Ein faschistischer Diktator. Adolf Hitler – Biografie - Wolfgang Schieder - E-Book

Ein faschistischer Diktator. Adolf Hitler – Biografie E-Book

Wolfgang Schieder

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Beschreibung

Hitler und kein Ende Kein Zweifel, Adolf Hitler war ein verbohrter Ideologe, dessen politisches Handeln von Rassismus und extremem Judenhass geprägt war. Zugleich aber konnte der faschistische Diktator durchaus anpassungsfähig sein und realpolitisch handeln. Tatsächlich handelte der Versager aus Österreich oft strategisch. Er kopierte das faschistische System seines Vorbildes Benito Mussolini in entscheidenden Punkten, bevor er es freilich zu einem totalitären Faschismus ausbaute und das Dritte Reich in den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg führte. Wolfgang Schieder, der große Historiker des deutschen Nationalsozialismus und italienischen Faschismus, gewinnt dem Rätsel Hitler in dieser neuen Biografie überraschend neue Akzente ab und zeigt, dass manche von Adolf Hitlers Entscheidungen in einem anderen Licht zu sehen sind. - Eine knappe Biografie Adolf Hitlers auf höchstem Niveau und mit neuen Akzenten - Der deutsche Diktator so tiefgründig und verständlich wie noch nie dargestellt - Die dunkelste Zeit und der verhängnisvollste Akteur der deutschen Geschichte im Brennpunkt - Von einem der erfahrensten Historiker des deutschen und italienischen Faschismus - Wolfgang Schieder ist Ehrendoktor der Universität Bologna und Träger des Verdienstkreuzes 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland  Die Hitler-Biografie für die Zukunft Adolf Hitler muss als Extremausbildung des faschistischen Diktators gesehen werden. Das Interesse an neuen Antworten auf die Fragen, wie sein Aufstieg möglich war und wie er die wohl verhängnisvollste Diktatur der europäischen Geschichte errichten konnte, wird nicht aufhören. Je umfangreicher die Biografien über Hitler jedoch wurden, desto weniger können sie mit ihrer enormen Materialfülle noch wirklich rezipiert werden. Eine knappe Biografie, getragen von der ganzen Erfahrung eines langen Forscherlebens und auf dem allerneusten Stand der Forschung, war deshalb überfällig. Eine Meisterleistung, an der in Zukunft keiner vorbeikommt.

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

wbg Theiss ist ein Imprint der wbg.

© 2023 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt

Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht.

Lektorat: Sophie Dahmen, Karlsruhe

Satz: Arnold & Domnick, Leipzig

Umschlagabbildung: Adolf Hitler, Porträt © akg-images

Umschlaggestaltung: Andreas Heilmann, Hamburg

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-8062-4569-1

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:

eBook (PDF): ISBN 978-3-8062-4599-8

eBook (epub): ISBN 978-3-8062-4600-1

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Inhaltsverzeichnis

Informationen zum Buch

Informationen zum Autor

Impressum

Inhalt

Zur Einführung: Probleme einer Biografie Adolf Hitlers

I. Unstete frühe Jahre 1889–1918

Verkorkste Kindheit

Eingebildeter Künstler. Wien 1908–1913

Verbummelte Jahre. München 1913 / 14

Jahre im Krieg 1914–1918

II. Einstieg in die Politik 1918–1924

Politische Anfänge

Der politische Massenredner

Im Kreis von Bewunderern

Hitler privat: die Frauen

Führer einer völkischen Splitterpartei: die DAP

Der Hitler-Ludendorff-Putsch vom 9. November 1923

Mein Kampf – autobiografische Propaganda

III. Weg an die politische Macht 1925–1933

Politischer Neuanfang nach der Haft in Landsberg

Nationalsozialistischer Personenkult um den ›Führer‹

Politische Doppelstrategie

Auf dem Weg zur politischen Machtübernahme

Die Rolle Hindenburgs

Die Reichstagswahlen vom 14. September 1930

Wiederwahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten

Papen und Schleicher. Die Wegbereiter

Die Reichstagswahlen vom 31. Juli und 6. November 1932

Der 30. Januar 1933 I: Die Mehrheit im Reichstag

Der 30. Januar 1933 II: Die Drohung mit Gewalt

IV. Durchsetzung der Diktaturherrschaft 1933–1939

Hitlers politischer Stil

Gelenkte Reichstagswahlen am 5. März 1933

Der Tag von Potsdam

Die Diktaturgesetze

Die Methode der ›Gleichschaltung‹

Kampf gegen die christlichen Kirchen

Terror der SA

Der doppelte Gewaltstreich 1934

Unterordnung der Reichswehr

Beginn der organisierten Judenverfolgung

Hitlers politisches Diktatursystem

Nationalsozialistische Massenorganisationen

Der ›Führer‹ der Volksgemeinschaft

Hitlers Wirtschaft für den Krieg

Anfänge einer neuen Außenpolitik

Hitler und Mussolini

Der ›Anschluss‹ Österreichs

Die Zerstörung der Tschechoslowakei

V. Auslösung und Scheitern imperialistischer Vernichtungskriege

Utopien der kriegerischen Expansion

Der Überfall auf Polen

Krieg gegen Frankreich und England

Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion

Niederlage von Stalingrad

Die Folgen von ›Stalingrad‹

Hitlers Imperium

Die Vernichtung der Juden Europas

Der Widerstand gegen Hitler

Das trostlose Ende

VI. Hitler heute

Anmerkungen

Quellen und Literatur

Bildnachweis

Personenverzeichnis

Zur Einführung: Probleme einer Biografie Adolf Hitlers1

Über Adolf Hitler sind schon viele Biografien geschrieben worden, und das wird wahrscheinlich auch weiterhin der Fall sein.2 Zu rätselhaft ist es nach wie vor, dass ein intellektuell mittelmäßig begabter Mann, der die Schule nicht zu Ende gebracht hatte und zweimal an der Aufnahmeprüfung einer Kunsthochschule gescheitert war, einen solchen politischen Aufstieg erleben konnte. Wie war es möglich, dass er, als Ausländer in Deutschland ohne einflussreichen familiären oder institutionellen Hintergrund und ohne politische Beziehungen, die alleinige politische Führung des Landes übernehmen und Millionen Menschen zur Zerstörung einer demokratischen Republik und zum Errichten einer faschistischen Diktatur bringen konnte? War er aufgrund einer massenwirksamen Ideologie erfolgreich, oder lag seine Stärke mehr in der Umsetzung seiner Ideen in praktische Politik? Oder kam er nur zum Zuge, weil andere glaubten, ihn für ihre politischen Zwecke benutzen zu können, von ihm aber ausgespielt werden konnten? Und schließlich: Lag es an den Deutschen, die den Weg in die Demokratie im Vergleich zu großen Teilen Europas verspätet angetreten hatten, dass sie sich vorschnell wieder von dieser verabschiedeten?

Alle diese Fragen lassen sich nicht allein mit einer Biografie Hitlers beantworten, aber mit Sicherheit auch nicht ohne eine solche. Ohne Hitler ist die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert nicht zu begreifen, jedenfalls nicht in ihren Untiefen. Jede Hitlerbiografie trägt daher nicht nur dazu bei, Hitlers Lebensweg, sondern die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert als Ganze besser zu verstehen. Das bedeutet nicht, dass dieser Lebensweg neuerlich in allen Einzelheiten nachverfolgt werden muss, auch wenn dies lange Zeit nur selten in wissenschaftlich anspruchsvollen Biografien wie denen von Alan Bullock und Joachim C. Fest geschehen ist.3 Erst seit der Wende zum 21. Jahrhundert sind die großen Biografien von Ian Kershaw, Peter Longerich, Wolfram Pyta und Volker Ullrich erschienen, denen sich der Verfasser verpflichtet fühlt.4 Weiter führen aber auch problemorientierte Interpretationen der Biografie Hitlers, wie sie von Sebastian Haffner, Hans-Ulrich Thamer oder Thomas Sandkühler vorgelegt worden sind.5 Ähnlich wie diese analytisch geschriebenen Biografien soll sich auch die vorliegende besonders auf bestimmte Problemstellungen im Leben Hitlers konzentrieren und darauf Antworten zu geben versuchen.

So gehört es seit jeher zu den zentralen Fragen der Hitlerbiografik, ob und inwieweit Hitlers Politik einem festen ›Programm‹ gefolgt ist. In frühen Darstellungen wurde dies grundsätzlich bestritten und Hitlers Politik als rein opportunistisch, wenn nicht gar nihilistisch angesehen.6 Diese Interpretationen beruhten freilich noch auf einer unzureichenden Quellenkenntnis. Seit der Entdeckung von Hitlers sogenanntem Zweiten Buch7 und der Erschließung zahlreicher Quellen aus seiner frühen Lebenszeit ist dagegen die Auffassung vorherrschend,8 dass er seit seinem Einstieg in die Politik nach einem politischen ›Programm‹ vorgegangen sei.9 Dabei wird häufig vergessen, dass es sich bei Hitlers autobiografischen Äußerungen, angefangen bei Mein Kampf, mehr oder weniger um Ausführungen handelt, die von Hitler absichtlich so geschrieben wurden, dass sie im Grunde mehr verbergen als über ihn aussagen sollten. Das zeigt sich schon daran, dass es über wichtige Ereignisse in seinem Leben überhaupt keine Informationen von Hitler selbst gibt, andere dagegen bewusst falsch dargestellt werden. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass Mein Kampf nicht kritisch benutzt werden kann, zumal nicht, wenn es kaum andere autobiografische Quellen von ihm gibt.

Auch wenn man berücksichtigt, dass Hitler keinen Wert auf »begriffliche Präzision« legte,10 besteht kein Zweifel, dass er den Begriff eines ›Programms‹ für sein politisches Denken ablehnte.11 Der Terminus war für ihn wegen der Parteiprogramme demokratischer Parteien negativ konnotiert. Er machte sich mit hämischen Bemerkungen darüber lustig, dass diese ständig verändert würden, weil sie dadurch in seinen Augen nie eine verbindliche Gültigkeit gewinnen könnten.12 Für seine politische Programmatik nahm er den Begriff der »Weltanschauung« in Anspruch. Statt von »Weltanschauung« sprach er auch von »Weltauffassung«, »politischem Glauben«, »Politischem Glaubensbekenntnis« oder von »Parteigrundsätzen«.13 Er wollte damit zum Ausdruck bringen, dass seine ›Weltanschauung‹ im Unterschied zu demokratischen ›Programmen‹ eine Art von Ewigkeitscharakter habe. Das muss man ihm selbstverständlich so nicht abnehmen. Was er mit dieser Behauptung erreichen wollte, war eine persönliche Verfügungsgewalt in ideologischen Fragen.

In dieser Biografie wird deshalb nicht davon ausgegangen, dass Hitler einer umfassenden politischen Ideologie gefolgt ist. Er ist nicht mit Lenin oder gar Stalin zu vergleichen, die, orientiert an der Geschichtsphilosophie von Karl Marx, in ihrem politischen Handeln einer systematisch explizierten Ideologie gefolgt sind. In gewissem Sinne war es bei ihm umgekehrt: Ungeachtet aller ideologischen Festlegungen stand bei ihm immer die Umsetzung bestimmter Grundsätze in die politische Praxis im Vordergrund. Ihm kam es nicht nur auf die Inhalte, sondern vielmehr auch auf die »organisatorische Erfassung einer Weltanschauung« an.14 Nur »in der begrenzten und damit zusammenfassenden Form einer politischen Organisation« könne »eine Weltanschauung kämpfen und siegen«.15 Eine politische ›Weltanschauung‹ als abstrakte Ideologie war ihm fremd, er sah sie immer zugleich in Verbindung mit politischer Praxis. Nicht zufällig war das erste Kapitel des zweiten Bandes von Mein Kampf mit »Weltanschauung und Partei« überschrieben.16

Sein ideologischer Gewährsmann dafür war Benito Mussolini, der Begründer des italienischen Faschismus, dessen ›Marsch auf Rom‹ vom 28. Oktober 1922 er immer wieder als »Wendepunkt in der Geschichte« bezeichnet hat.17 Mussolini fühlte sich in erster Linie als Mann der Tat, die Ideologie war für ihn nur nachgelagert.18 So eindeutig kann das für Hitler zwar nicht behauptet werden, aber es steht fest, dass er, wie zu zeigen ist, seine ideologischen Anschauungen durchaus realpolitischem Handeln unterordnen konnte, wenn ihm das opportun erschien. Man sollte hier nicht von bloßer Taktik oder absichtlicher Verschleierung sprechen, denn für Hitler waren kurzfristig getroffene politische Entscheidungen kein Widerspruch zu langfristig angelegten ideologischen Zukunftsvorstellungen.

Es ist deshalb von folgenden Überlegungen auszugehen:

Zum Ersten ist festzustellen, dass Hitler nicht nur ein dogmatischer Ideologe, sondern in vielerlei Hinsicht durchaus ein pragmatischer Politiker war. Er fühlte sich seit seinem Eintritt in die Politik zweifellos einer hochideologisierten ›Weltanschauung‹ verpflichtet‚ gleichzeitig war er jedoch zu einem realpolitischen Handeln fähig, das durchaus nicht mit dieser übereinstimmen musste. Nur so ist zu erklären, dass er nach dem Scheitern seines Putsches von 1923 eine Doppelstrategie der politischen Praxis entwickelte, bei der er einen realpolitischen Legalitätskurs mit einer potenziell revolutionären Praxis verband, welche die Existenz der Weimarer Republik infrage stellte. Mit dieser Doppelstrategie ist er, wie zu zeigen ist, 1933 an die Macht gekommen, ohne dass dabei seine ideologischen Fernziele eine größere Rolle spielten. Er verfolgte vielmehr eine politische Praxis, bei der die Anpassung an das parlamentarische System der Weimarer Republik mit der unterschwelligen Drohung verbunden war, mithilfe der antiparlamentarischen Massenbewegung des Nationalsozialismus auch einen revolutionären Umsturz vollziehen zu können.

Das politisch eigentümliche Diktaturregime, das von ihm nach seiner Machtübernahme unter dem Siegel der ›Gleichschaltung‹ mehr oder weniger zwangsweise durchgesetzt wurde, kann zum Zweiten als ›faschistisch‹ bezeichnet werden.19 Hitler orientierte sich dabei an dem von Benito Mussolini in Italien erfundenen politischen System. Wie das faschistische Regime des ›Duce‹ beruhte auch das NS-Regime bei seiner Entstehung 1933 auf einem Herrschaftskompromiss, in Hitlers Fall zwischen der nationalsozialistischen Bewegung und dem nationalkonservativen Establishment Deutschlands. Hitler konnte nach faschistischem Vorbild eine persönliche Führerherrschaft aufbauen, bei der er von beiden Machtzentren politisch getragen wurde. Diese genuin faschistische Phase der Diktatur Hitlers endete im Prinzip schon mit dem Tod des Reichspräsidenten Hindenburg am 2. August 1934, endgültig aber 1937 mit der Unterwerfung der Wehrmacht unter seine Führerherrschaft. Während Mussolini stets mit König Viktor Emanuel III. rechnen musste, der ihn 1943 auch abgesetzt hat, hatte Hitler nach dem Tod des Reichspräsidenten freie Bahn, seine faschistische Diktatur zu einem totalitären Regime auszubauen. Man kann deshalb ab diesem Zeitpunkt von einem totalitären Faschismus sprechen.

Wie Mussolini beanspruchte Hitler drittens, mit seiner Bewegung nicht nur einem einzigen sozialen Milieu verpflichtet, sondern gesamtgesellschaftlich orientiert zu sein. Er benutzte dafür den im völkischen Milieu schon lange bekannten Begriff der »Volksgemeinschaft«, dem er jedoch einen doppelten Sinn gab. Der Begriff sollte einerseits eine solidarische Einheit aller ›Volksgenossen‹ simulieren, die alle Klassen- und Standesschranken überwinden würde.20 Zu zeigen ist jedoch, dass er für Hitler auch ein politischer Kampfbegriff war, auf dessen Grundlage vorgeblich ›Gemeinschaftsfremde‹ gewaltsam von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen und erbarmungslos verfolgt wurden.21 Mit der Schaffung der ersten Konzentrationslager entstand schon früh eine Institution, mit deren Hilfe die Ausgrenzung aus der ›Volksgemeinschaft‹ vollzogen werden konnte.22Heinrich Himmler fand hier für seine SS seit 1934 und nochmals verstärkt seit 1938 die makabre Aufgabe, als Wachverband sowie schließlich als Handlanger des Massenmordes in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern im besetzten Polen tätig zu werden.

Besonders hervorzuheben ist viertens, dass Hitlers persönliche Diktatur von Anfang an kriegsorientiert war. Die Wehrmacht wurde, neben der Partei, von Hitler zielbewusst zur zweiten Säule seiner Diktatur ausgebaut. Nicht zufällig wurde der Eingang zu Hitlers Neuer Reichskanzlei von zwei überlebensgroßen Plastiken des nationalsozialistischen Hofkünstlers Arno Breker eingefasst, welche die NSDAP und die Wehrmacht symbolisierten. Die von Hitler wahrscheinlich im August 1936 verfasste »Denkschrift zum Vierjahresplan«, in welcher er praktische wirtschaftspolitische und militärpolitische Anweisungen für einen kommenden Krieg gab, muss als zentraler politischer Text des Diktators Hitler angesehen werden.23 Er sah seine persönliche Diktatur dadurch als gesichert an, dass er in geradezu bonapartistischer Manier durch ständige militärische Siege die Zustimmung der Bevölkerung aufrechtzuerhalten suchte. Um seine Kriege zu führen, brauchte er andererseits die Mitwirkung der Bevölkerung. Die Deutschen kriegsbereit zu machen, war deshalb für ihn ein zentrales politisches Anliegen.

Wie fünftens zu zeigen ist, war die Entfaltung seiner Diktatur nicht allein Hitlers Werk. Als faschistischer Diktator hatte er seit seiner Machtübernahme in allen zentralen politischen Fragen zweifellos die alleinige Gewalt über endgültige Entscheidungen. Die Durchsetzung seiner persönlichen Diktatur war ihm jedoch nur möglich, weil er mit Göring, Goebbels, Himmler, Heß, Bormann, Ribbentrop und einigen anderen Komplizen einen ihm vollständig ergebenen Clan von engen Gefolgsleuten um sich scharen konnte, der ihm selbsttätig ›zuarbeitete‹.24 Diese Gefolgsleute setzten sein oberstes Führerprinzip nach unten fort, indem sie ihrerseits loyale Vertrauensleute rekrutierten. Das gilt etwa für Himmlers Satrap Reinhard Heydrich, Görings Adlatus Paul Körner, Goebbels’ obersten Kulturfunktionär Hans Hinkel oder Ribbentrops Vertrauensmann beim ›Führer‹ Walther Hewel. Diese NS-Führer der dritten Reihe waren untereinander, aber auch mit Wirtschaftsführern, Militärs, Wissenschaftlern und Beamten vernetzt und ermöglichten so die Funktionsfähigkeit des NS-Regimes. Man hat deshalb auch von einer »Neuen Staatlichkeit« gesprochen.25 Zu den Gauleitern und Reichsführern der NSDAP standen sie in politischer Konkurrenz, die sie aber aufgrund der Protektion ihrer Chefs für sich zu entscheiden wussten. Ohne diesen personellen Unterbau hätte der notorisch arbeitsunwillige Hitler seine Diktaturherrschaft nicht ausüben können.

Von besonderer Bedeutung ist zum Sechsten, dass ein großer Teil der konservativen und nationalliberalen Eliten in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur sich mit erstaunlichem Tempo dem faschistischen System des Führerstaates angepasst hat. Bei der Darstellung der Biografie Hitlers ist daher davon auszugehen, dass das ›Dritte Reich‹ sich zu einer Gesellschaft des vorauseilenden Gehorsams entwickelte. So wie Hitler in den Zwanzigerjahren von seinen damaligen Trabanten zum ›Führer‹ der nationalsozialistischen Bewegung gemacht worden war, war seine Entwicklung zum persönlichen Diktator in den Dreißigerjahren das politische Gemeinschaftsprodukt einer nationalsozialistischen Führungsschicht, die mit der nationalkonservativen Elite erstaunlich schnell verschmolz. Das bedeutet nicht, dass Hitler deswegen ein ›schwacher Diktator‹ gewesen ist.26 Aber er war, wie gezeigt werden soll, durchaus ein entscheidungsschwacher Diktator. Zwar hatte er extreme Zukunftspläne, neigte aber im politischen Alltag häufig dazu, die Dinge eher schleifen zu lassen. Im Grunde scheute er es, seinen Regierungsaufgaben nachzukommen. Bis zum Kriegsbeginn zog er sich, so oft er nur konnte, in seinen ›Berghof‹ bei Berchtesgaden zurück, wo er einen ›Hofstaat‹ um sich scharte, in dessen Kreis er sich vollkommen entspannen konnte.27 Im Krieg mutierte er auch deshalb zum Feldherrn, weil er sich in seinen militärischen Hauptquartieren weniger um routinemäßige politische Entscheidungen kümmern musste und sich daher ganz seiner angemaßten militärischen Führungsrolle hingeben konnte.28 Hitlers gelegentliche Entscheidungsschwäche verhinderte jedoch nicht, dass er mit ungeheurer Brutalität zuschlagen konnte, wenn er sich einmal zu etwas durchgerungen hatte. Fast scheint es so, als ob er seine Entscheidungsschwäche oftmals durch eine übersteigerte Härte kompensieren wollte. Die Feststellung seines gelegentlichen Zögerns bei wichtigen Entscheidungen darf also nicht so interpretiert werden, dass er deshalb am Ende je zu milden Entschlüssen gekommen wäre. Das Gegenteil war der Fall. Es ist allerdings bezeichnend, dass er sich scheute, die Folgen zentraler Entscheidungen persönlich zur Kenntnis zu nehmen. So hat Hitler, anders als Himmler, nie eines der Vernichtungslager im besetzten Polen besucht, in denen er die europäischen Juden ermorden ließ, ja, er war noch nicht einmal in Dachau, Buchenwald oder einem anderen der Konzentrationslager in Deutschland. Die Drecksarbeit, die anzuordnen der Diktator jedoch nie Probleme hatte, ließ er stets andere machen.

Zu fragen ist schließlich siebtens, ob Hitler nicht eine Reihe von für ihn glücklichen Zufällen dabei geholfen hat, nach seiner Machtübernahme in kurzer Zeit eine faschistische Diktatur herstellen zu können. Ein glücklicher Zufall war es schon für ihn, dass nicht er, sondern sein Mitstreiter Scheubner-Richter, bei dem er sich eingehängt hatte, am 9. November 1923 vor der Münchner Feldherrnhalle von einer Kugel tödlich getroffen worden ist. Nicht nur die deutsche, auch die europäische und vielleicht sogar die globale Geschichte hätte anders verlaufen können, wenn er damals gestorben wäre. Dass er 1939 kurz vor seiner Entfesselung des Weltkriegs dem Attentat des einsamen Widerstandskämpfers Georg Elser entgangen ist, war für ihn zweifellos ein ähnlicher Glücksfall, den er blasphemisch einer imaginären »Vorsehung« zuschrieb. Dass er diesen Begriff ständig benutzt hat, beweist nicht, wie häufig behauptet wird, dass es sich bei seiner Ideologie um eine politische Religion handelte. Es zeigt im Gegenteil, dass er sich damit gerade von religiösen Begriffen wie ›Dogma‹ oder ›Glauben‹ absetzen wollte.

Dass er nach seiner Machtübernahme einige politische Zufälle entschlossen ausnutzte, erlaubte es ihm, wie zu zeigen ist, seine diktatorische Herrschaft beschleunigt auszubauen. Das galt als Erstes für den Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933, der von ihm zu einer gesetzlichen Verordnung ausgenutzt werden konnte, die das Ende der Demokratie einleitete.29 Der Tod Hindenburgs, obwohl absehbar, lieferte Hitler am 2. August 1934 die Möglichkeit, das Amt des Reichspräsidenten auf verfassungswidrigem Wege zu usurpieren. Nicht vorhersehbar war dagegen, dass sich die Heirat des Kriegsministers Werner v. Blomberg 1937, bei der Hitler Trauzeuge gewesen war, als standeswidrig herausstellte.30 Hitler konnte das aber dazu nutzen, nicht nur Blomberg, sondern unter einem Vorwand auch gleich noch den Oberbefehlshaber des Heeres, Generalleutnant Werner Freiherr von Fritsch, zu entlassen und selbst die Führung der Truppe zu übernehmen. Auch das überraschende Attentat auf einen deutschen Diplomaten in Paris durch einen jungen jüdischen Attentäter konnte schließlich von Hitler propagandistisch für das zuvor nicht geplante barbarische Pogrom gegen die deutschen Juden am 9. November 1938 ausgenutzt werden.31

Selbstverständlich soll damit nicht behauptet werden, dass Hitler die repressiven Maßnahmen nicht getroffen hätte, wenn das diese zufälligen Ereignisse nicht ermöglicht hätten. Wohl aber lassen Hitlers gewalttätige Reaktionen erkennen, dass sein Weg in die Diktatur nicht Schritt für Schritt planmäßig, sondern durchaus aufgrund situativer Entscheidungen erfolgt ist.

I. Unstete frühe Jahre 1889–1918

Verkorkste Kindheit

Seiner Herkunft nach war in keiner Weise zu erwarten, dass Hitler einmal in die Politik gehen und zu einem der gefürchtetsten Politiker seiner Zeit werden könnte. Alle Versuche, seinen erstaunlichen Lebensweg aus seiner regionalen Herkunft, seiner familiären Prägung oder seiner mangelnden schulischen Ausbildung zu erklären, sind gescheitert. Es waren eher zufällige Umstände, die ihn in die Politik führten, die er freilich entschlossen wahrzunehmen wusste.

Am 20. April 1889 in Braunau am Inn an der unmittelbaren Grenze von Österreich-Ungarn zum Deutschen Reich geboren, fühlte Adolf Hitler sich früh als Großdeutscher.1 Er unterschied sich darin nicht von anderen führenden Nationalsozialisten, die im Ausland geboren worden sind, so etwa von Alfred Rosenberg, Rudolf Heß, Ernst Wilhelm Bohle oder Walter Darré und, aufgrund des kolonialen Berufswegs seines Vaters, auch Hermann Göring. Der Geburtsort als solcher war für Hitler jedoch nicht prägend, da er mit seinen Eltern schon bald nach seiner Geburt mehrmals umziehen musste – zunächst nach Passau und schließlich in die Nähe von Linz. Dass sein Geburtsort zu einer nationalsozialistischen Gedenkstätte wurde, wie Predappio in Italien für Mussolini, hat er deshalb bezeichnenderweise verhindert.

Soweit dies mangels einer zweifelsfreien Überlieferung überhaupt aufzuklären ist, geht aus seiner verworrenen, im Grunde aber in der Zeit nicht ganz ungewöhnlichen Familiengeschichte hervor, dass Hitlers Vater Alois in dritter Ehe mit seiner Cousine Klara Pölzl verheiratet war.2 Der Vater scheint, wenn man Hitlers Abrechnung in Mein Kampf Glauben schenken kann, ein autoritärer Familientyrann gewesen zu sein, womit er sich freilich seinerzeit entgegen Hitlers Darstellung kaum von anderen Vätern seiner sozialen Schicht unterschieden haben dürfte. Alois Hitler war als »Zollamts-Oberoffizial« ein mittlerer österreichischer Beamter, der es sich aber immerhin leisten konnte, sich 1895 bei seiner Pensionierung als Alterssitz einen Bauernhof und drei Jahre später in Leonding, einem Dorf in der Nähe von Linz, ein Haus zu kaufen. Verbürgt ist, dass Hitler, offenkundig wegen dieses Vaters, als Kind ausgesprochen mutterfixiert war, eine Beziehung, die nach dem Tod seines Vaters 1903 noch intensiver wurde.3

Hitlers schulische Leistungen waren insgesamt mäßig, was sicherlich auch durch die ständigen Umzüge bedingt war, die er als Jugendlicher mitmachen musste. In der Volksschule in Leonding fiel ihm das Lernen noch leicht. In Mein Kampf sprach er später davon, dort »glückselige Jahre« verbracht zu haben.4 Als er im September 1900 in die staatliche Realschule in Linz kam, war es mit der Leichtigkeit des Lernens jedoch vorbei. Er entwickelte sich zu einem ausgesprochen aufsässigen Schüler, der es ablehnte, die von ihm geforderten Leistungen zu erbringen. Schon nach dem ersten Realschuljahr blieb er sitzen und musste die Klasse wiederholen. In Mein Kampf hat er seinen Leistungsabfall auf die Konflikte mit seinem Vater zurückgeführt,5 doch scheint seine Renitenz eher pubertär bedingt gewesen zu sein. Das wird dadurch belegt, dass seine schulischen Leistungen nach dem Tod des Vaters keineswegs besser wurden. 1903 / 04 wurde er nur noch unter der Bedingung versetzt, dass er in eine andere Schule wechseln würde. Er musste deshalb als Pensionsschüler auf die 80 Kilometer entfernte Internatsschule in Steyr gehen, in der er, von Heimweh geplagt, erneut nur schlechte Leistungen erbrachte und 1905 wiederum vom Sitzenbleiben bedroht war. Seine Mutter nahm ihn daraufhin unter einem Vorwand von der Schule. Beginnend mit dem sechzehnten Lebensjahr verbrachte Hitler daraufhin bis 1907 zwei Jahre in Linz als dandyhafter Schulabbrecher. Diese Zeit bezeichnete er selbst in Mein Kampf rückblickend als »Hohlheit des gemächlichen Lebens«.6 Erstmals konnte er seine vermeintliche Begabung als Künstler ausleben, die darin bestand, Berge von Architekturzeichnungen zu produzieren, welche den städtebaulichen Umbau von Linz zum Thema, mit künstlerischer Produktivität jedoch wenig zu tun hatten.7

Wie wir von August Kubizek wissen, mit dem sich Hitler in Linz angefreundet hatte, entdeckte Hitler in Linz die Musik Richard Wagners, dessen Opern er im provinziellen Landestheater begeistert besuchte.8 Ursprünglich scheint er sich tatsächlich nur an der Musik Wagners berauscht zu haben. Wegen seines notorischen Antisemitismus konnte der Meister für ihn jedoch später zum deutschen Vorzeigekünstler werden. Dass er tatsächlich auch alles las, »was an biographischer Literatur über Wagner zu bekommen war«, ist eher zu bezweifeln.9 Hitler hatte es nicht gelernt, Bücher genau zu lesen. Er pickte sich jeweils einzelne Informationen heraus, wobei er die Bücher nur kursorisch und von hinten her las.10

Eingebildeter Künstler. Wien 1908–1913

Der Schulabbruch hatte zur Folge, dass Hitler wegen des fehlenden Abiturs kein Universitätsstudium und keinen akademischen Beruf ergreifen konnte. Von seiner Begabung überzeugt, strebte er aber eine künstlerische Ausbildung an der Wiener Akademie für Bildende Künste an. Nachdem er jedoch Anfang 1907 nach Wien übergesiedelt war, erkrankte seine Mutter schwer an Brustkrebs, einer damals besonders qualvollen Erkrankung, an der sie Ende des Jahres mit erst 47 Jahren verstarb. Hitler übernahm aufopferungsvoll ihre Pflege, angeleitet von dem Hausarzt Dr. Eduard Bloch. Dass dieser ein bekennender Jude war, störte ihn nicht, er brachte ihm vielmehr großes Vertrauen entgegen und ließ ihn noch 1940 mit seiner Frau emigrieren.11 Da die Aufnahmeprüfungen an der Akademie in dieser Zeit stattfanden, unterbrach Hitler im September 1907 die Pflege seiner Mutter, um sich zu bewerben. Er war felsenfest davon überzeugt, die Prüfungen zu bestehen, zumal nachdem er aufgrund der mitgebrachten Zeichnungen zu einem Probezeichnen zugelassen worden war. In dem strengen Prüfungsverfahren wurden jedoch nur 28 von 112 Kandidaten zum Studium zugelassen. Hitler gehörte nicht zu ihnen. Die Prüfer stellten zweifellos zu Recht fest, dass er nur für Architekturzeichnungen ein gewisses Talent habe. In ihrer ablehnenden Bewertung hieß es lapidar: »Probez(eichnung) ungenügend, wenig Köpfe«.12 Für Hitler war dies ein »jäher Schlag aus heiterem Himmel«.13 Dass der Rektor der Akademie ihn auf seine Fähigkeiten in der Architektur hinwies, war für ihn ein geringer Trost, da er für diesen Berufsweg nicht die schulischen Voraussetzungen besaß. Wenn er noch in Mein Kampf behauptete, seitdem gleichwohl gewusst zu haben, »dass ich einst Baumeister werden würde«,14 so war das reiner Selbstbetrug. Tatsächlich ging er daran, sich erneut auf eine Aufnahme in die Malerklasse der Akademie vorzubereiten. Wie sich allerdings zeigen sollte, hat der Akademiedirektor recht behalten. Obwohl Hitler später selbst auf Parteitagen ständig über Kunst schwadronierte, beschränkte sich seine eigene künstlerische Produktion auf simple Architekturzeichnungen von gigantischen Fantasiebauten.

Obwohl Hitler im Grunde keine Chance mehr hatte, seine vagen künstlerischen Berufsziele zu verwirklichen, übersiedelte er im Februar 1908 endgültig nach Wien, wohl in der Hoffnung, sich dort doch noch als Kunstmaler betätigen zu können, jedenfalls eher als im provinziellen Linz. Seine hochfliegenden Pläne ließen sich jedoch auch dort nicht verwirklichen. Beschönigend hat er die fünf Jahre, die er von 1908 bis 1913 in Wien verbrachte, als »die schwerste, wenn auch gründlichste Schule meines Lebens« bezeichnet: »Ich hatte die Stadt einst betreten als halber Junge noch und verließ sie als still und ernst gewordener Mensch.«15 Den Tiefpunkt seiner Wiener Zeit erreichte er ohne Frage, als sein zweiter Versuch, die Aufnahmeprüfung an der Akademie zu bestehen, im September 1908 schon im Vorfeld abgelehnt wurde. Nach der Erinnerung seines Freundes Kubizek reagierte er darauf mit wüsten Beschimpfungen: »Diese Akademie, lauter alte, verkrampfte, verzopfte Staatsdiener, verständnislose Bürokraten, stupide Beamtenkreaturen! Die ganze Akademie gehört in die Luft gesprengt!«16 Tatsächlich war er ganz unten angelangt. Ohne jede Berufsausbildung und ohne Zukunftsperspektive, stand er mehr oder weniger mittellos da. Das mütterliche Erbe von 2000 Kronen, das er sich mit seiner Schwester Paula teilen musste, dürfte aufgebraucht gewesen sein. Auch mehrere kleine Darlehen, die er von einer Tante erhielt, halfen ihm nicht lange weiter.17 Sein väterliches Erbe von 652 Kronen war bis zu seinem 24. Geburtstag gesperrt. Es blieb ihm nicht einmal die vollständige Waisenrente von 50 Kronen, da er diese zur Hälfte zu Unrecht bezogen hatte. Wovon er zwischen 1909 und 1913 eigentlich gelebt hat, ist deshalb unklar. Er beklagte sich in Mein Kampf zwar später wortreich über sein elendes Leben in diesen Jahren, konkrete Angaben dazu machte er jedoch nicht. Allem Anschein nach hat er aber Einrichtungen der Armenfürsorge wie Suppenküchen, Wärmestuben und Obdachlosenasyle nutzen müssen.18 Später erwähnte er lediglich, dass er zeitweise als Hilfsarbeiter auf dem Bau gearbeitet habe, was aufgrund seiner schmächtigen Statur jedoch von der Forschung, vielleicht zu Unrecht, angezweifelt wird.19

Verbürgt ist aber, dass Hitler im Herbst 1909 in einem riesigen, für etwa 1000 Personen eingerichteten Obdachlosenasyl im Wiener Stadtteil Meidling die Bekanntschaft mit Reinhold Hanisch, einem vorbestraften Stadtstreicher, gemacht hat.20 Dieser kam offenbar auf die Idee, dass Hitler Ansichtskarten mit Wiener Motiven abmalen und an öffentlichen Orten als originale Bilder verkaufen könnte. Von dem Erlös scheinen die beiden Geschäftspartner so gut gelebt zu haben, dass sie aus dem Obdachlosenasyl in ein vergleichsweise komfortables Männerheim im Stadtteil Brigittenau umziehen konnten, wo Hitler über drei Jahre bis Mai 1913 bleiben sollte. Über diese Lebenszeit Hitlers ist wenig bekannt, bemerkenswert ist jedoch, dass er mit den Postkarten erstmals in seinem Leben seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte. Als es nach einiger Zeit zum Streit mit Hanisch kam, ging Hitler sogar dazu über, seine Bilder selbst zu verkaufen, wobei er sich offenbar vorwiegend jüdischer Kunsthändler bediente, darunter eines mit ihm befreundeten Kumpanen aus dem Männerheim.

Es ist eine zentrale Frage in der Biografie des jungen Hitler, welche politischen Anschauungen der bei Kriegsbeginn 1914 gerade einmal 25 Jahre alte, gescheiterte Künstler ohne Beruf hatte und vor allem, ob bei ihm in dieser Zeit schon antisemitisches Gedankengut nachzuweisen ist. Geht man davon aus, dass Hitler sich seine ›Weltanschauung‹ stufenweise zurechtgelegt hat, wird man ohne Frage feststellen müssen, dass er sich bis 1914 noch in einer politischen Formationsphase befand und keinesfalls schon eine feste ›Weltanschauung‹ hatte. Bemerkenswert ist jedoch, dass er sich ungeachtet seiner prekären persönlichen Lage, in welcher der tägliche Kampf um das bloße Überleben ihn schon viel Zeit kostete, schon in Wien für Politik zu interessieren begann. Zur Verwunderung seines Freundes Kubizek verbrachte er viele Stunden auf der Zuschauertribüne des Reichsrates, des Parlamentes der österreichischen Reichshälfte der K.-u.-k.-Monarchie. Dort faszinierte ihn vor allem das vielstimmige Chaos, weil es in seinen Augen das Ende des Parlamentarismus anzeigte. Aufgrund seiner Erlebnisse im Wiener Parlament glaubte er später, den Parlamentarismus zu den »Verfallserscheinungen der Menschheit« rechnen zu können.21

Wichtiger als dieser verzerrte Einblick in die politische Praxis war für Hitler in Wien zweifellos seine geradezu hektische Lektüre von politischen Zeitungen und Zeitschriften. Bücher hat er wohl weniger gelesen, da er es sich nicht leisten konnte, diese zu kaufen, und auch die Gebühren für die Ausleihe in Bibliotheken kaum aufbringen konnte.22 Er eignete sich dadurch in der Wiener Zeit, unterstützt durch sein bemerkenswert gutes Gedächtnis, ein großes Faktenwissen vor allem über Politik, Geschichte, Musik und Architektur an, mit dem er später immer wieder zu verblüffen wusste. Wie bei Autodidakten üblich, wurde dieses Wissen von ihm jedoch nicht systematisch geordnet, sondern höchst unkritisch verarbeitet. Hitler war unfähig, sein angelesenes Wissen zu überprüfen, erst recht vertrug er keine Kritik von Zuhörern. Das führte schon in seiner Wiener Zeit dazu, dass er im Gespräch zu einem endlosen Monologisieren neigte und seine Gesprächspartner entweder überschrie oder zum bloßen Zuhören zwang.

Schon im Wiener Männerheim gehörte es zu Hitlers Konversationsstil, die Quellen seines angelesenen Wissens nie zu nennen, sondern stets den Anschein zu erwecken, er entwickele seine eigenen Gedanken. Das war nicht reiner Dilettantismus, sondern wahrscheinlich auch seinem Bemühen geschuldet, nicht erkennen zu lassen, dass seine vermeintlich originären Aussagen im Wesentlichen aus zweiter Hand stammten. Wie sein Freund Hanisch berichtet, geriet er im Männerheim damit einmal in eine peinliche Situation. Als er über seinen vorgeblichen Lieblingsphilosophen Schopenhauer schwadronierte, wurde er von einem Mitbewohner gefragt, ob er diesen denn jemals gelesen habe. Hitler sei daraufhin rot angelaufen und habe zugegeben, von ihm nur etwas aus zweiter Hand zu kennen. Der offenkundig kenntnisreiche Frager habe daraufhin gesagt, dass man nur über Dinge sprechen solle, die man kenne.23

Es ist daher schwierig, im Grunde aber auch überflüssig, Hitlers entstehende politische ›Weltanschauung‹ auf bestimmte Vorbilder oder nachweisbare Einflüsse zurückzuführen. Hitler nahm zwar bestimmte Autoren zur Kenntnis, dürfte jedoch kaum ein Buch von ihnen wirklich gelesen haben, jedenfalls ist das nicht nachweisbar. Er begnügte sich mit den Berichten, die er in Zeitungen oder Zeitschriften über die von ihm geschätzten Autoren und ihre Veröffentlichungen lesen konnte. Bei diesen Autoren handelte es sich um mehr oder weniger politische Sektierer wie Guido von List, dessen Schüler Jörg Lanz von Liebenfels, um Viktor Lischka oder Hans Goldzier. Ihnen war gemeinsam, dass es sich um Wiener handelte.24 Ihre Herkunft hing aber nicht nur damit zusammen, dass über sie in den lokalen Zeitungen, die von Hitler hauptsächlich gelesen wurden, selbstverständlich besonders viel berichtet wurde. Sie ist auch damit zu erklären, dass im Wien der Jahrhundertwende, wie in kaum einer anderen Stadt Europas, eine ethnische Vielfalt bestand, welche das deutschsprachige Bürgertum zutiefst beunruhigte. Schriften, die scheinbar schlüssige Welterklärungsmodelle enthielten – mochten sie noch so abstrus sein –, hatten daher besondere Konjunktur. Die Autoren dieses Schrifttums standen mit der seriösen Wissenschaft auf Kriegsfuß und versteiften sich als ›Privatgelehrte‹ auf obskure Theorien, die keinerlei Realitätsgehalt hatten. Sie versprachen jedoch die Rettung des gefährdeten Deutschtums, indem sie zu einem konsequenten deutschen Nationalismus aufriefen. Zentral war für sie durchweg ein kruder Rassismus, bei dem es Herren- und Sklavenvölker, Starke und Schwache oder Über- und Untermenschen gab. Alle diese Theorien beruhten auf der naiven Übertragung des naturwissenschaftlichen Systems von Charles Darwin auf die Gesellschaft. Dieser Sozialdarwinismus verband sich bei ihnen mit einem neuartigen Antisemitismus, der nicht mehr religiös-kulturell, sondern biologistisch geprägt war. Es ist nicht sicher, ob sich Hitler in seiner Wiener Zeit schon mit diesem radikaleren Antisemitismus identifiziert hat, gegenüber anderen vertreten hat er ihn allem Anschein nach jedoch noch nicht. Dagegen spricht auch sein zu dieser Zeit bemerkenswert problemloser persönlicher Umgang mit Juden.

In Mein Kampf hat Hitler später in der Beschäftigung mit Georg Ritter von Schönerer, dem Führer der Alldeutschen Bewegung, und Karl Lueger, dem Wiener Oberbürgermeister und Gründer der Christlich-Sozialen Partei, so getan, als ob er in Wien schon Anhänger eines rassenideologischen Antisemitismus gewesen wäre. Lueger kritisierte er, weil sein Antisemitismus »statt auf rassischer Erkenntnis auf religiöser Vorstellung aufgebaut« sei. Er bezeichnete ihn deshalb als »Scheinantisemitismus«.25 Schönerers Antisemitismus bescheinigte er zwar, »auf der richtigen Erkenntnis der Bedeutung des Rassenproblems und nicht auf religiösen Vorstellungen« zu beruhen.26 Die von dem Alldeutschen betriebene antikatholische Los-von-Rom-Bewegung hielt er jedoch wegen ihrer antireligiösen Ausrichtung für falsch. Er scheint also in seiner Wiener Zeit zwar vom persönlichen Auftreten Schönerers und Luegers fasziniert gewesen zu sein, ohne jedoch deren Ansichten wirklich übernommen zu haben.

Glaubwürdiger dürfte sein Bekenntnis in Mein Kampf sein, dass ihn in Wien »eine beklemmende Unzufriedenheit« erfasst habe. Er habe sich deshalb auch später nicht entschließen können, »in eine der bestehenden Organisationen einzutreten oder gar mitzukämpfen«.27 Der junge Hitler interessierte sich fraglos für die Wiener Politik, dieses Interesse war jedoch ein rein passives und führte nicht zu einem aktiven politischen Engagement.

Verbummelte Jahre. München 1913 / 14

Im Mai 1913 verließ Hitler Wien und zog mit einem weiteren Bekannten aus dem Männerheim, dem Drogerielehrling Rudolf Häusler, nach München. Er hatte noch seinen 24. Geburtstag am 20. April 1913 abgewartet, weil er mit diesem Tag Anspruch auf sein väterliches Erbe erhielt.28 Fragt man sich, weshalb er überhaupt nach München gegangen ist, so bleibt nur eine Erklärung: Hitler wollte sich dem Militärdienst in Österreich entziehen. Jedenfalls erreichte ihn im Januar 1914 über die Münchner Kriminalpolizei ein Schreiben des Linzer Magistrats, dass er sich einer Musterung unterziehen müsse, die eigentlich schon im Frühjahr 1910 fällig gewesen wäre. Auf seine Bitte hin fand die Musterung anstatt in Linz im näher gelegenen Salzburg statt.29 Hitler zog sich bei der Musterung mit einem Auftritt aus der Affäre, wie er von Thomas Mann in seinem Felix Krull literarisch kaum besser dargestellt worden ist. In einem ausführlichen Schreiben an die österreichische Behörde betonte er, sich nur nicht gemeldet zu haben, weil er von dieser Verpflichtung nichts gewusst habe. Er bat deshalb um eine »bescheidene Geldstrafe«, die zu leisten er sich nicht weigern werde. Bei der Musterung am 5. Februar 1914 wurde ihm dann, wie er es zweifellos erhofft hatte, bescheinigt, »zum Waffen- und Hilfsdienst untauglich, zu schwach«, mithin »waffenunfähig« zu sein. Dass er wenig später im Ersten Weltkrieg drei Jahre lang unter harten Bedingungen Kriegsdienst leisten sollte, entlarvt diese Beurteilung nachträglich freilich als Farce.

In München setzte Hitler nach seiner Ausmusterung seinen Wiener Lebensstil weitgehend fort, schlief in den Tag hinein, saß in der Öffentlichkeit herum und lebte weiterhin vom Verkauf abgemalter Bilder. Im Milieu der Schwabinger Bohème fand er offenbar genügend Absatz.

Jahre im Krieg 1914–1918

Es war die Nachricht von der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Ferdinand in Sarajewo am 28. Juni 1914, die Hitlers Leben eine neue Richtung gab. In Mein Kampf behauptete er später, dass für ihn mit dem Ausbruch des Weltkrieges am 1. August 1914 »die unvergesslichste und größte Zeit meines irdischen Lebens« begonnen habe.30 Von einer Fotografie seines späteren Hoffotografen Heinrich Hoffmann wissen wir auch, dass er am 2. August an einer großen Kriegsdemonstration auf dem Münchner Odeonsplatz teilnahm.31 Schon am 5. August meldete er sich begeistert zum Kriegsdienst im bayerischen Heer und wurde am 16. August als Rekrut in das 2. Bayerische Infanterie-Regiment aufgenommen. Da er eine Münchner Wohnadresse angeben konnte, bemerkte man offenkundig nicht, dass er österreichischer Staatsangehöriger war. Am 3. November zum Gefreiten befördert, kämpfte er bis zum Ende des Krieges an der Westfront.

Hitler war zweifelsohne ein engagierter Soldat, was sich daran zeigt, dass er mit dem Eisernen Kreuz erster und zweiter Klasse ausgezeichnet wurde. Allerdings wurde er als Gefreiter nicht mehr weiter befördert. Als Meldegänger hatte er Nachrichten und Befehle vom Stabsquartier seines Regimentes an die vorderste Front zu bringen. Wie gefährlich das war, zeigt sich daran, dass Hitler zweimal nur ganz knapp dem Tode entging. Nach einer schweren Verwundung im Herbst 1916 in der Schlacht an der Somme wurde er im Oktober 1918 auch noch Opfer eines britischen Gasangriffs, sodass er das Kriegsende, die Abdankung des Kaisers und die Novemberrevolution von 1918 im Lazarett in Pasewalk bei Stettin erlebte.

Wann er hier von dem großen Umsturz in Deutschland erfahren hat, ist nicht genau bekannt. Seine dramatisierende Schilderung in Mein Kampf lässt jedoch erkennen, dass für ihn ganz persönlich eine Welt zusammenbrach, als er am 10. November in Pasewalk von einem Pfarrer erfuhr, dass das Deutsche Reich kapituliert und der Kaiser abgedankt habe.32 Der Krieg hatte seinem Leben, so groß auch die Gefahren waren, denen er ausgesetzt war, erstmals einen Sinn gegeben, nachdem er zuvor überall nur gescheitert war. Das war nun jedoch mit einem Mal wieder vorbei. Auch die Kriegskameradschaft mit anderen Soldaten, welche ihm nach den verbummelten Münchner Jahren persönlichen Halt gegeben hatte, war zu Ende. Ian Kershaw fasst den Zustand, in dem er sich 1918 befand, mit einem knappen Satz zusammen: »Er war ein Niemand.«33

Nur zu gern glaubte Hitler deshalb daran, dass Sozialdemokraten und letzten Endes Juden das deutsche Heer bewusst geschwächt und durch eine defätistische Propaganda um den militärischen Sieg gebracht hätten. Dass diese ›Dolchstoßlegende‹ von der Obersten Heeresleitung erfunden und von der politischen Rechten willig aufgenommen worden ist, hat Hitler, wie freilich auch Millionen anderer Soldaten, nicht durchschaut. Sie kam ihm vielmehr wie gerufen, um seine persönliche Lebenskrise zu erklären. Voller Hass polemisiert er in Mein Kampf gegen die »Verbrecher«, welche Deutschland ins Unglück geführt hätten. Sein »persönliches Leid« sah er »gegenüber dem Unglück des Vaterlandes« sogar angeblich nichtig werden.34

Nach seiner Entlassung aus dem Lazarett kehrte Hitler am 21. November 1918 wieder nach München zurück und meldete sich bei seiner militärischen Einheit aus dem Weltkrieg, da er nur so (bis zu seiner Entlassung am 31. März 1920) als Reservist mit einem gesicherten Einkommen rechnen konnte.

Adolf Hitlers Mutter Klara …

… und sein Vater Alois Hitler, geboren als Aloys Schicklgruber.

2. August 1914: Pro-Kriegs-Demonstration auf dem Münchner Odeonsplatz. Historiker glauben, dass Hitler aus Propagandagründen nachträglich hineinretuschiert wurde.

»Wien – Das Rathaus«. Aquarellierte Zeichnung von Adolf Hitler.

Hitler (ganz rechts) als Soldat des 2. Bayerischen Reserve-Infanterie-Regiments. Nr. 16

II. Einstieg in die Politik 1918–1924

Politische Anfänge

Hitler schloss das 7. Kapitel von Mein Kampf über »Die Revolution« mit dem dubiosen Satz »Ich aber beschloss, Politiker zu werden« ab.1 Tatsächlich konnte bei ihm 1918 jedoch noch keine Rede davon sein, in die Politik einzutreten. Hitler war dies auch durchaus bewusst, was daran ersichtlich ist, dass der Satz ganz unvermittelt fällt und in dem Kapitel überhaupt keine Wende zur aktiven Politik dargestellt wird. Es ging Hitler bei seiner politischen Selbststilisierung offensichtlich nur darum, sein Klagelied über die Folgen der Revolution mit einem Kontrapunkt zu versehen, der ihn als künftigen Retter des unglücklichen Vaterlandes erscheinen lassen sollte.

Hitlers Politisierung vollzog sich in mehreren voneinander abgrenzbaren Stufen. Auf einer ersten wurden von ihm in Wien politische Ideen und handelnde Politiker nur indirekt zur Kenntnis genommen, vor allem durch mediale Vermittlung über Zeitungen und Zeitschriften. Die zweite Stufe seiner Politisierung bestand darin, dass er aus der Distanz die Begegnung mit Politikern suchte. Er ging deshalb in Sitzungen des österreichischen Reichsrats sowie später zu politischen Versammlungen und Demonstrationen, um dort Politiker zu sehen und reden zu hören, ohne dort jedoch schon selbst aktiv zu werden. Man kann diese Stufe als Übergang von der passiven zur aktiven Politisierung ansehen. Die dritte Stufe bestand schließlich darin, dass von ihm der Schritt in die aktive Politik getan wurde. Dies erfolgte, entgegen seiner späteren Behauptung, nicht von einem Tag auf den anderen; Hitlers Weg in die Politik war vielmehr ein allmählicher Prozess.

Als Hitler nach seiner Entlassung aus dem Lazarett im pommerschen Pasewalk nach München zurückkehrte, herrschten dort seit der Regierungsübernahme des linken Sozialisten Kurt Eisner bürgerkriegsähnliche Zustände. Hitler hätte damit reichlich Möglichkeiten gehabt, sich, wenn schon nicht auf der Seite der Regierung, in einem der nationalistischen Freikorps oder gar in der antisemitischen Thule-Gesellschaft politisch zu engagieren. Davon konnte jedoch keine Rede sein. Aus gutem Grund blieb er, solange es nur irgend ging, bei der Bayerischen Reichswehr, in die er 1919 übernommen wurde. Da er ohne jegliche Einkünfte war und auch sein Erbe inzwischen längst aufgebraucht hatte, blieb ihm gar nichts anderes übrig, als seinen Lebensunterhalt so lange wie möglich beim Militär zu verdienen. Dass er am Trauerzug für den ermordeten Kurt Eisner teilnahm, sollte man nicht als politische Parteinahme ansehen – als Soldat musste er ihm wahrscheinlich befehlsgemäß folgen. Bis zu seiner förmlichen Entlassung aus dem Heeresdienst 1920 erhielt er in der (Bayerischen) Reichswehr weiter seinen Sold als Gefreiter der 7. Kompanie des 1. Ersatzbataillons des 2. Bayerischen Infanterie-Regiments. Eine Zukunft als Berufssoldat konnte er in der Reichswehr als österreichischer Staatsangehöriger jedoch nicht haben. Welchen Anteil er an den dramatischen Ereignissen in München zwischen dem Mord an Kurt Eisner und der blutigen Niederschlagung der zweiten Räterepublik hatte, wissen wir nicht. Weder in Mein Kampf noch später hat er sich dazu direkt geäußert. Es scheint jedoch so, als habe er sich in die Kaserne zurückgezogen, um nicht in politische Auseinandersetzungen hineingezogen und eventuell ausgewiesen zu werden. Dass er dem revolutionären Umsturz ursprünglich positiv gegenübergestanden hätte, bleibt bloße Spekulation.

Den Weg in die aktive Politik fand Hitler aber nicht aufgrund einer eigenen Entscheidung, er wurde ihm vielmehr von seiner militärischen Umgebung vorgegeben. Es war der umtriebige Nachrichtenoffizier der Bayerischen Reichswehr, Kurt Mayr, der ihn als politischer Mentor unversehens in die Nähe der Politik bringen sollte.2 Mayr setzte Hitler als eine Art V-Mann für die Aufklärung über die propagandistische Tätigkeit sowie die Beobachtung rechtsradikaler Gruppierungen ein, deren Mitglieder in seinen Augen für den Aufbau der Reichswehr geeignet waren.3 Hitler erhielt eine anspruchsvolle propagandistische Schulung, an der neben anderen Professoren auch der Münchner Historiker Karl Alexander Müller beteiligt war. In kurzer Zeit eignete er sich die, freilich wenig komplexen, ideologischen Voraussetzungen an, welche dafür von Mayr gewünscht wurden. Als Schlüsseldokument wird dafür allgemein ein Briefentwurf angesehen, den Hitler im Auftrag Mayrs am 16. September 1919 als Antwort auf die Anfrage eines gewissen Adolf Gemlich aus Ulm verfasst hat.4 Es handelt sich um den ersten schriftlichen Text aus Hitlers Hand, in dem er sich zu seiner Haltung gegenüber ›den‹ Juden ausführlich äußert. Er forderte scheinbar gemäßigt einen »Antisemitismus der Vernunft«, der zur »planmäßigen Bekämpfung und Beseitigung des Vorrechts der Juden« führen müsse. Die Juden wurden von ihm jedoch biologisch als Angehörige einer »Rasse, nicht als Religionsgenossenschaft« angesehen, welche eine »Rassentuberkulose der Völker« herbeigeführt hätte. Darum müsse »unverrückbar die Entfernung der Juden überhaupt« das Ziel der Politik sein.5 Auch wenn Hitler damit nur Stereotype eines rassenbiologischen Antisemitismus aufgriff, wie sie Anfang der Zwanzigerjahre nicht nur in Deutschland stark verbreitet waren, ist festzuhalten, dass er sich damit erstmals als radikaler Antisemit zu erkennen gab.

Nicht weniger wichtig als seine ideologische Selbstfindung war aber zweifellos, dass Hitler erstmals in der aktiven Politik Fuß fasste. Zusammen mit anderen Kameraden nahm er am 12. September 1919 im Auftrag Mayrs an einer Versammlung der rechtsradikalen Deutschen Arbeiterpartei (DAP) teil. Es handelte sich um eine der zahlreichen völkischen Splittergruppen, welche in Bayern mehr oder weniger ein Schattendasein führte und die ohne den Eintritt von Hitler bedeutungslos geblieben wäre. Von dem Journalisten Karl Harrer und dem Schlosser Anton Drexler gegründet, stand die Minipartei in der politischen Tradition der österreichischen Alldeutschen. Nach dem in Mein Kampf von Hitler verbreiteten Mythos von seiner Erweckung als Politiker habe er auf der ersten Versammlung, an der er teilnahm, einen Gymnasiallehrer in Grund und Boden geredet, woraufhin ihn der Parteivorsitzende Drexler zum Eintritt in die Partei aufgefordert habe.6 Auch wenn das so nicht stimmen muss, trat Hitler der Partei nach kurzer Zeit tatsächlich bei und engagierte sich damit erstmals aktiv in der Politik. Es scheint allerdings so, als habe er diese Entscheidung mit der Zustimmung, vielleicht sogar nach Aufforderung von Mayr getroffen, der auch dafür sorgte, dass die DAP nach dem Eintritt Hitlers politische und finanzielle Unterstützung aus dem rechtsradikalen Milieu erhielt. Hitler lernte über die DAP überdies die Rechtsintellektuellen Gottfried Feder und Dietrich Eckart kennen, die zu seiner ideologischen Orientierung nachweislich beigetragen haben.7 Über Mayr fand er auch wieder Kontakt zu Ernst Röhm, mit dem er gemeinsam an der Front gewesen war. Er wurde wegen seiner organisatorischen Fähigkeiten zu einem seiner wichtigsten Unterstützer, ehe Hitler ihn 1934 als vermeintlichen Konkurrenten beseitigen ließ.8

Hitler hat seinen Eintritt in die DAP in Mein Kampf stark aufgebauscht und als einen »entscheidenden Entschluss« in seinem Leben bezeichnet.9 Nach dem angeblichen Beschluss, Politiker zu werden, sollte der Eintritt in die rechtsradikale Splitterpartei ein weiterer wegweisender politischer Schritt in seinem Leben gewesen sein. Es gehört auch zu Hitlers autobiografischer Legende, dass er als siebtes Mitglied in die DAP aufgenommen worden sei. Allenfalls war er das jedoch im als »Arbeitsausschuss« bezeichneten Vorstand der DAP, in den ihn Drexler hineingebeten hatte. Mitgliederlisten wurden in der DAP erst seit Februar 1920 geführt, wobei man, um eine größere Mitgliederzahl vorzutäuschen, mit der Mitgliedsnummer 500 begann. Hitler erhielt dadurch die Nummer 555.10 Im Vorstand der DAP wurde Hitler die Propaganda für die Partei als Ressort zugeteilt. Wie er, tatsächlich zu seinem eigenen Erstaunen, feststellte, entsprach dies genau seinem politischen Talent. Nachdem er mehrmals in Parteiversammlungen als Propagandaredner aufgetreten war und sich die Zahl der Zuhörer von Mal zu Mal vergrößert hatte, war für ihn »durch die Wirklichkeit bewiesen: ich kann reden«.11 Hitler sorgte daraufhin dafür, dass die bis dahin sich eher in Hinterzimmern versammelnde DAP am 24. Februar 1920 im Festsaal des Münchner Hofbräuhauses erstmals in die Öffentlichkeit ging. Gemeinsam mit dem Parteivorsitzenden Drexler stellte er bei dieser Gelegenheit das aus 25 Punkten bestehende Parteiprogramm der in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) umbenannten Partei vor.12 Dass Hitler bei der Abfassung des Programms beteiligt war, ist ziemlich unwahrscheinlich. Falls doch, wird sein Einfluss in Anbetracht seiner nach wie vor wenig ausdifferenzierten politischen Anschauungen auf jeden Fall gering gewesen sein. Als inzwischen bester Redner der Partei durfte er das Programm aber vorstellen. Die ziemlich abstrusen wirtschaftspolitischen Ideen der ›25 Punkte‹ dürften auf Gottfried Feders Programm einer »Brechung der Zinsherrschaft« zurückzuführen sein, das die Verstaatlichung von großen Unternehmen, eine Gewinnbeteiligung der Arbeiter und die Kommunalisierung großer Warenhäuser vorsah.13 Die außenpolitischen Forderungen nach einem ›Großdeutschland‹ und der Revision des Versailler Vertrages (einschließlich einer Rückgabe der Kolonien) entsprachen allgemeinen völkischen Vorstellungen. Zentral waren antisemitische Forderungen, die vermutlich auf Hitlers Mentor Dietrich Eckart zurückgingen, sich aber ebenfalls nicht von im rechtsextremen Milieu verbreiteten Vorstellungen unterschieden. Die Juden wurden als fremdes Volk angesehen, dessen weitere Einwanderung verhindert werden sollte. Für sie sollte in dem anstelle der Weimarer Republik zu schaffenden autoritären Staat kein Platz mehr sein.

Bemerkenswert ist jedoch, dass Hitler den Anstoß für die Einführung eines Parteisymbols gab. Auf seine Initiative hin einigte sich die Partei auf das aus der völkischen Tradition kommende, antisemitisch aufgeladene Hakenkreuz.14 Hitler hat das Symbol seiner Behauptung nach selbst entworfen. Auch wenn das nicht stimmen dürfte, war ihm zweifellos die schwarz-weißrote Farbkombination wichtig, weil sie optisch an die alten Reichsfarben erinnerte: Das schwarze Hakenkreuz befand sich auf einem weißen Kreis, der wiederum von einem roten Hintergrund umgeben war. Das entsprach dem auch später sich immer wieder zeigenden Bestreben Hitlers, mit der NSDAP an die vordemokratischen Traditionen Deutschlands anzuknüpfen und die Partei als deren legitime Erbin erscheinen zu lassen.

Die Kundgebungen der NSDAP, bei denen Hitler seit dem ersten öffentlichen Auftritt regelmäßig, oft sogar mehrmals am Abend, als Hauptredner auftrat, fanden in immer größeren Münchner Bierlokalen statt. Auf dem Höhepunkt sollen im Zirkus Krone, dem größten geschlossenen Versammlungsraum Münchens, am 21. Februar 1921 sogar 6000 Menschen zusammengekommen sein. Gleichzeitig stiegen auch die Mitgliederzahlen der NSDAP an. Waren es im Januar 1921 erst etwa 2000, konnte sich die Partei im Herbst 1922 etwa 20 000 Mitglieder zurechnen, wobei entscheidend war, dass sie sich in Franken hatte ausdehnen können.15 Die NSDAP übertraf damit inzwischen zweifellos alle anderen völkischen Gruppierungen Bayerns.

Der politische Massenredner

In Mein Kampf betonte Hitler, dass er beim Aufstieg der NSDAP »das Hauptgewicht auf das gesprochene Wort« gelegt habe.16 Nur mit der »Rede« könne man die Masse der Menschen erreichen, da diese zu faul zum Lesen und daher nur durch direkte mündliche Ansprache zu gewinnen sei. Er sprach von der »Nationalisierung der Massen«,17 worunter er die nationale Wiedergewinnung der an die angeblich internationalistische Linke verloren gegangenen Menschen verstand. Es versteht sich, dass er damit seine eigene Rolle als Redner bei politischen Massenversammlungen herausstreichen wollte, auch wenn es etwas widersinnig erscheint, ein Buch zu schreiben, um sich darin als Redner zu feiern. Auch wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass Hitler Gustave Le Bons Buch Psychologie der Massen je in der Hand gehabt hat, scheint er dessen Thesen, wie bei ihm üblich, indirekt aufgenommen zu haben.18

Als Redner entwickelte Hitler einen eigenen, stark körperbetonten Stil, der seine Auftritte aufregender erscheinen ließ als die anderer Redner der Weimarer Republik.19 Je nachdem, welches Publikum er erwartete, bereitete er sich genau darauf vor und inszenierte sich entsprechend. Er hatte bei seinen oft mehrstündigen Reden zwar nie ein fertiges Manuskript, wohl aber notierte er sich Stichworte wie »Versailles«, »Weltkrieg«, »Novemberverbrecher«, »Volksgemeinschaft« oder »Judenfrage«, welche den Verlauf seiner Rede jeweils markierten.20 Diese zentralen Schlagworte memorierte er vor Beginn der Veranstaltung, sodass er jederzeit auf sie zurückgreifen konnte. Dass er sich während seiner Reden ständig wiederholte, gehörte zu seiner Rhetorik. Nur dadurch, dass er der ›Masse‹ seine Parolen immer wieder einhämmerte, glaubte er, wie er behauptete, ihre politische Bekehrung erreichen zu können.

Es gehörte zu seinem Auftreten als Redner, dass Hitler sein Publikum zu Beginn der Veranstaltungen bewusst länger warten ließ, ehe er, häufig fast unbemerkt, in den Saal kam und an das Rednerpult trat. Marschmusik und Fahnenumzüge steigerten die Erwartungen des Publikums. Wie Filmaufnahmen zeigen, begann er mit seiner Rede fast beiläufig, um auf diese Weise das anhaltende Stimmengewirr zur Ruhe zu bringen. Bis 1928 war dies auch deshalb nötig, weil Hitler ohne Mikrofon und entsprechende Lautsprecherübertragung reden musste. Wenn einigermaßen Ruhe im Saal herrschte, begann er immer lauter zu reden und steigerte sich, heftig gestikulierend, allmählich in ein Schreien hinein, das ihm auch physisch alles abverlangte. Es ist fotografisch dokumentiert, dass er diesen Redestil vor dem Spiegel eingeübt hat. Dass allein schon seine Stimme besondere Wirkung hatte, ist eher unwahrscheinlich,21 weil seine gutturale Dialektfärbung selbst in Bayern nicht unbedingt gut zu verstehen war. Hitler zerhackte deshalb seine Sätze, wiederholte sie mehrfach und unterstrich einzelne Worte mit theatralischen Gesten. Am Ende der oft stundenlangen Auftritte war er regelmäßig physisch nahezu am Ende und stürzte schweißüberströmt vom Rednerpult fort.

Seine rhetorischen Erfolge verhalfen Hitler innerhalb der Partei zu einem steilen Aufstieg. Auch wenn er offiziell nicht Parteiführer war, wurde die NSDAP in der Öffentlichkeit zunehmend über seine Auftritte wahrgenommen. Man darf die Erfolge der NSDAP aber selbstverständlich nicht allein Hitler zuschreiben. Vielmehr muss man berücksichtigen, dass in Bayern seit dem Sturz der sozialdemokratischen Regierung von Johannes Hoffmann und der Regierungsübernahme durch Gustav Ritter von Kahr im März 1921 bis in die Polizei und die Reichswehr hinein eine völkisch-nationalistische Stimmung vorherrschte.22 Nicht zufällig dankte Hitler in Mein Kampf überschwänglich dem Münchner Polizeipräsidenten Ernst Pöhner und dessen Oberamtmann Wilhelm Frick, seinem späteren Innenminister, als »Mithersteller[n] eines nationalen Bayerns«.23 Gegner der Weimarer Republik aus dem ganzen Reich fanden in Bayern Zuflucht. Selbst eine terroristische Organisation wie der von dem steckbrieflich gesuchten Hermann Ehrhardt geleitete Geheimbund »Consul« konnte von Bayern aus die Mordaktionen planen, welchen der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger und der Reichsaußenminister Walther Rathenau zum Opfer fielen. Der ungewöhnliche Aufstieg Hitlers und die Erfolge der NSDAP sind nur vor diesem politischen Hintergrund zu verstehen.

Im Kreis von Bewunderern

Seitdem Hitler in die Politik gegangen war, umgab er sich mit einem Kreis von politisch Vertrauten, in dem er mehr oder weniger kritiklos bewundert wurde. Ein Teil dieser Getreuen der ersten Stunde, mit denen er sich regelmäßig in einem Münchner Café zu treffen pflegte, gehörte auch noch im ›Dritten Reich‹ zu seinen wichtigsten Komplizen. Die Mehrheit bestand aus ehemaligen Frontkämpfern des Ersten Weltkrieges. Außer Ernst Röhm ist auch Max Amann mit ihm gemeinsam an der Front gewesen, Hermann Esser war mit ihm zusammen nach Kriegsende in der Propagandaabteilung der Bayerischen Reichswehr aktiv. Hermann Göring, Rudolf Heß und Wilhelm Brückner hatten als Offiziere ebenfalls im Krieg gekämpft, Göring war als Kampfflieger sogar mit dem Orden Pour le Mérite ausgezeichnet worden. Wichtig war für Hitler auch, dass er mit Alfred Rosenberg und Rudolf Heß in der Partei frühzeitig auch einige politisch gleichgesinnte Intellektuelle um sich scharte, welche die Parteizeitung Völkischer Beobachter und die Publizistik der NSDAP betreuen konnten. Mit Ernst Hanfstaengl und Kurt Lüdecke gehörten schließlich auch noch zwei dubiose Geschäftsleute zu seinen ersten Getreuen. Durch sie erhielt Hitler Zugang zu bestimmten Kreisen der Münchner Wirtschaft. Er nutzte ihre Kontakte, wenn auch letzten Endes vergeblich, in Italien und in den USA zur Geldbeschaffung für die NSDAP. Beide überwarfen sich jedoch mit ihm und emigrierten in die USA.24