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Sechsundzwanzig Jahre lang irrte ich im Leben umher. Ich fühlte mich nicht erfüllt. War das schon alles? Dieses fade Leben? Wo blieb der Geschmack? Meine damalige Freundin dachte dasselbe. Nicht vom Leben, sondern von mir. Sie verpasste mir einen Tritt in den Hintern und verließ mich. In der Absicht, den Schmerz zu lindern, öffnete ich den Kühlschrank. Ein gleißendes Licht. Ein fernes Halleluja. Und da stand sie: Die Sahne des Lebens! Folge meiner Reise zu einem erfüllten Leben. Ich führe dich durch die vier Säulen meiner Lebensphilosophie. Ich zeige dir, wie ich meinen Körper stärke, mich von negativen Gefühlen befreie, glückliche Beziehungen führe und meinen Traumberuf ausübe. Bist du bereit? Los geht's.
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Seitenzahl: 452
Veröffentlichungsjahr: 2023
Jonas Maag · Ein Leben mit Sahne bitte
Sechsundzwanzig Jahre lang irrte ich im Leben umher. Ich fühlte mich nicht erfüllt. War das schon alles? Dieses fade Leben? Wo blieb der Geschmack? Meine damalige Freundin dachte dasselbe. Nicht vom Leben, sondern von mir. Sie verpasste mir einen Tritt in den Hintern und verließ mich. In der Absicht, den Schmerz zu lindern, öffnete ich den Kühlschrank. Ein gleißendes Licht. Ein fernes Halleluja. Und da stand sie: Die Sahne des Lebens!
Folge meiner Reise zu einem erfüllten Leben. Ich führe dich durch die vier Säulen meiner Lebensphilosophie. Ich zeige dir, wie ich meinen Körper stärke, mich von negativen Gefühlen befreie, glückliche Beziehungen führe und meinen Traumberuf ausübe. Bist du bereit? Los geht’s.
Ein Leben mit Sahne bitte
Wie ich Erfüllung fand
Jonas Maag
© 2023 Jonas Maag
maagdeinleben.ch
Layout, Satz & Umschlaggestaltung: Die BUCHPROFIS, München
Druck und Herstellung: tredition GmbH, Ahrensburg
Printed in Germany
ISBN Softcover 978-3-384-00529-8
ISBN Hardcover 978-3-384-00530-4
ISBN E-Book: 978-3-384-00531-1
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
1. Es war einmal …
2. Lebe deinen Traum, sagen sie
3. Über die großen Fragen im Leben
Der Sinn des Lebens
Die beste Lebensphilosophie
4. Die vier Lebenssäulen
5. Körper
Grundbedürfnisse stillen
Gesunde Ernährung
Gesunde Umwelt
Körperliche Betätigung
Genügend Erholung
6. Psyche
Alles ist vergänglich
Achtsamkeit
Negative Visualisierung
Zweispaltige Kontrolle
Unabhängigkeit
Vergangenheit ist fatalistisch
Lerne, aber bereue nicht
Wie ich mache, was ich mache
Das Urteilssystem
Das Wertesystem – was mir wichtig ist
7. Beziehungen
Positive Einstellung
Soziale Pflicht
Habe ein nahes Umfeld, das deine Werte teilt
Jeder Mensch ist ein Lehrer
Sozialer Fatalismus
Gib mehr, als du bekommst
Balance zwischen Nähe und Ferne
Heirate dich
Liebe bedingungslos
Jede Beziehung endet
Gute Kommunikation
Offen
Harmlos
Konstruktiv
Verständlich
8. Beschäftigung
Nutze deine Stärken
Hilf anderen
Erlebe Flow-Momente
Für was andere bezahlen
9. Mein Wegweiser
Setze dir Ziele
Triff bewusste Entscheidungen
10. Deine Lebensphilosophie
11. Die Sahne des Lebens
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Urheberrechte
1.Es war einmal …
11.Die Sahne des Lebens
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1. Es war einmal …
Vor zehn Jahren spielte ich mit dem Gedanken, mich umzubringen. Ich hasste mich. Ich hasste die Menschheit. Ich fühlte mich einsam und ungeliebt. Ich war verloren auf dieser Welt, wusste nicht, was ich tun sollte, und sah keinen Sinn im Leben. Freunde hatte ich fast keine. Nirgendwo fühlte ich mich zugehörig. Jeden Abend verbrachte ich allein in meinem Zimmer und brütete über meiner Unzufriedenheit. Da war Wut. Da war Enttäuschung. Da war Bitterkeit. Eine bessere Zeit würde nicht kommen. Das Leben war eben doch ein Ponyhof: dreckig und beschissen. Ich glaubte, das wäre alles, was das Leben zu bieten hätte.
Ich lebte lieber ein bequemes und miserables Leben als ein unbequemes und fantastisches Leben. Ich nahm lieber hin, was ich hatte, als mich auf die anstrengende Reise in das Unbekannte zu begeben. Anstatt die Dinge anzupacken und mein Leben in eine bessere Bahn zu lenken, suchte ich nach Schuldigen. Die Menschen waren schuld mit ihrer Gier nach Macht und Luxus. Die Politiker und Spekulanten zerstörten die Welt. Die Lernenden in meinem Lehrbetrieb wollten nichts mit mir zu tun haben. Die Gesellschaft verkannte meine Stärken. Alle anderen waren schuld an meinem miserablen Leben.
Zeitsprung: zehn Jahre später. In der Früh stehe ich auf. Leicht verschlafen gehe ich in die Küche und braue mir einen Tee. Der Duft von Pfefferminz zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht. Ich nehme mir einen Moment Zeit auf dem Sofa, um gänzlich aufzuwachen. Auf meinem Smartphone tummeln sich Nachrichten von diversen tollen Menschen. Ich gehe ins Bad und trimme meinen Bart. Stolz blickt mir das Gesicht im Spiegel entgegen. Zurück in der Küche esse ich mein Frühstück und kurz darauf steige ich in die Bahn nach Zürich.
Dörfer und Felder ziehen vorbei. Die dünnen Nebelschwaden werden vom orangefarbenen Morgenlicht durchbrochen. Ich freue mich auf den Tag und bin tiefenentspannt. Im Büro werde ich freudig von meinen Arbeitskollegen begrüßt und wir werfen uns ein paar Scherze an den Kopf. Ich bin überzeugt, dass sie mich mögen, und genauso mag ich sie. Meine Arbeit ist sinnvoll und ich fühle mich einem großen Ganzen zugehörig.
Nach einem erfolgreichen Arbeitstag gehe ich mit einigen Freunden ins Kino und danach etwas trinken. Wir erzählen uns die jüngsten Neuigkeiten und verbringen einen heiteren Abend zusammen. Müde und zufrieden falle ich später ins Bett, bereit für den nächsten großartigen Tag.
Die Zeit meiner Depressionen fühlt sich wie ein anderes Leben an. Ein Leben, das nicht ich geführt habe. Ein Leben, das ich nur aus Erzählungen kenne. Seit dieser düsteren Zeit hat sich mein Leben grundlegend verändert. Heute bin ich ein glücklicher Mensch, habe tiefe Freundschaften und spüre Verbundenheit mit der Welt. Der Gedanke an Selbstmord könnte nicht ferner sein. Ich habe noch so viele Pläne und so viele grandiose Momente, die auf mich warten. Ich liebe mein Leben. Ich liebe die Menschen. Das Leben ist eben doch ein Ponyhof: heiter und abenteuerlich.
In diesem Buch zeige ich dir meine Verwandlung. Ich präsentiere dir meinen Weg zu einem erfüllten Leben, erzähle dir von meinen Abenteuern in anderen Ländern, von witzigen und lehrreichen, aber auch traurigen und peinlichen Erlebnissen. Ich teile mit dir mein Verständnis vom Sinn des Lebens und hoffe, dir damit zu helfen, deinen zu finden.
Ich stelle dir meine Lebensphilosophie bestehend aus vier Lebenssäulen vor. Du wirst erfahren, wie ich lernte, meinen Körper in Topform zu bringen, die Welt aus einer völlig neuen Perspektive zu betrachten, glückliche Beziehungen zu führen und eine Arbeit zu finden, die ich liebe. An diversen Beispielen erkläre ich dir meine Lebenserkenntnisse und mit über achtzig Übungen gebe ich dir die Möglichkeit, sie zu testen und bei Bedarf in dein Leben zu integrieren. Ich zeige dir, wie ich lernte, meine Probleme selbstständig zu lösen, unabhängig der Umstände glücklich zu sein und ein Leben voller Sinnhaftigkeit und Erfüllung zu führen. Hört sich das gut an? Dann lass uns zusammen die Sahne des Lebens entdecken!
2. Lebe deinen Traum, sagen sie
Von vielen erfolgreichen Menschen, Motivationstrainern und Lebensberatern hört man stets dieselben Sätze. Folge deinem Herzen, sagen sie. Glaube an dich. Verbinde dich mit deiner inneren Kraft und du kannst alles erreichen, was du dir je erträumt hast. Mach, was du liebst, sagen sie. Folge deiner Leidenschaft! Was du glaubst, ist, was du erreichst. Lebe deinen Traum.
Klingt das nicht einleuchtend? Warum war ich so blind und bin ein Leben lang nie auf die Idee gekommen, einfach das zu machen, was ich will? Lebe deinen Traum, Jonas, und du wirst der glücklichste Mensch auf Mutter Erden sein. Also gut, packe ich es an. Ich werde ein großartiger Autor. Nein warte, ich werde erfolgreicher Unternehmer … oder ein cooler Rapper. Ich könnte auch ein professioneller Kletterer oder ein genialer Erfinder werden. Vielleicht doch besser ein Projektleiter von Solaranlagen, oder ein Hacker für den Geheimdienst. Liebe Motivationstrainer, ich würde gerne meinen Traum leben. Doch was beim Barte der Meerjungfrau ist mein Traum?!
Im Alter von zarten zwanzig Jahren interessierte ich mich für Umweltschutz und erneuerbare Energien. Es war mein innigster Wunsch, ein Elektroauto von der Firma Tesla zu besitzen. Nehmen wir an, ich wäre dem Ratschlag der Lebensberater gefolgt. Ich hätte mir ein Poster eines Tesla Model S an den Spiegel geklebt, um mich jeden Morgen daran zu erinnern, warum ich aufstehe.
Zu dieser Zeit arbeitete ich als Elektroniker in einer Produktionsstätte von Kernspinspektrometern. Meine Arbeit bestand darin, die Sensoren dieser Hightech-Messgeräte mechanisch und elektrisch zusammenzubauen und zu testen. Die Arbeit war mühsam, langweilig und man war umgeben von ungesunden Löt-, Aceton- und Alkohol-Dämpfen. Ich hasste meine Arbeit! Ich verdiente brutto 4.400 CHF pro Monat. Mit diesem Einkommen konnte ich in der Schweiz gut leben, aber mir niemals einen Tesla leisten. Ich wohnte noch bei meinen Eltern und legte das meiste Geld auf die Seite. Ich hatte mich für ein Studium an einer Fachhochschule eingeschrieben: Energie- und Umwelttechnik. Ich wollte Ingenieur werden. Ich wollte selbst meinen Teil zur Entwicklung erneuerbarer Energien beitragen. Ich hatte einen Traum.
Nehmen wir an, ich folge diesem Traum. Ich knie mich in das Studium hinein, denn die Jobs, die ich in meinem Traum vorsehe, sind rar. Drei Jahre lang bestimmt das Studium mein Leben. Sechzig-Stunden-Wochen gehören zu meinen gemütlichen Wochen. In den Semesterferien arbeite ich als Elektroniker, um mich über Wasser zu halten. In der Freizeit lese ich Bücher über erneuerbare Energien und Projektmanagement. Wenn man einen Traum hat, arbeitet man schließlich gerne.
Ich absolviere das Studium mit Bestnoten und erhalte sogleich eine Junior-Stelle bei einer renommierten Firma im Bereich Windkraft. In nur fünf Jahren arbeite ich mich zum stellvertretenden Projektleiter hoch. Nicht von irgendwelchen unbedeutenden Projekten, sondern von großen Windkraftanlagen im Ausland. Ich verdiene das Doppelte meines Einkommens als Elektroniker. Endlich nach acht Jahren harter Arbeit kaufe ich mir einen Tesla! Ich bin überglücklich, denn ich habe mir meinen großen Traum verwirklicht. Ich bin ein stolzer Tesla-Besitzer. Jeden Morgen, wenn ich zur Arbeit fahre, streiche ich liebevoll über die Seitentür des Teslas, gebe dem Steuerrad – wenn es bis dann noch eines hat – einen zärtlichen Kuss und surre mit einem Lächeln auf den Lippen davon. Ich pendle nicht nur, ich fahre am Wochenende aus und genieße die Beschleunigung. Mensch, was für ein Auto! Mein Traum ist Wirklichkeit geworden.
Während ich mit meinem Tesla gerade an der Ostsee beim Bau einer Offshore-Windanlage bin, läutet mein Telefon. Ich nehme ab und eine traurige Stimme am anderen Ende teilt mir mit, dass meine Mutter bei einem Autounfall gestorben sei. Der Tesla, mit dem ich zurück in die Schweiz fahre, bedeutet mir nichts mehr. Wenn ich zu Hause ankomme, reiße ich das Poster des Teslas vom Spiegel und blicke in ein bleiches Gesicht. Ein Gesicht, das sich hasst, weil es lieber Zeit mit Studium und Arbeit verbracht hat anstatt mit seiner Mutter. Der Traum, zuvor mein Lebensantrieb, wird völlig bedeutungslos.
Zum Glück ist es nie dazu gekommen. In Wirklichkeit brach ich nach einem Jahr mein Energie- und Umwelttechnik-Studium ab. Ich hatte mich verausgabt, das Studium war nicht so, wie ich es erwartet hatte, der Arbeitsmarkt in diesem Sektor ausgetrocknet. Ich hatte nicht mehr daran geglaubt, in diesem Bereich erfolgreich zu werden. Elektroautos interessierten mich noch immer, aber der Traum, einen Tesla zu besitzen, verblasste.
Stattdessen wollte ich in die Welt der Algorithmen eintauchen, vernetzte Systeme bauen und künstliche Intelligenz erschaffen. Ich entschied mich, das darauffolgende Jahr ein Informatikstudium zu beginnen. Es war eine harte Entscheidung, denn es bedeutete ein weiteres Jahr als Elektroniker arbeiten zu müssen. Es fühlte sich nach zwei verschwendeten Jahren an. Ich war ein Versager.
Auf die Schnelle fand ich keine neue Arbeit. Die einzige Möglichkeit, die mir das Leben bot, war zurück zur alten Firma zu gehen und dieselbe verhasste Arbeit auszuführen. Doch dieses Mal sollte es anders sein. In konnte mich besser integrieren und hatte im Gegensatz zu meinem letzten Einsatz tolle Arbeitskollegen um mich herum. Ich mochte die Arbeit noch immer nicht, doch zog sie mich nicht mehr in den Abgrund wie zwei Jahre zuvor. Der Grund war nicht schwer zu finden: Ich war verliebt. Ich stürzte mich in die erste Liebesbeziehung meines Lebens. Diese Frau sollte später der Grund werden, dieses Buch zu schreiben.
Träume sind nichts weiter als das: Träume. Zur damaligen Zeit glaubte ich an eine romantisierte Form des Lebens mit Blümchen und Glitzer. Ich glaubte den schillernden Life Coaches auf den TED-Bühnen und Influencerinnen auf YouTube und Instagram, dass jeder seine wahre Bestimmung auf dieser Erde finden konnte und nur diesen einen erleuchtenden Moment bräuchte, um in einer anderen Sphäre zu leben. Die Sphäre der Erfüllten. Ich würde dann selbst mit einem verträumten Lächeln auf den TED-Bühnen stehen und den Nicht-Erfüllten die fünf Regeln eines perfekten Lebens nahebringen.
Versteh mich nicht falsch. Natürlich haben die Lebensberater auf den TED-Bühnen recht, aber eben nur für sich. Was sie sagen, muss und kann nicht für alle anderen Menschen funktionieren. Ich bin überzeugt, dass man seinen Traum leben kann. Wenn man sich voll und ganz auf seinen großen Traum fokussiert und wenn man das Glück hat, dass das Umfeld passt, erreicht man seinen Traum. Ich hätte meinen Tesla bekommen und womöglich ein erfolgreicher Projektleiter werden können. Aber hätte mich das glücklich gemacht? Nein. Ich hätte meine Beziehungen, meinen Körper und wahrscheinlich auch meine Psyche vernachlässigt und wäre trotz Erfüllung meines Traumes nicht zufrieden mit meinem Leben gewesen. Lass mich dir das erklären. Es gibt zwei Gründe, warum das bloße Streben nach Träumen der falsche Weg zu einem erfüllten Leben ist:
1. Im Verlauf meines Lebens hatte ich nicht einen Traum, sondern hundert Träume. Welcher dieser Träume ist nun der richtige? Was macht einen Traum lebenswert? Das kann ich nicht wissen und ich wage zu behaupten, dass es auch nicht einen richtigen Traum gibt. Wie alles andere im Leben sind Träume vergänglich.
2. Selbst wenn ich nur einen einzigen Traum gehabt oder mir einfach einen ausgesucht hätte, hätte ich kein glückliches Leben geführt. Träume basieren häufig auf Begierde. Ich will das haben, was andere haben. Dabei konzentriere ich mich nur auf einen Teil meines Lebens und vernachlässige den Rest. Mein Leben ist nicht mehr im Gleichgewicht. Wie verbissen ich mich an meinen Traum kralle. Wie ich alles andere ausblende. Wie ich mit Ablehnung und Wut reagiere, wenn jemand an meinem Traum zweifelt. »Ich werde es allen zeigen!«, denke ich. Und Gott, das werde ich. Um mit fünfzig Jahren zu erkennen, dass ich weder Freunde, noch innere Ruhe, noch ein tüchtiges Abwehrsystem in meinem Körper habe.
Du magst empört einwenden: »Nur weil du in deinem Leben gescheitert bist, soll ich meinen großen Traum fahren lassen?« Nein, das sage ich nicht. Letztendlich brauchte ich alle meine Niederlagen – und das waren viele – um zu erkennen, was mir Erfüllung bringt. Ich musste meinen Träumen nachrennen, um schlussendlich die Leere in meinem Inneren zu füllen. Aber es waren eben nicht meine Träume, die mir Erfüllung brachten. Träume sind vergänglich. Sie sind nicht real. Mein Traum wird nie so sein, wie ich ihn mir vorstelle.
Du erwiderst womöglich: »Es gibt Tausende Beispiele von Menschen, die ihrer Intuition folgten und erfolgreich wurden. Sie brachten den Mut auf, das zu tun, was ihr Herz ihnen sagte, und fanden Erfüllung.« Daran ist nichts einzuwenden. Ich bin überzeugt, dass dies wahr ist und diese Menschen intuitiv verstehen, was sie glücklich macht. Allerdings glaube ich auch, dass dabei eine große Portion Glück mitwirkt. Auf zehn Menschen, die ihrer Intuition folgen und erfolgreich werden, kommen tausend, die ihrer Intuition folgen und scheitern.
Nehmen wir an, es gibt da draußen im Universum einen winzigen Planeten namens XDF-783. Auf XDF-783 lebt die Rasse der Zumglum. Sie haben drei Arme, ein Bein, zwei spitzige Ohren, die wie Pippi Langstrumpfs Zöpfe von den Seiten abstehen, große Fliegenaugen und einen kurzen Rüssel. Zumglums sind friedfertige Pflanzenfresser. Es ist eine äußerst junge Rasse, daher leben auf dem ganzen Planeten XDF-783 nur hundert Zumglums. Die Zumglums haben bereits eine simple Sprache entwickelt und erstaunlich früh in ihrem Dasein Zählen gelernt. Weil ihre Freude an Zahlen so groß ist, zählten sie sich gleich einmal durch. Da steht Zumglum Eins, das an einem schleimig-grünen Schlickdorn knabbert, gleich nebenan ist Zumglum Sechzehn, das sich im dampfenden Rottalgschlamm wälzt, und auf dem Baum darüber sitzt Zumglum Achtundsiebzig, das vergnügt das Zahlenschlabberschlummerlied summt.
Erst kürzlich, genauer gesagt heute Morgen, führten die Zumglums ihr erstes Geldsystem ein. Sie sammelten eintausend blau leuchtende Steine und verteilten sie gleichmäßig unter sich. Jedes Zumglum besitzt genau zehn Steine und es ist verboten, weitere blau leuchtende Steine in Umlauf zu bringen. Alle Zumglums sind aufgeregt. Sie fühlen sich seit heute Morgen als eine fortgeschrittene Zivilisation. Zumglum Eins trötet den Startschuss und der wilde Spaß beginnt. Die Zumglums kaufen und verkaufen bis zum Umfallen. Ein Stein gegen eine Blabberstrohmatte. Zwei Steine für eine Stunde Massage. Drei Steine zum Preis von vier. Die Zumglums legen sich ins Zeug. So ein erstes Zahlungssystem soll schließlich getestet werden.
Am Abend vergleichen sie, wer wie viele Steine besitzt, und es spricht sich rasch herum, wie erfolgreich Zumglum Fünf war. Nummer Fünf trägt hundert Steine auf den Armen und ist von Verehrern umgeben. Sie fragen es: »Wie hast du das gemacht, Zumglum Fünf? Was ist das Geheimnis für deinen Reichtum?« – »Ich habe einfach an mich geglaubt«, erklärt es, »und den Zweifel, den die anderen gesät haben, nicht aufgelesen.« Also strengen sich die anderen neunundneunzig Zumglums am nächsten Tag an. Sie glauben, bis die Köpfe rauchen. Sie trainieren ihre Willensstärke. Kein Ziel ist zu hoch gegriffen. Kein Widerstand ist ein Hindernis. Am Abend kommen sie wieder zusammen und vergleichen ihren Reichtum. Zumglum Fünf hat nur noch fünfzig Steine, dafür hat Zumglum Zweiundvierzig jetzt hundertfünzig! Auf die erstaunten Gesichter der anderen Zumglums hin sagt Zweiundvierzig: »Ich habe einfach stärker an mich geglaubt als ihr.«
Eine Woche nach Einführung des Geldsystems besitzen zwanzig Zumglums zusammen achthundert Steine und die anderen achtzig Zumglums zusammen die restlichen zweihundert. Zumglums sind intelligente Wesen. Sie rufen ein zur gemeinsamen Reflexion über die Erfahrungen der letzten Woche. Nach inniger und einstimmiger Diskussion halten sie zwei Dinge fest. Erstens: Es können nicht alle hundert Zumglums gleichzeitig reich sein. Zweitens: Je reicher ein Zumglum ist, desto ärmer sind die anderen. Sie nennen es das zumglumsche Naturgesetz. Erfolg existiert nur durch Misserfolg. Reichtum existiert nur durch Armut.
Wenn ein erfolgreicher Mensch mir sagt, alles, was es für Erfolg brauche, sei ein unbrechbarer Wille, dann weiß ich: Dieser Mensch ist auf seine Ignoranz hereingefallen. Seine Ignoranz erzählt ihm, dass er selbst zu hundert Prozent für seinen Erfolg verantwortlich ist. Aber das ist er nicht. Da spielen immer auch eine große Portion Glück und eine große Portion Privileg mit.
Ein Mensch, der sich eine Kamera und ein Flugticket von Vancouver nach Bangkok kaufen kann, um seine Karriere als Travel-Vlogger zu beginnen, ist privilegiert. Auch wenn er behauptet, er wäre mausearm gewesen und hätte sich mit schierer Willenskraft in vier Jahren zum Millionär hochgearbeitet. Das ist termitenhügelhoher Bullshit. Und ich spreche hier von riesigen, australischen Termitenhügeln. Er hat es dank Privileg und Glück geschafft. Ohne sein Privileg, in einem reichen Land geboren zu sein und genügend Geld für die Kamera und das Flugticket zu besitzen, hätte er seinen Erfolg nicht erreicht. Ohne sein Glück, die richtigen Leute zu treffen, die ihn unterstützen, hätte er seinen Erfolg nicht erreicht. Natürlich hat er seinen Teil dazu beigetragen. Er hatte eine Vision und tat sein Bestmögliches, um diese Vision mit Tüchtigkeit und Effort umzusetzen.
Wie du in diesem Buch erlernen wirst, ist natürlich auch eine starke Psyche ein wichtiger Faktor für Erfolg, aber eben nicht der einzige. Ein Kind im Jemen, das zwischen Bürgerkrieg und Hungersnot ohne jegliche Bildung aufwächst, wird ziemlich sicher kein erfolgreicher Hedgefonds-Manager an der Wall Street, ganz egal wie stark sein Wille ist. Es ist zentral, kühne Entscheidungen zu treffen und massive Aktionen folgen zu lassen. Doch ist es noch wichtiger, sich realistische Ziele zu setzen und sich von Fehlschlägen unabhängig zu machen. Wille alleine reicht nicht. Es gibt Faktoren, die außerhalb unserer Kontrolle liegen. Wenn diese Faktoren nicht passen, dann erreiche ich meine Ziele und Träume nicht. Wenn also ein erfolgreicher Mensch behauptet, alleinig seine Passion und Willensstärke hätten ihm den Erfolg beschert, ist dies aus meiner Sicht reine Selbstinszenierung.
Mein rationales Denkvermögen ist sehr ausgeprägt. Ich bin ein sogenannter Kopfmensch. Mich hat der Ratschlag »Folge deinem Herzen« nicht weitergebracht. Für mich klingt dieser Satz nach einer romantisierten Form von »Lass dich von deinen Gefühlen steuern«. Mein Herz sagt nichts. Es zieht sich bloß hunderttausend Mal pro Tag zusammen und dehnt sich wieder aus, um meinen Körper mit Blut und demnach Nährstoffen zu versorgen. Mein Herz spricht nicht. Was spricht, ist mein Kopf, aber in diesem Fall eben nicht mein Verstand, sondern meine Gefühle. Ich habe gelernt, dass meine Gefühle trügerisch sind. Hätte ich immer auf meine Gefühle gehört, wäre ich in viele Schlägereien geraten, hätte ich mich hoch verschuldet und hätte ich auch kein Studium geschafft. Es sind nicht die Gefühle, die mir ein unbeschwertes Leben erbracht haben. Es ist mein Verstand; meine Fähigkeit rational zu denken. Bereits die Stoiker erkannten vor zweitausend Jahren, dass wir Menschen uns nur in einem Faktor von den Tieren unterscheiden und das ist unser Verstand. »Höre auf dein Herz und folge deiner Intuition« klingt fantastisch, aber in der Praxis war dieser Ratschlag für mich genauso nutzlos wie all die anderen Motivationssprüche.
Etliche Jahre lebte ich nach den Vorschlägen anderer. Obschon ich viel dabei lernte, führten mich diese Empfehlungen in die falsche Richtung, weit weg von einem erfüllten Leben. Niemand konnte mir aufzeigen, wie ich Erfüllung finde. Bis ich es selbst fand. Genau das erhältst du in diesem Buch: meinen Weg. Ich werde dir keinen Vortrag darüber halten, was für ein großartiges Geschenk du für diese Welt bist. Das bist du nicht. Wenn du heute stirbst, kümmert das die Welt nicht. Dies ist kein Motivationsbuch. Es ist meine Schritt-für-Schritt-Anleitung zu meinem erfüllten Leben. Es ist die Karte, die ich jahrelang gesucht hatte. Es ist der Wegweiser zu meiner Sahne des Lebens.
Ich werde dir keine leeren Versprechungen geben, wie man diese in vielen Lebensratgebern findet. Ich kann dir nicht versprechen, dass mein Weg zu einem erfüllten Leben für dich funktioniert. Wenn ich etwas gelernt habe in meinem Leben, dann, dass es genauso viele Wege zu einem erfüllten Leben gibt, wie es Menschen gibt. Du magst dich fragen: »Warum soll ich dieses Buch dann lesen?« Ich sage es dir: Weil du davon lernen kannst. Du kannst dir die Aspekte aus meinem Weg herauspicken, die für dich funktionieren. Im besten Fall kannst du neunundneunzig Prozent davon auf dein Leben übertragen. Nutze es als eine Vorlage, als eine Inspirationsquelle, oder als ein schlechtes Vorbild, wie du dein Leben sicher nicht verbringen willst.
Dieses Buch ist eine Hilfe. Es ist ein Wegweiser. Es ist gewiss kein Schnellzug, in den du unbeschwert ein- und eine halbe Stunde später im Paradies wieder aussteigst. Deinen Weg zu einem erfüllten Leben musst du selbst gehen.
3. Über die großen Fragen im Leben
Beim Schreiben dieser Zeile bin ich sechsundzwanzig Jahre alt. Die durchschnittliche Lebenserwartung für Männer beläuft sich in meiner Heimat, der Schweiz, auf 82 Jahre.1 Demnach habe ich bereits 32 Prozent meines Lebens gelebt. In derselben Zeit hat Justin Bieber eine steile Karriere hingelegt. Er ist ein weltberühmter Musiker geworden, hat Millionen begeistert und Millionen gescheffelt. Der Mann hat etwas erreicht.
Und ich? Ich habe mein Leben damit verbracht, nach Antworten zu suchen. Auf dieser Suche probierte ich ein Dutzend Sportarten aus, war süchtig nach Computerspielen, spielte Musikinstrumente, drehte Kurzfilme, schloss Freundschaften und vernachlässigte sie, versuchte mich als Rapper, las weit über hundert Bücher, machte eine Lehre als Elektroniker, führte Jobs aus, die ich hasste, kämpfte gegen Depressionen und Sozialphobie, brach ein Studium ab und absolvierte das zweite mit Bestnoten, bereiste Europa im Wohnmobil, erlebte Abenteuer auf drei weiteren Kontinenten, entwickelte Trading-Algorithmen, praktizierte Buddhismus und Stoizismus, schrieb drei Fantasy-Bücher und veröffentlichte eines davon, fand meine große Liebe und verlor sie wieder und dachte verdammt viel über das Leben nach. Dies alles, um nach sechsundzwanzig Jahren endlich zu erkennen, dass man keine Antwort erhält, wenn man keine Frage stellt.
Der Sinn des Lebens
Im Monat meines sechsundzwanzigsten Geburtstags trennte sich meine Freundin nach vier Jahren Beziehung von mir. Jene Frau, die mir durch ihre Liebe die zweite Arbeitsperiode in meiner verhassten Tätigkeit als Elektroniker versüßt hatte. Die Trennung traf mich aus dem Nichts. Es war ein Schlag in die Magengrube. Ich hatte geglaubt, wir würden den Rest unseres Lebens zusammen verbringen. Sie hatte diese Meinung nicht geteilt. Du musst verstehen, ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt ein behütetes Leben geführt – selbst alle meine Großeltern waren noch am Leben. Die Trennung war der erste große Verlust meines Lebens. Ich verlor jeglichen Appetit. Ich wog nur noch 58 Kilogramm bei einer Körpergröße von 178 Zentimetern. Ich fühlte mich leer. Mein Leben blieb stehen. Ich zog mich mit meinem Herzschmerz zurück, wollte alleine sein und nichts mehr unternehmen. Doch dann geschah etwas Fantastisches …
Während der zwei Jahren davor hatte ich Zen-Buddhismus und Stoizismus praktiziert. Zum Zeitpunkt der Trennung hatte ich diese Praktiken aufgegeben, weil ich keine Verbesserung in meinem Leben bemerkt und sie als Zeitverschwendung abgetan hatte. Als ich mich im Selbstmitleid badete, kickten unbewusst antrainierte Fähigkeiten ein. Achtsamkeit, das Wissen über die Vergänglichkeit aller Dinge und die Wahrheit über das Leiden aus dem Buddhismus. Die zweispaltige Kontrolle und negative Visualisierung des Stoizismus. Sie entpuppten sich als mächtige Werkzeuge in Zeiten von Schmerz. Anstatt in eine Depression zu verfallen, wie dies zwei Jahre zuvor geschehen wäre, katapultierte ich mich in wenigen Woche von »Was für ein scheiß Leben!« zu: »Was für ein fantastisches Leben!«
Nun war ich dankbar für die Zeit, die ich darin investiert hatte, meine Psyche zu schulen. Damit nicht genug. Die Ereignisse lösten eine Kettenreaktion aus. Mit einem plötzlich wacheren Verstand reflektierte ich mein Leben. Ich erkannte die Ursache meiner Bitterkeit, die sich durch mein gesamtes Leben gezogen hatte: meine ständig wechselnden Freizeitbeschäftigungen, meine Unzufriedenheit im Berufsleben und meine Depressionen. Das war alles einem Grund geschuldet: einer unbefriedigenden Suche, einer ziellosen Suche. Ich hatte einen Heuhaufen durchsucht, ohne zu wissen, was ich darin suchte. Ich fragte mich bei den Locken von George Washington, was ich eigentlich mein Leben lang suchte!
Ich kehrte das Spiel um. Anstatt nach zufälligen Antworten zu suchen, suchte ich nach der richtigen Frage. Ich wählte einen Topdown-Ansatz und begann ganz oben mit der Frage aller Fragen: Was ist der Sinn des Lebens? Diese Frage war erstaunlich schnell beantwortet. Obschon ich Buddhismus praktizierte, fühlte ich mich nie einer Religion angehörig und glaubte auch nie an eine höhere Macht. Ich glaube nicht, dass wir von einem Schöpfer geschaffen wurden. Auch wenn es unglaublich erscheint, dass wir zufällig entstanden sind, ist dies doch die einzige Erklärung, die mein Verstand akzeptieren kann. Wenn wir zufällig entstanden sind, bedeutet dies allerdings, dass es keinen inhärenten Lebenssinn gibt. Es gibt keinen großen Plan. Das hätte eine ernüchternde Erkenntnis sein können, doch sah ich die positive Seite darin. Ich kann frei entscheiden, was ich mit meinem Leben anstelle. Ich wähle den Sinn meines Lebens selbst.
Des Weiteren glaube ich, dass wir nur ein Leben zur Verfügung haben. Ich glaube nicht an eine beständige Seele oder eine Form von Wiedergeburt. Ich muss meinen Sinn in diesem Leben finden. Ich habe nur eine Chance. Dies führte mich zu meiner nächsten Frage: Was ist das Beste, das ich aus meinem Leben machen kann?
Die beste Lebensphilosophie
Diese zweite Frage war weitaus schwieriger zu beantworten. Ich brauchte mehrere Wochen dafür. Auf langen Spaziergängen sann ich über das beste Leben nach. Ganze Wochenenden saß ich auf dem Sofa im stillen Dialog mit mir selbst. Ich kam mir vor wie Buddha, als er unter dem Bodhi-Baum saß und sich schwor, nicht eher aufzustehen, bis er eine Lösung für das Leiden fand. Ich hatte Zeit, denn das Corona-Virus hatte die Welt im Griff und die Schweiz befand sich wie viele Länder im Lockdown.
Ich realisierte, dass ich eine Leere in mir spürte und bisher versucht hatte, diese mit Vergnügen zu füllen. Ich hatte bisher ein unerfülltes Leben geführt. Laut Duden ist Erfüllung definiert durch ein inneres Erfülltsein von einer Sache, sodass das Denken und Fühlen weitgehend davon beherrscht werden. Man ist ausgefüllt, man verspürt keine Leere. Diese Leere, dieses Gefühl von nicht vollkommen sein, hatte mich dazu getrieben jahrelang nach Neuem zu suchen. Wenn man ein erfülltes Leben führt, dann braucht man nichts weiter, dann ist die Suche beendet und die Fragen sind beantwortet. Das klang richtig in meinen Ohren. Erfüllung. Ja, das wollte ich. Doch was erfüllte mich?
Ein weitverbreiteter Ratschlag ist, sich Ziele zu setzen, um Erfüllung im Leben zu verspüren. Was ist ein Ziel? Ich sage: Ein Ziel ist das Erreichen oder Erhalten von etwas, das man nicht hat. Ich kann ein Ziel entweder erreichen oder nicht erreichen. Es ist eine Ja-Nein-Frage. Meiner Meinung nach sind Ziele zentral, um voranzukommen. Doch Ziele alleine bringen keine Erfüllung. Wie weiß ich, was die richtigen Ziele sind? Was geschieht, wenn ich mein Ziel nicht erreiche? Das Leben ist ein Weg. Ich weiß, wie ich hergekommen bin, aber ich weiß nicht, was hinter dem nächsten Felsrank liegt. Natürlich kann ich mir eine Bergspitze als Ziel aussuchen, aber ob es einen Weg nach oben gibt, ob ich von einer Lawine überrascht werde oder überhaupt die richtige Ausrüstung dabei habe, kann ich nicht wissen. Du magst einwenden: »Außer jemand anderes ist diesen Weg bereits gegangen und hat eine genaue Wegbeschreibung erstellt.« Das ist gewiss eine Hilfe, doch auch dann bin ich den Launen der Natur ausgesetzt. Ein plötzlicher Sturm kann mir einen Strich durch die Rechnung machen oder ein Steinschlag kann den Weg verschütten. Ziele sind in Ordnung und wichtig, jedoch sind sie meiner Erfahrung nach nur ein Teil der Lösung zu einem erfüllten Leben.
Um Erfüllung zu finden, brauche ich einen Leitfaden. Einen Regelsatz, nach dem ich lebe. Prinzipien. Eine Entscheidungshilfe. Einen Kompass, der mich in eine Richtung weist, ohne dabei ein konkretes Ziel anzuvisieren. Lass mich diesen Kompass Lebensphilosophie nennen.
Es gibt zahlreiche Lebensphilosophien, die man sich aneignen kann. Alle Religionen und auch viele antike Philosophien wie der Zynismus oder Stoizismus sind Lebensphilosophien. Aber damit nicht genug. Ich bin der Meinung, dass es unendlich viele Lebensphilosophien gibt. Jeder Mensch kann seine eigene erschaffen. Bevor ich zu meiner persönlichen Lebensphilosophie komme, hier einige, über die ich während meiner Sofa-Zeit nachdachte.
Hedonismus
Ein Hedonist strebt danach, Lust und Vergnügen zu maximieren und Schmerz und Leid zu minimieren. Der Sinn des Lebens besteht darin, ein möglichst vergnügtes Leben zu führen. Die meisten Menschen leben einen gemäßigten Hedonismus. Meiner Meinung nach ist der Hedonismus spektakulär gescheitert. Auf seine Kappe geht die Umweltzerstörung. Es ist ein egoistischer Ansatz. Ich selbst lebte jahrelang nach dem Hedonismus und er bescherte mir keine langfristige Zufriedenheit – im Gegenteil, diese Lebensphilosophie leistete einen wesentlichen Beitrag zu meinen Depressionen. Hedonismus hat zwei grundlegende Probleme:
1. Vergnügen ist temporär.
2. Die Stärke des erlebten Vergnügens ist abhängig von früher erlebtem Vergnügen.
Diese beiden Probleme führen zu einer Abwärtsspirale. Ich kaufe etwas, das ich mag. Ich erlebe Glücksgefühle. Die Glücksgefühle verblassen und ich fühle mich schlecht. Also suche ich nach einem neuen, stärkeren Vergnügen und ich stürze mich in die zweite Umrundung der Spirale.
Hedonismus ist ein unersättliches Streben nach immer mehr Vergnügen. Nicht nur führt dies zu einem immer stärkeren Oszillieren zwischen Freud und Leid, auch schlägt man sich irgendwann den Kopf am Limit des Vergnügens an. Es geht nicht mehr weiter nach oben. Ich kann kein noch stärkeres Vergnügen finden und bleibe im Tief stecken. Wenn Zufriedenheit ein volles Fass ist, dann ist Hedonismus ein Fass mit einem immer größer werdenden Loch. Ich kann es kurzzeitig füllen, aber es wird sich immer wieder leeren und ich muss meine Anstrengungen stetig vergrößern, um es wieder zu füllen.
Zynismus (oder Kynismus)
Das gegenteilige Extrem zum Hedonismus ist der Zynismus. Ein Zyniker lehnt jeglichen Besitz ab, der nicht zwingend zum Überleben notwendig ist. Der Sinn des Lebens besteht darin, unabhängig von äußerer Hilfe zu sein.
Diogenes ist der wohl berühmteste Zyniker. Er wählte freiwillig ein Leben in Armut, um sich unabhängig von Begierden zu machen. Seiner Ansicht nach schafft Abhängigkeit Unzufriedenheit. Diese Ansicht findet sich auch im Buddhismus und Stoizismus wieder, wenn auch in einer weniger extremen Form. Auch ich teile die Grundüberlegungen des Zynismus. Allerdings bringt meiner Meinung nach ein reiner Zynismus die Menschheit nicht voran, weder gesellschaftlich, technisch noch medizinisch. Es fehlen wichtige Aspekte, um ein bestmögliches Leben zu verbringen, wie zum Beispiel meine Zeit zum Wohl der Gesellschaft einzusetzen, was uns zur nächsten Lebensphilosophie bringt.
Stoizismus
Ein Stoiker lebt im Einklang mit der Natur aller Dinge. Der Sinn des Lebens besteht darin, sich nicht gegen den Lauf der Dinge (den Logos) zu stellen und das zu tun, was ein Mensch eben zu tun hat. Der Mensch ist ein soziales und vernunftbegabtes Wesen. Das ist seine Natur. Um das bestmögliche Leben zu führen, ist ein Stoiker sozial und vernünftig. Er stellt sich nicht gegen Dinge, über die er keine Kontrolle hat. Die Stoiker entwickelten eine Vielzahl an Techniken, um mit den Strapazen des Lebens umzugehen.
Lucius Seneca und Marcus Aurelius sind die wohl berühmtesten Stoiker. Interessanterweise verbrachten beide ein Leben in Reichtum trotz Unabhängigkeit von Besitz. Ein vermeintlicher Widerspruch, doch kommt es aus stoischer Sicht auf die Geisteshaltung und nicht auf physische Gegebenheiten an. Im Sinne von: Wenn du reich bist, sei glücklich, dass du nicht arm bist. Wenn du arm bist, sei glücklich, dass du nicht reich bist. Akzeptiere die Dinge, wie sie sind, und nutze, was dir zufällt, für das Gemeinwohl. Der Stoizismus hat meine Lebensphilosophie stark geprägt, trotzdem sehe ich mich nicht als Stoiker. Einige Aspekte meiner Lebensphilosophie sind anders.
Buddhismus
Wenn man über Leiden und Begierden spricht, kommt man nicht an Siddhartha Gautama vorbei. Jener Dude, der vor zweieinhalbtausend Jahren durch seine Erleuchtung das Leiden vollends besiegte. Er ist besser bekannt unter dem Begriff Buddha. Obschon Buddhismus und Stoizismus auf zwei verschiedenen Erdhälften entstanden sind und vermutlich keinen Bezug zueinander hatten, findet man erstaunlich viele Parallelen. Wo der Stoizismus besagt, dass man die Dinge so akzeptieren soll, wie sie sind, geht der Buddhismus noch tiefer und verspricht, dass es einen Weg gibt, das Leiden restlos zu bezwingen: den achtfachen Pfad, der zur Erleuchtung führt.
Obschon ich viel vom Buddhismus lernen durfte, halte ich ihn nicht für die passende Lebensphilosophie für mich. Ich bin mit einigen Punkten nicht einverstanden, wie zum Beispiel einer alles verbindenden Energie oder der Wiedergeburt, und es fehlen mir gewisse Aspekte des Lebens in dieser Philosophie. Insbesondere die Erleuchtung betrachte ich nicht als etwas Spirituelles, sondern als ein tiefes Verständnis dafür, was Leiden ist und wie man es vermeidet. Ich glaube nicht an eine vollkommene Befreiung vom Leiden und strebe diese auch nicht an, weil meine größten Fortschritte im Leben aus größtem Schmerz entstanden sind. Diesen Katalysator will ich nicht verlieren.
Auf der Suche nach meiner Lebensphilosophie bin ich nebst klassischen Philosophien auch über andere Ansätze gestoßen, die noch nicht detailliert ausgearbeitet sind, aber aus denen sich sehr wohl Lebensphilosophien ableiten lassen.
Die beste Version von sich selbst sein
Warum einer komplexen Philosophie folgen, wenn man einfach die beste Version von sich selbst sein kann?, dachte ich mir. Auf den ersten Gedanken hin klang dieser Leitsatz vernünftig. Aber nach längerer Betrachtung merkte ich, wie schwierig es ist, sein bestes Selbst zu sein. Was ist überhaupt die beste Version von mir? Wie kann ich wissen, wie hoch mein Potenzial ist? Ich muss mich ständig testen und zu neuen Höchstleistungen anfeuern. Das ist grundsätzlich nichts Schlechtes, aber wie setze ich meine Maßstäbe? Geht noch mehr? Ich glaube, es besteht die große Gefahr von Überforderungen, Stress und Selbstzweifeln, was wiederum zu Unzufriedenheit führt.
Ein glückliches oder zufriedenes Leben führen
Ich dachte mir, wenn der Versuch, die beste Version von sich selbst zu sein, zu Unzufriedenheit führt, warum dann nicht nach Zufriedenheit streben? Will nicht jeder Mensch einfach nur glücklich sein? Ich merkte, dass ich der Sache näherkam. Allerdings lehrte mich meine Sofa-Zeit auch eines: Um zufrieden zu sein, brauche ich fast nichts. Ich bin zufrieden, wenn ich auf dem Sofa sitze und den Pflanzen draußen beim Schwanken zusehe. Wenn ich mein gesamtes Leben auf der Couch verbringe, führe ich zwar ein zufriedenes Leben, aber rückblickend würde etwas fehlen: eine sinnvolle Verwendung meiner Zeit. Ich halte diesen Ansatz außerdem zu selbstfokussiert und könnte in Gefahr laufen, wieder in einen Hedonismus hineinzurutschen.
Anderen Menschen helfen
Wenn ein glückliches Leben zu selbstzentrisch ist, wie sieht es dann mit dem Fokus auf andere Menschen aus? Meiner Meinung nach ist es wichtig, das Gemeinwohl über mein persönliches Wohl zu stellen und meine Fähigkeiten für andere Menschen einzusetzen. Allerdings habe ich bei Menschen in meinem Umfeld beobachtet, dass man sich selbst weniger weiterentwickelt, wenn man sich zu sehr auf andere Menschen fokussiert. Es braucht Balance zwischen dem Helfen anderer Menschen und persönlicher Weiterentwicklung.
Wachstum
Dies brachte mich auf den entscheidenden Gedanken. Ich erkannte auf dem Sofa meiner Zweieinhalbzimmerwohnung, dass Stillstand zu Verdruss führt. Es war Stillstand, welcher in mir die Leere erschuf. Wenn ich an Ort und Stelle stehen bleibe, fühle ich mich unwichtig, klein und unbedeutend. Wenn ich mich jahrelang im Kreis drehe und dann auf mein Leben zurückblicke, sehe ich ein sinnloses, unerfülltes Leben.
Ich verstand, dass genau das all die Jahre davor geschehen war. Mit meiner Suche nach Erfolg und Anerkennung hatte ich mich im Kreis gedreht und dies hatte zu Verzweiflung geführt. Nur wenn ich mich weiterentwickle, fülle ich die Leere in mir. Nur wenn ich wachse, kann ich mit Stolz und Zufriedenheit auf mein Leben zurückblicken. Erfüllung entsteht durch Wachstum. Wachstum ist Erfüllung. Wachstum ist der Sinn meines Lebens. Da saß ich nun. Meinen Hintern auf dem Sofa, die rechte Hand eine dampfende Tasse Tee haltend, mein Blick aus dem Fenster gerichtet. Die großen Fragen des Lebens beantwortet. Meinen Sinn des Lebens gefunden. »Nur«, fragte ich mich, »Wachstum wohin?«
1 https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/geburten-todesfaelle/lebenserwartung.html, abgerufen am 18.06.2023
4. Die vier Lebenssäulen
Ein Großteil meines Lebens war ich der festen Überzeugung, dass ich bloß mehr Geld und Erfolg benötigte, um endlich die Leere in mir zu füllen. Ich wollte unabhängig von langweiligen Brotjobs sein und Anerkennung von anderen Menschen erhalten. Da schaute ich hinauf und sah die Stars und Sternchen. Die hatten meine Wünsche erreicht. Die mussten ein erfülltes Leben führen. Also wusste ich, was zu tun war. Ich arbeitete hart. Ich kämpfte mich durch eine nicht erfüllende Lehre und legte Geld zur Seite, sodass ich umgehend ein Studium anfügen konnte. Ich investierte einen Großteil meiner Lebensenergie in das Studium, denn ich wollte nicht zum Durchschnitt gehören. Ich wollte mit Bestnoten herausstechen, um den besten Job zu kriegen und sogleich meine steile Karriere zu starten.
Aber natürlich war ich nicht dumm! Ich wusste, dass ich mit einem Bachelor-Abschluss zwar gutes Geld verdienen konnte, aber noch lange nicht zu den wirklich erfolgreichen Menschen zählte. Also versuchte ich mir, parallel zu meiner Lehre und Studium, weitere Standbeine aufzubauen. Mit siebzehn bis neunzehn Jahren versuchte ich mich als Rapper. In einer Fremdsprache. Anstelle von Schweizerdeutsch rappte ich auf Hochdeutsch. Schweizer Rap fand ich erstens nicht cool und zweitens war der Markt in der Schweiz zu klein, um Kohle zu scheffeln. Nach zwei Jahren hatte mein erfolgreichstes Video auf YouTube gerade einmal dreitausend Klicks. Meine einzigen Fans waren meine Eltern. Aber immerhin, ich hatte Fans.
Als nach zwei Jahren die Groupies immer noch auf sich warten ließen und ich nicht den Mut aufbrachte, live aufzutreten oder in irgendeiner Form Werbung für mich zu machen, schlussfolgerte ich, dass Rap nichts für mich ist. Stattdessen stürzte ich mich in das nächste Freizeitprojekt. Ich wurde Fantasy-Autor. Innerhalb nur eines Jahres schrieb ich mein Debüt. Ich hatte nicht das Geld, um es lektorieren zu lassen, daher gab ich es Freunden und Verwandten zum Korrigieren. Ich ließ ein Cover anfertigen und kümmerte mich um den Drucksatz. Die Erfahrungsberichte anderer Hobby-Autoren ließen mich ahnen, dass die Chancen, von einem Verlag akzeptiert zu werden, verschwindend klein waren. Deswegen suchte ich erst gar nicht nach einem Verlag.
Ich veröffentlichte das Buch über eine Self-Publishing-Plattform. Ich bewarb mein Buch auf verschiedenen Plattformen und schreckte nicht davor zurück, für Werbebanner zu bezahlen. Mein Self-Publisher wählte mein Debüt zum Buch des Monats. Ich bekam eine Plakette, die ich stolz auf mein Cover klebte. Jetzt sah es aus wie ein Spiegel-Bestseller. Der Self-Publisher half mir des Weiteren, eine Online-Leseveranstaltung durchzuführen, die ebenfalls mehr Aufmerksamkeit generierte. Trotz aller Bemühungen ließen sich im ersten Jahr weniger als hundert Bücher verkaufen. Die Einnahmen deckten nicht einmal die Kosten für das Buchcover.
Ich entschied mich, das eBook zwei Wochen lang kostenlos anzubieten, in der Hoffnung mehr Rezensionen auf Amazon zu bekommen. In diesen zwei Wochen luden viertausend Menschen mein Buch herunter. Es brachte mir tatsächlich eine Hand voll neuer Rezensionen ein. Ich hatte nun zwölf Rezensionen auf Amazon mit einer Durchschnittsbewertung von 4,7. Die Menschen mochten durchaus mein Buch, aber sie waren nicht bereit, vier Schweizer Franken dafür zu bezahlen. Ich resignierte. Wie will man als Autor leben, wenn der Mensch konsumieren will, aber nicht bereit ist dafür zu bezahlen? Genau wie beim Rappen verlor ich mein Selbstvertrauen, um mein Buch weiter an die Frau oder den Mann zu bringen. Obschon ich noch zwei weitere Fantasy-Romane schrieb, veröffentlichte ich keines mehr. Meine Bücher waren nicht gut genug. Wer wollte die schon lesen? Ich hatte auch kein Interesse, mich mit Marketing und Verkaufsstrategien zu beschäftigen. Ich war schließlich kein Verkäufer, ich war Autor. Ein paar Jahre später versandete mein Interesse am Schreiben. Ich hatte erneut das Gefühl gescheitert zu sein.
Heute blicke ich zurück, lege meinem jungen Ich die Hand auf die Schulter und sage: »Naiver junger Jonas, wie wenig du doch vom Leben verstandest. Aber alles ist cool, mach dir keinen Kopf. Auch du wirst deinen Weg finden.« Nun weiß ich: Das Streben nach Geld, Erfolg und Anerkennung ist im besten Fall indifferent, im schlimmsten Fall zerstörerisch. Es führte in meinem Fall zur Vernachlässigung von Familie, Freunden und meiner Freundin.
Mein Tagesablauf ließ nicht viele Minuten übrig, mich um meine Mitmenschen zu kümmern: Um fünf Uhr in der Früh aufstehen, eine Stunde lang am Buch schreiben, etwas essen, zur Fachhochschule pendeln, unterwegs weiterschreiben, den ganzen Tag in Vorlesungen sitzen, die Freistunden zum Lernen nutzen, am Abend um sieben Uhr nach Hause kommen, etwas essen, den restlichen Abend den neuen Stoff repetieren und um elf Uhr todmüde ins Bett fallen. Du magst hoffnungsvoll einwerfen: »Aber das Wochenende!« Ich sage dir, was ich an den Wochenenden tat. Ich holte den Schlafmangel der letzten fünf Tage nach, arbeitete an meinem Buch, erledigte die Dinge, die man eben so im Leben erledigen muss, lernte vier bis sechs Stunden pro Tag auf die nächste Klausur und selbstverständlich kritisierte ich meine Freundin, weil sie nicht gleich ambitioniert war wie ich. Wenn ich doch einen Tag für sie erübrigte, fühlte ich mich gestresst, weil ich wertvolle Zeit für meine Zukunft verschwendete. Ich führte ein einsames Leben, obschon ich umgeben war von Familie und meiner Freundin. Vermisst du das Wort Freunde in dieser Aufzählung? Ich kann dir versichern, dass ich nicht vergaß, es hinzuzufügen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schlichtwegs keine.
Im Verlauf meines Informatikstudiums, insbesondere in den letzten zwei Semestern, verbesserte sich einiges. Während der Semesterferien zwischen dem zweiten und dritten Studiumsjahr im Alter von vierundzwanzig Jahren begann ich mich mit Zen-Buddhismus zu beschäftigen. Dies brachte einige Dinge ins Rollen, obschon ich mir dessen zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst war. Ich studierte die vier Siegel, die vier edlen Wahrheiten und den achtfachen Pfad des Buddhismus. Selbstverständlich meditierte ich auch; im Halblotus-Sitz auf einem Zafu-Kissen, die linke Hand in die rechte gelegt, Daumen sich berührend und die Handkanten an den Bauch gelegt. Ich saß unbeweglich da, den Blick auf den Boden und die Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt gerichtet. Ich meditierte zwei Jahre lang fast täglich für fünfzehn bis vierzig Minuten. Die Meditation lehrte mich, was Gelassenheit ist. Die Wolke aus Stress, die mir zuvor überallhin gefolgt war, wurde dünner, ich erhaschte einen verschleierten Blick auf die Wirklichkeit und wurde entspannter.
Allerdings konnte ich mit dem spirituellen Teil des Buddhismus nichts anfangen. Wiedergeburt, ein alles verbindendes Etwas und die strikten Praktiken schreckten mich ab. Da wurde ich auf den Stoizismus aufmerksam, eine Lehre, welche einige Parallelen zum Buddhismus besitzt. Ich begann auch diese Philosophie zu studieren. Ich las Bücher und Blog-Artikel und schaute You-Tube-Videos darüber. Meine Ansichten und meine Prioritäten veränderten sich. Während des letzten Semesters wurde mir das Studium immer weniger wichtig. Ich arbeitete weniger, gab mich mit tieferen Noten zufrieden und selbst dass ich in der Bachelor-Arbeit »nur« eine 5 anstatt der angestrebten 5.5 erreichte, nahm ich mit einem Schulterzucken hin.
Das Ende des Studiums war erreicht. Es fühlte sich nicht wie ein Fest an. Es war ein Nach-Luft-Schnappen, nachdem ich meinen Kopf drei Jahre lang unter Wasser gedrückt hatte. Nie wieder studieren, schwor ich mir, nie wieder studieren! All die aufmunternden Worte meiner Kollegen und Dozenten, sogleich einen Masterstudiengang anzuhängen, weil ich ein ach so intelligenter Mensch sei, schlug ich vehement in den Wind.
Ein paar Wochen nach dem Ende des Studiums im Sommer 2019 – ich war fünfundzwanzig Jahre alt – verbrachten meine Freundin und ich einen Monat in Bulgarien, ihrer Heimat. Ich hatte keinen Lernstress mehr, bereits einen Arbeitsvertrag und einen ganzen Monat lang keine Pflichten. Es war alles geregelt und ich brauchte nichts zu tun. Du denkst, das hat sich der Jonas nach all dem Stress aber auch verdient. Dass er am breiten Sandstrand in Burgas die Füße hochlegt, einen Piña Colada schlürft und das Leben in all seiner Hülle und Fülle genießt. Dass der Jonas es sich einmal gut gehen lässt, sich um seine Freundin kümmert, um danach im September erholt und besonnen seine erste Junior-Stelle anzutreten, nicht wahr?
Ha! Aber doch nicht der Jonas, von dem ich spreche! Wenn meine Freundin am Morgen aufstand, war ich schon seit drei Stunden wach, hatte ein krasses Ganzkörper-Workout von Chris Heria durchgepumpt, geduscht, eine Tonne Proteine in mich hineingestopft, die Mietwohnung gewischt und meine Morning Page geschrieben. Selbstverständlich war ich dabei, meine nächste Freizeitkarriere zu planen. Dieses Mal sollte ich Komiker werden. Ich lass »How To Write Funny« von Scott Dikkers, brainstormte Subtexte, verknüpfte sie mit den elf Funny Filters und drängte meine Freundin dazu, mir passende Comics zu zeichnen. Ich würde meine Zeit bestimmt nicht mit Nichtstun verschwenden.
Sechs Monate später verließ mich meine Freundin. Ich kam gerade von einer Schulung aus London zurück. Ich war den ganzen Tag gereist. Der Eurostar hatte eine halbe Stunde Verspätung und ich musste in Paris durch die Bahnhöfe rennen, um meinen Anschluss nach Zürich zu erwischen. Ich war müde, erschöpft und freute mich darauf, nach über einer Woche meine Freundin in die Arme zu schließen. Sie war in einer seltsamen Stimmung, als ich unsere Wohnung betrat. Ich versuchte sie aufzumuntern, war es doch nichts Neues, dass sie in bedrückter Stimmung war. Ich schob es auf Heimweh nach ihrer Familie in Bulgarien. Sie hatte bereits das Abendessen zubereitet, wir aßen zusammen und machten den Abwasch. Danach setzte sie sich auf das Sofa und sah mich mit traurigen Augen an. Sie sagte genau drei Sätze: »Wir müssen reden. Ich bin nicht glücklich mit unserer Beziehung. Ich brauche eine Auszeit.«
Drei Tage lang kämpfte ich um sie. Ich zog alle Register. Ich argumentierte, flehte, weinte und schrie sie an – zum ersten Mal überhaupt. Ich wusste, wenn sie auszog, würde sie nicht mehr zurückkommen. Ich rief aus, warum sie denn nicht früher mit mir gesprochen hatte, bat sie um eine Chance, wollte ihr jeden Wunsch erfüllen außer den einen, den sie hatte. Es half nichts.
Drei Abende später zog sie in die Wohngemeinschaft einer Freundin. Sie wusste um meine Depressionen und Suizidgedanken in meiner Vergangenheit und schrieb daher meiner Mutter. Eine halbe Stunde später standen meine Eltern vor der Tür und packten mich ein. Am nächsten Tag – es war ein Freitag – konnte ich nicht arbeiten und ich nahm einen Ferientag. Ich blieb bis am Sonntag bei meinen Eltern, wir unternahmen Spaziergänge und redeten viel. Es federte den Fall ab, doch danach ging ich zurück in meine Wohnung. Ich wollte alleine sein.
Meine Freundin ließ mich einen Monat lang warten, bis sie mir ihre definitive Entscheidung mitteilte. Das Warten war schlimmer als die Trennung selbst. Diese Ungewissheit, diese Machtlosigkeit. Dieses Umherspringen zwischen Hoffnung, Wut, Trauer und Leere. Sie kam zweimal vorbei, als ich nicht da war, um Dinge von sich zu holen. Die sich leerende Wohnung leerte mein Inneres. Verdammt hatte ich diese Frau geliebt! Umso mehr traf es mich, als sie mir nach vier Wochen Wartezeit sagte, sie habe sich nicht von mir geliebt gefühlt und sie werde nicht zurückkommen.
Nach sechsundzwanzig Jahren realisierte ich endlich, dass Beziehungen wichtig sind und dass man dafür etwas tun muss. Zuvor hatte ich Beziehungen als gegeben betrachtet, nichts, an dem man arbeiten musste. Ich hatte mir nur Gedanken darüber gemacht, ob ich den Rest meines Lebens mit meiner Freundin verbringen wollte. Dass sie sich von mir trennen könnte, war mir nicht in den Sinn gekommen.
Meine Familie war für mich da, als es mir schlecht ging. Die verbrachte Zeit mit ihnen half mir sehr im Verarbeiten der Trennung. Große Dankbarkeit wallte in mir hoch, dass ich ein solch tolles Umfeld hatte. Doch dann stutzte ich und fragte mich: »Als es meiner Familie in der Vergangenheit schlecht ging, wo war ich gewesen?« Shit, dachte ich. Ab diesem Zeitpunkt bemühte ich mich darum, meine übrig gebliebenen Beziehungen zu pflegen.
Hier schließt sich der Kreis. Meine Sofa-Zeit begann. Während ich da bequem auf meinem Hintern saß, den Blick verträumt nach draußen gerichtet, an einem heißen Tee schlürfend, realisierte ich: In meinem Leben hatte ich mich stets auf einen einzelnen Aspekt fokussiert. Mal meine Arbeit, mal meinen Körper, mal meine Freizeitbeschäftigung, kürzlich meine Psyche und nun meine Beziehungen. Wachstum in jedem einzelnen Aspekt hatte nicht zu Erfüllung geführt. Ich kniff die Augen zusammen und dachte mir: »Hmm … wenn Wachstum in jedem einzelnen Aspekt nicht zu Erfüllung führt, dann aber gewiss in allen zusammen.« Bumm! Da war sie. Die Erkenntnis, die mein Leben für immer verändern sollte. Wenn ich ein erfülltes Leben führen wollte, musste jeder Aspekt des Lebens erfüllend sein. Und das Leben lässt sich genau in vier Aspekte aufteilen: Körper, Psyche, Beziehungen und Beschäftigung. Meine Lebensphilosophie war geboren. Die Lebensphilosophie der vier Lebenssäulen.
Ich teile also mein Leben in vier Säulen auf. Ich behaupte, dass diese vier Aspekte stetig wachsen müssen, damit mein Leben erfüllend ist. Ich muss die vier Lebenssäulen konstant und gleichmäßig stärken. Sie müssen in Balance sein, um das Dach der Erfüllung tragen zu können.