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Auf einem Trip nach Australien lernt die Autorin Kathy Acker 1995 McKenzie Wark kennen. Gerade ist Warks Buch erschienen, das das Leben mit globalen Medien erforscht. Die beiden verbringen intensive Tage und Nächte miteinander, denen nach Ackers Rückkehr in die USA ein zweiwöchiger E-Mail-Austausch in Hochfrequenz folgt. Mehrmals am Tag schreiben sie sich in einen Rausch, in dem sich die elektronischen Nachrichten überkreuzen und alles zum Mittel ihres transpazifischen Werbens werden kann: Alfred Hitchcock und Stofftiere, Georges Bataille und Elvis Presley, die Simpsons, Phänomenologie, Akte X, Elfriede Jelinek und das . Die Texte surren vor Sex, Politik und Kultur, Einsichten und Albernheit, über die sich intime Nähe und schmerzhaftes Missverstehen einstellen, bevor der Austausch plötzlich abbricht. Eine Liebesgeschichte in Latenz an der Schwelle zum neuen Jahrtausend, geschrieben von und für Queers, Nerds und Buchverrückte.
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Seitenzahl: 170
Veröffentlichungsjahr: 2022
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KATHY ACKER, MCKENZIE WARK
Herausgegeben und mit einer Einleitung von Matias Viegener, Nachwort von McKenzie Wark
Aus dem Englischen von Johanna Davids
August Verlag
Einleitung
Matias Viegener
E-Mails 1995/96
Kathy Acker, McKenzie Wark
Dünn, perfekt, böse
McKenzie Wark
Matias Viegener
Vor Ihnen liegt die erhalten gebliebene Korrespondenz zwischen Kathy Acker und McKenzie Wark. Diese E-Mails wurden hastig geschrieben, beiläufig und oft indirekt; sie kreuzten sich „auf dem Postweg“ und sowohl die Abfolge als auch die Verweise sind geeignet, die Leser*innen zu verwirren. Die Verfasserinnen kannten sich kaum, die Korrespondenz hält etwas länger als zwei Wochen an, und ihre Beziehung überdauerte die letzte der Mails nur um wenige Wochen. Man könnte fragen, warum man sie überhaupt veröffentlichen sollte, und das habe ich mich auch gefragt, aber erst, nachdem eine Romanautorin, die McKenzie Wark und ich (und Kathy Acker) sehr schätzten, unsere Bitte um ein Vorwort ablehnte. Nachdem sie zunächst sehr enthusiastisch war, fand die Autorin den E-Mail-Wechsel bei näherer Lektüre zu persönlich. In ihrer Ablehnung erklärte sie, es fühle sich allzu sehr an, als würde sie in anderer Leute Unterwäsche herumwühlen.
Ist dies ein schrecklicher Fehler? Ich zog mich zurück, um nochmals abzuwägen. Ich las alles erneut. Die E-Mails sind persönlich, aber sie geben uns kaum einen Einblick in die Leben der Schreibenden. Vieles von dem, was sie offenlegen, lässt sich leicht in den publizierten Werken der Verfasserinnen finden. Sie tratschen ein wenig über ihre Freunde, manche berühmt, manche nicht, aber alle interessant. Der Großteil des Inhalts beruht eher auf dem, was sie denken, als darauf, wie sie fühlen, eher auf ihren Fragen aneinander und was sie lesen, als darauf, was andere Leute gesagt oder getan haben. Teilweise lesen sich die E-Mails wie Bibliografien oder Indizes, vollgestopft mit kulturellen Denotaten, welche die Korrespondierenden innerhalb ihrer literarischen, theoretischen und popkulturellen Zeiträume verorten. Sie sprechen viel über Sex, über Geschlechterrollen, über Drag, der entschleiert und reironisiert einem vertrauten Zweck dient: flirten.
Die E-Mails markieren den Weg zweier Menschen in einem kurzen Zeitabschnitt. Wenn Sie wissen möchten, wie scharfsinnige Nerds einer bestimmten Epoche jemanden umwerben, dann ist dies Ihr Buch. McKenzie Wark und Kathy Acker trafen sich im Juli 1995 in Sydney, dies sind die anschließend ausgetauschten E-Mails. Von Liebesbriefen zu sprechen, würde ihren Tenor und ihre Auswirkungen überhöhen, aber in ihnen liegt ein unwiderstehlicher, verführerischer Sog. Keine Liebesbriefe, aber ganz sicher absichtsvoll geschrieben: Die Erzählung bewegt sich indirekt vorwärts, stößt vor und wehrt ab, Nachrichten geraten durcheinander und in eine Sackgasse. Diese wird erst überwunden, als Acker bekennt, Wark habe es ihr „sehr angetan“. Wenn Briefe am besten für Liebe geeignet sein sollten, dann sind E-Mails wohl am besten für Schwärmerei. Was Sie vor sich haben, ist nicht das Artefakt einer Affäre, sondern einer Verführung. Über das, was nach dem Ende der E-Mails geschah, wird McKenzie Wark vielleicht sprechen, wenn sie das möchte (Wark, in den Mails als „Ken“ angesprochen, hatte ihre Transition zwei Jahrzehnte später). Es genügt hier wohl zu sagen, dass sie sich noch einige Male sahen, aber andere Dinge dazwischenkamen, und dass Kathy Acker zwei lange Jahre später an Krebs starb.
Nicht, dass Sie denken, dies wäre ein Zeugnis von Kathy Ackers letztem Anlauf in Sachen Liebe. Der war ein Jahr später, hat jedoch weniger textuelle Spuren hinterlassen. Sexuelles Begehren, Verführung und romantische Obsessionen waren für viele von Ackers Texte zentral, ebenso bildeten sie einen roten Faden in ihrem Leben. Sie filterte ihr Leben durch ihre Manuskripte. Das war kein Zuschlagstoff in ihrem Werk, es war die Substanz.
Ich rufe D in Los Angeles an willst du mit mir schlafen wann und wo denn warum verbringst du nicht ein paar Tage mit mir ich ruf dich morgen an. Kein Anruf drei Tage später bin ich wahnsinnig ich muss D sehen ich kenne ihn nicht Hallo ich habe eine Mitfahrgelegenheit nach Los Angeles Lüge ich weiß nicht genau wo wir übernachten können sollte ich nicht hinkommen komm her. Wir berühren uns nicht sprechen über nichts Persönliches bis wir zum Motel kommen nie über irgendwas Persönliches sprechen verbringen die Nacht zusammen ich muss am Morgen in Irvine sein ich bin beschäftigt ruf mich Freitag an. Willst du dass ich dich anrufe ja. Ich rufe Freitag an rufe Sonnabend an Sonntag hier ist Kathy O äh willst du nochmal eine Nacht mit mir verbringen bist du zu beschäftigt äh tschüss hab eine gute Zeit in New York äh tschüss.1
Zwei Absätze nach dem Beginn von Black Tarantula durchbricht Acker die von ihr benutzte Erzählstimme der Mörderin Charlotte Wood, indem sie ihr eigenes vorgefundenes Material, und natürlich dasjenige ihrer Geliebten, verwendet. Es ist ein frühes Beispiel für die Verbindung der Kraft des Plagiarismus und der Energie der Überschreitung in ihrem Werk. Diese Nutzung von autobiografischen Informationen als Rohstoff dauerte ihr ganzes Leben lang an und führte bei vielen Leser*innen zu unkontrollierbaren Ansichten darüber, wer sie war oder was sie wollte. Früh in ihrer Karriere hat Kathy Acker dem nicht nur nicht widersprochen, sondern setzte sowohl ihr Leben als auch ihren Körper in einer Art performativen Persona aktiv ein. Diese Persona war recht erfolgreich darin, Leser*innen anzuziehen, aber verursachte auch eine Reihe von Problemen mit Fremden, die diese Persona mit Kathy selbst verwechselten. Davon war sie oft genervt, denn es wurde besonders akut, wenn sie an einer*m Geliebten interessiert war.
Wenn ihre Persona ihr nicht vorauseilte, dann häufig ihr Werk. Früh in den E-Mails erwähnt Wark, dass sie eins von Ackers Büchern zufällig aufgeschlagen hat, und tippt die Passage ab:
Heißes weibliches Fleisch auf heißem weiblichen Fleisch. Und es geht nirgendwohin: Fleisch. Fleisch. Denn die Fotze öffnet und schließt sich, ein Perpetuum Mobile, ein Wunder der Wissenschaft, fortwährendes Kommen, Öffnen und Schließen ihrer selbst bis hin zu Ekstase oder Erbrechen – wird sie, werdet ihr, jemals müde? Rosen sterben schneller. Rosen sterben schneller als ihr, ihr Huren in meinem Herzen.2
Sie offenbart, dass sie Empire of the Senseless fünf Jahre zuvor gelesen und die Passage, in der Thivai über den Verlust von Liebe an den Sex sinniert, mit einem Bleistift markiert habe. Nachdem sie deren Qualitäten, den Kontrast von Schönheit und Gewalt sowie die bittersüße Spannung angesprochen hat, reflektiert Wark über Ackers Anwesenheit (oder Abwesenheit) im Text. „Aber jetzt bilde ich mir ein, dich zu fühlen, ein Perpetuum Mobile in meinen Händen, wie du dich zwischen den Zeilen verbirgst. Es gibt Teilbereiche von mir, die ich nur als weiblich in Sprache fassen kann, und diese Teilbereiche haben sich dir entblößt, sich mitunter neben dir wohlgefühlt.“3 Das Perpetuum Mobile in ihren Händen ist gleichermaßen die Tastatur wie auch das Bild ihrer Korrespondenzpartnerin und korrespondiert seinerseits mit der Ekstase der Transkription in Ackers Frühwerk: alles wird hineingegeben, nichts ausgeschlossen. In dem Austausch zwischen Acker und Wark begegnen wir der reziproken Maschinerie von Projektion und Introjektion.
Wie andere vor ihr liest Wark Acker durch ihre Arbeiten, aber anders als jene überwacht Wark bewusst ihren eigenen Prozess von Übertragung und Introjektion. Im Laufe der sich entwickelnden Korrespondenz ergibt sich ein Tango von Deutung, Anerkennung, Missdeutung und Selbsterkenntnis. Jede hat ein idealisiertes Selbst, dass sie auf die andere projizieren möchte, und jede durchleuchtet eingehend, wie sie von der Welt verkannt wird, um dann ihre Umtriebe in Sachen Drag-Tricksereien zu enthüllen. Wark offenbart ihre eigene Spielart des Masochismus und ihr Verlangen, in noch stärkerem Maße (als bisher schon) als „öffentlicher Prügelknabe“ zu dienen. Sie anerkennt die Kraft des Verkanntwerdens und zudem ihr eigenes Verlangen danach. Hier zeigt sich eine queere Energie, die sich in mehr als zwei Richtungen bewegt.
Zuvor schon hinterfragt Wark ihre Offenbarungstendenzen. „Warum erzähle ich dir das Ganze? Zum Teil, weil sich für mich das gesamte Queerness-/Identitätsding durch alles hindurchzieht, absolut alles. Zwischen hetero/homo zu schwanken ist Kinderkram verglichen mit diesem Schwanken zwischen Schreiben/Lehren/Ideenhausieren oder was auch immer. Ich vergesse, wer ich bin. Du hast mich daran erinnert, wer ich am liebsten sein will.“4 Vielleicht verweist die versteckte Anspielung auf ihr schwankendes Verhältnis auf das Alter, den Altersunterschied von vierzehn Jahren zwischen ihnen. Die E-Mails kommen häufig auf dieses Thema zurück, maskiert hinter der Frage, wer mehr von wem lernt. Beide, Acker und Wark, erheben vorzugsweise Anspruch auf die Rolle der Schülerin, und ihre Korrespondenz ist durchzogen vom Informationstransfer von der einen zur anderen, von beinahe zurückgehaltenen Fragen und mit überschwänglicher Sorgfalt formulierten Antworten. Das Thema der Übersetzung läuft vom Amerikanischen zum Australischen über Butch und Femme bis hin zu kontinentaler Philosophie, die mit den SIMPSONS verquirlt wird.
Viele von Ackers Geliebten waren älter als sie, intellektuelle Männer wie Peter Wollen und Sylvère Lotringer, deren Rollen als Lehrer ausnahmslos von der Vielfalt an Widerständen verkompliziert wurden, die sich in der Folge ergaben. Sogar Ackers Beziehungen zu gleichaltrigen Männern waren aufgeladen mit Wissensdurst. 1973 produzierten Kathy Acker und Alan Sondheim zusammen ein Video, das den Kollaps ihres Liebeswerbens dokumentiert. Das Blue Tape ist ein Kontrapunkt zu der Korrespondenz zwischen Acker und Wark, eine Reihe von bittersüßen Monologen darüber, wie enttäuscht die beiden Liebenden voneinander sind, er intellektuell und sie erotisch. Obwohl es 22 Jahre vor diesen E-Mails erschien, ist es eine Art Postskriptum zum Scheitern des Schreibens, da Acker und Sondheim sich beide auf Briefe beziehen, die sie einander schrieben, um ihr Rendezvous in New York zu arrangieren. Es ist eine Leidensfuge. Das Video endet in Stille, als Acker ihre Frustrationen mit quietschender Kreide auf einer Tafel ausbuchstabiert.
Alle intimen Nachrichten teilen die Funktion einer Verführung, mit Worten anstelle von Gesten und Bildern anstelle von Körpern. Das Ringen um Intimität in diesen Mails ist auch ein Ringen mit der Intimität, mit der Unsicherheit, was leichter ist, zu begehren oder begehrt zu werden. Keine der beiden Positionen ist einfach für unsere Korrespondierenden und sie tauschen wieder und wieder ihre Karten aus. Sogar während sie verführen, drücken beide, Acker und Wark, ihr Verlangen aus, verführt zu werden.
In Ackers Worten finden wir eine Sehnsucht danach, verstanden zu werden, die sich sehr von den Sehnsüchten ihrer Romanstimmen unterscheidet. Vielleicht ist es die Einsicht im mittleren Alter, dass die von ihr so sorgfältig konzipierte und performte Persona womöglich ein Nachleben haben könnte, das sich ihrer vollständigen Kontrolle entzieht. Wie man das erwarten würde, wünscht sie sich, dass diese neue Beziehung zwischen ihr und ihrer Gesprächspartnerin besteht, nicht zwischen Kathy Acker und McKenzie Wark. Aber von den ersten E-Mails an eilt ihr ihr Bild voraus. Um dieses Vorauseilen aufzuheben, muss sie mehr schreiben, oder sich selbst entschreiben und neu schreiben. Hier ist eine merkwürdige Logik des Supplements im Spiel, denn jede Äußerung verlangt sowohl für sich selbst als auch kumulativ gelesen zu werden. Revision und Neuschreiben werden in einer schwindelerregenden Intertextualität umgeformt: Sie werden eine veritable Jahrtausendbibliografie vorfinden, geprägt durch den Ikonoklasmus dieser zwei Autorinnen.
Acker ist sehr an McKenzie Wark interessiert, die soeben Virtual Geography veröffentlicht hat, eine Studie über die Auswirkungen der Medien auf die Erfahrung des Alltäglichen. Es beschwört eine Welt, in der Antennen die Wurzeln ersetzen und Endgeräte die Ursprünge, und es bildete das Fundament für ihre folgenden Bücher. Die Erzählkonventionen der Medien verwandeln Kriege in Videospiele sowie alltägliche Erfahrung in eine vermittelte Präsenz, in der der Reporter selbst interviewt wird, um das Ereignis vollständig zu transportieren, ein Phänomen, das Wark zuknöpft, indem sie offenlegt, wie sie selbst als Zuschauerin oder Leserin darin verwickelt ist.
Wie das Blue Tape in den 1970er Jahren ist diese Korrespondenz symptomatisch dafür, wie zwei gebildete Menschen aus einem bestimmten künstlerischen, theoretischen und politischen Milieu der 1990er Jahre einander verführen: mittels kritischer Theorie und popkultureller Referenzen. Als ein Zeitdokument zeigt sie uns einen kulturellen Moment merkwürdiger Harmonie zwischen ernsthafter Theorie und Unterhaltungskultur, eine Lingua franca, die aus dem Zusammenfluss von kontinentaler Philosophie, Psychoanalyse und postmarxistischen Cultural Studies entsteht. Unter den Dingen, über die sie sprechen, sind William Burroughs, Hitchcock, Gurdijeff, Kuscheltiere, die Musik von Portishead, die Karten des I Ging, Todd Haynes’ SAFE, Science-Fiction- und Actionblockbuster, Alphonse Lingis’ Phänomenologie, die TV-Ära von AKTE X, den SIMPSONS und BEAVIS UND BUTTHEAD; die Romane von Elfriede Jelinek, die Werke von Spinoza, Baudrillard, Judith Butler, Bataille, Blanchot, Plato und Nietzsche; die Symbolbilder Elvis Presley, Warhol und Pier Paolo Pasolini. Ihre Artikulationen von Differenzen haben eine lustvolle Dringlichkeit an sich: es sind Denkende, die in Zitaten, kritischer Theorie, Popkultur, sex, drugs, and rock and roll heimisch sind. Sowohl Wark als auch Acker arrangieren ihre Alterität planmäßig, erfüllt von Sehnsucht nach der Möglichkeit eines radikalen Andersseins. Rimbauds originäres „Ich ist ein anderer“ wird zu „wir sind andere, sogar für uns selbst“.
Die Butch/Femme-Dialektik durchzieht ihren Austausch sogar noch stärker als das Kontinuum zwischen hetero und homo bis queer. Anthropolog*innen der Zukunft werden unsere Beschäftigung mit diesen Unterscheidungen registrieren, vielleicht mit einer gewissen Belustigung, wenn sie nachvollziehen, wie Judith Butlers Das Unbehagen der Geschlechter das Queere als die letzte ethische Position im Defilee der sexuellen Revolution etabliert hat. Sowohl Wark als auch Acker sehnen sich nach einer tragfähigen Kategorie des begehrenden Selbst, in der die Vorgeschichte der eigenen sexuellen Orientierung keine Rolle spielt. Sie diskutieren das Wesen der Liebe ebenso wie Platons Symposion, fasziniert von Queers, Lesben und schwulen Männern, von alternativen Modellen – wenn nicht utopischen, dann wenigstens achtsameren. Wenn Sexualität über Bisexualität hinausgehend neu definiert wird, ist Identität keine Rubrik mehr für Sexualität. Für Wark ist Gleichheit „im Sinne vom Doppelten, exakt Gleichen, […] ein Mythos. Die ethische Frage lautet also: wie kann die Differenz fluide, offen bleiben?“5 Zwischen den beiden beobachten wir einen reizenden, lyrischen Tango in Sachen Gender, der darin kulminiert, dass Wark Acker attestiert, ein besserer Mann als Wark zu sein. Und doch, obwohl Maskulinität zu einer Art Drag wird, bleibt es immer noch das Feminine, das das gesamte Gefühl, ganz sicher den gesamten Zweifel in sich trägt, oder genauer: Acker, die das Gefühl und den Zweifel externalisiert. Sie stellt die emotionalen Fragen, gipfelnd nicht in einem Fragezeichen sondern einem Punkt, einem Apostroph, einem Erguss: Du hast es mir sehr angetan.
Die Gefühle werden freilich schnell vom Spekulieren entthront, intellektuelles Spiel, das losgelöst ist von den Beschränkungen des akademischen Diskurses. Sie bewegen sich im Schmelztiegel der kritischen Theorie des 20. Jahrhunderts, von französischem Poststrukturalismus über Gender Studies bis hin zu den Deutschen. Der spekulative Eifer spitzt sich zu, als Acker und Wark beginnen, Blanchots uneingestehbare Gemeinschaft im Verhältnis zu Batailles Verständnis der Transgression zu untersuchen. Konzepte wie diese werden gegeneinander ins Spiel gebracht und kullern im rechten Moment vom Podium, um Platz zu machen für die nächste Salve von philosophischen Wortspielen. Aber das Telos hat hier passenderweise seinen Beginn (und sein Ende) am Nicht-Ort des Flughafens und des Flugzeugs. Obwohl dieser Band in Flughäfen beginnt und endet, ist das Internet sein wahrer Schauplatz, perfekt abgestimmt auf den weitläufigen, widerhallenden Soundtrack von Portishead.
Obwohl wir uns in dieser zeitgenössischen Verknüpfung befinden, kommen wir bei der urigen Form des Briefromans an. Anders als darin geht die Unschuld hier nicht verloren, sondern wird ein ums andere Mal erneuert. Die Bremsspuren zweier Zynikerinnen, die gern glauben wollen. Zwei Menschen starren die Grabmale einer Nekrokultur nieder, während sie sich danach sehnen, die Lebensfreude zu bejahen. Ihr Problem ist, dass sie zu viel wissen, aber eben auch, dass dieses Wissen sie vor nichts schützt.
Dies ist ein Text über Transit und Transition. Beide Korrespondentinnen wollen schreibend etwas erschaffen, versuchen eine Beschwörung. Aber es gibt hier keinen Abschluss. Wark erzählte mir, dass die Mails enden, kurz bevor sie Sydney in Richtung New York verlässt, mit einem Zwischenstopp in San Francisco, um Acker zu besuchen, wonach sie beide nach New York reisten und noch etwas Zeit zusammen im Gramercy Hotel verbrachten. Es gab auch danach E-Mails zwischen ihnen, aber davon ist nur eine einzige erhalten, sie beschließt diesen Band. Folglich ist der Großteil der eigentlichen Begegnung, so nennt Wark es anstelle von Affäre, abwesend. Zum letzten Mal treffen sie sich in Ackers letztem Lebensjahr in London, nach ihrer Mastektomie aufgrund des Brustkrebses, der sie später getötet hat. In Warks Erinnerung haben sie die Performance eines HIV-positiven, schwulen Mannes besucht, der die Geschichte seiner Subsumption unter die Maschinerie der Medikalisierung erzählte. Die Aufführung fand in der Leichenhalle unter einem alten Krankenhaus statt und endete damit, dass er totengleich auf dem Tisch in einem „Schauraum“ für die Angehörigen der Toten lag. Ich erwähne dies hier, um das tragische Gewicht von Ackers Tod zu betonen, das immer noch auf allen lastet, die sie kannten.
Es war merkwürdig, das hier zu editieren und den Entschluss zu fassen, es zu veröffentlichen. Ich stieß auf meinen eigenen Namen in falscher Schreibung und korrigierte ihn, ich habe auch die Namen einiger weniger Personen geändert, deren Privatsphäre Acker nach meiner Einschätzung nicht hätte verletzen wollen. Wark hat ebenfalls einige Namen geändert. Es zeigt sich hier eine Intensität, die teils vom Medium selbst bewirkt wird, dem seinerzeit neuen Medium der E-Mail. Den heutigen Leser*innen werden die gelegentlichen Verweise auf eine für uns mittlerweile vollkommen selbstverständliche Technologie nicht entgehen. Ihr ist eine spekulative, asynchrone Qualität zu eigen, die im Widerspruch steht zu der Unmittelbarkeit, die wir heutzutage mit E-Mails assoziieren. Es ist ein Text des Auftakts, ein Text der Anfänge, eine Reihe von Notizen zu dem kurzen, geteilten Weg zweier bemerkenswerter und ikonischer Individuen unserer Zeit. Ich danke McKenzie Wark für ihre Zustimmung zur Veröffentlichung, für ihre furchtlose Hingabe an Intensität, Widersprüchlichkeit und emotionale Wahrheit. Ich bin sicher, Kathy Acker hätte zu Lebzeiten der Publikation niemals zugestimmt. Aber sie ist tot, und was genau ist es, was ein Nachlassverwalter tut, jenseits der Beantwortung von Anfragen und dem Unterschreiben von Verträgen? Vielleicht werden wir sie und auch Wark jetzt von einer anderen Seite kennenlernen. Eine tote Autorin kann nur in Worten existieren und ich publiziere diesen Austausch weniger im Geiste von völliger Offenbarung denn von totalem Text: Alles in Ackers Leben war Text, einschließlich ihres Todes. Sie besuchte mich inmitten dieser Korrespondenz und schickte mir später eine E-Mail über Wark – die, wie viele E-Mails, im Äther verloren ist, eher dem Schicksal von gesprochener Sprache ähnlich als dem von Schrift. Und so, liebe Leser*innen, obwohl die Worte in Ihrem Schoß nicht an Sie gerichtet wurden, hoffe ich dennoch, Sie finden sie ähnlich spannungsgeladen, wie ihre Entstehung es war.
1 Kathy Acker, The Childlike Life of the Black Tarantula, in: dies., Portrait of an Eye, New York: Pantheon 1992, S. 4. [Alle Übersetzung, wenn nicht anders angegeben, die Übersetzerin]
2 Kathy Acker, Empire of the Senseless, New York: Grove Press 1994, S. 114.
3 In diesem Buch S. 25.
4 In diesem Buch S. 24.
5 In diesem Buch S. 101.
Da mehrere E-Mail-Threads parallel laufen, die Datums- und Zeitstempel aufgrund der Zeitverschiebungen zwischen Australien und Kalifornien unterschiedlich ausfallen und nicht alle gespeicherten E-Mails eindeutige Angaben aufweisen, hat McKenzie Wark die Reihenfolge der E-Mails für die Veröffentlichung festgelegt. Sie wurde für die deutsche Ausgabe in Absprache mit ihr leicht verändert.
Datum: Di, 8 Aug 1995 00:14:31 +1000 (EST)
Von: McKenzie Wark <[email protected]>
An: Kathy Acker <[email protected]>
Betreff: grüße aus hooterville
Ich bin voll im Dusel direkt vom Flughafen auf Arbeit gefahren. Auf meinem Schreibtisch habe ich Papiere rumgeschoben wie Puzzleteile, dann bin ich nach Hause gekommen und habe den ganzen Tag geschlafen. Hatte nicht bemerkt, welch intrikaten Kater ich angesammelt hatte. Jetzt ist es spät am Montagabend und ich fühle mich besser. Habe zuletzt abwechselnd Kapitel in _Exterminator!_ und der Warhol-Bio von Bockris gelesen. Du hattest vollkommen recht mit dem Burroughs. Im zweiten Kapitel geht es darum, „Wolf zu werden“. Mir kommt es ein bisschen vor, als hätte es einen Napalm-Angriff gegeben und ich habe nichts mitgekriegt. Was auch immer passiert ist, ich kann nicht viel dazu sagen, war wohl kein Zeuge. Oder vielleicht, wie bei Gregory Peck in _Ich kämpfe um dich_, kommt es später wieder hoch.
Aber ganz sicher werde ich nicht vergessen, wie sehr ich genossen habe mit dir zusammen zu sein. Die geteilten Intimitäten von Körper, Verstand und Seele: eine so flüchtige Angelegenheit, so singulär. Ich denke, wir sind wohl beide ziemlich einzelgängerisch auf unsere eigene Weise, aber einen Zeitschnipsel lang waren wir zusammen singulär. Es gibt keine Worte dafür. Ich will nur sagen, es gibt keine Worte dafür. Ich bin froh, dass du gekommen bist; und ich bin froh, dass du gekommen bist. Stelle mir das vor, du schlafend in einem