Einsamer Mond - Daisy Swan - E-Book

Einsamer Mond E-Book

Daisy Swan

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Beschreibung

Nach einer gemeinsamen Nacht finden sich Lukas und Alexis in einem Alptraum wieder - und das alles, während die Stimmung unter den Vampiren zu kippen droht. Werden die beiden trotzdem zueinander finden, jetzt wo für Alexis nichts mehr so ist, wie vorher?   D. Swan nimmt ihre Leserinnen mit in den Ferienort voller Charme längst vergessener Tage in dieser slow burn Paranormal Dark Romance. Einsamer Mond ist der mitreißende zweite Teil einer epischen Geschichte voller heißem Blut, prickelnder Romantik und politischer Intrigen.

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Daisy Swan

Einsamer Mond

Blood Gastein Teil 2

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Vorwort

Dieses Buch ist ein fiktives Werk. Ähnlichkeiten mit realen Personen, Orten und Geschehnissen sind Zufall. Das Buch spielt vor der realen Kulisse des Ortes Bad Gastein, es werden auch Orte erwähnt, die es tatsächlich gibt, wobei viele Tatsachen für die Geschichte verändert, teilweise frei erfunden oder von den eigentlichen Geschehnissen inspiriert wurden

Die Meinungen, Aktivitäten und Äußerungen der Figuren entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Autorin und werden auch nicht unbedingt von dieser gutgeheißen.

Es handelt sich um ein Werk erotischer Literatur und sollte von daher auch als Fantasie behandelt werden. Es handelt sich NICHT um einen Leitfaden für Beziehungen, BDSM, Polyamorie oder Feminismus.

Kapitel 1 - Lukas

 

Wieder musste ich an Helene denken. Nur ihr Gesicht verschwamm und wurde dem von Alexis immer gleicher. In unserem jugendlichen Irrsinn hatten wir es nicht nur bei dem einen Kuss auf dem Friedhof belassen. Nein. Und sie hatte es auch gewollt, genauso sehr wie ich. Ich bereute nicht, was auf dieser noch von der Sonne warmen Grabplatte passiert war, erinnerte mich noch, wie ihre Hände sich an den Ringen der Platte festklammerten und sie mir so sanft ins Ohr säuselte, dass sie mich liebte. Aber ich bereute, dass ich nicht schon viel früher zu ihren Eltern marschiert war und um ihre Hand angehalten hatte. Die kannten mich, jeder kannte mich, Pötzleinsdorf war wirklich ein Dorf – und nachdem ich ihre Tochter ein paar Mal zu oft zum Tanzen ausgeführt hatte, stellten sie meine Absichten infrage. Dabei wäre es doch Wahnsinn gewesen, sie schon nach dem ersten Rendezvous heiraten zu wollen. Ich glaubte manchmal, ich war in der falschen Zeit geboren. Heute wäre das normal, dass ich sie erst kennenlernen wollte. Und die einzige Schande, an Sex auf dem Friedhof, wäre der Ort und nicht die Handlung gewesen.

Aber was war das jetzt mit Alexis und mir? Meine Lippen kribbelten immer noch von unserem Abschiedskuss, ihr Geruch hing an meiner Bettwäsche – ich könnte schwören, mein Herz machte einen kleinen Aussetzer, wenn ich mich an ihre Brüste erinnerte und wie sie vor meinen Augen tanzten. Wie sich ihre Taille anfühlte, wie ich die Finger in ihre Seite grub. Wie schön rund ihr Hintern und ihre Oberschenkel waren. Wie ihr die vorderen Strähnen ihrer feuerroten Haare immer wieder ins Gesicht fielen, als seien sie dafür gemacht, dass ich sie ihr hinters Ohr strich. Und wie mich jedes Detail ihres Gesichts verzauberte, die eisblauen Augen, die Länge ihrer Wimpern, die geschwungene Form ihrer Augenbrauen, die ein bisschen dunkler als ihre Haare waren, ihr süßes Stupsnäschen, die vollen, weichen Lippen, die so wunderbar zu meinen passten.

Dabei war das Blödsinn. Mein Herz schlug nicht, es war tot und kalt wie ich. Und ich dachte eigentlich auch, es sei aus Stein.

Ich hatte sie dazu überredet, dem Zirkel etwas vorzuspielen, nämlich dass sie mein neues Püppchen sei. Und ich dachte, es würde bei diesem Spiel bleiben, zumindest vorerst – und dann hatte sie doch mit mir schlafen wollen. Nach unserem ersten Treffen überraschte mich das doch ein bisschen. Sie hatte klare Worte gefunden, dass sie mich nie wieder sehen wollte – und dann stand sie am Wasserfall und sagte klipp und klar, dass sie sicher nicht mit mir zusammen sein wollte, ich hatte sie ja noch kein einziges Mal ausgeführt. Das hatten wir nun alles erledigt. Wir hatten uns geküsst, ich hatte sie zum Essen ausgeführt und dann waren wir noch auf mein Zimmer gegangen. Eigentlich ein relativ normaler Vorgang, so funktionierte das doch, oder? Und trotzdem fühlte es sich eher an, als ob ich träumte.

Außerdem, ich wusste ja, dass das heutzutage nichts bedeutete. Aber es hatte nicht so geklungen, als ob sie jetzt bekommen hatte, was sie wollte und mich nie wieder sehen wollte. Das war ohnehin keine Option, wie sie hoffentlich verstand. Ich hätte sie gerne hier schlafen lassen, aber sie meinte, es war ihr unangenehm, wenn ich wach war und hier herumsaß, während sie träumte.

Natürlich hoffte ich, dass dieses Spiel bald vorbei sein würde. Ich fand, Alexis war eine umwerfende Frau, aber ich wollte auch ihr Blut kosten. Der Geruch von ihr und das Pochen ihres Pulses unter jedem Zentimeter Haut raubten mir die Sinne, auch wenn es jetzt nur eine Erinnerung war. Natürlich konnte ich mich beherrschen, aber eigentlich schrie mein Instinkt, dass ich sie bis auf den letzten Tropfen leer trinken wollte und das während ich sie fickte.

Und das wäre das Dümmste und Grausamste, was ich in Jahren getan hätte. Und traurig obendrein, denn Alexis war ein wundervoller Mensch. Es wäre der traurigste Tag, an dem ihr Lachen verstummte, ihr warmer, weicher Körper verfaulte und ihre Lippen schwiegen und mir nicht mehr Dinge an den Kopf warfen und mir das als … wie sagte sie? Banter verkaufen würden.

Ich schlug die Augen auf. Noch vor zwei Tagen hatte ich sie beschützen wollen, einfach weil sie es nicht verdient hatte, wegen meiner Dummheit zu sterben. Und jetzt wollte ich sie um jeden Preis am Leben halten, einfach weil ich nicht genug von ihr bekommen konnte.

Hatte ich mich verliebt?

Das war doch gar nicht möglich, ich, Lukas Friedenstein?

Ich war in der Lage zu lieben, das wusste ich. Helena hatte mir das gezeigt, aber damals war ich noch ein Mensch gewesen. Nun war ich ein Vampir.

Und dann verliebte ich mich in einen Menschen?

War das ein Scherz? Waren wir überhaupt in der Lage zu solchen Gefühlsregungen? Ich war der festen Überzeugung, da waren nur Grundinstinkte: zu jagen, zu ficken, zu töten. Alles, was ich als Mensch empfunden hatte, jede Emotion war inzwischen verblasst, fühlte sich wie der Fetzen eines Traumes an, den man beim Aufwachen vergaß. Und ich hatte seither tatsächlich nie wieder so etwas gefühlt. Ich hatte mir das immer so erklärt, dass Vampire das nicht konnten. Die ganzen Vampire, die Beziehungen führten, mussten ihr Blut teilen, ansonsten würden ihre verkümmerten, toten Herzen doch niemals so flattern. Jedenfalls redete ich mir das ein.

Ich rappelte mich auf. Ich sollte duschen und mir etwas anziehen, denn nein, ich konnte nicht allein mit diesem neuen Gefühl hier sitzen und mich darauf freuen, dass sie später zu mir zurückkam. Ich musste zu den Leuten, denen sie ein Dorn im Auge war. Die Leute, die mir immer noch sagen könnten, ich solle sie lieber töten. Ich schluckte. Ich würde das mit allen Mitteln verhindern. Ihnen versichern, dass ich von ihr getrunken hatte, würde mir zumindest Zeit kaufen.

Ich ging ins Badezimmer und drehte die Dusche auf. Lauwarm. Wilhelm machte sich immer über mich lustig, weil ich die Heizung in meinem Zimmer benutzte, oder in die Felsentherme ging. Ich nutzte gerne den Luxus der heutigen Zeit, warum nicht? Nur weil ich ohne große Probleme hier im Zirbenwald auf dem Graukogel überleben würde, hieß das nicht, dass ich es tun musste. Wilhelm war eher der Typ dafür, der verschwand gerne mal für ein paar Tage, kam mit zerrissenen Kleidern und Blättern im Haar zurück und sagte, das mache ihn glücklich.

Nun, mich machte im Moment vor allem eins glücklich: Alexis. Und die Aussicht, sie in wenigen Stunden wieder in den Armen zu halten.

Ja, es hatte einen schalen Beigeschmack, aber ich freute mich vor allem auf den Sex. Ich war neugierig, wollte jeden Zentimeter ihres Körpers erkunden, herausfinden, was ihr gefiel, was sich besonders gut anfühlte. Ich hatte nur eine kleine Kostprobe bekommen und es war wunderschön gewesen. Und ich hatte einen kleinen Einblick erhalten und glaubte, dass sie auch bei meinen dunkleren Gelüsten mitmachen würde. Das wäre ja auch ungerecht, da fand ich mal mehr Gefallen als sonst an jemanden und dann wäre der Sex total langweilig. Nein, das konnte ich bereits ausschließen, mit ihr würde ich mich nicht so schnell langweilen.

 

Ich hatte meinen neuesten und auch teuersten Anzug angezogen. Hellgrau, dreiteilig, Super-Slimfit, weil das anscheinend gerade Mode war und ich auch nichts zu verstecken hatte. Natürlich eine Maßanfertigung. Die Hose machte einen tollen Hintern, das war auch Männern wichtig. Außerdem passte er hervorragend zu meinem grauen Wollmantel.

Als ich das l’Europe erreichte, traf ich auf Wilhelm. Er hatte eine schwarze Aktentasche bei sich, das Leder hatte schon bessere Tage gesehen. Ich beäugte seine Krawatte argwöhnisch.

„Hattest du es eilig?“, fragte ich und wies auf den schiefen Knoten.

Er fuhr sich durch seine schwarzen Haare, die von silber durchzogen waren und heute mal wieder aussahen, wie ein Vogelnest.

Mein Scheitel saß, wie mit dem Lineal gezogen. Wilhelm trug nicht mal ein Gilet unter dem Sakko.

Er hob eine Braue. „Da sag ich dir einmal, du siehst aus wie ein Stück Scheiße und du gibst es mir postwendend zurück, Lukas. Du bist echt ein Freund.“

Ich lächelte. „Was machst du hier?“

Er runzelte die Stirn. „Ich war bei deiner Mama!“

Ich lachte. „Was?“ Meine Eltern waren schon lange tot – Gott habe sie selig.

Er runzelte die Stirn. „Lukas, du bist echt so ein Boomer.“

Ich verstand ihn immer noch nicht. Und sein komisches Verhalten machte mich nervös. Ich sah mich um, ob jemand in Hörweite stand.

„Tut mir leid, wenn ich dich gekränkt habe“, sagte ich. Er rollte mit den Augen.

Ich fuhr fort: „Also, was hast du hier zu schaffen?“

Er hob die Aktentasche. „Da drin sind die neuesten Zahlen.“

„Welche Zahlen?“

Er wischte mir mit der freien Hand vor dem Gesicht umher. „Wir haben immer noch eine Krankheit da draußen, hallo? Hat dir deine kleine Reporterin die letzte Hirnzelle heraus gevögelt?“

Wenn ich es gekonnt hätte, wäre ich rot geworden.

Er packte mich am Ärmel und zog mich in den Nibelungensaal, der zu dieser Zeit leer war. „Du musst mir außerdem alles über sie erzählen!“

Ich lächelte. „Ach Wilhelm, es hat sich doch sicher schon herum geschwiegen.“

„Ja, wenn du sie in Valeries Hotel zum Essen ausführst und sie den ganzen Tag in deinem Zimmer verbringt, dann macht das schon seine Runden. Aber ich wollte von dir hören, was nun passiert ist.“

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich muss das gleich eh vor dem Zirkel ausbreiten. Und dann ist diese leidige Sache hoffentlich vom Tisch.“

Er hob eine Braue und sah mich zweifelnd an. „Das wird erst vom Tisch sein, wenn du dich endlich an die Gepflogenheiten hältst und nicht mehr mit deinem Essen spielst.“

Ich schnaubte. „Ich bin mit dieser Präferenz sicher nicht allein.“

Er schüttelte den Kopf. „Ich muss zugeben, es klingt immer mal wieder ganz verlockend, aber wenn ich mir jetzt anschaue, wie tief du in der Scheiße steckst, wegen ein bisschen Sex und Herzflimmern, dann muss ich sagen: Nein, danke.“

Ich seufzte. „Es hat sich absolut gelohnt für ‚das bisschen Sex‘, mein Freund.“

Er sah mich ungläubig an. „Wenn du so vor dem Zirkel auftauchst, dann wird das nichts, Lukas.“

„Jetzt freu dich doch mal für mich“, forderte ich. Wilhelm wusch mir doch ständig den Kopf und sagte, ich sei so unzufrieden, weil ich einsam war. Ich hielt das ja für Unsinn, aber ich hatte eigentlich erwartet, er fände es gut, wenn ich mal jemand Neues mitbringe.

Er rollte mit den Augen und sagte: „Als dein Freund freue ich mich total und will natürlich jedes Detail wissen - “

„Ich genieße und schweige, tut mir leid - “, unterbrach ich ihn. Wie der Sex mit Alexis war, würde ich für mich behalten, weil sich das so gehörte.

„Aber die vom Zirkel werden nichts für ein bisschen Herzklopfen übrig haben.“

Ich biss mir auf die Lippe. Wo er recht hatte …

Er sah auf seine Armbanduhr. Eine Montblanc 1858, ein Geschenk von mir.

„Du musst los, die Tagung beginnt in ein paar Minuten.“ Er wandte sich zum Gehen und klopfte mir auf die Schulter.

Ich nickte, auf einmal war die Nervosität unerträglich. „Möchtest du nicht mitkommen?“, ich sah ihn flehend an.

Er kniff die Augen zusammen. „Die Sache ist keine große Geschichte, das hast du neulich noch gesagt.“ Er fischte ein Papier aus der Aktentasche. „Hier, du stehst unter dem Tagesordnungspunkt ‚Allfälliges‘, die machen da auch gar keinen großen Aufriss. Jedenfalls nicht offiziell. Du kennst die einzelnen Leute ja.“

Ich schluckte. Das machte mir tatsächlich Sorgen. Der Zirkel als ganzes würde wahrscheinlich nur den Zeigefinger erheben und mich schelten, aber es gab so ein paar einzelne Leute im Zirkel, denen ich zutraute, dass sie eine Strafe fordern würden …

„Ja, aber … “

„Wenn du da jetzt mit Backup anmarschierst, merken die doch, wie nervös du bist.“

Ich biss mir auf die Innenseite meiner Wange, ich hatte keine Ahnung, was ‚Backup‘ war, aber konnte es mir ungefähr denken. „Das … ja … “

Er schüttelte den Kopf. „Ich seh dich nachher, komm auf einen Drink zu mir.“

Ich lächelte. „Geht nicht, Alexis kommt.“

Er klopfte mir auf die Schulter. „Ja dann, sorg dafür, dass ihr was zum Feiern habt. Und - “ er hob einen Finger. „Ich will sie auf jeden Fall kennenlernen!“

Ich lachte und schüttelte den Kopf. „Alles zu seiner Zeit.“

 

Kapitel 2 - Alexis

Ich wachte auf, weil es in meinen Schläfen hämmerte. Ich lag auf dem Bauch und mein Mund war trocken. Ich rollte mich auf die Seite und blinzelte, sah aber nicht viel. Sofort stiegen mir die Gerüche von altem Holz und Staub in die Nase. Ich versuchte, tief Luft zu holen, aber meine Kehle kratzte vor Trockenheit, außerdem war die Luft alt und abgestanden. Es fühlte sich an, als sei hier seit Jahren nicht gelüftet worden. Wo war ich …?

Ich machte die Augen ganz auf. Fetzen von gestern Abend kamen zurück – aber sie ergaben keinerlei Sinn. Vor allem, woher nahm ich die Annahme, dass es bereits ein neuer Tag war? Ich hatte, seit ich Lukas wieder getroffen hatte, das Gefühl für Zeit verloren, was war schon eine durchwachte Nacht, wenn man sie mit so einem Mann verbrachte?

Alexis, Fokus. Jetzt ist nicht die Zeit für Schwärmereien.

Ich war in Bad Gastein gewesen, aber dieses Bett, dieses Zimmer, das war weder mein Hotelzimmer, noch die Suite von Lukas. Meine Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit und ich sah, dass hier außer dem Bett nur ein kleiner Schrank stand. Ich setzte mich auf. Das Fenster war mit Rollläden verdunkelt, draußen war es hell, daher war alles hier drinnen in einem dunkelblauen Schummer.

Ich tastete nach einem Lichtschalter und musste die Augen sofort schließen, so hell gleißend erschien mir die nackte Glühbirne, die von der Decke baumelte. Sie surrte.

Ich massierte meine Schläfen, befahl mir, dass sofort alle Erinnerungen an gestern in die richtige Reihenfolge kamen.

Lukas.

Wir waren in seinem Zimmer.

Schnee, tauendes Eis, Felsen.

Der Bürgermeister, ich hatte seinen Namen schon wieder vergessen.

Lukas. Diesmal nackt. Schön.

Fokus, Alexis! Wenn du Lukas jemals wieder nackt sehen willst, dann musst du dich darauf konzentrieren, hier rauszukommen.

Wasserfall. Rauschen.

Hier rauszukommen?

Bauzaun, bröckelnde Wände. Sichtbeton.

Moment.

Da war dieser Typ. Groß, dunkle lange Haare, hübsches, aber kantiges Gesicht. Vom Aussehen her, würde ich sagen, vom Balkan. Ich wusste nicht, wer das war. Hatte ihn noch nie gesehen. Und dann war er in meinem Zimmer. Also meinem Zimmer in der Pension.

Mein Herz begann zu rasen.

Was war passiert? Was hatte dieser Typ damit zu tun? Hatte er mir etwas angetan? Ich tastete über meinen Körper, ich trug immer noch die silbergraue Bluse und die schwarze High Waist-Hose, die so einen tollen Hintern machte. Mein Bralette hatte ich bei Lukas vergessen. Ich war immer noch genau so, wie ich gestern zurück ins Gästehaus gekommen war.

Frau Eva.

Ja. Ich hatte ausgecheckt.

Dieser Typ stand dabei hinter mir.

Ich kniff die Augen zusammen. Verdammt. Ich bekam wieder die gleiche Angst, die ich gespürt hatte, als ich ihn gesehen hatte.

Ich wollte schreien, aber er hielt mir den Mund zu, schob mich gegen die Wand und zeigte mir seine Reißzähne. Noch ein Vampir.

Er zwang mich, meine Sachen zu packen und auszuchecken, ohne Theater. Natürlich hatte ich mitgemacht, er hatte mir gedroht, mich zu töten.

Und auch wenn mein rationales Hirn immer noch nicht so ganz akzeptieren wollte, dass es Vampire gab, musste ich den Tatsachen ins Auge sehen: Ich hatte gerade mit einem Vampir geschlafen und gemerkt, was für eine übermenschliche Kraft so ein Wesen hatte.

Er hob mich hoch, als wöge ich gar nichts. Schleuderte mich in Sekunden aufs Bett.

Die könnten mein Genick knicken wie einen Hühnerknochen. Und brauchten kein Messer, um mir die Kehle aufzureißen.

Und all das war mir bewusst, ohne dass mich bis jetzt einer gebissen oder ernsthaft verletzt hatte. Ich hatte keine Lust, es so weit kommen zu lassen, nur damit mein der Wissenschaft verschriebener Verstand endlich kapierte, dass ich in einem Fantasy-Roman aufgewacht war.

Als ich halbwegs wach war und nicht mehr komplett damit beschäftigt, zu eruieren, was passiert war, stand ich auf und wollte die Tür öffnen. Natürlich war sie verschlossen. Ich drehte trotzdem ein paarmal am Türknauf. Es war eine alt aussehende Holztür, der kupferne Knauf schon etwas abgegriffen. Generell, der ganze Raum wirkte so, als hätte er schon die besten Jahre hinter sich. Unterhalb des Fensters bröckelte der Putz von der Wand. Das einzige Neue war die Klimaanlage über der Tür. Die war allerdings nicht an, was bedauerlich war, denn sonst wäre die Luft hier drinnen etwas besser.

Ich stand unschlüssig herum. Ich war nicht stark genug, um die Tür einzurennen, außerdem hatte ich so was bis jetzt nur im Film gesehen, das funktionierte sicher nicht. Auch nicht mit einem Werkzeug, was mir ohnehin fehlte.

Ich ging zum Fenster und öffnete den Rollladen. Altbau, definitiv, es gab ein inneres und ein äußeres Glas. Mir stockte der Atem, als ich nach draußen sah. Das war doch … die Hofburg dort in der Ferne! Und direkt vor mir … der Ring und der Volksgarten. Ich war zurück in Wien.

Und ich war verdammt weit oben. Ich kannte die Häuser an der Ringstraße, mehrere Stockwerke reckten sich in den Himmel. Ich könnte hier niemals herausklettern, ohne in die Tiefe zu stürzen. Ich öffnete trotzdem das Fenster, zumindest das innere Glas. Das äußere war fest verschlossen. Ich schlug frustriert dagegen, auch wenn es mir nicht wirklich geholfen hätte.

Ich stapfte zurück in die Mitte des Raumes. Mein Blick fiel auf den Schrank aus dunkelbraunem Holz. Ich sah hinein. Er war leer, auf dem Boden hatte sich eine dicke Staubschicht gebildet. Ich zog eine Schnute.

Auch wenn es dumm war, ich ging zurück zur Tür und schlug mit der flachen Hand dagegen, schrie herum.

„Hallo, ist da jemand! Hilfe! Bitte!“

Als ich meine eigene Stimme hörte, merkte ich, wie panisch ich in Wirklichkeit war. Ich hörte Schritte und machte einen Schritt von der Tür zurück.

Ich erwartete den Typen, der mich in Bad Gastein … er hatte mich entführt, oh Gott. Ich dachte das erste Mal das Wort „entführt“. Das waren Dinge, die nicht mir passierten, sondern nur Leuten, über die ich mit bekümmertem Gesicht berichten musste.

Aber es war nicht er, sondern ein blondes, blasses Mädchen. Sie war einen Kopf kleiner als ich und extrem dünn, was sie einerseits viel jünger wirken ließ. Andererseits hatte sie fahle, rissig wirkende Haut und tiefgraue Augenringe. Sie hatte tiefe Mimikfalten, wirkte komplett verbraucht. Ihr fehlten Schlaf und Nährstoffe, so wirkte sie.

Ihr leerer Blick traf mich und mir wurde schlagartig kalt.

„Bitte Ruhe, die Herrschaften schlafen“, sagte sie monoton.

„Wer bist du?“, fuhr ich sie an.

Sie runzelte die Stirn. „Was wollen sie von dir? Du bist hübsch.“

Auf was für einem Trip war die denn bitte?

„Bitte lass mich gehen, ich will nicht hier sein. Ich lasse dich und deine Herrschaften in Frieden.“

Sie schüttelte den Kopf. „Das geht nicht. Du bist unser Gast.“

Mir wurde das zu blöd. Ich wollte mich an ihr vorbeidrängen, sie war so dürr und sah so schwach aus, ich würde sie einfach wegschubsen und – Sie hielt mich fest, war unfassbar stark. Meine Augen wurden groß. War sie am Ende auch eine von denen …? Aber es war doch hell!

„Du musst bleiben“, sagte sie.

„Bitte, ich habe Durst und muss aufs Klo“, versuchte ich es.

„Essen gibt es am Abend. Du hast eine Bettpfanne“, sagte sie trocken und zog die Tür zu.

„Halt! Warte!“, rief ich noch, aber ich hörte den Schlüssel im Schloss und die Schritte entfernten sich wieder.

Kapitel 3 - Lukas

Der Zirkel – die zwölf mächtigsten Vampire Österreichs – tagten im Keller des Hotel del'Europe. Wir hatten Geld, entschieden uns nur nicht dafür, den Sitz zu renovieren. Daher bröckelte hier alles. Und das machte ja auch irgendwie den Charme aus. Außerdem verfiel das einstige Juwel nun schon seit Jahrzehnten und jedes neue Bauvorhaben wurde in der Stadt mit Argusaugen verfolgt – es würde einfach zu viel Aufmerksamkeit auf uns ziehen. Was auch immer indessen am Straubingerplatz passieren würde, reichte eigentlich schon. Es war noch nicht zu lange her, da hatte ich den Bürgermeister zu Tode erschreckt, einfach damit er aufhörte, Fragen zu stellen.

Keine Fenster, roter Teppich, alte Tapete. Und in der Mitte eine riesige, ovale Tafel. Die zwölf saßen am oberen Ende im Halbkreis darum, an der leeren Seite des Tisches standen drei Stühle. An den Wänden standen Bänke. Ich sah Valerie unter den Zuhörerinnen und setzte mich zu ihr. Sie war bei jeder Sitzung dabei und hoffte so, eines Tages einmal dazuzugehören. Das klang jetzt lächerlich, aber das war auch genau mein Ziel. Nur, ich versuchte es anders.

„Hallo Lukas. Wie geht’s der Frau Banner?“, fragte sie leise.

„Gut“, sagte ich und gab mir Mühe, ruhig zu wirken. Am liebsten würde ich meine Fingernägel abkauen.

Sie hob eine dunkelrote Braue. „Ah ja. Ich hoffe, sie ist den ganzen Aufwand wert.“

Ich runzelte die Stirn. „Was meinst du?“, fragte ich.

Sie wies vor zur Tafel, an der sich die Zirkelmitglieder langsam einfanden.

„Na ja … eigentlich ist es wirklich nicht Aufgabe des Zirkels, dass wir unsere menschlichen Kontakte in Reih und Glied bringen.“

Ich schnaubte. „Valerie, du weißt, dass ich dich wirklich schätze, aber glaubst du tatsächlich, ich weiß nicht, dass du das Allen brühwarm erzählt hast? Du hättest zuerst zu mir kommen können, aber - “

Sie legte eine Hand auf meinen Schenkel, allerdings war es keine zärtliche, sinnliche Berührung, sondern ihre Finger gruben sich in mein Fleisch. Ich sog die Unterlippe ein, damit ich ihr nicht die Genugtuung verschaffte und vor Schmerz keuchte.

Sie warf mir einen düsteren Blick zu. „Es geht hier nicht nur um dich, wenn dein Püppchen anfängt, Fragen zu stellen, sondern um uns alle. Es geht um mein Hotel, unseren Verbleib hier im Tal und die Sicherheit unseres Volkes.“

Sie ließ mein Bein wieder los.

Ich befeuchtete meine Lippen. „Es ist wirklich keine so große Sache, wie du glaubst“, ich versuchte nonchalant zu klingen. „Alexis interessiert sich eher für mich als für euch alle, da kann ich dich beruhigen.“

„Das entscheidest nicht du. Und es tut mir leid, Lukas, aber bei so einer Lücke in unserem Schutzwall, kann ich nicht auf Freundschaft oder private Empfindlichkeiten Rücksicht nehmen. Du würdest genau so handeln.“

Ich sagte nichts dazu, denn ich wusste nicht, ob sie recht hatte. Ich dachte über mich eigentlich als dieses berechnende Wesen, aber ich sah die Welt wesentlich lockerer, als Valerie es tat. Und ich würde einem Freund oder einer Freundin niemals absprechen, die Ewigkeit ein bisschen zu genießen – oder auf Blut zu verzichten. Auch wenn Alexis mir dieses Vergnügen nicht bereiten wollte – jedenfalls noch nicht?

Es war für mich nicht neu, Gefühle zu haben. Ich hatte Gefühle für Wilhelm und Valerie, sie waren meine engsten Freunde. Natürlich hatte ich auch Gefühle für Benni, er war mir nicht egal. Nur, weil man eine emotionale Reaktion auf jemanden hatte, musste das ja nicht gleich Liebe sein. War Freundschaft nicht auch eine Form von Liebe? Und Intimität? Dazu gehörte Vertrauen und Sympathie.

Und nun hatte ich eben auch Gefühle für Alexis. Ich wusste nicht, wie stark die wirklich waren, aber ich wollte nicht, dass sie in Schwierigkeiten kam, weil letzte Woche mal kurz mein Schwanz das Denken übernommen hatte. Dieser ganze Ausflug nach Wien war töricht gewesen und so richtig glauben konnte ich immer noch nicht, dass es geklappt hatte.

Hubert, ein kleiner Mann mit Glatze, schlecht rasierten Wangen und untersetzter Figur, eröffnete die Sitzung. Er war so etwas wie der Schriftführer, aber selbst kein Mitglied des Zirkels.

„Ich eröffne hiermit die heutige Sitzung des Zirkels, die Tagesordnungspunkte entnehmen Sie bitte dem ausgeteilten Papier, hier noch einmal in aller Kürze: die Nahrungsmittelknappheit im Gasteiner Tal aufgrund der Epidemie, sowie Auswirkungen auf die Gesundheit von Vampiren. Tagesordnungspunkt zwei ist das Bauvorhaben am Straubinger Platz, Tagesordnungspunkt drei ist die Überlegung zur dauerhaften Schließung des Heilstollens für menschliche Besucher, Tagesordnungspunkt vier … “

Ich schlug ein Bein über das andere und kratzte mich an der Schläfe, das konnte ja ewig dauern.

Valerie saß aufrecht und machte ein aufmerksames Gesicht, als ob sie wirklich ganz genau zuhörte.

Der Zirkel war die einzige und die mächtigste Institution für Vampire in Österreich. Manchmal fragte ich mich, warum wir uns an Ländergrenzen hielten, aber hatte eingesehen, dass es am einfachsten war. Sie schrieben die Regeln, aber kümmerten sich auch um unsere Sicherheit. Eine Entscheidung konnte nur getroffen werden, wenn alle zwölf Mitglieder einstimmig abstimmten. Also, ja, es dauerte teilweise sehr lange, bis es zu einem Beschluss kam. Aber wir hatten ja Zeit.

Zum Mitglied wurde man auf Lebenszeit bestellt, also ebenfalls sehr lange. Seit ich ein Vampir war, hatte es nur ein neues Mitglied gegeben, seither gab es im Zirkel sieben Frauen und fünf Männer. Wie fortschrittlich.

Ich sah unauffällig auf die Uhr. Alexis und ich hatten uns ausgemacht, dass sie einfach kam, wenn sie ausgeschlafen war. Ich hatte ihr gesagt, sie könne zu jeder Tages- und Nachtzeit kommen, an der Rezeption wussten alle Bescheid.

Ich hoffte, ich ließ sie nicht zu lange warten. Aber ich sollte auch nicht vergessen, dass Alexis ein Mensch war und sie ihren Schlaf brauchte. Sie wusste, dass dieses Treffen hier wichtig war, auch wenn ich sie da so weit es ging, heraushalten wollte. Was brachte es uns, wenn sie sich auch noch Sorgen machte? Außerdem war ich überzeugt, dass das Problem nach heute nicht mehr existieren würde. Alles würde gut und gemütlich sein. Und dann könnte ich mich endlich den wirklich wichtigen Themen widmen: Alexis und ihre wunderbaren Lippen. Welche? Nun …

„Und auch noch unter dem Thema Allfälliges ist die Causa Lukas Friedenstein. Herr Friedenstein?“, wurde ich nach einer halben Ewigkeit aufgerufen.

Ich stand auf und knöpfte den oberen Knopf meines Jacketts wieder zu. Dann erinnerte ich mich, dass ich ein Gilet trug und öffnete den Knopf wieder. Alles gut, Lukas, ruhig bleiben.

Ich trat vor zum Tisch, setzte mich nicht. Ich erwartete, dass die Sache schnell erledigt sein würde. Ich spürte die Augen der Zuschauer im Genick und zwölf Augenpaare des Zirkels auf mich gerichtet.

Hubert sah desinteressiert auf den Stapel Papier vor ihm.

„Ehrenwerter Zirkel, meine geehrten Zuschauerinnen und Zuschauer“ – Alexis sagte Zuschauer – Pause – Innen. Dafür war ich zu alt, fürchtete ich. „Danke für Ihre Zeit.“