Ein Geschenk zum Verlieben - Karen Swan - E-Book

Ein Geschenk zum Verlieben E-Book

Karen Swan

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Beschreibung

Diamonds are a girl’s best friend. Doch das schönste Geschenk eines Mannes ist und bleibt sein Herz ...

Die Welt der Schmuckdesignerin Laura ist klein und überschaubar. Nach einem Schicksalsschlag sind ihr Freund Jack, ihre beste Freundin Fee und ihr Hund Arthur ihre Familie. Bis an einem Wintertag der attraktive Rob Blake im Atelier auftaucht, mit einem ungewöhnlichen Anliegen: Er möchte seiner Frau eine Kette mit sieben Anhängern schenken, von denen jeder für einen besonderen Menschen stehen soll. Dafür soll Laura die sieben wichtigsten Personen in deren Leben interviewen. Laura willigt ein und lernt ein ganz neues Leben kennen voller Luxus und Extravaganz. Doch bald muss sie erkennen, dass nicht alles so glanzvoll ist, wie es auf den ersten Blick scheint …

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Buch

Die Welt der Schmuckdesignerin Laura Cunningham ist klein und überschaubar. Nach einem schrecklichen Schicksalsschlag sind ihr Freund Jack, ihre beste Freundin Fee und ihr Hund Arthur ihre Familie. Bis an einem Dezembertag der attraktive Rob Blake in ihrem Atelier auftaucht. Der gutaussehende Geschäftsmann mit den braunen Locken und dem verschmitzten Lächeln hat einen besonderen Auftrag für die talentierte Designerin: Er möchte seiner Frau Cat eine Kette mit exakt sieben Anhängern schenken, von denen jeder für einen besonderen Menschen in deren Leben stehen soll. Allzu leicht ist das Geld allerdings nicht verdient, denn Laura soll dafür die sieben wichtigsten Personen in Cats Leben interviewen, und dazu muss sie ihr kleines, beschauliches Fischerdorf Charington in Suffolk und ihre Liebsten für eine Weile verlassen. Laura willigt ein – und lernt ein anderes, völlig neues Leben kennen, voller Luxus und Extravaganz. Schnell wird klar, dass die beneidenswert schöne Cat eine schillernde Persönlichkeit mit Esprit und Charisma ist. Doch nach und nach muss Laura erkennen, dass nicht alles so glanzvoll ist, wie es auf den ersten Blick scheint …

Karen Swan

Ein Geschenk

zum Verlieben

Roman

Übersetzt

von Gertrud Wittich

Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel

»The Perfect Present« bei Pan Books, an imprint of

Pan Macmillan, London.

1. Auflage

Deutsche Erstveröffentlichung November 2013

Copyright © 2012 by Karen Swan

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2013

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München,

unter Verwendung der Originalgestaltung

Umschlagbild: Colin Thomas; Shutterstock

Redaktion: Henriette Schimanski

LT · Herstellung: Str.

Satz: omnisatz GmbH, Berlin

ISBN: 978-3-641-11887-7

www.goldmann-verlag.de

Für meinen Vater, Malcolm

Bester Dad und Inspirationsquelle

Mein Vorbild

Prolog

Juli 1981

Meine über alles geliebten Schätzchen!

Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll – Abschiednehmen fällt schwer. Und dieses hier ganz besonders. Wo wir uns doch erst seit so kurzer Zeit haben. Ich kann mich noch genau an den ersten Moment erinnern: an eure winzig kleinen, roten, schrumpeligen Gesichter – zwei identische kleine, schrumpelige Gesichter. Ihr habt ausgesehen wie zwei alte Seelen, die gekommen sind, um mich auf der Abenteuerreise durchs Leben zu begleiten. Und zum Glück, denn ich war so jung, als ich euch bekommen habe. Immerhin hatten wir sechs Jahre – sechs herrliche Jahre, die wir uns einfach genommen haben. Und sie waren ein einziges Fest, nicht wahr, meine Schätzchen?

Für mich war es vom ersten Augenblick an klar: Ihr seid der Grund, warum ich morgens die Augen aufmache, warum mein Herz schlägt, meine Haut atmet, meiner Fantasie Flügel wachsen. Ihr seid mein Herz, meine Seele, meine Liebe, mein Leben. Ich habe jeden Moment mit euch genossen – angefangen beim Leuchten auf euren Gesichtern am Weihnachtsabend, aber auch bei all den kleinen Wundern: wie die Sommersprossen auf euren Nasen mit der ersten Sonne aufblühen wie Gänseblümchen, und wie aus einem Keuchen ein Lachen wird, wenn ich euch den Bauch kitzle. Verlernt nie dieses Lachen, auch nicht, wenn ihr groß seid. Es zaubert ein Lächeln auf jedes Gesicht.

Was ich sonst noch vermissen werde? Den Duft eurer Köpfchen – ach, wie gerne hätte ich ihn in Flaschen konserviert und als Parfüm getragen! »Heaven Scent«, so hab ich euch immer genannt. Das ist englisch und ein Wortspiel mit »sent« und »scent« und bedeutet sowohl »Himmlischer Duft« als auch »Gottesgeschenk«. Und das seid ihr! Wie ich es vermissen werde, nie mehr eure geliebten Händchen halten zu können oder zu dritt in meinem Bett zu schlafen, wir alle zusammen, kreuz und quer aneinandergeschmiegt wie eine Bärenfamilie im Winterschlaf. Und keiner, der mit uns schimpft, wenn wir mal verschlafen. Bitte achtet immer darauf, dass ihr genug Schlaf bekommt. Das ist wichtig. Und putzt euch zweimal am Tag die Zähne, morgens und abends. Und esst Obst.

Dann gibt es natürlich noch viele Dinge, die nicht so wichtig sind – auch wenn die Erwachsenen gerne das Gegenteil behaupten –, Dinge wie nicht mit Straßenschuhen auf den Teppich treten oder Brokkoli essen. Es macht auch nichts, wenn ihr euch nie an Zucchini gewöhnt. Ich selbst habe erst vor einem Jahr zum ersten Mal Quiche gegessen, und es hat mir nicht geschadet – zumindest glaube ich nicht, dass ich deswegen jetzt diesen Brief hier schreibe. O weh, schlechter Scherz, vergesst es.

Versucht immer offen zu sein für neue Erfahrungen. Das ist es, glaube ich, was ich euch mit auf den Weg geben will. Das Leben ist groß und laut und bunt und aufregend, manchmal aber auch beängstigend. Und dann müsst ihr tapfer und mutig sein, meine Schneckchen. Selbst wenn man euch im Stich lässt oder euch das Herz bricht – und so was passiert, so ist das Leben –, müsst ihr tapfer sein und dürft nie aufgeben. Denn auch ein solcher Zustand geht vorüber, und dann kommen wieder bessere Zeiten. Ihr seid stark – dafür habe ich gesorgt.

Es war mein großer Traum, eine Weltreise mit euch zu unternehmen, sobald ihr ein bisschen älter seid (zehn, vielleicht?). Ich wollte euch aus der Schule nehmen (ich weiß, coole Mum!) und selbst unterrichten. Wir wären durch ganz Asien und Südamerika gereist. Aber ich glaube nicht, dass Tante Lisa das mit euch wird machen können, weil Onkel Martin ja arbeiten muss. Also müsst ihr selbst auf Reisen gehen, sobald ihr groß genug seid, und selbst die Welt kennen lernen.

Habt ihr übrigens gewusst, dass graue Augen ganz selten sind? Ihr habt sie von eurem Daddy geerbt. Als Königin Elizabeth I. England regiert hat, galten graue Augen als ein Schönheitsideal. Daher hast du deinen Namen, Lilibet. Weil du die Ältere bist, hast du ihn bekommen. Und du, meine Laura, hättest eigentlich Flora heißen sollen, denn in deinen Augen habe ich die ganze Farbenpracht der Natur gesehen. Aber das wäre ein Buchstabe zu weit weg von deiner Schwester gewesen. Und ich wollte, dass ihr euch so nahe seid wie euer eigener Schatten. Daher also Lilibet und Laura, meine elisabethanischen Schönheiten.

Ich weiß, ihr werdet eine Zeit lang sehr, sehr traurig sein. Vielleicht sogar für lange Zeit. Aber versucht trotzdem, wenigstens einmal am Tag zu lachen. Und zu singen – ihr werdet erstaunt sein, wie glücklich es macht, wenn man singt. Und glücklich sein heißt nicht, dass ihr mich vergessen habt oder dass ihr mich weniger lieb habt. Ich will, dass ihr glücklich seid – das wünsche ich mir mehr als alles andere auf der Welt!

Ich weiß, ihr werdet das überstehen, denn schließlich habt ihr euch beide. Ich war so froh, als mir der Doktor gesagt hat, dass ich Zwillinge erwarte! Mein erster Gedanke war, dass ihr dann immer einen Spielkameraden haben werdet. Aber jetzt weiß ich, dass Gott es so eingerichtet hat, damit ihr nie allein sein müsst. Solange ihr euch beide habt, ist alles gut. Seid lieb zueinander, teilt mit dem anderen und versucht, nicht zu streiten. Tante Lisa wird ihr Bestes tun, um es euch schön zu machen, vergesst das nicht.

Als ich in eurem Alter war, habe ich mir immer eine Zwillingsschwester gewünscht. Oder eine Prinzessin zu sein, oder eine Fee. Zu einer solchen werde ich jetzt zwar noch immer nicht, aber ich werde mein Bestes – mein Allerbestes! – tun, damit ihr immer meine Nähe spürt. Bei Sportwettkämpfen in der Schule werde ich der Schmetterling sein, der euch vor Nervosität im Bauch herumflattert; ich werde das Bibbern sein, wenn ihr blau vor Kälte aus dem Schwimmbecken steigt; oder das Kichern, das euch in der Kehle sitzt, wenn ihr in der Sonntagsschule Mr Bentons Schnurrbart bestaunt. Und eines Tages, wenn ihr ganz alte Omas seid – viel, viel älter als ich jetzt –, dann werden wir uns im Himmel wiedersehen. Ich werde am Himmelstor stehen und euch erwarten, meine Schätzchen, genauso wie nach der Schule. Und bis dahin bin ich ein kleiner Engel, der auf eurer Schulter sitzt und euch lieb hat.

Es umarmt euch, mit tausend Küssen,

eure Mummy

1. Kapitel

Laura betrachtete die Schuhe, die sie in ihrer Hand hielt. Sie ahnte jetzt schon, dass sie sie kaufen würde, egal, ob sie passten oder nicht. Sie waren rot, und das genügte. Dafür war sie bekannt hier in der Gegend, fast schon so etwas wie eine kleine Berühmtheit. Jack machte sich gern darüber lustig: »Du weißt ja, was man sagt: rote Schuhe – aber nichts untendrunter.« Er wusste natürlich, dass sie die Letzte war, die mit »nichts untendrunter« herumlaufen würde. Vielleicht fand er’s ja deshalb so witzig. Immerhin besser als eine andere seiner typischen Reaktionen, nämlich die Augen zu verdrehen. Beim letzten Mal hatte er dabei entnervt ausgerufen: »Aber du hast doch schon fast fünfzig Paar!« Als er jedoch ihren Gesichtsausdruck sah, hatte er sich rasch entschuldigt. Sie hatten in der Küche gestanden. Er war zu ihr gegangen, hatte sie umarmt und gesagt, er möge es ja, dass sie »eine Macke« habe.

Die Verkäuferin, die im Lager nach der richtigen Größe gesucht hatte, tauchte wieder auf. Sie schüttelte bedauernd den Kopf.

»Tut mir leid, wir haben nur noch diese Größe sechsunddreißig hier. In achtunddreißig ist überhaupt nichts mehr da, nicht mal mehr in einer anderen Farbe.«

Laura biss sich auf die Lippe und überlegte. Die Verkäuferin machte eine Bewegung, als wolle sie die Schuhe ins Regal zurückstellen. »Ich … ich nehme sie trotzdem«, sagte Laura, zuerst zögernd, dann entschlossen. Den Blick der Verkäuferin meidend, kramte sie in ihrer Tasche nach ihrem Geldbeutel. »Sie sind so günstig. Sicher kann ich sie irgendwem schenken …«

»Wie Sie wollen.« Die Verkäuferin beäugte verstohlen Lauras rote Pumps, die sie nach dem Frühstück heute Morgen so kräftig poliert hatte, dass sich ihre Blicke nun in deren glänzender Oberfläche trafen.

Kurz darauf ließ sie erleichtert die bimmelnde Ladentür hinter sich zufallen. Sie holte tief Luft und blieb einen Moment lang stehen, um sich an die hier vorherrschende Helligkeit und das Treiben zu gewöhnen. Der Tag hatte sich bereits gestreckt und ausgedehnt, die Novembersonne stand sanft strahlend am Himmel, ohne ihre wärmende Kraft. Geschäftsleute aus der Gegend hasteten mit dampfenden Kaffeebechern an ihr vorbei und verbrannten sich an der überschwappenden braunen Flüssigkeit die Finger. Rentner tauchten, Rollwägelchen hinter sich herziehend, kopfschüttelnd aus dem Metzgerladen oder dem Supermarkt auf und schimpften brummelnd über den Preis für Rinderbrust. Vor dem Bäcker standen ein paar Mütter mit Kinderwagen herum und versuchten sich gegenseitig zu Kuchen und Kaffee zu überreden, damit sie sich über ihre Sorgen mit dem Nachwuchs austauschen konnten.

Laura kehrte alldem den Rücken – sie war froh, dass das nicht ihre Probleme waren. Ihre Tüte hin und her schwingend, ging sie in die entgegengesetzte Richtung. Sie war groß und schmal und hatte langes, glattes, hellbraunes Haar, das im Takt ihrer Schritte über ihren Rücken schwang. Ihr Studio befand sich in einem umgebauten Bootshaus, ein Stück draußen, gleich hinter dem Jachthafen, nur acht Minuten entfernt. Wenn sie den Leuten erzählte, wo sie arbeitete, stellten diese sich das meist sehr romantisch vor, aber die Werkstatt war alles andere als das. Sie erhob sich auf dünnen Stelzen über den anderen Wellblechdächern und verfallenen Bootshütten ringsum. Das sah aus, als habe ein Architekt, dessen Berufserfahrung sich auf das Spielen mit Legosteinen beschränkte, noch ein Stockwerk ungeschickt draufgesetzt. Im Holz war der Wurm drin, was man allerdings nicht sah, da sie im vorletzten Sommer alles von einem Studenten aus dem Jachtklub, der dringend Cash brauchte, neu hatte streichen lassen. Aber ihr gefiel’s trotz allem. Es war ihr zweites Zuhause geworden.

Sie bog von der Hauptstraße in eine von zahlreichen schmalen, mit Kopfsteinen gepflasterten Gassen ein, ging vorbei an den schmucken kleinen, in Pastellfarben gestrichenen Fischerhütten mit ihren buschigen Reetdächern – mittlerweile fast alles Ferienhäuser von wohlhabenden Londonern – den betonierten Pier entlang und auf den schmalen, ausgetretenen Treidelpfad, der zu ihrem Studio führte. Es stand auf einem kleinen Hügel, mitten im Marschgebiet der Flussmündung. Jack nannte ihn den »Sankt-Laura-Hügel«. Das braune Wasser umspülte nur während der Springtide die Stelzen, aber der Damm, der dorthin führte, war allein bei Ebbe begehbar – und das war auch der Grund, warum sie sich heute erst so spät an die Arbeit machte. Genau genommen hätte sie sich natürlich ein Ruderboot zulegen und hinüberrudern können, wenn sie wirklich morgens um acht anfangen und abends um fünf zu arbeiten hätte aufhören wollen, so wie jedermann. Aber sie mochte die Unregelmäßigkeiten, zu denen die Tide sie zwang. Mehr noch liebte sie – was sie Jack gegenüber nie hätte zugeben können –, dass sie gelegentlich im Atelier eingeschlossen war. Wenn sie es versäumte, rechtzeitig loszugehen, weil sie so in ihre Arbeit vertieft war. Nachdem dies das erste Mal passiert war, hatte sie vorsorglich Bettzeug und eine Tasche mit dem Nötigsten in ihrer Werkstatt deponiert, damit sie für alle Eventualitäten gerüstet war. Jack hasste es, wenn das passierte. Er hatte das Gefühl, dass sie unter diesen Umständen noch dazu ermutigt wurde, »es zu übertreiben«, wie er es nannte, und nicht rechtzeitig zuhause zu sein.

Die Ebbe hatte nun beinahe ihren Tiefststand erreicht. Ringsum erstreckten sich, weit und grau glänzend, die schlammigen Marschflächen. Laura verlor jedoch keine Zeit mit der Beobachtung der Säbelschnäbler und Rohrdommeln, die pickend und wie schwerelos über die weiten Flächen staksten. Nach beiderseitigem anfänglichen Misstrauen lebten sie inzwischen in gleichgültiger Harmonie nebeneinanderher. Laura lief rasch die zweistöckige Stahltreppe hinauf und schob den Schlüssel ins Schloss. Jack lag ihr andauernd in den Ohren, wie schlecht ihre Werkstatt abgesichert sei. Immerhin bewahrte sie Materialien im Wert von Tausenden von Pfund darin auf.

Sie ließ ihre Tasche auf den Boden plumpsen und nahm die deutlich zu kleinen Schuhe heraus. Liebevoll stellte sie sie aufs Fensterbrett. Im weiß gestrichenen Studio wirkten sie wie zwei blutrote Farbtupfer. Die breiten Holzdielen waren ebenfalls weiß gestrichen und lackiert, sodass sie edler aussahen, als sie in Wirklichkeit waren. Sie hatte über zwanzig Farbproben getestet und Jack fast an den Rand des Wahnsinns getrieben, ehe sie sich für einen bestimmten Weißton entschied. Sie wollte ein warmes Weiß haben, damit es im Winter nicht zu ungemütlich wirkte – ohne großen Erfolg, denn gegen den charakteristischen grauen Suffolk-Winter war kaum ein Kraut gewachsen. Immerhin hatte sie beige-weiß gestreifte Jalousien an den Fenstern angebracht, die allem eine etwas behaglichere Atmosphäre verliehen. Was bitter nötig war – zu jeder Seite gab es gleich mehrere Fenster, die Hütte war praktisch rundumverglast. Jack machte sich deswegen immer Sorgen. Sie stände ja hier wie auf dem Präsentierteller, meinte er, jeder könne sie sehen, wenn sie abends allein arbeitete. Aber Laura winkte ab. Wer solle sich denn für sie interessieren? Die herumlungernden Teenager? Oder die Vogelkundler, die die Marsch durchstreiften? Die hatten etwas Besseres zu tun.

Das rote Lämpchen auf dem Anrufbeantworter blinkte. Sie ging hin, um ihn abzuhören. Nachdem sie vier Jahre lang allein vor sich hin gearbeitet hatte, nur mit dem Radio als Gesellschaft, fand sie es noch immer erstaunlich, dass die Leute nun tatsächlich anriefen, um Schmuckstücke in Auftrag zu geben. Dass ihr Hobby zum Beruf geworden war, war reiner Zufall. Sie hatte für Fees Mutter eine Charm-Kette gemacht, die beim »Women’s Institute« überraschend gut angekommen war. Fee hatte sie daraufhin wochenlang belagert, sie möge sich jetzt doch endlich ordentlich selbstständig machen, aber Laura hatte stets abgewinkt. Fee hatte sich daraufhin, obwohl sie noch ziemlich jung war, kurzerhand zu Lauras Managerin gemacht und eine Anzeige im »Charrington Echo« aufgegeben. Eine glückliche Fügung bewirkte, dass eine Redakteurin des »FT-Magazins«, der Wochenendbeilage der Financial Times, zu der Zeit im benachbarten Walberswick Urlaub machte und zufällig auf die Anzeige stieß, während sie in einem Restaurant saß und auf ihr Mittagessen wartete. Eine Stunde später hatte sie an Lauras Tür geklopft, und damit war es nur noch ein Katzensprung hin zu einer Erwähnung in der Schmuckbeilage des namhaften Blattes gewesen.

Heute hatte sie zwei Nachrichten, beide von Fee – die sich mittlerweile auch zu ihrer PR-Beraterin ernannt hatte. Zumindest an den Tagen, an denen sie nicht an der Rezeption des Freizeit-Centers stand. Quiekend und aufgeregt mit den Fingern trommelnd, verkündete sie die Gewinnung von drei weiteren Kunden. Gestern war’s auch schon ein neuer gewesen – und das, obwohl der Artikel inzwischen mehrere Wochen zurücklag. Laura notierte kopfschüttelnd die Daten in ihrem Notizbuch. Unbegreiflich, dass immer noch Leute hinzukamen … In dem Artikel waren Schmuckhersteller der neuen Generation porträtiert worden. Lauras Abschnitt war der kürzeste gewesen, in letzter Minute noch reingequetscht. Als sie den Artikel sah, hatte sie sich kaum etwas davon versprochen, hatten sie doch auch noch das Foto von ihr abgeschnitten, und man konnte ihre roten Schuhe gar nicht sehen. Trotzdem hatten sich Interessenten gemeldet – und meldeten sich noch immer, wie das rote Licht auf dem Anrufbeantworter verriet, das ihr jeden Morgen entgegenblinkte –, sobald ihr die Gezeiten den Zutritt zu ihrer Werkstatt erlaubten.

Laura trat an ihre Werkbank und musterte kritisch die Arbeit von gestern: eine Kette für eine Hochzeit nächste Woche. Aus dem Augenwinkel sah sie den alten Graureiher erschrocken aufflattern. Da wusste sie, dass ihr Elf-Uhr-Termin gleich vor der Tür stehen würde, ihr sozusagen dicht auf den Fersen gefolgt war. Der gute alte Graureiher – er war besser als eine Alarmanlage. Stundenlang stand er reglos im Schilf, den langen Hals s-förmig zusammengelegt, und flatterte nur auf, wenn sich Kundschaft ihrer Werkstatt näherte. Wie die Säbelschnäbler und Rohrdommeln hatte er sich längst an ihre Anwesenheit gewöhnt.

»Hallo?«, drang eine Männerstimme fragend zu ihr herauf. Sie hörte Schritte auf der Stahltreppe.

»Ganz oben!«, rief Laura, dann holte sie tief Luft. Sie ließ die unfertige Kette in einer Schublade verschwinden und setzte den Kessel auf. Als sie einen Blick hineinwarf, zuckte sie angeekelt zurück. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie verkalkt er schon war. Da drinnen sah’s aus wie in einem Korallenriff.

»Hallo«, sagte die Stimme erneut, diesmal von ganz nah.

Laura setzte ein Lächeln auf, holte noch einmal tief Luft und drehte sich dann um. »Hi.« Im Türrahmen stand ein Mann in einem gepflegten Anzug.

Wie erstarrt war er stehen geblieben, hingerissen oder entsetzt, das ließ sich nicht sagen. Gemäß ihrer Devise »Nimm mich so, wie ich bin, oder lass es« (Fees Devise war »Nimm mich, ich will dich« – was sich entsprechend in ihrer Kleidung ausdrückte) hatte sie eine zerschlissene Boyfriend-Jeans an, die so tief saß, dass ihre Hüftknochen herausschauten, dazu ein ausgebleichtes schwarzes Armani-A/X-Sweatshirt von Jack. Das Einzige an ihr, was glänzte, waren ihre Zähne und ihre roten Schuhe.

»Miss Cunningham?« Er reichte ihr seine Hand.

»Laura«, antwortete sie und ergriff sie derart flüchtig, dass ihre Hand schon wieder seiner entglitt, als er sie gerade drücken wollte, sodass er nun ihre Fingerspitzen festhielt. Er warf einen Blick auf ihre unglücklich verschränkten Finger und gab sie dann frei.

»Robert Blake. Sie haben mich erwartet?«

Höchstens in ihren Träumen.

Seine Bewegungen waren selbstbewusst und absolut kontrolliert. Laura wusste sofort, dass in seinem Leben nichts zufällig oder grundlos geschah. Seine Präsenz war überwältigend, dabei besaß er noch etwas Jungenhaftes, das es ihr nicht schwermachte, ihn sich als Zwölfjährigen vorzustellen.

Eine faszinierende Mischung. Er hatte eine tiefe, angenehme Stimme und war groß gewachsen, gut ein Meter achtzig. Mitte dreißig, schätzte sie, kupferbraune Augen, ein volllippiger, breiter Mund und außergewöhnlich ebenmäßige Zähne. Sein Haar war sorgfältig zurückgekämmt, aber sie konnte sich vorstellen, dass nur eine der für die Küste von Suffolk typischen Windböen kommen musste, um seine braunen Locken durcheinanderzubringen und ein unbekümmertes Lächeln hervorzuzaubern. Sein Hemd und seine gepflegten Manieren verrieten ihr, dass er schon viel von der Welt gesehen haben musste. Das Funkeln in seinen Augen, dass ihm die Frauen auf jedem Kontinent zu Füßen lagen.

Laura nickte. Sie ahnte, dass sie wahrscheinlich rot geworden war. »Ja, natürlich. Wie nett, Sie kennen zu lernen.«

Sein Blick löste sich von ihr und huschte im Atelier umher. Sie sah, wie er an den zu kleinen roten Schuhen auf dem Fensterbrett haften blieb.

»Sie haben gut hergefunden, hoffe ich?«, sagte sie rasch und bedeutete ihm, auf einem der beiden großen weißen Sofas Platz zu nehmen.

»Am Ende schon. Ich dachte erst, mein Navi spielt mal wieder verrückt. Konnte kaum glauben, dass ich wirklich diesen schmalen Feldweg nehmen soll. Normalerweise muss ich zu einem Meeting keine Gummistiefel anziehen.« Er schenkte ihr ein amüsiertes Lächeln, das bei ihr ein Magenflattern auslöste und ihren ersten instinktiven Eindruck bestätigte.

Er setzte sich und schaute nun wieder sie an. Sein Anzug war Maßarbeit, vermutete sie. Sie erhaschte einen Blick auf das austernfarbene Seidenfutter des Sakkos. Auch seine Schuhe wiesen einen handgestickten Schriftzug auf. Nichts Jungenhaftes, was das betraf.

»Sie sind nicht der erste Kunde, der Probleme hat, mich hier draußen zu finden. Ich sollte meine Werkstatt vielleicht wirklich in eine etwas leichter zugängliche Gegend verlegen, aber … ich bin gern am Wasser.« Sie zuckte verlegen mit den Schultern. Ihre Smalltalk-Reserven waren damit erschöpft. »Möchten Sie vielleicht eine Tasse Tee? Oder Kaffee? Ist zwar nur Instant, aber …«

»Nein«, unterbrach er sie, schob jedoch ein höfliches »Danke, das ist nicht nötig« nach.

Laura nahm ihr Notizbuch zur Hand und setzte sich aufs Sofa gegenüber. Da es ihrem Gefühl nach ein klein wenig zu weit weg stand, rückte sie bis zur Kante vor.

Sie holte tief Luft und stieß den Atem wieder aus. Je schneller sie das hier hinter sich brachte, desto eher war sie ihn wieder los. Selbst in ihren besten Momenten fiel es ihr schwer, auf Leute zuzugehen – ganz zu schweigen von solchen Typen, die aussahen wie er. »Also, was kann ich für Sie tun? Was haben Sie sich vorgestellt?«

Er löste seinen Blick von ihr und legte die Faust an den Mund, als wolle er hineinhusten. »Nun, also, es ist für meine Frau«, sagte er ein wenig leiser als bisher. Fast, als stünde seine Frau draußen auf der Treppe und sollte nichts von dem Gespräch mitbekommen. »Es ist bald Weihnachten, aber das ist nicht alles. Sie hat auch Geburtstag. Am dreiundzwanzigsten Dezember. Da brauche ich natürlich was ganz Besonderes.«

Sie nickte verständnisvoll. Klar, dass er verheiratet war. Klar, dass er’s bis Weihnachten haben wollte.

»Geht das? Schaffen Sie das? Oder sind Sie sehr beschäftigt?«, erkundigte er sich.

»Weiß kaum, wo mir der Kopf steht. Alle wollen es bis Weihnachten haben.« Sie notierte sich seinen Namen in ihr Notizbuch.

»Ist das wegen dieses Artikels in der Financial Times?«

»Ja. Haben Sie ihn auch gelesen?«

»Dadurch bin ich auf Sie gekommen.«

»Sie und dreißig andere«, brummelte Laura. Sie musste an sich halten, um nicht die Augen zu verdrehen. »Nicht, dass ich mich beschweren will.« Sie schaute auf und merkte, dass er sie seltsam durchdringend anstarrte. Sicherlich hielt er sie für verschroben. Der Schnitt seines Anzugs ließ vermuten, dass die Frauen in seinem Leben mit Edelsteinen besetzte Jeans in Kindergrößen trugen. »Und, was hatten Sie sich für Ihre Frau vorgestellt?«

»Eine Halskette. Mit sieben Charms.«

Das war überraschend. Die meisten Kunden hatten zunächst mal keine genaue Vorstellung davon, was sie eigentlich wollten. »Das ist präzise. Warum sieben?«

Er zuckte mit den Schultern. »So viele möchte ich nun mal.«

»Also gut.« Sie legte ihr Notizbuch auf den Sofatisch und erhob sich. »Ich hätte da eine Auswahl an Amuletten und Talismanen. Ich zeige Ihnen ein paar, dann haben Sie eine Vorstellung davon, was möglich ist.« Sie zog eine Schublade in einer Art Aktenschrank auf, hob ein Tablett heraus und stellte es vor ihn auf den Tisch. Auf rotem Samt lag dort, in militärisch geordneter Reihe, eine Ansammlung von sogenannten Charms. »Und falls Sie sich etwas Bestimmtes vorgestellt haben, das hier nicht dabei ist, dann kann ich das natürlich extra anfertigen.«

Sie setzte sich und wartete auf seine Reaktion. Sie war stolz auf ihre kleine, aber feine Sammlung. Doch er würdigte diese mit keinem Blick.

»Es muss alles extra angefertigt werden«, erklärte er bestimmend.

Laura lehnte sich erstaunt zurück. »Ach? Nun, dann wird das mit Weihnachten aber sehr schwierig werden, fürchte ich.«

Er richtete sich auf. »Aber Sie haben doch noch vier Wochen Zeit.«

»Mag sein. Aber wie gesagt, ich habe auch noch andere Kundschaft.«

»Können Sie das nicht delegieren?«

»Ich arbeite allein«, entgegnete sie brüsk. Ihre Geduld ging langsam zu Ende.

Er schaute einen Moment lang aus dem Fenster gegenüber. Seine Kiefermuskeln traten hervor. Er war gereizt. Nun, da war er nicht der Einzige.

Er beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel und legte die Handflächen zusammen. »Also gut. Dann will ich Ihnen jetzt mal erklären, worum’s hier geht.« Er kam ihr vor wie ein Präsident, der eine Schule besucht und den Kindern einen Vortrag hält. »Meine Frau hat am Dreiundzwanzigsten Geburtstag. Sie hasst es, einen Tag vor Weihnachten Geburtstag zu haben. Jedes Jahr machen wir eine Riesenparty für sie, und jedes Mal kommen die Gäste rein und sagen ›Frohe Weihnachten‹. Und ich muss mir jedes Mal ein ganz besonderes Geschenk für sie einfallen lassen, damit ihr Geburtstag nicht im Weihnachtsfest untergeht. Haben Sie das so weit verstanden?«

Laura lehnte sich stirnrunzelnd zurück. Sein herablassender Ton ging ihr eindeutig auf die Nerven. Da mochte er noch so gut aussehen. Lange würde sie sich das nicht mehr gefallen lassen.

»Als ich diesen Artikel über Sie las, brachte mich das auf den Gedanken, dass so etwas ein perfektes Geschenk für meine Frau wäre: eine Charm-Kette. Aber eine ganz besondere. Ich möchte, dass jeder Anhänger für eine wichtige Person in ihrem Leben steht. Deshalb müssen es auch sieben sein. Und deshalb kann ich sie auch nicht einfach … von einem Tablett aussuchen. Sie müssen einzigartig sein. Einzigartig für meine Frau, meine ich.«

Laura nickte, gegen ihren Willen interessiert. »Eine schöne Idee, ja. Das ist mehr, als die meisten Kunden von mir verlangen. Meistens möchten sie nur die Erinnerung an einen besonderen Anlass, wie Taufe, Volljährigkeit, eine goldene Hochzeit et cetera. So etwas habe ich jedoch noch nie … nun, man hat mich noch nie gebeten, eine Lebensgeschichte zu erzählen. Professionell wäre das eine schöne Herausforderung für mich. Und ich kann Ihnen garantieren, dass etwas ganz Besonderes für Ihre Frau dabei herauskäme. Aber es ist ein besonders aufwendiger, arbeitsintensiver Auftrag. Wenn Sie mir bis nach Weihnachten Zeit geben würden …«

»Nein, das kommt überhaupt nicht infrage.«

»Nun, wenn wir dann vielleicht die Anzahl der Anhänger auf, sagen wir, drei oder vier reduzieren wü…«

»Nein«, unterbrach er sie erneut.

Laura lehnte sich gekränkt und irritiert zurück. Er versuchte nicht mal, höflich zu sein. »Tja, dann fürchte ich, dass wir nicht weiterkommen, Mr Blake. Die Zeit reicht einfach nicht, um mich mit Ihrer Frau auszutauschen und dann auch noch sieben Charms anzufertigen.«

»Sie können sowieso nicht mit ihr sprechen«, sagte er brüsk. »Es soll ja eine Überraschung werden. Sie darf auf gar keinen Fall etwas davon erfahren.«

Laura presste grimmig die Lippen zusammen. Dieses Projekt – so reizvoll es auch war – verlor mehr und mehr an Attraktivität. Er mochte ja schön anzusehen sein, aber die Aussicht, stundenlang mit einem solchen Arroganzling zusammensitzen und sich die Lebensgeschichte seiner Frau anhören zu müssen – die zweifellos nicht älter als zweiundzwanzig war –, ging Laura jetzt schon auf die Nerven.

In seiner Jacketttasche begann es zu brummen, und er holte unwirsch ein BlackBerry hervor.

Laura schaute mit wachsender Gereiztheit zu, wie er die Nachricht stirnrunzelnd las und das Gerät dann kommentarlos wieder einsteckte. Seit er hier aufgetaucht war, benahm er sich durchweg überheblich und herrisch. Sie klappte ihr Notizbuch mit einem hörbaren Knall zu und signalisierte so, dass dieses Meeting für sie beendet war. »Nun, es wird nichts geben, was Ihre Frau herausfinden könnte. Jedenfalls nicht von mir. Ich bedaure, Sie enttäuschen zu müssen, aber ich muss realistisch bleiben – was Lieferzeiten betrifft, und auch meine Verpflichtungen anderen Kunden gegenüber.«

»Wollen Sie damit sagen …?«

»Ich will damit sagen, dass es gut und gerne der Geburtstag Ihrer Frau sein mag, aber für alle anderen ist es Weihnachten. Wenn Sie mir nicht mehr Zeit geben oder sonst wie Kompromisse machen können, dann muss ich leider ablehnen.«

Sie blickten einander kampflüstern an. Laura sah jetzt wirklich rot. Sie wusste selbst, dass sie nicht gerade der Charme in Person war. Es war nicht immer leicht, mit ihr auszukommen. Aber selbst sie war kompromissbereiter und höflicher als dieser Kerl da.

Robert Blake starrte sie weiter an, scheinbar ebenso zornig wie sie. Dann erhob er sich plötzlich. Aber anstatt zu gehen, trat er ans Fenster und schaute nach draußen. Lauras Blick wurde ebenfalls unwillkürlich auf den weiten Horizont gelenkt, auf die flachen, unendlichen Ufermarschen, die Schlammbänke, die weit draußen in der Sonne allmählich austrockneten. In vier Stunden würden sich erneut die ersten Pfützen bilden, die Tide würde ihre leise Rückkehr antreten, raschelnd und gurgelnd im Schilf, und den Schlamm wieder zudecken, an dem sie so gierig sog.

Sein Blick fiel auf die Schuhe neben ihm auf dem Fensterbrett. Er nahm einen zur Hand. Das Seidenpapier war noch drinnen und auch der Schuhspanner.

»Für Ihre Tochter?«, fragte er.

»Ich habe keine Tochter«, antwortete sie abweisend.

»Einen Sohn?«

»Was? Nein!« Was fiel ihm ein, so persönlich zu werden? Er stellte den Schuh behutsam wieder zurück.

Dann schob er die Hände tief in die Hosentaschen und wandte sich zu ihr um. »Ich sehe, wir haben auf dem falschen Fuß angefangen«, sagte er ohne einen Anflug von Ironie. »Ich hätte vielleicht gleich sagen sollen, dass ich den doppelten Preis bezahle.«

»Den doppelten Preis?«, echote sie verblüfft.

»Genau.« Seine Augen begannen siegesgewiss zu funkeln. Offenbar ging er davon aus, dass die Sache damit geritzt war. Weihnachten würde doch allein seiner Frau gehören. Er war ein Geschäftsmann, und er war es gewohnt zu gewinnen. Das Auto mit dem fehlerlosen Navi, das draußen parkte, war zweifellos ein Volante oder ein Carrera. Und zweifellos gab es bereits eine geduldig abwartende Geliebte in seinem Leben, um die Rolle der Ehefrau zu übernehmen, sobald die alte ausgedient hatte. Und die Tatsache, dass er hier war und nicht die Luxusläden in der Bond Street heimsuchte, verriet, dass er ihr bereits alles geschenkt hatte, was man schenken konnte: die Taucheruhr von Cartier, das Tennisarmband von Asprey, den Diamantschlüssel von Fennel und den Freundschaftsring von Tiffany.

Laura richtete sich nun ebenfalls kerzengerade auf. »Es ist nicht eine Frage des Geldes«, entgegnete sie würdevoll und sonnte sich gleich ein wenig in ihrem kleinen Sieg. Sie ließ sich nicht kaufen. Da hatte er sich die Falsche ausgesucht. Soweit es sie betraf, war das Ganze jetzt rein eine Prinzipienfrage, und sie war mehr als bereit, den Sieg davonzutragen. Sie suchte sich selbst aus, welche Aufträge sie annahm und welche nicht. »Ich habe noch andere Kunden. Die kann ich nicht einfach hängen lassen.«

»Das brauchen Sie auch nicht zu tun. Ich habe das Ganze bereits mit Ihrer Mitarbeiterin arrangiert. Die anderen Kunden wurden schon kontaktiert und die Termine verlegt.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Außerdem bin ich selbstverständlich bereit, Sie für irgendwelche Ausfälle zu entschädigen.«

»Fee hat die Termine verlegt? Auf Ihre Anweisung?«, krächzte Laura. Ihr war schwindlig vor Wut.

»Sie werden feststellen, dass Ihnen die Termine jetzt sehr viel besser passen werden.«

Sie sprang auf – und konnte nur hoffen, dass Fee nicht heimlich eine Überwachungskamera für Trainingszwecke installiert hatte. Verfolgt von seinem durchdringenden Blick, stakste sie zur Tür. Es gab nichts mehr zu sagen. Sie war vernünftig und höflich geblieben. Aber damit war’s jetzt vorbei. »Bitte gehen Sie. Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen konnte«, sagte sie kalt und machte die Tür auf. Sie wies mit einer Armbewegung nach draußen. »Ich hoffe, Sie finden jemand anderen, der bereit ist, für Ihre Frau das komplette Weihnachtsgeschäft sausen zu lassen.«

Er war sichtlich geschockt. »Einen Moment mal! Haben Sie nicht gehört? Ich bin bereit, Ihnen das Doppelte anzubieten!«

»Kein Grund, mich wie eine Schwachsinnige zu behandeln. Sie sind derjenige, der hier nichts versteht, Mr Blake.«

»Sie machen einen großen Fehler.«

»Wohl kaum. Dies ist mein Geschäft, und ich arbeite, für wen ich will. Jedenfalls nicht für Leute, die meinen Terminkalender auf den Kopf stellen, nur um ihre verwöhnten Ehefrauen zu befriedigen. Es wird Sie zweifellos überraschen zu erfahren, dass ich meine Arbeit nicht des Geldes wegen ausübe.«

Eine angespannte Stille trat ein. Mit verengten Augen musterte er ihre starre Haltung, ihre Hand am Türknauf. Er holte tief Luft. »Okay, also gut, ich habe Sie gekränkt, wie ich sehe. Aber Sie sind der einzige Mensch, der mir weiterhelfen kann.« Aha, eine andere Taktik: Schmeichelei.

»Das fällt mir schwer zu glauben. Es gibt jede Menge Schmuckdesigner, und viele davon mit mehr Erfahrung, als ich sie vorweisen kann.«

»Aber diese Charms … Es gibt sonst niemanden, der das macht, was Sie machen. Hören Sie, ich habe Cat alles geschenkt, was Sie sich vorstellen können: Schmuck, Armbanduhren, Diamanten … Aber diese Kette wird das Einzige sein, was ihr wirklich etwas bedeuten wird. Bitte …« Seine Stimme brach überraschend. »Dieses Geschenk … Ich will ihr damit zeigen, wie sehr ich sie lie… wie viel sie mir bedeutet.« Er hielt inne. Sein Gesichtsausdruck, zuvor arrogant und selbstgefällig, war nun jungenhaft und flehend. »Alles hängt davon ab.«

Aber Laura ließ sich nicht erweichen. »Sie waren so kaltblütig, meine Termine verlegen zu lassen, wie es Ihnen in den Kalender passt. So etwas kann und will ich nicht dulden. Ich bitte Sie erneut: Gehen Sie! Ich habe zahlreiche Telefonate zu führen.«

Sie hatte gewonnen. Das war auch ihm klar. Langsam ging er zur Tür. Als er sie erreichte, blieb er noch einmal stehen. »Sie machen einen großen Fehler«, wiederholte er.

»Das ist ja nicht Ihr Problem. Auf Wiedersehen.« Sie knallte die Tür hinter ihm zu. »Blödmann!«

Sie war sicher, dass er das noch gehört hatte.

2. Kapitel

Hallo, Tom«, sagte Laura tonlos. Sie lehnte sich an die hohe Bar aus rotem Mahagoni und ließ ihren Blick durch den trubeligen Raum schweifen. »Tom’s Seafood and Champagne Bar« war, wie ihr Studio, mit maritimen Elementen ausgestattet. Aber während es sich bei ihr allein um Treibholz und das für die Kunst benötigte Licht handelte, stammte hier alles aus der Bootswerft. Der glänzend gebohnerte Boden war aus Teakholz, als Geländer dienten dicke Anlegeseile, und die Rollos bestanden aus robustem Segelleinen, die Kleiderhaken aus bronzenen Schiffsklampen. An den Wänden hingen sepiabraune Ansichten von Schonern aus den Zeiten des Großen Gatsby, die Regale hinter der Bar waren ehemalige Boote, der Länge nach durchgeschnitten und mit eingepassten Brettern, auf denen nun Gläser standen. Die Hälfte der Tische war bereits besetzt, die meisten Stühle hin zu den großen Panoramafenstern gedreht, durch die man einen herrlichen Blick auf den orangeroten Sonnenuntergang über dem schmucken kleinen Hafen hatte.

Der stämmige Barmann, der gerade beim Gläserpolieren war, hob den Kopf. »Laura«, antwortete er.

»Ziemlich voll heute.«

»Aye. Liegt am neuen Koch. Seine Tagliatelle mit Hummer sind wirklich was Besonderes. Mit frischem Safran und weißem Krabbenfleisch …«

Laura nickte anerkennend.

»Na, wie wär’s?«

Sie schüttelte bedauernd den Kopf, wobei ihr feines Haar ihre Schultern streifte. »Würde ich ja gerne, aber Jack kocht schon was für uns. Ich hab sowieso nicht viel Zeit. Du hast nicht zufällig …«

»Hab sie nicht gesehen«, warf Tom ein, machte eine Flasche Crème de Cassis auf und schenkte etwas davon in zwei Gläser.

Laura hob eine Augenbraue und legte ihre zusammengefalteten Hände auf die Theke. »Wo hast du sie nicht gesehen?«

»Jedenfalls nicht hinter dieser Säule da.« Er entkorkte eine Flasche vom Haussekt und füllte die Gläser damit auf.

Laura machte zwei Schritte nach rechts und reckte den Hals. Tatsächlich schaute hinter der Säule ein heftig wippendes, zierliches Fußgelenk hervor, daneben eine Hello-Kitty-Tüte. »Bring uns zwei frische Gläser, sobald du Zeit hast, ja?«

»Mach ich. Oder wollt ihr vielleicht mal das hier probieren? Kir Royal?«

Laura musterte die rote Flüssigkeit misstrauisch. »Nur, wenn’s aufs Haus geht. Ansonsten das Übliche.«

Darauf bedacht, niemandem ihre Schultertasche um die Ohren zu schlagen, schlängelte sie sich zwischen den Tischen hindurch. Das wippende Fußgelenk wippte noch heftiger, als würde es spüren, dass sie sich näherte.

»Woher weißt du, dass ich es bin?«, fragte Laura. Sie schaute auf das rosige herzförmige Gesichtchen hinab, das seinerseits zu ihr aufschaute.

»Deine Gummistiefel quietschen.«

Laura warf einen Blick auf ihre roten Hunter Wellies. Sie glänzten nass. Sie hatte auf dem Rückweg durchs Wasser waten müssen, an einem Stiefel klebte noch ein schlaffes Büschel Seegras.

»Du bist die Einzige, der Tom erlaubt, mit Gummistiefeln hier reinzukommen. Hast wohl mal wieder Überstunden gemacht, was?«

»Daran bist nur du schuld«, entgegnete Laura scharf. Sie stellte ihre Tüte mit der Schuhschachtel ab und ließ sich auf den freien Stuhl plumpsen.

Fee griff nervös nach ihrem Glas, an dem sie schon seit ihrer Ankunft nuckelte. Sie war froh, dass sie hier in der Öffentlichkeit waren – da würde Laura ja wohl keine Szene machen. Oder ihr an die Gurgel gehen. »Hör zu, Laur, ich weiß, du bist wahrscheinlich ein bisschen sauer und so …«

»Ein bisschen?!«

»Na gut, vielleicht sogar …«

»Stinksauer bin ich!«

»Okay, okay, ich weiß, du bist ein klitzekleines bisschen stinksauer, dass ich den Auftrag ohne dich zu fragen angenommen habe, aber ich hatte nur deine Interessen im Blick, glaub mir.«

»Ach ja? Und das ist deine Aufgabe, was?«

»Als deine Managerin, ja.«

»Meine selbsternannte Managerin. Ich hab dich nie darum gebeten. Und ich kann mir dich auch gar nicht leisten«, rief Laura ihr in Erinnerung.

»Na, jetzt schon!«, sagte Fee mit einem aufmunternden Zwinkern. Keine Reaktion. »He, du weißt doch, dass ich das alles nur aus Liebe mache, oder?«, sagte sie gespielt vorwurfsvoll.

Laura musterte ihre kecke, immer fröhliche Freundin. Sie war klein, mager und zierlich – rundum petite –, hatte ein herzförmiges Gesicht, babyblaue Augen und feines, schulterlanges blondes Haar, das ein wenig an Zuckerwatte erinnerte. Kurz und gut, sie war das genaue Gegenteil von Laura. In jeder Beziehung. Fee war munter und fröhlich, schwatzhaft und unternehmungslustig. Laura dagegen war still und nachdenklich, um nicht zu sagen finster brütend, kratzbürstig und sperrig. In Gegenwart ihrer federleichten Freundin fühlte sie sich geradezu schwerfällig, als würde sie mit einer besonders belasteten Seele durchs Leben gehen – oder zumindest mit schweren Gummistiefeln.

»Du hast nicht zu entscheiden, wie ich mein Geschäft führe. Und schon gar nicht der Kunde.«

»Tja, ich will ja nichts sagen, aber wenn ich nicht wäre, dann hättest du gar kein Geschäft. Du weißt manchmal einfach nicht, was gut für dich ist. Wenn ich nicht diese Anzeige in die Zeitung gesetzt hätte, würdest du immer noch irgendwelche komischen Broschen für ältere Leute wie meine Mum anfertigen.«

»Das war was anderes.«

»Allerdings. Aber deshalb läuft’s jetzt so gut.« Sie stützte sich auf ihre dünnen Ärmchen. »Komm, Laur, der Typ hat dir ein Angebot gemacht, das man einfach nicht ablehnen kann.«

»Komisch. Ich schon.«

»Na ja, du bist halt …« Fee riss erschrocken den Mund auf. »Was?«

»Ich hab ihn rausgeschmissen. Ich mach’s nicht. Hab den ganzen Tag rumtelefoniert, um die ursprünglich eingefädelten Termine wieder richtigzustellen.«

»O nein! Im Ernst? Das kann nicht sein!« Fee ließ den Kopf in die Hände sinken. Laura bemerkte den Nagellack der Woche: knalllila. Eine Farbe, die besser in die Puppenstube eines kleinen Mädchens gepasst hätte. »Laur, wieso hast du mich vorher nicht wenigstens angerufen?«

»Warum hast du mich nicht vorher gefragt?«, zischte Laura. »Wieso hast du mir nicht Bescheid gesagt? Ich war vollkommen ahnungslos, der Typ hat mich total überrumpelt! Du weißt doch, wie sehr ich es hasse, mich mit Fremden zu treffen. Deshalb wollte ich mich ja nie selbstständig machen. Und jetzt lässt du mich eiskalt ins Messer laufen! Kommt einfach so reinspaziert, der reiche Pinkel, und glaubt, er könnte meinen ganzen Terminkalender über den Haufen werfen.«

Fee fuhr sich mit den Glitter-Nägeln durch die feinen blonden Haare. »Na, ich dachte, du könntest einfach gar nichts dagegen haben.«

»Und wieso nicht? Weil er den doppelten Preis zahlen wollte?«

»Mehr als doppelt, um ehrlich zu sein.« Sie ließ die Hände sinken. »Sobald er gehört hat, dass du bis Weihnachten ausgebucht bist, hat er angeboten, den Preis zu verdoppeln. Ich hatte noch nicht mal gesagt, wie viel du verlangst.« Sie zuckte mit den Schultern. »Also hab ich zwölfhundert statt achthundert pro Charm verlangt.«

»Zwölfhundert?!« Laura stockte der Atem.

Fee nickte. »Und das wollte er auch noch verdoppeln. Kapierst du nicht, Laur? Das wäre dein fettester Auftrag bis dato gewesen. Du hättest fast siebzehn Riesen eingestrichen.«

Siebzehntausend?

Die beiden Frauen starrten einander an, die eine mit wachsendem Entsetzen, die andere mit wachsender Verzweiflung.

»Aber ich … ich meine, ich … Also, ich wusste doch nicht, dass es so viel ist«, flüsterte Laura. Sie griff nach Fees Glas und nahm einen kräftigen Schluck. »Shit.«

»Kannste laut sagen.« Fee eroberte ihr Glas zurück und leerte es in einem Zug. »Mit meiner dreißigprozentigen Kommission hätte ich meine Kreditkartenschulden bezahlen können.«

»Dreißig Prozent?!« Laura schaute sie scharf an. »Wer hat was von dreißig Prozent gesagt?«

Fee zuckte die Achseln. »Das ist nun mal das Übliche.« Sie tätschelte Lauras Hand. »Jetzt schau nicht so geschockt. Das ist für PR und Management.«

»Mein Gott. Ich kann nicht glauben, dass ich ihn rausgeschmissen habe.«

Fee setzte eine optimistische Miene auf. »Wie fies war denn der Rauswurf? Ich meine, hast du seine Aktentasche ins Meer geschmissen? Oder hast du bloß einen auf Eiskönigin gemacht, wie du’s immer tust, wenn du sauer wirst?«

»Ich hab ihm die Tür vor der Nase zugeknallt und ihn Blödmann genannt.«

»Hm. Eine Mischung aus beidem, wie ich sehe. Na toll. Großartig.« Fee ließ den Kopf auf die zusammengelegten Arme sinken.

Tom tauchte mit einem Tablett auf und stellte zwei gefüllte Champagnerflöten und eine Flasche Prosecco vor sie hin – den »Haussekt für Sparsame«. »Was ist denn mit euch beiden los? Ich dachte, ihr hättet was zu feiern? Fee?«

Fee schüttelte den Kopf. »Sie hat ihn rausgeschmissen. Es wird nichts draus.«

Tom schaute Laura an, die hilflos mit den Schultern zuckte. »Kleines Missverständnis.«

»Ihr Temperament ist mal wieder mit ihr durchgegangen, das will sie damit sagen. Nimm die Flasche lieber wieder mit, Tom. Wir halten uns heute mal besser nur an dem einen Glas fest.«

Tom schüttelte den Kopf. »Schade.« Er nahm die Flasche wieder mit.

»Aber ich hatte recht damit, ihn abzuweisen!«, verteidigte sich Laura, nachdem sie ihre Gläser ausgetrunken hatten und müßig mit dem Finger den Glasrand nachzeichneten. »Ich meine, so was kann man sich doch nicht gefallen lassen, oder? Schon aus Prinzip nicht. Man kann doch nicht alles mitmachen, bloß weil jemand dafür zahlt.«

Fee hob skeptisch die Brauen. »Und was willst du Jack sagen? Dass du ›aus Prinzip‹ einen Auftrag abgelehnt hast, bei dem du mehr verdient hättest als er im ganzen Jahr?«

»Er verdient mehr als das«, sagte Laura trotzig. »Er hat im Moment jede Menge zu tun. Seine Branche ist krisensicher. Sofas und Sessel muss jeder mal aufpolstern lassen.«

»Mag sein, aber du verstehst, was ich meine – da können noch so viele Leute mit durchgesessenen Sofas kommen, er wird nie so viel verdienen, dass du’s dir leisten kannst, einen solchen Auftrag abzulehnen. Da musst du schon viel Geld scheffeln, bevor du’s dir erlauben kannst, siebzehntausend abzulehnen. Und das auch noch kurz vor Weihnachten.«

Laura schob ihre Ellbogen über den Tisch und ließ ihren Kopf auf die Arme sinken. »Ich sag ihm einfach nichts davon«, murmelte sie in die Tischplatte hinein. »Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß.«

»Ha! Dabei hatte ich alles schon so schön unter Dach und Fach mit ihm gehabt.«

»Ja, ja, schon gut! Musst du auch noch Salz in meine Wunden streuen?«, fauchte Laura. Sie war jetzt wütender auf sich selbst als auf Fee. Fee hatte recht. Ihr Temperament war mal wieder mit ihr durchgegangen. »Das Kind ist in den Brunnen gefallen. Da ist nichts mehr zu machen.«

Stumm saßen sie da, bis plötzlich Lauras Handy piepte. Es war eine Textnachricht von Jack. Laura seufzte. »Das Essen ist fast fertig. Ich muss gehen.« Sie stand auf und schaute auf Fee hinab. Ihre Freundin wirkte total geknickt. »Es tut mir leid. Ich mache es nächstes Mal wieder gut.«

Fee versuchte zu lächeln. »Okay.«

»He, pass auf. Wir gehen’s langsam an, ja?«, versuchte Laura sie zu trösten. »Das liegt mir sowieso mehr. Das wird schon, wirst sehen.«

»Du hast gut reden. Du hast ja Jack. Und mir fehlen fünfzig Piepen für die Miete in diesem Monat.«

Laura musterte ihre Freundin. Zweifellos würde sie sich heute Abend wieder nur von Toast ernähren. Sie holte ihren Geldbeutel hervor und reichte Fee dann einen Zwanziger und zwei Fünf-Pfund-Noten. »Mehr hab ich leider nicht.«

Fee grinste dankbar. Auch Laura musste lächeln. »Bist ’ne echte Freundin, weißt du?«

Laura schnaubte. »Ach ja, findest du? Jemand, der all deine guten Taten zunichtemacht?«

»Nee, du hast eben deine Prinzipien, kann ich ja verstehen. Nicht viele sind wie du.« Fees zarte, schmale Finger drückten Lauras knochige. »Du bist nun mal ’ne Kratzbürste. Das schmeckt nicht jedem, aber mir schon. Ich hab dich von Herzen gern, Schätzchen.«

3. Kapitel

Als sie sieben Minuten später durch die Haustür eintrat, war Jack gerade dabei, mit Expertenhand Petersilie zu hacken. Arthur schlabberte die letzten Bröckchen aus seinem feucht glänzenden Napf. Laura nannte sie beide auch gern »Die Unzertrennlichen«, denn genau das waren sie: Arthur, ein Irischer Terrier, verschlief geräuschvoll den Tag in der Werkstatt seines Herrchens, während dieses wackelige alte Stühle oder Sofas vor einem nicht ganz unverdienten Tod rettete.

»Hallo, Männer!«, rief sie und ließ ihre Handtasche und die Tüte mit den neuen Schuhen auf die Holzbank fallen, die in der winzigen Diele stand. Arthur kam mit fliegenden Ohren auf sie zugesprungen, sein Fell stob in alle Richtungen wie davonfliegende Samen eines verblühten Löwenzahns. »Du bist mir ja schon wieder zuvorgekommen.«

Jack grinste. »Na ja, ich wollte eben was anderes als dicke Bohnen auf Toast zum Abendessen …« Er beugte sich mit geschürzten Lippen über die Küchentheke.

»Wie war dein Tag?« Sie küsste ihn und sah dann zu, wie er mit dem Messerrücken eine Knoblauchzehe zerdrückte. Wie hübsch er war – beinahe feminin, mit seiner schlaksigen Figur, den buschigen, hellbraunen Haaren und der feinen Nase. Nur seine leuchtend blauen Augen, mit der etwas ovalen Iris, die sich manchmal zu Schlitzen verengte wie bei einer Katze, verliehen ihm etwas Kantiges. Fee behauptete immer, er sehe aus wie der Sänger einer Boygroup, obwohl er in seinem Alter – er war jetzt vierunddreißig – wohl eher als deren Manager durchkäme. Aber Laura verstand, was sie meinte.

»Es geht, bin endlich mit dem Chesterfield fertig geworden. Hab natürlich pausenlos heulen müssen. Diese Karos! Man stelle sich das bitte nur einmal vor, und dazu all die Knöpfe! Da kriegt man allein vom Hinsehen Kopfschmerzen.«

»Der Kunde ist nun mal König, stimmt’s?«

»Hmpf. Na, jedenfalls ist es vollbracht. Hab’s mir abgeschüttelt, indem ich den Heimweg komplett durchrannte. Was Arthur glücklich gemacht hat, klar.«

»Klar.« Laura ging in die Hocke und kraulte den lustigen Köter lächelnd hinter den Ohren.

»Leider steht das Auto jetzt noch vor der Werkstatt. Ich muss morgen früher aufstehen, damit ich’s zu Fuß schaffe.«

»Hey! Und wieder einmal ist Arthur der Gewinner!«, rief Laura und wedelte mit den Vorderbeinen des Hundes.

Sie erhob sich und ließ ihren Blick über die Theke schweifen: Sämtliche Zutaten waren gehackt und standen, beinahe nach Farben geordnet, in Schalen und Schüsseln bereit. »Ich dachte, das Essen wäre schon fertig.«

Er lachte. »Ertappt! Na ja, Arthur und ich hatten deine Hilfe mit einkalkuliert. Jetzt dauert es noch ein halbes Stündchen. Aber du kannst ja derweil in die Zeitung reinschauen – sie liegt da auf dem Tisch. Ich hab dir auch schon ein Bad eingelassen. Und ich bringe dir in ein paar Minuten was Kaltes zu trinken rauf.«

»Aaaah!« Laura stibitzte sich grinsend ein paar Paprikastücke. »Herr Botschafter, Sie verwöhnen mich.«

Mit schwingenden Hüften verschwand sie nach oben. Sie warf einen Blick ins Badezimmer. Tatsächlich: Die Wanne war voll mit dampfend heißem, schaumigem, duftendem Badewasser. Auch das Lämpchen mit dem Duftöl auf dem Fensterbrett brannte bereits. Sie zog sich rasch aus und stieg in die Wanne. Während Jack unten mit den Töpfen klapperte, schlug sie genüsslich die Lokalzeitung auf.

Heute war Donnerstag, da standen immer die Kleinanzeigen drin. Die ließ Laura sich nie entgehen, stets auf der Suche nach einem Schnäppchen. Fast alles, was sie besaßen, war »schon mal geliebt worden«, wie sie es ausdrückte: das graue Leinensofa von Habitat, das ein Kunde bestellt, aber nie abgeholt hatte, das eiserne Bettgestell in ihrem Schlafzimmer – ein Fehlkauf, denn es knarrte bei jeder Bewegung wie ein arthritisches Knie –, der französische Schrank mit der Drahtgittertür im Gästezimmer, in dem sie die Handtücher aufbewahrte.

Wenig später tauchte Jack, wie versprochen, mit einem Glas Wein auf. »Hier, bitte schön.« Er gab ihr einen Kuss aufs Haar. »Was Interessantes drin?«

»Nö, eigentlich nicht.« Sie seufzte. »Aber du scheinst was gefunden zu haben.« Sie zeigte auf eine Anzeige ganz unten auf einer Seite, die mit Bleistift flüchtig eingekreist worden war.

»Ach, das«, sagte er wegwerfend, »das ist nichts.«

»Eine Strandhütte«, sagte Laura und las sich die Anzeige genauer durch.

»Ja, von privat. Deshalb ist’s mir aufgefallen.«

»Ich dachte, die kriegt man nur von der Gemeinde? Fee hat mal erwähnt, es gäbe irrsinnige Wartelisten.«

»In Fees Welt ist alles irrsinnig«, grinste er. »Aber in diesem Fall hat sie recht.« Er setzte sich auf die Wannenkante und schöpfte behutsam mit der Hand Wasser über ihre Schultern. »Man muss sich entweder auf die Liste setzen lassen und dann warten, bis man mindestens achtzig ist, bevor man zum Zug kommt. Oder man nimmt eine Hypothek aufs Haus auf und kauft von privat, so wie hier.«

»Eine Hypothek aufs Haus? Für eine armselige Hütte?«

»Ja, leider.«

»Ach, das ist doch bloß wieder so ein Hype. ›Preis auf Anfrage‹ steht da. Ruf doch einfach mal an und frag, was sie verlangen. So viel kann’s ja wohl nicht sein. Ich meine, in diesen Dingern gibt’s ja nicht mal fließend Wasser, oder?«

»Keinen Strom«, korrigierte er sie. »Hab schon angerufen. Sie wollen fünfzehn dafür.«

»Fünfzehnhundert?«

»Tausend.«

»Fünfzehntausend? Unmöglich! So viel würde doch niemand für eine Hütte ausgeben, selbst wenn sie direkt am Strand steht!«

Jack lächelte über ihre Empörung. »Und das ist noch billig, glaub mir. Sie ist wahrscheinlich ziemlich runtergekommen. Die wirklich guten kosten mehr als doppelt so viel. Das sind alles Erbstücke, glaub mir. Und eine gute Investition obendrein.«

»Woher weißt du das alles so genau?«

Er seufzte. »Ich wünsche mir schon seit Jahren eine. Großmutter hatte eine in Sandwich. Wir haben als Kinder den ganzen Sommer am Strand und in der Hütte verbracht.«

»Das wusste ich ja gar nicht. Und was ist aus der Hütte geworden?«, murmelte sie. Er massierte jetzt ihre seifigen Schultern.

Er zuckte die Achseln. »Weiß nicht. Verkauft, schätze ich. Eine Schande. Ich hab diese Hütte wirklich geliebt.«

Laura schaute zu ihm auf. Sie konnte sehen, dass er’s ernst meinte.

»Na, sollen wir sie uns mal anschauen?«, fragte sie nach kurzem Überlegen. »Ich meine, wenn du dir wirklich so sehr eine wünschst, dann nehmen wir halt was von unseren Ersparnissen. Außerdem läuft mein Geschäft jetzt richtig gut, da haben wir zusätzlich was.«

Jack schüttelte den Kopf. »Mag ja sein, aber so schnell schaffen wir das nicht. Nicht für diese Hütte. Die wird morgen Abend schon nicht mehr zu haben sein, fürchte ich. Und die nächste Gelegenheit kommt frühestens in zehn Jahren.«

»Ach, nicht doch!«

»Doch, wirklich. Diese Hütten kommen nur ganz selten auf den Markt.« Er beugte sich vor und drückte behutsam eine ihrer seifigen Brüste. »Eigentlich bin ich bloß raufgekommen, um das hier zu machen.« Er grinste und küsste sie auf den Mund. »Ich geh jetzt lieber und schaue nach Arthur. Ich hoffe, er hängt nicht mit der Schnauze im Wok.«

Er zog die Tür leise hinter sich zu. Laura seufzte. Ihr Sieg heute Mittag wurde immer brüchiger: ihre bisher größte berufliche Chance, Fees Visarechnung und jetzt auch noch Jacks Kindheitstraum – alles zunichte, bloß weil sie die Beherrschung verloren hatte. Diesmal hatte sie es wirklich gründlich vermasselt.

Oder vielleicht doch nicht?

4. Kapitel

Wann legst du dir endlich mal ein Boot zu?«, stöhnte Fee am nächsten Morgen. Sie schob keuchend die Träger der hüfthohen Wasserstiefel von ihren zarten Schultern.

»Wenn das hier klappt, kann ich mir vielleicht auch eins leisten«, entgegnete Laura und hängte ihre Wasserhose an einen Nagel, den sie in eine der Stelzen eingeschlagen hatte. Dann kramte sie in ihrer Tasche nach den roten Converse-Turnschuhen.

»Ich kapier nicht, wieso das nicht bis zur Ebbe warten konnte. Ich meine, wieso die Eile? Wieso musst du jetzt sofort anrufen? Es ist gerade erst acht.«

»Weil ich letzte Nacht kein Auge zugetan habe. Weil Zeit in diesem Fall buchstäblich Geld ist, Fee.«

»Hätte nie gedacht, dass ich das mal von dir höre. Aber ich versteh nicht, wieso du plötzlich deine Meinung geändert hast. Gestern wolltest du doch partout nichts mehr mit dem Typen zu tun haben.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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