Verhaltensweisen, galt sie schnell als distanziert Männern gegenüber. Und so war ihr Ruf entstanden.

Während sie das Tempo ihrer Übungen steigerte und von Dehnübungen zu Kraftübungen überging, sagte sie sich, dass sie damit leben konnte. Manchmal bedauerte sie ihren Ruf, aber zumindest war es unwahrscheinlich, dass sie auf Abwege geriet und ihre gesamte Karriere gefährdete wie Maryanne.

Sie bezweifelte, dass es irgendeinen Mann gab, der dieses Opfer wert war.

Kurze Zeit später hatte sie ihr Training beendet und ging ins Badezimmer, wo sie die Badewanne einen Moment begehrlich beäugte. Aber sie beschloss, aus Zeitgründen doch nur eine Dusche zu nehmen. Während sie darauf wartete, dass das Wasser warm lief, beugte sie sich vor zum Spiegel und verzog den Mund bei der Ansicht, die sich ihr bot. Wie reizend – sie hatte bestimmt ein Dutzend Druckfalten in der Wange durch das Kopfkissen. Sie wandte den Blick ab und griff zur Zahnbürste. Wie so oft wünschte sie sich, dass jemand etwas für Menschen wie sie erfände – etwas, was man nur ein paar Minuten in die Steckdose steckte, und schon wäre man putzmunter. Sie war morgens schlicht zu nichts zu gebrauchen.

Unter der heißen Dusche legte sie den Kopf in den Nacken und prustete schläfrig das Wasser weg, das ihr in den Mund floss. Sie überlegte träge, ob ihr Leben wohl anders verlaufen wäre, wenn sie besser zu dem grellen Zigeunermilieu, in dem sie sich bewegte, passen würde. Bei dem Gedanken musste sie lächeln. Weil er einer gewissen Ironie nicht entbehrte.

Auf sich selbst gestellt nach New York zu fahren, um eine Tanzkarriere zu beginnen, galt für ihre Eltern als absolut unschicklich. Aber innerhalb dieses als indiskutabel erachteten Zigeunermilieus galt sie ebenfalls als Skurrilität. Sie hatte überhaupt nichts Bohemienartiges an sich, und war, außer wenn sie tanzte, ziemlich konservativ. Außerdem war sie ein eher ruhiger Typ. Sie war freundlich, aber sie feierte nicht besonders gern, und da sie noch nie schnell Freundschaften geschlossen hatte, hatte sie auch jetzt nicht gerade haufenweise Freunde. Sogar ihr Geschmack unterschied sich radikal von dem der meisten ihrer Tanzkollegen. Sie persönlich mochte ihren Modegeschmack und kleidete sich sehr individuell. Aber sie gab zu, dass er deutlich mehr in Richtung Ann Taylor als Madonna ging.

Na gut, sie war nun einmal ein Produkt ihrer Erziehung, und wenn sie es mit achtzehn nicht hatte ändern können, als sie wütend, verletzt und wild entschlossen war, ihr früheres Leben abzustreifen, wie gut standen dann ihre Chancen, es mit achtundzwanzig zu schaffen? Sie drehte das Wasser ab, griff nach einem Handtuch und trat aus der Duschkabine.

Sie rieb sich mit Körperlotion ein, und kurz darauf, nur bekleidet mit Unterwäsche und noch tropfnassem Haar, tapste sie ins Schlafzimmer. Mit einem Handtuch über den Schultern setzte sich vor ihren Frisiertisch, nahm einen langstieligen Pinsel aus Zobelhaaren zur Hand und begann, dezentes Make-up aufzulegen. Als ihre Augen fertig geschminkt waren, machte sich ihr leerer Magen bemerkbar. Schnell entwirrte sie ihre feuchten Locken und zog sich an.

Es war einer ihrer seltenen freien Tage. Dass Rhonda ebenfalls heute frei hatte, kam nur alle Jubeljahre vor. Sie hatten geplant, ins nächstgelegene Einkaufszentrum zu fahren und nicht nur ihre Vorräte aufzufüllen, sondern auch all die kleinen Besorgungen zu erledigen, zu denen sie in den vergangenen Wochen keine Zeit gehabt hatten. Es war beinahe zwölf Uhr; sie war früher aufgewacht als sonst. In einer Casinoshow aufzutreten hieß, dass man einen total anderen Zeitablauf hatte als der Rest der Welt. Tänzer einer Zigeunerrevue standen üblicherweise erst auf, wenn der Arbeitstag jedes normalen Menschen schon halb vorüber war.

In der Küche setzte sie den Kessel auf, um Kaffee zu kochen. Mit einer Hand stellte sie den kleinen Fernseher auf dem Küchentresen für die Mittagsnachrichten an, mit der anderen griff sie zur Kaffeemühle. Der Fernseher war leise gestellt, so dass ihr der Anfang entging über dem Lärm, den die elektrische Kaffeemühle machte. Ohne hinzusehen, stellte sie den Fernseher lauter.

»... Frau, von der die Polizei annimmt, das neueste Opfer des Showgirl-Schlächters zu sein. Sie ist ein Meter siebzig groß, wiegt einhundertdreiundzwanzig Pfund, hat dunkelblondes Haar, haselnussbraune Augen und eine kleine, dünne Narbe, die durch ihre linke Augenbraue verläuft. Jeder, der etwas über ihre Identität weiß, wird dringend gebeten, Kontakt aufzunehmen zu Detective Joe Cash vom Morddezernat der Polizeidienststelle Reno. Wir wiederholen die Nummer ... «

In Zeitlupe hob Amanda den Blick und konzentrierte sich auf den Bildschirm. Sie senkte den Kessel und hörte auf, Wasser auf den Kaffeefilter zu gießen. O Gott. Das konnte nicht sein.

Oder doch? Lieber Gott, nein. Bitte.

Amanda beendete die Kaffeekocherei, stellte automatisch den Kessel wieder auf den Herd und schaltete die Herdplatte darunter ab. Sie schenkte sich eine Tasse ein und stellte die gläserne Kaffeekanne auf die hintere, niedrig gestellte Warmhalteplatte. Dann nahm sie ihre Kaffeetasse und trug sie ins Wohnzimmer, wobei es sie nicht erstaunte, dass sie stark auf der Untertasse klapperte. Sehr vorsichtig stellte sie sie auf dem niedrigen Tisch ab, setzte sich auf die Couch und starrte sie einen Moment lang nur an.

Langsam streckte sie die Hand aus, griff zum Telefon, das auf einem kleinen Ecktisch mit marmorner Tischplatte stand, nahm den Hörer und wählte zögernd die Nummern, die sich ihr ins Gedächtnis gebrannt hatten. Sie umklammerte den Hörer mit schweißnassen Händen und saß kerzengerade, während sie hörte, wie das Telefon am anderen Ende der Leitung klingelte. Dann wurde abgenommen, und plötzlich sank sie in die weiche Chenille-Polsterung. Vor ihr drehte sich alles, als sie den Hörer ans Ohr presste.

»Polizeidienststelle Reno«, sagte die höfliche, professionelle Stimme.

1

Der Flug ließ sich mit keinem vergleichen, den Tristan MacLaughlin je hinter sich gebracht hatte. Nicht, dass er sich als Weltreisenden betrachtete, absolut nicht. Aber wenn er flog, handelte es sich gewöhnlich um einen Kurzstreckenflieger, der rappelvoll war mit Geschäftsleuten. Und regelmäßige Pendler schliefen normalerweise oder arbeiteten an ihren Computern. Sie waren alles in allem von einem total anderen Schlag als die ausgelassen Feiernden, die ihn derzeit umgaben.

In öffentlichen Verkehrsmitteln hörte man gewöhnlich nicht, wie Karten gemischt wurden oder Würfel klapperten. Als das Flugzeug beim Anflug auf den Reno Airport in eine kurze Turbulenz geriet und für einen Moment so plötzlich absackte, dass der Magen in die Kniekehlen rutschte, fand Tristan es nicht gerade komisch, dass mehr als die Hälfte der Passagiere vor Begeisterung kreischte, als würden sie eine Achterbahnfahrt in einem Vergnügungspark machen. Genau genommen fand er es grauenhaft. Es unterstrich nur den frivolen Charakter der Stadt, in die er versetzt worden war.

Er biss die Zähne zusammen, während er aus dem kleinen Fenster auf die staubige, graubraune Landschaft unter sich starrte. Warum er? Mindestens drei Detectives hatten sich förmlich um diese Versetzung gerissen – sahen es tatsächlich als einmalige Gelegenheit an, eine Spezialeinheit zu leiten bei einem Fall, in den Showgirls und eine Stadt, die nur dem Vergnügen diente, involviert waren. Tristan war nicht die Bohne interessiert und ziemlich verblüfft gewesen, als Captain Weller ihn in sein Büro rief, um seine vorübergehende Versetzung nach Reno mit ihm zu besprechen. Er konnte Weller schlecht widersprechen, dass seine Erfahrung mit der Spezialeinheit, die in Seattle wegen der Green River Serienmorde ins Leben gerufen worden war, genau dem entsprach, was Reno suchte. Aber auf keinen Fall stimmte er mit Weller darin überein, dass es ein günstiger Zeitpunkt für ihn war, nicht in Seattle zu sein, sollte Palmer, ein Mann, den er hinter Gitter gebracht hatte, seine Drohung wahrmachen und versuchen, ihn umzubringen. Palmer war gerade aus dem Gefängnis in Denver geflohen, und Tristan war überzeugt, dass er derzeit wichtigere Dinge im Kopf hatte, als die angekündigte Rache auszuüben. Er hatte genug damit zu tun, sich nicht wieder schnappen zu lassen. Tristan hatte Weller diese spezielle Theorie nicht abgekauft, als er sie erstmals als zusätzlichen Grund dafür, den Reno-Fall zu übernehmen, ins Spiel brachte. Und er kaufte sie ihm nach wie vor nicht ab.

Aber wenn es um Dienststellenhierarchie ging, musste er das auch nicht, dachte Tristan mürrisch, während er darauf wartete, dass sich der größte Teil der Passagiere an ihm vorbeidrängelte, bevor er auf den Mittelgang trat, um das Flugzeug zu verlassen. Ein Captain hatte nun mal einen höheren Rang als ein Lieutenant, und es war klar, dass Weller fest entschlossen war, Tristan nach Reno zu schicken. In den Augen seines Captains war Tristan nun mal der beste Mann für diesen Job. Ende der Durchsage.

Sobald er in der Halle war, ging Tristan direkt zur Gepäckausgabe, um seine Koffer abzuholen. Aber das Verhalten einiger seiner Mitpassagiere verblüffte ihn derartig, dass er seine Schritte verlangsamte. Sie hatten nicht mal gewartet, bis sie aus dem verdammten Flughafen waren, bevor sie anfingen zu spielen.

Er schüttelte den Kopf, als er die gesprächige kleine weißhaarige Dame im roten Hosenanzug aus Polyester sah, die neben ihm gesessen hatte. Sie ließ sich auf einen gepolsterten Hocker vor einer Reihe Spielautomaten plumpsen. Nun war sie absolut nicht gesprächig, sondern fütterte die Automaten eifrig mit Vierteldollars und betätigte mit erstaunlicher Schnelligkeit den Hebel, beobachtete wie gebannt die sich drehenden Kirschen, Orangen, Riegel und Siebenen, die vorbeiratterten und schließlich nacheinander auf einer roten Linie stehen blieben. Ihre Pupillen waren ständig in Bewegung, huschten hin und her, behielten außer ihrem auch die Automaten links und rechts daneben im Auge. Als sie sein Anstarren spürte, warf sie ihm über die Schulter einen misstrauischen Blick zu.

Es war, als hätte ihre frühere freundliche Unterhaltung im Flugzeug nicht stattgefunden. Nach ihrer jetzigen Miene zu urteilen, schien sie zu erwarten, dass er sich jeden Moment auf ihren Spielautomaten stürzte. Er persönlich konnte Spielautomaten absolut nichts abgewinnen, verstand die Attraktion nicht, so dass er nur die Achseln zuckte und sich abwandte. Er nahm seine Brille ab, zog ein schneeweißes Taschentuch aus der Tasche und putzte die Gläser.

»Lieutenant MacLaughlin?«

Tristan setzte die Brille wieder auf und blinzelte auf den Mann vor ihm hinunter. »Aye«, bestätigte er. »Woher wussten Sie das, Kumpel?«

»Ich bin Detective«, sagte der Mann grinsend. Als sein Lächeln unerwidert blieb, ergänzte er hastig: »Genau genommen hat Ihr Captain mir gesagt, dass ich nach einem sehr großen Mann mit rotblondem Haar und Hornbrille Ausschau halten soll. Mein Name ist Cash«, fügte er hinzu und reichte Tristan die Hand. »Joe Cash.«

Was Weller tatsächlich gesagt hatte, war: »Er ist ein großer, mürrischer Mistkerl von Schotte mit hellrotbraunen Haaren und Hornbrille. Sie können ihn nicht verfehlen. Halten Sie Ausschau nach Schultern wie bei einem Linebacker und einem Gesicht, das sie nicht direkt an eine Freudenfeier erinnert.«

Was der Detective getan hatte, und er hatte MacLaughlin umgehend erspäht. Aber da er mit diesem Mann zusammenarbeiten musste, hielt Cash es für klüger, ihn nicht durch die wortwörtliche Wiederholung der Beschreibung vor den Kopf zu stoßen. Außerdem musste er zugeben, dass er einigermaßen neugierig war auf den Kerl. Er hatte sich gewundert, warum Weller den Mann als Schotten bezeichnet hatte, da die amerikanische Staatsbürgerschaft unabdingbare Voraussetzung für jeden Polizeibeamten der Vereinigten Staaten war. Aber als er den Captain gefragt hatte, hatte Weller nur gelacht und gesagt: »Sicher, MacLaughlin ist amerikanischer Staatsbürger. Aber warten Sie, bis Sie ihn reden hören.« Dann hatte er hinzugefügt, dass MacLaughlin ein verdammt brillanter Detective war – ein Mann, dessen Mangel an Charme allemal ersetzt wurde durch seine Hilfe beim Aufbau und der Organisation der Spezialeinheit, die Reno so dringend brauchte. Cash hatte versucht, den Tonfall des Captains zu analysieren, als er von MacLaughlin sprach, aber mehr als so etwas wie irritierte, widerwillige Zuneigung und definitiven beruflichen Respekt konnte er dem nicht entnehmen.

Tristan schätzte den Mann, der vor ihm stand, ebenfalls rasch ein, während sie sich die Hände schüttelten. Cash war ungefähr ein Meter achtzig groß, hoch aufgeschossen und schlank mit einem gut rasierten Kopf, der total kahl war. Er trug einen buschigen braunen Schnurrbart, hatte wache, intelligente braune Augen und große weiße Zähne, wie sein freundliches Lächeln zeigte. Er ist in Ordnung, dachte Tristan und nickte abrupt, traf seine Entscheidung wie üblich – spontan:

»Sir, wir haben verschiedene Wahlmöglichkeiten«, sagte Joe Cash etwas später, als sie Tristans Gepäck, das aus zwei Koffern und einer riesigen sperrigen Kiste bestand, im Kofferraum eines unauffälligen Wagens verstauten. Tristan, der eine Gruppe beobachtete, die auf der anderen Seite des Parkplatzes in eine goldbraune Harrahs-Kutsche stieg, sah Cash fragend an.

»Wir können entweder direkt zur Wache fahren«, sagte Joe, als sie in den Wagen stiegen, »oder wir können in Ihr Hotel einchecken und Ihr Gepäck abstellen. Oder«, er zögerte kurz und sah Tristan aus dem Augenwinkel an, als er den Zündschlüssel umdrehte, »wir können ins Leichenschauhaus fahren. Dort werden zwei Tänzerinnen vom Cabaret erwartet, die glauben, das letzte Opfer identifizieren zu können. Sie kommen gegen fünf Uhr; zwei Streifenpolizisten bringen sie hin. Ich hatte vor, telefonisch jemand anderen dorthin zu bestellen, aber wenn Sie wollen...« Er zuckte die Achseln, überließ MacLaughlin die Entscheidung.

Tristan zögerte nicht. »Zum Leichenschauhaus«, sagte er knapp. »Sie können mich unterwegs ins Bild setzen.«

»Sie sind da.« Rhonda trat zurück vom Fenster und ließ die Gardine fallen. Sie schaute hinüber zu Amanda und sah, wie ihre Freundin sich anmutig erhob und ihr Jackett und ihre Handtasche aufnahm. »Bist du fertig?«

»Nein. Ja. Ich weiß nicht.« Amanda holte tief Luft, zuckte die Achseln. Das schwache Lächeln erstarb ihr auf den Lippen, als es plötzlich an der Tür klopfte. »O Gott, Rhonda. Ich wünschte, wir müssten das nicht tun.«

»Wem sagst du das.« Rhonda überprüfte ihren Lippenstift in einem kleinen Taschenspiegel, dann ließ sie ihn wieder in ihre Handtasche fallen. Sie sah hoch und begegnete Amandas Blick. »Aber vielleicht ist es nicht Maryanne. Hoffen wir’s. Mann, sie kommt bestimmt bald nach Hause, und dann wird sie uns bei lebendigem Leib die Haut abziehen, dass wir solchen Wirbel für nichts und wieder nichts gemacht haben.« Sie straffte die Schultern und trat hinter Amanda, als diese zur Türklinke griff.

»Miss Charles?« Der uniformierte Polizist, der vor der Türschwelle stand, war jung, hatte noch ein unverbrauchtes Gesicht und trug seine Mütze keck schräg. Amanda musterte ihn kurz, konzentrierte sich aber auf den bulligen älteren Beamten, der hinter ihm stand. Er hatte ein wettergegerbtes Gesicht, seine Uniform war ein bisschen zerknittert, und er sah aus, als hätte er schon einiges hinter sich im Leben. Trotzdem vermittelte sein Blick, dass er Mitgefühl hatte mit den beiden Frauen wegen der unangenehmen Aufgabe, die vor ihnen lag.

»Ja, ich bin Amanda Charles«, sagte sie. Sie trat ein wenig beiseite, so dass sie die Frau hinter ihr sehen konnten. »Das ist Rhonda Smith.«

» Wir sind hier im Auftrag der Stadt Reno, um...«, begann der junge Polizist ganz offiziell, aber der ältere Mann unterbrach ihn, ergriff sanft Amandas Arm und führte sie die Stufen hinunter. Er roch stark nach Tabak.

»Sie wissen, weswegen wir hier sind, Sohn«, sagte er mit verrauchter Stimme, als er sie losließ und stattdessen Rhondas Arm nahm. »Hier entlang, Miss«, dirigierte er sie höflich, und schaffte es, sie ohne großes Aufheben hinauszuführen und hinten in den Streifenwagen zu verfrachten.

Sie fuhren in gespanntem Schweigen. Viel zu bald, so erschien es Amanda, hielten sie vor dem Eingang der Notaufnahme des St. Mary’s Hospital, und der ältere Polizist half ihr aus dem Wagen. Sie dankte ihm leise und wandte sich ab.

Nur Sekunden später, nachdem sie den Streifenwagen verlassen hatten, wurde die Krankenhaustür geöffnet, und zwei Männer kamen heraus. Sogar aus der Entfernung war Amanda klar, dass es sich um Polizisten handelte. Sie nahm an, dass einer von ihnen der Beamte war, mit dem sie telefoniert hatte, und ihr Herz begann heftig zu klopfen.

»Miss Charles? Miss Smith?« Ein großer, glatzköpfiger Mann kam auf sie zu. »Danke, dass Sie gekommen sind. Ich bin Detective Cash.« Er wies auf Tristan. »Das ist Lieutenant MacLaughlin. «

Amanda musterte die beiden Männer. Sie waren groß. Der glatzköpfige, Detective Cash, war schlank und beinahe so schlaksig wie ein Jugendlicher. Er hatte warme braune Augen, und sie fühlte sich instinktiv zu ihm hingezogen. Er sah so aus, als würde er ihnen so viel Unannehmlichkeiten wie menschenmöglich zu ersparen versuchen.

Dasselbe konnte sie beileibe nicht von Lieutenant MacLaughlin behaupten. Wärme und Menschlichkeit hielt Amanda nicht für seine primären Charaktereigenschaften – nicht bei dieser unnahbaren Miene. Ohne ein Wort geäußert zu haben, versetzte die kühle effiziente Beherrschtheit, die er ausstrahlte, sie in die Defensive. Da war etwas an der reservierten und abschätzenden Art und Weise, wie er sie und Rhonda musterte –

Er war ein außergewöhnlich großer Mann – wirklich immens groß. Sie schätzte, dass er gut ein Meter neunzig war, und er verfügte über die breitesten Schultern und die breiteste Brust, die sie je gesehen hatte. Etwas später, als sie direkt neben dem Lieutenant im Fahrstuhl stand, fühlte sie sich geradezu bedrängt und als bekäme sie keine Luft mehr, so als würde seine kolossale Gestalt nicht nur den gesamten Platz, sondern dazu den Sauerstoff für sich beanspruchen.

Seine Größe allein war schon einschüchternd genug, auch ohne die geradezu militärische Strenge, die er ausstrahlte. Er hatte dickes rotblondes Haar, das wahrscheinlich lockig gewesen wäre, wenn es nicht so kurz geschnitten wäre. Die Haare wichen leicht zurück an den Schläfen, und der M-förmige Haaransatz betonte auf attraktive Weise die hohe Stirn. Die straffe Haut umspannte starke Gesichtsknochen und wirkte etwas rau unterhalb der Wangenknochen. Er hatte eine große, römische Nase und breite Augenbrauen, und seine Augen hinter der Hornbrille waren silbergrau und maßen sie mit unverwandtem, durchdringendem Blick.

Amanda war bewusst, dass Rhonda neben ihr in Positur ging und sich in die Brust warf. Ohne hinzusehen, wusste Amanda, dass sie ihr typisches, strahlendes, keckes Hallo-Seemann- Lächeln aufsetzte. Rhonda liebte Männer über alles und flirtete schamlos bei jeder Gelegenheit. Aber Amanda hatte so ein Gefühl, dass Rhonda sich in diesem Fall ihre Verführungskünste sparen konnte, da dieser Mann eine solch strenge Askese ausstrahlte, die kein noch so heftiges Augenklimpern durchdringen würde. Seine klinische Musterung von ihnen beiden erschreckte sie. Das warme Lächeln von Detective Cash war ihr bedeutend lieber.

Tristan betrachtete nachdenklich Amandas dezenten Hüftschwung, während die kleine Gruppe über den Korridor des Leichenschauhauses ging. Ihm war nicht entgangen, wie sie innerlich auf Distanz ging bei seiner Musterung, und bitter verzog er leicht einen Mundwinkel. Sie war genau der Typ Frau, mit dem er nie hatte reden können, ohne über seine übergroßen Füße zu stolpern und einen totalen Narren aus sich zu machen. Sie hatte einen kühlen Blick und war unerwartet elegant. Ihr Haar war weizenblond; ihr Make-up unaufdringlich. Sie war absolut nicht das, was er erwartet hatte.

Er wusste, dass er diesen Fall mit einigen Vorurteilen übernommen hatte, und war bereit, sie beiseitezulassen, bis der Fall abgeschlossen war. Zum Teufel, die Hälfte der Nutten, die er festgenommen hatte im Lauf seiner langen Karriere als Polizist, behauptete, Tänzerin zu sein. Er hatte angenommen, dass die Showgirls aus Reno vielleicht eine Stufe über den Huren standen, mit denen er gewöhnlich zu tun hatte, aber die Klasse, die Amanda Charles ausstrahlte, passte so überhaupt nicht zu seinem vorgefassten Bild.

Na ja, ob vulgär oder kultiviert, er hasste den ablehnenden Blick dieser großen, veilchenblauen Augen, die von überraschend dunklen Augenbrauen und Augenwimpern umrahmt waren. Aber sie färbt sich ja bestimmt die Haare, dachte er mit untypischer Feindseligkeit. Sie hatte honigfarbene Haut – ein Hautton, den man normalerweise nicht mit Blondinen verband. Ihre natürliche Haarfarbe war wahrscheinlich ein ordinäres Mausbraun statt dieses skandinavischen Blonds. Dieser Gedanke gab Tristan ein tiefes Gefühl von Befriedigung.

Aber mein Gott, was für eine Figur. Miss Charles war nicht so auffällig und grell gekleidet wie ihre schwarzhaarige Freundin, aber sie hatte einen ebenso fantastischen Körper, den man sogar unter dem geschlossenen schwarzen Jackett, lavendelfarbenem Pullover und schwarzen Seidenhosen erkannte. Es war eine Figur, die Blicke anzog: mittelgroß, breite Schultern, üppige Brüste und eine Wespentaille, ein kleiner, fester Hintern und lange, lange, lange Beine. Natürlich war das nicht sonderlich überraschend. Sie war ein Revuegirl, auch wenn sie keine hautengen Spandex-Hosen trug in ihrer Freizeit wie das andere, freundlichere Mädel.

Sie blieben alle vor der Tür zum Leichensaal stehen. Cash drehte sich um zu den beiden Frauen, fuhr sich mit der Hand über die Glatze, zwirbelte den Schnurrbart mit Daumen und Zeigefinger und sagte: »Hören Sie zu – es besteht kein Grund, dass Sie beide hineingehen; es reicht, wenn eine die Identifikation vornimmt.«

Ein paar Sekunden herrschte absolutes Schweigen, während Amanda und Rhonda sich gegenseitig anstarrten. Dann, bevor sie die Chance hatten, zu entscheiden, wer von ihnen hineingehen soll, nahm Tristan ihnen diese Entscheidung ab.

»Sie, Miss Charles«, sagte er herrisch, packte Amandas Arm gleich über dem Ellbogen und schob sie durch die Tür.

Durch die Abruptheit, mit der ihr die Entscheidung abgenommen wurde, zusammen mit dem Wissen, was da auf sie zukam, bekam Amanda weiche Knie. Urplötzlich befand sie sich in einer kalten, sterilen Atmosphäre. Chemische Gerüche stachen ihr in die Nase, und sie sackte leicht zusammen in Tristans Griff.

Sie starrte Tristan mit weit aufgerissenen Augen an, und für einen kurzen Moment überfiel ihn ein Schuldgefühl. Dann schüttelte er es ärgerlich ab. Zur Hölle – er war schließlich nicht total unsensibel. Er wusste, dass das kein Picknick werden würde für sie. Aber er wusste auch, dass, wenn er den Mädels die Entscheidung überlassen hätte, sie noch um Mitternacht dastünden. Er ignorierte die leise Stimme in seinem Kopf – diejenige, die ihm zuflüsterte, wenn sie nicht der Typ Frau gewesen wäre, der ihm das Gefühl vermittelte, der schüchterne, verlegene, zu große und ungelenke Glasgower Straßenjunge zu sein, der er einst war, hätte er ihr vielleicht die Zeit gelassen, selbst zu entscheiden.

Neben ihm riss Amanda sich zusammen, holte tief Luft und straffte die Schultern. Ihre Augen, die ihm noch einmal einen kurzen Blick zuwarfen, blickten jetzt kühl und distanziert, als sie ihm dezidiert den Arm entzog. Sie gab ihm mühelos das Gefühl, ein echter Mistkerl zu sein, und als Joe Cash eintrat und ihn fragend ansah, bevor er seine Aufmerksamkeit dem Showgirl widmete, verfluchte Tristan die Hitze, die er unter seinem Kragen aufsteigen fühlte.

Amanda starrte blind geradeaus, als ein Aufseher eine Stahlschublade aufzog. Erst als das Tuch, mit dem die Leiche bedeckt war, zurückgezogen wurde, schaute sie hinunter.

Übelkeit stieg in ihr auf. Sie schluckte schwer, fixierte das, was sie sah. Dann riss sie den Kopf hoch, ihr Blick prallte an der silbernen Oberfläche von Lieutenant MacLaughlins Augen ab und begegnete denen von Detective Cash. » O Gott. Es ist... sie«, flüsterte sie, und obwohl es ihr umgehend albern vorkam, sich in einem solchen Moment um eine korrekte Formulierung zu bemühen, sagte sie: »Das ist Maryanne Farrel.«

Joe nickte dem Wärter zu, die Schublade zu schließen, und Tristan legte behutsam den Arm um Amandas Schulter und führte sie weg. Es war nicht so, dass er kein Verständnis für ihr Entsetzen gehabt hätte. Er neigte nur dazu zu vergessen, wie traumatisch der Tod auf Menschen wirkte, die es nicht gewohnt waren, damit umzugehen.

Amanda Charles’ Gesicht erinnerte ihn daran. Es hatte eine grünlich weiße Farbe angenommen unter dem grellen Oberlicht. Das filigrane Muster ihrer Adern gleich unter der Hautoberfläche zeichnete sich wie ein dunkel purpurnes Spinnennetz ab auf der bleichen Haut. Unter seinem lockeren Griff spürte er ihr Zittern, als wäre sie bis auf die Knochen durchgefroren, und er empfand das untypische Bedürfnis, seinen Griff zu verstärken und ihr etwas von seiner Körperwärme abzugeben. Er widerstand diesem Bedürfnis natürlich und geleitete sie aus der Leichenhalle.

Amanda holte tief Luft, sobald sie wieder draußen auf dem Flur waren. Sie nickte Rhonda kurz zu als Antwort auf deren unausgesprochene Frage und sank dankbar in die geöffneten Arme ihrer Freundin. Sie klammerten sich geradezu aneinander. Als Tristan das sah, fragte er sich, wie es wohl wäre, Halt zu bekommen in solch schlimmen Situationen – in Zeiten von Trauer und Stress. Er hatte mit seinen Problemen immer allein klarkommen müssen.

»In welchem Hotel wohnen Sie, Lieutenant?«, verwickelte Joe den großen Schotten in eine Unterhaltung, um Amanda Zeit zu geben, sich zu sammeln. Sie sah ziemlich mitgenommen aus.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Tristan. »Ich habe noch nichts reserviert. « Er nahm die Brille ab und rieb sich den Nasenrücken. Dann setzte er sie wieder auf und musterte Joe ernst. »Ich hatte gehofft, dass Sie mir eins empfehlen können, das nicht allzu teuer ist. Bis zu meiner ersten Gehaltszahlung hier zahlt die Dienststelle in Seattle mir Tagessätze, und die sind nicht gerade üppig.«

Rhonda beäugte den großen Polizisten fasziniert über Amandas Schulter hinweg, während sie der leise geführten Unterhaltung und seinem starken schottischen Akzent lauschte. Sie lockerte den Griff um ihre Freundin. »Wenn Sie etwas Hübsches, Sauberes und Bezahlbares suchen«, meinte sie, »in Amandas Haus wird bald ein Apartment frei.« Mit vor Trauer erstickter Stimme fügte sie hinzu: »Maryannes.«

Amanda löste sich aus Rhondas Umarmung. »Bitte«, sagte sie so panisch, dass jeder, der sie ansah, befürchtete, dass sie sich gleich übergeben würde. »Gibt es hier eine Toilette? « Sie packte Rhondas Hand und rannte fast durch den Korridor, folgte der Richtung, die Joe hastig angegeben hatte.

Sobald sie durch die Eingangstür der öffentlichen Toiletten waren, riss sie Rhonda herum, drückte sie nicht allzu sanft gegen die Wand, packte ihre Schulter und fauchte ihre Freundin an: »Bist du völlig verrückt geworden, Rhonda? Was um alles in der Welt hast du dir dabei gedacht?«

Rhonda blinzelte. »Was? Wobei gedacht?«

Amanda knurrte frustriert. »Wieso hast du Maryannes Apartment Lieutenant MacLaughlin angeboten?«

»Meinst du das im Ernst, Mandy? Hast du dir den Mann denn nicht angesehen? So was von toll! Seine Füße und Hände sind absolut riesig, und du weißt, was das bedeutet, nicht wahr? Er ist wahrscheinlich bestückt wie ein Hengst.«

»Das darf doch wohl nicht wahr sein, Rhonda!«, unterbrach Amanda sie. »Hast du jemals, nur einmal in deinem Leben, einen Gedanken gehabt, der nicht sexueller Natur war?«

»Tja, sicher. Früher im Kindergarten bestimmt, schätze ich. Aber das ist lange her, und um auf den Kerl zurückzukommen, findest du nicht, dass er aussieht wie ein echt gut gebautes Model für GQ?«

Amanda schüttelte den Kopf. »GQ? Du meinst Gentlemen’s Quarterly?« Sie fand diese Unterhaltung schlicht unfassbar.

»Ja! Na ja, okay, vielleicht kleidet er sich nicht ganz so cool, aber mit diesen stahlgrauen Augen, dem kurzen Haar und der Brille, und vor allem dem Wahnsinnskörper unter dem Anzug und der ...

»Was hat seine Kleidung denn damit zu tun ... Der Mann könnte meinetwegen der Cousin der Brooks Brothers sein«, sagte Amanda mit zusammengebissenen Zähnen. »Das bedeutet noch lange nicht, dass ich ihn als Mieter will. «

»Dann möchte ich sagen, du bist diejenige, die verrückt ist, Mandy Rose, nicht ich. « Rhonda betrachtete ihre Freundin jetzt mit ernstem Blick. »Vergessen wir mal, ihn als Sexobjekt zu betrachten, wenn es dein verdammtes Keuschheitsgefühl verletzt«, knurrte sie mit der Empörung derjenigen, die ständig auf der Pirsch sind, über diejenigen, die kaum einen Blick riskieren. »Betrachte ihn als Schutz. Wir sind heute hier, weil unsere ganze verdammte Welt plötzlich sehr gefährlich geworden ist. Jemand da draußen ermordet Tänzerinnen ungefähr auf die gleiche Art und Weise wie früher Jack the Ripper Huren!«

»So viele waren es nicht. Es waren nicht annähernd so viele, wie bei Jack the Ripper oder wie bei einem dieser anderen Serienmörder«, sagte Amanda leise, aber sie wusste, dass es eine lahme, wenn nicht sogar gefährliche Einstellung war. Ein Mord war immer einer zu viel. Und wenn eine der drei kürzlich ermordeten jungen Frauen auch noch eine war, die man kannte, geriet eh jede Statistik zu einer Streitfrage. Du lieber Gott, warum sollte irgendjemand das Bedürfnis haben, Maryanne umzubringen?

»Noch nicht«, unterbrach Rhonda ihre Gedanken. »Aber nach dem, was wir wissen, läuft sich der Kerl gerade erst warm. « Sie umfasste Amandas Arm, ihre dunklen Augen blickten ganz ernst. »Die Tatsache, dass wir überhaupt hier sind und Maryanne identifizieren mussten, gefällt mir absolut nicht. Das alles ist viel zu nah an uns dran.«

»Ja, ich weiß«, gab Amanda zu, und sie verschränkte die Arme, um ihr Zittern zu unterdrücken. »O Gott, Rhonda, ich kann es nicht fassen. Als ich heute Morgen aufwachte, war ich noch wütend auf sie. Ich dachte, wie typisch für Maryanne, einfach zu verschwinden, ohne irgendjemandem zu sagen, wo sie erreichbar ist. Und jetzt, innerhalb von nur wenigen Stunden, habe ich sie dort auf dem Tisch gesehen, und sie ist tot. Plötzlich ist es nicht mehr etwas, das nur jemand anderem passiert. Mein Gott, wenn es ihr passiert ist, kann es genauso dir oder mir passieren. « Bei diesem Gedanken überlief sie eine Gänsehaut.

Einen Moment lang sagte sie kein Wort, dann sah sie ihre Freundin an. »Aber warum MacLaughlin? Ich mag ihn nicht. Er sieht mich an, als wollte er mich aufspießen wie einen Schmetterling. Er hat uns nicht einmal die Chance gelassen, selbst zu entscheiden, wer von uns sie identifizieren soll, bevor er mich hineingezerrt hat.« Sie erschauerte.

Rhonda umarmte sie. »Ich weiß, Schätzchen. Du magst ihn nicht, weil er dich gepackt und weggezogen hat. Ich glaube – wenn ich kurz mal von seinem Bilderbuchkörper absehe –, dass das der eigentliche Grund dafür ist, dass ich ihn mag. Ich wollte da genauso ungern hineingehen wie du«, gestand sie mit der schonungslosen Offenheit, die Amanda, seit sie sich kannten, an ihr bewundert hatte, »und ich war so unglaublich erleichtert, dass er dich, statt mich gewählt hatte, dass ich am liebsten wie ein Kleinkind geflennt hätte. Aber Amanda, egal was MacLaughlin ist, er ist ein Bulle. Und außerdem scheint er ein hartgesottener, taffer Typ zu sein.«

»Ja«, pflichtete Amanda ihr trocken bei. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass dir in dieser Hinsicht einer widerspricht. «

»Also dann?«

»Also, wenn er interessiert ist – aber er muss das Thema von sich aus anschneiden, ohne dass du es ihm einredest«, machte sie zur Bedingung und hoffte, dass damit die Diskussion erledigt war, trotz des Unbehagens, dass alles, was ihre Freundin gesagt hatte, richtig war. Sie mussten Maßnahmen ergreifen, sich zu schützen.

Sie straffte sich entschlossen. Na gut. Sie würde eben einfach Maryannes Apartment an einen Mann vermieten. Es gab jede Menge männliche Tänzer, die sie wahrscheinlich genauso effektiv beschützen konnten wie der große Detective mit seinem unnahbaren, abschätzenden Blick. Der eine oder andere suchte immer eine Wohnung. Sie entspannte sich spürbar. MacLaughlin war ihr auf die Nerven gegangen, aber nachdem ihre Rolle in diesem Fall erledigt war, würde sie ihn nicht wiedersehen. Sowieso bezweifelte sie, dass er daran interessiert war, ihr Apartment zu mieten. Die Unterhaltung, die Rhonda zu ihrem spontanen Angebot gedrängt hatte, hatte sich um Hotelunterkünfte, nicht um einen festen Wohnsitz gedreht.

Es machte also keinen Sinn, sich über etwas aufzuregen, was wahrscheinlich nie eintreten würde.

»Die brauchen aber verdammt lange«, knurrte Tristan, während er ungeduldig auf und ab ging.

»Miss Charles sah ziemlich erschüttert aus«, meinte Joe ruhig. »Und Sie kennen ja die Frauen...«

»Nein, das kann ich eigentlich nicht behaupten.« Tristan blieb vor Joe stehen und funkelte ihn an. »Generell sind Lassies, ich meine Mädels«, erklärte Tristan seinen typisch schottischen Begriff, »ein einziges großes Geheimnis für mich.«

Joe grinste. »Sie haben keine Schwestern, nehme ich an.«

»Nein, und auch keine Brüder.«

»Ich habe fünf Schwestern.«

»Du liebe Güte.« Tristan zog an seiner Krawatte und beäugte Cash mit einem Neid, den er sich nie gestatten würde, offen zu zeigen. Es musste schön sein, eine Familie zu haben. »Wie war das? Mit so vielen Lassies zu leben?«

» Haarsträubend «, gab Joe zu, dann lachte er bedauernd und fuhr sich mit der Hand über die Glatze. »Jedenfalls als ich damals noch Haare hatte. Jetzt bin ich ein großer Junge, und es ist einige Jahre her, dass ich mit ihnen gelebt habe, aber es war gar nicht so schlecht, Schwestern zu haben. « Er grinste. »Als Kind hätte ich Ihnen natürlich etwas anderes gesagt. Aber ich habe viel von ihnen über Frauen gelernt. Und Regel Nummer eins ist, dass verdammt wenig Frauen ein Badezimmer betreten, nur ihr Geschäft erledigen und wieder herausmarschieren. Da drinnen sind Spiegel, MacLaughlin, und sie haben Handtaschen bei sich, in denen Haarbürsten und Make-up und dergleichen sind. Sie können sich also entspannen. Sie kommen dann, wenn sie meinen, fertig zu sein, und nicht eine Minute vorher.«

»Wahnsinn.« Tristan fing wieder an, auf und ab zu gehen, dann wurde er abrupt geschäftsmäßig, befragte Joe ausführlich und machte ein paar Vorschläge, was unverzüglich unternommen werden sollte. Joe ging dann, um einige Anrufe zu tätigen.

Cash war noch nicht zurück, als die beiden Frauen wieder auftauchten, und Tristan konnte seiner Analyse hinsichtlich weiblicher Pflegegewohnheiten nur zustimmen. Die Haare der Frauen waren makellos frisiert – sie glänzten unter dem Neonlicht –, und ihre Lippen waren frisch geschminkt.

»Sie haben etwas mehr Farbe«, sagte er zu Amanda. »Fühlen Sie sich ein bisschen besser?«

»Ja... danke«, antwortete sie, überrascht und nur ein ganz klein wenig dankbar für diese Anteilnahme.

»Ich möchte mich entschuldigen dafür, dass es notwendig war, Ihnen das zuzumuten«, fuhr er zu Amandas grenzenloser Verblüffung nahtlos fort. Das entsprach so gar nicht dem Eindruck, den sie gewonnen hatte, als er sie in die Leichenhalle geschoben hatte zur Identifikation der Leiche. Sie hatte eher den Eindruck gewonnen, dass es ihm eine gewisse Genugtuung bereitete, sie zu gängeln. Entschlossen, ihre Verwirrung nicht zu zeigen, hielt sie den Mund, aber bei seinen nächsten Worten rutschte ihr der Magen in die Kniekehlen.

»Haben Sie einen Schlüssel zu Miss Farrels Apartment? «

»Ja, natürlich. Mir gehört das Haus.« Ihr Herz begann wild zu klopfen. O Gott, bitte, betete sie. Lass ihn bitte nicht sagen, dass er Rhondas Vorschlag in Erwägung zieht. Bitte lass ihn das nicht sagen.

»Es wäre nett, wenn Sie ihn uns überlassen könnten. Dann müssen wir die Tür nicht gewaltsam öffnen«, sagte er mit unerbittlichem Nachdruck. »Ihre Identifikation hat völlig neue Perspektiven eröffnet, Miss Charles, und ich fürchte, dass wir noch sehr viele Fragen an Sie und Miss Smith haben. «

» Oh, aber...«

»Ich schlage vor, wir bringen Sie nach Hause und unterhalten uns da. Sie werden sich da bestimmt bedeutend wohler fühlen als auf der Polizeiwache.« Tristan hatte sich ganz bewusst zu einem freundlichen Ton gezwungen, um sein vorheriges Verhalten, sie so umstandslos in die Leichenhalle gezerrt zu haben, wieder gutzumachen. Aber sogar er konnte hören, wie seine Stimme erneut härter wurde. Na gut, Teufel auch, er glaubte wirklich, dass sie und Miss Smith weniger eingeschüchtert wären bei sich zu Haus. Das hieß aber nicht, dass er die beiden nicht, ohne zu zögern, in die Stadt aufs Dezernat schleppen würde, sollten sie Zeichen von Widerspenstigkeit zeigen. Er hatte einen Job zu erledigen, und zwar je schneller, desto besser.

Amanda starrte in MacLaughlins harte graue Augen und befahl sich, nicht zu weinen. Dies war wahrscheinlich der schlimmste Tag ihres Lebens, seit Teddy... es war insgesamt ein harter Tag gewesen, und offenbar war er noch nicht annähernd vorüber. Ihr Schädel pochte, und ihr Magen fühlte sich so an, als würde er nie wieder irgendwelche Nahrung dulden. Sie fühlte sich rundherum miserabel: zittrig, ihr war schlecht und eiskalt. Missmutig schob Amanda die Vorstellung von einem wunderbaren heißen Schaumbad beiseite. Sie empfand etwas, was verdächtig nahe an Hass grenzte, als sie den Lieutenant ansah. Es tat ihm absolut nicht leid. Wahrscheinlich machte es ihm sogar einen Heidenspaß.

Na gut, in Ordnung, das war vielleicht nicht ganz fair, und vielleicht, nur vielleicht, befand sie sich hart am Rand einer Paranoia, aber das bezweifelte sie. Selbst wenn das der Fall sein sollte, dann machte sie immer noch diesen übergroßen Rabauken mit den kalten Augen und dem blöden, aber irgendwie auch netten schottischen Akzent persönlich dafür verantwortlich.

Indem sie ihn mit verächtlichem, rebellischem Blick maß, teilte sie ihm mit, was er zu hören erwartete – dass sie es vorzog, in ihren eigenen vier Wänden verhört zu werden.

2

Tristan hätte nicht gedacht, dass er Amanda Charles’ Apartmenthaus auch nur eine Sekunde lang in Erwägung ziehen würde, aber das Gebäude überraschte ihn doch außerordentlich. Angesichts der unerwarteten Kultiviertheit ihrer persönlichen Erscheinung hatte er eher etwas Schickes und Modernes erwartet, oder Elegantes und Kühles – nicht dieses weitläufige, hell gestrichene Gebäude, das mitten in einem Wohngebiet der gehobenen Mittelklasse stand.

Es war ein großes, ausgedehntes, älteres Haus, das auf drei Ebenen um einen Steingarten aus Farnen und Blumen herumgebaut war. Die schieferblauen hölzernen Fensterläden und Blumenkästen und die dunkelbraun-blauen Holzverkleidungen der großen Sprossenfenster gaben dem Ganzen einen warmen, heimeligen Eindruck. Erst bei näherem Hinsehen entdeckte Tristan, dass die beiden glänzenden, hellbraunen Türen, die auf einen kleinen Innenhof führten, jeweils zu separaten Wohnungen gehörten. Neben den Türen war oben an der Wand ein auf Hochglanz polierter Messingbriefkasten angebracht mit eingravierten Namensschildern in kleiner Schreibschrift, gefolgt von einem Großbuchstaben, der die einzelnen Wohneinheiten kennzeichnete. Die dritte Tür war nicht so ohne weiteres sichtbar, aber Tristan nahm an, dass sie sich in der Nische oberhalb einer kurzen Treppe von breiten Backsteinstufen befand, die zur mittleren Ebene führte.

Jedes Apartment war individuell gestaltet. Das oberste hatte einen kleinen Holzbalkon, der einen Teil des Steingartens überragte, und das unterste hatte eine ebenerdige Veranda, deren schlanke Holzsäulen beinahe zu zerbrechlich aussahen, um den Boden des darüber liegenden mittleren Apartments zu tragen. Dieses wiederum war mit einer Flügeltür ausgestattet, die zu einem kleinen, schmalen Holzbalkon führte.

Der tief liegende Innenhof war umgeben von einem niedrigen Palisadenzaun, der oben um den Steingarten verlief, und vermittelte die Illusion von Abgeschiedenheit. Amanda führte sie über breite, flache Stufen vorbei an der Abzweigung, die zu dem obersten Apartment führte. Ein schmaler Backsteinpfad wand sich durch den Steingarten und führte zu einer weiteren Treppe hinunter in den Innenhof und zur untersten Wohnung. Aber sie bog nach links ab und erklomm die flachen Stufen zu dem Apartment, dessen Eingangstür sich in einem kleinen Alkoven befand. Tristan spähte hinunter in den Hof, als sie die Treppe hochstiegen zu ihrem Apartment, neugieriger, als er zugeben wollte. Er bemerkte, dass der Innenhof sehr, aber nicht zu sehr gepflegt war – die Blumen und Farne konnten sich frei entfalten, waren nicht zu stark beschnitten.

Amanda atmete tief durch, bevor sie ihre Wohnungstür aufschloss und beiseitetrat, um alle hineinzulassen. Sie freute sich nicht gerade auf diese Invasion in ihre Privatsphäre, und sie hasste es, dem machtlos gegenüberzustehen.

Sie stieß leise die Luft aus und wusste, dass das Beste, worauf sie realistischerweise hoffen konnte, war, es so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Herrgott, lass sie einfach nur ihre Fragen stellen und verschwinden. Sie hegte immer noch die schwache Hoffnung, ein langes, heißes Bad nehmen zu können heute Abend, um die Eiseskälte zu vertreiben, die ihr bis ins Mark gedrungen war.

Es war dunkel drinnen. Rhonda, die als Erste durch die Tür geschlüpft war, schlängelte sich mit der Mühelosigkeit der Vertrautheit durch das schummrige Innere und knipste eine Tiffany-Lampe im Wohnzimmer an. Sie stand auf einem Tisch mit Marmorplatte zwischen zwei grauen, mit Chenille bezogenen Ohrensesseln. Sie ließ sich in einen fallen und winkte den beiden Polizisten mit weit ausholenden Bewegungen, sich auf den anderen oder auf die gegenüberstehende pfirsichgraue, mit Chintz gepolsterte Couch zu setzen. Bald hatten sich alle gesetzt, und Rhonda bot Erfrischungen an. Amanda ignorierte das alles entschlossen und ging direkt in ihr Badezimmer, wo sie die Aspirin aufbewahrte.

Während sie noch im Bad war, klopfte es an der Wohnungstür, und als sie ins Wohnzimmer kam, war es überfüllt mit Männern. Tristan löste sich von der Gruppe und kam herüber zu ihr.

»Können wir den Schlüssel zu Miss Farrels Apartment haben, Miss Charles? Die Jungs von der Spurensicherung sind hier und würden gern anfangen.« Tristan fühlte sich ziemlich grauenhaft, als er sie musterte. Sie war inzwischen wieder sehr blass, und ihm wurde mit untypischer Besorgnis klar, dass sie wahrscheinlich sowohl hungrig als auch erschöpft war.

Sein Mitgefühl für ihren Zustand überraschte und beunruhigte ihn gleichermaßen. Er hatte es sich zur eisernen Regel gemacht, sich bei einem Fall nie von persönlichen Gefühlen gegenüber einer Beteiligten leiten zu lassen. Er hatte gesehen, wie es Kollegen passiert war, und nach seiner Beobachtung führte das unterschiedslos zu nichts als Schwierigkeiten. So dass er ihr wider besseres Wissen in die Küche folgte, und als sie ihm einen Schlüssel vom Haken an der Wand gab, streckte er den Arm aus und griff spontan nach ihrem Handgelenk. Die Knochen fühlten sich zerbrechlich an unter seinen Fingern.

Sie starrte schweigend zu ihm hoch.

»Machen Sie sich doch einen Tee oder Kaffee, Lass«, verfiel er automatisch ins Schottische und fuhr ihr geistesabwesend mit dem Daumen über die weiche Innenseite ihres Handgelenks. »Wir werden so schnell wie möglich verschwinden, damit Sie sich ausruhen können und nicht womöglich vor Erschöpfung zusammenbrechen. « Er gab ihr Handgelenk frei, drehte sich um und verließ den Raum.

Amanda starrte seinem Rücken hinterher, bis er aus ihrem Sichtfeld verschwunden war. Dann schüttelte sie den Kopf und setzte sich in Bewegung, um den Kessel aufzusetzen. Würden die Wunder denn nie aufhören? Eventuell hatte er doch etwas Menschliches an sich.

Schnell stellte sie ein Tablett zusammen und benutzte die Zeit, bis das Wasser kochte, um einige vertraute Entspannungsübungen zu machen. Die Atemübungen beruhigten sie ein wenig, und sie trug das Tablett ins Wohnzimmer, das, wie sie mit Erleichterung bemerkte, nicht mehr ganz so überfüllt war. Sie stellte das Tablett auf einen kleinen eichenen Couchtisch und sank auf die weiche Couch. Sie runzelte die Stirn, als sie sich umblickte.

» Wo ist Rhonda?«

»Sie ist nach oben gelaufen, um ihre Katze zu füttern«, antwortete Joe und beugte sich vor, um eine Tasse Kaffee entgegenzunehmen. Er konsultierte seinen Notizblock. »Sie lebt in Apartment A?«

» Ja. « Amanda umfasste die zarte Porzellantasse mit beiden Händen und genoss die Wärme, die sich langsam in ihr ausbreitete, ein bisschen die innere Kälte vertrieb. »Rhonda wohnt in A, ich wohne in B, und Maryanne wohnt... wohnte ... in C.«

»Hatte Miss Farrel Familie, Miss Charles?«, fragte Tristan. » Gibt es jemanden, den wir kontaktieren sollen?«

»Nein.« Amanda starrte in ihre Tasse. »Jedenfalls weiß ich von niemandem. Sie hat mal erwähnt, dass sie ursprünglich aus Ohio stammt, dass aber dort keiner mehr lebt von ihrer Familie. «

»Miss Charles, was hat Sie veranlasst, das Revier anzurufen? « Tristan betrachtete sie mit Augen, die so kühl wie Winterregen waren.

»Maryanne war seit drei Tagen nicht nach Haus gekommen. « Sie trank einen Schluck Kaffee, stellte die Tasse ab und sah ihn an. »Es ist nicht so, dass wir uns eng auf der Pelle hocken. Aber wenn eine von uns vorhat wegzufahren, sagen wir uns normalerweise untereinander Bescheid. Das dient mehreren Zwecken: Es verhindert, dass wir uns unnötige Sorgen machen, und wir haben ein Auge auf das Apartment, solange die Betreffende weg ist. Sie wissen schon, die Zeitung und die Post hereinholen, darauf achten, dass die Außenbeleuchtung angeschaltet ist, derlei Dinge. « Amanda beugte sich vor, um wieder einen Schluck zu trinken, und musterte die beiden Polizisten über den Rand ihrer Tasse hinweg. »Aber es klappte nicht immer wie geplant. Ein- oder zweimal war Maryanne einfach verschwunden, ohne es uns wissen zu lassen. Als sie also dieses Mal nicht nach Hause kam, nahm ich halt an, dass sie einen Mann kennen gelernt hatte und einige Zeit mit ihm verbringen wollte. «

Rhonda kam zurück, ließ sich wieder in den Ohrensessel fallen und nahm sich ebenfalls eine Tasse Kaffee. »Maryanne war ständig verliebt«, mischte sie sich ein, lehnte sich zurück und schlug ihre langen, spandexbekleideten Beine übereinander. »Es war eine Art Insiderscherz unter uns, dass Maryanne ständig ›verliebt‹ war. Sie zeichnete mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft. »Ich bin ständig scharf auf Männer. « Ihr Grinsen war alles andere als reuig. Dann wies sie mit dem Daumen auf Amanda und sagte missbilligend. »Und Mandy Rose hier ist so verdammt wählerisch, dass sie so gut wie nie mit jemandem ausgeht. «

Amanda lächelte dünn. »Richtig«, bestätigte sie. »Also habe ich mir zuerst keine Gedanken gemacht über sie. Ich habe mit Rhonda darüber gesprochen, und wir waren beide der Meinung, dass sie wie üblich jemanden kennen gelernt hatte und dass sie zu gegebener Zeit zurückkäme. Aber das war, bevor Charlie mich fragte, ob sie krank wäre. «

»Wer ist Charlie?« Tristan betrachtete Amanda abschätzend von oben bis unten, bevor er ihr wieder in die Augen blickte. Sie war also wählerisch, sieh mal einer an. Das hätte er nicht gedacht.

»Charlie«, wiederholte Amanda nachdrücklich, als ob der Name alles erklären würde. Als Tristan weiterhin ihren Blick festhielt, erklärte sie ausführlicher: »Charles Bagotta vom Cabaret. Er ist ... oh, ich weiß nicht, wie ich Charlies Position richtig beschreiben soll.«

»Wie wär’s mit Sklaventreiber«, schlug Rhonda vor und lächelte sarkastisch.

»Charlie ist... verantwortlich. Er bringt uns die Nummern und die Schrittfolgen bei«, sagte Amanda langsam.

»Charlie brüllt, schreit, demütigt uns und treibt uns an den Rand der Erschöpfung«, konstatierte Rhonda entschieden. »Wenn wir nicht Blut und Wasser schwitzen, ist Charlie nicht glücklich. « Die beiden Frauen überschlugen sich jetzt förmlich in ihren Erklärungsversuchen.

»Wenn du einen Tag frei nehmen möchtest«, sagte Amanda, »musst du Charlie fragen...«

»Wenn du ein Problem mit einem der Türsteher hast, wendest du dich an Charlie...«

»Wenn du glaubst, einen Verbesserungsvorschlag für eine Nummer zu haben, gehst du zu...«

»Wenn du einen Schritt vermasselt hast, hoffst du, dass Charlie es nicht bemerkt hat...«

»Herrgott, ja, das stimmt. Du wünschst dir definitiv, dass Charlie es übersehen hat ... «

»Also, dieser Charlie«, unterbrach Joe. »Er hat Sie gefragt, ob Miss Farrel krank wäre?«

»Ja.« Amanda sah erst Joe und dann Tristan an, nahm sie aber kurzfristig nicht bewusst wahr. Stattdessen sah sie Maryannes leblosen Körper vor sich auf einem Stahltisch in der Leichenhalle. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und rieb sich die Oberarme, wollte die Gänsehaut wegreiben, die sich unter ihrem warmen Pullover gebildet hatte. »Und da begann ich mir ernsthafte Sorgen zu machen. Verstehen Sie, man fehlt nicht unentschuldigt im Cabaret. Nicht wenn man dort weiterhin arbeiten möchte. Es kann sein, dass man mit gelegentlichem Krankfeiern davonkommt, aber niemals, ohne sich abzumelden. Und Maryanne – egal, für wie verliebt sie sich plötzlich hielt – wusste das. Sie mochte eine unheilbare Romantikerin sein, wenn es um Männer ging, aber sie war absolut realistisch, wenn es um ihren Beruf und ihren Lebensunterhalt ging.« Amanda hörte auf zu sprechen und starrte auf ihre makellos gelackten Nägel, während sie die Hände nervös auf ihrem Schoß verschränkte.

Joe ließ ihr ein paar Sekunden Zeit, dann hakte er nach: »Also deshalb haben Sie uns angerufen?«

»Nicht sofort.« Amanda blickte auf und runzelte die Stirn.

»Charlie hat Amanda direkt vor der Mitternachtsshow nach Maryanne gefragt«, erklärte Rhonda. »Und hinterher kam sie zu mir ... «

» Wir wussten nicht, was wir tun sollten«, nahm Amanda den Faden wieder auf. »Wenn sie einfach mit einem Mann unterwegs wäre und wir riefen die Polizei an, würde sie uns das nie verzeihen. Wenn sie allerdings in ernsthaften Schwierigkeiten steckte und wir riefen die Polizei nicht an, würden wir uns das ebenfalls nie verzeihen. Wir haben im Umkleideraum darüber gesprochen und den ganzen Weg nach Hause, und schließlich beschlossen wir, ihr noch einen Tag Zeit zu geben, bevor wir irgendjemanden anrufen. Aber als ich heute Morgen aufwachte, habe ich die Nachrichten angeschaltet, und da hörte ich den Bericht über eine unidentifizierte Frau, von der die Polizei glaubte, dass sie das neueste Opfer des Showgirl-Schlächters wäre. Ihre Beschreibung passte auf Maryanne. Deshalb habe ich angerufen. «

»Ist Ihnen nicht vorher in den Sinn gekommen, dass sie das neueste Opfer dieses Kerl sein könnte?«

»Nein. Nicht ein einziges Mal.« Amandas Mundwinkel zuckten, und ihr Lächeln ließ ihre Selbstvorwürfe erkennen. »Das muss unglaublich dumm für Sie klingen. Wir hatten natürlich alle von ihm gehört. Die Presse überschlägt sich ja geradezu seit dem zweiten Mord. Aber das gehört zu den Dingen, die man in den Nachrichten sieht oder in der Zeitung liest, aber es ist nichts, was dir oder jemandem, den du kennst, passiert. Es ist mir nie in den Sinn gekommen ... «

»Genau«, bestätigte Rhonda. »Nehmen Sie die Erste – das Morgan-Mädchen. Also, zu der Zeit des Mordes wusste niemand, dass sie die erste von vielen sein würde, und die Nachrichten beschrieben es ursprünglich als Tat eines eifersüchtigen Liebhabers. Von jemandem, den sie kannte – verstehen Sie? –, nicht von irgendeinem abartigen Verrückten. Und da sie die Erste war, haben wir den Mord weniger mit ihrem Beruf, als mit der Art von Frau, die sie vermutlich war, in Verbindung gebracht. Ein Typ aus unserer Truppe erwähnte mal, dass er sie von früher her kannte, von Ballys, wo er für kurze Zeit mit ihr zusammengearbeitet hatte. Dort hatte sie den Ruf, Männer gern aufzugeilen. Und außer, dass sie sich stark geändert hatte, hielt er es für wahrscheinlich, dass einer der Typen, mit denen sie sich traf, schließlich die Nase voll gehabt hatte und aus Frust ausgerastet war. «

»Wie heißt dieser Tänzer?«, fragte Tristan. Rhonda zuckte betreten zusammen.

» Oh, es kann nicht Pete sein«, versicherte sie ihm hastig. »Er ist schwul.«

Tristan maß sie mit ruhigem Blick, der sie schweigend aufforderte, keine eigenen Schlüsse zu ziehen und nur seine Fragen zu beantworten, und Rhonda sah Amanda Hilfe suchend an. Amanda zuckte die Achseln. Von ihr aus konnte Rhonda es genauso gut erzählen. Sie hatte so das Gefühl, dass, wenn MacLaughlin spezielle Auskünfte haben wollte, er nicht eher ruhen würde, bis er sie hatte.

»Schriber«, antwortete Rhonda zögernd. »Pete Schriber. «

Tristan notierte den Namen; dann fixierte er Rhonda und bemerkte ihr Unbehagen. »Wir haben nicht vor, den Mann festzunehmen, Lass«, sagte er lächelnd. »Aber er kann uns vielleicht Informationen über das Opfer geben, die wir noch nicht haben. Man kann nie wissen, was möglicherweise wichtig ist.«

Sowohl Rhonda als auch Amanda starrten Tristan wie gebannt an, einen Moment lang total fasziniert von seinem Lächeln. Seine Zähne standen leicht schief, waren aber schneeweiß, und sein Lächeln war irgendwie eigentümlich und wahnsinnig männlich. Es veränderte sein gesamtes Erscheinungsbild, machte aus einem strengen, abschreckenden Bullen einen warmen, zugänglichen Menschen. Es veranlasste Amanda, sich zu fragen, ob ihre wenig schmeichelhafte Einschätzung vielleicht übereilt gewesen war. In Rhonda löste es den Wunsch aus, in sein Bett zu hüpfen.

Das unerwartete intensive Anstarren der beiden Frauen brachte Tristans Lächeln zum Erlöschen und machte ihn nervös. Er spürte, wie Hitze in ihm aufstieg und ihm der Hemdkragen eng wurde. Für einen Moment musste er gegen das Bedürfnis ankämpfen, sich die Krawatte zu lockern und den obersten Knopf seines Oberhemds zu öffnen.

Was zum Teufel glotzten sie denn so? Seine latente Schüchternheit war einer derartig intensiven Musterung nicht gewachsen. In beruflichen Situation kannte er solche Probleme nicht. Er konnte sich jederzeit mit jedem unterhalten. Er hatte alles im Griff und musste sich nie Gedanken darüber machen, wohin eine Unterhaltung führte. Er dirigierte sie verdammt noch mal. Aber es lag etwas absolut Persönliches in der Art, wie ihn die beiden Showgirls betrachteten. Und auf persönlicher Ebene hatten Tristan immer schon die Worte gefehlt. Wenn allerdings ein Mädel ein bisschen Action wollte, konnte er sich durchaus ein, zwei persönliche Dinge vorstellen, die er gern mit dem Charles-Lassie anstellen würde.

Zutiefst erschreckt von diesem absolut unprofessionellen Gedanken, wurden Tristans Fragen eher noch steifer und unpersönlicher als zuvor. Schließlich schlug er sein Notizbuch zu und verstaute es in der Brusttasche seines braunen Wolljacketts. Er nickte Joe zu, und die beiden Männer erhoben sich.

»Haben Sie eine Visitenkarte, die Sie den beiden geben könnten, Detective?«, fragte er, froh, sich wieder auf vertrautem Gelände zu bewegen. Sobald Joe zwei Karten hervorgezogen und sie den Frauen gereicht hatte, instruierte Tristan sie förmlich: » Rufen Sie an, wenn Sie irgendwelche Fragen haben oder wenn Sie noch irgendetwas hinzufügen möchten – egal was. Wenn Ihnen etwas einfällt, reden Sie sich nicht ein, dass es unwichtig ist. Wie ich schon sagte, man kann nie wissen, was möglicherweise wichtig ist. Rufen Sie diese Nummer an und fragen Sie entweder nach Detective Cash oder nach mir.« Er zögerte kurz, dann lächelte er die Frauen erneut an. »Wir sind Ihnen sehr dankbar für Ihre Mitarbeit heute Abend, und wir haben bestimmt noch weitere Fragen an Sie. «

Er wandte sich an Amanda. »Miss Charles, Sie waren sehr tapfer heute. Es tut mir wirklich leid, dass es notwendig war, Ihnen das zuzumuten. Mir ist klar, dass es traumatisch war, aber Sie können stolz darauf sein, wie Sie die Situation bewältigt haben.« Dann schloss er Rhonda in seinen Blick ein. Es war irgendwie einfacher, mit ihr zu reden. Ihrer war er sich irgendwie weniger bewusst und fühlte sich nicht ganz so unbehaglich. »Und Miss Smith, Sie müssen sich keine Gedanken machen wegen Ihres Freundes Mr. Schriber. Sie hatten keine Wahl, als uns seinen Namen zu nennen, und von uns wird er nicht erfahren, woher wir ihn haben. Tatsächlich werden wir uns mit der gesamten Besetzung oder Truppe, oder wie immer Sie Ihre Kollegen nennen, unterhalten. So dass er die Gelegenheit erhält, uns zu erzählen, dass er mit Miss Morgan gearbeitet hat. Wenn er das nicht tut, dann werden wir einfach sagen, wir hätten gehört, dass er mit beiden Frauen gearbeitet hat. Es besteht überhaupt keine Veranlassung, Ihren Namen in diesem Zusammenhang zu erwähnen.«

Joe beobachtete Tristan aufmerksam. Der Lieutenant war deutlich diplomatischer, als er erwartet hatte. MacLaughlin war ein guter Polizist – Joe hatte das von der Minute an gespürt, in der Tristan sich dafür entschieden hatte, ihn ins Leichenschauhaus zu begleiten, statt erst ins Polizeirevier oder Hotel zu fahren. Ein verdammt guter Polizist – darauf würde Joe jede Wette eingehen. Sein Gefühl sagte ihm, dass MacLaughlin das Zeug dazu hatte, ihnen beizubringen, was sie wissen mussten bei diesem Typ von Morden.

Aber Captain Tweedt würde es glatt aus den Pantinen hauen. Er erwartete einen Bürokraten, der sie anleitete – jemand, der hinter dem Schreibtisch blieb, von da aus seine Anweisungen erteilte und die Truppe in Marsch setzte: Für Joe war jedoch ziemlich klar, dass MacLaughlin ein Polizist war, der vor Ort arbeitete. Und er war sich sicher, dass es noch einige Auseinandersetzungen geben würde im Dezernat, bevor MacLaughlin sich durchsetzte – was Joes Ansicht nach außer Frage stand. Irgendwie bezweifelte er keine Sekunde, dass MacLaughlin bei dem Kommenden als Sieger hervorgehen würde. Er musste grinsen: Der im Vorfeld zu erwartende Riesenkrach war bestimmt eine verdammt gute Show, und er hatte nicht vor, sie zu verpassen.

Sie gingen kurz darauf. Tristan trat in die Kühle des Vorfrühlingsabends und schauderte. »Gehen wir nach unten und sehen mal, wie die Jungs von der Spurensicherung klarkommen«, meinte er, aber bevor er den Treppenabsatz erreichte, hielt Joe ihn am Arm fest.

»Essen Sie eigentlich nie, MacLaughlin?«, fragte er. »Ich weiß ja nicht, wie das bei Ihnen ist, aber ich bin hungrig, und ich arbeite verdammt viel besser mit vollem Magen.« Allmächtiger, er hatte noch nie einen Kerl mit so zielgerichteter Energie gesehen. Er vermittelte ihm das Gefühl, absolut unbeirrbar zu sein.