Eon - Das letzte Zeitalter - Band 6: Die Segregation - Sascha Vennemann - E-Book

Eon - Das letzte Zeitalter - Band 6: Die Segregation E-Book

Sascha Vennemann

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Beschreibung

Die Evolved haben die Kontrolle über die Aggregation erlangt - zumindest an der Oberfläche. Ihr Plan ist es, dort eine Basis zu errichten, um sich allen Gefahren, die der Knotenwelt von der Cave Miner Cooperation drohen, entgegen zu stellen. Die Crew der EON hat sich ihnen angeschlossen - und hat keine Ahnung, worauf sie sich einlässt... Als es zu einer unverhofften Begegnung zwischen Bar Eon und einem alten Bekannten kommt, wird der an sein früheres Leben als Descender im Dienste des Konsortiums erinnert. Wahrheiten kommen ans Licht, die Reb über seinen Vater noch nicht kannte. Plötzlich wird der abstrakte Kampf um die Existenz aller Dimensionen für die Familie Eon zu etwas ganz Persönlichem... Dies ist das Finale der Reihe "Eon - Das letzte Zeitalter"

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Table of Contents

»Die Segregation«

Vor 37 Jahren – In einer anderen Wirklichkeit

Gegenwart – In der Höhle des Wächters – Aggregation

Digger-Plattform EON – Niemandsland

Kuppelsaal – Traumebene

Primärgebäude der Cave Miner Cooperation, Rovzath

Digger-Plattform EON – Niemandsland

In der Traumebene

Digger-Plattform EON – Niemandsland

Station PASSAGE, Südpol

Gegenwart – In der Höhle des Wächters – Aggregation

Auf der Traumebene

Vor 35 Jahren

Gegenwart – In der Aggregation

Epilog

Nachwort

Impressum

 

Eon - Das letzte Zeitalter

Band 6

»Die Segregation«

von

Sascha Vennemann

Vor 37 Jahren – In einer anderen Wirklichkeit

 

Bar Eon hastete eine Schneedüne hinauf und sah hinter sich. »Na los, komm schon!«, rief er lachend und sah seinem Partner Ben Sanito dabei zu, wie er Anlauf zu nehmen versuchte, aber immer wieder an der eisglatten Stufe abrutsche, die zum nächsten Plateau des Schneewalls hinaufführte.

Der junge Descender fluchte leise, nahm seine Schultertasche ab und warf sie Bar zu. »Halt das mal! Das Ding ist schwer. Damit komme ich hier nie rauf.«

Bar fing die Tasche auf und legte den Gurt um seine freie Schulter. Über der anderen befand sich der seiner eigenen Tasche. Auch sie war prallvoll mit Gegenständen gefüllt, die sie den Erryl abgenommen hatten – jenem Volk, das in der Eiswüste dieses Planeten lebte und in nomadenförmigen Stämmen durch die Gegend zog.

Die kleinen, kaum 1,20 Meter großen Wesen erinnerten entfernt an aufrecht gehende Maulwürfe, was vor allem an ihren schaufelförmigen Händen und Füßen lag, mit denen sie sich durch den Schnee zu wühlen pflegten. Sie waren äußerst geschickt darin, Eishöhlen anzulegen und iglu-artige Behausungen zu errichten, waren mit dichtem, ockerfarbenen Fell besetzt und besaßen zwei eng beieinanderstehende, ölig schwarze Augen.

Und sie waren jähzornig. Vor allem, wenn man ihnen ihre Kultgegenstände aus der Schamanenhöhle klaute, was Bar und Ben vor nicht einmal einer halben Stunde getan hatten. Dummerweise hatte der Schamane des Stammes sie dabei beobachtet, und nun folgte ihnen ein Großteil der Horde nach.

Je mehr Zeit sie durch Bens nicht vorhandene Kletterkünste beim Erklimmen der Schneewehe verloren, desto mehr holten die knapp drei Dutzend Maulwurfswesen auf. Mit ihren schwarzen Kutten hoben sie sich gut von der weißen, fast konturlosen Landschaft ab.

Bar war froh, dass die CMC ihnen Tarnoveralls für diese Dimension mitgegeben hatte. Der Weißton der Kleidung hatte sich dem des Schnees angepasst, und so verschmolzen sie optisch beinahe mit der Umgebung. Ihre Spuren im Schnee konnten sie allerdings nicht kaschieren. Und die Erryl waren gute Fährtenleser – mussten es in dieser Umgebung auch sein, um überleben zu können. Das alles wusste Bar aus den anthropologischen Aufzeichnungen, mit denen sie das Konsortium vor ihrem Aufbruch hierher gebrieft hatte.

Ben Sanito schnaufte vernehmlich, stieß sich mit beiden Beinen gleichzeitig vom rutschigen Boden ab und robbte, den Oberkörper vorwärtsschiebend, über die Stufenkante.

Bar rannte zu ihm und reichte ihm die Hand. Mit einem letzten Ruck zog er seinen Partner hinauf, in der Hoffnung, dass die kleineren Wesen den Wall nicht so einfach überwinden konnten.

Ben verlor keine Zeit, richtete sich auf und klopfte sich den Schnee vom Overall. »Los, weiter!«, zischte er. »Ich habe keine Lust, einen ihrer Speere in den Hintern zu bekommen.« Er deutete hinter sich auf die sich weiter nähernde Gruppe der Erryl.

Die Maulwurfswesen stießen trillernde Pfiffe aus, schüttelten die Wurfwaffen in ihren Händen und rannten weiter. Bei jedem ihrer Schritte schleuderten ihre Schaufelfüße Eis nach hinten. Die aufstiebende Nebelwolke aus Schnee war weithin zu sehen.

Bar schätzte ihren Vorsprung auf maximal vier Minuten, und der schwand sekündlich. Wenn sie es rechtzeitig zum Tor schaffen wollten, mussten sie sich wirklich beeilen. Der diesseitige Riss zwischen den Welten befand sich in einer kleinen Senke auf der Rückseite des Walls. Den größten Teil der Reststrecke würden sie auf dem Hinterteil sitzend und in die Tiefe rutschend hinter sich bringen. Der Nachteil war nur: die Erryl konnten das auch. Gewonnen hatten sie damit also nichts.

Als Bar Ben seine Tasche zurückgab, hielt dieser einen Moment inne und sah zurück auf ihre Verfolger. Er kicherte vergnügt. »Mann, die sind ganz schön sauer!«

Bar klopfte auf seinen Beutel. »Kein Wunder. Wir haben einen Teil ihres Schneegottes geklaut.«

»Das war nur eine kleine Statue aus gepresstem Dreck!«, antwortete Ben. »Wie kann man sich deswegen nur so aufregen!«

»Weil«, antwortete Bar, »sie diese Statue als wahrhaftige Teil-Manifestation ihres Gottes ansehen. In dieser Einöde ist selbst ein Dreckklumpen eine Offenbahrung einer höheren Macht. Sag mal, hast du die Missionsprotokolle nicht gelesen?«

Ben zuckte mit den Achseln. Sein langes blondes Haar hatte er auf dem Hinterkopf zu einem Dutt zusammengedreht. Sein Atem kondensierte in der kalten Luft, deren Temperatur nur kurz über dem Gefrierpunkt lag. »Ich lasse mich gerne überraschen«, rief er und rannte wieder los, auf den Kamm der Schneewehe zu. »Und außerdem, so macht es auch viel mehr Spaß, oder nicht?«

Bar schüttelte lachend den Kopf. Sein Partner war einfach unverbesserlich. Wie viele Abenteuer hatten sie schon zusammen erlebt? Er hatte aufgehört zu zählen. Aber wenn es um den Job ging, konnte er sich auf Ben verlassen. Und was das Aufspüren von Artefakten und Gegenständen in anderen Dimensionen anbelangte, hatten sie beide ein ausgesprochen glückliches Händchen – und liebten es, etwas dafür zu riskieren.

Der Schneegott der Erryl würde ihnen eine fette Prämie einbringen, so viel stand fest. Und je mehr Credits sie anhäuften, desto eher konnten sie über eine Zukunft nachdenken, die vielleicht sogar etwas mehr für sie bereithielt, als das Konsortium ihnen bieten konnte.

Bar presste die Lippen aufeinander und hastete seinem Partner hinterher. Bis sie eventuell etwas gemeinsam auf die Beine stellen konnten, würde jedenfalls noch ein bisschen Zeit vergehen. Das Konsortium sorgte gut für sie, aber es diktierte ihnen auch jede Menge Regeln, wie sie ihren Job zu tun hatten. Je länger sie für die CMC arbeiteten, desto mehr wurde ihnen das bewusst. Und das ging ihnen immer mehr gegen den Strich. Nun, zumindest Bar empfand es so.

Eine Loslösung und ein Aufkündigen der Partnerschaftsverträge kostete aber jede Menge Geld. Credits, die sie im Moment nicht besaßen und die sich nur langsam auf ihren Konten ansammelten. Riskantere Einsätze, wie dieser hier, brachten sie ihrem Ziel zwar etwas schneller näher, aber noch war es nicht an der Zeit, konkrete Pläne für einen Ausstieg zu schmieden.

Es war ein Traum, aber einer, der auf der Schwelle dazu stand, Realität werden zu können, wenn sie noch eine Zeitlang durchhielten. Also würden sie weitermachen: Auftrag für Auftrag, Tag für Tag.

Zwei Speere sausten seitlich an Bar vorbei. »Achtung!«, brüllte er, aber Ben hatte die Schneedüne bereits überwunden, und die Wurfwaffen verfehlten ihn um Haaresbreite. Das Jauchzen, das vom Kamm des Walls her erklang, hieß wohl, dass Ben sich bereits auf seine Rutschmatte gesetzt hatte und in die Tiefe rodelte.

Während der letzten Schritte sah sich Bar noch einmal um. Die Maulwurfswesen hatten den Eisabsatz erreicht und bildeten auf breiter Linie Räuberleitern, um die Barriere zu überwinden. Da die Düne steil anstieg, ließen sie sich auf alle viere nieder und frästen mit hoher Geschwindigkeit durch den Schnee nach oben.

Bar nestelte die Rutschmatte aus seinem Rucksack, faltete sie auseinander und setzte sich auf sie. Mit den Händen grub er sich in den Schnee und verschaffte sich so genug Schwung, um in die Senke hinabgleiten zu können. Die Rutschpassage dauerte nur Sekunden, während der sich winzige Eiskristalle auf seiner Schutzbrille und in seinem Bart verfingen.

Weiter unten, in etwa dreißig Schritt Entfernung, befand sich das Dimensionstor, das sie zurück auf die Heimatwelt führen würde. Von dieser Seite betrachtet wirkte es wie ein dunkler, breiter Blitz, der mitten in der Luft erstarrt war und auf einem kleinen, natürlich entstandenen Eissockel ruhte.

Ben hatte seine Utensilien bereits wieder verstaut und winkte ihm zu. »Komm schon, lass uns hier verschwinden. Hast du die biologischen Artefakte in den Containern gesichert?«

Bar ächzte, als er sich von seiner Matte erhob, sie zusammenrollte und unachtsam in seinen Rucksack stopfte. »Na sicher«, rief er. »Sonst war die ganze Aktion hier doch umsonst!«

Um nichts in der Welt hätte Bar den Schneegott zurückgelassen. Er bestand zwar hauptsächlich aus anorganischen Elementen, aber er wusste nicht, ob nicht auch ein paar tierische oder pflanzliche Dinge in der Statuette verarbeitet worden waren. Solche Materialien konnten das Tor nicht passieren und wären in dieser Realität zurückgeblieben, wenn man sie nicht in spezielle Behältnisse verpackte – einer der seltsamen Effekte, mit denen diese Tore einhergingen. Dazu gehörte auch, dass sie als Descender von der Herkunftswelt das Tor wahrnehmen und in beide Richtungen durchqueren konnten – die Wesen aus dieser Dimension allerdings konnten beides nicht; oder nur unter bestimmten Voraussetzungen, da war sich die CMC noch nicht ganz sicher. Sie forschte in dieser Richtung mit speziellen Teams, die sich allein auf das Rätsel der Weltendurchlässe konzentrierten. Nichts, worum Bar und Ben sich einen Kopf machen mussten.

Bars Armbandscanner piepte kurz, als er sich mit der Datenbarke der CMC verband, die sich einige Meter entfernt verborgen unter dem Eis befand. Die Aufzeichnungen, die Bar und Ben während ihres Beutezugs gemacht hatten, wurden dort automatisch eingespeichert: Umweltdaten, Audio- und Videoaufzeichnungen und die Feldnotizen, die sie sich beim Ausspähen der Erryl gemacht hatten. Von ihnen konnten spätere Besucher dieser Welt noch profitieren und bekamen – entsprechende Zugriffsrechte vorausgesetzt – ein detailliertes Protokoll der letzten Missionen auf dieser Welt auf ihre eigenen Auslesegeräte überspielt.

Die Pfiffe der Maulwurfswesen drangen vom Dünenkamm herüber. Die Erryl hatten ihn erreicht, fiepten ihre Wut in die klare Luft und warfen sich dann, einem Haufen lebensmüder Nager gleich, den Hang hinab. Einige von ihnen gerieten in eine Rollbewegung, während andere auf dem Rücken rutschten und dabei mit ihren Klauenhänden steuerten.

Bar beeilte sich, zu Ben aufzuschließen. Dieser hatte sich bereits auf den Absatz des Tores begeben und reichte ihm die Hand. Er grinste von einem Ohr zum anderen. »Lass uns verschwinden, bevor uns diese Zwerge den Arsch versohlen!«

Bar ergriff die Hand seines Partners und ließ sich von ihm ins Tor ziehen. »Nichts lieber als das!« Dann verschluckte sie der dunkle Riss in der Wirklichkeit.

 

*

 

Gegenwart – In der Höhle des Wächters – Aggregation

 

Dam Ruot zog zum wiederholten Male sein weißes Stofftaschentuch aus der Brusttasche seiner Kampfmontur und wollte sich den Schweiß von der Stirn wischen. Als das Tuch seine Haut berührte, zuckte er zusammen; es fühlte sich kalt und klamm an. Angeekelt hielt er es an einer Spitze gefasst von sich weg und betrachtete den inzwischen völlig durchnässten und vom Höhlenstaub schmutzigen Lappen.

Der Human Ressources Manager der Cave Miner Cooperation seufzte, knüllte das Taschentuch zusammen und warf es, als er sich unbeobachtet fühlte, hinter eine der Munitionskisten, die sich hier in der Höhle des Wächters inzwischen bis unter die Decke stapelten. Hauptmann Alo Dern hatte sie hier abstellen lassen. Der Anführer der Söldner, die hier in der Höhle gegen die Evolved kämpften, war gerade wieder in den Untiefen des Labyrinths unterwegs.

Seit Stunden schon wogte der Kampf hin und her, und inzwischen hätten sie eigentlich die Oberhand gewinnen müssen. Ceo Ramnik hatte ihnen Verstärkung aus Rovzath versprochen, die vor einer geschlagenen halben Stunde eintreffen und sich durch neue Zugangsbohrungen in die Tiefe begeben haben sollte.

Aber daraus war nichts geworden. Die Evolved hatten ihrerseits oberhalb des Vorpostens, wie die CMC die riesige Höhle mit den unzähligen Dimensionstoren nannte, Stellung bezogen und die Verstärkung, die nicht auf einen solchen Kampf mit Gleitern und Plattformen vorbereitet gewesen war, in die Flucht geschlagen.

Den Verlauf der Schlacht hatte Dam per Funk mitgehört. So ließ er sich auch von Dern über den neuesten Stand in der Haupthöhle unterrichten, damit er Bescheid wusste, wenn sein Chef ihn wieder anrief.

Dam hoffte, das würde nicht so bald der Fall sein. Sein letztes Gespräch steckte ihm immer noch in den Knochen, denn es hatte hauptsächlich daraus bestanden, dass Ramnik ihn anschrie und er nichts weiter getan hatte, als zu nicken.

Die Verstärkung der CMC – das, was von ihr nach der Attacke der Evolved noch übrig geblieben war – hatte sich ins Niemandsland zurückgezogen und formierte sich neu. Die Gleiter und Plattformen warteten jetzt auf massive militärische Unterstützung aus der Mega-City, aber das konnte noch ein paar Stunden dauern – Stunden, in denen die CMC zumindest innerhalb der Höhle weiterkämpfen musste, um nicht völlig auf verlorenem Posten zu stehen.

»Neuester Status!«, bellte ihm Alo Derns Stimme aus dem Funkgerät entgegen, das Dam wie einen kostbaren Schatz umklammert hielt. »Bevor Sie wieder jammern, dass ich nichts von mir hören lasse! Hallo? Ruot, sind Sie da?« Der befehlsgewohnte Ton sorgte bei Dam für noch mehr Stress. Trotz geringer Lautstärke hallte die Stimme des Soldaten in der Nebenhöhle dergestalt wider, dass Dam den Eindruck hatte, der Mann brülle ihm direkt ins Ohr.

Dam drückte auf den Sprechknopf. »Ich höre Sie, Hauptmann. Sie können sprechen!«

»Können sprechen, können sprechen!«, äffte Dern ihn nach. Der Mann klang enorm verärgert. Kein Wunder, man hatte ihm einen ganzen Schwung neuer Männer für seinen Einsatz versprochen. Statt sie zu erhalten, musste er jetzt mit den wenigen Söldnern arbeiten, die ihm noch geblieben waren. »Ich spreche, wann und wie's mir passt, verstanden?«

Dam drückte wieder den Knopf. »Schon klar, Hauptm…«

»Die Kacke dampft so sehr, wir bräuchten eine ganze Batterie von Nebelscheinwerfern hier!«, unterbrach ihn der Söldnerführer einfach. »Für jeden Gegner, den wir erledigen, drängen zwei neue aus den Toren! Wir können nicht einmal mehr die Stellungen halten, die an den Eingängen der Nebenkorridore errichtet wurden. Ich habe alle verfügbaren Kräfte zurück zur Höhle des Wächters beordert. Wir werden uns dort verbarrikadieren, bis die Verstärkung endlich da ist!« Dern seufzte tief. Im Hintergrund hörte man das Knattern von Projektilwaffen, Laser zischten, Verwundete schrien. »Apropos Wächter … Wo steckt der eigentlich? Kraulen Sie sich da hinten gegenseitig die Eier, oder was?«

Dam Ruot war es gewohnt, von allen Seiten gering geschätzt zu werden. Das fing bei seinem Boss, dem Vorsitzenden der CMC, an und setzte sich gut und gerne durch alle – zumindest den Human Ressources gleichgestellten – Ebenen des Unternehmens fort. Das mochte an seiner eher untersetzten Gestalt liegen oder an seinem meist duckmäuserischen Habitus, aber es hatte ihm auch ein dickes Fell beschert. Deswegen machte es ihm auch relativ wenig aus, dass der bisher eher kontrollierte Söldnerführer sich nun immer wieder verbale Ausrutscher leistete.

Der Wächter hatte sich in seinen komfortablen Wohncontainer zurückgezogen, von dem aus man auch direkt in eines der Untergeschosse der CMC-Zentrale in Rovzath gelangen konnte. Die Wohnung war um eines der stabilen Portale herum gebaut worden, dessen Passage sowohl auf der Heimatwelt begann, als auch dort endete. Eine Seltenheit bei den Realitätsrissen, und, soweit bekannt, auch ein Phänomen, dass es nur hier auf diesem Planeten gab.

»Der Wächter hat sich zurückgezogen, um eine mögliche Ankunft von Ceo Ramnik vorzubereiten«, antwortete Dam daher ruhig.

Das Funkgerät schwieg eine Weile. Dann knackte es im Lautsprecher. »Der Vorsitzende kommt her?« Dam Ruot meinte einen Anflug von Unsicherheit in Derns Stimme zu erkennen. »Wieso?«

Dam grinste. »Das ist noch nicht sicher«, sagte er. »Also, dass der Chef sich wirklich herbemüht … Aber Sie kennen doch Ramnik. Wenn etwas nicht so läuft, wie er es gerne hätte, will er sich am liebsten persönlich darum kümmern. Glauben Sie mir, ich kenne das schon. Sie wollen gar nicht wissen, wie oft er bei mir im Büro …« Dam brach ab, als er merkte, dass er sich gerade selbst schlechtredete. Verdammt, das passierte ihm immer wieder! Kein Wunder, dass ihn niemand respektierte.

»Mir ist es egal, ob er hier im Dreieck springt oder zuhause in seinem Büro«, antwortete Alo Dern ungerührt. »Solange die Verstärkung nicht zu uns durchdringt, bleibt uns in weniger als zwei Stunden nur noch, den Zugangstunnel zur Höhle des Wächters zu sprengen, damit wir nicht überrannt werden. Ich glaube nämlich kaum, dass Ramnik die ganzen Fremdweltwesen ins CMC-Hauptgebäude einladen will.«

Dam schnalzte mit der Zunge. »Nein, das glaube ich auch nicht. Wie viele Männer haben Sie noch?«

»Nicht mal mehr sechzig!«, rief Dern, nachdem er ein paar Befehle zum Rückzug gebrüllt hatte. »Die Gegner sind dazu übergegangen, immer wieder kleine Trupps aus ihrer Deckung zu locken und dann durch massiven Beschuss in die Nähe von Dimensionstoren zu drängen. Oft ist ihnen nichts anderes übrig geblieben, als durch die Tore selbst in Deckung zu flüchten. Wer weiß, was sie da auf den anderen Seiten erwartet. Warum können die Biester überhaupt hier durchkommen? Ich denke, das geht gar nicht!«

Ist eigentlich auch so, dachte Dam Ruot. Zumindest laut den geheimen Ergebnissen der CMC-Forschungsabteilung, von denen ich gar nichts wissen dürfte.Ein Durchgang von der anderen Seite gelingt nur, wenn es sich bei den Wesen um Evolved oder Degenerated handelt. Aber das durfte – und wollte – er Dern gerade jetzt nicht erklären.

»Haben sich diese in den Toren verschollenen Männer über interdimensionalen Funk gemeldet?«, wollte er vom Söldnerführer wissen.

Alo Dern murmelte etwas Unverständliches.

»Bitte?«, hakte Dam nach.

»Ich sagte, ich glaube, die haben wahrscheinlich Besseres zu tun!«, knurrte Dern etwas lauter. »Wie auch immer, wir sammeln uns jetzt und kommen dann zurück zu Ihnen. Das hat hier alles keinen Zweck mehr.«

»Können wir Ihnen irgendwie vorbereitend helfen?«, bot Dam Ruot an. Er wusste, er war in diesem Kampf ungefähr so nützlich wie ein Regenschirm beim Tauchen, und er witterte eine Chance, doch noch etwas mehr zu leisten, als weitere Taschentücher vollzuschwitzen.

»Bleiben Sie bloß da sitzen, wo Sie gerade sind, und rühren Sie sich nur vom Fleck, wenn es Ihnen jemand sagt!«, blökte Dern aus dem Lautsprecher. »Ich kann nicht auch noch auf Sie aufpassen, wenn Sie plötzlich meinen, in Aktionismus verfallen zu müssen!«

»Verstanden«, antwortete Dam zerknirscht. »Dann bis gleich.« Er schaltete das Funkgerät auf Stand-by, griff zu seiner Wasserflasche und trank einen Schluck.

Aus dem Zugangstunnel zur Haupthöhle erklangen die Geräusche von mehreren Kampfstiefeln, die sich im Laufschritt näherten.

Dam Ruot spürte, wie sich bereits neue Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten. Er wischte sie schließlich einfach mit dem rechten Ärmel seines Hemdes ab und betete, dass dieser furchtbare Tag bald vorbei sein möge.

 

*

 

Digger-Plattform EON – Niemandsland

 

Reb Eon konnte es noch immer nicht fassen. Dass die EON den Kampf zwischen den Evolved und der CMC beinahe unbeschadet überstanden hatte, war nur den plötzlich entdeckten Fähigkeiten ihres neuen Crewmitglieds Var Neth zu verdanken.

Der Mann, der ebenso wie Reb zu den Evolved zählte, hatte in der Schlacht unglaubliches Reaktionsvermögen und eine fast prophetische Weitsicht beim Extrapolieren von Fluchtkursen bewiesen. So hatte er die EON manuell mitten durch die Linien der sich bekämpfenden Plattformen, Gleiter und Ein-Mann-Pods manövriert, raus aus der heißen Zone.

Die CMC und ihre hauptsächlich aus Truppentransportern bestehende Kampfgruppe hatte sich zurückgezogen und die Evolved oberhalb des Einstiegs der Aggregation zurückgelassen. Und sie würden nicht von hier weichen, denn in dieser Höhle, in der sich die größte aller Ansammlungen von Dimensionsportalen befand, die jemals entdeckt worden war, würde sich nicht nur das Schicksal ihres Planeten, sondern jedweder Existenz erfüllen.

Zumindest, wenn man den Ausführungen von Asim Constant glauben konnte. Die Zwillingsschwester der Bord-Biologin und Xeno-Anthropologin Misa Constant war als Kind in einem plötzlich auftauchenden Dimensionstor verschwunden und erst kürzlich wieder aufgefunden worden – als Gefangene der CMC in deren Forschungseinrichtung unter den Firmengebäuden der Mega-City Rovzath. Dort lag sie bewusstlos seit vielen, vielen Jahren und war Gegenstand zahlreicher Untersuchungen geworden. Sie teilte dieses Schicksal mit vielen anderen Evolved und Degenerated, aber da »das letzte Zeitalter« nun unmittelbar bevorstand, war es zum Aufstand der Evolved gekommen. Sie hatten zum Schutz der Realitäten eine gemeinsame Aktion gegen die CMC gestartet.

Reb schwirrte der Kopf. Die Ereignisse, ihre Verbindungen und was das alles für sie bedeutete … Das alles war ihnen langsam über den Kopf gewachsen.