Sturmgraues Herz - Daisy Swan - E-Book

Sturmgraues Herz E-Book

Daisy Swan

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Beschreibung

Wenn Vampire eins hassen, dann ist es Neugier. Und Alexis Banner, der Star aus den Spätnachrichten, ist nach einem Date mit dem unsterblichen Lukas Friedenstein sehr neugierig, ohne sich der Gefahr, in der sie schwebt, bewusst zu sein. Was wird sie in den Hotelruinen Bad Gasteins finden? Und kann Lukas sie vor den nervösen Vampiren beschützen, eine Frau, die gar nicht beschützt werden will?   D. Swan nimmt ihre Leserinnen mit in den Ferienort voller Charme längst vergessener Tage in dieser slow burn Paranormal Dark Romance. Sturmgraues Herz ist der erste Teil einer epischen Geschichte voller heißem Blut, prickelnder Romantik und politischer Intrigen.    

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Daisy Swan

Sturmgraues Herz

Blood Gastein Teil 1

für meine bfb Agnes. Love you!BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Vorwort

Dieses Buch ist ein fiktives Werk. Ähnlichkeiten mit realen Personen, Orten und Geschehnissen sind Zufall. Das Buch spielt vor der realen Kulisse des Ortes Bad Gastein, es werden auch Orte erwähnt, die es tatsächlich gibt, wobei viele Tatsachen für die Geschichte verändert wurden, teilweise frei erfunden oder von den eigentlichen Geschehnissen inspiriert.

Die Meinungen, Aktivitäten und Äußerungen der Figuren entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Autorin und werden auch nicht unbedingt von dieser gutgeheißen.

Es handelt sich um ein Werk erotischer Literatur und sollte von daher auch als Fantasie behandelt werden. Es handelt sich NICHT um einen Leitfaden für Beziehungen, BDSM, Polyamorie oder Feminismus.

 

 

 

Covergestaltung by HopelessLostPixel

Kapitel 1 - Lukas

Ich wusste noch ganz genau, wie das erste Mal Blut von einem Menschen zu trinken war. Es war entsetzlich. Ich hasste mich und was ich tun musste, um zu überleben.

Dieser Moment, in dem ich ein Tier wurde – ein Tier mit Gefühlen und Vernunft, das wusste, dass es nur töten wollte. Und die Vernunft, die einfach nur da stand und mit großen Augen zusah, wie ich sie ignorierte.

Der Schrei, wenn meine Zähne durch die Haut direkt ins Fleisch und die Ader fuhren.

Es war ekelhaft, schmeckte metallisch und der gesamte Vorgang war barbarisch. Und trotzdem kannte ich nichts Schöneres, nichts Erregenderes, als den Geschmack von warmen, frischen Blut, eines gesunden, jungen Menschen auf meiner Zunge. Und ich hasste mich dafür.

Es hatte Jahre gedauert, bis ich einen Genuss darin gefunden hatte. Ich nannte sie meine Püppchen. Was gab es schon Angenehmeres, als die Nacht mit einer jungen Frau oder einem jungen Mann zu verbringen und sich im Morgengrauen befriedigt und satt wieder zur Ruhe zu legen?

Aber mittlerweile langweilte mich Benni. Das taten sie alle mit der Zeit.

Außerdem nervte mich, dass er darauf bestand, dass sein Name nicht Benjamin, oder kurz Ben war, sondern Benni. Ich fand diese Verniedlichung lächerlich. Aber er sagte, er fühle sich alt, wenn man ihn Benjamin nannte.

Ich fragte mich, ob ich mich jemals alt fühlen würde. Und ob es etwas ändern würde, wenn man mich „Luki“ statt „Lukas“ rief.

Ich setzte mich auf und fragte mich, ob ich wirklich gehen wollte. Zeit mit Benni war zwar immer das Gleiche, aber doch angenehmer als allein in meiner Suite zu sitzen.

Er räkelte sich und ich war mir sicher, er tat das mit Absicht so aufreizend wie möglich. Er zog ein Knie langsam an und drehte den Oberkörper, bis er mich aus seiner Seitenlage anschaute. Der Ringfinger der Hand, mit der er sein Gesicht stützte, verfing sich in seinem Schmollmund. Sein Blick wanderte nach unten zu seiner Hüfte, als wollte er auch, dass ich mir ansah, was er hatte. Einer der Gründe, warum ich ihn mir vor rund zwei Jahren herausgesucht hatte, war sein hübscher, runder Pfirsich-Hintern. Und ich hatte eine Schwäche für Rothaarige, auch wenn sein weinrot inzwischen verblichen war und man den hellbraunen Ansatz schon seit Monaten sah. Aber wozu sollte er im Moment auch seine Haare färben?

Er griff nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher an, als er merkte, dass seine kleine Zurschaustellung seines Körpers, den ich ja ohnehin schon in- und auswendig kannte, keine Reaktion bei mir provozierte.

Das schwarze Viereck erwachte zum Leben und erhellte den Raum. Ich fand diese Kästen immer noch merkwürdig. Und soweit ich wusste, waren Menschen in Bennis Alter da eher meiner Meinung. Warum er so religiös fernsah, verstand ich nicht. Er hatte seit Monaten eine neue Lieblingssendung: die Nachrichten. Jeden Abend wurde ein Rundumschlag über Themen, die für Menschen von Belang waren gesendet: Marionetten, - Entschuldigung, ich meinte natürlich Politiker, das Wetter (seit neuestem nannten sie es Klima und hatten Angst davor. Zurecht.) und Sport. Sport verstand ich am allerwenigsten.

Benni seufzte, als die Kamera zur Moderatorin schwenkte. Wenn mein Herz schlagen könnte, es hätte in dem Moment einen Schlag ausgesetzt. Ich hatte selten so eine hübsche Frau gesehen. Sie trug rotblondes, schulterlanges, gewelltes Haar und hatte große, freundliche Augen. Der Bildschirm war zu schlecht aufgelöst, um ihrer Schönheit wirklich gerecht zu werden, aber man sah, dass sie lange Wimpern hatte. Auf ihren Wangenknochen lag ein leichter Schimmer. Ihre Lippen waren voll und sie trug dezenten Lippenstift. Ihr Körper war verhüllt von einer weiten, weißen Bluse, fast so wie die Blusen, die Frauen in meiner Jugend getragen hatten. Nur trug sie dazu eine schwarze High-Waist-Hose, was damals undenkbar gewesen war. Mode verstand ich auch nicht so recht, wer was wann tragen durfte und wer nicht. Vielleicht, weil nach mehr als hundert Jahren Existenz das Konzept von Gender einfach überflüssig wirkte.

Ich hörte die Worte, die sie sprach, nur nebenbei, aber der Klang ihrer Stimme zog mich noch weiter in ihren Bann. Wer war diese Frau? Und warum wurde sie derartig beim Fernsehen verschwendet? Sie sollte die Muse eines Künstlers sein, sofern es Menschen überhaupt möglich war, ihre Schönheit einzufangen.

„Ach, die Banner.“ Bennis Stimme, die weitaus gewöhnlicher war, holte mich zurück in die Realität.

„Was?“, fragte ich und riss nur widerwillig den Blick vom Fernseher. Benni sah enttäuscht aus.

„Alexis Banner, das ist die Neue. Hat aus dem Frühstücksfernsehen in die Spätnachrichten gewechselt.“

Woher wusste er so genau, was das Personal beim Fernsehen machte? Warum interessierte ihn das? Sollte er nicht lieber schwedische Vokabeln lernen?

„Was stört dich an ihr?“, fragte ich irritiert. Wenn ich ihn nun fragte, woher er dieses unnütze Wissen über die Personalpolitik beim Staatsfunk hatte, würde er nicht mehr aufhören zu reden. Ich kannte Benni inzwischen gut genug.

Er zuckte mit den Schultern und schob die Unterlippe vor. „Nichts. Ich find den Fuchs nur besser. Ohne den hätte ich die Quarantäne niemals überstanden.“

Ah ja, die Quarantäne. Deswegen hatte Benni auf einmal so viel Zeit. Ich vergaß ganz gerne, dass die Menschen gerade mit einer Seuche kämpften.

„Den Fuchs?“, fragte ich noch irritierter.

„Ja, ach, den kennst du sicher, der ist schon jahrelang dabei und stellt immer richtig fiese Fragen. Der ist super. Und echt heiß.“

Wahrscheinlich guckte ich ihm für seinen Geschmack immer noch zu irritiert. Er gluckste. „Hey komm, ich steh halt auf Ältere“, verteidigte er sich und zwinkerte mir zu.

Ich atmete durch – Gewohnheit, nicht Notwendigkeit und stand auf, mein Hemd anziehend. Ich hatte es mal wieder nicht zusammengelegt. Das war eher unpassend im Eifer des Gefechts. Jetzt ärgerte es mich, denn so musste ich mit einem zerknitterten Hemd nach Wien fahren.

Benni sah vom Fernseher weg. „Gehst du schon?“, fragte er und machte große Augen.

„Ich, äh … “ Woher kam auf einmal der Wunsch, nach Wien zu fahren?

Sie war dort! Ich musste … wollte … das war töricht. Ich konnte doch nicht einfach nach Wien fahren, mitten in der Nacht und diese Frau entführen. Na ja, entführen wäre das falsche Wort … woher kam überhaupt dieser wahnsinnige Wunsch? Ich sah zurück zum Bildschirm. Sie erzählte etwas von Korruption, Staatsanwaltschaft und geschwärzten Seiten und sah dabei so engelsgleich aus, dass mein Körper vergaß, dass er gerade eben erst mit Blut und sonstigen Freuden versorgt worden war. Leider saß sie inzwischen hinter dem Moderationspult und deswegen konnte man gerade noch ihre Taille mit der schwarzen Hose und einem Gürtel mit goldener Schnalle sehen. Ich schätzte, sie war wohl sportlich, aber mit der weiten Bluse war alles ein Rätsel – Fantasien über die Form und Größe ihrer Brüste krochen in mein Bewusstsein – ich begann zu lächeln. Das war dieses aufregende Gefühl, das ich hatte, wenn ich etwas noch nicht besaß, aber wusste, dass es bald mir gehören würde. Ich kannte Vorfreude noch aus meinen menschlichen Jahren, aber diese Lust etwas zu jagen, die kannte ich erst, seit ich unsterblich war. Es war anders als Verlangen – stärker und gleichzeitig auch viel ruhiger, tiefer, denn ich war mir ja sicher, dass ich bekam, was ich begehrte.

Um ehrlich zu sein, bei Personen kannte ich dieses Gefühl kaum. Ich hatte die letzten Jahrzehnte damit verbracht, meine persönlichen Ziele im Zirkel zu verfolgen. Das war Arbeit und Erfolg für die Ewigkeit. Langlebiger als jedes Püppchen, egal wie schön es war … Aber Alexis … Ich sagte ihren Namen in Gedanken, immer wieder, fragte mich, wie es sich wohl anfühlte, vor ihr zu stehen und sie so zu nennen? Solche Gedanken hatte ich mir wirklich noch nie gemacht. Ich konnte jedem Menschen mit nur einem Wimpernschlag so derartig den Kopf verdrehen, dass er nachher auf jeden Namen hören würde. Was interessierte mich, wie ihre Eltern sie genannt hatten?

Benni kuschelte sich an mich. „Wusst ichs doch, du magst gar nicht gehen“, schnurrte er in mein Ohr. Ich widerstand dem Drang, ihn wegzuschieben.

„Musst du morgen nicht arbeiten“, sagte ich blechern, das war Menschen-Sprech für ‚Es ist spät, du solltest schlafen, ich möchte dieses Treffen beenden, tue aber so, als ob ich Rücksicht auf dich nehme, damit du morgen fit für die Arbeit bist.‘ All das waren so komplett fremde Konzepte für mich. Rücksicht. Arbeit. Jedenfalls das, was Menschen als Arbeit machten. Schrecklich sinnlose, sich immer wiederholende Tätigkeiten.

„Was? Nein? Hallo, ich habe seit Monaten keinen Job mehr.“ Lag es an der Jahreszeit? Ah nein, an der Seuche. Es fiel mir schwer, mit den Dingen, die die Menschen so in Atem hielten, auf der Höhe zu bleiben. Weil ich nicht jeden Tag mit ihnen zu tun hatte. „Hallo? Ich bin seit April gekündigt. Aber immerhin hat der Kanzler gesagt, er will die Skipisten offen halten, also vielleicht kann ich bald wieder anfangen.“

Benni arbeitete normalerweise in dem Hotel, in dem ich lebte. Dort stiegen fast nur skandinavische Gäste ab. Und dafür hatte er sogar Schwedisch studiert. Jetzt brachte er sich mit seinem Handy Finnisch bei. Er war ja hübsch und eigentlich sogar intelligent, sein Blut schmeckte mir wahnsinnig gut – genauso wie seine anderen Körperflüssigkeiten, aber er war manchmal schon schrecklich kulturlos. Lernte mit einem kleinen Viereck aus Plastik und Glas Sprachen und aß Pizza aus Kartonboxen.

„Tut mir leid, mein Süßer, ich bin heute anscheinend kein guter Gesprächspartner“, sagte ich abwesend. Er legte den Kopf schief und lächelte mich an. Solche Momente erinnerten mich dann wieder daran, warum es eher ungünstig wäre, seiner überdrüssig zu werden: Er war ein angenehmer Zeitvertrieb, eine perfekte Nahrungsquelle und lebte im gleichen Ort, Bad Gastein. Er hatte mich einmal gefragt, warum sich der österreichische Vampirzirkel ausgerechnet für diese Stadt entschieden hatte, aber so ganz konnte ich das nicht beantworten. Es waren wohl die verfallenen Hotels, das tote Stadtzentrum und der Alkoholpegel der Gäste, der das Leben hier so ideal für uns machte. Natürlich zogen wir die Berge dem Wiener Flachland vor, hier wurde es auch im Sommer früher dunkel.

Ich war damals bei der Entscheidungsfindung dabei gewesen, als es darum ging, Wien zu verlassen - aber so ganz verstanden, warum es ausgerechnet diese Stadt sein musste, hatte ich damals nicht. Und jetzt war Bad Gastein meine Heimat.

Er streichelte meinen Schenkel. „Macht nichts. Hast du Stress?“

Eigentlich nicht. Nur einen Stress nach Wien zu kommen und diese Alexis … ja, was eigentlich? Ich konnte mich nicht einfach vor das Gebäude des Senders stellen, warten bis sie herauskam und sie dann in meinen Kofferraum packen. Also, ich konnte das schon, aber ich entführte keine Frauen. Sie würde zu mir kommen. Ganz freiwillig. Und mir aus der Hand fressen. So wie sie alle. Nur wäre sie die Schönste von allen. Eigentlich hielt ich von Monogamie nichts, aber wer brauchte schon andere, wenn …

„Erzähl mir von dieser Moderatorin“, lenkte ich ab.

Benni grinste. Er grinste immer so, wenn wir uns über etwas unterhielten, wovon er Ahnung hatte. Na, es musste ja jemanden geben, der sich mit dem Personal des österreichischen Fernsehens auskannte.

„Die ist der neue Publikumsliebling, weil sie am Anfang des Jahres den Kanzler interviewt hat und er ist dabei total aus dem Konzept gekommen. Du weißt ja, die Politiker, die sind immer geschult und dressiert, damit sie vor laufender Kamera keinen Blödsinn sagen. Aber sie hat’s geschafft, dass er ein paar richtige Dummheiten von sich gegeben hat. Und das trotz Frühstücksfernsehen. Eh schon total lächerlich, dass der Kanzler im Frühstücksfernsehen Kaffee trinkt. Aber der wollte wahrscheinlich gut aussehen, weil da wieder irgendeine Parteispende publik geworden war.“

„Aha“, machte ich und sah ihn interessiert an, damit er weiterredete. Nicht, dass ich viel von dem verstand, was der ‚Kanzler‘ so machte. Ich wusste nicht einmal, wie der hieß. Alexis hatte also auch Köpfchen – ich war einem guten Gespräch niemals abgeneigt, also war das eine Voraussetzung, um mein Püppchen zu werden.

„Ach und dann kam ja die Pandemie und seither ist sie im Dauereinsatz. Und weil sie so jung ist, spricht sie natürlich auch noch mal ein etwas anderes Publikum an. Also jedenfalls ist das, glaube ich, der Plan hinter ihrer Beförderung, dass mehr junge Leute die Spätnachrichten schauen. Aber ganz ehrlich, ich und jeder, den ich kenne, schaut wegen dem Fuchs zu. Der ist klasse. Weißt du, ich interessiere mich ja eigentlich nicht für Politik, aber wie der unsere Politiker zusammenfaltet, ist legendär. Es heißt, manche Landeshauptleute weigern sich, sich von ihm interviewen zu lassen.“

Ich hatte keine Ahnung, wer dieser Fuchs war und was ein Landeshauptmann war, hatte ich längst vergessen. Als ich noch ein Mensch war, gab es den Posten, glaube ich, gar nicht.

„Wie alt ist sie denn?“ Es gab einen Punkt, den man treffen musste. Waren sie zu jung, dann war es problematisch. Junge Menschen sind entsetzlich anstrengend, auch wenn sie vielleicht vor dem Gesetz volljährig sind, ihre geistige Reife kommt erst wesentlich später. Und wenn sie zu alt sind, dann sind sie zu gefährlich, haben Partner und Familie und könnten eine Liaison mit einem Vampir wohl kaum verstecken – aber niemand durfte von uns wissen. Natürlich wussten meine Püppchen, was ich war – sie waren ja alle freiwillig meine Spielzeuge –, aber ihnen war durchaus bewusst, dass sie dieses Geheimnis mit ins Grab nehmen mussten. Ein Mensch, der anderen Menschen von unserer Existenz erzählte, landete im Normalfall sehr schnell in seinem Grab. Wir wollten unsere Ruhe vor den Menschen haben. Nur leider konnten wir ohne sie auch nicht leben.

„Hm, da muss ich nochmal nachschauen, aber keine 30. Die hat das ganz große Ding gelandet, hat neben der Uni schon im TV gejobbt und als sie dann fertig war, hat sie den Posten im Frühstücksfernsehen bekommen. Aber, ich bitte dich, da war sie eine totale Verschwendung, wer schaut bitte Frühstücksfernsehen?“

Wer schaute bitte Spätnachrichten? Wer schaute überhaupt Fernsehen? Menschen waren mir mit ihren Gewohnheiten äußerst suspekt.

Ich stand auf. „So, ich muss jetzt aber wirklich gehen“, seufzte ich, um so zu tun, als bedauere ich es. Ich hatte schon lange keine spontanen, unüberlegten Dinge mehr getan. Das war bestimmt schon über zwanzig Jahre her. Aber zwanzig Jahre waren so gesehen gar nichts. Ein Wimpernschlag.

„Sicher? Wo musst du denn noch hin?“, fragte Benni und machte wieder Hundeaugen. Das war so sein Ding, er sah mich immer an wie ein kleines Hündchen, damit ich mit ihm spielte. Und normalerweise ließ ich mich auch darauf ein. Aber heute nicht.

„Ich muss nach Wien.“ Müssen war relativ, aber das ging ihn ja nichts an.

„Jetzt noch? Selbst wenn du einen Zug bekommst, du kommst nicht vor Sonnenaufgang an. Du hast ja kein Auto.“

Ich beugte mich zu ihm und küsste ihn auf die Stirn. „Deswegen wirst du mir ja auch deines ausleihen“, hauchte ich.

Er blinzelte mich an. Ich musste ihn nicht manipulieren, so stark war sein Wille nicht, er tat ohnehin alles für mich. Wenn ich beim Fernsehen anfing, würde er wahrscheinlich den Boden, auf dem ich wandelte, küssen.

Kapitel 2 - Lukas

Erst auf der Autobahn wurde mir bewusst, wie wahnsinnig ich mich gerade verhielt. Was wollte ich bitte in Wien? In dieser hässlichen Großstadt? Alexis war nur eine von 2 Millionen Menschen, die dort wohnten. Wie wollte ich sie finden? Darüber begann ich jetzt erst nachzudenken, aber das war eigentlich meine kleinste Sorge: Ich bekam früher oder später immer, was ich wollte.

Aber was war bitte in mich gefahren? So war ich nicht. So war ich wirklich nicht. Wegen einer Frau, die ich nicht kannte, die mich nicht kannte, alles stehen und liegen lassen - das war verrückt und fast schon krankhaft. Ich versuchte mir eine Entschuldigung zurechtzulegen, damit ich mich besser fühlte: Ich war schon lange nicht mehr in Wien gewesen, einer musste ja nach dem Rechten sehen. Und es gehörte sich ja, die Familie zu besuchen.

 

Nach der Fahrt nach Wien hatte ich leider keine große Wahl mehr, ich musste einen Ort zum Schlafen finden, denn der Morgen rückte unaufhaltsam näher. Ich sah auf mein Handy. Ich hatte auf dem Lockscreen unterhalb der Uhrzeit eine Stoppuhr, die die Zeit bis zum Sonnenaufgang hinunter zählte. Sicher war sicher.

Es gab einige Mitglieder des Zirkels, die in Wien am Zentralfriedhof in Gruften geschlafen hatten, bis wir umzogen. Erstaunlich viele Vampire hausten immer noch dort. Das war mir ein wenig zu klischeehaft, ich mochte den Komfort von Möbeln, Heizungen, Klimaanlagen und Sanitäranlagen.

Aber da ich Wien hasste und nicht jedem Vampir so sehr vertraute, dass ich bei ihm übernachten wollte, hatte ich sonst nur eine Adresse: Mein elendiger Erschaffer. Ich hasste ihn, aber ich wusste zumindest, dass sein Haus sicher war. Er lebte in einem Palais unweit des Rathauses.

Ich richtete meinen Anzug, bevor ich klingelte. Wobei er um diese Zeit wahrscheinlich gar keine Kleidung mehr trug.

Eine junge Frau, mit strohigen, weiß-blondierten Haaren öffnete. Ihr roter Lippenstift passte nicht zu ihrer Hautfarbe und ihr Blick war leer. Sie wäre vielleicht ganz hübsch, wenn sie nicht so fertig aussehen würde.

„Ich bin hier, um Hartwig zu sehen“, sagte ich, nachdem sie nur apathisch auf meine Krawatte gestarrt hatte. Sie konnte nicht einmal Blickkontakt halten.

Sie nickte und drehte sich um, ins Haus verschwindend. Ich folgte ihr. Sie war etwas kleiner als ich und ihre Kleidung war ihr sicher eine Nummer zu groß. Sie schien mir etwas zu dünn, um wirklich schön zu sein. Alles an ihrer Erscheinung schrie ‚Drogen!‘ und nicht die gute Art.

Sie brachte mich in den zweiten Stock in die Bibliothek. Ich dachte eigentlich er sei im Salon im ersten Stock, wo er immer seine rauschenden Feste feierte. Ich hatte Hartwig noch nie ein Buch lesen gesehen, ich war mir sicher, er hatte die Nussholzregale voller alter Bücher nur wegen der Ästhetik. Hartwig war der Inbegriff des gelebten Hedonismus. Schon allein dafür verabscheute ich ihn, ihm machte das alles viel zu viel Spaß. Aber eigentlich kam meine Abneigung für ihn aus dem einfachen Grund, dass er mich überhaupt in die Verlegenheit gebracht hatte, ein Vampir zu sein. Aber für den alten Gräuel, den ich ihm gegenüber hegte, hatte ich eine Zeit. Vor mir auf der Sitzgruppe aus rotem Samt waren zu viele Arme, Beine, zu viele Körper. Er feierte einmal wieder eine Orgie, allerdings wirklich kleiner als sonst. Na wenigstens war ich gekommen, wo sie gerade alle kuschelten. Und nein, das Problem war nicht die Orgie, so was konnte ich durchaus auch genießen, aber ich hatte wirklich keine Lust, meinen alten Herren so zu sehen.

„Lukas! Was für eine schöne Überraschung!“ Er stand auf und – dafür war ich sehr dankbar – warf sich einen Morgenmantel aus grauer Seide über. „Mein Sohn!“ Ich bin nicht dein Sohn …

„Mein Herr“, grüßte ich und senkte demütig den Kopf.

Sein Blick fiel auf das Mädel, das mir die Tür geöffnet hatte. „Ah, Mitzi, du kannst gehen, schuuh“, sagte er und machte eine Bewegung mit der Hand, als ob er eine Katze verscheuchen wollte.

„Mitzi“, stellte ich fest und nickte.

„Ja, öfter mal was Neues. Du weißt ja, was man über menschliche Diener sagt, aber ich dachte mir, warum probierst du das mal nicht aus.“ Er war sofort in Plauderstimmung und führte mich ins nächste Zimmer, den Salon. Hier waren die Möbel mit blauem Samt überzogen, die Wände mit dunklem Holz mit Intarsienverzierungen ausgekleidet. Ein Luster funkelte über unseren Köpfen. Ach, Wien.

„Dieses Ding ist dein menschlicher Diener? Du weißt schon, dass die trotzdem noch schlafen und essen müssen?“, fragte ich, eine Braue hebend.

„Ach, du siehst das immer so eng. Sie hat ja noch ein … Wie sagt man? Sie ist sich ihrer Selbst ja noch bewusst, sie schafft es sich selbst zu waschen und Gewand anzuziehen, dann wird sie es ja wohl auch schaffen, ab und zu etwas zu essen.“ In einem Haus, in dem nur Vampire lebten, gab es sicher massenhaft Essen. Ich wollte nicht mit ihm diskutieren, schon allein weil sich mein Mitleid für Mitzi ohnehin in Grenzen hielt.

„Also, was kann ich für dich tun, mein Sohn?“ Du könntest aufhören, mich so zu nennen.

„Ich brauche nur einen Ort zum Ruhen. Wahrscheinlich für ein paar Tage.“

Er nickte. „Ja, natürlich! Wenn ich gewusst hätte, dass du kommst … ach, es ist so aufregend, was hier in Wien so los ist. Weißt du noch, die Spanische Grippe? Und jetzt diese neue Seuche, es ist wirklich schön, zuzusehen, wie sich die Menschen ihrer Sterblichkeit bewusst werden. Na ja, nicht alle, aber zumindest die meisten. So brav wie sie alle mit ihren Masken herumrennen.“ Hartwig hatte eine fast schon krankhafte Faszination mit Menschen. Auch das war ein Grund, warum ich ihn nicht ernst nehmen konnte. Er war wie alt? Um die 500 und er hing immer noch einem Leben und Sterben im Sonnenlicht nach. Er ging gern ins Kino, sah dort Filme, die zeigten, was Menschen wichtig war: Geld, Liebe und Gewalt. Er las Magazine, interessierte sich für ‚Stars‘. Wahrscheinlich wusste er sogar, wer dieser Fuchs war.

Ich sagte nichts dazu, spürte aber, wie meine Schultern sich verkrampften. Ich verspannte mich immer in seiner Anwesenheit.

„Wenn du das nächste Mal Bescheid sagst, bevor du kommst, kann ich dir einen Menschen organisieren.“

„Danke, ich habe meine eigenen Kontakte. Und ich habe heute bereits Nahrung zu mir genommen.“

Er lächelte und nickte. „Ach, Lukas. Ich bin so stolz auf dich. Du bist mein erstes Kind. Und so ein ordentlicher Mann ist aus dir geworden.“

Er tätschelte meine Schulter. Ich sah angewidert auf ihn herab. Er war einen Kopf kleiner als ich, ein hagerer Mann, war um die 50 gewesen, als er ein Vampir wurde. Hakennase, fliehende Stirn, Hühnerbrust. Er war wirklich kein hübscher Kerl, alles, was er hatte, diese ganzen Freunde und dieses genusssüchtige Leben verdankte er nur seinem Reichtum und Charme. Besonders intelligent oder talentiert war er auch nicht – er sprach nicht einmal eine zweite Sprache. Was blieb ihm also auch anderes übrig, als Menschen als Spielzeuge zu halten und jede Nacht seinen Tod zu genießen? Wahrscheinlich war er so, weil er schon zu Lebzeiten in Geld geschwommen war. Wer reich war, hatte damals nicht früh sterben müssen und konnte es sich leisten, ungebildet zu sein. Noch mehr Gründe, um ihn zu verabscheuen.

„Das ist aber nicht deiner Erziehung gedankt“, erinnerte ich ihn, mit Druck in der Stimme. Er fand meine Wut belustigend, deswegen würde ich sie ihm sicher nicht zeigen. Trotzdem ballte sich eine Hand zur Faust. Ich öffnete sie sofort wieder und bewegte die Finger durch.

Er lachte. „Ach, du weißt ja, ich finde Babyvampire so uninteressant und lästig. Nur mühsam, wie sie die ganze Zeit weinen und aus Versehen Massaker anrichten. Gerade du warst besonders schwierig. Ich bin einfach nicht der Richtige für so etwas.“

Ich spürte, wie sich meine Kiefermuskulatur verkrampfte. Ich konzentrierte mich darauf, ja nicht die Fäuste zu ballen.

Er hob eine Braue. „Du bist selbst noch nicht auf den Geschmack gekommen, dich, nun ja, fortzupflanzen?“ Nein, die Wahl hast du mir ja genommen.

„Das Erschaffen eines neuen Vampirs ist nicht wirklich fortpflanzen in meinen Augen. Ich gebe ihm ja nichts von mir weiter.“

Hartwig lachte und wandte sich zu einem Holzglobus, der in Wirklichkeit eine Minibar war.

„Scotch?“

Ich verneinte. Wir konnten trinken, wir konnten essen, was ich durchaus gern tat, aber nicht mit Hartwig. Es sollte ja schmecken.

„Ja, du hast recht, wir geben unsere Gene nicht weiter, aber trotzdem können wir eine liebevolle Beziehung aufbauen, so wie Eltern zu ihren Kindern.“

Ich wusste, worauf er anspielte. Er drehte sich mit einem Glas in der Hand zurück zu mir.

„Es ist nur schade, dass du das niemals wolltest.“

Ich hob einen Mundwinkel. „Dein Blut einmal zu kosten, hat mir gereicht.“

Er zuckte mit den Schultern. „Nun gut, du scheinst es ja vorzuziehen, mir bis in alle Ewigkeiten nachzutragen, dass ich dich auf die andere Seite geholt habe.“

Ich versuchte, eine etwas lockerere Haltung anzunehmen. „Ich denke, das Gespräch haben wir schon oft genug geführt. Kann ich nun ein paar Nächte hier bleiben?“