Zeitreise eines Ritters - Sabineee Berger - E-Book
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Zeitreise eines Ritters E-Book

Sabineee Berger

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Beschreibung

Hartwig von Hohenfels wurde nur zu einem einzigen Zweck ins 21te Jahrhundert geschickt. Er soll die Auserwählte finden, die als Einzige die Menschen seiner Zeit retten kann. Eine genaue Beschreibung oder einen Namen hat er jedoch nicht, und obwohl man ihm versichert hat, dass er diese spezielle Frau intuitiv finden wird, ist Hartwig mit dem 21ten Jahrhundert und mit den Frauen an sich heillos überfordert. Zum Glück findet er in Rosa Blüm eine gute Hilfe und Stütze, auch wenn er sich wegen ihr allmählich zu fragen beginnt, ob er jemals wieder in seine Zeit zurückreisen wird.

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Inhaltsverzeichnis

1.Kapitel – Die Malerin

2.Kapitel – Der Zeitreisende

3.Kapitel – Die Malerin

4.Kapitel – Der Zeitreisende

5.Kapitel – Die Malerin

6.Kapitel – Der Zeitreisende

7.Kapitel – Susanne und Rosa

8.Kapitel – Die erste Nacht

9.Kapitel – Die Malerin

10.Kapitel – Der Zeitreisende

11.Kapitel – 1189

12.Kapitel – Die Malerin

13.Kapitel – Der Zeitreisende

14.Kapitel – 1189 küsst 2019

15.Kapitel – Der Zeitreisende

16.Kapitel – Das Portal

17.Kapitel – Gotham

18.Kapitel – Manfred Retz

19.Kapitel – Liebe

20.Kapitel – Gotham und Manfred

21.Kapitel – kein Kommentar

22.Kapitel – Christian

23.Kapitel – Entscheidung

24.Kapitel – Das Zusammentreffen

25.Kapitel - Epilog

Impressum

1.Kapitel – Die Malerin

Susanne rührte unermüdlich die rote Farbe, mischte Wasser hinzu und versuchte störende Bläschen zu zermatschen, die den cremigen Fluss beeinträchtigten. Sie liebte das glucksende Geräusch der Farbe, das Verändern der Konsistenz, die satte, reichhaltige Intensität.

Blässliches war ihr zuwider, wirkte in ihren Augen vergänglich und war selbst mit dynamischer Pinselführung ohne Kraft und Intensität. Sie war gerade dabei das Leben neu zu entdecken und da war kein Platz für Melancholie und Dezenz. Sie wollte Dynamik, Leidenschaft und Freude ... und das spiegelte sich in jedem ihrer Bilder, zeigte sich selbst in ihren Lieblingsfarben Rot, Orange und Gelb. Das mit der Malerei war nur eine Phase, doch genau die war lebensbestimmend oder zumindest der Beginn von etwas komplett Neuem geworden. So hatte sie nach langem Hin und Her ihren Beruf aufgegeben und eine Ausbildung an der Kunstschule gestartet. Dabei war sie schon Mitte Dreißig und finanziell nicht gerade abgesichert. Selbst bei ihrem näheren sozialen Umfeld war sie mit ihrem radikalen Umschwung an die Grenzen der Akzeptanz gestoßen.

In deinem Alter, Susanne? Wovon lebst du? Du musst doch an Deine Zukunft denken? Blablabla. Wie oft hatte sie diese Sprüche gehört, zutiefst gehasst und daheim dann panisch ihr Erspartes gezählt! NEIN, sie war nicht finanziell abgesichert und JA, sie würde dennoch weitermachen. Für ein Jahr kam sie noch ganz gut über die Runden, dann aber würde sie sich einfach diverse Nebenjobs suchen. Fertig. So lief das nun mal mit der Selbstverwirklichung oder schlicht mit dem Tun, das man wirklich liebte.

Das war zumindest ihre Überzeugung in starken Momenten, denn das Sicherheitsstreben war natürlich schon eine Bürde und setzte ihr immer wieder zu. Sich derart ins wirtschaftliche Abseits zu begeben, war – bei aller Liebe zum Idealismus – eben schon ein Risiko. Doch in Wahrheit hatte sie gar keine Wahl, denn sie war längst gefangen in ihrem starken Bedürfnis Dingen und Gedanken Gestalt zu geben. Sie wollte Fantasie und Träume transformieren, nicht nur spürbar, sondern auch greifbar machen. Malerei, Bildhauerei, und Grafik waren für sie Werkzeuge, wo sie all ihre Talente vereinen und in ihrer Gesamtheit wirken lassen konnte. Zumeist war es Vielfalt und Fülle, die sie fesselten, doch immer wieder rückte auch Einfachheit und Reduktion in den Vordergrund. Eine Reduktion, die nichts mit Blässlichkeit oder matter Farbe zu tun hatte, sondern eher mit dem perfekten Pinselstrich. Die wahre Einfachheit verlor in ihren Augen keineswegs an Kraft, verstärkte sogar die Aussage und vermochte oft mehr zu berühren, als das prächtige, opulente Mahl für alle Sinne. Denn ja … es war schon des Öfteren ein Rausch für alle Sinne und für sie die absolute Freiheit.

Eben diese Freiheit verspürte sie auch an einem Donnerstag, an dem sie kurzfristig beschlossen hatte, die ersten drei Stunden vom Unterricht zu schwänzen und sich ausgiebig ihrem Frühstück zu widmen. Auf die Vortragsreihe in Morphologie konnte sie gerne verzichten, zumal sie sonst sowieso stets eine pflichtbewusste Schülerin war. Heute Morgen aber hatte sie Lust auf ein gutes Frühstück in ihrer Wohnung.

Die Eieruhr kündete mit lautem Gebimmel die fertige Backzeit der Semmeln an und die Kaffeemaschine zauberte ein gar göttliches Gebräu hervor. Während dem Essen dachte sie dann an nichts Bestimmtes und kritzelte gedankenverloren vor sich hin. Inzwischen war es zur Gewohnheit geworden überall in der Wohnung Blöcke und Bleistifte zu deponieren, sodass sie – wann immer sie den Drang nach Umsetzung verspürte – auch rasch die Gelegenheit dazu nutzen konnte. Jeder Gedanke zählte und jeder Impuls konnte zündend sein für ein Bild, eine Figur, eine Geschichte oder ein Foto.

Mmmmh ... Kaffee, Butter, Marmelade, zwei Semmeln und ein Apfel, der dem Frühstück gesundheitlichen Pepp geben sollte. Susanne war selig und auch irgendwie verträumt. Erst beim dritten Bissen in die krachende und alles anbröselnde Semmel fiel ihr Blick bewusst auf die Kritzelei, die sie die ganze Zeit über fabriziert hatte. Dieses Mal war es kein undefinierbares Etwas geworden, sondern etwas Erkennbares und Formgebendes … der Umriss eines Kopfes.

Mmmmh ... die Butter verflüssigte sich gerade auf der warmen Semmel und bahnte sich unaufhaltsam einen Weg über ihre Finger. Langsam leckte sie das warme Fett von der Haut, um ihre Zeichnung nicht zu bekleckern, wobei dann einer der Finger gedankenverloren in ihrem Mund verharrte. Der Kopf war wie aus dem Nichts entstanden, hatte sich aus den Untiefen ihres Unterbewusstseins geformt oder war einem unbemerkten Tagtraum entschlüpft. Die richtige Quelle konnte sie nicht benennen, aber genau DAS war ja das Faszinierende am Schöpfungsakt und solch eine Eingebung sehr oft eine Überraschung. Die Entstehung von etwas vollkommen Neuem war für sie auch stets mit einem wunderbaren Glücksgefühl verbunden.

Der Kopf ist ... sie stutzte kurz ... wie lebendig. In Gedanken versunken legte sie die Semmel zur Seite und wollte erneut den Bleistift ergreifen. Erst dadurch bemerkte sie den frechen Finger der anderen Hand, der sich immer noch in ihrem Mund befand. Abrupt zog sie ihn heraus, schnappte sich endlich den Bleistift und zeichnete fasziniert weiter. Sie formte und formte, dazwischen nahm sie einen Schluck Kaffee und einen Bissen von der Semmel. Mit geblähter Backe und schon wieder fettigen Fingern widmete sie sich dann ihrer Zeichnung und vervollständigte so das Gekritzelte immer mehr. Zuerst entstanden männliche Züge, ein charmantes Lächeln, wunderschöne Augen und ein Körper mit der Andeutung von ...

Hm, was ist das denn? ... Susanne musste schmunzeln. Ein Körper mit Flügeln? So etwas Kitschiges war ihr ja noch nie in den Sinn gekommen! Doch die Skizze war fertig, der erste Impuls vervollständigt. Sie hatte einen Engel gezeichnet und konnte sich darüber nur wundern. Schließlich hielt sie gar nichts von Esoterik oder irgendwelchen Himmelsgestalten. Ein Engel! … dachte sie und schüttelte den Kopf. Dabei musste sie sich eingestehen, dass die Züge des imaginären Fremden beeindruckend schön und tiefgehend waren. Etwas an seinem Ausdruck faszinierte sie, berührte sogar ihr Herz. Zuerst konnte sie es gar nicht richtig zuordnen, doch dann erkannte sie die Traurigkeit in seinen Augen und den Hang zur Melancholie, der in reiner, vollkommener Schönheit herauszulesen war. Wow, dachte sie, denn sie hatte nie etwas auf Engel gegeben und, weil er nun mal schön war, auch nicht auf übertriebene Romantik. Doch diese Figur faszinierte sie. Minutenlang starrte sie auf ihre Zeichnung, ehe sie sich losreißen konnte und ihre Gefühle mit Humor und bemühter Sachlichkeit dämpfte.

Ja, klar!Ein schöner Engel! Der skizzierte Mann mochte ja spontan durchaus eine Sünde wert sein, aber in ihren Augen war kein schöner Mann dazu in der Lage ein Engel zu sein. Im Sinne von Vertrauen und Treue. Schließlich waren die Verlockungen des Lebens immer da und für schöne Menschen noch viel mehr, als für andere. Zumindest war das ihre Meinung.

Fünf Stunden später während dem Unterricht dachte sie nicht mehr an die Zeichnung. Und warum auch? Es war eine Kritzelei von 100.000 anderen, die sie in den letzten zwei Jahren angefertigt hatte. Sie ordnete den ‚Flügel-Ausrutscher‘ daher irgendwann einer sentimentalen, vorweihnachtlichen Stimmung zu, die allerdings um diese Jahreszeit genauso bescheuert war, wie der Engel an sich.

Die Hörsäle in der Schule waren mal voll, dann wieder gähnend leer. Es hing alles vom jeweiligen Lehrer und vom Stoff ab. An diesem Nachmittag wurden fleißig Referate und Hausaufgaben für das Fach ‚Malerei‘ vergeben und Susanne meldete sich für das Thema Fluxus, weil sie ein heimlicher Fan von Yoko Ono geworden war. Als zusätzliche Hausaufgabe bekam sie mit zehn weiteren Schülern den Auftrag ein Öl- oder Acrylbild mit dem Titel ‚Traum oder nicht‘ zu malen.

Für beide Arbeiten standen ihr gerade einmal fünf Tage zur Verfügung und sie verfluchte bereits die Recherchearbeit zu ihrem Referat. Sie mochte ja ein Fan von Yoko Ono sein, aber für einen Vortrag musste sie in der Bibliothek der Akademie der angewandten Künste erst einmal die richtigen Bücher borgen und dann in mühseliger Kleinarbeit exzerpieren. Nur so konnte sie effizient lernen und den Sinn und Zusammenhang des Themas erfassen. Sie wusste also was zu tun war und sie konnte auch den zeitlichen Rahmen dafür gut abschätzen. Dennoch hätte sie viel lieber ihre Freiheit genutzt, sich ausschließlich der Malerei gewidmet oder einen ausgedehnten Spaziergang unternommen.

Die Woche verging dennoch wie im Flug. Vor lauter Schaffensdrang, Referatsvorbereitungen und langen Schulzeiten, war sie noch nicht einmal zu ihrem bevorzugten Spaziergang gekommen. Doch nun war Samstag und den hatte sie sich schon seit einer Ewigkeit für den Naschmarkt im vierten Bezirk reserviert. Für Susanne waren diese Besuche dort ein derartiger Genuss, dass sie schon nach ein paar Tagen, ohne der köstlichen Düfte und Farbenpracht der einzelnen Verkaufsstände, an Entzugserscheinungen litt. Delirium tremens einmal anders ... kicherte sie, weil sie das fremdländische Flair dort so liebte. Der Wirrwarr aus Sprachen, Duft, visuellen und haptischen Genüssen faszinierte sie einfach, zog sie wie magisch an. Sie war immer ganz hingerissen von den geschickt gestapelten Orangen und ihren knalligen Farben, der perfekt runden Form und dem unglaublich süß-herben Duft. Daneben gab es meist Zitronen und noch weiter hinten rote Äpfel. Orange, Gelb und Rot waren noch dazu ihre Lieblingsfarben! Dazu waren die schönsten Früchte aufgeschnitten und fungierten wie ein natürlicher Eye Catcher. Und was für Blickfänge das waren! Alles war so saftig und knackig, so durch und durch lebendig. Sie war Künstlerin und ein sehr sinnlicher Mensch. Farben waren das Um und Auf, aber im Grunde waren es sowieso alle Sinneseindrücke und das Erleben an sich. Solch ein Markt war für sie daher wie ein Jungbrunnen. Selbst die verschiedensten Marktbesucher waren wert beobachtet oder genauer unter die Lupe genommen zu werden. Manche hasteten zielstrebig zu einem Stand, andere wiederum schlenderten genussvoll durch die engen Straßen, schnupperten hier, schnupperten dort und bestaunten die feilgebotenen Waren. Lautes Marktgeschrei hier, freundliches Feilschen dort und immer wieder gab es Kostproben in unterschiedlichster Größe und Art, die entweder schon vorbereitet waren oder vom Verkäufer direkt und spontan angeboten wurden.

All das vereinigte sich in Susannes Empfindungswelt zu einem leidenschaftlichen Abenteuer. An solch einem Ort war sie daher immer in Hochstimmung und saugte die unzähligen Eindrücke förmlich in sich auf, guckte hier und guckte dort, blieb stehen und ließ einfach nur alles wirken, schnupperte und berührte. Das Einzige worauf sie achten musste war ihre Geldbörse, um nicht zu viel auszugeben.

Alles andere ließ sie fließen.

Der Gewürzstand fast am Ende ihrer Einkaufstour war dann immer die Herausforderung schlechthin. Mit seinen intensiven Gerüchen und den sortierten Farbpäckchen war er die pure Verlockung. Hier hatte sie stets das Bedürfnis wie blöd zu kaufen, verrückte Sachen anzustellen, alles an sich zu raffen, Päckchen platzen zu lassen, sich mit Gewürzen einzureiben, das bunte Pulver in die Luft zu schießen, sie anderen ins Gesicht zu pusten, Wein zu trinken, ihn in eine Badewanne zu gießen und darin zu baden, an Oliven zu lutschen und sie in die Höhe zu spucken. Phasenweise war sie so beschäftigt mit Träumen, dass sie realisierbare Vorstellungen von ziemlich verrückten nicht mehr unterscheiden konnte. Und … es war ihr auch egal, denn es war IHRE Welt und Fantasie machte nun mal alles lebendig.

Zuhause wanderte sie dann oft erst einmal zur Couch, rollte sich gemütlich zusammen und machte ein kurzes Schläfchen, um mit all dem Tohuwabohu der vielen Eindrücke klar zu kommen. Sie liebte den Markt und der gab ihr Kraft, aber sie brauchte eben ein bisschen Ruhe, um danach alles verarbeiten zu können.

Dieses Mal träumte sie allerdings nicht vom Markt, sondern von einem neuen Bild in expressionistischer Form. Sie selbst tauchte dabei in diese Gestaltung ein, in eine lebendige Formgebung ohne Pinsel. Eine mit Energie und Farben, die sich alleine fanden und verbanden. Es war ein fantastisches Erschaffen ohne Materie und doch greifbar und sichtbar. Susanne wurde selbst zur hellen, fluoreszierenden Farbmischung, der puren, zeitlosen Lebendigkeit und der spektakulären Glitzerelemente. Dieses Eintauchen war so spürbar, dass alles möglich erschien und keine Grenzen jemals mehr bestehen konnten.

Als Susanne erwachte, war der Traum noch ganz klar in ihrem Gedächtnis, hallte tief in ihrem Herzen nach und erschien wie geschaffen für das Bild mit dem Titel ‚Traum oder nicht‘. Die Farben Gold und Türkis hatten sich zu flüssigen Opalen gewandelt und glitzernde Einschlüsse mit bunten Elementen gezeigt. Die Erinnerung an dieses Bild und das Gefühl dazu lullte sie ganz ein, trieb sie nun auch im wachen Zustand dazu in diese türkisfarbene Substanz einzutauchen. Während diesem Tagtraum formte sie also das Bild weiter, verstärkte und modellierte ganz ohne Bleistift oder Malfarbe. Sie spürte die glitzernden Partikel förmlich auf ihrem ganzen Körper und schwebte noch in eben diesem Bewusstseinszustand von ihrer Couch zum Kritzelblock, um das wunderbare Glitzerding zu Papier zu bringen.

Doch Skizzen funktionierten gar nicht und so bereitete sie nach nur einer halben Stunde alles für eine kleine Farbschlacht vor. Wilde Musik wurde aufgedreht, die Leinwand gespannt, die Staffelei positioniert, der Boden abgedeckt und das Mobiliar rundherum gesichert. Mittlerweile wusste sie schon, dass sie mit nur einem Pinselstrich die ganze Wohnung versauen und mit dynamischen Bewegungen alles auf den Kopf stellen konnte. Dabei hatte sie erst vor einer Woche ihre Wände neu ausgemalt!

„Auch egal!“, murmelte sie aufgeregt, legte hastig die fleckige Decke über die Couch und ordnete ihr Acryl. Viel lieber malte sie zwar mit Öl, doch in einer kleinen Wohnung war der Gestank von Terpentin oder Terpentinersatz kaum zu ertragen gewesen. Kurz stand sie noch vor der leeren Leinwand, spürte den anschwellenden Rhythmus der Musik und konnte ihre eigene, fiebrige Anspannung kaum noch im Zaum halten. Schnell noch ein Blick auf die Farben ... ja, da waren die Blautöne, die sie brauchte und ... nein, heute war nicht die Zeit für Rot-Gelb-Orange.

Keine Vorarbeit, kein Einlassen von Leinwand oder sonstigem Schmus. Hier galt es rasch und effizient zu arbeiten und das konnte sie. Bei Gott, das konnte sie wirklich! Sie pinselte so kurz und schnell, dass sie gleich darauf selbst schon nicht mehr wusste, wo sie eigentlich begonnen hatte und wo sie hinwollte. Dort ein dynamischer Strich, hier ein Tupf, da ein Klecks. Es war das unbewusste Chaos, die Hingabe an den Moment und ein göttliches Fest! Und es war genau dieser Anfang, der ihre Qualität ausmachte, ihre Begeisterung ins Bild transformierte und sie spontan, kraftvoll und unkompliziert malen ließ. Zumindest am Anfang, denn das bewusste Malen danach wurde meist recht … langatmig.

Gute drei Stunden probierte Susanne nach dem ersten Megaimpuls dann mehr und mehr genervt herum, versuchte die Farben in Einklang zu bringen, die Form nachzuziehen und das Glitzern möglichst plastisch hervorzuheben. Doch so recht zufrieden war sie nicht. Sie wollte auch gerade alles hinschmeißen, heulen und schimpfen, als mit einem Mal die Sicherung fiel.

F-zusch und aus.

Kein Licht mehr.

„Ein Kurzer! Na toll!“ Susannes Hände glichen längst einem bunten Schlachtfeld und die Zeit war so weit fortgeschritten, dass ihr Vorzimmer bereits in absoluter Finsternis lag. Wie also sollte sie zu einer Taschenlampe kommen und die Sicherung kontrollieren?

Nur ja nicht irgendwo anstoßen! … dachte sie noch und streifte schon in der nächsten Sekunde mit ihren Händen quer über ihre Garderobe, wo – wie üblich – Jacken und Taschen hingen.

„Scheiße!“, fluchte sie laut, weil sie keine bunten Flecken auf ihrer Kleidung oder der Wand gebrauchen konnte. Zähneknirschend ging sie weiter Richtung Bad, wo sie dann mit den Ellenbogen versuchte die Tür zu öffnen. Das gelang ihr zwar so halbwegs, aber auch hier hinterließ sie sicher eine farbige Spur.

„Auch schon egal“, brummte sie und stellte sich verärgert auf eine ordentliche Putzaktion danach ein. In der Dunkelheit mit bunten Fingern zu hantieren, war eine Herausforderung und mittlerweile war sicher bereits die Waschmuschel, der Wasserhahn, der Seifenspender und alle Fliesen in Reichweite vollgekleckert. Nicht absichtlich, versteht sich, denn sie war nicht masochistisch veranlagt, obwohl, … wenn sie wütend war, konnte sie schon auch verrückte Dinge anstellen. Den Duschvorhang zum Beispiel noch ein wenig verzieren, das Badezimmermobiliar rauf und runter fingern, auf den Gang hinauslaufen und dort die Wände verschönern, eventuell noch die Haustüren der Nachbarin miteinbeziehen. Irgendetwas Abartiges halt. Aber zum Glück war sie noch nicht wirklich wütend und es klappte ja auch letztendlich alles gut. Sie trocknete ihre Hände, fand die Taschenlampe und erledigte alles ruckzuck beim Sicherungskasten. Eine Lampe war durchgebrannt und die war recht schnell gewechselt. Fertig.

„Alles nicht so schlimm!“, freute sie sich am Ende sogar, schnappte sich im gleichen Atemzug den Putzlappen und machte sich ans Werk, ihre Spuren zu verwischen.

Erst danach sah sie sich ihr Werk erneut an und … kniff überrascht die Augen zusammen. Die zum Teil chaotischen Punkte wirkten wie – sie zwinkerte kurz und ging ein paar Schritte zurück – wie eine Kontur. Ja genau! Wie eine, die aus der Nähe gar nicht sichtbar gewesen war und sich erst mit mehr Abstand zu etwas formte, das sie verdammt an ihre Kritzelzeichnung vor ein paar Tagen erinnerte. Das gibt’s doch nicht! Sie war irgendwie erstaunt … nein, verblüfft und dann sogar leicht schockiert, denn mit diesem expressionistischen Bild hatte sie eine unbewusste Kontur freigelegt. Und so nebenbei vermutlich ihren zweiten Engel geboren.

Kopfschüttelnd stand sie im Zimmer und verspürte ein Kribbeln im ganzen Körper. Was für einen Streich spielte ihr da nur ihr Unterbewusstsein? Sie hatte keinen Hang zur Mystik, schon gar kein Bedürfnis nach Engel, die sie eigentlich eher als fette und nackte Wesen aus dem Barock gespeichert hatte. Doch ein schöner Mann mit Flügel ... das war einfach nicht ihre Art und auch nie ihre Fantasie gewesen. Es war ja auch nicht so, dass dieses Bild jetzt vollkommen eindeutig einen Engel gezeigt hätte, doch die Anmutung war naheliegend, der Begriff dazu automatisch in ihrem Kopf.

2.Kapitel – Der Zeitreisende

Seit einer Ewigkeit stand er nun hier und erkundete die Gegend.

Alles war so fremd, so eigenartig und doch auch wieder vertraut. Eine Stunde, hatte der Magier gesagt, doch diese Stunde erschien ihm wie ein Tag. In dieser Stunde konnte er unbemerkt beobachten, studieren und sich langsam an all das Neue gewöhnen. Dennoch war er schockiert über diese Welt, diese Zukunft. Frauen trugen Hosen und hatten kurze Haare, Männer liefen in kurzen Hosen, langen Haaren und seltsamen Stöpseln im Ohr herum. Manche bewegten sich mit dünnen Pferden aus Metall, andere wiederum balgten sich wie Kinder um einen Ball. Und doch waren es Menschen wie er sie kannte, vielleicht ein wenig größer gewachsen, aber durchaus mit einem Kopf, zwei Armen und zwei Beinen ausgestattet. Und was für Beine! Manche der Frauen waren derart unziemlich gekleidet, dass kaum mehr etwas verborgen blieb. Und dennoch wurden diese Weibsleute kaum beachtet. Als wären alle Männer in diesem Zeitalter kastriert, blind oder total übersättigt.

Laut Gotham war der Park hier dennoch die beste Möglichkeit, um sich auf eine völlig neue Welt vorzubereiten. Und völlig neu war sie in der Tat. Wenn er ehrlich war, verfluchte er schon jetzt den verrückten Handel auf den er sich mit dem Magier eingelassen hatte. Nur der Ehre wegen und, weil ein Hartwig von Hohenfels nun mal immer zu seinem Wort stand. Aber eine Reise in die Zukunft?

Er brummte unzufrieden und verfluchte sich für seinen Stolz und seinen Ehrenkodex. Zugleich wünschte er sich zurück in seine Zeit. Eine derart veränderte Welt hatte er nicht erwartet. Die Vielzahl der Neuheiten war kaum zu erfassen, geschweige denn zu verarbeiten. Selbst in diesem Park stimmte so einiges nicht. Alles war mit extrem harten, grauen Wegen durchzogen, Bäume zum Teil eingezäunt und Sträucher seltsam verformt und gleichmäßig geschnitten. Und trotzdem war das jetzt nicht wirklich das Problem. Das, was ihm nämlich vor allem Sorgen machte, waren die teuflisch schnellen, bunten Metalldinger, die er hinter der Baumreihe zu seiner linken, außerhalb des Parks sehen und hören konnte. Eine derartige Geschwindigkeit hatte er noch nie erlebt und sie machte ihm Angst. Obwohl ihm selten etwas Angst machte. Vermutlich kam der furchtbar fremde Gestank auch von dort, denn die Biester waren nicht nur laut und schnell, sie furzten offenbar auch erbärmlich intensiv. Dabei war er Furze von Kumpanen durchaus gewöhnt und nicht wirklich zimperlich. Der Gestank war nur einfach völlig fremd. Aber nachdem diese metallenen Wesen offenbar nicht in den Park durften, war in der nächsten Zeit mit keiner direkten Konfrontation zu rechnen.

Hinter genau dieser Baumreihe erhob sich auch eine endlos hoch erscheinende Häuserreihe, zum Teil so glänzend als wären sie aus reinstem, poliertem Silber. Auf ‚Häuser so hoch wie Berge‘ hatte Gotham ihn zwar vorbereitet, aber vergessen zu erwähnen, wie anders diese Häuser letztendlich gebaut waren. Aber er hatte ja auch vergessen zu erwähnen, wie schnell hier Metallbiester herumzischten oder wie verrückt manche Menschen aussahen. Da gab es welche mit seltsam gedrehten Zottelhaaren und andere mit bunten Haaren, die zu Zacken geformt waren. Viele hatten Hautbilder, riesige Löcher in den Ohren und sogar Metall im Gesicht. Hautbilder kannte er zwar von Seefahrern, aber nicht bunt und auch nicht so eindrucksvoll. Einer dieser ungewöhnlichen Menschen hatte den ganzen Körper voll damit und das war ersichtlich, weil er seine Oberbekleidung einfach so mir nichts dir nichts abgelegt hatte und kurze Hosen trug. Im Grunde sah er sehr fremd und teuflisch aus, obwohl gerade dieser Mann am meisten lachte und richtig freundlich wirkte. Ein anderer Junge mit überdimensional großer Hose (insgeheim fragte sich Hartwig, wie dieses Ding auf den Hüften hängen blieb, wenn selbst das Untergewand schon hervorlugte) stand mit seinen Füßen auf einem Brett mit winzigen Rädern. Nein! Eigentlich stand er nicht, bei Gott nicht! Was der Bursche mit dem seltsamen Gefährt anzufangen wusste, grenzte schon an Akrobatik, war absolut sehenswert und dennoch offenbar nichts weiter als Zeitvertreib, denn er verlangte kein Geld für seine Darbietung. Und egal was er auch anstellte, die Menschen beachteten ihn sowieso nicht. Dafür schienen sie zu beschäftigt oder die Akrobatik zu alltäglich zu sein. Ein paar der Parkbesucher gingen sowieso viel zu schnell durch den Park, blickten ständig auf den Boden oder in ein Metallding hinein, wirkten gehetzt und grimmig. Manche plauderten sogar mit diesem kleinen Metallding, als wäre es lebendig oder gar ein Mensch. Was ziemlich befremdlich aussah und ihn insgeheim erheiterte.

Hartwig hatte Zeit dies alles auf sich wirken zu lassen. Gotham hatte ihn und sein Pferd in die Zukunft geschleudert und für die Gewöhnungsphase in eine magische Blase platziert. Diese fantastische Blase machte ihn für eine Stunde unsichtbar, sodass er die Umwelt in dieser Zeit ungestört beobachten konnte. Was er ja jetzt auch tat. Und es schien auch zu funktionieren. Zumindest gaffte niemand zu ihm herüber oder wirkte irgendwie erschrocken. Die Blase war für den Anfang überlebensnotwendig, denn auch Gotham hatte nicht gewusst wie die Menschen hier drauf sein würden und niemand sollte sehen wie ein Ritter so aus dem Nichts einfach auftauchte. Tarnung war das Um und Auf und deshalb hatte Gotham ja auch vorgeschlagen ohne Rüstung zu reisen. Doch diesen Vorschlag hatte Hartwig entrüstet abgelehnt. Ungeschützt hatte er einfach nicht in eine andere Zeit reisen wollen und wenn er ehrlich war, hatte er ja noch nicht einmal damit gerechnet zu überleben. Also warum nicht wenigstens in seiner besten Kampfrüstung sterben?

Gotham hatte von einer Reise in die Zukunft gesprochen, aber zugleich auch von Sternenkonstellationen und Dimensionen und davon hatte Hartwig kein Wort verstanden. Er hatte nur seinen Auftrag kapiert, … diese bestimmte Frau zu finden und mitzunehmen, weil Gotham von ihr das Überleben seiner Art und das vieler Menschen abhängig machte. Was Hartwig – zugegeben – auch nicht ganz verstanden hatte, weil er eben nicht solch einen Gesamtüberblick über das Geschehen hatte, wie der Magier. Und auch wenn die Zeitreise ganz offensichtlich gut geklappt hatte, so konnte Hartwig mit Magie nicht viel anfangen. Er war der Mann fürs Grobe, derjenige der Kriegsherren zur Seite stand, Aufträge ausführte und selbst Drachen tötete, wenn es denn sein musste. Er lachte leise in sich hinein, denn zum Glück gab es keine Drachen. Weder in seiner Welt, noch in dieser. Hier gab es allerdings auch niemanden mit Rüstung. Soweit hatte er das schon gecheckt und sich insgeheim doch ziemlich verflucht mit all dem Metall am Körper. Gotham hatte nicht zu Unrecht darauf hingewiesen, dass die Rüstung störend sein könnte, aber wirklich eindringlich darauf beharrt, hatte er nun auch wieder nicht. Der Magier war schließlich vor allem froh gewesen überhaupt jemanden für diese verrückte Reise gefunden zu haben. Was nur einmal mehr zeigte, wie sehr Hartwig bereit war sein Leben zu opfern … für eine gute Sache oder … für was auch immer, denn im Grunde war ihm klar, dass er nicht mehr viel zu verlieren hatte. Seine beiden Ehefrauen waren der Reihe nach verstorben und seine Besitztümer hielten sich in Grenzen, sein Verdienst ebenfalls. Kinder hatte er keine, Eltern ebenso wenig. Mit seinen 32 Jahren war er für Schaukämpfe und Turniere zu alt, obwohl er immer noch gut in Form und für den einen oder anderen Auftrag durchaus der Beste war. In diesem speziellen Fall hatte ihn jedoch vor allem das Geld gelockt, denn Gotham hatte ihm ein kleines Vermögen geboten, wenn er mit dieser speziellen Frau aus der Zukunft zurückkommen würde. Das Geld könnte ihm einen geruhsamen Lebensabend bescheren und war somit der Grund für diesen idiotischen Handel, doch letztendlich war es ausschließlich sein Wort, das ihn an Gotham und diesen Auftrag band. Lippenbekenntnisse waren ihm ein Gräuel, denn wenn er einmal JA sagte, dann zog er den Auftrag bis zum Ende durch. Koste es was es wolle. Und sein Wort war etwas wert, war mit seiner Ehre verbunden und damit verbindlich. Genau dieses Ehrgefühl hatte ihm schlichtweg verboten kurz vor dem Zauber noch einen Rückzug zu machen, obwohl alles in ihm nach UMKEHR geschrien hatte.

Hartwig schüttelte den Kopf. Niemand würde ihm je glauben, dass er in die Zukunft gereist war. In einer seltsamen Blase aus schimmerndem Material. Und genau die würde sich in wenigen Minuten auflösen und ihn für jedermann sichtbar machen. Scheiße aber auch! Spätestens dann gab es kein Zurück mehr ohne diese bestimmte Frau, die angeblich ihrer aller Zukunft sein sollte. Es galt also die Richtige so rasch als möglich zu finden, zu ergreifen und mit in seine Zeit zu entführen, denn der Magier hatte vorausgesehen, dass Hartwig die Auserwählte erkennen würde. Einfach so. Weil er nun mal Hartwig von Hohenfels war.

Doch bisher hatte sich kein weibliches Wesen als große Offenbarung erwiesen oder auch nur als annähernd würdig präsentiert. Viele waren unmöglich bemalt, hatten seltsame Kleider oder eben sogar Hosen an. Zudem waren sie viel zu unbekümmert und sprachen in einem Ton mit ihren Männern, den er kaum ertragen konnte.

Sein Unwohlsein wuchs. Was aber auch daran liegen konnte, dass er eine verdammt anstrengende, magische Reise hinter sich hatte und hier in seiner Rüstung ganz schön schwitzte. Gut, die Reise hatte er gar nicht so recht mitbekommen, denn er war schlicht und ergreifend bewusstlos geworden, doch sein Körper fühlte sich ein wenig durch die Mangel genommen an. Er war erschöpft, als wäre er schon zehn Tage geritten. Außerdem hatte er keinen blassen Schimmer, wie er hier unauffällig vorgehen sollte oder die richtige Frau finden konnte. Doch eines wusste er schon jetzt: Er hasste diese Zeit und er hasste auch diesen Auftrag. Sollte er also irgendwie am Leben bleiben, würde er nie wieder einen derart verrückten Auftrag erledigen, nie auch nur je wieder in die Nähe eines Portals kommen, wo man in eine andere Zeit reisen konnte.

Sicherheitshalber zog er sich mit seinem Pferd weiter zurück in die Büsche. Falls er tatsächlich jeden Moment sichtbar werden würde, wollte er nicht zu früh auf sich aufmerksam machen. Schließlich war nicht nur das Pferd hier etwas Besonderes, sondern vor allem sein Erscheinungsbild im glänzenden Metall. Raosh hieß sein weißer Hengst und er war ein wahrhaft treuer und guter Gefährte. Alleine, dass er diese Reise bisher so gut überstanden hatte und jetzt brav stillhielt, zeigte wie sehr er seinem Herrn vertraute und gewohnt war im Kampf und in jeder ungewohnten Situation ausschließlich auf Hartwig zu hören.

Das war sein großes Plus. Der Rest war … zu erkunden. Auf jeden Fall wollte er nicht mit leeren Händen zurückkehren, egal, ob die Blase nun zerplatzte oder nicht. Fürs Erste würde er wohl weiter beobachten, auch wenn er dafür den ganzen Tag im Gebüsch verbringen musste. Schließlich hatte er geschworen diese besondere Frau zu finden und mit ihr die Menschen seiner Zeit zu retten.

Am Fuße des kleinen Parkhügels wurde Fußball gespielt. Die Leute klatschten, johlten und waren guter Dinge. Immer mehr Zuseher gesellten sich zu dem illustren Häufchen und gönnten sich ein wenig Zeit für Spiel und Spaß. Die meisten waren guter Dinge und nur wenige saßen abseits und waren alleine. Manche blätterten auch in sehr kleinen Büchern, mit weißen Blättern, wie er sie nie zuvor gesehen hatte. In seiner Zeit waren Bücher eine Seltenheit und eher klobig und schwer.

Hartwig schwitzte immer mehr in seiner Rüstung und verfluchte seine Schutzhülle erneut. Dennoch versuchte er sich auf jeden Einzelnen hier im Park zu konzentrieren, beobachtete sowohl die Frauen, als auch die Männer und hörte auf sein Gefühl. Denn wer wusste schon, ob Gotham sich bezüglich des Geschlechts nicht geirrt hatte. Vielleicht war es gar keine Frau, die er suchte, sondern ein Mann. Bei all den gleichen, kurz geschorenen Haaren und dem ähnlichen Kleidungsstil konnte selbst ein Magier sich ja mal irren.

„Verdammter Gotham! Wo bleibt nun der Funke, der mir den Weg zeigen soll?“, fluchte er laut und verließ sich darauf, dass die magische Blase noch seine Anwesenheit verbarg. Just in dem Moment blieb jedoch ein Fußgänger in unmittelbarer Nähe stehen, sah sich verdutzt um und suchte offenbar nach dem Menschen, der gerade gesprochen hatte. Hartwig blieb regungslos stehen und wartete ab, dann schüttelte der andere Mann den Kopf und ging wieder weiter. Was nur zeigte, dass die Blase entweder schon dünn war, oder bereits völlig lautlos zerplatzt sein musste. Hartwig zog sich daher noch etwas mehr ins Gebüsch zurück.

Das Platzen der Blase hatte auch noch eine andere Konsequenz als nur das Platzen seiner Tarnung. War dieses magische Konstrukt erst einmal verschwunden, verlängerte sich sein Auftrag auf unbestimmte Zeit. Laut Gotham saß er dann nämlich so lange in der fremden Welt fest, bis er diese bestimmte Frau gefunden hatte. Denn nur mit ihr gemeinsam war das Portal dann wieder zu öffnen. Entweder du kehrst in dieser einen Stunde, die dir mit der magischen Blase gewährt wird – alleine und feige – zurück, … oder du kehrst nie wieder heim. Außer mit dieser Frau! Natürlich hatte Hartwig sich das oft genug durch den Kopf gehen lassen und wäre seine Ehre und sein Wort nicht so wichtig gewesen, hätte er diesen Rückzug sicher kurz in Erwägung gezogen. Doch ‚alleine und feige‘ waren die richtigen Worte gewesen, die genau das unterbinden sollten und jetzt, wo die Blase weg war und die Frau noch nicht in Sicht, musste er nun mal irgendwie die Situation meistern.

Dann sah er plötzlich ein weibliches Wesen, das sein Interesse weckte. Sie trug ein halbwegs schönes Kleid, hatte langes, blondes Haar und war nicht gar so freizügig unterwegs, wie all die anderen. Zwar war sie noch zu weit entfernt, um ihre Gesichtszüge erkennen zu können, doch selbst auf Entfernung schien sie etwas Besonderes zu sein, Anmut auszustrahlen und nicht diese lässige Lockerheit zu besitzen, die er bei den anderen so verachtenswert und anzüglich fand.

Das musste sie sein!

Es hatte länger gedauert, als die Blase gehalten hatte, doch nun durchzuckte ihn wilde Freude und die Gewissheit, dass Gotham recht behalten hatte. In seiner eigentlichen Zeit hatten schon viele Männer Monate damit zugebracht nach der richtigen Frau zu suchen, doch letztendlich hatte der Magier prophezeit, dass Hartwig das Schicksal lenken würde und, dass dieses Schicksal eben viel weiter in der Zukunft lag, als bisher angenommen. Gotham hatte mehr und mehr geahnt, dass die Frau aus einer anderen Zeit stammte und über Monate diese Reise vorbereitet. Mit Hartwig von Hohenfels als Zeitreisenden. Denn er war nun mal der Mann, der sie angeblich erkennen würde. Warum auch immer!

Die Frau, die er nun im Visier hatte, war nicht alleine, doch das war kein Problem. Der Mann an ihrer Seite hatte weder ein Pferd, noch eine Rüstung, noch ein Schwert. Es würde ein leichtes sein das Weib zu entführen. Unehrenhaft oder nicht stand in dem Zusammenhang nicht zur Diskussion. Es ging um das Wohlergehen der Menschen seiner Zeit und da zählte kein anderer Ehrenkodex, als der, sich an den Auftrag zu halten und sein Wort gegenüber dem Magier einzuhalten.

Seit die magische Blase sich so leise aufgelöst hatte, wurde Hartwig auch bewusst, warum die Menschen hier so wenig bekleidet waren. Das Klima war schlicht mörderisch und ihm inzwischen so heiß in seiner Rüstung, dass ihm der Schweiß längst in Bächen herunterlief. Im Gegensatz zu seiner höllisch heißen Qual wirkte ihr locker duftiges Kleid wie ein Traum. Ein Traum, der ihre Waden mit jedem Schritt neckisch umspielte und auf schöne, wohlgeformte Beine schließen ließ. Ihr Kleid war rot, ein wenig eng und wirkte dennoch nicht anzüglich. Gut, die Beine hätte sie natürlich schon bedecken können, doch der hohe Ausschnitt machte wett, was unten fehlte. Hartwig war zufrieden mit seiner Wahl und sich sicher, dass Gotham Augen machen würde, wenn er ihm solch eine futuristische Schönheit brachte.

Er überlegte gerade, wie er zu ihr reiten, sie packen und auf sein Pferd heben würde, als ihn laute Stimmen weiter abseits ablenkten. Seine Augen wanderten wie unter Zwang von dem schönen roten Kleid hinüber zu drei Jugendlichen, die in ihrem heruntergekommenen Schlabberlook einen brutalen Eindruck machten. Sie hatten verschlungene, dunkle Zeichen auf ihren Armen und hielten glänzende Metallteile in ihren Händen. Hartwigs Alarmglocken schrillten sofort und alles in ihm spannte sich an. Diese Männer waren gefährlich, das konnte er selbst auf die Entfernung sehen und noch viel mehr spüren.

Schläger, Räuber, Frauenschänder.

Den Schlag Mensch kannte er zur Genüge. Sie lachten zwar, doch der eine hatte ein Messer in der Hand, fuchtelte damit herum, während der andere seelenruhig aus einem runden Metallteil trank und dann rülpste. Der Dritte scherzte nur und hatte beide Hände in seine Hosentaschen vergraben, aber er wusste, dass die drei etwas vorhatten und im nächsten Moment wusste er auch, was. Zum Glück richtete sich ihre Aufmerksamkeit nicht auf die Auserwählte im schönen Kleid, aber nicht unweit von den Burschen entfernt gab es einen abgelegenen Weg, wo immer wieder Leute entlangliefen. Manche federten leicht, andere waren beeindruckend schnell und ein paar kamen kaum vorwärts. So auch das geschlechtsneutrale Wesen, das sich nun über die leichte Hügelkette quälte. Der Kopf war so rot wie ein reifer Apfel und alleine deswegen schloss Hartwig darauf, dass es sich um eine Frau handeln musste. Ihr Trainingsgewand war weit, ließ keine Figur erkennen, in ihren Ohren steckten diese seltsamen Stöpsel, die er schon an vielen gesehen hatte und am Kopf hatte sie einen komisch geformten Hut mit einem leichten Dach vor dem Gesicht. Sie bewegte sich ungelenk und schien eher am Ende ihrer Kräfte zu sein. Doch genau mit diesem erschöpften Zustand weckte sie offenbar das Interesse dieser drei Tunichtgute.

Einer stieß den anderen ständig in die Seite und deutete mit dem Kopf in die Richtung der Frau. Hartwig wusste instinktiv, dass sie nichts Gutes im Schilde hatten und sich gerade gegenseitig zu einem Unsinn aufstachelten. Etwas, das ihm im Grunde hätte egal sein müssen. Er hatte einen Auftrag und musste die holde Maid im roten Kleid entführen. Fertig. Doch wenn er eines nicht leiden konnte, dann Verbrechen an Unschuldigen. Er war ein Ritter von Ehre, auch wenn er gerade vorhatte selbst eine Frau zu entführen, wenn auch aus einem sehr edlen Motiv heraus und um viele Menschen seiner Zeit zu retten. Raub, Mord oder Vergewaltigung direkt vor seinen Augen konnte er dennoch nicht zulassen. Das widersprach schlicht allem wofür er immer gestanden hatte. Wäre er also nicht ein Ritter von Ehre gewesen, hätte er dem Ganzen keinen Raum in seiner Wahrnehmung gegeben, hätte sich umgewandt und wäre zu der holden Maid mit dem roten Kleid und den schönen Beinen hinuntergeprescht. Sein Auftrag war das Einzige was zählen sollte und doch spielte alles in ihm total verrückt, weil er eben genau wusste, was jeden Moment passieren würde. Er war nicht immer zwangsweise der Rächer und Verteidiger anderer, aber es machte ihn total zornig, dass niemand sonst auf das bevorstehende Verbrechen aufmerksam wurde. Keiner hier schien ein Gespür für Gefahr zu haben oder generell Interesse zu zeigen an Sicherheit oder schlicht am Menschen. Ganz automatisch ließ er sein Pferd in die Richtung traben, in die die Jugendlichen bereits verschwanden.

Es war Idiotie und im Stillen verfluchte er sich selbst für sein Vorgehen, denn er gab nicht nur seine Deckung auf, sondern ritt auch noch in die entgegensetze Richtung zu seinem Auftrag. Dabei interessierte ihn diese ungelenke Frau kein bisschen! Er konnte nur einfach nicht zusehen, wenn sie getötet oder vergewaltigt wurde, denn in seiner Brust schlug nun mal kein Herz aus Stein. Egal, ob er zuletzt mehr wie ein Söldner als ein Ritter gearbeitet hatte. Sich ritterlich zu verhalten war nun mal seine wahre Berufung.

Und mittlerweile bestätigte sich auch, dass sein Gefühl ihn nicht betrogen hatte. Das laute Geschrei weiter hinten ließ ihn sein Pferd nun schneller antreiben. Die drei Burschen hatten wirklich keine Zeit verloren, waren von hinten an die offenbar taube Frau herangekommen und zerrten sie nun bereits aggressiv ins Dickicht. Alle drei waren auf Gewalt aus und wollten es ihr besorgen, das konnte Hartwig sehen, denn diesen Ausdruck von Männern kannte er und der würde sich wohl in den nächsten 1000 Jahren noch nicht ändern.

Er ritt im Galopp an die Gruppe heran – wuchtig und mit der Kraft eines Kriegers. Dabei zückte er sein Schwert und hielt ohne Umschweife direkt auf den Größten der drei zu. Was schon ein sehr gewaltiger Anblick war. Als die Burschen ihn erblickten, waren sie im ersten Moment so perplex, dass sie ihr Opfer losließen und wie paralysiert stehen blieben. Dann begann Hartwig auch noch zu brüllen und das Schwert zum Schlag zu heben und die drei kreischten wie auf ein Zeichen los und schickten sich an wegzulaufen. Doch Hartwig kannte kein Pardon, galoppierte hinterher und hieb dem Großen sein Schwert geradewegs auf die rechte Schulter. Dabei hatte er seine Kraft gut unter Kontrolle und schlug nicht mit der ganzen Wucht, um den Burschen nicht fürs Leben zu verstümmeln. Zum Krüppel wollte er keinen der jungen Männer machen, doch für ihre Tat sollten sie durchaus büßen. Und eine kleine Fleischwunde war im Prinzip kein Ding. Niemand sonst in diesem Park schien sich dafür verantwortlich zu fühlen, niemand etwas zu bemerken, geschweige denn zu reagieren. Gut, es war ein abgelegenes Stückchen mit viel Buschwerk, aber es grenzte an Dummheit, wenn man nichts von alldem hier mitbekam.

Der Hieb saß gut und der getroffene Junge strauchelte, schrie und heulte, während die anderen weiterliefen. Er blutete auch ordentlich aus der verursachten Wunde und war so panisch, dass er sich wieder hochrappelte und im Schock seinen Kumpanen hinterherlief. Hartwig überlegte gerade, sein Pferd wieder zu wenden und die Burschen laufen zu lassen, als einer der drei plötzlich stehen blieb und mit einem glänzenden Ding auf ihn zielte. Hartwig fragte sich gerade, was er mit dem kleinen Gegenstand wohl im Sinn hätte, als das Ding förmlich explodierte und ein lauter Knall durch die Luft peitschte. Bevor er noch begreifen konnte, was hier wirklich geschah, fühlte er bereits den Einschlag in seine Rüstung und in seinen Körper. Womit er schlicht und ergreifend nicht in hundert Jahren gerechnet hätte. Der dumpfe Schlag aber wurde gefolgt von einem stechenden Schmerz, der sich nun durch seinen linken Oberarm zog. Allem Anschein nach, war die Rüstung für diese Reise nicht nur die falsche Wahl gewesen, sondern zudem auch noch völlig wertlos. Wenn solch ein kleiner Gegenstand ihn verletzen konnte, dann musste er sich für die Zukunft (haha) wohl etwas Besseres überlegen. Aber für derartige Überlegungen war sowieso keine Zeit.

Hartwig stieß die Luft zischend aus. Er war getroffen und fühlte sich benommen. Der Schmerz war enorm. Allerdings hatte ihn das noch nie aufgehalten und er reagierte automatisch mit Wut und Gegenangriff. Ein von Hohenfels war nun mal ein von Hohenfels.

Mit einem lauten Schrei preschte er auf seinem Pferd vor und erschreckte den Schützen damit so derart, dass der wie zur Salzsäule erstarrt stehen blieb und noch nicht einmal ein zweites Mal seine Waffe betätigte. Und dieser Schreckmoment war Hartwigs Vorteil, denn mit nur einem gezielten Hieb schlug er ihm die Waffe aus der Hand. Selbst in diesem Ausnahmezustand erwischte Hartwig nur das Metallteil und nicht etwa die Hand des jungen Burschen. Und der schrie plötzlich wie am Spieß, entleerte seine halbe Blase in seine Hose und wusste noch in der Sekunde, dass er nur um Haaresbreite seine Finger behalten hatte.

Das waren freilich eine Menge wuchtiger Eindrücke für den Burschen. Nachdem die Waffe aber verloren war, Hartwig nach dem Hieb mit seinem Pferd an ihm vorbeigeprescht war und seine Spießgesellen immer noch davonliefen, löste sich nun der Bursche mit aller Kraft aus seinem Schock und nahm ebenfalls die Beine in die Hand. Er strauchelte zwar das eine oder andere Mal, aber er lief schneller als zuvor.

Doch Hartwig wendete seinen schönen Hengst und galoppierte dem Mann hinterher, kam an seine Seite und schleuderte ihn mit einem gezielten Fußtritt zu Boden. Der Bursche rollte sich geschickt ab, jammerte und schrie, kam wieder in die Höhe und lief, so schnell ihn seine nassen Beine eben tragen konnten, davon.

Das sollte reichen, dachte Hartwig und spürte die Verwundung am linken Arm deutlich. Er kämpfte auch gegen eine starke Übelkeit. Die Menschen der Zukunft hatten offenbar Waffen, die selbst stabile Rüstungen durchschlagen konnten und das verblüffte ihn mehr, als ihm lieb war. Dazu fühlte er sich in seine Rüstung mittlerweile wie in einem Backofen. Sein Kreislauf spielte verrückt und trübte seine Wahrnehmung, sodass die Verletzung in ihrer Schwere nicht abzuschätzen war. Hartwig hörte sein Blut in seinen Ohren rauschen und wusste, dass er nicht viel Zeit hatte, ehe ihm sein Kreislauf wirklich Schwierigkeiten bereiten würde. Schnell riss er sich den Helm vom Kopf und schöpfte Atem. An eine weitere Verfolgung der Burschen war nicht zu denken und er hatte auch gar keine Lust darauf. Schließlich sollte ihn einzig und alleine sein Auftrag interessieren und nicht die Rettung irgendeines geschlechtslosen Wesens. Verdammt. Allerdings fragte er sich schon, warum hier noch immer niemand von den anderen Parkbesuchern reagierte. Selbst wenn er sich mit dem Opfer hier abseits und hinter den Büschen befand, so mussten sein Erscheinungsbild, der Knall aus der modernen Waffe und sein Kampfgeschrei doch auffällig genug gewesen sein. Diese Nicht-Reaktion erschreckte ihn fast mehr, als die Gemeinheit von drei Burschen, die sich über ein wehrloses Opfer hergemacht hätten. Aber vielleicht waren die Menschen im Park ja alle blind und taub und voller Stöpsel in den Ohren. Oder der Lärm von den Metallbiestern vor dem Park war einfach zu stark. Womöglich waren sie auch einfach nur zu sehr mit anderem beschäftigt oder schlicht ehrlose Ignoranten ohne Courage.

Dabei konnte er im Grunde froh sein, wenn sie alle nicht reagierten und ihm wenig bis keine Aufmerksamkeit schenkten. Wie hätte er auch sein Aussehen erklären sollen? In dieser Zeit gab es offenbar keine Ritter mehr. Weder von der Gesinnung, noch vom Aussehen her. Gotham hatte ihm als mögliche Ausrede etwas von Zirkus oder Karneval erzählt, aber wer würde das schon glauben und … welche Kunsttücke hätte er schon vorzuzeigen? Er lachte in sich hinein. Nein, ein Zirkusheld war er sicher nicht.

Als er wieder besser Luft bekam und auch das Gefühl hatte nicht gleich an seiner Verwundung sterben zu müssen, hörte er das Schluchzen und Weinen der Frau im Hintergrund. Und die hatte er schlicht für einen Moment vergessen. Er schob sein Schwert vorsichtig zurück in die Scheide und wendete sein Pferd, um nach ihr zu sehen. Dabei ärgerte er sich eigentlich ziemlich über diese Person, weil er wegen ihr und ihrer Unachtsamkeit seine Deckung aufgegeben hatte. Gemach, gemach, mahnte er sich jedoch selbst zur Ruhe. Die Frau konnte nichts dafür, dass drei Burschen auf dumme Gedanken kamen und … sie war sicher geschockt.

Als er nahe genug war und sich ihre Blicke trafen, kam etwas in ihm ins Wanken. Nur kurz, aber doch spürbar. Ihre türkisfarbenen Augen leuchteten ihm nämlich mit unerwarteter Intensität und Klarheit entgegen. Seltsam, dachte er noch, denn mit leuchtenden Farben hatte er nicht gerechnet, eher mit dumpfen, milchigen Augen, weil die Frau bisher so unachtsam und ungelenk gewirkt und gehandelt hatte. So absolut nicht überlebensfähig in einer Welt voller Raubtiere. Sicherlich war die intensive Farbe auf ihren Schock und auf das viele Heulen zurückzuführen, aber es war doch sehr ungewöhnlich. Wie … nicht von dieser Welt.

Sie starrte ihn an und allmählich erkannte er, dass die Frau vor ihm ebenso viel Angst hatte wie vor den drei Bastarden, die sie überfallen hatten. Und wer wusste schon, wofür das gut war? Ein wenig Respekt war sicher nicht unangebracht. Und in ihren Augen musste er genauso verrückt aussehen, wie die drei irren Jugendlichen. Mittlerweile hatte sie allerdings keinen roten Kopf mehr, sondern eine eher bedenkliche Gesichtsfarbe wie von weißem Schnee.

„Alles in Ordnung?“, fragte er höflichkeitshalber, obwohl er schon längst in Gedanken wieder bei der schönen, holden Maid mit dem roten Kleid war, die sich hoffentlich immer noch hinter dem kleinen Wäldchen rechts von ihnen befand und darauf wartete entführt zu werden. Hier seine Zeit zu verschwenden, ging ihm gehörig gegen den Strich, und doch wollte er eben nicht auf seine guten Manieren vergessen. Zum Glück hatte Gotham mit dem mächtigen Zeitreise-Zauber auch Hartwigs Sprache angepasst, sonst würde er hier ja noch weniger verstehen und auch nicht verstanden werden. Es fühlte sich zwar komisch an doppelt zu denken oder zu sprechen und alles in eine komische Sprache eingebettet zu empfinden, aber letztendlich war es auch irgendwie normal. Zumindest nicht wie ein Zwang. Und eine Art Zungenlähmung erlebte er auch nicht, denn auf die Gefahr hatte Gotham auch hingewiesen. „Entweder kannst du dich verständlich machen, oder du bist stumm“, hatte er gesagt und Hartwig hatte sich dennoch darauf eingelassen. Und … er hatte gesprochen! Also musste die käseweiße Frau ihn verstehen, noch dazu, wo ihr endlich auch diese seltsamen Ohrstöpsel aus den Ohren gefallen waren.

Doch ihr Blick war nicht nur ängstlich.

„Was bist DU denn für ein Spinner? Natürlich ist nicht alles in Ordnung! Sieh mich an! Und dann sieh erst mal dich an!“, fuhr die Frau ihn wütend an und schien kein bisschen Respekt zu haben oder dankbar zu sein. Was dann doch so unerwartet kam, dass Hartwig verblüfft zu ihr herabsah. Was bildete sich dieses Weib eigentlich ein? Im ersten Moment wusste er gar nicht wie er damit umgehen sollte, bemerkte aber sehr wohl die Wut, die nun erneut in seinem Bauch grollte. Doch er war Hartwig von Hohenfels und nachsichtig, erklärte ihr unziemliches Verhalten mit dem Schock, den sie erlitten hatte und versuchte daher ihr schlechtes Benehmen zu ignorieren. Er speicherte allerdings für sich ab, dass die Frauen dieser Zeit nicht nur seltsam gekleidet waren, sondern auch ein Mundwerk an den Tag legten, das mehr den Dirnen zuzuordnen war, als den ehrbaren Damen seiner Zeit. Dazu sah die Person ihn auch noch so entrüstet an, als wäre er an allem schuld. Was schon eine ziemliche Fehleinschätzung von Fakten war.

Im Stillen fragte er sich natürlich schon, warum Gott ihm diese Bürde auferlegte. Nicht nur, dass dieses Wesen ihm Zeit kostete und er sich für sie eine Verwundung eingefangen hatte, kostete sie ihm jetzt auch noch Nerven. Dabei waren die ganzen Neuerungen dieser Zeit ja wohl schon Herausforderung genug und Frauen, die so mit Männern sprachen, waren nicht normal, ungezogen oder unwürdig. Und dabei hatte er ihr gerade das Leben oder zumindest ihre Ehre gerettet. Obwohl … mit der Ehre konnte es bei diesem Marktweib wohl nicht weit her sein.

Er sagte gar nichts mehr, wollte nur noch sein Pferd wenden und sich seinem eigentlichen Auftrag widmen, als er plötzlich den Druck und den Schmerz seiner Verwundung überdeutlich spürte. Wie viel unter der Rüstung Schweiß oder Blut war, konnte er nicht sagen, ahnte jedoch, dass dieses winzig kleine Metallding doch eine erhebliche Verletzung verursacht hatte. Vermutlich nicht tödlich, aber ihm war schwindelig und er musste sich gerade total zusammenreißen, um nicht vom Pferd zu fallen. Was er natürlich vor dem Weibsbild tunlichst verbergen wollte. Doch genau die hatte sich inzwischen irgendwie hochgerappelt und an seinem Gesichtsausdruck offenbar erkannt, dass es ihm nicht wirklich gut ging. Etwas an ihrem Blick hatte sich stark verändert und während er sich noch darüber wunderte, reichte sie ihm ein durchsichtiges Ding mit Wasser.

„Trink erst einmal, du bist ja weiß wie die Wand … zumindest unter deiner ganzen Dreckschicht!“, meinte sie frech und reichte ihm ihre Kunststoffwasserflasche hinauf. Und auch wenn er wirklich großen Durst hatte, so war ihm die Frau doch zu suspekt, als dass er die Flasche gleich angenommen hätte.

„Komm! Das hilft!“, setzte sie ein wenig sanfter nach und blickte mit ihren türkisfarbenen Augen nun tatsächlich eine Spur freundlicher zu ihm hoch. Keine Ahnung was sie dazu bewogen hatte! Er war natürlich weiterhin skeptisch, aber ihr Blick war letztendlich der Grund, warum er doch noch zugriff. Wasser konnte er wirklich gebrauchen. Also schnappte er sich wortlos das komische Ding ... und zerdrückte es beinahe zwischen seinen Pranken. Was ihn ziemlich verwunderte, weil er nicht damit gerechnet hatte, dass dieses Etwas so instabil war. Die Frau hatte es schließlich auch in den Händen gehalten und nicht so eingedrückt.

„He! Pass doch auf, Mann! Du verschüttest ja alles!“, schimpfte sie auch gleich aufgebracht und Hartwigs Mund wurde zu einem schmalen Strich. Dieses Weib hatte das reinste Schandmaul und absolut kein Benehmen. Er musste sich regelrecht auf die Zunge beißen, um ihr nicht seine Meinung zu sagen, doch da bemerkte sie offenbar das Einschussloch in seiner Rüstung.

„Um Himmels Willen! Du bist ja angeschossen! Warum hast du denn nichts gesagt?“, fragte sie besorgt und so, wie sie ihn nun ansah, brannten sich ihre Augen mit solch einer Intensität in sein Gehirn, dass er meinte nur noch Türkis sehen zu können.

Nicht Rot, sondern Türkis.

Und die Maid mit dem roten Kleid war auch gerade wie aus seinem Gedächtnis gelöscht. Trotzdem musste er sich konzentrieren.

„Ich... muss aus meiner Rüstung!“, keuchte er schließlich, weil er kaum noch atmen konnte. Die neuzeitliche Waffe hatte ihn nicht nur verletzt, sie hatte seinen Energiehaushalt komplett durcheinandergebracht. Er glaubte zwar, dass die Wunde nicht allzu groß war, aber alles in ihm spielte verrückt. Ihm war übel und er drohte vom Pferd zu fallen. Wirklich beurteilen würde er das Ausmaß seiner Verletzung erst können, wenn die Rüstung abgelegt war. Was natürlich alles in allem eine Katastrophe war, viel Zeit kostete und seinen Auftrag gefährdete.

Noch dazu kamen sie nun ja doch langsam herbei … die anderen Parkbesucher, die Sensationslustigen, die Gaffer. So schnell hier sonst scheinbar alles abzulaufen schien, so langsam waren diese Menschen offenbar bei ungewöhnlichen oder gefährlichen Situationen in ihrer Reaktion, aber wenn alles vorbei war, dann wollten sie durchaus sehen, was denn los war. Zumindest nahm er das in seinem gestressten Zustand so wahr. Wohingegen der Frau diese Menschen offenbar völlig egal waren. Sie hatte gesehen, dass er verletzt war und offenbar endlich begriffen, dass er WEGEN IHR verletzt war. Ihr Blick zeigte nun auch eine Entschlossenheit, die ihn faszinierte. Und dann … sie blickte weder rechts noch links, war mittlerweile völlig unbeeindruckt von der Absurdität der Situation … forderte sie seine Hand und wollte zu ihm aufs Pferd.

„Zieh mich hoch, dann helfe ich dir!“, zischte sie und auch wenn das gerade ziemlich verdreht klang, so reichte er ihr tatsächlich seine Hand. Überraschend gelenkig schwang sie sich dann hinter ihm aufs Pferd und kam auch ganz gut zu sitzen. Mittlerweile waren die ersten Parkbesucher bei ihnen, murmelten oder lachten, doch keiner wagte zu fragen oder sie direkt anzusprechen. Und das war gut so, denn Hartwig kämpfte mit seinem Kreislauf und hätte noch nicht mal mehr sein Schwert ziehen können. Kurz reichte die Frau ihm noch einmal die Flasche und das wenige Wasser, was sich noch darin befand und dieses Mal langte er vorsichtiger zu und trank den Rest in einem Zug leer. Danach steckte sie das filigrane Ding wieder ein und hielt sich an ihm fest. Was bei seiner Rüstung sicher nicht sehr angenehm war. Doch die Frau war wie ausgewechselt, nicht mehr das wimmernde Opfer, sondern jemand, der Verantwortung übernahm und sich um ihn kümmerte.

SIE um IHN!

„Los vorwärts! Ich zeige dir, wohin du reiten musst! Dort können wir deine Verwundung verarzten.“ Und auch, wenn bei Hartwig noch kurz eine Erinnerung an ein rotes Kleid aufpoppte, so war er eigentlich nicht mehr in der Lage klar zu denken. Die Menschen waren ihm egal, sein Zustand ebenso und zudem hatte er plötzlich das Gefühl, dass die Richtung wichtig war und richtig. Und so trieb er sein Pferd an und lenkte dorthin, … wohin die Frau wollte.

3.Kapitel – Die Malerin

Am nächsten Samstag ging Susanne wieder unbeschwert auf den Markt. Ihr Referat hatte vollen Erfolg gezeigt und auch die Hausaufgabe war, wie erwartet, mit einer guten Note bewertet worden. Sie war somit rundum zufrieden und absolut stressfrei. Es standen keine Prüfungen, Referate oder ausgedehnte Hausaufgaben an und das ließ sie umso unbeschwerter durch den geliebten Wiener Naschmarkt laufen. An ihrem Lieblingsobststand verbrachte sie dann eine halbe Ewigkeit. Sie schnupperte, grapschte und bewunderte, ehe sie einen viel zu großen Sack mit Äpfeln, Orangen und Birnen kaufte. Als sie auch noch an einer Limette schnupperte, tippte ihr jemand von hinten auf die Schulter.

Ahnungslos drehte sie sich um und … erschrak fast zu Tode bei seinem Anblick. Sie zuckte zusammen und drehte sich dabei irgendwie eigenartig. Was ziemlich lächerlich aussah und an eine halbe Pirouette erinnerte. Na wenigstens plumpste sie nicht auch noch in die Obstkisten!

„Entschuldigen Sie bitte ...“, begann der Mann freundlich, während ihr Verhalten reinster Slapstick war. Seine Augen blitzten und sein Grinsen war nett, obwohl sie sich so seltsam benahm. „Sind Sie vielleicht Susanne Bahr?“, fragte er noch unbekümmert nach und sie schnappte verzweifelt nach Luft. Die Erwähnung ihres Namens verblüffte sie zudem so sehr, dass sie nicht antworten konnte, sondern nur ihren Kopf in einem seltsamen Ja-Rhythmus bewegte. Allmählich bemerkte er ihr Durcheinander.

„Ich bitte nochmals um Entschuldigung, ich habe Sie offenbar erschreckt. Geht es Ihnen gut?“ Seine Stimme war sanft, seine Augen ein wenig besorgt. Seine Hand fasste sicherheitshalber nach der ihren, weil sie gar so verdattert dreinschaute und scheinbar nicht ordentlich atmete. Doch Susanne bekam das langsam etwas mehr in den Griff.

„Nein, äh … Sie haben mich erschreckt, das stimmt schon, aber ...“, plapperte sie verwirrt los. Er ist es! Das kann ja wohl nicht wahr sein! Hektisch wechselte sie zum Frage-Modus und versuchte ihre Atmung zu beruhigen.

„Wie? Warum?“, zischte sie. Ganze Sätze waren scheinbar noch nicht möglich. Der Anblick des Mannes schockierte sie nachhaltig, erinnerte sie viel zu sehr an ihre Skizzen der letzten Zeit. Schnell schüttelte sie den Kopf und versuchte diese idiotische Assoziation zu verdrängen. Ebenso die Gänsehaut, die sich mittlerweile eingestellt hatte.

„Eine Schulkollegin von Ihnen hat mir gesagt, dass ich Sie am Samstag ganz sicher hier treffe und da ich auch gerne mal einen Marktspaziergang mache, habe ich mir gedacht ...“, begann er zu erklären, doch Susanne hörte kaum zu, war nur noch verwirrt. Was macht er hier und wieso ist er nicht auf meiner Leinwand? Natürlich versuchte sie auch diesen Quergedanken zu verdrängen, zumal er idiotisch war, aber sie bemerkte schon, dass sie gerade vollkommen neben der Spur lief. Dieser Mann war aus Fleisch und Blut und hatte nichts gemein mit ihrem Bild. Außer vielleicht die Kinnpartie und die Augen. Sie schluckte kurz, weil auch die blonden Haare perfekt zu ihrer Vorstellung passten. Aber das wollte sie jetzt gerade nicht zulassen. Egal, ob sie erschrocken war, schockiert oder einfach nur knieweich: Der Mann war fast zu schön für diese Welt.

Unwirklich schön, dachte sie noch und im nächsten Augenblick erneut, dass sie sich endlich zusammenreißen musste. Also atmete sie tief durch, konzentrierte sich und schaffte sogar einen vollständigen Satz von sich zu geben.

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte sie schließlich ohne zu stottern und mit einem unterschwelligen Stolz in der Stimme, weil sie die sechs Worte fehlerfrei ausgesprochen hatte. Sie versuchte ihre Nervosität sogar mit einer gelasseneren Haltung zu überspielen und so letztendlich auch ihre Atmung wieder in den Griff zu bekommen.

Im Hintergrund meldete sich allerdings inzwischen der Verkäufer mit einem schiefen Blick auf die Limette und wollte wissen, ob sie die nun endlich bezahlen würde. Und da erst bemerkte sie, wie sehr sie das grüne Ding gerade in ihrer Hand malträtierte und quetschte. Was zwar einen sehr erfrischenden Duft hervorrief, aber ihrer Coolness natürlich ein klein wenig Authentizität nahm.

„Entschuldigung“, murmelte sie gleich in zwei Richtungen, also zum Fremden hin und zum Verkäufer, bezahlte schnell das ramponierte Ding und wandte sich dann wieder ganz dem Fremden zu. Der hatte auch geduldig gewartet und sah sie weiterhin freundlich an. Er war vielleicht etwas jünger als sie, groß gewachsen und sportlich. Bei genauerer Betrachtung hatte er eigentlich gar nicht mehr solch eine eklatante Ähnlichkeit mit ihren Zeichnungen, aber im ersten Moment hatte sie geglaubt der leibhaftige Engel würde vor ihr stehen. Das Gefühl dazu war wie ein Schock gewesen.

So, jetzt aber ... dachte Susanne zuversichtlich, steckte ihre Geldbörse weg, zupfte sich eine Haarlocke hinters Ohr und stellte sich der ‚fremden Anforderung‘. Er ist nur ein Mann, dachte sie und genau der lächelte ihr immer noch mit dieser verwirrenden Heiterkeit zu. Als wäre er gewohnt, dass Frauen sich in seiner Gegenwart seltsam benahmen.

„Ich wollte Sie bitten mich zu porträtieren“, sagte er frei heraus und reichte ihr auch gleich seine Visitenkarte „Es soll ein Geschenk werden“, ergänzte er und Susanne nahm wie in Trance die Karte entgegen. Damit hatte sie so gar nicht gerechnet und es ließ sie wohl in die nächste Verblüffung schlittern. Er wollte von ihr portraitiert werden? Aber warum?

„Es waren die Bilder im Aushang der Schule, die mir gefallen haben. Die haben mich inspiriert und spontan auf diese Idee gebracht“, meinte er, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Trotzdem wurde sie ihm offenbar zunehmend suspekt, denn die übertriebene Heiterkeit verschwand allmählich aus seinen Augen. Sie benahm sich ja auch immer noch komisch, sah ihn wie ein ängstliches Häschen an und zeigte nicht den Hauch von Interesse oder gar Euphorie wegen einem möglichen Arbeitsauftrag.

„Die sind doch von Ihnen, oder?“, hakte er daher misstrauisch und mit einem deutlich eindringlicheren Blick nach, sodass Susanne unwillkürlich einen Schritt zurücktrat. Diese Eindringlichkeit setzte ihr einfach zu und eine Antwort brachte sie nun mal nicht heraus und genau dieses Verhalten schien dem Mann allmählich zu reichen. Sein Blick wurde abweisend.

„Aber ich sehe ich mache Ihnen Angst!“, brummte er und seine Miene verfinsterte sich noch mehr. „Vielleicht war es doch keine so gute Idee, Sie hier so zu überfallen! Also ... es tut mir leid, offenbar fühlen Sie sich von mir belästigt“, murmelte er und machte Anstalten zu gehen. Doch das war das Letzte, was Susanne wollte! Natürlich benahm sie sich seltsam, aber er konnte ja nicht wissen, dass sie hinter all dem idiotischen Verhalten fasziniert war und ihn gar mit einem imaginären Engel in Verbindung brachte. Aufhalten, dachte sie noch, ehe sie ein hektisches „Nein!“ brüllte. Völlig überzogen und viel zu laut. Sie war sogar knapp davor ihn festzuhalten, nur um ihn nicht mehr entwischen zu lassen. Das simple Wort war wie ein lauter Klumpen aus ihrem Mund gefallen, lag nun irgendwie zwischen ihm und ihr in der Luft und schien die Situation nicht gerade zu verbessern. Er muss ja denken, dass ich vollkommen bescheuert bin, dachte sie verlegen und versuchte das mit dem Durchatmen erneut. Sie konzentrierte sich also auf ihren Atem, den Boden unter ihren Füßen und … brachte einen halbwegs normalen Satz heraus.