Karl Marx - Wolfgang Schieder - E-Book

Karl Marx E-Book

Wolfgang Schieder

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Beschreibung

Er ist wieder da: Karl Marx. Sein »Kapital« wird wieder gelesen. Innerhalb und außerhalb der Universitäten. So tief gespalten ist unsere Gesellschaft, dass sie wieder nach fundamentalen Antworten auf die Ungerechtigkeit sucht. Nicht nur in Büchern, sondern auch in der Politik. Was lange Zeit von der Auseinandersetzung mit dem Philosophen und Ökonomen Marx, dem überragenden Denker verdeckt blieb: Karl Marx war selbst Politiker: Über 18 Jahre führte er als Vorsitzender die internationale Bewegung der Arbeiter und war in der Kölner Kommunalpolitik tätig. War er nicht nur der Prophet vom Untergang des Kapitalismus, sondern auch derjenige, der half, den Weg durch die Spaltungen des 19. Jahrhunderts zu bahnen? Wolfgang Schieder, Mitbegründer der Sozialgeschichte in Deutschland, zeigt, wie Marx sich die Umsetzung seiner politischen Vorstellungen dachte und aktiv die Verhältnisse seiner Zeit zu gestalten versuchte. Der große Historiker öffnet so die Tür zu einem anderen Karl Marx.

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Seitenzahl: 335

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Wolfgang Schieder

Karl Marx

Politik in eigener Sache

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung inund Verarbeitung durch elektronische Systeme.

Der Konrad Theiss Verlag ist ein Imprint der WBG.

© 2018 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), DarmstadtDie Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitgliederder WBG ermöglicht.Redaktion: Melanie Heusel, FreiburgSatz: TypoGraphik Anette Klinge, GelnhausenUmschlagabbildung: fotolia.com, ©PixiUmschlaggestaltung: Vogelsang Design, Jens Vogelsang, Aachen

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-8062-3670-5

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:eBook (PDF): 978-3-8062-3736-8eBook (epub): 978-3-8062-3737-5

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Impressum

Inhalt

  I. Ein anderer Marx?

Geschichtspolitische Kontroversen

Die neue Aktualität von Marx

 II. Theoretische Voraussetzungen politischen Handelns

Politik als revolutionäre Wissenschaft

Politische Theorie als Handlungsanweisung

III. Anfänge politischer Aktivität 1846–1852

Im Bund der Kommunisten

Die Zeit der Revolution von 1848/49

Nach der Revolution

IV. Höhepunkt und Ende des Engagements in der Politik 1864–1872

Jahre der Isolation

Aufstieg in der Internationalen Arbeiterassoziation

Machtkampf um die Internationale Arbeiterassoziation

Verselbstständigung der Sozialdemokratischen Partei in Deutschland

 V. Politik auf eigene Art

Politik gegen die ›Politiker‹

Politischer Führungsstil

Die ›Partei Marx‹

VI. Der Politiker Marx: Eine Bilanz

 

Anmerkungen

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Nachwort

Personenregister

I. Ein anderer Marx?

Geschichtspolitische Kontroversen

Wie kaum ein anderer Mensch des 19. Jahrhunderts hat Karl Marx die Politik des 20. Jahrhunderts mit seinen Ideen bestimmt. Diese Wirkung beruhte darauf, dass sich sein zwischen Geschichtsphilosophie und Ökonomie changierendes Denken in vielfältiger Weise interpretieren und in stark vereinfachter Form als ›Marxismus‹ von Millionen Menschen als weltanschauliches Lebenselixier verwenden ließ. Seine Wirkung wurde nicht dadurch eingeschränkt, dass die marxistische Doktrin keineswegs einheitlich, sondern im Gegenteil extrem unterschiedlich rezipiert werden konnte. Der politische Meinungskampf um die ›richtige‹ Verwirklichung der Ideen von Karl Marx hat dem als ›Marxismus‹ verbreiteten Denken vielmehr eine einzigartige Dynamik verliehen. Er begleitete vor allem die gesellschaftliche Emanzipation der europäischen Arbeiterklasse und hielt Marx auf diese Weise dauerhaft auf der politischen Agenda.

Auf der einen Seite wurde die von Marx propagierte Utopie einer ›proletarischen Revolution‹ in das demokratische Fortschrittskonzept bürgerlicher Provenienz implementiert. Daraus ergab sich das Konzept einer ›Sozialdemokratie‹, welche die bestehende politische und soziale Ungleichheit durch parlamentarische und gewerkschaftliche Politik langfristig verändern sollte. Es erwies sich trotz aller inneren Widersprüche und sich daraus ergebender Konflikte auf die Dauer als lebensfähig und hat das 20. Jahrhundert in gewissem Sinn zu einem sozialdemokratischen Jahrhundert gemacht. Die marxsche Revolutionstheorie wurde auf diese Weise evolutionär eingehegt.

Andererseits stand Marx’ Name seit der russischen Oktoberrevolution von 1917 auch für einen gewaltsamen Umbruch und die Herstellung einer rigorosen Einparteienherrschaft, welche letztlich zur Unterdrückung und Verelendung ganzer Völker führte. Diese Umdeutung der politischen Vorstellungen von Marx wurde mit einer von ihm als Übergangsphase beiläufig erwogenen ›Diktatur des Proletariats‹ gerechtfertigt, einer Verfälschung, welche den Zwangscharakter kommunistischer Parteidiktaturen nicht rechtfertigte.

Die Geschichtspolitik, welche mit der Erinnerung an Marx betrieben wurde, erreichte in der Zeit des sogenannten Kalten Krieges ihren Höhepunkt. Jede Aussage über den Philosophen hatte, ob man das wahrhaben wollte oder nicht, seinerzeit einen aktuellen politischen Bezug. Für die Verfechter der Ideologie des sogenannten Marxismus-Leninismus, welche die kommunistischen Regime für sich beanspruchten, war solche ›Parteilichkeit‹ konstitutiv, mit allen verheerenden Folgen, welche der Verzicht auf ein wissenschaftliches Objektivitätsideal mit sich bringen musste. Aber auch die wissenschaftliche Marxforschung, welche dem Ideal der Objektivität verpflichtet war, sah sich in ungewöhnlich hohem Maße politischer Vorgaben ausgeliefert. Wer ursprünglich von Marx geprägte Begriffe wie ›Klasse‹, ›Proletariat‹ oder ›bürgerliche Revolution‹ benutzte, wurde häufig durch außerwissenschaftliche Kritik politisch eingeschüchtert.

Trotz ihrer politisch bedingten Gegensätze hatte die kommunistische und die liberal-demokratische Marxforschung eine Gemeinsamkeit: Sie konzentrierte sich auf das philosophische, ökonomische und politische Denken von Karl Marx und war in der Hauptsache ideengeschichtlich, nicht realgeschichtlich orientiert.1 Zwar wurden in zahlreichen Marxbiografien und monografischen Einzelstudien auch die politischen Aktivitäten des politischen Philosophen behandelt, dies diente jedoch meist eher als Folie, um die theoretischen Implikationen des marxschen Werkes darzustellen. Nur selten hingegen wurde die von Marx aktiv betriebene Politik, zumindest von deutschsprachigen Autoren, gleichgewichtig mit seiner politischen Theorie behandelt.

Allerdings spielte Marx in den Forschungen zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung eine große Rolle. Im deutsch-deutschen Dauerkonflikt der Historiker war die Frage nach dem Einfluss von Marx auf die im 19. Jahrhundert entstehende Arbeiterbewegung bis 1989 über Jahrzehnte hinweg sogar die zentrale Streitfrage.2 Die Geschichtswissenschaft in der ehemaligen DDR steigerte sich dabei in einen Personenkult hinein und feierte Marx als »der deutschen Nation größten Sohn«.3 In der westdeutschen wie überhaupt in der westlichen Marxforschung bemühte man sich demgegenüber, »Marx without myth« zu sehen.4 Anstatt den ideologischen Einfluss von Marx auf die deutsche und internationale Arbeiterbewegung zum obersten Maßstab der Forschung zu erheben, stellte man die organisatorische Vielfalt und den ideologischen Eklektizismus der sich organisierenden Arbeiterschaft heraus, innerhalb dessen der ›Marxismus‹ eine sich wandelnde und nur teilweise dominante Variante neben anderen Ideologien war. Marx geriet dabei häufig aus dem Blickfeld, auch da, wo seine persönliche Rolle für das historische Verständnis der Arbeiterbewegung unabdingbar war. Betrieb die historische Marxforschung in der DDR gegenüber Marx eine Art von politischer Heiligenverehrung, so erschöpfte sich die westdeutsche oftmals darin, eine negative Spurensuche zu betreiben, um die Bedeutung von Marx für die Geschichte der Arbeiterbewegung zu minimieren.5 Eine kritische ›Leben-Marx-Forschung‹ ergab sich daraus nicht.

Sehr viel unbefangener befasste sich die britische und amerikanische Forschung mit der Biografie von Karl Marx. Weitgehend unberührt von den querelles allemandes interessierten sich angelsächsische Forscher für den Politiker Marx und stellten ihn in den historischen Zusammenhang der Arbeiterbewegung in Europa. So entstanden sowohl monografische Einzelstudien als auch größere Werke zur politischen Biografie von Karl Marx.6 In vielen Fällen zeigt sich allerdings, dass sich das Interesse der angelsächsischen Marxbiografen letzten Endes auch eher an seiner politischen Theorie entzündete denn an seiner Aktivität in der Politik. Marx interessierte als Politiker nur insoweit, als es zum Verständnis seiner politischen Theorie notwendig zu sein schien. Zwar wurde gelegentlich sogar die These vertreten, Marx sei »in erster Linie ein Politiker und nicht ein Denker« gewesen.7 Weil als Beweise zu dieser Aussage jedoch fast ausschließlich seine theoretischen Schriften herangezogen wurden, konnte das wenig überzeugen. Man muss sich auf die Fülle der biografischen Quellen einlassen, um die historische Aktivität des Politikers Marx in ihrer historischen Bedeutung zu erfassen. Sie lässt sich nur aus vielen, häufig rein tagespolitisch aktuellen Texten, aus Briefwechseln und Tagebüchern sowie aus Veröffentlichungen in der Presse rekonstruieren. Die folgende Darstellung sucht diesem Anspruch zu genügen.

Die neue Aktualität von Marx

Nach den umwälzenden Ereignissen von 1989/90 hatte es den Anschein, als ob Karl Marx ins Schattenreich der Toten zurücksinken und dort seinen Platz finden würde, wo er hingehört: ins 19. Jahrhundert. Als historische Reizfigur aktueller politischer Auseinandersetzungen verlor er mit einem Schlag seine Bedeutung. Nachdem er nach seinem Ableben über ein Jahrhundert lang die Welt in Atem gehalten hatte, wollte man ihn nunmehr so rasch wie möglich vergessen. Die damnatio memoriae schien der schnellste Weg zu sein, unliebsame Erinnerungen an den Mann des 19. Jahrhunderts loszuwerden, der das 20. Jahrhundert ideologisch über die Maßen bestimmt hatte. Das führte auch dazu, dass die wissenschaftliche Forschung über Marx stark zurückging.

Konnte man nach 1989 von einem regelrechten Einbruch der Marxforschung sprechen, so hat sich das vor einigen Jahren wieder geändert. Wer geglaubt hatte, Marx werde nie wieder auf ein aktuelles Interesse stoßen, hatte sich getäuscht. Ursache dafür war die globale Finanzkrise von 2007/08. Sie bewirkte eine diffuse Kapitalismuskritik, welche den Blick auch wieder auf Karl Marx lenkte. In der allgemeinen Verunsicherung schien die Fundamentalkritik von Marx eine Antwort auf die Krise des kapitalistischen Finanzsystems zu geben. Diese Neubelebung des Interesses an Marx wurde durch die zufällige Tatsache noch verstärkt, dass sich sein 200. Geburtstag am 5. Mai 2018 näherte. Selbst im katholischen Trier, seiner Geburtsstadt, in der die Erinnerung an Marx nie über sein Geburtshaus hinausgegangen war, besann man sich plötzlich des großen Sohns der Stadt.8

Weltweit beruht das neue Interesse an Marx darauf, dass niemand so früh und so systematisch eine finale Existenzkrise des ›Kapitalismus‹ vorausgesagt hat wie Marx in seinem fundamentalen Hauptwerk »Das Kapital«. Darin Lösungen für die gegenwärtige Krise des kapitalistischen Systems zu finden, ist freilich irrelevant. Marx suchte nicht nach Möglichkeiten für eine Reparatur, sondern nach Beweisen für den unvermeidlichen Untergang des ›Kapitalismus‹.9 Dieser stellte für ihn die Produktionsweise einer historischen Formation dar, die aus sich heraus ihren Untergang hervortrieb. »Das Kapital« kann daher keine Hilfe für die Bewältigung der globalen Finanzkrise unserer Gegenwart bieten. Auch wer auf die Überwindung des kapitalistischen Weltsystems hofft, kann bei Marx nur bedingt fündig werden. Dieser hielt die Entfaltung des ›Kapitalismus‹ zwar für ein globales Phänomen, womit er den Ökonomen seiner Gegenwart deutlich voraus war. Sein globales Szenario beruhte jedoch verständlicherweise auf der historischen Erfahrung des Industriesystems seiner Gegenwart, in dem das Verhältnis von Kapital und Arbeit durch einzelne Unternehmer bestimmt war. In der Sprache von Marx: Individuelle Kapitaleigner waren für ihn die Inhaber der industriellen Produktionsmittel. Der reine Unternehmerkapitalismus geriet jedoch schon um 1900 in die Krise und wurde durch einen globalen Finanzkapitalismus überlagert. Wie die Schüler von Marx von Eduard Bernstein über Karl Kautsky bis Rosa Luxemburg entdeckten, führte die Entfaltung des ›Finanzkapitals‹ zu einer globalen Vernetzung, die dem ›Kapitalismus‹ ein neues Gesicht gab. Sie interpretierten die Entstehung und die Zukunft dieses Neokapitalismus zwar durchaus unterschiedlich. Wer heute antikapitalistische Vorurteile hat, kann bei ihnen jedoch eher Antworten finden als bei Marx, auch wenn ihre Veränderungsvorschläge infolge der weiteren Entwicklung des kapitalistischen Systems längst überholt sind.10

Die wiederaufkommende Diskussion über Marx hatte noch eine andere Folge: Da der politisch motivierte Historikerstreit über ihn Geschichte ist, kann seine historische Rolle heute unbefangen verhandelt werden. Es ist daher möglich, Marx ganz aus den Bedingungen des 19. Jahrhunderts heraus zu verstehen. Das bedeutet dreierlei: Zum Ersten kann sein Verhältnis zur aufkommenden Arbeiterbewegung ohne Berücksichtigung des späteren Siegeszugs des ›Marxismus‹ untersucht werden. Es ist möglich, seine politische Rolle allein in zeitgeschichtlichen Kontexten zu behandeln. Daraus ergibt sich zweitens die Möglichkeit, seine Aktivität als Politiker neu zu gewichten. Es ist denkbar, diese aufzuwerten und sie zu seinen Lebzeiten als gleichgewichtig oder sogar möglicherweise als bedeutsamer als seine politische Theoriebildung anzusehen. Und drittens schließlich kann man die Besonderheiten seiner politischen Aktivität genauer erkennen, wenn man sie aus seinem Selbstverständnis herleitet. So hatte Marx Vorurteile gegenüber den ›Politikern‹,11 wie es in Deutschland weit verbreitet war, scheute sich jedoch nicht, selbst in der Politik aktiv zu werden.

Man kann das als eine Historisierung seiner Biografie bezeichnen. Das bedeutet jedoch nicht, mit dem Marx des 19. Jahrhunderts einen besseren Marx entdecken zu wollen, so wie man einmal einen aufgeschlossenen ›jungen Marx‹ von einem dogmatischen späteren Marx glaubte unterscheiden zu können.12 Die Politik von Marx soll vielmehr nur an den Maßstäben des 19. Jahrhunderts gemessen werden, weil nur dieses Vorgehen historisch angemessen ist. Als wegweisend für diese Historisierung können die beiden neuen Biografien von Marx bezeichnet werden, die Jonathan Sperber 2013 und Gareth Stedman Jones 2016 veröffentlicht haben. Marx wird in diesen herausragenden Darstellungen konsequent als Mann des 19. Jahrhunderts vorgestellt. Sperber betont, »Marx nicht aus unserem, sondern aus dem zeitgenössischen Kontext« heraus zu sehen.13 Und Stedman Jones erklärt, dass es der »Zweck seines Buches« sei, Marx entgegen allen posthumen Ausdeutungen »zurück in die Gegend des 19. Jahrhunderts« zu befördern.14 Es ist dieser Weg einer Historisierung von Karl Marx, der für die Interpretation seiner Biografie künftig maßgebend sein sollte.

Die wichtigste Erkenntnis, die sich aus der biografischen Historisierung von Marx herleiten lässt, besteht darin, dass zu seinen Lebzeiten ein anderes Bild von ihm vorherrschend war als in späterer Zeit. Wer an Marx denkt, meint heute in der Regel den Sozialphilosophen, den Globalhistoriker und vor allem den Weltökonomen. Es war jene dieser Wahrnehmung zugrunde liegende gewaltige wissenschaftliche Lebensleistung von Marx, die im 20. Jahrhundert ebenso viel Faszination wie Beunruhigung hervorgerufen hat. Geht man von dieser Wirkungsgeschichte aus, muss Marx ohne Frage als ein Mann der großen Ideen angesehen werden. Im 19. Jahrhundert, zu seinen Lebzeiten, war das jedoch durchaus noch nicht der Fall. Das hatte zunächst einmal den einfachen Grund, dass den Zeitgenossen ein großer Teil seiner philosophischen und ökonomischen Schriften noch gar nicht bekannt sein konnte, da sie erst nach seinem Tode, zum Teil sogar erst im 20. Jahrhundert veröffentlicht worden sind. Zwar wurde der erste, 1867 erschienene Band des »Kapitals« von der einschlägigen Wissenschaft durchaus wahrgenommen und kritisch rezipiert,15 ein ›Bestseller‹ jedoch war er zur großen Enttäuschung von Marx nicht.16 Da er die beiden weiteren Bände vor seinem Tod nicht abschloss, weshalb sie erst posthum von Friedrich Engels überarbeitet und veröffentlicht werden konnten, blieb seine wirtschaftstheoretische Kompetenz zu seinen Lebzeiten noch weitgehend unbekannt.17 Nicht einmal bei seinen engeren Anhängern in der internationalen, sogar auch der deutschen Arbeiterbewegung gehörte das »Kapital« zur Standardlektüre. Selbst August Bebel berichtet in seinen Memoiren, er habe den ersten Band des Opus Magnum von Marx erst gelesen, als er in der ihm auferlegten Festungsstrafe Muße dazu hatte.18

In der organisierten Arbeiterschaft galt Marx zwar aufgrund seiner überragenden intellektuellen Fähigkeiten als ›Gelehrter‹, diese Charakterisierung blieb jedoch bei der Masse seiner Anhänger höchst diffus und basierte nicht auf genauer Kenntnis seiner Schriften. Seine Reputation bei den Arbeitern beruhte vielmehr darauf, dass er trotz seiner intellektuellen Überlegenheit einer der ihren zu sein schien. Wenn er jedoch, wie zu zeigen sein wird, seine geistige Überlegenheit glaubte ausspielen zu können, scheiterte er politisch.

Über die Zirkel seiner engeren Parteigänger hinaus zog Marx größere öffentliche Aufmerksamkeit erstmals Mitte der Fünfzigerjahre des 19. Jahrhunderts auf sich, als ihm im Kölner Kommunistenprozess unterstellt wurde, das politische Haupt einer revolutionären Verschwörung zu sein. Die preußischen Polizeibeamten Karl Wermuth und Wilhelm Stieber verbreiteten im Zusammenhang mit dem Kölner Prozess einen Bericht, in dem Marx als einer der »gefährlichsten und talentvollsten Mitglieder der europäischen Umsturzpartei« bezeichnet wurde.19 Das war selbstverständlich eine absichtsvolle Übertreibung, die Marx jedoch im konservativen Europa des 19. Jahrhunderts den Ruf einbrachte, ein führender politischer Revolutionär zu sein. Im postrevolutionären Deutschland war das nach 1848/49 ein Verdikt, das den aus dem Deutschen Bund über Frankreich nach Großbritannien entwichenen politischen Flüchtling für immer zum Emigranten machte. Marx hatte zwar 1845 in Belgien selbst seine preußische Staatsbürgerschaft aufgegeben, nachdem er erfahren hatte, dass die preußische Regierung seine Ausweisung aus Belgien erwirken wollte. 1848 hatte er sich in Köln jedoch um eine Wiedererlangung der Staatsbürgerschaft bemüht, weil er sich als Staatenloser, wie sich 1849 bestätigen sollte, bei seiner Tätigkeit als Chefredakteur der »Neuen Rheinischen Zeitung« ständig von Ausweisung bedroht sah. Dieser Versuch scheiterte ebenso wie ein weiterer 1861, und Marx behielt lebenslang den prekären Status eines Staatenlosen.

Und erneut war es keine aufsehenerregende wissenschaftliche Veröffentlichung, sondern eine politische Publikation, die ihn 1871 in der europäischen Öffentlichkeit bekannt machte. Dabei handelte es sich um die von ihm initiierte öffentliche Parteinahme der Internationalen Arbeiterassoziation für die Pariser Kommune. Für die theoretischen Implikationen seiner Darstellung des »Bürgerkriegs in Frankreich«, die später so leidenschaftlich diskutiert wurden, interessierte sich in diesem Zusammenhang kaum jemand.20 Vielmehr war es der Verdacht, mit seinem Eintreten für die Kommune als »Grand Chef« der ›Internationale‹ aktiv den Umsturz der bürgerlichen Staatenwelt Europas zu planen, der Marx erneut ins Rampenlicht brachte.21 Auch diese Unterstellung entsprang einer bloßen Verschwörungstheorie, die aber vor allem deshalb glaubhaft wirkte, weil Marx sich nicht als einzelner politischer Autor, sondern im Namen einer internationalen Arbeiterorganisation zu Wort gemeldet hatte. Es war der revolutionäre Politiker Marx, der dem konservativen Europa einen Schrecken einjagte, nicht der Theoretiker der Revolution.

Es ist deshalb gerechtfertigt, den historischen Marx nicht in erster Linie als Mann der Theorie, sondern der politischen Praxis anzusehen. Das bedeutet selbstverständlich nicht, die Rolle, die Marx in der praktischen Politik gespielt hat, langfristig als bedeutender anzusehen als seine Leistung als Kritiker des kapitalistischen Gesellschaftssystems. Zu seinen Lebzeiten wurde er jedoch sowohl innerhalb als vor allem außerhalb der Arbeiterbewegung in erster Linie in der politischen Praxis wahrgenommen, galt er als Mann der Tat, der die bestehenden Verhältnisse durch Revolution verändern wollte. Er war zwar zweifelsohne kein Berufsrevolutionär vom Schlage Lenins, auch wenn er gleich diesem nie eine geregelte bürgerliche Berufstätigkeit ausübte. Jedoch war er zwei Mal, von 1846 bis 1852 (in der europäischen Revolutionszeit) und von 1864 bis 1872 (in der Zeit der deutschen Reichsgründung) vorrangig, ja zeitweise fast ausschließlich politisch aktiv. Bedenkt man, dass er nur 65 Jahre alt geworden ist, war das mit insgesamt 14 Jahren eine bemerkenswert lange Zeit. Die Vorstellung, Marx habe seine Tage überwiegend im Britischen Museum einsam mit dem »Kapital« ringend verbracht, ist deshalb nicht zutreffend. Vergleicht man ihn mit anderen großen Denkern des 19. Jahrhunderts, so wird man kaum einen finden, der sich so intensiv in die praktische Politik einmischte wie Marx.

Wie zu zeigen sein wird, engagierte sich Marx nicht einfach in der ›Politik‹, sondern er betrieb Politik auf seine Art. Wie er häufig zum Ausdruck brachte, hielt er nichts von ›Politikern‹. Er bekämpfte jeden, der allein durch konventionelles politisches Handeln, sei es in einem Parlament oder sei es in einer Regierung, etwas bewirken zu können glaubte. Er war nicht überzeugt von einer Eigenständigkeit des Politischen, hatte es für ihn doch keine eigene Substanz, sondern war in seinen Augen nur das Ergebnis ökonomisch bedingter Klassenkonflikte. Nur wer die Politik auf diese Klassenkonflikte bezog, war für ihn ein wirklicher ›Politiker‹.

Letzten Endes interessierte ihn damit nur die Politik im Allgemeinen, nicht das tägliche Einerlei des politischen Alltags. Ihm lag nichts an öffentlichen Auftritten bei Volksversammlungen oder gar an Redeschlachten, wie sie in Parlamenten geführt wurden. Er drängte sich nicht nach politischen Ämtern, sondern suchte aus dem Hintergrund Politik zu machen. Bezeichnenderweise übernahm er den Vorsitz des Kölner Arbeitervereins 1848 erst, als kein anderer mehr dafür infrage kam.22 Politische Vereinssitzungen in verrauchten Hinterzimmern, bei denen endlos diskutiert oder ständig Abstimmungen wiederholt wurden, waren ihm ein Gräuel, das er so weit wie möglich mied. Dafür fiel ihm unter den häufig illiteraten Arbeitern, mit denen er es zu tun hatte, besonders die Formulierung von tagespolitischen Erklärungen und die Abfassung von programmatischen Texten zu, die er nach Möglichkeit am heimischen Schreibtisch erledigte, womit er sein Fernbleiben von Sitzungen rechtfertigte. Er spielte damit als intellektueller Vordenker eine politische Sonderrolle, die es ihm nach seiner Auffassung aber überhaupt nur erlaubte, an den Organisationsbemühungen der Arbeiterschaft teilzunehmen. Die Arbeiter sollten sich nach seiner Vorstellung eigentlich selbst organisieren, und nur weil er glaubte, ihnen ideologisch den Weg weisen zu können, hielt er seine Rolle als Politiker in ihrer Mitte für gerechtfertigt.

Eingedenk der bisherigen Überlegungen wird im Folgenden erstens darauf verzichtet, Marx von der vielfältigen Wirkung her zu beurteilen, die sein Denken posthum gehabt hat. Der Fokus liegt vielmehr auf dem historischen Marx, das heißt auf der Rolle, die er zu seinen Lebzeiten gespielt hat. Das bedeutet zweitens, dass nicht seine geschichtsphilosophischen Theorien, sondern seine Aktivitäten als Politiker untersucht werden. Auszugehen ist dabei von der Annahme, dass diese zu Lebzeiten für ihn zwar nicht wichtiger waren als seine wissenschaftlichen Studien, dass sie jedoch unmittelbar eine größere Wirkung hatten als Letztere. Drittens schließlich ist danach zu fragen, was Marx als Politiker besonders auszeichnete. Wie konnte er sich von den zeitgenössischen Politikern distanzieren und doch selbst als solcher aktiv sein?

II. Theoretische Voraussetzungen politischen Handelns

Politik als revolutionäre Wissenschaft

So erstaunlich es klingen mag, hat Marx keine geschlossene Theorie der Politik entwickelt. Sein Denken kreiste nach philosophischen Anfängen bekanntlich in erster Linie um die Ökonomie und deren geschichtliche Bedingungen. Zwar äußerte er sich etwa als Herausgeber der »Neuen Rheinischen Zeitung« 1848/49 durchaus zu grundsätzlichen politischen Problemen.1 So behandelte er Probleme der Politik in Frankreich mehrfach in selbstständigen Broschüren, etwa 1850 in »Die Klassenkämpfe in Frankreich«, 1852 in »Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte« und 1871 in »Der Bürgerkrieg in Frankreich«.2 In keinem der Fälle handelte es sich jedoch um systematisch angelegte Abhandlungen, sondern um tagesbedingte Kampfschriften, die von Marx aus aktuellem Anlass verfasst wurden. Wenn überhaupt kamen seine grundsätzlichen Ansichten über Politik darin nur beiläufig zur Sprache. Eine spezielle Darstellung oder auch nur eine größere Abhandlung über das Problem der ›Politik‹ gibt es von ihm nicht.

Gleichwohl kann man aus seinen verstreuten Äußerungen seine Ansichten über Politik rekonstruieren. Sie beruhten im Wesentlichen auf zwei Grundannahmen: Zum einen glaubte Marx fest daran, wissenschaftliche Einsicht in die Bedingungen der Möglichkeit von Politik zu haben. Zum anderen zielte die von ihm betriebene Verwissenschaftlichung der Politik nicht allein auf die Erkenntnis politischer Zusammenhänge und Sachverhalte ab, sondern auf ihre praktische Anwendung. Es lag nicht nur an seiner jüdischen Herkunft, dass seine akademische Karriere im vormärzlichen Preußen schon zu Ende ging, ehe sie überhaupt richtig begonnen hatte. Marx sah vielmehr in der akademischen Welt der Universität für sich von vornherein keine Zukunft. Es drängte ihn aufgrund seiner wissenschaftlichen Selbsteinschätzung zum politischen Handeln. So wie er die Politik verstand, war diese somit für ihn eine eigene Sache, die ihn von anderen zeitgenössischen Politikern deutlich unterschied.

Jene Wissenschaft, die politische Theorie und Praxis vereinen sollte, war für Marx der Sozialismus. Das entsprach durchaus zeitgenössischem Verständnis, seitdem Lorenz Stein 1842 in einem epochemachenden Buch den frühen französischen Sozialismus als »Wissenschaft« vorgestellt hatte.3 Die Wissenschaft, zu der Stein den Sozialismus erhoben hatte, war die »Wissenschaft der Gesellschaft«.4 Marx stimmte darin mit Stein überein, auch wenn er andere Konsequenzen aus dieser Erkenntnis zog. In seinen Augen lag prinzipiell jedem Sozialismus eine gesellschaftswissenschaftliche Methode zugrunde, die er keineswegs nur für sein Denken beanspruchte. Selbst dem von ihm bekämpften »kritisch-utopistischen Sozialismus und Kommunismus« konzedierte er, durchaus »aus kritischen Elementen« zu bestehen, was nichts anderes bedeutete, als dass er ihnen einen wissenschaftlichen Charakter zubilligte.5 Wenn Friedrich Engels deshalb später für den marxistischen Sozialismus ein Exklusivrecht auf Wissenschaftlichkeit beanspruchte, so entsprach das nicht den ursprünglichen Vorstellungen von Karl Marx.6 Im Grunde war es für ihn eine Tautologie, den per definitionem wissenschaftlichen Sozialismus als Wissenschaft zu bezeichnen. So wird auch verständlich, weshalb Marx den später im Marxismus dogmatisierten Terminus »Wissenschaftlicher Sozialismus« fast nie benutzt hat. Als man ihn einmal darauf festlegen wollte, ließ er ihn zwar rückwirkend für seine historisch bedingte Auseinandersetzung mit dem ›utopischen Sozialismus‹ gelten.7 Darüber hinaus hat er ihn aber nie ausdrücklich für sich in Anspruch genommen.8

Wenn die Wissenschaftlichkeit eines jeden Sozialismus außer Frage stand, so konnte es für Marx immer nur mehr oder weniger wissenschaftliche Sozialisten geben, nicht aber wissenschaftliche und unwissenschaftliche. Folgerichtig behauptete er auch nicht, als einziger Sozialist wissenschaftlich zu argumentieren, aber er erhob gegenüber anderen Sozialisten durchaus den Anspruch auf höhere Wissenschaftlichkeit. Dafür gab es für ihn zwei Gründe: Zum Ersten sah Marx seine sozialistische Theorie im Unterschied zu den meisten anderen Sozialisten in engem Zusammenhang mit der proletarischen Klassenbewegung. Dieses Selbstverständnis entsprang seinem materialistischen Grundansatz, wonach soziale Ideen nur Ausdruck gesellschaftlicher Prozesse seien, nicht aber diese verursachen könnten. »Tatsächlich existierend«, »real« und »wirklich« – das waren die ins Materialistische gewendeten idealistischen Begriffe Hegels, mit denen er die wissenschaftliche Höherwertigkeit seiner Theorie behauptete. In der »Deutschen Ideologie« wird der Kommunismus als »wirkliche Bewegung« bezeichnet, »welche den jetzigen Zustand aufhebt«.9 Im »Kommunistischen Manifest« wird er programmatisch als Ausdruck »tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassenkampfes« beschrieben.10 Dies, nicht weiter hinterfragte, wissenschaftliche Selbstbewusstsein brachte Marx dazu, andere sozialistische Theorien nach Belieben als esoterisch abzutun. »Der wahre Sozialismus, der auf der Wissenschaft zu beruhen vorgibt«, heißt es etwa in der »Deutschen Ideologie«, sei nur eine esoterische Wissenschaft.11 Marx hebt sich auf diese Weise schon vor 1848 von deutschen Sozialisten wie Moses Heß oder Karl Grün ab, die gleich ihm auf dem Weg über die Philosophie zum Sozialismus gekommen waren. Wenn er sie ironisch »wahre Sozialisten« nannte, so unterstellte er damit, seinerseits einen wissenschaftlich überlegenen Sozialismus zu vertreten.

Zum Zweiten verstand Marx seine sozialistische Theorie als »revolutionäre Wissenschaft«. Der ›wahre Sozialismus‹ wurde von ihm auch deswegen kritisiert, weil er »alle revolutionäre Leidenschaft verloren hat und an ihrer Stelle allgemeine Menschenliebe proklamiert«.12 Aus ähnlichen Gründen verfielen auch die englischen und die französischen Frühsozialisten von Robert Owen bis Charles Fourier und Henri de Saint-Simon seinem Verdikt. Ihre wissenschaftlichen Systeme waren in seinen Augen »doktrinär«. Zwar gestand er ihnen zu, dass sie auch »in vieler Hinsicht revolutionär« seien, doch bildeten ihre Schüler jedes Mal »reaktionäre Sekten«.13 Dies führte Marx vor allem darauf zurück, dass sie »auf alle politische, namentlich alle revolutionäre Aktion« verzichtet hätten und ihre Ziele auf friedlichem Wege erreichen wollten.14

In der Überzeugung von seiner eigenen überlegenen historischen Erkenntnis führte Marx sowohl den Wirklichkeitsbezug als auch den revolutionären Grundzug seines sozialistischen Denkens auf die geschichtliche Entwicklung zurück. Solange das Proletariat sich noch nicht als Klassenbewegung formiere, sei es unmöglich, seine Befähigung zu revolutionärer Selbsttätigkeit zu erkennen. Die frühen sozialistischen Theoretiker hätten deshalb am Proletariat nur »das Elend im Elend« bemerken können.15 Alles, was sie zur Abhilfe dieses Zustandes vorgeschlagen hätten, sei das Produkt ihrer eigenen Fantasie gewesen. Die ihr entspringenden theoretischen Entwürfe einer bestmöglichen Zukunftsgesellschaft bezeichnete Marx deshalb als »kritisch-utopistisch«.16 Erst in dem freilich imaginären Augenblick, in dem das Proletariat sich seiner selbst bewusst werde, könne die Wissenschaft »bewußtes Erzeugnis der historischen Bewegung werden«. Sie höre damit auf, »doktrinär zu sein« und werde »revolutionär«.17

Marx war sich der Widersprüche in seiner sozialistischen Theorie nicht bewusst. Der Sozialismus wurde in seinen Augen durch die Rückkoppelung an den Emanzipationsprozess des Proletariats angeblich historisch objektiviert.18 Die sozialistische Theorie, behauptete er, werde in der Praxis der proletarischen Aktion aufgehoben: »Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.«19 Gleichzeitig sprach Marx jedoch immer wieder davon, dass der Sozialismus auch als positive, das heißt nicht mehr spekulative wissenschaftliche Theorie dem Klassenkampf als »einer unter unsren Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung« gegenüberstehe.20 Wie die soziale Wissenschaft zugleich der historischen Klassenbewegung entspringen und mit dieser konfrontiert sein konnte, blieb dabei sein Geheimnis.

Ebenso wenig wurde von ihm geklärt, wie eigentlich der Zeitpunkt zu erkennen sei, zu dem der gesellschaftliche Formationsprozess das Proletariat zum kollektiven Bewusstsein seiner Klassenidentität verhelfe. Als klassenbewusstes Kollektiv bleibt das Proletariat bei Marx letztlich ein theoretisches Konstrukt. Es kann deshalb nicht verwundern, dass er den proletarischen Konzentrationsprozess in Deutschland bei seinem Eintritt in die Politik gründlich verkannte. Die Kontaktaufnahme mit den ausnahmslos aus dem Handwerk kommenden deutschen Arbeiterführern in der Pariser Emigration wurde von ihm in der ersten Begeisterung als Begegnung mit dem sich formierenden Proletariat missverstanden. Emphatisch sprach er 1844 davon, dass bei den kommunistischen Arbeitern in Paris »die Brüderlichkeit der Menschen keine Phrase, sondern Wahrheit« sei.21 Wilhelm Weitlings »Garantien der Harmonie und Freiheit« bezeichnete er als »riesenhafte Kinderschuhe des Proletariats«.22 Erst zwei Jahre später stellte Engels gegenüber Marx resigniert fest, dass mit diesen Proletariern »nichts anzufangen« sei, »solange nicht in Deutschland eine ordentliche Bewegung existiert«.23 Diese sehr viel realistischere Einstellung bestimmte seitdem auch die Haltung von Marx bis hin zu der skeptischen Frage, wie »mit solchen Leuten Weltgeschichte gemacht werden« könne.24

Niemals wäre Marx allerdings der Gedanke gekommen, dass seine theoretische Analyse des Geschichtsprozesses von falschen Voraussetzungen ausgehen könnte. Auch wenn sich die sozialistische Theorie in der konkreten politischen Situation nicht bewährte, stand für ihn die Überlegenheit seiner revolutionären Wissenschaft niemals infrage. Marx zweifelte nicht daran, sein politisches Handeln an einer wissenschaftlich begründeten Theorie orientieren zu können. Das vermittelte ihm eine Selbstgewissheit, die ihn auch die größten politischen Misserfolge überstehen ließ. Unerschütterlich ging er seinen Weg als Politiker, auch wenn er immer wieder feststellen musste, dass die politische Praxis mit seiner vorgefassten Theorie nicht übereinstimmte.

Politische Theorie als Handlungsanweisung

Die politische Theorie von Marx war im Kern eine Theorie der Revolution.25 Das bedeutete zweierlei: Sie sollte politisches Handeln zum einen nicht bloß reflektieren, sondern vielmehr auch zu diesem anleiten, und sie sollte zum anderen nicht zu beliebigem politischen Handeln anleiten, sondern zu revolutionärem. Die politische Theorie von Karl Marx war also anwendungsorientiert, und sie zielte auf radikale Veränderung. Schon dadurch unterschied sie sich von der Theorie seiner meisten Zeitgenossen, auch von der vieler Sozialisten.

Als Revolutionstheorie hatte die politische Theorie von Marx einen historischen Sondercharakter, der sie in zweifacher Hinsicht von anderen Revolutionstheorien des 19. Jahrhunderts unterschied. Zum Ersten verschränken sich in der marxschen Revolutionstheorie auf eigentümliche, letzten Endes nicht auflösbare Weise objektive und subjektive Elemente. Die Revolution stellte sich für Marx einerseits als ein sich unabhängig vom Menschen vollziehender Geschichtsprozess dar. Dieser war für ihn im Wesentlichen ökonomisch bedingt. Der revolutionäre Prozess ergab sich für ihn in dieser Hinsicht »aus den Widersprüchen des materiellen Lebens, aus dem vorhandenen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen«26 Somit revolutionierte sich die Gesellschaft für Marx aufgrund der in ihr wirksamen Kräfte gewissermaßen von selbst. Andererseits war eine Revolution für Marx nicht ohne eine organisierte Aktion möglich. Es war seiner Ansicht nach die bewusste revolutionäre Tat, die erst den politischen Umsturz herbeiführen könne. Entscheidende Voraussetzung dafür war für ihn der Prozess kollektiver Bewusstseinsbildung, den Marx als die Entstehung von Klassenbewusstsein bezeichnete. Seine Theorie vom Klassenkampf, dem er die gesamte Geschichte unterworfen sah, hat hier ihren Ursprung.27

Die Spannung von objektivem Formationsprozess und subjektivem Handlungspotenzial glaubte Marx nun zweitens dadurch aufheben zu können, dass er die Revolution nicht als einen einmaligen Akt, sondern als langwierigen Geschichtsprozess ansah. Wenn auch materialistisch gewendet, entwickelte er ganz im Geiste Hegels eine revolutionäre Prozesstheorie. Die von ihm im Prinzip als unausweichlich angesehene Revolution der Zukunft werde sich in mehreren, genau voneinander abgrenzbaren Schüben vollziehen. Als mythischen Endzustand prognostizierte er eine »klassenlose Gesellschaft«, die sich von der bisherigen Geschichte abheben werde. Bis dieser erreicht sei, gebe es nach Marx nur Phasen des revolutionären Übergangs. Er war in dieser Hinsicht nicht ein sozialistischer Theoretiker des End-, sondern des Durchgangszustandes, nicht die mythische ›klassenlose Gesellschaft‹ interessierte ihn eigentlich, sondern der Weg zu ihr hin.

Die einzelnen Übergangsphasen dieses revolutionären Prozesses hat er im Laufe seines Lebens durchaus unterschiedlich gesehen. Das historische Modell dafür lieferte ihm zweifellos die Französische Revolution, sowohl was ihren historischen Gesamtcharakter als auch was ihre verschiedenen Etappen anbetrifft.28 Aus der Französischen Revolution leitete er vor allem »den folgenreichen historischen Analogieschluß von der bürgerlichen auf die proletarische Revolution« ab.29 Konkrete historische Erfahrungen seiner Zeit, wie die der Revolutionen von 1848/49 oder der Entstehung des deutschen Nationalstaats, haben seine Revolutionsvorstellungen jedoch nachhaltig beeinflusst. Wichtig ist vor allem, dass er seine Revolutionstheorie, anders als später seine leninistischen Nachahmer, nicht schematisch auf alle Gesellschaften übertrug, sondern national differenzierte. Es sei hier nur an seine Äußerungen über England einerseits und Russland andererseits erinnert.30 Im Einzelnen braucht das in diesem Zusammenhang nicht weiter zu interessieren. Für die Beurteilung seiner Rolle als handelnder Politiker reicht es aus, die Revolutionserwartungen zu kennen, die Marx für Deutschland hatte.

Nach seiner ursprünglichen Vorstellung sollte die Revolution in Deutschland lediglich zwei Etappen durchlaufen. In einer ersten Stufe sollte eine ›bürgerliche Revolution‹ die Bourgeoisie an die Macht bringen. Die politische Verfassung der dadurch entstehenden bürgerlichen Herrschaft war in seinen Augen nicht eine Demokratie, sondern die konstitutionelle Monarchie: »Die preußische Märzrevolution sollte das konstitutionelle Königtum in der Idee und die Bourgeoisherrschaft in der Wirklichkeit schaffen.«31 ›Bürgerliche Revolution‹ hieß also für Marx in Deutschland ursprünglich nichts anderes als Übergang vom monarchischen Absolutismus zum parlamentarischen Verfassungsstaat auf monarchischer Grundlage. Eine ›bürgerliche Demokratie‹ konnte es in seinen Augen dagegen in Deutschland zunächst nicht geben. Die »Erkämpfung der Demokratie« war für ihn mit der »Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse« identisch.32 Die Schaffung einer demokratischen Republik war somit für ihn folgerichtig erst in der zweiten Phase des revolutionären Prozesses möglich. Sie bezeichnete er als »Arbeiterrevolution«.33

Marx hat immer wieder betont, die Stufenfolge von der bürgerlichen Revolution zur Arbeiterrevolution in Deutschland sei unausweichlich. Die bürgerliche Revolution wurde von ihm ausdrücklich »als eine Bedingung der Arbeiterrevolution« bezeichnet.34 Sie konnte daher für ihn nicht der Endpunkt des revolutionären Prozesses sein, durfte aber auch nicht einfach übersprungen werden. Das revolutionäre Stufenprogramm war für Marx bekanntlich nicht von politischen Konstellationen abhängig, sondern ökonomisch bedingt. Die proletarische Revolution sollte erst stattfinden, wenn der gesellschaftliche Formationsprozess des Proletariats abgeschlossen sei. Seiner Vorstellung gemäß mussten daher zunächst »die bisherigen kleinen Mittelstände, die kleinen Industriellen, Kaufleute und Rentiers, die Handwerker und Bauern« als Folge des kapitalistischen Industrialisierungsprozesses verschwinden und »ins Proletariat hinab« sinken, ehe an eine Arbeiterrevolution zu denken sei.35 Mit anderen Worten: Erst wenn das Proletariat als »Klasse« die »ungeheure Mehrzahl« der Bevölkerung umfassen würde, war für Marx die gesellschaftliche Basis für den Erfolg einer proletarischen Revolution gegeben.36

Auf welche Weise sollte aber das Proletariat diese gesellschaftliche Hegemonie erreichen? Marx war hier der Überzeugung, dass die Bourgeoisie, indem sie sich ihrerseits als ›Klasse‹ durchsetze, zugleich die Voraussetzungen für die Formierung des Proletariats schaffe. Die Bourgeoisie hatte in seinen Augen die historische Aufgabe, die »buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften«, zu zerstören und die moderne, auf Lohnarbeit gestützte kapitalistische Eigentümergesellschaft aufzubauen.37 Mit der Durchsetzung des auf Arbeitsteilung beruhenden modernen Industriesystems werde zugleich auch die Stunde des Proletariats schlagen. Bourgeoisie und Proletariat waren damit für Marx in ihrer Klassenexistenz dialektisch miteinander verschränkt.

Diese geschichtsphilosophische Dialektik determinierte auch das politische Programm von Marx. Die Klassenherrschaft der Bourgeoisie ließ sich in seinen Augen nur verwirklichen, wenn der monarchische Absolutismus vollständig beseitigt werde. Das Proletariat könne analog dazu seine historische Rolle der Aufhebung aller Klassengegensätze nur erfüllen, wenn es zuvor seine politische Alleinherrschaft gegen die Bourgeoisie erzwinge. Beides war für Marx aufgrund der gesellschaftlichen Klassenprozesse notwendigerweise einander nachgeordnet: Erst die politische Herrschaft der zur Klasse sich formierenden Bourgeoisie, dann die politische Herrschaft des zur Klasse werdenden Proletariats.

Anders als für die Führer der frühen Arbeiterbewegung kam für Marx deshalb vor 1848 der sofortige Einstieg in eine proletarische Revolution nicht infrage. Er teilte nicht einmal die sanguinischen Hoffnungen der ersten deutschen Arbeiterführer, dass Deutschland »am Vorabend einer bürgerlichen Revolution« stehe.38 Der Ausbruch der Revolution war für ihn nicht eine für die nahe Zukunft erwartete persönliche Lebensperspektive. Allerdings ließ er sich auf die Voraussage ein, dass die bürgerliche Revolution in Deutschland »nur das unmittelbare Vorspiel einer proletarischen Revolution« sein könne.39 Entscheidend war an dieser Formulierung das Wörtchen »unmittelbar«: Die bürgerliche und die proletarische Revolution wurden dadurch zeitlich aneinandergerückt, ja geradezu miteinander verschmolzen. Die eine schien ohne Zwischenspiel in die andere überzugehen. Es spricht einiges dafür, dass diese Formulierungen als Konzession an die ungeduldigen deutschen Arbeiterführer anzusehen sind, die sich nicht auf eine ferne Zukunft hin vertrösten lassen wollten.40 Was Marx von diesen unterschied, war jedoch sein Glaube an die ökonomische Gesetzmäßigkeit der revolutionären Entwicklung. Die »Abschaffung der bürgerlichen Produktionsweise und den definitiven Sturz der politischen Bourgeoisieherrschaft« konnte das Proletariat in seinen Augen erst erreichen, wenn dies die materiellen Bedingungen erlaubten.41 Jeder verfrühte Versuch proletarischer Machtergreifung könne, wie Marx bezeichnenderweise unter Verweis auf die Ereignisse von 1794 in Frankreich ausführte, nur zu vorübergehendem Erfolg führen. Oder anders gesagt: Solange das Proletariat als soziale Klasse nur eine Minderheit der Bevölkerung umfasste, war es nach der festen Überzeugung von Marx nicht in der Lage, eine demokratische Herrschaft zu etablieren. Allenfalls hätte es eine Diktatur der proletarischen Minderheit über die Mehrheit des Volkes errichten können. Eine solche proletarische Minderheitsdiktatur lag Marx aber ganz fern.

Durch den Ausbruch der Märzrevolution konnte er sich in seinen Auffassungen fälschlicherweise bestätigt sehen. Das von ihm eiligst entworfene Aktionsprogramm der »Forderungen der Kommunistischen Partei in Deutschland« von Ende März 1848 verlangte daher die volle Durchsetzung bürgerlicher Herrschaft. Mit der Forderung, Deutschland »zu einer einigen, unteilbaren Republik« zu machen, wurde der Bourgeoisie gleichzeitig auch schon der Kampf angesagt.42 Der Auseinandersetzung mit der sich in Preußen und auf Reichsebene konstituierenden parlamentarischen Monarchie sollte denn auch die im Mai 1848 von ihm mitgegründete »Neue Rheinische Zeitung« dienen. Es war durchaus programmatisch zu verstehen, wenn sie als »Organ der Demokratie« ins Leben gerufen wurde.43

Nur allzu rasch zeigte sich jedoch, dass sich das politische Revolutionsprogramm, das Marx vor 1848 für Deutschland entworfen hatte, nicht realisieren ließ. Völlig zu Recht hat man daher die »Forderungen der Kommunistischen Partei« als das »unrealste aller politischen Aktionsprogramme« bezeichnet.44 Es war jedenfalls von Anfang an wenig realistisch, von der Revolution in Deutschland einen baldigen Übergang zur Demokratie zu erwarten. Wie sich rasch zeigte, konnte die Bourgeoisie »ihre eigene Herrschaft nicht erkämpfen«.45 Die ›bürgerliche Revolution‹ blieb daher in Deutschland in den Anfängen stecken. Anstatt, wie geplant, die Bourgeoisie sofort mit aller Kraft bekämpfen zu können, sah sich Marx daher gezwungen, sie erst einmal politisch zu unterstützen. Bis November 1848 wagte er es nicht, in der »Neuen Rheinischen Zeitung« offen für die Einführung einer demokratischen Republik einzustehen, wie das die »Forderungen der Kommunistischen Partei« eigentlich verlangt hätten. Die Parole »Autokratie oder Republik« wurde von ihm ausdrücklich als zukünftige, nicht als aktuelle politische Alternative bezeichnet.46 Friedrich Engels nannte es sogar ein »utopistische[s] Verlangen«, a priori eine einige und unteilbare deutsche Republik zu proklamieren. Er warnte deshalb davor, den »Ausgangspunkt des Kampfes« der revolutionären Bewegung mit deren Ziel zu verwechseln.47

Es ist jedoch für das politische Denken von Marx bezeichnend, dass er sein revolutionäres Grundsatzprogramm nicht völlig aufgab. Er passte es nur insoweit der historischen Situation an, als dies noch mit seiner deterministischen Grundeinstellung vereinbar war. Da die Bourgeoisie in Deutschland wider Erwarten keine Anstalten machte, selbstständig ihre politische Herrschaft durchzusetzen, sondern sich im Gegenteil mit dem monarchischen Staat zu arrangieren suchte, sah sich Marx für sie nach einem anderen politischen Bündnispartner um. Er fand ihn in der demokratischen Volksbewegung. Nach wie vor hielt er aber daran fest, dass in Deutschland zunächst das Großbürgertum an die Macht kommen müsse. Dazu sollte ihm nur mit einer anderen politischen Strategie als ursprünglich vorgesehen verholfen werden. Anstatt ein »Schutz- und Trutzbündnis mit der Reaktion« einzugehen, sollte die Bourgeoisie dazu gebracht werden, »die demokratische Seite der Revolution anzuerkennen«.48

Erst nachdem die konstitutionelle Revolutionsregierung in Preußen und in Österreich jeweils durch einen monarchischen Staatsstreich beseitigt worden waren, ließ Marx im November 1848 die Hoffnung auf ein Zusammengehen der liberal-konstitutionellen mit der demokratischen Bewegung fallen. Wortgewaltig rechnete er jetzt, aber eben erst jetzt, mit der Vereinbarungsstrategie der ›Bourgeoisie‹ ab.49 Die konstitutionelle Monarchie, deren volle Durchsetzung er bis dahin in Deutschland immer noch für notwendig gehalten hatte, wurde von ihm nun als ungeeignet angesehen, die deutsche Revolution voranzutreiben: »Die Geschichte des preußischen Bürgertums, wie überhaupt des deutschen Bürgertums vom März bis Dezember, beweist, daß in Deutschland eine rein bürgerliche Revolution und die Gründung der Bourgeoisieherrschaft unter der Form der konstitutionellen Monarchie unmöglich, daß nur die feudale absolutistische Konterrevolution möglich ist, oder die sozial-republikanische Revolution.«50

Entgegen seiner ursprünglichen Revolutionstheorie kämpfte Marx bis zum Ende der Revolutionszeit für die übergangslose Durchsetzung der Demokratie. »Demokratie« hieß allerdings, und insofern blieb er seinem ursprünglichen Ansatz treu, immer noch nicht »proletarische Demokratie«. Es hätte auch allzu sehr der historischen Realität widersprochen, wenn er die deutsche Arbeiterbewegung schon für fähig gehalten hätte, die Revolution selbstständig im demokratischen Sinne zu vollenden. Marx sprach deshalb jetzt nicht nur von »Arbeitern«, sondern immer auch in einem Atemzug von »Kleinbürgern« und »Bauern«, wenn er den Weg zur Herbeiführung der demokratischen Revolution aufweisen wollte.51 Hatte er vorher die demokratisch orientierten Kleinbürger und die Bauern weitgehend unbeachtet gelassen, so wurden diese nunmehr von ihm in eine Allianz gegen die Bourgeoisie einbezogen. So meinte er nun auch nicht mehr allein die Arbeiter, wenn er zusammenfassend vom »Volk« sprach.52 Das ›Volk‹ umfasste für ihn das Proletariat und »alle Fraktionen des Bürgertums, deren Interessen und Ideen dem Proletariat verwandt« seien.53 Anstatt von einer »demokratischen Revolution« sprach er nun bezeichnenderweise meistens von einer »Volksrevolution«.54 Das war kein Zufall. Nach wie vor hielt Marx offensichtlich auch 1849 noch daran fest, dass die eigentliche demokratische Revolution nur das Werk der proletarischen Machtergreifung sein könne. Die »Volksrevolution« konnte insofern nur eine Vorstufe zu dieser sein. Sie wurde von Marx gewissermaßen zwischen die (unvollendete) bürgerliche Revolution und die (erst später zu vollendende) proletarische Revolution eingeschoben. Sie war als eine Zwischenstufe im demokratischen Revolutionsprozess anzusehen, dessen nächste erst folgen konnte, wenn das Proletariat in der deutschen Bevölkerung die übergroße Mehrheit umfasste.