Einseitige Taubheit - Alexander Partheymüller - E-Book

Einseitige Taubheit E-Book

Alexander Partheymüller

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Beschreibung

Ich bin ein Mono. Als Betroffener von einseitiger Taubheit weiß ich, dass oft viel mehr als "ein Ohr funktioniert ja noch" damit verbunden ist. Reduziertes Sprachverständnis, Geräuschüberempfindlichkeit, Tinnitus, fehlendes Richtungshören und Ängste - diese Begleiterscheinungen können zu Erschöpfung, Schlafstörung und Depression führen. In diesem autobiographischen Ratgeber schreibe ich rund um das Leben mit einseitiger Taubheit und deren Folgen. Von meinem plötzlichen Wandel von Stereo auf Mono im Alter von 27 Jahren, über die Rehabilitation bis hin zu einem neuen akustischen Leben mit Cochlea Implantat (CI) schildere ich humorvoll und informativ meine persönlichen Erfahrungswerte und gebe praktische Tipps. Dieses Buch richtet sich an betroffene Monos, Angehörige und Interessierte.

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Alexander Partheymüller

Einseitige Taubheit

Hinweise

Dieses Buch behandelt als biographische Erzählung das Thema einseitige Taubheit und beinhaltet subjektive Erfahrungswerte. Es dient nicht als Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen. Zudem sollen keine Selbstdiagnosen gestellt werden. Bei gesundheitlichen Beschwerden ist ein Arzt oder qualifiziertes Fachpersonal aufzusuchen, da nur eine individuelle Untersuchung zu einer Diagnose oder Therapieentscheidung führt. Das Buch wurde mit größter Sorgfalt und Recherche ausgearbeitet. Dennoch können einzelne Fehler, veraltete oder unvollständige Informationen oder womöglich gesundheitsgefährdende Inhalte nicht ausgeschlossen werden. Für die Richtigkeit und Allgemeingültigkeit wird daher keine Haftung übernommen.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit findet in diesem Buch die Sprachform des generischen Maskulinums Anwendung. Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig verstanden werden soll.

Impressum

1. Auflage 2019

Texte:   © Copyright by Alexander Partheymüller

Umschlag: © Copyright by Alexander Partheymüller

Lektorat: Ute Basfeld

Verlag:  Alexander Partheymüller

Schneidemühler Straße 11a 76139 Karlsruhe [email protected]

Von Monos und Stereos

Ich bin ein Mono. Früher hatte ich zwei gesunde Ohren. Wenn ich einmal nicht zuhörte, oder etwas nicht verstand, dann lag dies nie an meiner auditiven Wahrnehmung. Mit Ende zwanzig veränderte ein Virus diesen Zustand schlagartig. Ich ertaubte einseitig. Meine Tage als Stereo waren beendet. Seitdem erlebe ich die Welt als Mono.

Ein Tag im Leben eines Monos

Es ist Montagmorgen. Der Wecker klingelt. Langsam komme ich zu mir. Verschlafen reibe ich mir die Augen und strecke mich. Mein Tinnitus ist deutlich schneller als der restliche Organismus auf den Beinen. Augenblicklich macht er es sich im Vordergrund meines Bewusstseins gemütlich. Dort sitzt er nun fest auf seinem Thron für den Rest des Tages. Mit Freude beginnt er, meine auditive Wahrnehmung lautstark zu dominieren. Es erklingt das wohlvertraute chaotische Ensemble hoher Töne. Das akustische Ohr resigniert sogleich und zieht sich vornehm in den Hintergrund zurück.

Waschen, Anziehen, Frühstücken - tschüss Kinder, tschüss Frau und tschüss Hund. Das Fahrrad ist gerade nicht einsatzbereit. Also rein ins Auto und ab zur Arbeit. Was ist los? Ich kann mich gerade nur schwer konzentrieren und fühle mich angestrengt. Ah, natürlich, das Radio läuft. Ich schalte es ab. Das Fahrgeräusch ist genug akustischer Input für mein verbleibendes gesundes Ohr. Es muss ja noch Aufmerksamkeit für das Fahren übrig bleiben.

Ich fühle mich getriggert, lasse vor meinem geistigen Auge eine Situation Revue passieren, die ich vor einigen Wochen erlebt habe. Als Beifahrer war ich bei Regen unterwegs auf einer Autobahn. Mein Gesprächspartner befand sich bei König Tinnitus auf meiner tauben Seite. Eine Unterhaltung? Das war kaum möglich. In dieser verschärften akustischen Situation verstand ich fast nichts vom Gespräch. Genug negative Gedanken, weg damit. Diese brauche ich wirklich nicht und erst recht nicht an einem Montagmorgen.

Rein ins Büro. Ich bin heute spät dran, die Kollegen sitzen schon zur Frühstückspause zusammen. Ich geselle mich zu ihnen. Links, rechts, links rechts. Ständig drehe ich den Kopf hin und her, um den Gesprächen zu folgen. Mein gesundes Ohr richte ich zur gewünschten Schallquelle aus, um einfacher zu verstehen. „Wie bitte?“ muss ich dennoch nachfragen. Eine Kollegin hat mich etwas leise auf der tauben Seite angesprochen. Der Schall ihrer Stimme war nicht stark genug, um den Umweg um meinen Kopf hinein ins gesunde Ohr zu schaffen.

Pause vorbei und los geht es. Ich sitze in einem Großraumbüro. Besprechung am Arbeitsplatz hier, Telefonat dort, die Lüftung brummt. Mein gesundes Ohr ist geflutet von einem zweidimensionalen Geräuschbrei. Das lässt sich natürlich mein Tinnitus nicht bieten und verteidigt lautstark seine Vorherrschaft über meine Wahrnehmung. Schluss mit den Streitereien, ich möchte eine Berechnung fortführen und muss mich dabei konzentrieren. Der Kapsel-Gehörschutz liegt griffbereit. Ich ziehe ihn auf. In meinem akustischen Ohr ist augenblicklich Ruhe. Der Tinnitus ist jetzt alleiniger Chef im Ring und summt zufrieden und nur noch dezent vor sich hin. Meine Konzentration ist deutlich erhöht und ich starte mit meinem tönenden Begleiter die Berechnung.

Es ist Mittagspause, ein Teil der Kollegen läuft zur Kantine. Früher ging ich auch regelmäßig in den vollbesetzten Speisesaal essen. Doch seit meiner einseitigen Ertaubung tanke ich deutlich mehr Erholung in ruhigen Umgebungen. Ich habe öfters den Eindruck von Beklemmung, wenn ich unter vielen Leuten bin. Mein gesundes Ohr ist dann überflutet mit akustischen Reizen. Da ich nicht mehr intuitiv Richtungen hören kann, bekomme ich das Stimmengewirr auch nicht räumlich vorgefiltert. Ich muss die Stimme meines Gesprächspartners mittels Konzentration aus dem zweidimensionalen Geräuschbrei herausfiltern. Dieser zusätzliche geistige Verarbeitungsaufwand kostet Energie und Zeit. Deshalb folgen meine Antworten manchmal etwas verzögert und ich kann mich in solchen geräuschvollen Umgebungen nicht entspannt unterhalten.

Nachmittags habe ich in einen großen Besprechungsraum geladen. Sobald ich diesen betrete, starte ich gezielt die Suche nach einem akustischen Vorzugsplatz. Ich finde diesen und lasse mich zufrieden ganz vorne am Tisch mit meinem Notebook nieder. Mein taubes Ohr zeigt zur Leinwand, sodass mein gesundes Ohr den Teilnehmerkreis auf direktem Wege akustisch empfangen kann.

Die Besprechung ist vorbei. Ich marschiere zurück ins Büro. „Guten Tag“ höre ich jemand zu mir rufen. Ich lasse meinen Blick nach links schweifen. Da ist nur eine leere Treppe. „Wohl falsche Richtung getippt“ denke ich mir und drehe meinen Kopf nach rechts. Da ist er ja, der Kollege. Er schließt auf und möchte sich mit mir im Laufen unterhalten. Moment, kurzer Seitenwechsel, dann reden wir auf meiner akustischen Vorzugsseite weiter. Ich thematisiere dieses Verhalten offen, damit es mein Gesprächspartner richtig interpretieren kann. Er reagiert mit einer Entschuldigung, da er meine Beeinträchtigung nicht bedacht hat. „Keine Ursache“ erwidere ich und bedanke mich für das Verständnis. Für manche Menschen, wie meine Frau, ist das ausschließliche Positionieren auf meiner akustischen Schokoladenseite bereits ein Automatismus geworden.

Es ist dunkel draußen. Ich fühle mich erschöpft. Zeit für Feierabend und Familie. Ich fahre nach Hause. Die Kinder und der Hund begrüßen mich herzlich. Doch wo ist meine Frau? Ich rufe sie. Ihre Antwort hallt es aus irgendeinem Raum des Hauses: „Ich bin hier“. Haha, diese Aussage hilft mir leider nicht weiter. „Welcher Raum“ frage ich leicht genervt präziser nach.

Essen, Kinder ins Bett bringen, den Abend zusammen mit meiner Frau ausklingen lassen. Der Tag neigt sich dem Ende. Die Zähne sind geputzt und ich liege im Bett. Zeit zum Schlafen.

Ich schließe meine Augen und es wird dunkel. Ich lege mich mit dem gesunden Ohr ins Kissen und die Umwelt verstummt. Es existieren nur noch mein Tinnitus und ich. Mein zuverlässig tönender Begleiter fiept mich in den Schlaf.

Außenwahrnehmung eines Stereos

Gerade frisch als Mono geoutet, ist dieser Satz eine klassische Reaktion, die ich schon oft zu hören bekommen habe.

„Dir merkt man ja gar nichts an“

Der Gegenüber sieht sie nicht, die einseitige Taubheit. Zwei Ohren sind ja offensichtlich noch vorhanden. Der Gegenüber bemerkt den einseitigen Gehörverlust normalerweise nicht. Denn ich bin ja nicht schwerhörig. Und dennoch! Ich fühle mich genauso wenig normal hörend wie taub. Ich bin ein Mono.

Doch woran liegt es, dass einseitige Taubheit bei Nicht-Betroffenen klassischerweise mit Aussagen wie

„Ein Ohr funktioniert ja noch“

verbunden ist, anstatt als signifikante Einschränkung der Wahrnehmung? Ich habe den schlagartigen Wechsel von Stereo auf Mono erleben müssen und kann daher vermuten, weshalb.

1) Einseitige Taubheit ist für Außenstehende nicht sichtbar

Wenn ein Mono nicht gerade ein technisches Hilfsmittel am Kopf trägt, dann ist die einseitige Taubheit für gewöhnlich unsichtbar.

2) Viele Folgen von einseitiger Taubheit sind nicht bekannt

Der einseitige Gehörverlust bringt viele Folgebeeinträchtigungen mit sich, die kaum damit von der Allgemeinheit assoziiert werden.

Taubheit wird für gewöhnlich mit Stille verbunden. Dass vor allem Spätertaubte statt Ruhe tosende Ohrgeräusche wahrnehmen, überrascht viele Menschen. Fehlendes Richtungshören, Geräuschüberempfindlichkeit, erhöhter Konzentrationsbedarf, Verlustängste und weitere häufige Folgeerscheinungen sind außerhalb medizinischer Fachkreise kaum bekannt und werden in diesem Buch noch ausführlich erörtert.

3) Einseitige Taubheit ist kaum simulierbar

Wenn ein akustisch gesunder Mensch sich ein Ohr zuhält, dann ist seine Wahrnehmung doch nicht ganz Mono. Es bleiben weiterhin Umgebungsgeräusche gedämpft hörbar. Hinzu kommen ein deutliches Rauschen im zugehaltenen Ohr, genauso wie der wahrnehmbare ein- und ausströmende Atem. Was vielen Menschen nicht bewusst ist: Der Schall wird nicht nur über die Gehörknöchelchen an das Trommelfell, sondern auch durch Knochenleitung vom Schädel übertragen. Die mechanischen Schwingungen werden dann in elektrische Impulse umgewandelt, vom Hörnerv weitergeleitet und anschließend im Gehirn interpretiert. Dadurch kann eine Person, deren Gehörgang verschlossen ist, oder gewisse Störungen im Mittelohr besitzt, dennoch Höreindrücke erhalten.

Diesen Effekt haben sich unter anderem der berühmte, schleichend ertaubte Komponist Beethoven und der Erfinder des Grammophons Edison zum Nutzen gemacht. Es ist überliefert, dass Ludwig van Beethoven auf einen Holzstab biss, der mit dem Resonanzboden seines Klaviers verbunden war, um weiterhin sein Spiel wahrnehmen zu können. Der schwerhörige Thomas Alva Edison soll die Sache pragmatisch angegangen sein und hat direkt in den Tisch gebissen, auf dem ein Grammophon stand - und hörte. Es sind sogar Knochenleitungs-Kopfhörer erhältlich, bei denen die Ohren beim Hörerlebnis frei bleiben.

Kurz: Wer sich ein gesundes Ohr zuhält, wird dennoch etwas auf dieser Seite hören. Besonders eindrucksvoll kann dies unter einer prasselnden Dusche erlebt werden. Lautlos wird es durch das Ohrzuhalten nicht.

Die Folgen einseitiger Taubheit

Kopfschatten

„Stille Post“ hat fast jeder von uns in seiner Kindheit gespielt. Das Ziel des Spiels ist es, eine Botschaft nur durch das Flüstern ins Ohr von Person zu Person entlang einer Menschenkette zu übertragen, bis der letzte in der Reihe diese empfängt und laut vorträgt. Spiele ich nun als Mono dieses Spiel mit, so steht die Chance bei 50 Prozent dass die Botschaft bei mir ins Leere läuft. Je nach Spielrichtung kommt die Sprachnachricht auf meinem gesunden Ohr an und ich verstehe. Wird mir ins taube Ohr gesprochen, kommt die Information nicht an. Sie kann nicht gehört werden.

Flüstern ist natürlich ein extremes Beispiel. Doch auch im akustischen Alltag ist das Ergebnis des Verstehens von Sprache für einen Mono ohne technische Hilfsmittel stark richtungsabhängig. Liegt die Schallquelle auf der tauben Seite, so müssen die Schallwellen den Weg um den Kopf nehmen, um ins gesunde Ohr zu gelangen und gehört zu werden. Durch diesen Umweg wird die Sprache gedämpfter wahrgenommen, da sich die Schallintensität reduziert. Möchte ich als Mono dennoch etwas verstehen, muss ich meine Konzentration zwangsläufig steigern. Kommt als Umgebungsbedingung noch Störlärm hinzu, zum Beispiel beim Spaziergang entlang einer verkehrsreichen Straße, ist das Verstehen häufig nicht mehr möglich.

Durch Drehung des Kopfes kann das gesunde Ohr aus dem sogenannten Kopfschatten hin zur Geräuschquelle ausgerichtet werden. Als Folge sitze ich als Mono meist mit gedrehter Kopfhaltung dem Gesprächspartner gegenüber. Diese Maßnahme optimiert die auditive Wahrnehmung, ohne dabei etwas aktiv an der Positionierung von Zuhörer und Sprecher zu verändern.

Doch Vorsicht: Dies ist eine Sofortmaßnahme zur Überbrückung von Gesprächssituationen kurzer Dauer. Wird das Hilfsmittel der Kopfdrehung zu lange am Stück oder zu häufig eingesetzt, können Verspannungen und Haltungsschäden daraus resultieren.

Ein weiterer zwischenmenschlicher Aspekt ist, dass eine gedrehte Kopfhaltung im Frontalgespräch unterbewusst vom Gesprächspartner als ein Anflug von Desinteresse oder Arroganz fehlinterpretiert werden kann. Vor allem bei den ersten Wortwechseln mit neuen, unbekannten Personen, wie etwa bei einem Geschäftsmeeting mit einem Zulieferer oder Kunden, sind wir Menschen sehr feinfühlig was die Körpersprache anbelangt.

Tipps zum Umgang mit Kopfschatten

1) Sorge aktiv für eine akustische Vorzugsposition

Egal ob im Auto, im Besprechungsraum oder am Bahnsteig: Mono habe Mut, aktiv für deinen akustischen Vorzugsplatz zu sorgen. Positioniere dich, soweit möglich, immer mit der akustischen Schokoladenseite zu deinem Gesprächspartner, auch wenn dies zum Beispiel einen Tausch deines Sitzplatzes oder einen Seitenwechsel beim Gang nebeneinander auf dem Gehsteig zur Folge hat.

2) Sorge für Transparenz

Traue dich offen auf deine einseitige Taubheit hinzuweisen. Ich habe bisher in diesen Situationen stets Verständnis von meinen Gesprächspartnern erhalten. Meine Frau und einige andere Personen laufen inzwischen sogar instinktiv auf meiner akustischen Vorzugsseite neben mir.

3) Sei offen für technische Unterstützung

Technische Hilfsmittel, wie ein Cros-Hörgerät oder ein Cochlea Implantat, können bei der Eliminierung des Kopfschattens unterstützen.

Fehlendes räumliches Hören

Ein Klassiker: Ich befinde mich in unserem Haus und suche verzweifelt nach meiner Frau.

„Schatz, wo bist du?“

rufe ich.

 „Hier!“

antwortet sie kurz und knapp.

Ein akustisch gesunder Mensch wird sich nun fragen, was ich mit dieser lapidaren Alltagssituation aufzeigen möchte. Ein Mono wird vermutlich schmunzeln und sofort nachvollziehen können, was ich mit diesem Beispiel thematisiere.

Für meine Frau war es früher selbstverständlich, dass ein knappes „Hier“ meine Frage nach ihrem Aufenthaltsort vollständig beantwortete. Die Information nach dem „Wo“ bedurfte dabei keiner ausgesprochenen Beschreibung für sie, sondern wurde unterbewusst durch die akustische Antwort selbst als gegeben vorausgesetzt. Man hört ja, aus welcher Richtung die Antwort kommt. Doch eine intuitive räumliche Zuordnung von Schallquellen funktioniert bei einem Mono nicht mehr wie bei einem Stereo. Die Folge in diesem Beispiel ist, dass ich ratlos aus der Wäsche schaue und meine Frage mit der Forderung nach einer Raumangabe wiederhole.

Doch woran liegt es, dass die räumlich Zuordnung bei einem Mono nicht mehr wie bei einem akustisch gesunden Menschen funktioniert? Kann ein Mono gar keine Schallquellen mehr räumlich einsortieren? Hierbei kann bei der Lokalisation zunächst zwischen Entfernungs- und Richtungshören differenziert werden.

Das Hören von Entfernungen

Mit den Augen kann der Mensch Entfernungen optisch beurteilen. Mit den Ohren lässt sich eher eine Abschätzung treffen. Möglich wird die akustische Beurteilung von Entfernungen unter anderem durch die Interpretation der Lautheit von Schallquellen. Fährt ein Auto auf einen Menschen zu, so klingt es zunächst anschwellend lauter.

Sobald das Auto passiert, wird das Geräusch bei konstanter Fahrt wieder leiser. Diese dynamische Zuordnung von

funktioniert nur dann, wenn wir wie im Beispiel ein bewegtes Geräusch haben, dessen Schallemission nahezu konstant bleibt.

Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass wir das Geräusch bereits kennen und als Vergleich eine Referenzlautstärke mit einer Entfernung im Gedächtnis verknüpft haben. Hierbei besteht zudem die Möglichkeit für nahe Schallquellen die sogenannte spektrale Verteilung zu beurteilen. Je weiter ein Geräusch entfernt ist, umso dumpfer klingt es für uns. Dieser Effekt der sich verändernden Klangfarbe kommt dadurch zustande, dass hohe Frequenzen stärker von Luft absorbiert werden als tiefe Frequenzen.

Diese Mechanismen des Entfernungshörens funktionieren bei Monos nur mit Einschränkungen. Zur Beurteilung steht dem Gehirn ja nur noch der Höreindruck eines Ohrs und somit maximal 50 Prozent der natürlichen Informationsmenge zur Auswertung zur Verfügung. Die Lautheit und die spektrale Verteilung werden neben der Entfernung bei einseitiger Taubheit zusätzlich durch den bereits erörterten Kopfschatten massiv verändert. Das auditive Einschätzen von Entfernungen gelingt mir bestenfalls nur noch mäßig, wenn die Schallquelle nicht zu sehr auf der tauben Seite liegt. Zum Glück haben wir Menschen noch die optische Wahrnehmung, mit der auch ein Mono die Entfernung zu sichtbaren Schallquellen bestimmen kann.

Das Hören von Richtungen

Das Licht geht aus, Dunkelheit hüllt den Raum ein. Die Gespräche unter den Zuschauern im Saal verstummen und der Film im Kino startet. Los geht es mit einem wahnsinnigen Klangerlebnis in Dolby Surround. Von allen Seiten sausen Soundeffekte an meinem Kopf vorbei, Schüsse fallen, Kugeln fliegen von links nach rechts und ich höre Schritte einer fiktiven Person hinter mir. Mein Gehirn sagt mir, ich sitze mitten im Zentrum des Geschehens. Dabei spielt der visuelle Film auf einer zweidimensionalen Leinwand im Vordergrund.

Dieses Erinnerung stammt aus einer Zeit, als ich noch mit zwei akustisch gesunden Ohren meine Umwelt als Stereo wahrnahm (= binaurales Hören). Doch wie kommt dieser auditive Richtungseindruck bei einem Stereo zustande? Wie ist es nun im Vergleich als Mono?

Für die Fähigkeit der seitlichen Differenzierung, ob ein Geräusch von links oder rechts kommt, sind zwei Effekte verantwortlich.

1) Die Wegdifferenz

Befindet sich eine Schallquelle wie im dargestellten Beispiel exzentrisch, so trifft der Schall beim näher gelegenen Ohr zuerst ein. Das andere Ohr wird mit einer zeitlichen Verzögerung aufgrund einer längeren Wegstrecke erreicht. Diese winkelabhängige Weg- und somit Laufzeitdifferenz des ankommenden Schalls, wird vom Gehirn in eine Richtung interpretiert.

2) Die Pegeldifferenz

Bei höheren Frequenzen dominiert die Richtungszuordnung durch Auswertung der Lautstärkedifferenz zwischen beiden Ohren. Das Ohr, das der Schallquelle nahe gelegen ist, empfängt das Geräusch mit einer größeren Lautstärke als das im Kopfschatten befindliche Ohr. Denn auch bei einem Menschen mit einer gesunden auditiven Wahrnehmung wirkt der Effekt des Kopfschattens. Dieser tritt im Bewusstsein aufgrund des binauralen Hörens jedoch nicht hervor. Durch die Lautstärkedifferenz zwischen beiden Ohren ermittelt das Gehirn die Richtung der Schallquelle.

Für beide beschriebene Effekte des Richtungshörens ist also das binaurale Hören grundlegend. Somit sind weder die Laufzeit- noch die Pegeldifferenz für einen Mono nutzbar. Eine intuitive akustische Richtungszuordnung wie bei einem Stereo ist nicht mehr gegeben.

Die Folgen von fehlender akustischer Lokalisation