Er hat dich. - Sabineee Berger - E-Book
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Sabineee Berger

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Beschreibung

Barbara Razzolis ist eine Vollblut-Werbefachfrau und weiß was sie kann und was sie will, doch bei einem wichtigen Meeting kracht sie mit einem potentiellen Kunden zusammen und der erhoffte Deal platzt. Allerdings ist der Kunde nicht der Mann, der er vorgibt zu sein und beginnt Barbara auf sehr seltsame Weise zu stalken. Er schickt ihr zu viele Blumen mitten in der Nacht und legt eine Grußkarte bei, die seltsame Dinge mit ihr anstellt. Barbara weiß nicht recht wie sie sich verhalten soll, erkennt aber sehr rasch, dass dies erst die Spitze des Eisberges ist und die Wahrheit sowieso in einer völlig anderen Dimension liegt. "Paranormal fantastischer Roman, ERSTER TEIL"

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Inhaltsverzeichnis

01.Kapitel

02.Kapitel

03.Kapitel

04.Kapitel

05.Kapitel

06.Kapitel

07.Kapitel

08.Kapitel

09.Kapitel

10.Kapitel

11.Kapitel

12.Kapitel

13.Kapitel

14.Kapitel

15.Kapitel

16.Kapitel

17.Kapitel

18.Kapitel

19.Kapitel

20.Kapitel

21.Kapitel

22.Kapitel

23.Kapitel

24.Kapitel

Impressum

01.Kapitel

Was für ein komischer Tag!

Ständig lief etwas schief und das Tüpfelchen auf dem I war ihre unfähige Assistentin, die ihr gerade Kaffee auf die Bluse gekippt hatte. Und zwar SEHR heißen Kaffee und das nur eine Stunde vor ihrer Präsentation! Zum Glück trug sie einen BH mit Einlage, denn der hatte das Meiste von der Hitze abgefangen. Trotzdem hatte sie sich auch etwas auf ihren hochgepuschten Brüsten verbrüht.

„Verdammt, Farah!“, zischte sie nun im Toilettenraum, während sie versuchte den Fleck aus ihrer weißen Bluse zu waschen. Sie rubbelte nicht mit Papier, sie spülte den verwüsteten Teil einfach ordentlich unter fließendem Wasser. Zum Glück hatten sie einen Händetrockner, der später wie ein Föhn fungieren konnte. Trotzdem war es ein Witz, dass sie hier halbnackt vorm Spiegel stand und ihr Push-up-BH vermutlich ruiniert war. Als hätte sie nichts Besseres zu tun so knapp vor einem wichtigen Termin! Der Kunde würde zum ersten Mal persönlich erscheinen und da war ein kaputtes Outfit nur wenig erbaulich.

Zum wohl x-ten Mal fragte sie sich daher, warum sie diese Farah eigentlich eingestellt hatte. Nur, weil ihr Name Glück und Fröhlichkeit bedeutete, oder wie? Farah hatte gute Referenzen, war hübsch und freundlich, aber nicht gerade die Hellste und auch nicht die Schnellste. Dafür besaß sie ein gewisses Maß an Zuverlässigkeit, allerdings auch an Ungeschicktheit, obwohl es dem Mädchen immer sehr peinlich war, wenn etwas schief ging und ihre Entschuldigungen schon fast mitleiderregend waren.

„Ich brauche eine neue Assistentin“, murmelte sie brummig in den Spiegel und leckte sich automatisch den roten Lippenstift von den Zähnen. Auch DAS passierte ihr sonst nicht. Sie verwendete immer hochwertige Produkte und die hielten nicht nur bombenfest, die flutschten auch nie auf Körperteile, wo sie nicht hingehörten. Also nicht auf Zähne oder … andere Lippen. Sie grinste verwegen, weil der süße DJ von Samstagnacht anfangs wirklich keinerlei Lippenstiftspuren aufgewiesen hatte. Allerdings hatte sie schon nach ein paar Minuten deutlich mehr Gas gegeben und da konnte eben kein noch so hochgepriesener Lippenstift ewig halten. Ab einem gewissen Grad der Belastung färbte er ab und zwar auf verschiedenste Körperteile. Sie lächelte noch breiter, weil sie eine attraktive, unabhängige Frau war, die sich die Männer einfach nahm, wenn sie in ihr Beuteschema passten.

Und sie bekam zumeist, was sie wollte.

Außer von ihrer Assistentin.

Seufzend stellte sie das Wasser ab und drückte die Bluse aus. Danach aktivierte sie den Händetrockner und begann den Stoff in der Hitze wieder glattzustreichen. In dem Moment kam ihre Assistentin in den Toilettenraum und hielt die Tür so weit und lange offen, dass die halbe Belegschaft des Unternehmens sehen konnte, wie ihre Chefin nur in Rock und BH dastand und ihre Bluse trocknete. Barbara war zwar stolz auf ihren Körper, aber es war so typisch, dass ihre Assistentin selbst beim Eintreten in den Toilettenraum überdurchschnittlich ungeschickt vorging. Jede andere Frau hätte die Situation sofort erfasst und entsprechend reagiert, sich entweder vor die Betroffene gestellt oder zumindest schnell die Tür geschlossen, doch Farah war einfach die verträumteste Person, die sie je getroffen hatte.

„Machst du dann mal die Tür zu?“, forderte sie schnippisch und ihre Assistentin bekam einen hochroten Kopf.

„Oh. Entschuldigung. Natürlich. Ich konnte ja nicht wissen, dass …“, begann sie und stotterte.

„Was?“, unterbrach Barbara sie verärgert. „Dass ich den Fleck rausmachen muss?“

„Ich habe doch schon gesagt, dass es mir …“

„Ja, ja. Du sagst danach immer etwas. Farah … du bist ständig so abgelenkt! Du musst dich mehr konzentrieren und mir besser zuarbeiten. Vor allem auch nicht im Wege stehen.“

„Im Wege stehen?“, fragte das junge Ding überfordert. „Aber ich wollte eigentlich nur helfen.“

„Hm. Dann geh in das Modegeschäft am Ende der Straße und kaufe mir einen BH und eine Bluse! Von deinem Geld versteht sich.“

„W-was? Aber ich habe kein …“

„Kein Geld?“, zischte Barbara mürrisch, weil sie gerade sehen konnte, dass der Kaffeefleck nicht 100prozentig verschwunden war. Ganz glatt wurde das Teil auch nicht mehr. „Scheiße!“, fluchte sie und hätte ihrer Assistentin am liebsten die Kündigung aufs nächstbeste Toilettenpapier geschrieben.

„Ich habe keine Kreditkarte dabei und zu wenig Bargeld eingesteckt. Sie müssten mir das Geld dafür schon geben, dann kaufe ich alles, was Sie wollen“, schlug Farah vor und Barbaras Augen blitzten gemein auf.

„Dann besorg mir eine neue Assistentin!“, zischte sie, versuchte die Bluse noch irgendwie glatter zu bekommen und gab schließlich auf. Zuhause würde sie das schon schaffen und für die Präsentation musste es halt reichen. So schlimm war das eigentlich nicht, sie war nur verärgert. Daher schlüpfte sie auch rasch wieder in ihre Bluse. Farahs Augen füllten sich inzwischen mit Tränen. Ein Umstand, der leider viel zu oft vorkam und auf ihr wankelmütiges Wesen und ihre Unsicherheit zurückzuführen war. Vielleicht auch auf Barbaras schroffe Art, wenn sie diese Unsicherheit witterte. Dabei war das junge Ding hübsch und hätte viel selbstbewusster sein müssen. Diese weinerliche Seite ihrer Assistentin machte Barbara jedenfalls immer wieder unrund und manchmal auch verbal rüpelhaft. Obwohl sie eigentlich nie wirklich hart vorging. Also nicht so wie andere in diesem Metier. Sie hatte sogar das Gefühl, dass sie Farah immer wieder beschützte. Eine Schwäche, mit der sie nicht zufrieden war, denn sie wollte nicht mitfühlend sein und auf komplexbeladene Menschen Rücksicht nehmen. Das passte nicht zu ihrem Job und auch nicht zu der Rolle, die sie gewählt hatte. Nämlich die Rolle der taffen Karrierefrau. ‚Erfolgreich und männermordend‘ war die beste Definition, die sie sich mit fast dreißig wählte. Nach einer gescheiterten Ehe und zig anderen, viel schlechter bezahlten Jobs blieb ihr auch nicht wirklich viel Raum für etwas anderes.

„Ich … brauche diesen Job“, heulte inzwischen Farah. „Es tut mir leid, aber ich schlafe in letzter Zeit nicht so gut und da bin ich wohl ein wenig ungeschickt. Das mit dem Kaffee tut mir auch wirklich leid. Die Tasse war so heiß.“

„Die Tasse?“, keifte Barbara und deutete auf die roten Stellen ihres Brustansatzes. „Der Kaffee war es! Und damit hast du mir nicht nur die Wäsche ruiniert, sondern auch die Haut verbrüht.“ Sie hatte zwar alles sehr rasch mit kaltem Wasser gekühlt, aber genau im Ausschnittbereich waren rote Flecken zu erkennen. Nicht groß, aber doch sichtbar. In ihren Augen hatte sie jedes Recht sauer zu sein.

„Ich besorge sofort eine neue Bluse und einen BH“, erklärte Farah plötzlich und der Stimmungsumschwung war nur darauf zurückzuführen, dass sie erst jetzt das ganze Ausmaß des Unfalls begreifen konnte. Vermutlich hatte sie nicht damit gerechnet tatsächlich die Haut ihrer Chefin zu verbrühen. Was Barbara – aus welchem Grund auch immer – milder stimmte. Mittlerweile konnte sie nämlich richtig sehen, wie sehr das schlechte Gewissen an Farah nagte und welch selbstzerstörerische Tendenzen es schon wieder annahm. Bei der jungen Frau war einfach meist alles übertrieben. Viel zu emotional halt und daher immer im Ungleichgewicht. Junges Ding, dachte sie mitfühlend, weil sie davon ausging, dass Farah sich das Geld für die Wäsche nun von einer Kollegin borgen wollte, um nur ja wieder alles gut zu machen. Aber das kam Barbara dann wieder übertrieben vor. Guten Willen wusste sie ja auch irgendwo zu schätzen und so biss sie die Zähne zusammen.

„Nein, lass gut sein! Ich werde die Präsentation einfach in diesem Outfit halten. Der leichte Kaffeerand ist nicht der Rede wert. Den bemerkt man nur, wenn man genauer hinsieht. Wir haben schlicht keine Zeit für Einkäufe. Wir müssen die PDF-Datei nochmal durchgehen und die letzten Bilder einfügen. Der Kunde wird schon nicht sterben, wenn er rote Möpse sieht und einen Kaffeefleck.“ Sie hatte eine spontane Entscheidung getroffen und sich wieder einmal für Menschlichkeit entschieden. Wieder einmal! Dabei passte das so gar nicht in das Bild der coolen Geschäftsfrau, das sie perfektionieren wollte.

„D-danke“, stotterte Farah erleichtert und Barbara fasste sich ein Herz.

„Ich bin vielleicht nicht die einfachste Chefin, aber ich verlange Konzentration und Loyalität. Letzteres hast du schon oft unter Beweis gestellt, aber wir müssen mehr an deiner Konzentration arbeiten.“

In den nächsten vierzig Minuten verpassten sie dann nicht nur der Präsentation den letzten Schliff, sondern auch dem Besprechungszimmer. Kaffee, Kekse und Blümchen waren ein Muss. Ebenso die ordentliche Stellung der Stühle, der Check des Videoprojektors und der elektrischen Fensterverdunkelung. Es waren die kleinen Details, die sonst zu einer Katastrophe ausarten konnten. Barbara bändigte noch ihre rot wallende Haarmähne zu einem Pferdeschwanz, zupfte an ihrer Bluse und achtete bei Farah auf Haarsträhnchen, die sich zu wüst aus ihrem Dutt gelöst hatten. Danach warteten beide auf den Kunden.

Das zu bewerbende Produkt war in der jetzigen Form nicht wirklich der Burner, aber es lag Barbaras Chef viel daran den Kunden an Land zu ziehen, obwohl sich die Recherche zu dem Auftrag als sehr schwierig erwiesen hatte und die eigentliche Kontaktperson nie zu erreichen gewesen war.

„Speiseeis ist nicht so mein Ding“, gestand Barbara ihrer Assistentin dann ein wenig nervös. Vor einer Präsentation stellte sich die selbst bei Barbara ein.

„Ich habe es schon gekostet … es ist lecker“, motivierte Farah automatisch und zauberte Barbara doch noch ein Lächeln ins Gesicht. „Es enthält eine Note, die ich noch nie zuvor gekostet habe.“

„Rosenessenz.“

„Oh, das wusste ich nicht. Ich konnte den Geschmack nicht deuten. Die Verpackung der Kostprobe war neutral.“ Sie überlegte kurz und wunderte sich, dass ihre Chefin das Eis noch nicht einmal gekostet hatte und dennoch wusste, dass es Rose beinhaltete. „Da hat aber jemand gut aufgepasst.“

„Das ist mein Job. Das Briefing des Kunden war ein schlechter Witz, aber ich habe mir die Zutaten von seinem Produktmanagement besorgt und wenn ich die nicht wüsste, könnte ich die Einzigartigkeit noch nicht einmal herausarbeiten. Ein Blumeneis ist neu. Im Grund eine geniale Idee.“

„Im Grunde?“, fragte Farah.

„Wie gesagt, ich habe es nicht so mit Eis. Ich weiß nur, dass wir es als heiß betiteln statt als kalt.“

„Das ist die Strategie? Eis ist heiß?“

„Ja. Mein Namensvorschlag ist Rosanne. Hast du das nicht mitbekommen nach all dem Sortieren von Unterlagen? Das …“ Barbara überlegte kurz und versuchte das mulmige Gefühl im Magen in den Hintergrund zu drängen. „… ist allerdings ernüchternd und stimmt mich nachdenklich.“ Und zwar nicht wegen Farahs schlechter Auffassungsgabe, sondern wegen der fehlenden Eindringlichkeit ihrer Unterlagen. Die mussten auch im Schnelldurchlauf klar und prägnant sein und durch Einfachheit punkten. Jeder Dödel musste den Inhalt geschwind begreifen können. Und nachdem das Briefing solch eine Katastrophe war, ging sie von einem Kunden aus, der sich kaum Gedanken zum eigenen Produkt gemacht hatte. Sie hatte ihn auch nie persönlich erreicht und immer nur gesagt bekommen, dass sie einfach IRGENDETWAS aus dem Hut zaubern sollte. IRGENDETWAS war in ihrer Branche allerdings immer eine Katastrophe und zumeist auch ein No-Go.

„Wir haben Zeit und wollen verschiedenste Spontaninterpretationen einholen“, hatte die Sekretärin des ominösen Herrn Quantika ihr dann zusätzlich gemailt, aber nicht mehr an Informationen geliefert. Nur die weiße Farbe des Produkts und die 0815-Form waren im Briefing fixe Vorgabe gewesen und auch geblieben. Etwas, das Barbara völlig gegen den Strich ging und in ihren Augen nur zeigte, dass der Kunde noch keine Ahnung hatte, was er eigentlich wollte. Bis zum Schluss hatte sie kein einziges Mal mit diesem Herrn Quantika gesprochen, geschweige denn ihn persönlich zu Gesicht bekommen. Trotzdem hatte ihr Chef den Auftrag nicht nur angenommen, sondern vor allem IHR umgehängt. Vermutlich weil sich sonst keiner vom Team getraut hätte. Ein schlechtes Briefing war meist wie russisches Roulette und die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass man den Geschmack des Kunden komplett verfehlte.

Viel versprach sie sich daher nicht von diesem potentiellen Neukunden und sehr viel Zeit hatte sie auch nicht investiert, denn eine Aufwandsentschädigung bei Ablehnung war erstmals in der Geschichte dieser Werbeagentur nicht vorgesehen. Eine neue Regelung, die nicht ihrem kranken Gehirn entsprang, sondern dem von Philipp, ihrem Chef. Aber der hatte in letzter Zeit auch Kundenmangel angedeutet.

Also sprang sie für ihn in die Bresche. Immerhin hatte sie stets eine wunderbare Intuition gezeigt, wenn es um Neueinführung von Produkten ging. So hatte sie die Strategie quasi in 30 Minuten aus dem Ärmel geschüttelt und danach natürlich professionell aufgearbeitet. Ohne empirisch erhobene Daten ging da gar nichts und nur aufs Gefühl durfte sie einfach nicht hören. Sie erzählte halt nie jemandem, dass sie die Daten meist erst im Nachhinein hinzufügte und nicht so wie die anderen als Ausgangsbasis verwendete. Bei ihr lief nun mal sehr viel ‚andersrum‘ ab und das hatte sie gelernt zu akzeptieren. Vielleicht wollte sie ja gerade deswegen mehr Härte und Stabilität als taffe Karrierefrau zur Schau stellen. Vielleicht entsprach es auch einfach nur ihren irisch-italienischen Genen. Aber wie auch immer das Motiv dahinter war … jeder brauchte Qualitäten, die er ausstrahlte und die er für sich verwendete. Ein Image war schließlich das A und O im Leben und niemand, wahrlich niemand, wollte in der Masse untergehen, sondern eben einzigartig sein. Auf jeden Fall nicht an der untersten Sprosse der Leiter hängenbleiben. So, wie Farah, dachte sie gerade, als genau die, wie unter einem Hieb zusammenzuckte.

„Was ist?“, fragte sie automatisch, weil Farah unmöglich etwas von ihren Gedanken mitbekommen hatte und sie ihren Schrecken mehr gespürt als gesehen hatte. Als wäre sie wie eine Mutter gepolt, die auf ihr Kind eingestimmt war und alles mitbekam, was das kleine Bündel bewegte und erschreckte. Noch ein Grund, um härter wirken zu müssen, murmelte sie in Gedanken, weil sie Intuition und Gefühl in Bezug auf Marketingstrategien zwar brauchte, in Bezug auf Menschen jedoch als Schwäche empfand.

Leicht aufgekratzt drehte sie sich daher mehr zu ihrer Assistentin, weil die nicht antwortete und bemerkte ihren starren Blick hin zur Tür. Automatisch schwenkte auch sie ihren Blick zum Eingang und erstarrte ebenfalls.

Der Kunde.

Zehn Minuten zu früh, dachte Barbara. Kein Klopfen, kein Fragen. Der Mann nimmt sich was er will. Es war eine Schnellzusammenfassung, ehe seine große Statur und seine blauen Augen sie kurz ablenkten. Gutaussehend, um die vierzig. Grau meliertes Haar, vielleicht etwas älter, aber offensichtlich sehr sportlich. Mit Sicherheit streng und autoritär, ergänzte sie im Stillen und blieb an seinen Augen hängen. Unheimlich. Es war eine effiziente Zusammenfassung von vielen verschiedenen Eindrücken, die stets von einem Gegenüber auf sie einprasselten. Auch, wenn das meiste unterschwellig war. Auf Maßanzug, Größe, Alter und Attraktivität brauchte sie nicht näher eingehen. Das Nicht-Offensichtliche war es, das in ihren Augen zählte, denn sie stufte ihn als einen von diesen Haien ein, der über Leichen ging. Rücksichtslos, brutal, unmenschlich. So schnell ging das Abchecken in ihrer Welt. Das Einzige, das sie bei ihrem Schnellcheck irritierte, war die Tatsache, dass seine Augen sie immer wieder ablenkten. Als würde leuchtende Farbe aus ihnen heraustropfen und mit ihrer Intensität alles und jeden hypnotisieren. Das kann er sowas von vergessen, dachte sie automatisch, weil sie meinte ihn schon in den ersten Sekunden völlig richtig einschätzen zu können und automatisch ein paar unsichtbare Schutzschilde hochfuhr. Sie würde sich nicht beeindrucken und nicht hypnotisieren lassen! Männer wie er meinten immer alles zu bekommen und … das konnten sie ja auch ruhig! Nur nicht von ihr. Sie war schließlich schon lange genug in diesem Business, um sich nicht von jeder Kleinigkeit beeindrucken zu lassen. Auch, wenn diese Kleinigkeit gut 1,85 Meter groß war.

Barbara setzte ihr freundlichstes Profilächeln auf. Das Spiel konnte beginnen.

„Herr Quantika?“, fragte sie und stellte den Kopf leicht schief.

„Frau Razzolis?“, antwortete er mit einer Gegenfrage, ohne seinen Namen zu bestätigen und sein Kopf blieb auch gerade und spiegelte kein bisschen ihre Bewegung wider. Was so viel bedeutete wie … dieser Mann ließ sich vorerst einmal kein bisschen auf sie ein. Diese Nachahmungen von Bewegungen passierten automatisch, wenn ein gewisser Draht vorhanden war oder angestrebt wurde und das war hier nicht der Fall. In die Karten wollte er sich jedenfalls nicht so leicht schauen lassen.

„Ja, die bin ich. Herr Quantika, …“ Sie tat einfach so, als hätte er seinen Namen bestätigt, denn sie hatte keine Lust erneut nachzufragen. „… ich präsentiere Ihnen heute einen Erstvorschlag zur Markteinführung Ihres Produktes.“

„Gut.“ Er kam auf sie zu und reichte ihr unverbindlich die Hand. Zumindest empfand sie es so. Ihrem Empfinden nach hätte er auch irgendetwas anderes sagen können und es wäre genauso unpersönlich bei ihr angekommen. Selbst ein „Oh, wie wunderbar, sie wunder-, wunderschöne Frau!“, hätte vermutlich den gleichen emotionslosen Beigeschmack gehabt wie dieses labbrige ‘Gut‘. Warum das so war, konnte sie gar nicht mal sagen, aber selbst sein Händedruck erschien ihr nichtssagend. Als wäre der Mann am liebsten gar nicht hergekommen.

„Darf ich vorstellen … meine Assistentin Farah Rebenstein“, erklärte Barbara dennoch freundlich und deutete auf ihre Mitarbeiterin. Nur, weil der Kunde alles andere als ein emotionaler Wonnebrocken war, musste sie ja nicht unfreundlich werden oder von ihrer Profilinie abweichen. Bis zu einem Zeitpunkt eben, wo schließlich doch immer Klartext geredet werden musste, weil Fakten an der Reihe waren. Doch davon waren sie noch weit entfernt! Sie befanden sich noch in der Begrüßungsphase und der werte Herr Unnahbar würde schon noch auftauen. So, wie hoffentlich ihre Assistentin, denn die war noch immer irgendwie sprachlos seit dieser Mann den Raum betreten hatte. Gut, seine Augen waren wirklich gewöhnungsbedürftig, aber Barbara hatte gar das Gefühl, ihre Assistentin wäre irgendwie implodiert. Herr Quantika wandte sich in der Zwischenzeit an Farah und schien bei ihrem hübschen Anblick doch noch ein wenig aufzublühen.

„Farah?“, fragte er eindringlich und eine Nuance tiefer, weil er offensichtlich entzückt war. „Es ist mir ein Vergnügen“, ergänzte er dann sogar mit sanfter Stimme und machte Barbara hellhörig. Der ist ja wie ausgewechselt, dachte sie ein wenig verwirrt, weil er mit ihr völlig anders gesprochen hatte. Dazu bohrten sich seine Augen geradezu aufdringlich in die weit aufgerissenen ihrer Assistentin und das war schon fast peinlich. Als wollte er sie jetzt gleich mit Haut und Haar verschlingen, der böse, böse Wolf. Und das, obwohl sie hier ja wohl das Rotkäppchen war, zumindest von den Haaren her. Rot und so.

Schnell schob sie den unsinnigen Gedanken beiseite und konzentrierte sich wieder auf ihre Profilinie. Trotzdem war offensichtlich, dass der Typ auf Farah stand und sie auch anmachte. Was lächerlich war, weil er sie, also die eigentliche Ansprechperson im Projekt, dafür links liegen ließ. Farah war zwar hübsch, aber gerade mal neunzehn Jahre alt und der Mann war über Vierzig. Was hatten Männer aber auch immer mit zu jungen Frauen oder mit jenen, die leicht zu beeindrucken waren? War es wirklich so toll, wenn das Weibchen zum Vorschein kam und in die Knie ging? Und checkten diese Männer eigentlich, dass sie selbst unterm Strich dann einfach nur alt waren?

Irgendwie machte Barbara das fuchtig, obwohl noch rein gar nichts passiert war. Sie befanden sich weiterhin in der Vorstellrunde und trotzdem hatte sie das Gefühl schon einen ganzen Roman zu dem Mann schreiben zu können. Topmanager und ihr Drang nach jungem Gemüse, ging ihr gerade durch den Kopf, weil Quantika sie so brutal ignorierte und ihre Assistentin dafür genauso brutal anbaggerte. Sie wusste, sie dachte sich gerade in einen Wirbel hinein, aber aus irgendeinem Grund provozierte der Mann sie mit seiner lässigen und arroganten Ausstrahlung. UND seinen Augen.

Dabei konnte ihr das im Grunde egal sein. Sie hatte da darüber zu stehen und durfte solch ein Verhalten auch nicht persönlich nehmen. Vor allem, weil sie eine taffe Frau war. Genau genommen war sie eine Schönheit, hatte rote, lockige Haare, grüne Augen und eine schlanke Figur mit guten Rundungen. Ihr Temperament war feurig, denn sie hatte irisch-italienische Wurzeln. Niemand konnte sich über sie als Frau beschweren. Niemand.

„Können wir dann starten?“, fragte sie schließlich, weil Herr Quantika immer noch ganz fasziniert von ihrer Assistentin war und dieses Interesse allmählich wirklich peinlich wurde. Zumindest regte sich in Barbara nicht nur der Wunsch hier das weitere Vorgehen energischer zu dirigieren, sondern auch … ihre Assistentin zu beschützen.

Quanitka blickte kurz zu Barbara, als hätte er ihre Anwesenheit völlig vergessen und nickte ihr dann zu. Die Augen sind wirklich komisch, dachte sie und registrierte, dass sie etwas an diesem Mann sehr beunruhigend fand. Als würde sein Erscheinungsbild nicht zusammenpassen oder sonst was nicht mit ihm stimmen. Sein Gesicht wirkte zu jung für die grauen Haare und phasenweise hatte sie den Eindruck, dass er nie und nimmer ein Geschäftsmann sein könnte. Maßanzug hin, passender Termin her.

„Wo darf ich mich platzieren?“, fragte er und Barbara verkniff sich das „Auf den Arsch“ und blieb weiterhin Profi. „Wo auch immer Sie möchten!“, meinte sie daher freundlich und staunte nicht schlecht, als er sich bei dem großen Tisch mit den zig Sesseln und Möglichkeiten ausgerechnet auf jenen setzte, wo sie sonst immer Platz nahm.

Nach nur fünfzehn Minuten war Barbaras Präsentation vorüber, der Werbeslogan vorgetragen, die mögliche Umsetzung offengelegt und die Einzigartigkeit des Produkts unterstrichen. Sie hatte auf heiße Momente mit Eis gesetzt und klar einen gewissen Prickelfaktor mit einbezogen. Rosenessenz erzielte eine ganz besondere Geschmacksnote und der Duft einer Rose war sinnlich. Selbst die Form der Blume war es und die Schönheit der Blüte sowieso immer einzigartig. Doch der Kunde hatte die ganze Zeit nicht wirklich zugehört und auch keinen Ton von sich gegeben. War auf seinem Stuhl herumgerutscht und hatte demonstrativ gegähnt. Auch jetzt schien er nicht sonderlich beeindruckt zu sein und versuchte entweder extra cool zu wirken oder er war nicht in der Lage zu folgen. Blödi, dachte sie verärgert, weil sein Verhalten für sie eine Zumutung war.

„Gut“, sagte er schließlich, weil er doch irgendwann bemerkte, dass sie etwas hören wollte. Doch diese schnoddrige Bewertung war in Anbetracht der Arbeit, der Zeit und des Inhalts viel zu wenig. Sie hatte hier einen mehr als guten Vorschlag gemacht und da war seine Ignoranz unangebracht. Herr Quantika meinte offenbar auch mit diesem einen Wort schon alles gesagt zu haben. Lächerlich, dachte sie, denn er fragte zu keinem einzigen ihrer vorgebrachten Punkte etwas nach, gratulierte nicht zur wesentlichen Aussage der Strategie oder zur Verknüpfung mit den empirischen Daten, noch tat er sonst IRGENDETWAS das Interesse vermittelte. Und damit meinte sie Interesse am eigenen Produkt, an dessen Vermarktung, an dem Termin an sich oder … ja, okay … auch an ihr. Es war zum Aus-der-Haut-fahren, dass der Mann so gar nicht beeindruckt war von ihr. Stattdessen widmete er sich lieber ihrer Assistentin und ließ sich von der sogar noch einmal Kaffee nachschenken. Und zwar seelenruhig.

Farah benahm sich auch seltsam, wie ein entzücktes Groupie. Aber warum eigentlich? Barbara verstand es wirklich nicht. Der Mann war doch viel zu alt für ihre Assistentin und eindeutig ein Hai. Nur der blauen Augen wegen, oder wie? Farah hatte sich zwar nicht wirklich danebenbenommen, aber sie schien die ganze Zeit an den Lippen des Mannes zu hängen, um ihm jeden Wunsch davon abzulesen. Krank. Einfach nur krank, dachte Barbara, weil sie das Verhalten ihrer Assistentin fast noch mehr irritierte, als das von diesem Herrn Quantika.

„Wie finden Sie die Namensgebung?“, hakte sie daher ein wenig forscher nach, um seine Aufmerksamkeit wieder auf das Wesentliche zu lenken. Doch der Mann war nicht wirklich aus der Ruhe zu bringen, blickte auch nur kurz zu Barbara und machte deutlich, dass sie ihn hier gerade beim Flirten störte.

„Was haben Sie gefragt?“, meinte er dann noch arrogant und Barbara musste alle Register ziehen, um keine patzige Antwort zu liefern. Sein Desinteresse am Wesentlichen war schon eine Frechheit. Ein bisschen Geplänkel war in der Regel ganz gut fürs Geschäft, doch dieser Mann plänkelte ja noch nicht einmal: Er schien mittlerweile ausschließlich wegen Farah gekommen zu sein.

„Entschuldigen Sie, Herr Quantika. Ich habe eine Strategie entwickelt und einen Namen kreiert und das ohne exaktem Briefing. Unsere Agentur war bereit Zeit zu investieren, weil wir Sie und Ihre Firma schätzen und gerne als Kunden gewinnen möchten …“

„Aber?“, unterbrach er sie forsch und Barbara hielt für einen Moment die Luft an. Mit Unterbrechungen konnte sie nicht so gut umgehen. Mit seinen funkelnden Augen auch nicht.

„Es kommt doch sicher gleich ein ABER“, erklärte er mit fester Stimme.

„Schon, doch …“

„Wissen Sie, Frau Razzolis …“, unterbrach er erneut. „Alles was vor einem ABER kommt, ist meist für die Katz. Daher frage ich lieber gleich, was Sie mir sagen wollen.“

„Hm.“ Trotz seiner Kaltschnäuzigkeit hatte er in der Sache nicht Unrecht. Ihre eigentliche Aussage wäre ja wirklich erst nach dem ABER gekommen. Aber wenn er schon so direkt war, dann konnte sie ja wohl auch direkt ansprechen worum es ihr ging.

„Sie wirken nicht sehr interessiert“, schleuderte sie ihm entgegen, obwohl sie so etwas sonst nie zu potentiellen Kunden sagte.

„Tu ich nicht?“, fragte er unschuldig, aber mit einem Blick in ihre Richtung, den sie gerade nicht deuten konnte. Außerdem schien er nie etwas zu beantworten, sondern immer nur Gegenfragen zu stellen. Eigenartig, dachte sie gerade, als der Mann sogar zu lächeln anfing und in ihren Augen damit noch seltsamer wurde. Als wäre er tatsächlich an keiner Marketingstrategie interessiert oder an seinem eigenen Produkt, sondern nur an einem Spiel, das sie noch nicht kapierte.

„Ich bin durchaus interessiert“, konterte er in arrogantem Tonfall, während seine Augen auf eine Weise blitzten, die mehr denn je als unnatürlich zu bezeichnen war. „An Ihrer kühlen Professionalität, an Ihrem heißen Kaffee, der sich offenbar auch auf Ihrer Bluse befindet und natürlich an … Ihrer Assistentin.“

Was?

Barbara sog empört die Luft ein und Quantika lehnte sich zufrieden zurück, als hätte er einen vernichtenden Angriff geliefert. Zudem warf er einen demonstrativ eindringlichen Blick in Farahs Richtung, als hätte er sie sowieso schon längst in der Tasche … oder demnächst in seinem Bett. Dass er zusätzlich den Kaffeefleck auf Barbaras Bluse bemerkt hatte, war eigentlich nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

„Herr … Quantika …“, begann Barbara in einem teuflischen Tonfall. Sie betonte den Namen besonders hart und beugte sich etwas mehr über den Tisch, als wollte sie ihm einen Fehdehandschuh zuwerfen, oder ihn den Kaffeefleck noch genauer begutachten lassen. „Sie mögen es nicht gewohnt sein, dass Ihnen jemand sagt, wie arrogant und sexistisch Sie gerade wirken, aber ich tue es. Wir sind nicht hier, damit Sie meiner Assistentin schlaflose Nächte bereiten, sondern wegen Ihrem Produkt. Nicht wegen mir, nicht wegen dem Kaffee und nicht wegen einem Date.“ Das war zwar ein wenig mehr ‚Angriff‘, als sie zu dem Zeitpunkt schon vorgehabt hatte, doch dieser Charmebolzen verdiente kein freundliches Gesülze. Da konnte ihr Chef fordern und um Hilfe bitten was er wollte, sie hatte sicher nicht vor, diesem Mann ihre Meinung zu ersparen. Und sie hatte auch ganz sicher nicht vor, sich vor ihm zu ducken.

„Dornen?“, fragte der Mann wie aus dem Zusammenhang gerissen und Barbara verstand nicht worauf er hinauswollte.

„Wie bitte?“, fragte sie auch sofort. Sie hatte gerade vom Profi- in den Kampfmodus gewechselt und war damit beschäftigt nicht Vollgas zu geben. Schwierige Kunden waren alles in allem trotzdem immer Kunden.

„Eine Rose mit Dornen“, erklärte er inzwischen recht trocken und schüttelte dabei den Kopf, als hätte Barbara nun endgültig jede Chance auf den Hauptgewinn vertan und dieser Hauptgewinn war natürlich er und sein Produkt. Steck dir alles sonst wo hin, dachte sie automatisch, weil er allein durch sein löchriges Briefing ja schon gezeigt hatte, dass er im Grunde kein Interesse an einer Zusammenarbeit haben konnte. Und nicht nur das! Er hatte ganz klar auch kein Interesse an seinem eigenen Produkt. Warum er sich also die Mühe machte überhaupt hier aufzutauchen, war ihr mittlerweile ein Rätsel. Noch viel mehr Rätsel war es, warum SIE sich die Mühe machte weiter mit ihm zu sprechen. Der Mann war einfach nur unmöglich. Und – hoppla – plötzlich auch irgendwie sehr blass.

„Gut, dann werde ich mal wieder gehen …“, begann er dann so passend patzig, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Er stand sogar abrupt auf und Barbara war völlig perplex von seiner Überreaktion. Allerdings hatte sie wirklich mehr und mehr den Eindruck, als wäre ihm plötzlich schlecht geworden.

Dünnpfiff, daher die Eile … kombinierte Barbara mit einem gemeinen Lächeln, ehe sie auch diese Erklärung als Frechheit empfand. Offenbar war ihm schlecht von ihrer Präsentation geworden war und das war nun wirklich zu viel für ihr Ego. Dabei hatte sie gute Arbeit geleistet und sich auch nichts vorzuwerfen, wohingegen alles von ihm ja wohl eine Frechheit war. Und als er dann tatsächlich zur Tür ging, dachte sie nur noch ein … Echt jetzt?

Barbara war richtig perplex, weil sein Verhalten so nach Kurzschlusshandlung aussah. Desinteresse, Dornengefasel und dann Abgang. Wirklich normal war an seinem schnellen Aufbruch nichts. Vielleicht hätte sie ein schlechtes Gewissen haben sollen, weil sie ihm so direkt ihre Meinung gesagt hatte, doch in Wahrheit empfand sie nur Richtigkeit. Die Chemie zwischen ihnen hatte von Anfang an nicht gestimmt und sie hatte es wirklich nicht notwendig dem Mann in den Allerwertesten zu kriechen. Selbst als potentieller Kunde durfte er sich nicht alles erlauben und ja … vielleicht war ihre Toleranzgrenze heute speziell niedrig. Philipp hatte sie zwar um diesen Auftrag gebeten, doch wenn ihm der Kunde wirklich wichtig gewesen wäre, hätte ER bei der Präsentation ja anwesend sein können.

Bevor der werte Herr Quantika aber den Raum verlassen konnte, warf sie ihm noch schnell einen essentiellen Hinweis hinterher.

„Wir schicken Ihnen dann eine Rechnung über die Aufwandsentschädigung. Auf Wiedersehen, Herr Quantika.“ Sie konnte nicht anders, als diese Möglichkeit in den Raum zu stellen und an seine Kehrseite zu richten. Eine Aufwandsentschädigung war zwar erstmals nicht vereinbart worden, aber das war ihr gerade egal. Der Mann war seltsam und sollte wissen, dass hier keiner umsonst arbeitete. Und sie erreichte mit ihren Worten ihr Ziel, denn er blieb noch einmal stehen, obwohl ihm sichtlich übel war. Er wirkte sogar noch blasser als zuvor und schien tatsächlich mit einer ‚plötzlichen‘ Magenverstimmung zu kämpfen.

Frechheit, dachte sie nur und hatte kein Quäntchen Mitgefühl. Und das zurecht, denn seine Augen blitzten nach ihren provokanten Worten böse in ihre Richtung und sein Mund verzog sich zu einem sardonischen Lächeln.

„Sie können schicken was auch immer Sie wollen. Es wird – wie Ihre gesamte Strategie – einfach nur im Müll landen.“ Und das sagte er mit solch abgrundtiefer Gehässigkeit, dass ganz klar war, wie der Mann in Wirklichkeit tickte. Maßanzug hin, dunkelblaue Strahleaugen her: Er war ein Kotzbrocken und genau so, wie sie von Anfang an vermutet hatte … ein Hai, der wusste wie man seine Gegner entweder um den Finger wickeln oder verletzen konnte. Doch Barbara meinte den wahren Grund für sein Verhalten bereits zu kennen: Mit Sicherheit hatte er längst eine andere Agentur an der Hand und einen fertigen Werbevertrag in der Tasche. Menschen wie er spielten doch nie mit offenen Karten und Vergleiche mit anderen Agenturen stellte er vermutlich nur an, um seine bereits getroffene Wahl zu untermauern. Dass er das auf Kosten anderer tat, machte ihn dabei nicht gerade sympathischer. Anständig ist anders, dachte sie und hatte gute Lust dem Mann die blauen Augen auszukratzen. Wer brauchte auch schon derart viel von dieser Farbe? Ein paar Kratzer und das Blau würde zu einem wirklich schönen Rot werden. Schöne Vorstellung, dachte sie kämpferisch, denn sie hasste nichts mehr als ausgenutzt oder schlecht behandelt zu werden. Der Mann erreichte bei ihr jedenfalls das Gegenteil von dem, was er bei ihrer Assistentin schaffte. Deren Gehirn mochte er irgendwie mit seinem Auftreten und seinem Aussehen geblendet und gegrillt haben, doch sie wollte sich weder beeindrucken, noch einschüchtern zu lassen … von der Spezies ‚Mann mit Extrablau‘.

„Lassen wir es darauf ankommen“, lachte sie betont locker, denn Aufwandsentschädigungen waren üblich in der Branche und ein Anwalt würde das ähnlichsehen.

„Sie sagen es! Wir lassen es darauf ankommen“, ätzte er zurück und sie hatte plötzlich das Bedürfnis ihm noch mehr von ihrer ganz persönlichen Meinung unter die Nase zu reiben. Auch, wenn sie sich damit nun wirklich kilometerweit von ihrer ‚ach so geliebten‘ Profilinie entfernte. Hier war gerade Endzeitstimmung und der Mann hatte ganz klar ausgesprochen, dass ihre Strategie Müll war. Sie wollte zwar unbeeindruckt wirken, hatte aber doch das Bedürfnis ihre Qualität unter Beweis zu stellen. Dafür aber auf eine gehässige Weise.

„Wenn Sie schon ein Eis mit Rosenessenz kreieren, dann färben Sie es doch das nächste Mal entsprechend blumig und pressen es in eine schöne Form. Schleckeis in Form einer Rose oder kleine Verwöhnpralinen aus Eis in ansprechender Form als Verzierung auf diversen Desserttellern … mein Gott, da gäbe es so viel zu überlegen, wenn jemand in Ihrem Team ein bisschen kreativ wäre. Das derzeitige Erscheinungsbild ist lachhaft langweilig! Aber in diesem Punkt war Ihr sonst so löchriges Briefing ja wiederum sehr konkret, denn genau Farbe und Form waren fix vorgegeben: Weiß und eckig. Der Tod eben einer guten Idee, aber hey – wenigstens schmeckt Ihr Eis meiner Assistentin.“ Barbara stampfte vor Wut sogar kurz mit einem Bein auf, womit sie ihren schönen Busen zum Wippen brachte und seinen Blick kurz ablenkte, aber sie hatte einfach keine Lust diese Emotion zu unterdrücken. Sie wollte stampfen, sie wollte eigentlich auch brüllen.

Völlig unprofessionell, dachte sie zwar kurz, fand es aber insgesamt doch gut. Einfach NUR gut, wiederholte sie in ihrem Kopf, während Farah schlicht der Mund aufklappte. Die ganze Zeit hatte ihre Assistentin diesen Mann angehimmelt und nichts von sich gegeben, aber jetzt zeigte sie ganz klar, wie schockiert sie war, weil ihre Chefin so aufbrausend und direkt mit einem potentiellen Kunden sprach. Auch Herr Quantika war von Barbara mit einem Mal ziemlich überrascht, war sogar noch eine Spur blasser und wie zur Salzsäule erstarrt. Und genau das kapierte Barbara so gar nicht, denn ihr kam es vor, als würde er sie überhaupt zum ersten Mal sehen. Als hätte sie sich davor in einem Paralleluniversum gelebt und wäre nur mit einer gewissen Lautstärke und Aggression in seiner Wahrnehmung aufgetaucht. Haha. Sie konnte richtig spüren, wie ein Zahnrädchen ins andere einhakte und er irgendetwas zu begreifen schien, das sich sowieso ihrer Kenntnis entzog. Was dann definitiv der komischste Moment vom ganzen Treffen war. Er hatte eine Erkenntnis oder irgendeine andere Art von Fehlzündung und sie verstand die Welt nicht mehr.

Vielleicht habe ich ihn ja geschockt.

Oder schockgefroren.

Sie wusste wirklich, nicht was er jetzt schon wieder hatte. Erst nach ein paar Sekunden blinzelte er und starrte dann Barbara so eindringlich in die Augen, als wollte er ihre Augäpfel bis auf den Grund und darüber hinaus erforschen. Und das nicht etwa um ihre Seele zu erkunden, sondern um all das unappetitliche Zeug wie Fleisch, Nerven und Adern zu sehen. Der Mann war einfach nur unheimlich und die fleischige Vorstellung irritierte Barbara, sodass SIE nun heftig zu blinzeln anfing und ihr sogar schlecht wurde. Als wäre SEINE Übelkeit ansteckend oder sein Blick der Auslöser. Vielleicht ein Virus, dachte sie noch, obwohl sie wusste, dass eine Ansteckung nicht so schnell funktionierte und sicher auch nicht zu spüren war. Dennoch war ich gerade übel und das ging ja wohl gar nicht! Egal, was sich dieser Herr Quantika einbildete, wie krank er war oder wie eindringlich … sie wollte sich nun mal nicht verunsichern, anstecken oder beeindrucken lassen. Und dabei hatte er sein Auftreten gerade völlig verändert! Von arrogant und teilnahmslos war keine Rede mehr. Er kam auch mittlerweile auf sie zu und das fast schon gemächlich.

Wie ein Raubtier.

Barbara schluckte hörbar, blieb aber möglichst aufrecht stehen und stellte auch das dumme Blinzeln wieder ein. Hier Angst zu zeigen, war keine Option. Dabei kribbelte ihr ganzer Leib und selbst ihre Zehenspitzen schienen unter Strom zu stehen. Was geht denn hier ab? Springt er mich jetzt an, oder wie? Wenigstens blieb der Mann gut einen Meter vor ihr stehen. Sein Teint war immer noch käsig und sie meinte sogar kleine Schweißperlen auf seiner Stirn zu sehen, doch seine Augen zeigten von all dem nichts, waren nur auf sie gerichtet und hielten sie in einem Fokus, der total spürbar war und ihren Körper wie mit unsichtbaren Fesseln umschlang. Mit solch offener Feindseligkeit konnte sie jedenfalls nur bedingt cool umgehen.

„Diese Frechheit …“, knirschte er inzwischen. „… werden wir wohl zu gegebener Zeit noch ausführlicher besprechen“, ergänzte er betont trocken und kam doch noch eine Spur näher. Was wohl einschüchternd hätte sein sollen und auch war. Doch Barbara nahm all ihren Mut zusammen und blieb weiterhin aufrecht stehen. Sie sah ihm auch fest in die Augen, denn sie hatte keine Lust hier umzufallen oder sich vor ihrer Assistentin zu blamieren. Sicher nicht, dachte sie mit einer Vehemenz, die sie viel deutlicher empfand als sonst, wenn sie ihre Stellung behaupten wollte.

„Sie sind eine starke, temperamentvolle Frau. Irische Wurzeln nehme ich an. Ihr italienischer Nachname stammt vermutlich von Ihrem Ehemann.“ Es war eine Feststellung, keine Frage, obwohl er doch irgendwie auf eine Antwort wartete. Und genau die würde sie ihm nun mit Sicherheit nicht geben. NICHTS würde sie diesem Mann geben, schon gar keine weitere Blöße.

„Auf wiedersehen, Herr Quantika!“ War daher die einzig richtige Antwort.

„Das sagten Sie schon.“

„Dann haben Sie ja verstanden, dass unser Gespräch längst vorbei ist“, antwortete sie und zeigte ihm ganz konkret, wo sich hier der Ausgang befand. Nämlich hinter ihm, gleich neben dem WC.

„Das …“ Er lächelte irgendwie schräg. „… wird ein Nachspiel haben“, sagte er noch und ihr mulmiges Gefühl wurde deutlich unangenehmer.

02.Kapitel

Zuhause schenkte sie sich gleich einmal ein Glas Burgunder ein. Die satte Farbe des Weins faszinierte sie und das Bouquet war auch noch nach zwei Tagen sehr gut. Sie war jetzt nicht so die Weinkennerin, aber sie wusste was ihr schmeckte und sie hatte jetzt einfach Lust auf Wein. Vorgestern hatte sie ihn für ihren Nachbarn geöffnet, der spontan auf einen Sprung vorbeigekommen war. Schon seit einer Ewigkeit baggerte er sie am Flur immer wieder an und Barbara hatte die Gelegenheit genutzt ihm zu verdeutlichen, dass zwischen ihnen immer nur Freundschaft bestehen würde.

„Vielleicht später mal“, murmelte sie in ihr Weinglas und war froh alleine zu wohnen. So konnte sie nach einem langen Tag endlich richtig entspannen ohne auf Befindlichkeiten eines Partners eingehen zu müssen oder ohne einem Mann noch hinterher zu räumen. Wobei … laut ihrer Assistentin hatte sich das Männerbild in den letzten Jahren sowieso völlig gewandelt. Die Männer sind jetzt schöner und gepflegter und zudem einfühlsamer und multitaskingfähig. Als hätte ein ganzer Schlag es notwendig von ihrer Assistentin beworben zu werden oder als hätte SIE es notwendig sich alt und als einer völlig anderen Generation zugehörig zu fühlen! Noch dazu, wo dieser Quantika gut weitere fünfzehn Jahre älter war als sie. Opa, ätzte sie böse, weil der Mann sich heute so unmöglich benommen hatte.

Die Recherche im Vorfeld war im Sand verlaufen. Über den Auftraggeber und die Firma Frostfood hatte sie nicht allzu viel in Erfahrung gebracht. Zumindest nicht in der kurzen Zeit. Das löchrige Briefing war ihr als sehr dringlich vor den Latz geknallt worden und sie hatte schlicht keine Zeit gehabt hier weiß Gott wie in die Tiefe zu gehen. Die Firma selbst besaß zwar eine Homepage, aber die wirkte lieblos und notdürftig zusammengestellt. Wie ein Auszug aus dem Handelsregister. Ihr Chef, Philipp, war bis morgen auf Dienstreise und daher hatte sie ihm das Ergebnis des unerfreulichen Meetings auf die Sprachbox gequatscht. Genaueres würde sie ihm morgen persönlich erzählen und erneut darauf hinweisen, dass derartige Schnellschüsse meist zum Scheitern verurteilt waren.

Immerhin war sie im Vorfeld bis zum Produktmanager von Frostfood vorgedrungen und hatte die geheime Zutat der Rosenessenz eruiert. Was an sich schon erschütternd war, weil sie an die Geheimzutat leichter rangekommen war als an diesen Quantika. Selbst im sozialen Netzwerk hatte sie nichts über den Mann gefunden und jetzt … jetzt hatte sie auch keine Lust mehr genauer nachzufragen. Ärschen schickt man bekanntlich keinen Gedanken zu viel hinterher, dachte sie noch und bezog das auch auf ihren Chef, der auf ihr SMS und ihre Sprachnachricht nicht reagiert hatte.

Barbara schwenkte das Glas und nahm einen ordentlichen Schluck. Vielleicht machte Philipp sie ja für das Scheitern des Auftrags verantwortlich und strafte sie absichtlich mit Ignoranz. Wer wusste schon wie er gerade tickte. Und Farah? Die hatte sich nicht etwa für ihre Schützenhilfe bedankt, sondern kaum mehr etwas mit ihr gesprochen. Dabei hatte sie Farah doch ganz klar vor den Aufdringlichkeiten des Mannes gerettet! Ganz klar, murmelte sie in ihr Weinglas. Aber noch Stunden später hatte ihre Assistentin ständig seltsam geguckt, als hätte sie irgendeinen Schock zu verdauen.

„Gibt’s doch nicht! Dabei sollten mir Philipp und Farah dankbar sein, dass ich ihnen einen Kotzbrocken vom Leib gehalten habe.“ Automatisch prostete sie sich selbst im Spiegel zu und öffnete den Eiskasten, um sich Linguine al funghi von gestern zu wärmen. Sie kochte eigentlich sehr gerne, aber heute war sie zu erledigt und dankbar, dass sie nicht noch viel Schnippelarbeit erledigen musste.

Sie wollte gerade den Herd einschalten, als es an der Tür läutete.

„Um diese Zeit?“, redete sie völlig ungeniert mit sich selber und sah auf die Uhr. Es war schon fast 21.30 Uhr, weil sie heute besonders lange im Büro geblieben war und dann über eine Stunde mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause gefahren war. Mit fragendem Blick näherte sie sich also der Tür und tippte am ehesten noch auf ihren Nachbarn mit dem sie den Wein geöffnet hatte. Doch als sie den kleinen Metallverschluss des Türspions zur Seite schob, sah sie nichts als ROSA.

Hä?

„Wer ist da?“, fragte sie laut.

„Blumen für Razzolis!“, antwortete eine helle Frauenstimme und auch, wenn die späte Zeit ungewöhnlich war, so lag es vor allem an der Frauenstimme, dass sie die Tür doch öffnete.

„Von wem …?“, begann sie und stockte, denn die Tür war noch nicht mal zur Hälfte offen, als sich die Person mit dem riesigen Blumenstrauß zu ihr hereindrängte. Und riesig traf es nicht mal im Ansatz, denn das mussten gut an die 100 englische Rosen sein, die sich ihr hier entgegendrängten. Vermutlich hätte sie energisch Einhalt gebieten oder laut werden sollen, aber sie war müde, hatte nicht mit einem dreisten Vorwärtsdrängen gerechnet und stammelte nur ein verwirrtes: „Was soll das?“, als die Person, die die Blumen lieferte auch schon auf sie drauffiel. Mit all den schönen Blumen und einem leisen Fluch auf den Lippen. Was dann doch alles so schnell ging, dass es wie eine Attacke auf ihre Standfestigkeit und auf ihre Sinne war, denn der Anblick von einem Meer aus rosafarbenen Rosen war gigantisch und der überschäumende Rosenduft erwischte sie schwallartig und hätte sie wohl verzaubert, wenn nicht alles so durcheinander gewesen wäre. Der halbe Strauß flog durch die Gegend, drängte sie mit seinen wuscheligen Blüten nicht nur weiter in die Wohnung zurück, sondern löste sich zeitgleich auf und verteilte sich rechts und links von ihr. Rosen wirbelten durch die Luft, andere drückten sich in ihr Gesicht und irgendwann machte die rosa Pracht Platz für eine kleine, schnaufende Person, die am Ende an Barbaras Körper hing und sich festhielt, um nicht selbst auch noch am Boden zu landen. In den Händen hielt das Mädchen nur noch einen Abklatsch des eigentlichen Straußes und ein paar der Rosen waren geknickt. Die Blumenlieferantin hatte sich entweder zu sehr gegen ihre Tür gelehnt oder war gestolpert. So oder so hatte sie den Hauptteil ihre Lieferung aus den Händen verloren und sie Barbara quasi um die Ohren gepfeffert. Zum Glück aber war die halbwegs standfest und hatte die Lieferantin sogar aufgefangen.

„Shit“, zischte das Mädchen inzwischen, starrte mit großen braunen Augen zu ihr hoch und löste sich so rasch als möglich wieder von ihr. „Sorry Lady, aber die waren mir eindeutig zu schwer ...“ Sie sprach nicht weiter und sah sich die Bescherung genauer an. Mehr als zwei Drittel der Rosen lagen im Eingangsbereich verstreut. „Tut mir echt leid. Bitte kann ich das schnell aufheben und wieder zusammenstellen, dann brauchen Sie meinem Boss gar nichts von dem Missgeschick zu erzählen, okay?“ Doch Barbara interessierte sowieso gerade etwas anderes.

„Wer schickt Sie denn zu solch einer Stunde mit einem DERARTIGEN Strauß zu mir?“ Schließlich hatte sie längst begriffen, dass es sich hier nicht um einen Überfall, sondern um einen Unfall handelte. Automatisch nahm sie der jungen Frau den Rest vom Blumenstrauß aus den Händen. Was einen neuerlichen Duftschwall auslöste und Barbara entzückte, obwohl hier gerade das volle Chaos herrschte. Sie bekam sogar richtig Gänsehaut, weil der Duft einfach unbeschreiblich war und es sich bei den Rosen um genau ihre Lieblingssorte handelte.

„War anonym!“, keuchte das Mädchen, das sich auf den Boden kniete und hektisch alle Rosen zusammenklaubte. Wenigstens waren die Blumen so frisch, dass sie kaum Blütenblätter verloren. „Haben Sie vielleicht einen Kübel? In eine Vase bringen Sie die sowieso nicht alle rein.“

„Oh. Ja. Klar.“ Barbara war noch ein wenig durcheinander und schnupperte dazwischen wie verrückt an den wunderschönen Blüten. Als Rothaarige sollte sie vielleicht nicht so auf Rosa stehen, aber sie konnte nicht anders. Aus ihrem Kleiderschrank hatte sie die Farbe zwar verbannt, aber das hieß nicht, dass es nicht das eine oder andere rosafarbene Detail in ihrer Wohnung gab und sie liebte nun mal genau diese rosa Rosen. Sie war immer noch ganz angetan, obwohl sie sich auch allmählich fragte, wer überhaupt von ihrer Vorliebe für diese Sorte wissen konnte. Wirklich erzählt hatte sie von ihrem Faible niemandem und ihre Männerbekanntschaften der letzten Zeit waren ausschließlich One-Night-Stands gewesen, sprich sie hatten nicht wirklich viel geredet. Ihre Freundinnen konnten vielleicht etwas ahnen, aber warum sollten ihr die um diese Zeit Blumen schicken? Und ihr Exmann lebte in Italien und hatte bereits mehr als nur einen Ersatz für seine ehemalige Ehefrau gefunden.

„Aber da ist irgendwo eine Karte!“, rief das Mädchen inzwischen, während Barbara den Kübel aus dem Abstellraum holte. „Ich werde die schon unter all den Rosen irgendwann finden. Vielleicht nehmen Sie auch einen Besen und eine Schaufel mit!“ Was Barbara dann doch ein wenig säuerlich machte, weil sie hier in ihrem Abstellraum nach Putzutensilien suchen musste, während eine fremde Person in ihrer Wohnung herumräumte.

Als sie zurückkam, war das Mädchen noch nicht wirklich weiter. Dafür hatte sie Tränen in den Augen und blickte nun recht ergriffen zu Barbara hoch.

„Es tut mir so leid. Ich bin so ungeschickt“, heulte sie und Barbara verschob das Sauersein auf später. Das arme Ding wirkte so derart zerknittert, dass sie schon ein Monster hätte sein müssen, um hier nicht Mitgefühl zu zeigen. Automatisch hakte sie ihren entspannten Abend ab und kam mehr auf die Lieferantin zu.

„Ach, vergessen Sie das! Ich helfe Ihnen beim Aufheben, dann machen wir sauber und danach essen wir Linguine und trinken Rotwein. Klar?“

Fünf Minuten später schlug sich das Mädchen den Bauch voll.

„Sie sind wirklich nett“, meinte sie, spießte ein besonders großes Pilzstück auf und sah es verliebt an. „Und Sie kochen Weltklasse.“

„Danke. Warum machen Sie den Job? Ist es nicht unheimlich Blumen zu solch später Uhrzeit auszuliefern?“, fragte Barbara und nahm einen Schluck vom Wein.

„Spät? Es ist doch noch nicht einmal Mitternacht!“ Sie lachte und machte eine Geste, als wäre sie ein Geist. „Nein. Eigentlich nicht. Ich liefere ja nur an Frauen. Unser Laden ist da speziell. Sie schicken Frauen zu Frauen, Männer zu Männern und sie liefern zu jeder Tages- und Nachtzeit.“

„Das muss ganz schön teuer sein.“

„Ist es. Der Herr, der Ihnen die Blumen geschickt hat, war bereit eine Menge hinzublättern.“

„Der Herr …?“

„Wie gesagt … leider anonym. Sorry, dass ich die Karte zu den Rosen nicht gefunden habe. Werden Sie sich beschweren?“

„Aber nein“, lachte Barbara. Sie wollte zwar zu gerne wissen, warum ihr jemand rosa Rosen schickte, aber sie würde der Kleinen sicher keine Schwierigkeiten bereiten. „Das nächste Mal nehmen Sie einfach eine Tragehilfe, sonst stolpern Sie noch mal irgendwelche Stufen runter.“

„Stimmt. Eine Tragehilfe wäre eine Idee. Aber solch eine Menge an Rosen wird normalerweise auch nicht verschickt“, antwortete das Mädchen und schob den leeren Teller von sich. „Danke. Das war köstlich. Jetzt muss ich aber los, sonst schimpft mein Boss. Wir sind da ziemlich überwacht mit GPS und so.“

„Hm. Klingt eigenartig.“

„Ist es. Aber die Kohle stimmt. Also dann … schönen Abend noch“, meinte sie und ging zur Tür.

„Noch eine Frage …“, begann Barbara. „… war die Haustür unten eigentlich offen?“

„Nein“, antwortete das Mädchen und öffnete zeitgleich Barbaras Eingangstür. Ein schneller Blick auf ihre Armbanduhr verdeutlichte, dass sie mittlerweile tatsächlich unter Zeitdruck stand. Trotzdem antwortete sie. „Aber es ist gerade ein Mann rausgekommen und da bin ich gleich rein, um Zeit zu sparen. Oh … hoppla!“, rief sie plötzlich erfreut und bückte sich. „Da ist ja die Karte! Scheint beim Sturz auf dem Gang gelandet zu sein. Fast bei ihrem Nachbarn“, meinte sie noch und gab das Kuvert grinsend an Barbara weiter. Danach blickte sie noch einmal auf ihre Armbanduhr, murmelte einen leisen Fluch und ein lautes „Tschüss“, ehe sie auch schon zum Treppenhaus sprintete.

„Tschüss!“, rief ihr Barbara noch hinterher, hatte aber bereits nur mehr Augen für das kleine, weiße Kuvert. Jetzt bin ich aber mal gespannt, dachte sie, versperrte schnell die Eingangstür und riss das Kuvert noch am Weg zu Couch auf. Während sie sich setzte, las sie bereits den kümmerlichen Text.

„Rosen ohne Dornen“, stand da in großen Lettern auf einer weißen, viereckigen Karte, die plötzlich eine unheimliche Ähnlichkeit mit dem frostigen Produkt einer bestimmten Person hatte. Weiß, eckig, langweilig. Barbara musste überdeutlich schlucken, weil sie einen Kloß im Hals hatte. Das mulmige Gefühl, das sie heute schon wegen diesem Quantika verspürt hatte, stellte sich automatisch wieder ein. Allerdings viel stärker.

Viel, viel stärker.

Fassungslos starrte sie auf die Karte und dann hinüber zu den prachtvollen Rosen. Der Mistkerl hatte nicht nur ihre Privatadresse ausfindig gemacht, sondern auch ihre Lieblingsblumen erraten. Zudem hatte er offenbar gewusst wann sie zu Hause ankommen würde, sonst hätte er die Blumen nicht genau fünf Minuten nach ihrem Erscheinen liefern lassen können.

„Scheiße“, zischte sie, weil der unnahbare, streitlustige Mann mit den unheimlichen Augen ihr einfach so Blumen nach Hause schickte. In ihren Augen war das eindeutig grenzüberschreitend, aufdringlich und unangebracht. Als hätte der Teufel ein paar Kohlen aus der Hölle vorbeigeschickt und nicht etwa diese duftende Pracht. Hektisch suchte sie die Karte nach weiteren Hinweisen ab, aber da stand sonst nur noch eine Zahl am unteren Rand: 3.00. Wobei das vermutlich einfach nur eine Seriennummer war. Sonst nichts.

„Zur Hölle mit dir!“, fluchte sie und überlegte sogar die Blumen einfach auf den Flur zu stellen, um ihrem Duft und ihrem farbigen Overkill auszuweichen. Vor allem aber auch, um nicht länger an diesen Quantika denken zu müssen.

Nach einer heißen Dusche sah die Welt schon wieder anders aus. Der Typ hatte sie offenbar um jeden Preis beeindrucken wollen und das hatte er geschafft. Allerdings wollte sie sein Geschenk mittlerweile nicht mehr ausschließlich als Bedrohung sehen. Er hatte sich zwar eindeutig zu weit vorgewagt und ihre Privatsphäre verletzt, aber der Strauß war ja vielleicht auch ein Friedensangebot. Wenn er extra auf Rosen ‚ohne Dornen‘ hinwies, dann wollte er sich auf diese Weise vielleicht für sein unangenehmes Verhalten entschuldigen. Der Arsch, dachte sie in einem gemeinen Nachsatz, weil sie an seine kalten Augen dachte und daran, wie leicht er sie doch vom professionellen Weg abgebracht hatte. Über den Mann selbst hatte sie im Vorfeld nichts in Erfahrung bringen können, aber er hatte das im Gegenzug über sie offenbar ganz leicht bewerkstelligt. Wie sonst hätte er ihre Adresse wissen können, oder welche Blumen sie mochte?

Zum Spaß googelte sie sich vor dem Schlafengehen einfach selber. Sie setzte sich in ihr Bett und klappte den Laptop auf. Vielleicht hatte sie das mit den Blumen irgendwann und irgendwo gepostet und womöglich ließ sich so auch ihre Privatadresse finden. Das mit der exakten Lieferzeit der Blumen hakte sie mittlerweile als Zufall ab, sonst hätte sie davon ausgehen müssen, dass er sie beobachten ließ und so weit wollte sie nun wirklich nicht gehen.

---ENDE DER LESEPROBE---