Küssen auf eigene Gefahr - Susan Andersen - E-Book

Küssen auf eigene Gefahr E-Book

Susan Andersen

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Beschreibung

Aktionspreis – nur für kurze Zeit! Gerade noch eine zurückhaltende und respektierte Schullehrerin – und im nächsten Moment mit Handschellen und sexy Stripperklamotten im Auto eines Kopfgeldjägers: Catherine MacPherson kann sich nicht erinnern, je einen furchtbareren Tag erlebt zu haben! Immer wieder versucht sie dem verwirrend gut aussehenden, aber unglaublich sturen Sam McKade zu erklären, dass er sie mit ihrer Zwillingsschwester Kaylee verwechselt. Da kann Sam ja nur lachen! Wer fällt denn noch auf diesen alten Zwillingstrick herein? Er muss aber zugeben, dass diese Kaylee wirklich hinreißend ist – und so ganz anders als seine üblichen »Klientinnen« … »Susan Andersen schreibt wahnsinnig gute Thriller - voll gefährlicher Liebe und abgründiger Spannung!« (Romantic Times Magazine)

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Seitenzahl: 530

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Susan Andersen

Küssen auf eigene Gefahr

Roman

Edel eBooks Ein Verlag der Edel Germany GmbH

Copyright dieser Ausgabe © 2013 by Edel Germany GmbH Neumühlen 17, 22763 Hamburg

Copyright © 1998 by Susan Andersen

Published by Arrangement with Susan Andersen

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel "Baby, I'm Yours"

Ins Deutsche übertragen von Gabriele Werbeck

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München

Konvertierung: Jouve

Inhaltsverzeichnis

TiteleiImpressumProlog1234567891011121314151617181920212223242526Epilog

Prolog

Sam McKade rannte durch die Abflughalle und erreichte den Flugsteig gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Flug Nummer 437 in Richtung Startbahn davonrollte. Frustriert hielt er in seinem Lauf inne.

»Verflucht noch mal!«, sagte er laut und hieb wütend mit der Faust in die Luft, dann drehte er sich um und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Er starrte ins Leere, schien nicht einmal zu bemerken, dass die Leute einen weiten Bogen um ihn machten, als sie links und rechts an ihm vorbeieilten.

Er hatte das dringende Bedürfnis, auf irgendetwas einzuschlagen. Mann, wie gern hätte er jetzt auf etwas eingeschlagen! Gerade hatte sich ihm eine einmalige Gelegenheit geboten ... und dann war sie ihm durch die Lappen gegangen, einfach so.

Er versuchte sich zu beruhigen und sagte sich, dass er die Sache von der positiven Seite betrachten musste. Es war schließlich reiner Zufall gewesen, dass er Kaylee MacPherson entdeckt hatte. Er hatte sich auf dem Rückweg von North Carolina befunden, wo er sich mit ein paar Leuten von der Bank getroffen hatte, um die Finanzierung der großen Fischerhütte zu besprechen, die er kaufen wollte, und das Letzte, womit er gerechnet hätte, war, dass ihm am Flughafen ausgerechnet eine Kundin des Kautionsverleihers, für den er arbeitete, über den Weg laufen würde. Jedenfalls war sie plötzlich hier aufgetaucht, und während er wie angewurzelt dagestanden und ihr verblüfft nachgesehen hatte, war sie mit einem atemberaubenden Hüftschwung, der ihr bei jedem Schritt den Koffer gegen die wohlgeformte Wade stoßen ließ, durch die Flughafenhalle gestöckelt.

Er hatte seinen Augen nicht getraut und deshalb nicht schnell genug geschaltet. Aber eine Verwechslung war ausgeschlossen – als er ein paar Tage zuvor im Büro des Kautionsverleihers einen Scheck abgeholt hatte, war sein Boss gerade dabei gewesen, mit dieser MacPherson eine Vereinbarung zu treffen, dass er zu ihrer Anhörung kommen würde, um die Kaution zu hinterlegen. In ganz Miami gab es keine zwei Frauen, die Haare von dieser Farbe oder eine solche Figur hatten, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Und Sam wusste nur zu gut, dass sie gegen die Kautionsauflagen verstieß, wenn sie sich aus Florida entfernte.

Siehst du, hatte er gedacht, es gibt also doch einen Gott. Mit der Prämie, die auf ihre Kaution ausgesetzt war, war die Finanzierung der Hütte gesichert. Und dann hieß es: Lebt wohl, ihr miesen Kleinganoven und ihr engen, heruntergekommenen Straßenzüge, in denen sich die Hitze staute, und Hallo, beschauliches Leben an frischen, nebligen Vormittagen in freier Natur. Es wäre ein echter Glücksgriff gewesen.

Aber der Ausgang der Geschichte zeigte wieder einmal, was passierte, wenn man die vor einem liegende Aufgabe unterschätzte. Es bestätigte auf unerfreuliche Weise, dass es mit dem Spruch »Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben« schon seine Richtigkeit hatte – wie war er nur auf die Idee gekommen, dass es ein Kinderspiel für ihn sein würde, sich diese MacPherson zu schnappen?

Obwohl sie so dumm war, dass sie nicht einmal den Versuch unternommen hatte, etwas weniger aufzufallen oder ihr Aussehen zu verändern, geschweige denn, dass sie unter einem falschem Namen gereist wäre. Himmel noch mal, wenn man sie nur sah, meinte man beinahe das aufreizende Geräusch zu hören, mit dem sich ihre wohlgeformten Schenkel bei jeder Bewegung am Stoff des hautengen Stretchkleides rieben. Gar nicht zu reden von dieser unglaublichen roten Mähne, die leuchtend aus der Menge hervorstach. Genauso gut hätte über ihrem Kopf eine Reihe blinkender Neonpfeile angebracht sein können, um ihm den Weg zu weisen. Er brauchte sich nur an all den sich die Hälse verrenkenden Männern zu orientieren, um sie im Blick zu behalten.

Geholfen hatte ihm all das allerdings nicht.

Er hatte nicht damit gerechnet, dass ihn bei der Sicherheitskontrolle ein übereifriger neuer Angestellter aufhalten würde, und das war einzig und allein sein Fehler. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als sich ein Flugticket nach Seattle zu kaufen und zu versuchen, ihre Spur dort wieder aufzunehmen, was sicher ein ziemlich hoffnungsloses Unterfangen war. Mann, jetzt könnte er wirklich eine Zigarette brauchen. Was für ein idiotischer Zeitpunkt, um mit dem Rauchen aufzuhören.

Er rief im Büro an und teilte mit, wohin er unterwegs war, außerdem veranlasste er, dass man ihm die Kautionsvereinbarung der Flüchtigen nachschickte, und er ließ sich alle verfügbaren Informationen über MacPherson geben. Anschließend begab er sich zum Ticketschalter, wo man eine gute Nachricht und eine schlechte Nachricht für ihn hatte. Die gute Nachricht war, dass es einen Flug gab, mit dem er nur knapp eine Stunde später als MacPherson in Seattle ankommen würde. Die schlechte Nachricht war, dass damit sein Budget fast völlig ausgeschöpft war. Nun, das ließ sich nicht ändern.

1

Als es an der Tür läutete, war Catherine MacPhersons erster Impuls, nicht darauf zu reagieren. Ihr war einfach nicht nach Gesellschaft zumute.

Andererseits war Selbstmitleid eine ziemlich unschöne Eigenschaft, und noch dazu verursachte es ihr Schuldgefühle – auch wenn sie sich selbst die Erlaubnis erteilt hatte, einen ganzen Tag lang in ihrem Unglück zu schwelgen. Wieder läutete es, durchdringender dieses Mal, und da gewann Catherines jahrelang geübte Selbstdisziplin die Oberhand. Sie ging zur Tür und öffnete.

Die Letzte, die sie auf ihrer Schwelle zu sehen erwartet hätte, war ihre Zwillingsschwester. »Kaylee«, war alles, was sie in ihrer Verblüffung herausbrachte, und dann stand sie nur noch da und starrte ihre Schwester an.

»Überraschung!«, rief Kaylee mit der heiseren Altstimme, die sie sich antrainiert hatte, als sie beide fünfzehn Jahre alt gewesen waren. Der Riemen ihrer Tasche rutschte ihr von der Schulter, und sie stieß mit ihrem Koffer gegen den Türrahmen, als sie ihn in den Flur bugsierte. Dort ließ sie Tasche und Koffer fallen, schloss Catherine in die Arme und drückte sie in einer Wolke aus Parfüm fest an sich.

Catherine erwiderte die Umarmung ihrer Schwester, konnte allerdings nicht verhindern, dass gleichzeitig eine leise Stimme in ihrem Kopf flüsterte: Oh, oh. Ich wittere Unheil. Sie klopfte Kaylee auf die Schulter, dann befreite sie sich aus ihren Armen und trat einen Schritt zurück.

Kaylee sah sich im Flur um und warf einen Blick ins Wohnzimmer, um sich anschließend mit einer spöttisch hochgezogenen Augenbraue wieder Catherine zuzuwenden. »Wie ich sehe, bist du wie eh und je die ordentliche kleine Hausfrau«, sagte sie mit amüsiertem Unterton. »Alles hübsch sauber aufgeräumt.«

Diese Bemerkung wirkte auf Catherine wie ein Schlag in die Magengrube, und sie erwiderte steif: »Ehrlich gesagt sieht es hier sonst nicht so ordentlich aus. Ich wollte gestern Abend nämlich nach Europa fliegen, aber als ich am Flughafen ankam, musste ich feststellen, dass der Reiseveranstalter Pleite gemacht hat und ich mein Geld in den Wind schreiben kann.«

»Auweia«, sagte Kaylee mitfühlend.

»Ich habe lange für diese Reise gespart, Kaylee.« Catherines Kinn begann zu zittern, sie riss sich jedoch zusammen und biss die Zähne aufeinander, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte.

»Ja, das ist wirklich Pech«, sagte Kaylee. Dann zuckte sie mit den Schultern und fuhr munter fort: »Aber damit wirst du schon fertig, Schwesterherz. Das ist dir doch bis jetzt immer gelungen.« Sie nahm eine zierliche Skulptur in die Hand, die auf einem kleinen Tisch im Flur stand, betrachtete sie einen Augenblick lang ohne großes Interesse und sah wieder ihre Schwester an. »Die Sache ist die, Catherine« – sie stellte die Skulptur vorsichtig zurück – »ich stecke ziemlich tief in der Klemme.«

Na, das ist ja mal was ganz Neues, ging es Catherine unwillkürlich durch den Kopf, wobei ihr klar war, dass diese Art von Sarkasmus kein besonders gutes Licht auf ihren Charakter warf, aber sie war momentan einfach nicht in der Lage, ein entsprechendes Maß an Mitgefühl aufzubringen. Es war kein Zufall, dass sie sich einen Wohnort ausgesucht hatte, der so weit wie möglich von dem ihrer Schwester entfernt lag, wenn sie denn schon auf dem gleichen Kontinent leben mussten.

So lange Catherine denken konnte, hatte man es ihr überlassen, sich der Probleme anzunehmen, die in der Familie auftauchten. Sie hatte keine Ahnung, wie es dazu gekommen war, aber im Grunde lief es immer darauf hinaus. Bevor irgendeine Sache erledigt werden konnte, musste sich erst jemand finden, der das zu übernehmen gewillt war – und niemand sonst aus ihrer Familie hatte sich jemals freiwillig dazu bereit erklärt. Ihr Vater war für gewöhnlich unterwegs, um einen seiner Pläne zu verfolgen, die ihm zu schnellem Reichtum verhelfen sollten, und alles andere war ihm egal, sollte sich doch darum kümmern, wer wollte. Ihre Mutter war taub gewesen und hatte kaum etwas anderes im Kopf gehabt als ihre fundamentalistische kirchliche Gemeinde, und wenn sie sich hin und wieder einmal Catherine und Kaylee zuwandte, dann nur, um sie vor den Gefahren zu warnen, die sie mit der Zurschaustellung ihrer sündigen Körper heraufbeschworen. Derartige Ermahnungen waren mit nervtötender Regelmäßigkeit erfolgt, die Probleme des täglichen Lebens dagegen hatte sie einfach nicht zur Kenntnis genommen. Es war an Catherine hängen geblieben, dafür zu sorgen, dass die Stromrechnung bezahlt wurde und etwas zu essen auf den Tisch kam. Genauso war es an ihr hängen geblieben, Kaylee aus der Klemme zu helfen, wenn ihre Zwillingsschwester wieder einmal Mist gebaut hatte.

Während ihrer Kindheit und Jugend hatte Catherine sich viele Dinge gewünscht, am meisten aber, dass ihre Mutter nicht ständig von ihren sündigen Körpern reden würde. Diese Predigten hatten bei ihr dazu geführt, dass sie Komplexe entwickelte, was ihren Körper betraf, Kaylee aber hatten sie dazu getrieben, von dem ihren so viel zu zeigen, wie es das Gesetz gerade noch erlaubte. Ihre Schwester schien nach dem Motto zu handeln: Wenn sie es dir verbieten, dann tu es. Und wenn du dich gut dabei fühlst, dann tu es, bis du’s überdrüssig bist.

Schon der Gedanke daran machte Catherine müde. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte sie den größten Teil ihrer Energie darauf verwendet, das Porzellan, das Kaylee zerschlagen hatte, notdürftig wieder zusammenzuflicken. Man konnte selten davon ausgehen, dass ihre Schwester zuerst dachte und dann handelte. Catherine musste nicht einmal die Augen schließen, um eine ganze Reihe solcher Vorfälle wie in einem Videoclip vorbeiziehen zu sehen.

Um Catherines Geduld war es bei weitem nicht mehr so gut bestellt wie früher, das änderte allerdings nichts daran, dass sie wie ein Pawlowscher Hund darauf konditioniert war, auf bestimmte Reize zu reagieren. Was bedeutete, dass sie sofort anfing, nach Lösungen zu suchen, sobald sie mit einem Problem konfrontiert wurde. Und auch jetzt verspürte sie diese allzu vertraute unerfreuliche Mischung aus Liebe, Ärger und Frustration. Sie unterdrückte einen Seufzer und bückte sich nach dem Koffer ihrer Schwester. »Komm mit in die Küche«, sagte sie resigniert, »und erzähl mir alles von Anfang an.«

»Du hast was belauscht?«, fragte sie kurze Zeit später fassungslos. Sie wandte sich halb um und sah ihre Schwester über die Schulter an.

»Wie von einem Mord geredet wurde.«

»Mein Gott, dann habe ich mich also nicht verhört.« Catherine drehte sich wieder zum Herd, um den Wasserkessel aufzusetzen. Sie war so entsetzt, dass ihre Finger wie gelähmt waren, und der Wasserkessel stieß mit einem lauten Knall gegen den Gasbrenner, als sie ihn auf die Flamme stellte. Als sie die Teetassen zum Tisch trug, konnte sie nicht verhindern, dass sie leise auf den Untertassen klapperten, und das Sonnenlicht, das durch die Jalousie fiel, kam ihr plötzlich viel zu grell vor. »Wann? Wo? Wer soll ermordet werden?«

Kaylee betrachtete ungläubig die Tasse mit dem zarten Blumenmuster, die Catherine vor ihr auf den Tisch stellte, dann blickte sie auf und sah ihre Zwillingsschwester an, die mit blassem Gesicht vor ihr stand. »Tee?«, fragte sie ungläubig. »Ich erzähle dir gerade, dass ich gehört habe, wie ein Mord geplant wird, und du setzt mir Tee vor? Du lieber Himmel, Cat. Hast du nicht ein bisschen was Stärkeres? Scotch oder Bourbon vielleicht – irgendwas in der Art?«

Du lieber Himmel, Caty. Es war die Stimme ihres Vaters, die Catherine hörte, und sie konnte ihn förmlich vor sich sehen, strotzend vor Gesundheit und stets ein Lächeln auf den Lippen. Du lieber Himmel, Caty, du musst lernen, ein bisschen gelassener zu sein. Ich bin überzeugt, dass du uns etwas Leckeres zum Abendessen zaubern kannst. Du tust ja gerade so, als hätte ich das gesamte Haushaltsgeld auf den Kopf gehauen.

Catherine verkniff sich die Bemerkung, dass es noch ein bisschen früh zum Trinken war. Stattdessen erhob sie sich schweigend und ging zum Schrank, wo sie die Flasche Whiskey aufbewahrte, die von Weihnachten übrig geblieben war. Sie reichte sie Kaylee und sah ihr dabei zu, wie sie die Verschlusskappe abdrehte und einen kräftigen Schuss in ihre Teetasse goss. Schließlich setzte sie sich ihrer Zwillingsschwester gegenüber an den Tisch.

Kaylee nahm einen großen Schluck, ließ ihn durch ihre Kehle rinnen und hüstelte ein paarmal. Dann blickte sie Catherine über den Tisch hinweg an. Als sähe sie ihre Schwester zum ersten Mal, zog sie einen Mundwinkel nach oben und schüttelte den Kopf. »Weißt du was, Cat, du ziehst dich an wie eine Nonne. Mama wäre bestimmt stolz auf dich.«

Catherine sah an sich hinunter. Es ließ sich nicht bestreiten, dass ihre weiße Bluse nicht gerade auf Figur geschnitten war, aber es war ihr einfach unangenehm, wie viel Aufmerksamkeit ihr Busen auf sich zog, wenn sie etwas Enganliegendes trug. Die Radlerhose aus Lycra saß dagegen wie eine zweite Haut. Sie musterte ihre Schwester, die vom Dekolletee bis knapp über den Po in Stretch gehüllt war und hochhackige Pumps trug, wogegen ihre eigenen Füße in Turnschuhen steckten, und musste zugeben, dass sie im Vergleich zu Kaylee vermutlich ziemlich spießig aussah. »Willst du dich wirklich über meine Garderobe unterhalten?«

»Nein, eigentlich nicht. Wo waren wir stehen geblieben?« Im nächsten Augenblick wischte Kaylee die Frage mit einer wegwerfenden Geste ihrer schlanken Finger mit den feuerrot lackierten Nägeln beiseite. »Egal, ich fange einfach von vorn an. Also, vor drei Tagen hing ich im Club fest, ich hatte kein Auto, weil diese Schlampe ... aber das ist eine andere Geschichte, ein Kinkerlitzchen im Vergleich zu den Schwierigkeiten, in denen ich jetzt stecke.«

Bei dem Club handelte es sich um die Tropicana Lounge, wo Kaylee als Showgirl arbeitete. Soweit Catherine wusste, hieß das, dass Kaylee im Takt mit den anderen Showgirls über eine Bühne stöckelte und dabei ein Kostüm trug, das aus viel Kopfputz und wenig Stoff bestand. Ihre Mutter hatte Kaylee immer als Tänzerin bezeichnet, offenbar war sie der Meinung, dass das weniger anzüglich klang. In ihren Augen war »Showgirl« gleichbedeutend mit »Stripperin«. So etwas war typisch für ihre Mutter gewesen.

»Das Trop ist wirklich in Ordnung«, fuhr Kaylee fort. »Nur liegt die Garderobe der Tänzerinnen gleich neben dem Männerklo, und ich kann dir sagen, Cat, die Wand dazwischen ist wirklich sehr dünn. Es gibt einige Körperfunktionen, von denen ich lieber nichts gewusst hätte.« Sie zuckte die Achseln. »Wie dem auch sei, ich saß jedenfalls herum und wartete darauf, dass Maria endlich aufhörte, draußen in der Bar mit diesem Typ zu flirten, und mich nach Hause fahren würde, da hörte ich plötzlich Hector Sanchez, den Besitzer des Clubs, auf der anderen Seite der Wand mit jemandem reden. Er unterhielt sich mit Chains über Alice Mayberry, mit der er, wie jeder wusste, eine heiße Affäre laufen hatte. Ich spitze also die Ohren in der Hoffnung, dass ich gleich ein paar pikante Einzelheiten serviert bekomme, aber stattdessen höre ich, wie Hector Chains auf sie ansetzt.«

»Auf sie ansetzt«, wiederholte ihre Zwillingsschwester mit schwacher Stimme.

»Er wollte, dass er sie umbringt, Catherine, aus dem Weg räumt. Mein Boss gab einen Mord in Auftrag... und Jimmy ›Chains‹ Slovak sollte ihn ausführen. Er ist der Sicherheitschef des Trop. Und, äh« – sie räusperte sich und warf ihrer Schwester einen verunsicherten Blick zu – »er ist der Boss von meinem Freund Bobby LaBon.«

Catherine verschluckte sich an ihrem Tee und setzte hastig die Tasse ab. »Dein Freund? Dein Freund arbeitet für einen Auftragskiller?«

»Bobby ist Rausschmeißer, Cat. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, dass Chains ein Auftragskiller ist. Verdammt noch mal, das ist er ja auch nicht. Zumindest war er es bis jetzt nicht, soviel ich weiß.«

Catherine hörte ihr gar nicht mehr zu. Sie starrte ihre Schwester fassungslos an. »Und da kommst du zu mir? Kaylee, hast du völlig den Verstand verloren? Dir muss doch klar sein, dass diese Typen dich hier zuallererst suchen werden.«

»Nein, werden sie nicht.« Kaylee zog die Augenbrauen zusammen. »Und was meinst du eigentlich mit ›diese Typen‹, Catherine? Du klingst schon genauso wie Mama.«

»Tue ich nicht. Ich werde einfach ein bisschen nervös, wenn du mir Auftragskiller ins Haus schleppst.«

»Mensch, jetzt mach aber mal einen Punkt. Sanchez und Jimmy Chains wissen nicht einmal, dass es dich überhaupt gibt.«

»Ach ja? Und was ist mit deinem Freund, Kaylee? Du hast doch gesagt, er arbeitet für diesen Chains, diesen – entschuldige bitte, wenn ich mich wiederhole – Auftragskiller, und er wird ja wohl einiges von mir wissen.«

»Nein, eigentlich weiß er nichts.«

Catherine spürte, wie die Verspannung in ihrem Rückgrat etwas nachließ. »Verstehe.« Sie nickte. »Ein neuer Freund, was?«

Kaylee sah Catherine mit ihren großen grünen Augen an und blinzelte verwirrt. »Aber nein, Cat, wir sind schon lange zusammen. Mindestens vier Monate.«

Mindestens vier Monate. Das muss man sich mal vorstellen. Catherine bemühte sich um einen freundlichen und gelassenen Ton, als sie fragte: »Und in all der Zeit hast du dich kein einziges Mal veranlasst gefühlt, von deiner Zwillingsschwester zu erzählen?«

Kaylee zuckte mit den Schultern. »Nicht wirklich. Wenn wir zusammen sind, reden wir meistens nicht besonders viel, falls du verstehst, was ich meine.«

Catherine verstand nur zu gut – das Wissen um Kaylees zügelloses Sexualleben hatte dazu geführt, dass sie sich die wenigen Male, als sie selbst den Kopf zu verlieren drohte, im Zaum gehalten hatte. Was, wenn sie sich gehen ließ und wie ihre Schwester wurde? Die Vorstellung erschreckte sie zutiefst und hatte sie dazu gebracht, sich wenn auch nicht gerade Keuschheit, so doch zumindest Zurückhaltung aufzuerlegen.

Kaylee kramte in ihrer Handtasche und holte eine Puderdose hervor. Als sie nach einer kritischen Musterung ihres Spiegelbilds aufsah und Catherines Gesichtsausdruck bemerkte, versicherte sie ihr hastig: »Ich meine, es ist nicht so, dass wir nie miteinander reden. Wir haben uns schon über alles Mögliche unterhalten. Ich weiß zum Beispiel, dass er mehrere Brüder hat, und er weiß, dass ich eine Schwester habe. Wir sind bloß nie dazu gekommen, Einzelheiten über unsere Familien auszutauschen. Oder unsere Adressbücher.« Sie klopfte selbstzufrieden auf die große Tasche in ihrem Schoß. »Und ich habe darauf geachtet, meines mitzunehmen, als ich abgehauen bin.« Sie war offensichtlich stolz auf ihre Umsichtigkeit.

Es kostete Catherine einige Mühe, nicht mit den Zähnen zu knirschen. Sie strich sich die Haare aus der Stirn, stützte sich mit dem Ellbogen auf den Küchentisch und sah ihre Schwester an. »Ich bring das alles nicht zusammen. Kannst du noch mal von vorne anfangen und ganz langsam dieses Mal?«, bat sie mit ruhiger Stimme.

»Okay. Bobby hat mich an meinem ersten Abend im Tropicana auf der Bühne gesehen und, na ja, irgendwie hat es zwischen uns sofort gefunkt, verstehst du? Ach, ich wünschte, du könntest ihn sehen, Schwesterherz«, fuhr sie schwärmerisch fort. »Er sieht einfach toll aus, er ist mindestens ein Meter fünfundachtzig groß, hat ganz schwarze Haare und unglaublich breite Schultern, und seine Augen erst, die sind einfach zum Niederknien, so –«

»Kaylee! Es ist mir egal, welche körperlichen Vorzüge dein Liebhaber hat. Erzähl mir von der Sache mit Alice Mayberry.«

»Okay, klar, wo war ich stehen geblieben?« Sie strengte sich an, den Faden an der richtigen Stelle wieder aufzunehmen. »Ach ja. Also, zuerst habe ich es für einen schlechten Witz gehalten, als ich hörte, wie Hector Chains Geld dafür bot, dass er Alice um die Ecke bringt, verstehst du? Ich meine, Hector und Alice waren die ganze Zeit ein Herz und eine Seele gewesen, und ich dachte, das ist nur Gerede, so wie man sagt: ›Manchmal würde ich meiner Freundin am liebsten den Hals umdrehen‹ –«

»Was genau hat Sanchez gesagt?«

»Er sagte, Alice mache ihm Scherereien, und er würde Chains zehntausend Dollar dafür geben, dass er das Problem aus der Welt schafft. Und er hat ihm erklärt, wo er die Leiche vergraben soll, wenn er den Auftrag ausgeführt hat.«

»Und das hast du für einen Witz gehalten?«

»Na ja... ja. Ich meine, wer würde so etwas denn ernst nehmen? Solche Dinge passieren doch nur im Film.«

»Was hast du dann gemacht?«

»Ich habe mich nach Hause fahren lassen.«

Catherine gab ein Stöhnen von sich und stand auf, um ihre Teetasse auszuspülen – nicht aus einem plötzlichen Bedürfnis nach Reinlichkeit heraus, sondern um sich davon abzuhalten, über den Tisch zu langen und ihre Schwester kräftig zu schütteln. Wie konnte Kaylee ein solches Gespräch mit anhören und dann einfach nach Hause gehen? Es war wirklich kaum zu glauben, dass sie und ihre Schwester von derselben Eizelle abstammten. Catherine bezweifelte, dass es irgendwo auf der Welt zwei unterschiedlichere Menschen gab.

»Catherine, denkst du tatsächlich, ich hätte mich seelenruhig auf den Weg nach Hause gemacht, wenn ich geglaubt hätte, dass es die beiden ernst meinen?«

Catherine holte tief Luft, um sich zu beruhigen, stellte die saubere Tasse auf das Abtropfgestell und drehte sich zu ihrer Schwester um, die sie mit vorwurfsvollem Blick ansah. »Nein, natürlich nicht«, sagte sie, und sie schämte sich, weil sie einen Augenblick lang tatsächlich genau das gedacht hatte. Verantwortungsbewusstsein war schließlich noch nie Kaylees starke Seite gewesen. »Und vielleicht hast du ja Recht. Vielleicht war es ja wirklich bloß leeres Gerede.« Sie krümmte sich innerlich bei diesen dürftigen Worten, und ihr war klar, dass sie sich reinem Wunschdenken hingab. Kaylee war den weiten Weg nicht zum Spaß gekommen.

»Das hatte ich auch gehofft«, sagte Kaylee. »Aber ich habe Alice mindestens ein Dutzend Mal angerufen, und sie war nie da. Und zur Arbeit ist sie auch nicht mehr gekommen, Cat. Und zwar, weil sie tot ist, das spüre ich.«

Catherine lehnte sich zitternd gegen die Arbeitsplatte. Es fiel ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. »Aus welchem Grund könnte Sanchez sie denn umbringen wollen? Er muss doch irgendein Motiv haben, sonst ergibt das Ganze überhaupt keinen Sinn.«

»Darüber habe ich mir auch schon den Kopf zerbrochen, und ich habe den Verdacht, dass Alice damit gedroht hat, zu Mrs. Sanchez zu gehen und ihr alles zu erzählen.«

»Warum sollte sie das tun? Das Mindeste wäre doch, dass es sie den Job kostet, oder?«

»Ja, aber Alice war ehrgeizig, sie wollte mehr als über eine Bühne staksen.«

»Tanzen«, verbesserte Catherine sie automatisch, und Kaylee bedachte ihre Schwester mit einem liebevollen Grinsen.

»Na, die Gehirnwäsche von Mama hat bei dir ja offensichtlich gut funktioniert.« Catherines Gesicht verzog sich zu einem kläglichen zustimmenden Lächeln, doch Kaylee nahm es kaum zur Kenntnis, sondern fuhr, wieder ernst geworden, fort: »Vielleicht glaubte Alice, Mr. Sanchez auf diese Weise dazu bringen zu können, Mrs. Sanchez den Laufpass zu geben und sie zu heiraten.«

Catherine umklammerte mit beiden Händen die Kante der Arbeitsplatte und sah auf ihre Schwester hinunter. »Kann sein, aber das erscheint mir immer noch nicht als ausreichender Grund, sie umzubringen.«

»In dieser Familie hat Mrs. Sanchez die Hand auf dem Geldbeutel, Cat.«

»Oh Scheiße.«

»Das kannst du laut sagen, Schwesterherz.«

»Na gut, damit hätten wir also ein mögliches Motiv. Aber wenn du in der Garderobe warst, Kaylee, mit einer Wand zwischen dir und den Männern, warum sollten sie dann auf die Idee kommen, dass du irgendetwas gehört haben könntest?«

»Ich bin hinterher draußen auf dem Flur Jimmy Chains in die Arme gelaufen.« Catherines Gesichtsausdruck veranlasste Kaylee, rechtfertigend hinzuzufügen: »Ich dachte, dass sie weg sind! Ich habe sie beide aus dem Klo gehen hören, aber Chains hatte wohl vergessen zu pinkeln oder so. Das sähe ihm ähnlich – wenn das Hirn dieses Kerls aus reinem Gold wäre, würde der Gegenwert doch nicht reichen, um damit einen Lippenstift im Drogeriemarkt zu kaufen. Aber wie dem auch sei, als ich aus der Garderobe lief, um Maria zu suchen und so schnell wie möglich zu verschwinden, kam er mir im Flur entgegen.«

»Wenn er nicht gerade der Hellste ist, hat er vielleicht gar keinen Verdacht geschöpft.«

»Von allein käme er wahrscheinlich nicht darauf«, stimmte Kaylee zu. »Aber er redet gern, und ich habe furchtbare Angst, dass er es Hector gegenüber erwähnt. Denn wenn das passiert, Catherine, bin ich genauso tot wie Alice.« Sie sah ihre Schwester an. »Ich bin nicht hysterisch, Cat. Ich habe gehört, wie Hector Jimmy erklärte, wo er die Leiche vergraben soll. Ohne Leiche kein Verbrechen. Mit Leiche – und einer Zeugenaussage, die Hector mit dem Mord in Verbindung bringt – wandert er vermutlich einige Jahre in den Knast. Ich habe jede Menge Nachrichten auf Alice’ Anrufbeantworter hinterlassen, dass sie mich zurückrufen soll. Falls Hector das Band abgehört hat und auch nur den leisesten Verdacht hegt, dass ich etwas von seinen Plänen mitbekommen habe, bin ich so gut wie tot.«

Catherine stieß sich von der Arbeitsplatte ab. »Du musst zur Polizei gehen, Kaylee.«

»Also, äh, was das angeht, Caty...« Ihre Zwillingsschwester vermochte nicht, ihr in die Augen zu sehen.

»Oh, nein.« Catherine richtete sich stocksteif auf. »Was noch? Was hast du ausgelassen?«

»Ich bin vor ein paar Tagen sozusagen verhaftet worden.«

»Du bist was?«

»Verhaftet worden. Aber es war nicht meine Schuld, Cat.«

»Nein, natürlich nicht, es ist doch nie deine Schuld, oder?« Catherine knirschte mit den Zähnen. Wie oft in ihrem Leben hatte sie diese Worte schon gehört? Das war der eigentliche Grund, warum sie die Stelle an der Briarwood School angenommen hatte, als sie ihr vor vier Jahren angeboten worden war. Seattle schien so wunderbar weit weg von Miami zu sein. »Es wäre wirklich schön, wenn du nur ein einziges Mal die Verantwortung für das, was du tust, übernehmen würdest, bevor wir beide ins Grab steigen«, sagte sie verbittert. Mein Gott. Sie musste nur fünfundzwanzig Minuten mit ihrer Schwester zusammen sein, und schon war es so, als wäre sie niemals weggegangen. Das war nicht gerecht.

Aber es ließ sich wohl nichts daran ändern.

»Jetzt schwing dich hier bloß nicht zum Moralapostel auf, Catherine«, blaffte Kaylee zurück. »Musst du eigentlich immer ach so vernünftig sein?«

»Wann habt ihr mir denn jemals die Chance gegeben, anders zu sein?« Catherine ließ sich auf ihren Stuhl fallen und funkelte ihre Schwester über den Tisch hinweg an. »Schließlich war immer ich es, die hinter dir die Scherbenhaufen zusammenkehren musste.«

»Jaja, schon gut, vielleicht war ich früher manchmal nicht – wie hast du es noch mal genannt – verantwortungsbewusst genug. Aber das ist doch Schnee von gestern, und dieses Mal kann ich wirklich nichts dafür, das musst du mir glauben. Die Verhaftung war nichts weiter als ein Missverständnis. Bobby musste etwas außerhalb der Stadt erledigen, und er hat mir sein neues Auto geliehen. Leider stellte sich heraus, dass er es gar nicht verleihen kann, weil es ihm nämlich nicht gehört, und das Ganze endete damit, dass man mich des Autodiebstahls beschuldigt hat, und alles nur wegen der Aussage dieser Schlampe, die zwar keinen Charakter hat, dafür aber mit der Zulassung herumwedeln konnte.«

»Und wie – ?«

»Oh, ich habe Kaution gestellt. Aber genau das ist ja das Problem, Cat. Nach den Kautionsauflagen darf ich Florida nicht verlassen, aber nachdem mir klar geworden war, dass es sich bei Hectors Auftrag, Alice umzubringen, keineswegs nur um einen schlechten Scherz handelte, habe ich natürlich sofort mein Bankkonto abgeräumt und bin hierher gekommen.« Sie griff über den Tisch nach der Hand ihrer Schwester und drückte sie. »Cat, bitte. Die Sache ist ernst, und ich brauche deine Hilfe.«

Auf der Straße wurde eine Autotür zugeschlagen, und Catherine warf einen Blick aus dem Fenster. Zwischen ihrem Haus und dem nebenan war ein Wagen geparkt, und ein Mann beugte sich über die Fahrertür, um sie abzuschließen. Wahrscheinlich jemand, der das zum Verkauf stehende Nachbarhaus besichtigen wollte. Catherine wandte sich wieder ihrer Schwester zu. »Natürlich tue ich, was ich kann, um dir zu helfen, die Angelegenheit zu klären«, sagte sie müde. »Aber trotzdem musst du zur Polizei.«

Kaylee ließ Catherines Hand los. »Verdammt noch mal, Catherine, ich habe dir doch gerade erklärt, warum das nicht geht.«

»Nein, du hast mir erklärt, wie du in diesen Schlamassel hineingeraten bist. Tatsache ist, dass du gehört hast, wie jemand einen Mord in Auftrag gegeben hat. Einen Mord, Kaylee, der, wie du selbst sagst, inzwischen vermutlich ausgeführt wurde. Und deinen eigenen Worten zufolge bist du die Einzige, die weiß, wo die Leiche versteckt worden ist. Das, womit du diesmal fertig werden musst, ist weit davon entfernt, eine kleine Unannehmlichkeit zu sein.«

»Jetzt versuch das doch endlich zu kapieren, Catherine. Mit meiner Flucht aus Florida habe ich gegen die Kautionsauflagen verstoßen. Ich kann nicht zurück.«

»Du musst.«

Was ihre Schwester da sagte, gefiel Kaylee offensichtlich nicht besonders, und sie machte Anstalten aufzustehen, aber Catherine griff über den Tisch hinweg nach ihrer Hand und hielt sie so lange fest, bis sie sich der ungeteilten Aufmerksamkeit ihrer Schwester sicher sein konnte. »Wenn du dich nicht stellst, läufst du nicht nur vor diesem Chains weg oder deinem Bobby LaBon oder wem auch immer, sondern gleichzeitig vor dem Gesetz. Glaub mir, es wird dir nicht gefallen, wenn auf einmal auch noch der Staatsanwalt hinter dir her ist. Du brauchst jemanden, der auf deiner Seite steht.«

»Ja, ich weiß. Deshalb bin ich ja zu dir gekommen.«

»Um Himmels willen, Kaylee, ich bin Lehrerin an einer Gehörlosenschule! Was weiß ich denn schon von Auftragskillern oder davon, wie die Rechtslage in solchen Dingen aussieht? Du brauchst jemanden, der sich mit so etwas auskennt, wenn du heil aus der Sache herauskommen willst.« Als Catherine erneut einen Blick aus dem Fenster warf, stellte sie fest, dass der Mann inzwischen neben seinem Wagen stand und das Nachbarhaus betrachtete. Er hatte dunkle Haare und Augenbrauen und einen durchtrainierten Körper, der in einer leichten Hose und einem weißen Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln steckte. Er war ziemlich attraktiv und strahlte Energie und Stärke aus.

»Da musst du dir schon etwas anderes einfallen lassen«, sagte Kaylee und zog Catherines Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Ich kann nicht zurück.«

»Es gibt keine andere Möglichkeit.«

»Es muss eine geben. Wenn ich jetzt zurückgehe, wird mir keiner glauben. Sanchez ist ein angesehener Geschäftsmann und eine bekannte Persönlichkeit in der Stadt.« Kaylee rieb sich mit dem Finger über die Falte zwischen ihren Augenbrauen. »Verdammt noch mal, ich war so froh, weil ich zum ersten Mal in meinem Leben ein Engagement in einem wirklich guten Club bekommen hatte. Ich dachte, das ist meine Chance. Du musst dir etwas anderes einfallen lassen, Cat. Ich weiß, dass du das kannst – deshalb bin ich ja hergekommen.«

»Um Himmels willen, Kaylee, was erwartest du denn von mir? Denkst du vielleicht, dass ich dich unsichtbar machen kann oder nur meinen Zauberstab schwenken muss, und alles ist wieder so, als wäre nie was gewesen?«

»Deinen Sarkasmus kannst du dir sparen, Cat, ich brauche deine Hilfe! Meine Chancen stehen gleich null, wenn ich zurückgehe.«

»Tut mir Leid, aber du hast keine andere Wahl. Du hast es selbst gesagt, das hier ist eine ernste Angelegenheit. Du kannst nicht einfach alles unter den Teppich kehren.« Catherine sah, wie ihre Zwillingsschwester trotzig das Kinn in die Höhe reckte, und obwohl ihr klar war, dass Kaylee das, was sie ihr zu sagen hatte, nicht hören wollte, wiederholte sie mit zusammengebissenen Zähnen: »Du musst zurückgehen und dich stellen!«

Kaylee wich Catherines Blick hartnäckig aus und sah an ihr vorbei aus dem Fenster. Plötzlich stieß sie ihren Stuhl vom Tisch zurück und sprang auf. »Ich muss mal aufs Klo.« Sie schnappte sich Handtasche und Koffer und stöckelte mit merkwürdig unsicheren Schritten durch den Flur.

Catherine vergrub das Gesicht in den Händen. Vielleicht sollten sie erst einmal mit einem Rechtsanwalt sprechen, bevor sie die Polizei anriefen. Und wandte man sich in einem solchen Fall an die örtliche Polizei oder an die in Miami oder – Moment mal.

Warum nahm Kaylee eigentlich ihren Koffer mit, wenn sie aufs Klo ging?

Im nächsten Augenblick war Catherine bereits durch den Flur gerannt und riss die Badezimmertür auf. Sie sah gerade noch, wie sich ihre Schwester vom Fensterbrett abstieß und in den gepflasterten Hof hinter dem Haus sprang, und stürzte zum Fenster. »Kaylee!«

Es klang leider keineswegs so herrisch, wie sie gewollt hatte, weil ihr Zwerchfell schmerzhafte Bekanntschaft mit dem Fensterbrett machte. Gleichzeitig war von der Vorderseite des Hauses her ein lautes Krachen zu vernehmen, und eine männliche Stimme donnerte: »KEINE BEWEGUNG!«

Die beiden Schwestern sahen sich mit ihren identischen grünen Augen entsetzt an, während sie der Aufforderung Folge leisteten. Dann schüttelte Kaylee ihre momentane Lähmung ab und bückte sich, um das Adressbuch aufzuheben, das zwischen den anderen Dingen lag, die sie aus ihrer Handtasche um ihre Füße verstreut hatte. Sie stopfte das Bündel Geldscheine zurück, das aus dem Adressbuch gefallen war, klemmte sich dieses unter den Arm und richtete sich auf. Mit der geballten Faust beschrieb sie einen Kreis auf ihrer Brust, das Zeichen für Tut mir Leid in Gebärdensprache. Nach einem kurzen Zögern wiederholte sie noch einmal Tut mir Leid, Cat. Dann drehte sie sich um und rannte davon, ohne sich weiter um ihre Handtasche und ihren Koffer zu kümmern.

Nein!, hallte es als stummer Schrei in Catherines Kopf wider, während sie versuchte, durch das Fenster zu klettern. Sie hatte es beinahe geschafft und hoffte inständig, dass sie nicht ausgerechnet mit dem Kopf zuerst auf dem Boden landen würde, als die Badezimmertür heftig aufgestoßen wurde und gegen die Wand knallte.

»Hier geblieben, meine Liebe!« Grobe Hände legten sich mit festem Griff um ihre Hüften und zogen sie zurück ins Badezimmer.

Catherines Mund öffnete sich zu einem Schrei, doch sie brachte keinen Ton heraus. Also tat sie das Nächstbeste – in Erinnerung an das, was sie im ersten und einzigen Selbstverteidigungskurs ihres Lebens gelernt hatte. Sie holte mit dem Fuß aus und trat kräftig nach hinten. Mit tiefer Befriedigung spürte sie, wie er hart gegen das Schienbein des Angreifers prallte.

2

»Verdammter Mist!« Sam McKade hatte allmählich die Schnauze voll. Würde die Pechsträhne an diesem beschissenen Tag denn niemals ein Ende nehmen? Sein Schienbein fühlte sich an, als habe ihm der Rotschopf mit den üppigen Kurven den Knochen zertrümmert.

Ohne seinen Griff zu lockern, beugte Sam sich so weit über die Frau, dass seine Brust sich gegen ihren Rücken presste, und streckte den Kopf aus dem Fenster, durch das er sie gerade gezogen hatte. Die Sonne blendete ihn zwar, aber er entdeckte sofort den Koffer und die Handtasche auf dem Pflaster und nahm das als endgültigen Beweis, dass MacPherson tatsächlich im Begriff gewesen war, die Flucht zu ergreifen. Er richtete sich wieder auf, schlug das Fenster zu und verriegelte es. »Eins muss ich Ihnen lassen, Lady, Sie machen es einem nicht leicht.« Er zog sie ein Stück vom Fenster weg, drückte sie gegen die Wand und schob mit dem Fuß unsanft ihre Beine auseinander.

Sie gab einen erstickten Laut von sich, als seine Hände über ihre Schultern strichen und dann auf beiden Seiten an ihrem Körper entlangglitten. Als seine Finger ihre Brüste streiften, kam jedoch kein Laut mehr über ihre Lippen, und sie stand still da, so als glaube sie, dass er aufhören würde, sie abzutasten, wenn sie sich nur ruhig genug verhielt.

Sam empfand nicht besonders viel Mitgefühl – sie hatte ihn heute ganz schön in Trab gehalten und ihn mehr gekostet, als er sich leisten konnte. Er fasste um sie herum und fuhr mit seinen Händen zwischen ihren Brüsten nach oben bis zu den Schulterblättern, dann ließ er sie ohne erkennbare Regung über ihre vollen Brüste gleiten. Einen Augenblick später strichen seine Finger am elastischen Bund ihrer Radlerhose entlang und tasteten sie vorne und hinten von der Taille bis zum Schritt ab.

»Tun Sie das nicht«, stöhnte sie. »Bitte.«

»Entspannen Sie sich, Red. Alles, wofür ich mich interessiere, sind versteckte Waffen.« Er ging in die Knie, um mit den Händen über ihre Hüften zu streichen, bis zu der Stelle, wo die Radlerhose endete und blanke Haut begann, und dann wiederholte er das Ganze auf der Innenseite ihrer Beine, die lang und fest waren, mit einer Haut, weicher als Samt. Kaum war ihm dieser Gedanke durch den Kopf geschossen, als er auch schon abrupt seine Hände von ihr wegzog und sich wieder aufrichtete. »In Ordnung, Sie sind sauber. Drehen Sie sich um!«

Langsam kam sie seiner Aufforderung nach. Es hatte direkt etwas Rührendes, wie sie da vor ihm stand und sich an die Knopfleiste ihrer Bluse griff, als sei sie ein verschrecktes Mädchen, das Angst um seine Unschuld hat, dachte Sam zynisch. Man hätte beinahe glauben können, dass sie keine Ahnung hatte, warum er hier war.

»Hören Sie«, stieß sie hervor und sah mit riesigen grünen Augen zu ihm hoch, »Sie sind dabei, einen schrecklichen Fehler zu begehen.«

Er stieß ein Lachen aus, das nichts Fröhliches an sich hatte. »Was denken Sie, wie oft ich mir das schon anhören musste? Kommen Sie, wir holen jetzt Ihre Sachen. Dann können Sie das alles dem Richter in Miami erzählen.«

Dem Richter? Catherine sackte vor Erleichterung förmlich in sich zusammen. Gott sei Dank. Wenn er sie nach Florida bringen wollte, um sie dort der Justiz zu übergeben, dann war er vermutlich Polizist und nicht LaBon.

Nicht dass sie jemals in ihrem Leben auf die Idee gekommen wäre, diesen Riesenaffen für einen tollen Mann zu halten oder etwas in der Art. Es war nur so, dass sie aufgrund von Kaylees Beschreibung und in Anbetracht der Größe und der breiten Schultern des Mannes, nicht zu vergessen die dunklen Haare, angenommen hatte...

Er zerrte sie hinter sich her durch den Flur zur Vorderseite des Hauses, wo er die Eingangstür schloss und verriegelte, und dann denselben Weg zurück und durch die Küche zur Hintertür. Für den Augenblick begnügte sie sich damit, hinter ihm herzutrotten. Die Lage war nicht so schlimm, wie sie im ersten Moment befürchtet hatte; alles würde gut werden. Natürlich konnte sie sich eine bessere Entwicklung der Dinge vorstellen, zum Beispiel wenn ihre Schwester dageblieben wäre und sich freiwillig gestellt hätte. Aber zumindest hatte Catherine es mit der richtigen Seite des Gesetzes zu tun. Das war auf jeden Fall eine Erleichterung.

»Hören Sie, Sie sind dabei, einen Fehler zu machen«, wiederholte sie, als er schließlich im Hof stehen blieb. Er verstärkte den Griff um ihr Handgelenk und hielt sie mit einer Hand fest, während er sich bückte, um mit der anderen die über den Boden verstreuten Utensilien Kaylees aufzuklauben und zurück in die Handtasche zu werfen. »Sie haben die falsche Frau erwischt. Mein Name ist Catherine MacPherson. Ich bin Kaylees Zwillingsschwester.«

Einen Moment lang verharrte er regungslos. Dann richtete er sich langsam auf, so dass er sie wieder um Haupteslänge überragte. Sie stellte fest, dass seine Augen einen goldbraunen Ton hatten und sein Blick stechender war als der eines Fischadlers auf Beuteflug. Er streckte seine freie Hand aus, tätschelte ihr mit rauen Fingern herablassend die Wange und sagte trocken: »Aber sicher doch.«

»Jetzt hören Sie mir doch zu! Ich bin wirklich gerne bereit, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, aber mein Name ist Catherine MacPherson. Ich bin Lehrerin an der Briarwood School für Gehörlose, und das hier« – sie machte eine ausholende Geste, die den sonnenüberfluteten Hof und die Rückseite des Hauses einschloss – »ist mein Zuhause.«

»Sehe ich vielleicht so aus, als wäre ich minderbemittelt?«, unterbrach er sie barsch. »Das Erste, was ich gemacht habe, war, zur Briarwood School zu fahren. Und jetzt dürfen Sie dreimal raten, was man mir dort erzählt hat, Red. Ihre Schwester ist gestern zu einer Europareise aufgebrochen, die sie seit Jahren geplant hat.«

»Man hat mich um diese Reise betrogen«, sagte Catherine mit bitterer Stimme. »Und mein Name ist nicht Red, sondern Catherine MacPherson. Das heißt, für Sie Miss MacPherson.«

Sam klappte die Brieftasche auf, die er vom Boden aufgehoben hatte, und hielt ihr das Fach unter die Nase, in dem ein Führerschein mit Foto steckte. »Hier steht, dass Ihr Name Kaylee MacPherson ist.« Er klappte die Brieftasche wieder zu, wedelte jedoch weiterhin damit vor ihrem Gesicht herum. »Und Kaylee MacPherson arbeitet als Showgirl im Tropicana in Miami.«

Catherine schlug seine Hand mit der Brieftasche zur Seite. »Als Tänzerin«, verbesserte sie automatisch und hätte sich im nächsten Augenblick am liebsten die Zunge abgebissen. Ihre Mutter hatte bis zu ihrem letzten Atemzug die Augen vor den Tatsachen verschlossen und hartnäckig an dieser Bezeichnung für das, womit sich Kaylee ihren Lebensunterhalt verdiente, festgehalten, was dazu geführt hatte, dass sie auch Catherine in Fleisch und Blut übergegangen war. Als Catherine in diesem Moment damit kam, klang es allerdings so, als wollte sie sich selbst verteidigen. »Und im Übrigen steht das gar nicht auf ihrem Führerschein«, fügte sie hinzu, nur um auch das gleich zu bereuen. Das war schwach, Catherine, sehr schwach. Du machst alles bloß noch schlimmer.

Sie versuchte ihr Handgelenk mit einem Ruck aus seinem Griff zu befreien, aber er ließ sie nicht los. Stattdessen trat er einen Schritt näher auf sie zu, was sie ausgesprochen nervös machte. »Wissen Sie was«, sagte sie verzweifelt, »lassen Sie uns ins Haus gehen, und ich zeige Ihnen meinen Führerschein. Ich zeige Ihnen einen ganzen Stapel von – Was soll das denn?«

Er hatte sich plötzlich im Schneidersitz auf dem Steinboden niedergelassen und sie mit sich gezogen, so dass sie jetzt mit dem Gesicht nach unten quer über seinem Schoß lag. Mit einer Hand drückte er sie mit weit gespreizten Fingern nach unten und mit der anderen griff er nach dem Bund ihrer Radlerhose. Eine geschickte Bewegung, und er hatte sie ihr heruntergezogen. »Nach dem, was in meinen Unterlagen steht, Miss MacPherson, haben Sie eine Tätowierung, einen kleinen roten Kussmund von der Größe eines Fünfundzwanzigcentstücks, und zwar« – einer seiner Finger glitt unter den hohen Beinausschnitt ihres Spitzenslips – »genau« – er schob den zarten Stoff nach oben und legte eine wohlgerundete Pobacke frei – »hier.« Er rieb mit dem Daumen über die Stelle, um die es ging.

Catherine war wie gelähmt. Sie hatte es zweifellos mit einem Irren zu tun. Doch schon im nächsten Augenblick löste sich ihre Erstarrung, sie griff mit einer heftigen Bewegung nach hinten, grub ihre Fingernägel in seine Hand, stieß sie weg und rappelte sich hoch. Während sie noch an ihrem Slip und ihrer Radlerhose herumfummelte, um sie wieder an die richtige Stelle zu ziehen, drehte sie sich zu Sam um – wie sie befürchten musste, mit vier knallroten Backen – und funkelte ihn an. »Mein Gott«, stieß sie hervor. »Was sind Sie bloß für ein Mensch? Ich darf gar nicht daran denken, dass ich laut Lehrplan meinen Kindern beibringen muss, dass die Polizei unser Freund und Helfer ist! Es ist mir unbegreiflich, wie Sie etwas derartig... mein Gott, so etwas ungeheuer... Gemeines –«

»Na, jetzt kriegen Sie sich mal wieder ein, Red. Sie wissen, wer ich bin, und ich weiß, wer Sie sind, also lassen Sie das Theater, ja? Hier, nehmen Sie Ihre Handtasche. Wir haben schon genug Zeit vertrödelt.« Er drückte ihr die Tasche in die Hand und bückte sich, um den Koffer aufzuheben. Dann packte er sie bei der Hand und machte sich mit ihr auf den Weg um das Haus herum. »Ich habe heute noch was vor.«

Sam schob eine herabhängende Weinranke zur Seite, umrundete die Ecke des Hauses und zog seine Gefangene auf Armeslänge hinter sich her durch den Vorgarten. Wofür zum Teufel hielt sie ihn eigentlich, fragte er sich verdrossen, für einen Vollidioten vielleicht? Die Frau hatte offensichtlich zu viele Seifenopern gesehen.

Sams Mutter hatte sich ständig solches Zeug angesehen. Lenore McKade hatte in ihrer schäbigen Wohnung im vierten Stock eines Mietshauses ohne Aufzug stundenlang wie festgenagelt vor ihrem kleinen Fernseher gesessen, um nur ja keine Folge zu verpassen. Dank einer Mutter, die sich lieber Tagträumen hingab, als sich mit der Realität auseinander zu setzen, war Sam der ewig gleiche Plot von guter Schwester, böser Schwester vertrauter, als ihm lieb war. Er war auf diese Art von Geschichte schon nicht hereingefallen, als er noch ein Kind war – und er würde ganz bestimmt auch jetzt nicht darauf hereinfallen.

Hielt ihn diese MacPherson für zu blöd, um zwei und zwei zusammenzuzählen? Nicht er war es, dem es hier an Grips fehlte, wenn sie ernsthaft glaubte, sie könnte ungeschoren davonkommen, indem sie sich einfach das Make-up aus dem Gesicht wischte und sich die Haare bürstete, bis sie ihr glatt auf die Schultern fielen. Sie hatte sich einige Mühe gegeben, um ihr Erscheinungsbild etwas unauffälliger zu gestalten, das musste er ihr lassen – auch wenn es nur der Versuch war, sich dem bürgerlichen Umfeld, in dem ihre Schwester lebte, anzupassen. Aber mal im Ernst. Obwohl ihre schlichte Bluse einen gewissen Beitrag dazu leistete, das Kleidungsstück, das eine so atemberaubende Figur wie die ihre wirkungsvoll verhüllen konnte, musste erst noch erfunden werden.

»Hören Sie mir doch bitte endlich zu«, fing sie von neuem an und versuchte dabei gleichzeitig ihr Handgelenk zu befreien. »Kaylee steckt in großen Schwierigkeiten. Sie hat ein Gespräch belauscht, in dem es um den Mord an einer Frau ging, die seither verschwunden ist, und wenn die Leiche wirklich an der Stelle vergraben wurde, von der die Rede war, dann kann ihre Aussage sowohl den Mann, der den Mord ausgeführt hat, als auch den, der ihm den Auftrag dazu erteilt hat, vor Gericht bringen. Das bedeutet, dass sie ernsthaft in Gefahr ist.«

Das wird ja immer besser. Sam zerrte sie hinter sich her zu dem am Straßenrand geparkten Auto und riss die Beifahrertür auf. »Ziehen Sie Ihren Kopf ein«, sagte er und legte seine Hand auf ihren Scheitel, während er versuchte, sie auf den Sitz zu bugsieren. Ihre Haare fühlten sich unter seinen Fingern warm und geschmeidig an, und er drückte ihren Kopf nach unten, um sie zum Einsteigen zu bewegen. Er wünschte, sie würde endlich im Wagen sitzen, damit er sie loslassen konnte. Jedes Mal, wenn er sie berührte, fühlte er sich wie elektrisiert, und das gefiel ihm nicht.

Catherine gab nicht nach. Statt folgsam einzusteigen, drehte sie den Kopf und funkelte Sam von unten herauf wütend an. »Verdammt noch mal, hören Sie mir jetzt vielleicht endlich mal zu?«

»Oh, ich habe durchaus gehört, was sie gesagt haben, Red. Sie können das alles vor dem Richter wiederholen.«

»Ich will Ihren Ausweis sehen«, verlangte sie. »Und zwar sofort.« Sie zuckte innerlich zusammen, als sie sah, dass sich ein verdrossener Zug um McKades Mund legte und sich die schwarzen Brauen über den zu Schlitzen verengten bernsteinfarbenen Augen bedrohlich zusammenzogen. Er sah sie so finster an, als würde er ihr am liebsten auf der Stelle den Hals umdrehen. Catherine schluckte. »Ich will Ihren Ausweis sehen«, wiederholte sie dann entschlossen und versuchte die Wärme zu ignorieren, die in Wellen von seinem kräftigen Körper ausging.

Er fluchte zwar leise vor sich hin, nahm jedoch seine Hand von ihrem Kopf und legte sie stattdessen auf das Autodach, so dass Catherine zwischen ihm, dem Auto und der offenen Tür gefangen war, während er mit der freien Hand in seine Hosentasche griff. Er machte sich nicht die Mühe, einen Schritt zurückzutreten, und Catherine senkte den Blick und hielt ihn auf seinen Adamsapfel gerichtet, während sie wartete. War es wirklich notwendig, dass er so dicht vor ihr stand? Sie nahm den Geruch von Waschmittel wahr, der an seinem Baumwollhemd haftete, und, kaum merklich, eine Andeutung von frischem Männerschweiß.

»Hier«, knurrte er und hielt ihr seine aufgeklappte Brieftasche unter die Nase.

Sie las die Angaben zur Person. Dann blinzelte sie und las sie noch einmal mit wachsender Ungläubigkeit. »Sie arbeiten für einen Kautionsverleiher?« Zu ihrem Verdruss ließ sie ihre Stimme im Stich. Sie holte tief Luft, stieß sie aus und legte den Kopf zurück, um McKades wütenden Blick zu erwidern. »Dann sind Sie ja gar kein Polizist«, sagte sie in vorwurfsvollem Ton. Dabei wurde ihre Stimme mit jedem Wort lauter. »Sie sind nichts weiter als ein lausiger Kopfgeldjäger!«

Sam gab einen weiteren Fluch von sich. Dann murmelte er: »Für solche Spielchen habe ich jetzt keine Zeit, Lady.« Mit einer einzigen raschen Bewegung hatte er Catherine von der offenen Autotür weggezogen und einen Arm um sie gelegt. Dann schlug er die Beifahrertür zu und zerrte sie zur Fahrerseite, wo er die Tür öffnete und sie unsanft in den Wagen schob. Er quetschte sich neben sie, um sie zu zwingen, auf den Beifahrersitz zu rutschen, schlug die Tür zu und betätigte die Zentralverriegelung. »Schnallen Sie sich an«, befahl er und steckte den Schlüssel ins Zündschloss.

Als Catherine den Motor anspringen hörte, wurde sie von Panik erfasst. »Lassen Sie mich hier raus, McKade!«

Der Blick, den er ihr zuwarf, ließ sie tiefer in ihren Sitz sinken. »Ich habe gesagt, Sie sollen sich anschnallen, Red. Oder wollen Sie, dass ich das für Sie tue?«

Um nichts in der Welt würde sie ihm einen Vorwand liefern, damit er sie ein weiteres Mal mit seinen großen Händen berühren konnte. Catherine schnallte sich an. »Damit kommen Sie nicht durch, das ist Ihnen doch wohl klar.«

McKade schnaubte nur. Während er Gas gab und den Wagen vom Straßenrand lenkte, fischte er ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus der Brusttasche seines Hemdes. Er schüttelte es auf und hielt es ihr dann vors Gesicht, so dass sie es lesen konnte. Es war eine beglaubigte Kopie von Kaylees Kautionsvereinbarung. »Nach allgemeiner US-amerikanischer Rechtsprechung genügt das, um jemanden festzunehmen«, entgegnete er.

»Wenn ich Kaylee MacPherson wäre, vielleicht«, presste Catherine zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, als er in Richtung Schnellstraße abbog. »Aber ich heiße nun mal Catherine.«

»Verdammt noch mal, Red, das habe ich mir jetzt oft genug angehört. Geben Sie endlich Ruhe, oder ich stopfe Ihnen einen Knebel in den Mund.« Das würde er natürlich nicht tun. Aber nach seinen bisherigen Erfahrungen mit Frauen sollte die Drohung allein reichen. Nichts hassten Frauen mehr, als wenn man sie am Reden hinderte.

Catherine erstarrte. Jetzt reicht’s. Wut stieg in ihr auf und verdrängte jede andere Empfindung. Er will mir einen Knebel in den Mund stopfen? Einen Knebel? Das ist wirklich der Gipfel. Jetzt ist er einen Schritt zu weit gegangen.

Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich bemüht, alles richtig zu machen. Und das hatte sie nun davon: Sie saß neben einem Vollidioten, der keine Hemmungen hatte, sie mit seinen großen Händen zu betatschen und sie mit seiner körperlichen Überlegenheit einzuschüchtern. Schlimmer noch; er war genau wie ihr Vater, nur darauf aus, Geld zu machen, egal auf welche Weise ... wehe dem, der ihm dabei in die Quere kam. Na gut, dann würde sie eben nicht länger versuchen, Mr. Sam-ich-weiß-alles-McKade davon zu überzeugen, dass sie nicht die Frau war, für die er sie hielt. Stattdessen würde sie von jetzt an versuchen, die Rückreise nach Florida mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln zu verzögern. Im Augenblick war ihr zwar nicht ganz klar, wie sie das bewerkstelligen sollte, aber sie würde eine Möglichkeit finden, koste es, was es wolle. Zunächst jedoch...

Sie drehte sich zu ihm um. »Sie sind ein Schwein«, sagte sie, jedes einzelne Wort betonend. Er wandte seinen Blick für einen Moment von der Straße und nagelte sie mit seinen whiskeyfarbenen Augen geradezu auf ihrem Sitz fest. Dabei spannten sich die Muskeln in seinem Nacken und an seinen Schultern an und ließen ihn noch größer erscheinen. Aber Catherine zuckte nicht einmal mit der Wimper, im Gegenteil, sie erwiderte seinen Blick mit all der Verachtung, die sie aufbringen konnte.

»Sie machen einen Riesenfehler, McKade, und irgendwann werden Sie dafür zahlen, das verspreche ich Ihnen.«

Sam ließ ein verächtliches Schnauben hören. »Oh ja, die Sorge, dass ich die falsche Frau erwischt haben könnte, wird mich ganz sicher um den Schlaf bringen.« Er wechselte die Fahrspur und sah dann wieder zu Catherine. »Und was das Bezahlen anbelangt, Red, da müssen Sie sich schon gewaltig anstrengen. Der Tag, an dem ich mich in einer Frau wie Ihnen täusche –«

Catherine fuhr hoch. »Wie bitte? Eine Frau wie ich?«

»Eine Frau, die mit einem großen Hut und einer Hand voll Pailletten am Leib auf einer Bühne herumstolziert, um ihr Geld zu verdienen.«

»Ach, im Gegensatz zu einem ehrenwerten Bürger wie Ihnen, nehme ich an. Nun, mein Lieber, ich sage Ihnen das ja nur ungern, aber Sie sind auch nicht gerade der Traum meiner schlaflosen Nächte. Sie sind nichts als ein mieser, kleiner Kopfgeldjäger, der sich für einen Polizisten ausgibt.«

Damit hatte sie einen wunden Punkt getroffen. »Zumindest ist mir der Begriff Wahrheit nicht gänzlich unbekannt«, gab er steif zurück.

»Oh, das ist wirklich gut. Sie würden die Wahrheit nicht erkennen, wenn sie Ihnen vor der Nase herumspringen und laut Hallo rufen würde.«

Sam merkte, wie sich seine Kiefermuskeln anspannten. »Wie ich schon gesagt habe, Red. An dem Tag, an dem ich feststelle, dass ich mich in einer Frau wie Ihnen getäuscht habe, fress ich einen Besenstiel.«

»Na, dann machen Sie sich schon mal mit dem Gedanken vertraut, ihn runterzuwürgen, Freundchen«, raunzte Catherine. »Weil ich ihn Ihnen nämlich sehr bald auf einem großen Silbertablett servieren werde.«

3

Dieser Fall war erst ein paar Stunden alt und schon jetzt eine einzige Katastrophe. Mom, es ist wirklich schade, dass du nicht mehr unter uns weilst, dachte Sam grimmig, während er sich nach Kräften bemühte, seine mürrische Beifahrerin zu ignorieren und sich stattdessen auf den dichten Verkehr in der Innenstadt zu konzentrieren. Du hättest dich wirklich wunderbar unterhalten.

Die Situation enthielt nicht nur Elemente, die fester Bestandteil der Handlung von Lenore McKades Lieblingsserien waren, sie passte auch hervorragend zu ihrer pessimistischen Alltagstheorie, die da lautete: »Seiner Herkunft entkommt man nicht«.

Es war nicht so, dass sie ihm oder sonst irgendjemandem etwas Böses gewünscht hätte. Sie hatte nur einfach nicht geglaubt, dass Menschen etwas an ihrem Schicksal ändern konnten. Sie hatte sich abgeschuftet, und es hatte ihr nichts gebracht als viel Arbeit für wenig Geld, einen letzten Lohnstreifen ohne Anspruch auf Altersversorgung und den Gang zum Sozialamt. Mit anderen Worten, sie endete genau da, wo sie angefangen hatte. Also hatte sie für andere Leute gebügelt, ferngesehen und Sam erklärt, er müsse sich mit der Tatsache abfinden, dass auch er dort enden würde, wo er angefangen hatte. Der Junge mochte die Sozialwohnungsbauten verlassen, aber früher oder später würde ihm das Leben einen Fußtritt verpassen, und er wäre wieder ganz unten.

Sam hatte das anders gesehen. Er war zur Armee gegangen und Militärpolizist geworden, und mehr als zwölf Jahre lang hatte er die Prophezeiungen seiner Mutter Lügen gestraft. In einem Umfeld, in dem Gesetz und Ordnung herrschten, hatte er es zu etwas gebracht. Aber dann hatte sein Partner Gary Proscelli eine Kugel abbekommen, die für Sam bestimmt gewesen war, und war seither querschnittgelähmt..

Und Sam hatte sich gefragt, ob seine Mutter letzten Endes nicht doch Recht gehabt hatte. Man musste sich nur ansehen, was er jetzt tat.

Aber aufgeben, den Schwanz einziehen und den Dingen ihren Lauf lassen? Niemals! Er hatte den Dienst quittiert, als er erfahren hatte, dass er auf den Militärstützpunkt in Oakland versetzt werden sollte. Wer zum Teufel hätte sich denn um Gary kümmern sollen, wenn sie ihn ans andere Ende des Kontinents schickten? Wenn man aus der Armee ausschied, war das von Bergen von Papierkram begleitet, und wenn man einen Anspruch auf Invalidenrente durchsetzen wollte, musste man noch größere Berge bewältigen. Ganz zu schweigen davon, dass sein Freund jemanden brauchte, der ihm dabei half, sich in dem neuen Leben zurechtzufinden.

Gott, die Schuldgefühle, die Sam überkamen, wenn er Gary dabei zusah, wie er sein Leben wieder in den Griff zu bekommen versuchte, hatten ihn beinahe aufgefressen, und er hatte gewusst, dass er etwas unternehmen musste. Nachdem er mit Gary in eine kleine, ebenerdige Wohnung in Miami gezogen war, hatte er nach einer Möglichkeit gesucht, den Traum zu verwirklichen, den sie beide seit vielen Jahren hegten.

Sie hatten immer davon geredet, ihre fünfundzwanzig Jahre bei der Armee abzureißen und dann ihren Abschied zu nehmen und sich eine Fischerhütte zu kaufen. Von vornherein schien das ein Ziel zu sein, das in ferner, kaum vorstellbarer Zukunft lag. Als dieser Plan jedoch von derselben Kugel zunichte gemacht wurde, die Gary an den Rollstuhl fesselte, hatte Sam einen Weg finden müssen, schnell zu Geld zu kommen.

Die Aussichten für einen ehemaligen Berufssoldaten, der zwar einen High-School-Abschluss, aber kein abgeschlossenes College-Studium vorweisen konnte, waren nicht allzu rosig. Etwas Illegales kam nicht in Frage, und der Dienst im Namen des Gesetzes brachte nicht genug ein, jedenfalls nicht, wenn er ihren Plan noch irgendwann in diesem Leben in die Tat umsetzen wollte. In gewisser Weise war das bedauerlich, weil er gern Polizist gewesen wäre – zumindest war er gern bei der Militärpolizei gewesen. Aber hier ging es nicht um ihn. Es ging darum, etwas zu unternehmen, damit Garys Zukunft gesichert war. Die Arbeit als Kopfgeldjäger schien die beste Möglichkeit zu sein, schnell Geld zu verdienen. Was spielte es da schon für eine Rolle, dass Sam nicht die geringste Neigung dazu verspürte und diesen Job umso mehr hasste, je länger er ihn machte.

Er hatte es bis oben hin satt, sich tagtäglich mit dem kriminellen Teil der Einwohnerschaft von Miami auseinander setzen zu müssen. Nach eineinhalb Jahren winkte jedoch auf einmal der Lohn für seine Mühen, da wenige Wochen zuvor die Fischerhütte, von der Gary und er träumten, zum Verkauf angeboten worden war. Und zwar genau dort, wo sie ihre beste Zeit verlebt hatten, an einem abgeschiedenen Ort in North Carolina, an dem sie mehrere Jahre hintereinander ihren Urlaub verbracht hatten. Es war das Paradies auf Erden, und sie hätten nie damit gerechnet, dass es jemals zum Verkauf stehen würde.

Sam würde dafür sorgen, dass es bald ihnen gehörte. Die Anzahlung war höher, als er erwartet hatte, aber er hatte dreißig Tage Zeit, um die erforderliche Summe aufzutreiben, bevor ihre Option auslief und die Hütte an einen anderen ging.

Er warf einen Blick auf seine Gefangene, die gelangweilt aus dem Seitenfenster sah und den Verkehr beobachtete. Im Gegensatz zu den schrägen Vögeln, die er sonst einfangen musste, war sie wenigstens nicht als gewalttätig bekannt. Es hatte ihn überrascht, wie hoch ihre Kaution war. Vermutlich hatte sie das Pech gehabt, an einen Richter zu geraten, der eine Abneigung gegen die von ihr praktizierte Form von Abendunterhaltung hatte. Aber das war nicht sein Problem. Im Gegenteil, für ihn war es sogar umso besser, je höher ihre Kaution war, weil er zehn Prozent davon als Prämie kassierte, wenn er sie ablieferte.

Zuerst musste er den Rotschopf allerdings nach Miami zurückschaffen, ohne dass ihm ein weiteres Missgeschick wie das von heute Morgen widerfuhr. Sam griff nach der Straßenkarte und faltete sie auseinander.

Catherine hörte ihn vor sich hin murmeln und sah ihn verstohlen von der Seite an. Jedes Mal, wenn sie an einer roten Ampel halten mussten, was alle paar Minuten der Fall zu sein schien, beugte er den Kopf über die Karte auf der Mittelkonsole und fluchte leise vor sich hin. Sie ertappte sich dabei, dass sie auf seine große Hand starrte, mit der er die ausgebreitete Karte festhielt. Seine Finger waren lang und sahen kräftig aus, und sie beeilte sich, ihren Blick abzuwenden und wieder aus dem Fenster zu sehen, als sie feststellte, dass der Anblick der roten Kratzspuren auf Sams Handrücken sie mit tiefer Befriedigung erfüllte. Du lieber Gott. Sie hätte nie gedacht, dass sie einmal den Tag erleben würde, an dem sie sich darüber freute, jemandem irgendwelche Verletzungen zugefügt zu haben.