Ein richtig guter Tag - Ayelet Waldman - E-Book

Ein richtig guter Tag E-Book

Ayelet Waldman

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Beschreibung

Jahrelang probiert die Schriftstellerin Ayelet Waldman alle möglichen Arzneien aus, um ihre extremen Stimmungsschwankungen in den Griff zu bekommen. Sie leidet darunter – und ihr Mann, Pulitzer-Preisträger Michael Chabon, und ihre vier Kinder leiden mit ihr. Die 52-Jährige ist an einem Tiefpunkt angelangt, als sie eines Morgens ein kleines Päckchen von einem gewissen „Lewis Carroll“ aus dem Briefkasten zieht. Der Inhalt: eine kleine Ampulle mit flüssigem LSD. Verboten, gefährlich – und verführerisch.

Dreißig Tage macht Ayelet Waldman einen Selbstversuch. Können zwei Tropfen verdünntes LSD bei den Depressionen helfen? Wird ihr Leben dadurch leichter, glücklicher? Offen und unverkrampft führt sie Tagebuch, gibt Denkanstöße und setzt sich mit der Frage auseinander: Müssen wir offen sein für neue Wege, um uns selbst zu helfen?

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Seitenzahl: 382

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Zum Buch

»Normal sein« ist für Ayelet Waldman nicht normal. Wie viele Menschen leidet sie unter Stimmungsschwankungen. Ihre »Alltagstauglichkeit« schränkt das zwar nicht ernsthaft ein. Aber es macht ihr Leben und das ihrer Lieben um ein Vielfaches komplizierter.

Dann entdeckt die Juristin und Schriftstellerin, die mit ihren vier Kindern und ihrem Mann Michael Chabon in Berkeley lebt, eine Therapie – so verrückt wie verführerisch. 30 Tage lang nimmt Ayelet Waldman Mikrodosen der psychedelischen Droge LSD. Schonungslos offen, informativ und witzig geht sie der Frage nach: Müssen wir neue Wege gehen, um uns selbst zu helfen?

»Ein brillantes, aufrichtiges und ehrliches Tagebuch«

ELLE

»Wahnsinnig mutig!«

The New York Times

Zur Autorin

AYELET WALDMAN wurde 1964 in Jerusalem geboren und wuchs in Kanada auf. Nach dem Jurastudium in Harvard arbeitete sie als Strafverteidigerin. Sie ist mit dem Schriftsteller und Pulitzerpreisträger Michael Chabon verheiratet und Mutter von vier Kindern. Mit dem Band »Böse Mütter« (2010) landete sie sofort auf der Bestsellerliste der New York Times. Zuletzt sind auf Deutsch erschienen: »Die späte Rache des Jake Wiseman« sowie »Olivenasche: Schriftstellerinnen und Schriftsteller berichten über die israelische Besatzung«. Ayelet Waldman lebt in Berkeley, Kalifornien.

Ayelet Waldman

Ein richtig guter Tag

Wie Microdosing meine Stimmung, meine Ehe und mein Leben rettete

Aus dem Amerikanischen von Stefanie Retterbush

Für Sophie

Wenn die Worte »Leben, Freiheit und das Streben nach Glück« nicht das Recht zu Experimenten mit dem eigenen Bewusstseinszustand umfassen, dann ist die Unabhängigkeitserklärung den Hanf nicht wert, auf dem sie geschrieben wurde.

Terence McKenna

Prolog

Heute Morgen habe ich LSD genommen.

Der Tisch, an dem ich zum Schreiben sitze, atmet nicht. Meine Tastatur explodiert nicht in einem psychedelischen Feuerwerk aus Farben, das Lichtblitze aus dem »R« und »P« schleudern würde. Ich bin weder aufgekratzt und hibbelig noch glückselig weggebeamt. Ich empfinde kein transzendentes Einssein mit dem Universum. Ganz im Gegenteil. Ich fühle mich normal.

Na ja, bis auf eins: Ich bin ausgeglichen und entspannt. Ich bin beschäftigt, aber nicht gestresst. Für andere mag das normal sein, für mich ist es das nicht.

Ich habe kein Acid-Plättchen gelutscht. Ich habe eine sogenannte »Mikrodosis« genommen, eine subtherapeutische Dosis einer Droge; eine Menge, so gering, dass sie keine unerwünschten Nebenwirkungen zeigt, und doch groß genug für eine messbare zelluläre Reaktion. Die Mikrodosis einer psychedelischen Droge beträgt in etwa ein Zehntel der üblichen Dosis. Für einen Trip mit visuellen Halluzinationen und allem Drum und Dran würde ein LSD-Konsument zwischen hundert und hundertfünfzig Mikrogramm nehmen. Ich habe zehn Mikrogramm genommen.

Microdosing, die Mikrodosierung von Psychedelika, ist so neu und alternativ, dass ich meinem Rechtschreibprogramm das Wort erst beibringen musste. Bekannt wurde es durch eine ganze Reihe von Vorträgen und Podcast-Interviews des Psychologen und früheren Psychedelika-Forschers James Fadiman sowie sein 2011 veröffentlichtes Buch The Psychedelic Explorer’s Guide: Safe, Therapeutic, and Sacred Journeys. Seit 2010 sammelt Dr. Fadiman Erfahrungsberichte von Menschen, die mit regelmäßigen Mikrogaben von LSD und Psilocybin, einem natürlich vorkommenden Stoff, der sich in etlichen Pilzarten findet, experimentiert haben. Schon kurz nach Erscheinen des Buchs präsentierte Fadiman bei einem Vortrag anlässlich einer Konferenz zum möglichen therapeutischen Nutzen von psychedelischen Drogen seine neuesten Erkenntnisse; gewonnen hatte er sie aus der Lektüre Dutzender Briefe und E-Mails, die ihn erreicht hatten, manche anonym, bei Weitem aber nicht alle. In Bezug auf Microdosing sagte er: »Viele Versuchsteilnehmer berichten, sie könnten sich abends zufrieden zurücklehnen und mit Fug und Recht sagen: ›Das war ein richtig guter Tag.‹«

Ein richtig guter Tag. Vorhersehbar, planbar, verlässlich. Mehr will ich doch gar nicht.

Solange ich zurückdenken kann, war ich eine Geisel; hilflos meinen unberechenbaren Stimmungsschwankungen ausgeliefert. Habe ich gute Laune, bin ich lustig, leistungsfähig und liebevoll. Ich bin der Mittelpunkt jeder Party, schreibe halbwegs passable Sätze und bin, wie meine Kinder sagen würden, cool. Kippt meine Laune aber, fressen Selbsthass, Schuldgefühle und Scham an mir. Eine alles zersetzende Hoffnungslosigkeit legt sich über mein ganzes Sein, ein grimmiger Pessimismus, der selbst theoretisches Glück kategorisch ausschließt. Meine Symptome waren nie so ernst, dass sie eine stationäre Behandlung erforderlich gemacht hätten, und sie haben mich auch weder beruflich noch privat ernsthaft in meiner »Alltagstauglichkeit« eingeschränkt. Aber sie machen mein Leben und das meiner Lieben um ein Vielfaches verzwickter.

Ich habe mit den unterschiedlichsten Behandlungsmethoden gegen diese Stimmungsschwankungen und anderen Malaisen vorzugehen versucht. Obwohl ich eins der wenigen neurotischen jüdischen Kinder war, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren in New York aufgewachsen sind, ohne je die Praxis eines Psychotherapeuten von innen zu sehen, wollte ich nichts unversucht lassen. Ebenso begeistert, wie ein verdurstendes Kamel in eine schlammige Oasenpfütze watet, stürzte ich mich auf jeden Lösungsansatz und suhlte mich genüsslich in allen erdenklichen Therapieformen.

Mein erster Therapeut war Facharzt in Ausbildung und wurde mir im dritten Jahr meines Jurastudiums vom Gesundheitsdienst der Universität zugewiesen. Ich suchte Hilfe bei der Verarbeitung einer traumatischen Trennung, die ich damals als tragisch empfand, die mir aber rückblickend eher wie einer jener Augenblicke erscheint, in dem man gerade noch rechtzeitig vom Handy aufschaut, bevor der Stadtbus einen überrollt. Ich saß also in der Praxis meines Therapeuten und heulte Rotz und Wasser. Als ich endlich aufhörte zu weinen (irgendwann im Laufe der zweiten oder dritten Sitzung), redeten wir über meinen Exfreund und meine ambivalenten Gefühle bezüglich unserer Trennung. Wir redeten über den Kerl (und die anderen Kerle und das eine oder andere Mädel), mit denen ich ihn betrogen hatte. Wir sprachen über den schwelenden Groll, den meine Mutter gegen alles und jeden hegte, und meinen emotional unzugänglichen Vater, und wie schwer es ist, in einem Zuhause aufzuwachsen, in dem die beiden anwesenden Erwachsenen sich die allermeiste Zeit streiten.

Seit diesen ersten Terminen habe ich hunderte und aberhunderte Stunden in den Praxen von Psychiatern und Psychologen verbracht, bei Sozialarbeitern und Familientherapeuten und habe meinen unverwechselbaren Gesäßabdruck auf unzähligen Ledercouches hinterlassen. Ich habe mit Freudianern assoziiert und im Auftrag kognitiver Verhaltenstherapeuten gewissenhaft Arbeitshefte ausgefüllt. Ich mag diese Sitzungen; ich bin ein analytischer, extrovertierter Mensch, weshalb ich nichts lieber tue, als mein Leben und meine Gefühle akribisch zu sezieren. Vor allem vor Menschen, die ich für dieses Privileg bezahle. Außerdem war ich in der Grundschule eine gute Schülerin und finde Arbeitshefte geradezu meditativ.

Und obwohl ich, wenn es um gegenkulturelle Phänomene geht, eine erbarmungslose Zynikerin bin (nichts lässt mich schneller die Augen verdrehen als eine Yogi, die die lilienweißen Handflächen zu einem Namaste zusammenführt), habe ich bisweilen althergebrachte Therapieformen zugunsten alternativer Methoden vernachlässigt. In den acht Monaten, die ich mit meinem zweiten Kind schwanger war, wollte ich mit allen Mitteln einen weiteren Kaiserschnitt verhindern, daher brachte ich etliche Hypnotherapiesitzungen hinter mich, während deren ich unter anderem mein erstes Kind »wiedergebären« sollte. Damit, versprach die Hypnosetherapeutin, sei dieses Mal eine vaginale Geburt garantiert. So lag ich, die Knie bis zu den Ohren angezogen, auf ihrer Couch, und sie begleitete mich in unerträglicher Detailtreue durch die vaginale Geburt, die nie stattgefunden hatte. Gemeinsam stellten wir uns die Kontraktionen vor, das Brennen beim Kopfaustritt, die Anstrengung beim Pressen. Ich hechelte, ich stöhnte, ich biss die Zähne zusammen und drückte, was das Zeug hielt. Wie sich allerdings herausstellte, ist das Einzige, was bei einer derartigen Anstrengung herauskommt, ein donnernder, trommelfellerschütternder Furz.

Einen Monat, zwei Geburtshelferinnen, eine Hebamme und vierundvierzig Stunden nicht-imaginärer Wehen später wurde mein Sohn von einem Arzt auf die Welt geholt, der mit bewundernswerter Geduld abgewartet hatte, während ich vergebens versuchte, mir vorzustellen, wie der Muttermund sich öffnete, bis er schließlich den zweiten von letztendlich vier Kaiserschnitten an mir vornahm.

Ich habe Achtsamkeitsübungen gemacht, bei denen ich quälend lange Minuten meditieren und anschließend viele weitere quälend lange Minuten mit meinem Therapeuten darüber diskutieren musste, warum ich Meditieren so zutiefst verabscheue. Auf die Ehekrise eines befreundeten Paares hin zwang ich meinen leiderprobten Mann in eine Paartherapie, bei der wir ständig wiederholen sollten, was der andere gesagt hatte, und zwar – theoretisch – ohne dass die Stimme dabei vor passiv-aggressiver, kaum verhohlener Wut bebte. (»Ich höre, dass es dich aufregt, wenn ich dich dafür kritisiere, wie du den Geschirrspüler einräumst, aber es macht mich traurig, dass du die Gläser immer in das untere Fach stellst, und es macht mich wütend, dass du, deiner überragenden Intelligenz zum Trotz, nicht in der Lage bist zu kapieren, dass sie dabei unweigerlich kaputtgehen.« Upps.) Wir würden wohl heute noch verzweifelte »Ich«-Botschaften aussenden, hätte mein Mann mich nicht irgendwann darauf hingewiesen, dass diese Therapie die bisher größte Gefahr für unsere Ehe war. »Ich« konnte ihm da nicht widersprechen.1

All diesen aberhunderten Stunden Gesprächstherapie zum Trotz kann ich nicht behaupten, je eine merkliche Veränderung erlebt zu haben, weder in meiner Betrachtungsweise noch in meinem Verhalten.

Und dann, eines Tages, auf dem Weg von einer deprimierend schlecht besuchten Lesung im idyllischen Marin County2 nach Hause, ertappte ich mich dabei, wie ich ernsthaft überlegte, das Lenkrad nach rechts herumzureißen, und mir ausmalte, mit dem Wagen das Geländer der Richmond Bridge zu durchbrechen und in hohem Bogen ins Wasser zu fliegen. Der Gedanke war mehr als nur flüchtig, und doch auch nicht konkret zu nennen, und obwohl ich es ohne weitere Zwischenfälle heil auf die andere Seite schaffte, erschütterte diese Episode mich derart, dass ich einen Termin beim Therapeuten machte.

Der Psychiater diagnostizierte eine bipolare affektive Störung, Bipolar II, eine weniger schwere Form der bipolaren Störung. Die Diagnose war zwar ein Schock, kam aber nicht überraschend. Bipolare Störungen sind oft erblich bedingt, und mein Vater und andere Verwandte väterlicherseits leiden ebenfalls daran. Vermutlich hatte ich insgeheim immer schon die Befürchtung, meine wechselhaften Launen könnten Ausdruck dieser Erkrankung sein.

Bipolare Störungen äußern sich in beträchtlichen Schwankungen des Stimmungs-, Energie- und Aktivitätsniveaus. Fast alle Menschen erleben solche Wechsel emotionaler Zustände, aber bei Bipolaren sind sie ausgeprägter und verlaufen intensiver, manchmal krass, heftig und verstörend. Verstörend in der Art von: »Vielleicht steuere ich mein Auto spontan von der Brücke!« Was tiefgreifende Konsequenzen für Alltagsleben und Beziehungen haben kann. Annähernd einer von fünf Menschen mit einer bipolaren Störung begeht Selbstmord, und paradoxerweise ist die Zahl bei Bipolar II unter Umständen noch höher. Psychiater versuchen das damit zu erklären, dass viele Menschen mit Bipolar I, obwohl ihr Leidensdruck höher ist, nicht in der Lage sind, Selbstmordgedanken zu formulieren oder in die Tat umzusetzen. Menschen mit Bipolar II dagegen verfügen über die notwendigen Möglichkeiten und Mittel, ihrem Leiden ein Ende zu setzen.

Obgleich diese Statistiken mir Angst machen, waren und sind sie auch eine große Erleichterung. Das erklärte so vieles! Meine Neigung etwa, bei Dinnerpartys oder im Internet etwas zu vertraulich zu werden und ungewollt intime Details über mein Privatleben preiszugeben. Oder den Tag, an dem ich zitternd vor Wut in der Reinigung stand, nachdem der Herr hinter dem Tresen mir achselzuckend die Überreste meiner teuren neuen Bluse überreicht hatte. Die hatte ich in einer der typischen Phasen einer bipolaren Störung gekauft – einer von den Phasen, in denen Betroffene viel zu viel Geld verpulvern und völlig über ihre Verhältnisse leben –, und meine Reaktion auf die beflissene Entschuldigung des Herrn von der Reinigung war ein Symptom namens »Reizbarkeit«. »Reizbarkeit« oder auch »Gereiztheit«, englisch »Irritability«, ist ein klinischer Begriff, ein Fachausdruck, beschrieben in der fünften Ausgabe von Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders als ein »Gemütszustand, bei dem anscheinend minimale Impulse oder Außenreize eine unverhältnismäßige Reaktion auslösen, üblicherweise aufbrausenden Zorn, Aggressivität oder Feindseligkeit«. Eine etwas beschönigende Umschreibung dafür, in der Reinigung um die Ecke hysterisch zu kreischen und herumzuzetern.

Die Diagnose half mir aber auch, die positiveren Seiten dessen zu sehen, was mit mir passierte. Sie erklärte beispielsweise, wie es kommen konnte, dass ich einmal innerhalb von sechs Monaten drei Romane geschrieben hatte, so konzentriert und detailverliebt, wie ich es nie zuvor erlebt hatte. Diese unglaubliche kreative Energie ist typisch für den beflügelten und äußerst produktiven Gemütszustand, den man als Hypomanie bezeichnet. So anregend und fruchtbar waren diese Perioden, dass ich manchmal glatt glaubte, sie seien Entschädigung genug für die andere, dunkle Seite der Krankheit.

Auf die Diagnose hin bekam ich Psychopharmaka verschrieben, die ich sieben Jahre lang genommen habe, nur unterbrochen von einer kurzen Phase zu Beginn einer meiner Schwangerschaften. Die Liste der Medikamente, die ich ausprobiert und wieder abgesetzt habe, ist so lang, dass meine Freunde mich als eine Art wandelndes Nachschlagewerk nutzten, denn ich kann, wie die beruhigende Stimme am Ende jeder Medikamentenwerbung: »Zu Risiken und Nebenwirkungen …«, Symptome und Nebenwirkungen von allem aufzählen, was irgendwelche Therapeuten ihnen verschreiben. Auf meinem langen, beschwerlichen Weg durch den Dschungel psychischer Probleme und Stimmungsschwankungen habe ich unzählige Medikamente genommen, unter anderem selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), darunter Citalopram (Celexa) und deren nicht-generische und daher deutlich teurere Zwillingsschwester Escitalopram (Lexapro), Fluoxetin (Prozac) und Sertralin (Zoloft); die Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) Duloxetin (Cymbalta), Venlafaxin (Effexor) und Venlafaxin XR (Effexor XR); das atypische Antidepressivum Bupropion (Wellbutrin); die Stimmungsaufheller Lamotrigin (Lamictal) und Topiramat (Topamax); Amphetamine (Adderall, Adderall XR), Methylphenidat (Ritalin und Concerta) und Atomoxetin (Strattera); die Benzodiazepine Alprazolam (Xanax), Diazepam (Valium) und Lorazepam (Ativan); das atypische Antipsychotikum Quetiapin (Seroquel) (eine besonders bizarre Verschreibung, da ich nie auch nur ansatzweise psychotisch war); die Einschlafhilfen Zolpidem (Ambien) und Eszopiclon (Lundesta). Sicher habe ich irgendwas vergessen. Kann passieren, wenn man massenweise Drogen schluckt.

Einige dieser Medikamente wirkten eine Weile – manche ein paar Tage, manche ein paar Wochen. Aber jede neue Pille hatte neue Nebenwirkungen. Da SSRI zu Gewichtszunahme führen und die Libido ersticken, war die übliche Vorgehensweise, weitere Medikamente hinzuzufügen, die der Gewichtszunahme entgegenwirkten und den Sexualtrieb ankurbelten. Die wiederum machten mich leicht reizbar, weshalb die Ärzte mir etwas zur Beruhigung verschrieben; Runde um Runde, endlos im Kreis herum.

Leider ist die Methode von Versuch und Irrtum bei der Behandlung psychischer Probleme noch immer die Standardvorgehensweise. Medikamente haben bei verschiedenen Menschen unterschiedliche und nicht selten unerwartete Wirkungen, und oft erweist es sich als schwierig, den richtigen Cocktail zu mischen, um die jeweils höchst individuellen Probleme zu behandeln. Darüber hinaus fehlt Therapeuten und Medizinern, selbst den besten, noch immer ein umfassendes Verständnis der Komplexität und Bandbreite sowohl vieler psychischer und affektiver Störungen als auch der vielen Medikamente zu deren Behandlung. Würde psychologische Forschungsarbeit besser finanziert, käme womöglich etwas mehr Licht ins Dunkel. Und Fehldiagnosen würden deutlich seltener.

Jahre nach meiner ersten Diagnose, ich fiel gerade in einen bodenlosen Internet-Kaninchenbau und weiß nicht mehr genau, wie ich dahin gekommen bin, stolperte ich über das Abstract einer klinischen Studie zu PMS, worauf mir Zweifel kamen, ob die Diagnose »bipolare Störung« korrekt sein konnte. Meine bipolare Störung stimmte nicht mit den im DSM-5 (»Diagnostischer und statistischer Leitfaden psychischer Störungen«) beschriebenen Merkmalen überein. Meine Hypomanie hielt selten die erforderlichen vier Tage Mindestdauer an und kippte nie in eine Manie, und obwohl meine Stimmung oft rabenschwarz war, hatte ich noch nie eine richtige Depression gehabt. Meine Stimmungsschwankungen waren nicht so ausgeprägt wie die meines Vaters, und ich hatte durch sie noch nie persönlichen oder beruflichen Schaden erlitten.3 War ich wirklich bipolar?

Als ich das Stimmungstagebuch herauskramte, das ich gewissenhaft führte, seit ich die Diagnose erhalten hatte, und es mit meinem Zyklus abglich, sah ich plötzlich glasklar. Meine Stimmung, mein Schlafverhalten, mein Energielevel, alles schwankte in Übereinstimmung mit meinem Zyklus. In der Woche bevor ich meine Periode bekam, ging meine Stimmung in den Keller. Ich wurde depressiv und neigte zu Wutausbrüchen; mein Schlafrhythmus war hinüber. Ich stellte auch fest, dass meine Stimmung mitten im Zyklus kippte, was aber nur einen oder zwei Tage anhielt. Dieses Tal kam immer kurz vor dem Eisprung und war nicht sosehr durch Niedergeschlagenheit gekennzeichnet als vielmehr durch Wutausbrüche. In einer dieser Prä-Perioden-Perioden hatte ich auch den armen Reinigungsinhaber traumatisiert, und ich brach in diesen Phasen mit schönster Regelmäßigkeit Streitereien mit meinem stoischen Ehemann vom Zaun; immer über Fragen von globaler Bedeutung, beispielsweise die korrekte Beladung der Geschirrspülmaschine.

Ich suchte den Rat eines Psychiaters, den die Women’s Mood and Hormone Clinic der medizinischen Fakultät der University of California in San Francisco mir empfahl; eine psychiatrische Klinik, die Frauen mit zumindest teilweise auf hormonelle Einflüsse im Gehirn zurückzuführenden affektiven Störungen behandelt. Mein neuer Arzt stellte bei mir sofort ein PMS fest.

PMS wird definiert als von körperlichen Symptomen begleitete Stimmungsschwankungen in den Tagen vor dem Einsetzen der Menstruation. Bis zu achtzig Prozent aller ovulierenden Frauen sind davon betroffen. Neunzehn Prozent von ihnen haben Symptome, die sich störend auf Arbeit, Schule oder Beziehungen auswirken, und zwischen drei und acht Prozent leiden unter PMDD oder Premenstrual Dysphoric Disorder (prämenstruelle dysphorische Störung) mit derart schwerwiegenden Symptomen, dass sie zeitweise effektiv im Alltagsleben eingeschränkt und arbeitsunfähig sind.

Obwohl schon lange bekannt ist, dass 67 Prozent der Frauen in psychiatrischen Einrichtungen in der Woche unmittelbar vor dem Einsetzen ihrer Periode eingewiesen werden, widmen sich Forscher erst neuerdings den Auswirkungen des PMS auf Frauen mit affektiven Störungen. Als PME (eine Art prämenstruellen Schmerzverstärker) bezeichnet man es, wenn eine vorhandene Vorerkrankung sich in einer bestimmten Phase des weiblichen Zyklus verschlimmert. Weil ich aber Stimmungsschwankungen immer nur während zweier Perioden in meiner Gelbkörperphase erlebte (direkt vorm Eisprung und in der Woche vor dem Einsetzen der Menstruation), kam mein neuer Psychiater zu dem Schluss, dass ich mitnichten unter einer bipolaren Störung leide, auch nicht unter einer durch PMS verstärkten bipolaren Störung, sondern unter einer milden Form von PMDD. Nicht so ausgeprägt, dass sie mich außer Gefecht setzt, aber doch mit merklichen, teils verstörenden Auswirkungen. Vor allem für den Inhaber meiner Reinigung.

Diese neue Diagnose fühlte sich auf Anhieb richtig an. Obwohl es etwas Beruhigendes gehabt hatte, meine Stimmungsschwankungen auf die bipolare Störung schieben zu können, hatte es mich immer gewundert, dass ich nie eine echte Manie oder wirkliche Depression durchmachte. An vielen Tagen stand ich morgens auf und fühlte mich gut und stabil und starrte auf die bunten Pillen in meiner Hand und fragte mich, wie sinnvoll es eigentlich war, etwas zu schlucken, von dem ich wusste, dass es mich reizbar machte und/oder meinen Sextrieb abtötete. Aber ich wusste nur zu gut, wie es Menschen mit einer bipolaren Störung ergeht, die leichtsinnig behaupten: »Ich bin gut drauf!«, und aufhören, ihre Medikamente zu nehmen. Also war ich ein tapferer kleiner Zinnsoldat und nahm, was auch immer mein Psychopharmakologe mir verschrieben hatte. Jetzt aber war ich endlich auf der richtigen Spur.

Stimmungsstabilisierer funktionieren bei PMDD nicht. Stattdessen werden häufig niedrig dosierte Hormonpräparate, darunter auch Anti-Baby-Pillen, verschrieben, ebenso SSRI; letztere auf die Woche oder zehn Tage vor der Periode beschränkt. Studien zeigen, dass auch Kalziumgaben, Lichtbehandlung und Verhaltenstherapie eine positive Wirkung haben können.

Die Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Hormonersatztherapien und Brustkrebs machten mich allerdings etwas nervös, weshalb ich mich anfangs für eine monatliche, kurze Einnahme von SSRI entschied. Normalerweise brauchen Antidepressiva vier bis sechs Wochen, bis sie wirklich wirken, aber bei prämenstruellen Frauen hindern SSRI sofort ab Einnahme das Enzym 3ß-HSD an der Umwandlung von Progesteron. Da der abfallende Progesteronspiegel die Ursache für den Menstruationsblues ist, setzt die Wirkung unmittelbar ein und der Unterschied ist sofort deutlich spürbar. In meinem Fall hob sich die Stimmung innerhalb von zwanzig Minuten nach Einnahme der Tablette merklich.4

Leider entfalten SSRI unmittelbar vor dem Eisprung, wenn der Hormonhaushalt der Frau sich gravierend verändert, der Östrogenspiegel sich rapide erhöht und LH (das luteinisierende Hormon oder Lutropin, das in der Hirnanhangdrüse gebildet wird) sprunghaft ansteigt, keine derart magische Wirkung. Wie Dr. Louann Brizendine, Gründerin der UCSF Women’s Mood and Hormone Clinic, mir erklärte: »Abrupte Veränderungen im Hormonhaushalt sind, als würde man dem Hirn den Teppich unter den Füßen wegziehen.« Weil SSRI in dieser Zeit nicht wirken, verließ ich mich auf Techniken aus der kognitiven Verhaltenstherapie, und wenn ich mich dabei ertappte, wie ich die Spielsachen der Kinder durchs Zimmer pfefferte oder in sozialen Netzwerken einen Shitstorm entfesselte, schluckte ich hin und wieder eine kleine Beruhigungstablette. Eine Chill-Pille, wenn man so will.

Als sich mir dann auch das zyklische Muster meiner Schlaflosigkeit erschloss, konnte ich die Schlaftabletten langsam ausschleichen und einen Großteil meines überquellenden pharmazeutischen Füllhorns in den Müll werfen. Eine ganze Weile hatte ich meine Laune hervorragend unter Kontrolle. Ich durchlief zwar noch immer zyklische Schwankungen, aber weil ich Wutanfälle und Phasen der Niedergeschlagenheit besser vorhersagen konnte, war ich in der Lage, vorausschauend zu handeln und besser damit umzugehen. Ich hatte meinen Zykluskalender im Blick wie eine Pilotin ihre Cockpitanzeigen. Nicht nur um zu wissen, wann ich anfangen musste, meine Medikamente zu nehmen, sondern auch, um wichtige Termine und Veranstaltungen auf die weniger heiklen Tage des Monats zu legen. Dr. Brizendine ermutigt die Partner ihrer Patientinnen, während der prämenstruellen Phase die Initiative zu ergreifen und alle aufkommenden Streitigkeiten gleich zu unterbinden, indem sie das jeweilige Streitthema auf einen Zettel schreiben, um es später im Monat, wenn man es gelassen und ohne Groll abhandeln kann, wieder aufzugreifen. Mein Mann weiß stets, wo in meinem Zyklus ich mich gerade befinde, und hat sich einen sehr neutralen, netten Ton angewöhnt, in dem er dann einfach fragt: »Kann es sein, dass du heute eine SSRI nehmen solltest?« Ich tue meinen Teil, indem ich ihn weder aus dem Fenster schmeiße noch ihm den Kopf abreiße, sondern brav meine Pille schlucke.

Fünf Jahre lang verlief alles vorhersehbar und friedlich. Dann geschah das Unabwendbare. Ich kam in die Prämenopause, und meine Periode wurde unregelmäßig. Manchmal war mein Zyklus dreißig Tage lang, manchmal zwanzig. Gelegentlich blieb die Periode ganz aus, hin und wieder sogar zweimal hintereinander. Da meine Periode sich aufführte wie ein kapriziöser viktorianischer Verehrer, der selten und vollkommen unvorhersehbar seine Visitenkarte hinterließ, war es mir nicht möglich, die SSRI pünktlich einzunehmen. Schließlich konnte meine Ärztin mich dazu bewegen, meine Bedenken beiseitezuschieben und zu versuchen, meine Stimmungsschwankungen mit einem niedrig dosierten Östradiol-Pflaster auszugleichen. Das Pflaster brachte aber nicht die erhoffte sofortige und spürbare Besserung, die ich von den Tabletten gewohnt war. Schlimmer noch, der Einsatz von nicht-opponierendem Östrogen – reine Östrogengaben – wird mit einem erhöhten Risiko von Gebärmutterschleimhaut- und Gebärmutterkrebs in Zusammenhang gebracht. Durch die zusätzliche Verabreichung von Progesteron kann man dieses Risiko senken, aber das wiederum steht in Zusammenhang mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko. Des Weiteren wirkt Progesteron sich deutlich negativ auf die Gemütslage aus, ganz besonders bei Frauen mit PMS oder PMDD. Da ich das Pflaster nur trug, um meine Laune aufzuhellen, würde ich einen Teufel tun und ein Medikament einnehmen, von dem ich depressiv werden und womöglich Krebs bekommen konnte.

Und dann ging alles so richtig den Bach runter. Ich befand mich in einem Zustand ständiger Gereiztheit. Ich kochte, ich richtete meine Wut gegen die Menschen um mich herum, und dann sank ich vor Scham zusammen wie ein Häufchen Elend. Diese Wechsel zwischen Zorn und Verzweiflung vollzogen sich weitaus rascher als zuvor, und ich fühlte mich dem hilf- und hoffnungslos ausgeliefert. Ich fand keine Freude mehr am Leben, nicht einmal mehr Zufriedenheit. Ich sah die Welt durch einen traurigen, düsteren Schleier. Ich wusste, auf der anderen Seite waren Licht und Liebe, aber ich schaffte es nicht, den schmuddeligen Vorhang meines Unglücks beiseitezuschieben.

Mein Mann, der sich seit Jahren mit den Irrungen und Wirrungen meiner wechselnden Launen herumschlug, schien nun endgültig die Nase voll zu haben und nicht mehr zu können. Wir stritten uns häufiger und heftiger, und es hatte den Anschein, als bräuchten wir immer länger, um uns von diesen Auseinandersetzungen zu erholen. Vielleicht ist es aber auch nur meine Verzagtheit, die sich da zu Wort meldet. Vielleicht war er nicht ungeduldiger als früher, sondern meine Depression flüsterte mir plötzlich wieder die Angst ein, er könne ein für alle Mal die Koffer packen und mich mit meinem hässlichen Ich alleinlassen.

In diesem grässlichen Gemütszustand war ich, als ich über James Fadimans Buch stolperte.

Bevor ich angefangen habe zu schreiben, war ich Pflichtverteidigerin und Juraprofessorin und habe mich besonders für Strafrechtsreformen engagiert. Viele Jahre lang hielt ich an der UC Berkeley School of Law jedes Jahr ein Seminar mit dem Titel »The Legal and Social Implications of the War on Drugs« (»Rechtliche und soziale Auswirkungen des ›Kriegs gegen Drogen‹«) und war als Beraterin der Drug Police Alliance tätig, einer Organisation, die sich für die Reform der US-amerikanischen Anti-Drogen-Gesetze stark macht. Ich verfügte also über persönliche Erfahrung sowie angeeignetes Fachwissen hinsichtlich der gesamten Thematik Drogenkontrollpolitik und deren Reform, war aber erstaunlich unbeleckt, was psychedelische Drogen anging. Ich hatte noch nie LSD genommen, und meine Erfahrung mit anderen Halluzinogenen erschöpfte sich in einem Erlebnis im ersten College-Jahr: einigen angenehmen, aber irgendwie auch verstörenden Stunden, die ich damit zubrachte, mich träge in einer Reifenschaukel zu drehen, nachdem ich eine sehr geringe Menge Psilocybin in Form von »Magic Mushrooms«5 zu mir genommen hatte. Ich hatte immer schon viel zu viel Angst vor einem Horror-Trip oder langfristigen psychischen Schäden, um munter herumzuexperimentieren. Aber Microdosing war etwas anderes und viel weniger angstbehaftet. Die Dosen, über die Fadiman sprach, waren nicht wahrnehmbar; so klein, dass man davon unmöglich Halluzinationen bekommen konnte, ob nun angenehme oder unangenehme. Weniger ein Acid-Trip als ein Acid-Schaufensterbummel.

Die Menschen, über deren Erfahrungen Fadiman in seinem Buch schreibt, berichten von einem Gefühl der »Freude und Dankbarkeit«, von erhöhter Konzentrationsfähigkeit und besserer Laune. Das wollte ich auch. Sie erzählen, sie verlören seltener die Beherrschung und seien eine angenehmere Gesellschaft für andere. Das wollte ich unbedingt. Sie erleben etwas, das mir so verlockend wie unerreichbar erschien: einen richtig guten Tag. Das brauchte ich! Niemand erwähnte negative Nebenwirkungen, aber andererseits war dieses Buch auch keine umfassende Fallstudie. Nein, es war vielmehr ein kleiner Hoffnungsschimmer. Natürlich immer unter Vorbehalt.

Bislang ist nirgends je eine offizielle Studie zum Thema Microdosing durchgeführt worden. Die umfassendste Datensammlung ist tatsächlich Fadimans anekdotischer Geschichtenband mit den Berichten verschiedenster Menschen, die sich mit ihren Fragen und Erfahrungen an ihn gewandt haben. Allerdings gibt es eine gewaltige Datensammlung zu LSD. Bevor die Substanz verboten wurde, ist sie eingehend erforscht worden. Abertausende Dosen sind zu therapeutischen und wissenschaftlichen Zwecken verabreicht worden, sehr wenige davon mit negativen Auswirkungen. LSD hat eine sehr geringe Toxizität und eine große therapeutische Breite.6 Das heißt, LSD ist selbst in hohen Dosen für den Organismus ungefährlich. Mikrodosen haben überhaupt keinen nachweisbaren biologischen Effekt.

Ich kontaktierte James Fadiman und bekam als Antwort ein Memo mit dem Titel »To a Potential Self-Study Psychedelic Researcher« (»Für den potenziellen psychedelischen Selbstversucher«). Das Dokument besagt ausdrücklich, dass es niemanden dazu ermuntern möchte, etwas Illegales zu tun, liefert dem interessierten Laienforscher aber ein kleines Regelwerk mit Fingerzeigen und Empfehlungen für Vorsichtsmaßnahmen, um potenzielle Gefahren zu minimieren, sollte er oder sie gänzlich ohne die Ermunterung durch James Fadiman etwas Gesetzeswidriges tun wollen.

Das Prozedere ist einfach. Um an der internationalen Selbstversuchsgruppe zu den Auswirkungen von nicht wahrnehmbaren LSD-Dosen auf das normale Alltagsleben teilzunehmen, soll der »psychedelische Selbstversucher« in regelmäßigen Abständen von drei Tagen eine Mikrodosis LSD zu sich nehmen. Die empfohlene Dosis liegt bei zehn Mikrogramm, einem Zehntel oder weniger dessen, was man konsumieren müsste, um eine spürbare Veränderung des Bewusstseinszustands herbeizuführen. Die Idee ist die, eine Dosis zu nehmen, die so klein ist, dass man überhaupt nichts merkt. Zumindest keine sofort wahrnehmbare Veränderung. Am ersten Tag jedes dreitägigen Einnahmezyklus nimmt der Proband zehn Mikrogramm LSD. Dabei soll man seinen normalen Tagesablauf mit Arbeit, Freizeit, Mahlzeiten, Kaffee, Nickerchen, Sport und Sozialleben unverändert beibehalten. Des Weiteren wird man angehalten, Stimmung, körperliche Kraft, Symptome, Produktivität und die Leichtigkeit, mit der einem die Arbeit von der Hand geht, genau zu beobachten und »ein paar Zeilen zum Tagesverlauf zu notieren«. An Tag zwei und drei konsumieren die Teilnehmer kein LSD, sollen sich aber weiterhin genau beobachten und Notizen machen.

Ich las Fadimans Memo, las sein Buch ein zweites Mal, stellte Nachforschungen an und grübelte lange und ausgiebig. Die Vorstellung, eine »psychedelische Selbstversucherin« zu werden, schien absurd. Ich bin Mutter von vier Kindern. Ich bin, um es mit den wenig schmeichelhaften Worten meiner Kinder zu sagen, »total normal«. Ich laufe den ganzen Tag in Jogginghosen rum und poste Fotos von besonders dekadenten Desserts auf Instagram. Ich bin die Mom, die ständig aufs Handy guckt, wenn die Kinder bei einer Schulparty sind; die Frau, die bei Starbucks hinter Ihnen in der Schlange steht und einen fettarmen Vanille Latte bestellt. Die im Untersuchungszimmer nebenan eine Mammografie machen lässt, die in ihrer vollgestopften Handtasche nach dem Autoschlüssel kramt, während man ungeduldig darauf wartet, dass sie endlich den Parkplatz freimacht. Ich bin Ex-Anwältin und Ex-Juraprofessorin, eine rechtschaffene, gesetzestreue Staatsbürgerin. Ein Nerd. Bekomme ich an der Kasse zu viel Wechselgeld, gebe ich es zurück. Ich schummele nicht bei der Steuererklärung, ducke mich nicht unter dem Drehkreuz der U-Bahn hindurch, parke nicht auf Behindertenparkplätzen. Ich schreibe und halte Vorlesungen zur Strafgesetzgebung; ich begehe normalerweise keine Straftaten.

Aber ich litt. Und, schlimmer noch, die Menschen um mich herum litten auch. Es wurde unerträglich, ich wusste nicht mehr ein noch aus, und plötzlich hatte ich das Gefühl, nichts mehr zu verlieren zu haben. Also beschloss ich, ein einmonatiges Experiment zu wagen. Ich wollte James Fadimans Protokoll befolgen und alle drei Tage eine Mikrodosis LSD nehmen, die Ergebnisse akkurat protokollieren und mir Notizen zu den Auswirkungen machen. Als Schriftstellerin wollte ich diese Notizen in eine Form bringen, die nicht nur mir selbst oder Fadiman weiterhelfen könnte, sondern auch anderen, die sich für die potenzielle therapeutische Wirkung von Microdosing interessieren. Außerdem wollte ich diesen Monat nutzen, um alles über psychedelische Drogen in Erfahrung zu bringen und zu ergründen, was mich dazu getrieben hatte, etwas derart Außergewöhnliches, Absurdes, Verzweifeltes überhaupt in Erwägung zu ziehen. Einen einzigen Monat von fünfzig Lebensjahren. Was sollte da schon (Schlimmes oder Gutes) passieren?

Ein richtig guter Tag

1. Tag

Mikrodosis-Tag

Körperliche Empfindungen: Erhöhtes Bewusstsein.

Stimmung: Aufgeregt. Nervös. Vorfreudig.

Konflikte: Wer, ich? Allein der Gedanke erscheint absurd.

Schlaf: Konnte lange nicht einschlafen. Früh aufgewacht.

Arbeit: Erstaunlich produktiv, vollkommen die Zeit vergessen.

Schmerzen: Die Schulter – seit beinahe anderthalb Jahren »eingefroren«, also schmerzhaft versteift – bringt mich schier um.

Heute habe ich die erste Mikrodosis genommen. Meine Sinne sind ein klitzekleines bisschen geschärft, kaum merklich, also könnte ich es mir auch einbilden. Wobei ein Wort wie »psychosomatisch« seine Bedeutung verliert, wenn alles, was gerade mit mir geschieht, unweigerlich mit dem Zusammenspiel von Körper und Psyche zu tun hat. Ich bin ein klein wenig achtsamer, als schwebte mein Bewusstsein ein Stückchen über mir und sähe mir dabei zu, wie ich auf der Tastatur herumtippe, die Knöchel aneinanderreibe, an meinem Tee nippe und schlucke. Die Bäume sind schöner als sonst; der Jasmin duftet intensiver.

Und plötzlich geht mir auf, dass ich im Hier und Jetzt bin; lange habe ich versucht, diesen Zustand mittels Meditation zu erreichen, aber Pustekuchen. Es fällt mir etwas leichter, sowohl meine Gedanken wahrzunehmen als auch meinen Körper, wie er sich durch den Raum bewegt. Doch schon beim Aufschreiben scheint dieses flüchtige Gefühl wieder zu verfliegen.

Das Genialste aber ist: Zum ersten Mal seit langem bin ich glücklich. Nicht überdreht oder ausgeflippt, sondern einfach entspannt und zufrieden mit mir und der Welt. Beim Gedanken an meinen Mann und die Kinder überkommt mich ein sanftes Gefühl von Liebe und Sicherheit. Ich bin weder um sie besorgt noch von ihnen genervt. Beim Gedanken an meine Arbeit habe ich ein gutes Gefühl, ich bin zuversichtlich und sprudele vor Ideen, ohne jedoch überzuschäumen. Meine Stimmung hat überhaupt nichts Hypomanisches. Meine Gedanken überschlagen sich nicht. Ich bin ruhig und gelassen. Aber es kann doch nicht sein, dass man so schnell eine Wirkung verspürt, oder? Das ist aller Wahrscheinlichkeit nach bloß der Placebo-Effekt. Doch selbst wenn ich mir das alles nur einbilde, selbst wenn die gute Laune wieder vergeht, bin ich dankbar für diese kleine Verschnaufpause.

Gleich nach dem Wachwerden heute Morgen habe ich mich aus dem Haus geschlichen, zu meinem geheimen Versteck, wo die kleine kobaltblaue Tropfflasche mit der Mikrodosis verdünnten LSDs auf mich wartete. Vorsichtig habe ich sie geschüttelt und immer darauf geachtet, sie nicht ins Licht zu halten (LSD zersetzt sich in ultraviolettem Licht –, witzig irgendwie, wenn man an all die Schwarzlichtposter denkt, die LSD-Konsumenten so gerne angestarrt haben), füllte die Pipette und träufelte mir behutsam zwei Tropfen unter die Zunge.

Es war nicht das erste Mal, dass ich eine illegale Substanz ausprobiert habe, wobei ich nie regelmäßig Drogen genommen habe. Auf der Highschool habe ich ein paar Mal Marihuana geraucht, auf dem College vielleicht ein Dutzend Mal, und als Erwachsene bloß ein, zwei Mal. Und dann gar nicht mehr, bis der Arzt mir aufgrund einer medizinischen Indikation Marihuana verschrieben hat (ich lebe in Kalifornien); zuerst, um meine Ambien-Schlaftabletten-Abhängigkeit in den Griff zu bekommen, und dann gegen die Schmerzen in der versteiften Schulter. Fünf- oder sechsmal habe ich MDMA genommen.7 Auf dem College habe ich zweimal Kokain probiert und einmal diese sonderbaren Pilze, die angeblich Magic Mushrooms waren. Alles in allem? Mehr als manch andere in meinem Alter, weniger als unsere ehemaligen Präsidenten Obama und Bush.

Aber auch legale Suchtmittel gebrauche ich eher selten. Alkohol schmeckt mir nicht, und ich bin viel zu schnell beschwipst, weshalb ich, selbst wenn ich keine Psychopharmaka nehme, nur sehr selten trinke. Natürlich war ich hin und wieder ein wenig angeglimmert, aber ich kann mich nur an zwei Gelegenheiten erinnern, bei denen ich wirklich betrunken war: einmal auf der Highschool, als ich dem Jungen, in den ich heimlich verschossen war, Rotwein auf die Schuhe gekotzt habe (er hat mich brav nach Hause gebracht und mir die Treppe bis zu meinem Zimmer hochgeholfen, sich peinlich berührt mit einer gemurmelten Entschuldigung an meiner Mutter vorbeigedrückt und ist auf Nimmerwiedersehen aus meinem Leben verschwunden), und einmal auf dem College, als ich mich zum Trichtersaufen habe überreden lassen (das Bier habe ich ebenfalls postwendend wieder ausgekotzt). Tee ist das Stimulans meiner Wahl, von dem ich wochentags oft mittags schon ein oder zwei Kannen getrunken habe; dann höre ich gezwungenermaßen auf, um nicht die ganze Nacht hellwach zu sein.

Noch nie habe ich einem Dealer Drogen abgekauft. Welche illegalen Substanzen ich auch genommen habe, sie wurden mir entweder bei einer Party angeboten oder ich habe sie von Freunden zugesteckt bekommen. Als ich den Entschluss fasste, das Programm auszuprobieren, hatte ich keinen Schimmer, wie ich es anstellen sollte, an die benötigten Drogen zu kommen. Sollte ich einfach in den People’s Park spazieren und einen der Dealer anquatschen, die unter den obdachlosen Teenagern ihren Stoff vertickten? Wie sähe das denn aus?

»Hey, Lady, Gras, Krümel?«

»Ja, gerne! Sie haben nicht zufällig Lysergsäurediethylamid? Und nehmen Sie Visa?«

Straßendealer kamen also nicht in Frage, weshalb ich eines Morgens in der Yoga-Stunde saß und unverhohlen die schmuddelfüßige junge Frau auf der Matte neben mir musterte. Ihr verschwitztes Interstate-40-T-Shirt war schon mal ein gutes Zeichen, doch dann fiel mein Blick auf das Mandala-Tattoo an ihrem Knöchel. Wie sollte man jemandem vertrauen, der sich ein Symbol für die Vergänglichkeit der materiellen Welt in die Haut hatte ritzen lassen? Ich konnte doch meine Drogen nicht von einer Idiotin kaufen, schon gar nicht von einer ungewaschenen!

Irgendwann fiel mir ein, dass ich wie alle Frauen mittleren Alters in der Bay Area einen großen Kreis schwuler Freunde hatte, die meisten (wenn auch nicht alle) kinderlos. Die würden doch noch wissen, wie man einen draufmachte! Oder zumindest würden sie jemanden kennen, der wusste, wie man einen draufmachte. Ich hängte mich ans Telefon.

Leider stellte sich rasch heraus, dass die schwulen Männer in meinem Bekanntenkreis nicht mehr von einer hippen Party zur nächsten hopsten, sondern die Wochenenden genauso unspektakulär gemütlich und häuslich verbrachten wie ich. In kriminelle Machenschaften waren sie nur noch verwickelt, wenn sie ein Dutzend Folgen Orange is the New Black am Stück guckten. Und meine alten Kifferfreunde waren auch keine große Hilfe. Der Typ, der früher in seinem Kleiderschrank im Studentenwohnheim Gras in Pflanzsubstrat angebaut hat? Der ist inzwischen Papa von einem Drittklässler. Die einzige Erinnerung an sein früheres Leben als Revoluzzer ist ein Darwin-Fisch-Aufkleber auf der Stoßstange seines Prius.

Fadiman betont zwar, wie wichtig es ist, diskret vorzugehen, aber ich wusste einfach nicht mehr weiter. Also ließ ich das Thema Microdosing immer wieder zaghaft in Gespräche einfließen. Schien mein Gesprächspartner schon mal davon gehört zu haben oder zeigte Interesse (oder war zumindest nicht völlig verdattert oder ehrlich entsetzt), erwähnte ich beiläufig, dass ich eine seriöse (oder wenigstens nicht ganz unseriöse) Bezugsmöglichkeit suchte. Irgendwann erzählte mir ein flüchtiger Bekannter, er habe von einem älteren Professor gehört, der jahrelang LSD in Mikrodosen genommen haben soll. Er wusste zwar weder den Namen des Professors noch sonst irgendwas über ihn, meinte aber, er werde demjenigen, über den er von dem Professor gehört habe, von mir erzählen. Vielleicht könne der Bekannte ja bei dem Professor ein gutes Wort für mich einlegen. Die ganze Geschichte klang ziemlich zweifelhaft, und ich glaubte nicht, dass eine Nachricht per Flüsterpost an jemanden, von dessen Existenz ich noch nicht einmal überzeugt war, etwas bringen würde.

Also setzte ich meine ergebnisoffene Suche fort. Kurz überlegte ich sogar, mich im Darknet umzusehen, aber da ich nur geringfügig technikaffiner bin als meine Mutter, die noch immer nicht dahintergekommen ist, wie man den Klingelton ihres Handys einschaltet, dachte ich mir, dass ich bei meinem Glück die Drogen vermutlich direkt auf der Homepage der Antidrogenbehörde bestellen würde. Ich kam nie weiter, als »LSD« zu googeln und bei endlosen Nachrichten-Threads diverser Nischenforen zu landen, wo sich begierig Suchende von erfahreneren Tastatur-Schamanen sagen lassen mussten, dass die Droge, sobald sie wirklich bereit seien, den Weg zu ihnen finden würde. Die Typen waren offensichtlich alle high. Ich gab es auf.

Ungefähr eine Woche später bekam ich eine Nachricht von meinem Bekannten. Der sagenhafte Professor zeige Verständnis für meine verzwickte Lage. Mehr noch, da sein Leben sich langsam dem Ende zuneige, habe er für das verbliebene LSD keine Verwendung mehr. Er wolle es mir zuschicken. Die Geschichte erschien mir absolut unglaubwürdig, aber keine zwei Tage später fand ich im Briefkasten ein in braunes Packpapier gewickeltes Päckchen, beklebt mit kunterbunten Briefmarken, von denen die meisten zehn Jahre und noch älter waren. Der Absender lautete: »Lewis Carroll«. In dem Päckchen lag, in Seidenpapier eingeschlagen, ein winziges kobaltblaues Fläschchen. Auf einem weißen Zettel stand, in einer serifenlosen Schrift kursiv gedruckt, folgende Nachricht:

Sehr geehrte Mitbürgerin von Berkeley,

auf Bitten eines alten Freundes finden Sie in dieser Flasche 50 Tropfen allerbester Qualität. Nehmen Sie zwei Tropfen pro Dosis (5mcg pro Tropfen).

Unser Leben mag nicht mehr sein

Als Tautropfen an einem Sommermorgen,

Doch bestimmt ist es besser zu funkeln

Solange wir da sind.

L. C.

Eigenartig. Sehr, sehr eigenartig. Irgendwie auch entzückend. Und schräg. Ich war so was von bereit, und die Tropfen hatten den Weg zu mir gefunden.

Meine erste Amtshandlung war, die geschenkte Droge zu testen. Als ich mit der Idee, das Programm tatsächlich auszuprobieren, zu flirten begann, hatte ich mir einen LSD-Testsatz bestellt. Ohne Unbedenklichkeitsprüfung durch die Lebensmittelbehörde wollte ich mich irgendwie vergewissern, dass das, was ich da zu mir nahm, auch tatsächlich LSD war und nicht irgendeine giftige Substanz. Viel zu oft entpuppt sich das, was man an der nächsten Ecke kaufen kann, als etwas ganz anderes. Da beispielsweise die Chemikalien, die man zur Herstellung von MDMA benötigt (allgemein auch als Ecstasy oder Molly bekannt), immer schwieriger zu bekommen sind, werden hunderte neuer psychoaktiver Substanzen, viele davon hochgefährlich, hergestellt und unter demselben Namen vertrieben. Der Drogenkontrollbehörde zufolge ist der überwiegende Teil dessen, was heutzutage als Molly verkauft wird, alles andere als das. Oft genug verstecken sich dahinter synthetisches Cathinon (bekannt als Badesalze), Methamphetamin oder verschiedene andere Substanzen, manche harmlos, manche gemeingefährlich. Mein ältestes Kind studiert an der Wesleyan University, wo beinahe ein Dutzend Jugendliche nach dem Konsum einer Substanz, die sie für reines Molly gehalten hatten, mit schwerwiegenden Symptomen stationär behandelt werden mussten. Die Jugendlichen hatten Atemprobleme, und mindestens einer von ihnen wäre um ein Haar gestorben. Es hatte sechs Stromschläge mit dem Defibrillator und eine Intubation gebraucht, um dem jungen Mann das Leben zu retten. Wie es aussieht, haben die Jugendlichen mitnichten MDMA genommen, sondern AB-Fubinaca, ein synthetisches Cannabinoid, das unter dem Namen Spice oder K2 bekannt und weitaus gefährlicher ist. Ähnlich toxische Substanzen sind auch schon als LSD verkauft worden, was zu etlichen dokumentierten Todesfällen geführt hat. Auf gar keinen Fall würde ich etwas konsumieren, ohne es vorher zu testen, ganz gleich, wie reizend der Begleitbrief auch sein mochte.

Und wo bestellt man so einen Testsatz?, werden Sie jetzt vielleicht fragen. Ich sagte ja bereits, dass ich für Direktkäufe zu angsthasig bin und für das Darknet technisch zu unversiert. Also habe ich meinen Testsatz beim weltgrößten Internetanbieter für Toilettenpapier, Halbstundendramen und reduzierte Bücher erworben. Ganz recht, ich habe ihn bei Amazon bestellt. Sogar mit kostenlosem Prime-Expressversand.

Die Lesebrille auf der Nase, studierte ich mit zusammengekniffenen Augen das Kleingedruckte, las alles genauestens und gleich zweimal durch – ich wollte auf keinen Fall einen Fehler machen. Behutsam gab ich einen Tropfen aus dem blauen Fläschchen in die Öffnung des Testsatzes und drückte die Gummimuffe zusammen, um die Glasmembran zwischen dem Tropfen und der Testlösung zu zerbrechen, damit sie sich vermischen. Die Lösung sollte sich leuchtend lila verfärben, wenn sie mit LSD in Kontakt käme, aber für mich sah das höchstens nach einem zarten Flieder aus. War das überhaupt noch Violett, was ich da sah, oder bildete ich mir das bloß ein? Und dann ging mir plötzlich auf, was das Problem war: Ein einziger Tropfen pures LSD enthält die Substanz in hoher Konzentration. Weswegen LSD, auch in flüssiger Form, stets verdünnt wird. »Tickets« oder »Pappe« beispielsweise, die verbreitetste Form, in der LSD zu erwerben ist, bestehen aus einem Blatt Papier, meist mit lustigen Comicmotiven bedruckt, das mit einer verdünnten LSD-Lösung getränkt und in kleine quadratische Abschnitte unterteilt und entsprechend perforiert ist. Ein einzelnes konfettigroßes Quadrat soll dabei die Standarddosis enthalten – ungefähr einhundert bis einhundertfünfzig Mikrogramm LSD.8 Wenn ein einzelner Tropfen von Lewis Carrolls Lösung gerade einmal 5 Mikrogramm LSD enthielt, musste die Substanz so stark verdünnt sein, dass sie bei einem solchen Test kaum noch nachweisbar war. Nach einer Stunde Surfen im Netz (es gibt unendlich viele Webseiten mit detaillierten Informationen zu psychedelischen Drogen aller Art, einschließlich der Möglichkeiten, diese korrekt zu testen) entschloss ich mich, darauf zu vertrauen, dass Lewis Carrolls Fläschchen mich weder zu einer Riesin wachsen noch zu einer Zwergin schrumpfen lassen würde. Oder mich umbringen.

Ich nahm die Droge und hatte einen richtig guten Tag.

2. Tag

Übergangstag

Körperliche Empfindungen: Normal. Ein bisschen träge wegen Schlafmangel.

Stimmung: Nach dem Aufstehen mürrisch, später aber produktiv und ausgeglichen.

Konflikte: Auch wenn ich gereizt bin, lege ich mich mit niemandem an.

Schlaf: Eine schlaflose Nacht.

Arbeit: Sprudelt nicht so aus mir heraus wie gestern, aber eine ansehnliche Tagesleistung.

Schmerzen: Nachts heftige Schmerzen in der Schulter.

Heute Morgen beim Aufwachen dachte ich: »Ach, du bist’s.« Nicht mein neues, kernsaniertes Ich, für das es überhaupt keine Anstrengung bedeutet hat, fröhlich und liebevoll auf Kinder und Ehemann zuzugehen, und das an einem einzigen Tag mehr schreibt als ich sonst in einer ganzen Woche. Nein, mein altes, stinknormales Ich. Über den zweiten Tag schreibt Fadiman: »Viele Versuchsteilnehmer berichten, der Effekt sei am zweiten Tag genauso gut oder noch besser als am ersten.« Konnte ich denn nicht wenigstens einmal im Leben so sein wie alle anderen auch?

Vielleicht bemerkte ich die typischen positiven Auswirkungen an diesem zweiten Tag nicht gleich, weil ich so erschöpft war von der schlaflosen Nacht und den Schmerzen. Seit dem vergangenen Frühjahr habe ich eigentlich ständig Schmerzen. Damals wurde bei mir eine eingefrorene Schulter diagnostiziert: Die Schulterkapsel entzündet sich und versteift, was, vor allem nachts, zu unerträglichen Schmerzen führt9. Diese Schultersteife kommt ohne Vorwarnung und ohne erkennbaren Grund und kann bis zu drei Jahre anhalten. Sie mindert Lebensqualität und -freude enorm und ist vermutlich ein gravierender Grund für meine gegenwärtige allgemeine Lustlosigkeit und Verzweiflung.

Die Symptome der Schultersteife sind nachts besonders ausgeprägt, und es ist lange her, dass ich eine Nacht ruhig durchgeschlafen habe. Die Schmerzen hindern mich am Einschlafen und reißen mich aus dem Schlaf, sobald ich mich umdrehe. Ich habe alles versucht, um sie zu lindern, von Physiotherapie über Akkupunktur bis hin zu Ibuprofen und Opioiden.10 Nichts davon hat wirklich geholfen, bis mein Arzt schließlich vorschlug, ich solle es doch mal mit medizinischem Marihuana probieren. Zunächst war ich strikt dagegen. Ich war nie ein Freund von Suchtmitteln, ich wollte und will nicht »high« sein. Aber der Arzt versicherte, ich könne auch Marihuana ohne berauschende Wirkung nehmen. Es ist die Substanz Tetrahydrocannabinol (THC) in Marihuana (oder Cannabis, wie die freundlichen jungen Leute in meiner Ausgabestelle immer sagen), die für die berauschende Wirkung verantwortlich ist. Cannabis enthält allerdings auch ein verwandtes, strukturell aber verschiedenes Isomer, Cannabidiol oder CBD, das schmerzlindernd und anti-epileptisch wirkt, ohne high zu machen. Seit der Legalisierung und Popularisierung von medizinischem Marihuana werden Hanfpflanzen mit extrem hohem CBD-Gehalt und kaum nachweisbarem THC-Gehalt gezüchtet.

Ich folgte also dem ärztlichen Rat und versuchte es mit stark CBD-haltigem Cannabis, und auch wenn ich dadurch mitnichten schmerzfrei wurde, linderte es meine Beschwerden doch erheblich – allerdings nur nachts, weil ich mir nur abends eine Dosis gönnte. Schon schräg. Die hochgradig abhängig machenden und gemeingefährlichen Opioide, die in hohen Dosen fatale Folgen haben können und doch von Ärzten so großzügig verschrieben werden11, haben gegen die Schmerzen in meiner steifen Schulter kein bisschen geholfen, aber Cannabis, unter Bundesrecht und in vielen anderen Bundesstaaten noch immer gesetzlich verboten, hat Wunder gewirkt.

Als ich mein Seminar über den Krieg gegen Drogen hielt, schrieb ich jedes Semester in der ersten Veranstaltung eine Frage an die Tafel: »Was ist eine Droge?« Dann markierte ich verschiedene Unterteilungen an der Tafel: Medikamente, Betäubungsmittel, Genussmittel, und ließ die Studenten wild assoziieren und alles in den Raum hineinrufen, was ihnen gerade einfiel, um dann darüber zu diskutieren, was an welche Stelle der Tabelle gehörte. Kaffee wirkt anregend, ist aber ein Genussmittel. Was ist mit Koffeintabletten oder Nikotin? Sind das Medikamente, Genussmittel, Drogen? Oxycodon, ein Opioid der Kategorie II