Eins. zwei Polizei - Sabineee Berger - E-Book
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Sabineee Berger

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Beschreibung

Silvia ist Mutter zweier Kinder, glücklich verheiratet und so nebenbei ein wenig hellsichtig. Durch einen dummen Zufall bekommt der Chef eines Spezialeinsatzkommandos von ihrer Gabe Wind und rekrutiert sie kurz entschlossen für einen Auftrag. Um ihre Familie zu beschützen, willigt Silvia ein, muss aber gehörig die Zähne zusammenbeißen, um die völlig neue Realität zu akzeptieren. Ihr Chef ist nämlich ein Vampir und Peter Martins, ihr Teamkollege, ein durchaus nervender Gedankenmanipulant. Auch der Auftrag verheißt nichts Gutes, denn er führt Silvia auf die ungewöhnlichste Party ihres Lebens, wo sie nicht nur gemeinsam mit Martins eine mörderische Bestie entlarven soll, sondern auch seine Ehefrau spielen muss.

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Sabineee Berger

Eins. zwei Polizei

 

 

 

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- gekürzte Vorschau -

Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

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Impressum tolino

Prolog

„Aber das habe ich doch schon erklärt ...“, wiederholte ich und rollte genervt mit den Augen.

„Dann machen Sie das eben noch einmal“, forderte er und lachte dabei ohne einen Funken von Humor. Seit fast einer geschlagenen Stunde befragte er mich nun schon zu diesem dummen Vorfall und ging dabei nicht gerade zimperlich vor. Es war zwar kein richtiges Verhör und er benahm sich im Prinzip korrekt, aber ich fühlte mich in die Enge getrieben. Von Anfang an hatte er mich in einem winzigen Raum ohne Fenster separiert und auch wenn es keine verspiegelten Wände und Kameras gab, hatte ich doch ein komisches Gefühl.

„Ich habe einfach impulsiv gehandelt“, wollte ich erneut meine Beteiligung herunterspielen, als der Mann plötzlich seine Taktik änderte. Mit einem lauten Krachen donnerte er seine Faust auf den Schreibtisch und funkelte mich mit dunklen Augen an.

„Frau Mekal! Jetzt reicht es! Sie verschwenden seit über einer Stunde meine Zeit und glauben Sie mir: Ich bin nicht gewillt, Sie einfach gehen zu lassen“, schrie er und brachte mich damit völlig aus dem Konzept. Im Normalfall hätte ich mir das vermutlich nicht gefallen lassen, aber nach einer Stunde intensivster Konzentration, war ich auf ein Donnerwetter nicht vorbereitet.

„Aber ... aber ...“, stotterte ich, weil ich gar nicht auf die Idee gekommen war, länger festgehalten oder eingesperrt werden zu können. „Das geht doch nicht! Sie können doch nicht ...“

„Ich kann sehr viel, Frau Mekal, glauben Sie mir! Einen Grund für Untersuchungshaft finde ich schon. Schließlich haben Sie den vollen Ausraster gehabt.“

„Den vollen Ausraster? Also bitte! Ich bin doch nur gegen eine Einbahn gefahren!“ Ich wehrte mich tapfer, obwohl mir seine Worte Angst machten. Untersuchungshaft wegen einem Verkehrsdelikt? Davon hatte ich ja noch nie gehört.

„Einfach? Frau Mekal! Sie sind am Abend bei Nieselregen laut hupend über zwei Fahrspuren gerast, haben zwei Autos abgedrängt und insgesamt vier zur Notbremsung genötigt. Danach sind sie in falscher Richtung in eine Einbahn gebogen und mit Warnblinkanlage auf dem Zebrastreifen stehen geblieben. Und damit meine ich MITTEN auf dem Zebrastreifen! Und all das nur, um danach seelenruhig umzudrehen, ein weiteres Fahrzeug abzudrängen und Fahrerflucht zu begehen. Wenn Sie mich fragen, ist an all dem nichts wirklich einfach.“

„Aber ich habe doch schon gesagt, warum ich das gemacht habe! Da war dieser Mann, den ich aus dem Augenwinkel bemerkt habe.“

„Ein Mann? Woher wussten Sie denn, dass es ein Mann war, wenn Sie ihn nur aus dem Augenwinkel gesehen haben? SIE ganz alleine, denn niemand sonst hat diesen Mann gesehen, Frau Mekal. Und dann noch von der äußersten Spur, wo doch andere Autofahrer viel näher waren.“

„Vielleicht war es mehr ein Gefühl. Instinkt eben. Zuerst habe ich sogar gehofft, es wäre etwas anderes als ein Mensch. Ein Müllsack der plötzlich umkippt oder etwas anderes Lebloses, damit ich einfach weiterfahren kann. Letztendlich aber hatte ich dieses Gefühl und ...“

„Ein Gefühl also.“

„JA! Und es hat sich ja auch bestätigt. Da ist tatsächlich ein Mann auf die Straße gefallen, war bewusstlos und hätte jeden Moment von einem Auto erfasst werden können.“

„Das wollen Sie alles in einem Bruchteil von Sekunden abgecheckt haben? Sie, eine Hausfrau?“

„Na super! Und Sie, als Bulle, hätten wohl Stunden dafür gebraucht oder wie?“, ärgerte ich mich, weil die Anspielung auf meinen derzeitigen Berufsstand unter der Gürtellinie lag. Mit 36 war man schließlich noch lange nicht alt oder blöd und als Hausfrau eben ein Familienmensch und nicht der Sozialschmarotzer für den andere einen gerne abstempelten, nur weil sie mit ihrem eigenen Leben unzufrieden waren.

„Ich an Ihrer Stelle würde nicht allzu frech werden, Frau Mekal! Ihre Lage ist nicht gerade die Beste.“

„Aber ich habe dem Mann das Leben gerettet“, echauffierte ich mich, obwohl ich mir in diesem Punkt gar nicht so sicher war. Die ganze Aktion war einfach nur saudumm gewesen und hätte einen schweren Unfall provozieren können.

„Der Mann liegt noch im Krankenhaus. Genaueres erfahren wir noch.“

„Verstehen Sie denn nicht? Er ist wie ein nasser Sack weit hinter dem Zebrastreifen auf die Straße gefallen und liegen geblieben. Noch dazu an einer recht finsteren Stelle. Ein herannahendes Auto hätte vielleicht nicht rechtzeitig bremsen können und den Bewusstlosen überfahren! Also bin ich schnell hin und habe mit meinen Scheinwerfern und der Warnblinkanlage auf ihn aufmerksam gemacht. UND GUT WAR ES! Denn, genau in dem Moment ist ja auch tatsächlich das andere Auto gekommen und hat erst verrissen, als ich den Mann beleuchtet habe!“

„Das ist verrückt, Frau Mekal! Nicht gut, sondern verrückt! Sie können das alles unmöglich so geplant oder vorausgesehen haben. Vielleicht stellt sich ja sogar heraus, dass sie ausgerastet sind und den Typen einfach angefahren haben. Danach haben sie gewendet und sind seelenruhig nach Hause gedüst. Fahrerflucht im klassischen Sinn.“

„Unsinn! Warum sollte ich das machen?“, schrie ich und hätte dem Kerl am liebsten meine Nägel ins Gesicht geschlagen, wenn der nicht so gefährlich ausgesehen hätte.

„Sagen Sie es mir!“, konterte er trocken und hob dabei provokant seine rechte Augenbraue.

„Nein! Das kann ich nicht, denn ich wollte nur helfen. Punkt!“ Ich schnaubte und versuchte mich wieder zu beruhigen.

„Helfen? Sie sind doch gleich wieder gefahren“, lachte er böse.

„Ja schon, aber nur, weil ich mitten auf dem Zebrastreifen und in der falschen Richtung gestanden bin. Der Mann am Boden wurde ja schon von den beiden Herren aus dem anderen Auto versorgt. Die haben dann auch die Rettung geholt und versprochen bei ihm zu bleiben. Ich musste doch die Straße wieder freigeben ... und nach Hause.“

„Natürlich! Da stirbt ein Mann vor ihren Augen und Sie müssen schnell zurück, zu Heim, Herd und Kindern. Und das um 22.00 Uhr, wo alles unter acht Jahren schon schläft.“

„Ja.“

„Frau Mekal! Das klingt alles sonderbar. Für ihre Abdrängaktion haben Sie gerade einmal zehn Sekunden gebraucht. Dann sind sie ausgestiegen, haben das Opfer angesehen und festgestellt, dass er einen Arzt braucht. Die Männer aus dem Wagen haben die Rettung geholt und Sie haben sich angeblich versichert, dass das Opfer nicht alleine bleibt. Danach sind Sie wieder fröhlich abgedüst. Das macht alles in allem einen Auftritt von ... tam ta ta taaa ... sage und schreibe drei Minuten“. Für sein blödes Tam ta ta taaa strengte er sich richtig an, aber seine Augen blitzten dabei wütend und seine Haut verfärbte sich krebsrot. Ein sicheres Zeichen für seinen Ärger.

„Frau Mekal! Sie gebärden sich auf unseren Straßen wie ein Cop aus Miami Vice, lassen das Opfer dann liegen und fahren nach Hause ohne Personalien zu hinterlassen. Wieso sollten wir glauben, dass da nicht mehr dahinter steckt? Ein verrückter Mordversuch zum Beispiel oder einfach Alkohol?“

„Das ist jetzt aber die Höhe! Was soll ich denn noch alles tun? Ich meine, ich habe diese Situation jetzt schon zum hundertsten Mal erzählt und mich scheinbar bis auf die Knochen blamiert, weil ich eine reife, spontan veranlagte Hausfrau bin. Wobei sie mehr auf meinem Berufsstatus und meiner Intelligenz herumreiten, als auf meiner spontanen Handlung. Ich kann Ihnen also immer nur wieder das Gleiche erzählen, nämlich dass ich diesem Mann das Leben retten wollte und sicher keinen Alkohol getrunken habe, weil ich mit dem Auto unterwegs war. Wir drehen uns also ständig im Kreis!“ Allmählich war ich richtig erschöpft von dem ewigen Hin und Her. Selbst meine Wut schwächelte bei der Hartnäckigkeit dieses Kerls. „Also was stellen Sie sich noch alles vor, damit ich endlich gehen kann? Soll ich etwa Ihre Füße küssen?“, fragte ich spöttisch und schien damit seine Geduld endgültig zu eliminieren. Blitzschnell sprang er aus seinem Stuhl, legte noch etwas von seiner roten Gesichtsfarbe zu und beugte sich weit über den Tisch zu mir herüber. Sein riesiger Schädel kam dabei so nahe, dass ich am liebsten vom Stuhl gerutscht und im Erdboden versunken wäre. Seine dunklen Augen blitzten so hart wie schwarze Diamanten.

„Wenn es nach mir geht, dauert das Verhör noch lange und du kommst nicht so leicht davon und wenn es weiter nach mir geht, dann küsst du etwas ganz anderes, als nur meine Schuhe. Haben wir uns JETZT verstanden?“, drohte er und knirschte dabei mit den Zähnen, als würde er etwas zermalmen. Vor lauter Schreck konnte ich nicht einmal mehr Luft holen und nur in seine finsteren Augen starren. Den offiziellen Polizeiweg hatte er mit seiner Andeutung jedenfalls endgültig verlassen.

1. Kapitel

„Wieso hat das so lange gedauert?“, fragte mein Mann während er die Haustür öffnete. Statt eine Antwort zu geben, fing ich sofort an zu heulen. Dabei hasste ich nichts mehr als eigene Tränen.

„Ach, komm her, Schatz. War es denn so schlimm?“, meinte er und schaltete automatisch in seinen bewährten Tröster-Modus. Schniefend stolperte ich vorwärts und wischte mir die Tränen fort.

„Ja! Der Typ hatte den vollen Knaller. Kannst du dir vorstellen, wie der mir zugesetzt hat? Alles nur wegen ein bisschen falsch Fahren“, jammerte ich und ließ mich von Erik in seine Arme ziehen. Laut seufzend schmiegte ich mich an ihn, genoss seine Wärme und das Gefühl von Sicherheit.

„Sollen wir einen Anwalt einschalten und den Arsch verklagen?“

„Nein, danke. Ich will dort nur nie wieder hin.“

„Erzähl mir, was passiert ist. Ich dachte du musst nur hin, um eine kurze Aussage zu machen?“

„Das dachte ich auch, aber dann kam die volle Ladung Terror.“

„Mein Gott, Silvi, du zitterst ja am ganzen Körper!“ Allmählich wurde mein lieber Mann richtig wütend. „Das ist ja wohl nicht zu fassen! So eine verdammte Schweinerei! Gleich morgen werde ich meinen Anwalt anrufen und den Zuständigen zur Schnecke machen. Ich meine, die haben dich dort drei Stunden festgehalten und fertig gemacht. Das dürfen die nicht!“, schrie er und rubbelte weiter fürsorglich über meinen Rücken. Erik wurde eigentlich nur selten wütend, aber wenn es um mich oder die Kinder ging, konnte er schon auch mal ausrasten. Seine Fürsorge tat mir unendlich gut, aber eine innere Stimme warnte mich davor, die Nase zu weit aus dem Fenster zu strecken. Zu viele Gegenmaßnahmen konnten auch eine Menge Ärger bedeuten.

„Bitte nicht! Ich mag einfach nichts mehr mit denen zu tun haben. Ich weiß, wie dumm das ist, aber du hättest seine Augen sehen müssen! Wenn wir hier was machen, lässt uns der Typ vielleicht nie wieder in Ruhe.“

„Wie bitte? Hat er dich etwa bedroht?“

„Nicht direkt. Aber ich hatte wirklich Angst vor ihm. Vielleicht gehört das ja zur üblichen Verhörtaktik, aber dem bin ich einfach nicht gewachsen.“

„Natürlich nicht! Wer ist das schon? Und warum auch? So etwas ist wohl kaum angebracht bei einem Verkehrsdelikt. Wie hat der Typ denn geheißen?“

„Peter ... warte ... Peter Martins oder so.“

„Und das war der Polizeichef?“

„Äh, das weiß ich nicht. Ich war ja so aufgeregt und bin dem Beamten einfach in sein Büro gefolgt.“

„Also gut, Liebes. Du ziehst dir erst einmal die Jacke aus, kommst ins Wohnzimmer auf eine schöne Tasse Tee und dann erzählst du mir alles haargenau.“

„Und die Mädchen? Schlafen sie schon?“

„Ja, längst. Mittlerweile ist es auch okay, wenn ihre Mama mal nicht beim Einschlafen dabei ist.“ Er lächelte und ich begann mich endlich ein wenig zu entspannen.

„Die beiden sind schon zwei Goldschätze“, seufzte ich und hing meine Jacke an die Garderobe.

„Ich mache den Tee und du erzählst mir inzwischen alles über den Typen.“

Wir plauderten noch eine Stunde und ich erzählte ihm viel von diesem fiesen Peter Martins – außer, dass er einen Moment lang sogar anzüglich geworden war. Ich wollte einfach nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen. Erik kochte sowieso schon vor Wut. Von einer Beschwerde ließ er sich jedenfalls nicht abbringen, aber zumindest wollte er vorerst keinen Anwalt einschalten. Mein Held eben!

Am nächsten Vormittag läutete es an der Tür. Die Kinder waren in der Schule, Erik im Büro. Ich bügelte gerade Hemden, war verschwitzt und entsprechend unausgeglichen. Auf Besuch hatte ich wenig Lust, aber weil es klingelte, öffnete ich.

„Sie?“, kreischte ich im nächsten Moment, weil ich nicht fassen konnte diesen Mann vor mir zu sehen.

„Was dagegen, wenn ich reinkomme?“, fragte der fiese Verhörmensch von gestern und wollte gerade weitergehen, als ich im Turboreflex die Türe wieder zuknallte und zugleich versperrte. In Stresssituationen funktionierte ich wahrlich immer am besten. Und Stress hatte ich oft genug mit Zwillingen.

„Nein! Sicher nicht! Ich möchte nichts mit Ihnen zu tun haben und wenn Sie keinen Durchsuchungsbefehl haben, kommen Sie hier auch nicht herein“, brüllte ich durch die Tür, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie weit ich ihm den Zutritt verweigern durfte. Schließlich kannte ich solche Sprüche nur aus dem Fernsehen. Aber ich wollte um nichts in der Welt ein zweites Verhör riskieren. So aggressiv wie dieser Mann war, machte er mir hier vielleicht die Hölle heiß und stellte es dann als Einbruch mit Todesfolge dar. Was – zugegeben – etwas weit hergeholt war, aber meiner Angst entsprach. Sein Besuch alleine war ja schon unangenehm und eine deutliche Verletzung meiner Privatsphäre. Angestrengt lauschte ich dann an der Tür und hoffte auf Schritte, die sich entfernten. Stattdessen hörte ich einen lauten Seufzer.

„Kommen Sie schon! Ich möchte mich nur entschuldigen“, lachte er schließlich leise und ich begann zu stutzen. Peter Martins kann lachen? Nicht wirklich, oder? Das machte mich freilich neugierig und ich spähte vorsichtig durch den Türspion, obwohl ich irgendwie erwartete in die Mündung einer Pistole zu gucken. Stattdessen sah ich nur einen Wust aus gelben Blumen, den er offenbar direkt vor den Gucker hielt. Nelken! Verdattert schüttelte ich den Kopf. Was soll das denn jetzt? Ich war irgendwie verwirrt und überrascht, aber als Martins dann laut klopfte und zugleich klingelte, wusste ich gleich wieder, warum ich den Typen nicht mochte. Er war aufdringlich und hartnäckig, mehr nicht! Wenigstens dämmerte mir allmählich, was er hier wollte. Mein Mann hatte seinem Vorgesetzten vermutlich so derart die Leviten gelesen, dass der coole und „ach-so-harte“ Verhörmensch nun zu Kreuze kriechen musste. Vermutlich saß sogar noch jemand im Auto und beobachtete, ob er seine Entschuldigungstour auch wirklich durchhielt. Ha! Was für eine erhebende Vorstellung! Für einen Mann wie Peter Martins musste das schlicht die Hölle sein. Für mich hingegen ... Genugtuung pur.

Als er dann tatsächlich noch einmal klopfte und zugleich klingelte, gingen mir die Nerven durch. Sollte er doch sein scheiß Grünzeug abgeben und dann wieder gehen! Ohne weiter zu überlegen, öffnete ich die Tür.

„Also, Frau Mekal! Diese Blumen sind für Sie und ... ach, könnte ich nicht reinkommen? Hier draußen ist es doch ein wenig peinlich“, meinte Martins zerknirscht und wirkte wie ein Hündchen mit eingezogenem Schwanz. Nur, dass dieses Hündchen eben ein Rottweiler war.

„Okay, aber nur kurz. Ich habe zu tun.“ Meine Stimme war streng, mein Gesichtsausdruck unhöflich, aber in Wirklichkeit konnte ich mir ein Schmunzeln kaum verkneifen. Peter Martins war von meinem Mann zu einer Entschuldigung verdonnert worden, weil ihm sonst ein Anwalt seinen durchtrainierten Hintern versohlen würde. Nette Vorstellung, übrigens.

„Wollen Sie was trinken?“, fragte ich schnell, um mich von der Vorstellung an seinen Allerwertesten abzulenken.

„Kaffee wäre eine Wucht“, meinte er knapp, zeigte dabei aber ein kurzes Lächeln, das ihn um Jahre jünger machte.

„Gut, einen Kaffee lang halte ich das schon aus“, murmelte ich und kümmerte mich nicht darum, dass er seine rechte Augenbraue um ein paar Grade schräger stellte. Überraschender Weise verkniff er sich eine Entgegnung und reichte mir stattdessen die Blumen. Er war sogar so höflich, sich unaufgefordert die Schuhe auszuziehen, ehe er mir brav wie ein Hündchen ins Wohnzimmer folgte. Dort stellte ich schnell Bügelbrett und Wäscheberg zur Seite und warf in der Küche die Espressomaschine an. Der Vorteil von offenen Wohnküchen war, dass man alles erledigen und dennoch mit den Gästen plaudern konnte. Doch manchmal war es auch störend, wenn jemand das übliche Chaos im Haus zu Gesicht bekam. Außerdem war Martins kein richtiger Gast.

„Hmmm. Espresso. Super“, meinte er fröhlich und nahm Platz.

„Also, Herr Martins. Warum sind Sie nun wirklich hier?“ Mittlerweile war ich mir nicht mehr so sicher, dass er nur wegen einer Entschuldigung gekommen war. Ein Mensch wie er passte einfach nicht in die Rolle des Reumütigen, selbst wenn er Blumen dabei hatte. Peter Martins wurde auch sofort ernst und sein durchdringender Blick schien zu bestätigen, dass da wirklich mehr war. Doch er sagte kein Wort, guckte nur intensiv und schien zu überlegen, wie er mit mir umzugehen hatte. Ich wurde augenblicklich nervös und kramte zur Ablenkung nach einer Vase für die Blumen. Dabei spähte ich unauffällig aus dem Fenster. In Martins Wagen saß kein zweiter Beamter. Ich war also alleine mit dem Mann und Nachbarn waren zurzeit auch nicht greifbar, entweder auf Urlaub oder einfach nur senil. Mit zittrigen Händen füllte ich Wasser in die Vase.

„Keine Angst, ich werde Ihnen nichts tun“, meinte er ruhig, aber auf eine Weise, die mir deutlich machte, wie gefährlich er werden konnte.

„Angst? Wer hat denn Angst?“, fiepte ich und versuchte Haltung zu wahren, doch sein schiefes Lächeln zeigte, wie gut er meine Gefühle nachvollziehen konnte. Verdammt! Wegen der paar Nelken habe ich ihn hereingelassen? Im Stillen überlegte ich welche Arten von Waffen ich griffbereit hätte. Messer, Töpfe, Brotmaschine ... Scheiße aber auch.

„Jetzt hören Sie schon auf! Ich bin wirklich hier um mich zu entschuldigen. Der Mann aus dem Spital hat alles bestätigt. Er hatte eine Kreislaufschwäche und ist auf die Straße gefallen. Die beiden Männer, die die Rettung gerufen haben, konnten bestätigen, dass sie das Opfer unmöglich angefahren haben. Ich bitte Sie also wirklich ganz offiziell um Entschuldigung. Wenn Sie so wollen, bezeichne ich Sie sogar als Heldin.“ Er rollte mit den Augen und sein Text klang wie auswendig gelernt, aber immerhin entschuldigte er sich. Und nicht nur das! Er sprach sogar ein Lob aus und das minimierte irgendwie meine Anspannung. So wie es aussah, würde er mich nicht jeden Moment verhören, foltern oder gar töten. Erleichtert drückte ich auf die Taste für zwei Tassen starken Espresso. Auf die Idee zu fragen, wie er seinen Kaffee wollte, kam ich gar nicht. Für mich war er der typische Schwarztrinker, extra strong.

Als ich ihm die Tasse hinstellte und gegenüber Platz nahm, lächelte er mich an. Weiße, gleichmäßige Zähne, dunkelbraune Haare, schwarze Augen, ungewöhnlich klar und nicht mehr so hart und böse wie gestern beim Verhör. So entspannt wirkte er sogar ein klein bisschen sympathisch.

„Entschuldigung ...“, begann ich und holte tief Luft. „Sind Sie zufällig der Zwillingsbruder von Peter Martins, dem Scheusal von gestern?“ Dabei guckte ich vermutlich so verdutzt aus der Wäsche, dass er kurz innehielt und schließlich laut zu lachen begann.

„Sie sind nicht gerade leicht beim Annehmen von Entschuldigungen, oder?“, lachte er und schlürfte seinen Espresso mit Genuss. „Hmmm. Genau wie ich ihn mag.“

„Ich weiß“, antwortete ich ohne nachzudenken.

„Sie wissen?“

„Ja, das ist so eine Macke. Ich bilde mir ein den Kaffeetyp erkennen zu können. Sie sind nun einmal extra strong, also sicher kein Kaffee-Latte-Typ.“ Ich wusste, wie bescheuert das klang doch im Prinzip konnte mir egal sein, was er von mir dachte.

„Frau Mekal, ist es für Sie okay, wenn ich Silvia sage?“

„Wie bitte?“ Mir blieb fast der Kaffee im Mund stecken – was bei Flüssigkeit nicht wirklich möglich war, sich aber umso seltsamer anfühlte.

„Hören Sie, ich möchte nicht, dass Sie weiter Angst vor mir haben. Ich hatte gestern einen schlechten Tag und eine falsche Anweisung bekommen. Sie haben mich also von einer Seite kennengelernt, die ich so nicht im Raum stehen lassen möchte.“

„Herr Martins! Ich finde es sehr nett, dass Sie vorbeigekommen sind, um ihren Fehler zuzugeben, aber um der Wahrheit die Ehre zu geben ... ich kann nicht vergessen, was Sie gestern zu mir gesagt haben und welche Schwingung Sie dabei verbreitet haben.“ Oje oje, so hatte ich es eigentlich nicht formulieren wollen. Andeutungen zu meinen „Antennen“ machte ich in der Regel nie.

„Sehen Sie ...“, begann er vorsichtig, wobei er das Sie so betonte, als würde er schon längst Silvia und DU zu mir sagen, wenn ich auf seinen freundlichen Vorschlag nicht so zickig reagiert hätte. „... eben diese Begabung, Schwingungen zu erkennen, kann für uns von Interesse sein.“

„Begabung? Wie kommen Sie denn auf so etwas?“, fragte ich schroff und unbewusst lauter. Niemand wusste von meiner Gabe, außer vielleicht mein Mann und natürlich meine Kinder, die nun mal einen unglaublichen Draht zur Gefühlswelt ihrer Mutter hatten. Der Polizist aber spürte sofort meine Panik und wusste scheinbar auch, dass er mit Druck im Moment nicht weiterkommen würde. Er nickte mir fast unmerklich zu, doch seine Augen blieben ernst und eindringlich.

„Schon gut, Frau Mekal. Ich lasse Ihnen meine Karte da – die inoffizielle! Falls Sie mal Hilfe in Sachen Begabung brauchen, wenden Sie sich sofort an mich. Und falls ich einmal Hilfe in Sachen ...“

„Nichts da!“, fuhr ich dazwischen und zugleich aus meinem Sessel. „Es gibt keine Begabung und ich biete weder Hilfe an, noch brauche ich sie.“ So zornig wie ich mich gerade fühlte, musste der Kerl doch merken, dass er nicht länger erwünscht war. Doch mit Gefühlsausbrüchen konnte der Mann offenbar gar nichts anfangen, außer vielleicht bei einem Verhör. Jetzt aber blieb er gelassen sitzen, nippte weiter an seinem Kaffee und blickte mich auf eine Weise an, die mir plötzlich wieder Gänsehaut bereitete. Meine Knie begannen zu zittern, aber ich blieb stehen.

„Ist gut, Silvia. Wenn du anfängst von mir zu träumen, werden wir sehen, ob du nicht doch Interesse hast, dich zu melden.“ Damit stellte er seine Tasse ab und kam ebenfalls in die Höhe. Höher und höher, denn er war gut einen Kopf größer als ich, breit wie ein Schrank und so durchtrainiert, dass ich mich erstmals fragte, ob er wirklich ein normaler Polizist sein konnte.

„Raus hier!“, krächzte ich und machte instinktiv ein paar Schritte rückwärts. Der Typ hat sie ja wohl nicht alle! Warum sollte ich von ihm träumen? Weil er so ein harter, durchtrainierter Kerl war oder ein aggressiver Spinner, der Begabungen witterte, wo keine waren? Gut, da war schon die eine oder andere Sonderbarkeit an mir, aber die konnte niemand sehen oder wittern. Niemals!

„Schon gut. Ich gehe“, sagte er und lächelte kein bisschen mehr. Er wirkte nicht gerade aggressiv, aber auch so genug überlegen. Zumindest hatte ich den Eindruck, dass er mehr von mir wusste, als mir lieb war. „Hebe meine Karte gut auf, Silvia. Sie kann dir vielleicht einmal das Leben retten!“

„Ich weiß überhaupt nicht was Sie damit meinen. Ich möchte nur, dass Sie jetzt gehen!“, zischte ich und betonte das SIE extra schnippisch. Doch in Wirklichkeit zitterte ich schon wieder am ganzen Leib. Niemand kann davon wissen, niemand! Mit diesem Minimantra wollte ich mich beruhigen, doch es gelang mir kein bisschen. Er hingegen ging betont langsam ins Vorzimmer und hockte sich nieder, um seine Schuhe wieder anzuziehen. Schnürstiefel wie beim Militär. Ich blieb ihm dicht auf den Fersen und konnte so einen Blick auf seinen breiten Rücken und sein muskulöses Genick erhaschen. Immerhin kniete der Riese gerade vor mir und aus unerfindlichen Gründen mochte ich das. Sein Genick war wirklich beeindruckend breit, aber das Interessante daran war die Schlange, die aus seinem Hemdkragen hervor lugte. Eine scharf gestochene, bunte Tätowierung. Zweifelsfrei leblos, aber mit extrem eindringlichen Augen. Die Schlange fletschte aggressiv die Fänge und schien mich direkt anzublicken. Es war nur ein kurzer Einblick, weil Martins rasch wieder in die Höhe kam, aber der reichte für ein mulmiges Gefühl. Die Schlange hatte sich um eine rote Stange gewunden und war dabei so real und angriffslustig gewesen, wie der Mann selbst.

„Auf Wiedersehen, Silvi“, meinte er mit extra dreister Anredeform und streckte mir die Hand zum Abschied entgegen. Doch ich ließ mich nicht provozieren und ergriff betont lässig die dargebotene Hand. Was genau der Fehler war! Martins griff nämlich nicht einfach nur zu, er packte mich richtig fest und zog mich mit Schwung in seine Arme. Erschrocken stolperte ich vorwärts und wurde schlagartig in einer Umarmung mit Riesenmuskeln gefangen.

„Was ...?“, fluchte ich und versuchte mich zu befreien, als er mich nur umso fester packte und meinen Kopf nach hinten bog, damit ich ihm in die Augen sehen konnte.

„Lassen Sie mich sofort los, sonst schreie, ich ...“

„Sch, sch“, zischte er, blickte mir tief in die Augen und fuhr mit seinem Daumen sanft über meine Augenbrauen. Es war ein so seltsamer Moment, dass ich aufhörte zu strampeln. Wie paralysiert starrte ich in seine Augen und begann mich ... zu entspannen. Es war verrückt, total dämlich, außergalaktisch, aber mein Körper wurde butterweich und mein Mund begann zu lächeln.

„So ist’s gut, Silvi. Du brauchst dich nicht zu fürchten! Und du wirst dich bei mir melden, wenn du mich brauchst! Auch wirst du mir zu Diensten sein, wenn ich dich brauche. Verstanden?“ Seine Stimme lullte mich ein, als würde ich jeden Moment einschlafen. Alles erschien plötzlich so unnatürlich leicht, wie in Watte gepackt.

„Ja“, hauchte ich und entspannte mich noch mehr. Vermutlich hing ich bereits wie ein Kartoffelsack in seinen Armen und war kurz davor laut zu schnarchen.

Als ich zu mir kam, stand ich noch im Vorzimmer. Peter Martins war längst fort und es gab keinen Hinweis auf einen Einbruch, Gewalt oder sonst was. Wären die gelben Nelken nicht in der Küche gestanden, hätte ich mir einreden können, dass nichts von alldem wirklich passierte war.

2. Kapitel

Ellen pinselte wohl zum vierten Mal über ihren Zehennagel und war noch immer nicht zufrieden.

„Verdammt“, fluchte sie und griff erneut zum Aceton verseuchten Nagellackentferner. „Ich kann das einfach nicht!“ Mit verbissener Miene wischte sie das satte Rot wieder ab und versuchte sich in Geduld zu üben. Wie machen das andere Nutten nur? Ständig Maniküre und Pediküre ist einfach nicht drinnen. Ihre Miene verhärtete sich, doch dann gelang ihr der ultimative Strich.

„Wah! Der hat aber gesessen“, rief sie und wackelte mit ihrer großen Zehe, als hätte sie im Lotto gewonnen. Diese Lackiererei ging ihr auf die Nerven, aber Freier standen nun einmal auf rote Nägel. Wobei sie die im Eifer des Gefechts sowieso vergaßen und nur noch Augen für Mund, Muschi oder Arsch hatten.

„Arschlöcher“, zischte sie mit einem Schmunzeln, weil sie Männer im Prinzip immer noch mochte. Selbst nach den vielen Wochen ihres neuen Jobs! Sie hatte keine andere Wahl als ihren Körper zu verkaufen, auch wenn es nicht gerade die sexuelle Bereicherung war von vorne, hinten, oben oder unten durchgemöbelt zu werden und das von Männern, die weder schön, noch gepflegt, noch ein wunderbar geformtes Geschlechtsteil hatten. Nein, Freude sah wahrlich anders aus, aber sie mochte wenigstens, wie die meisten Männer kamen und ihre Lust erlebten. Manche waren wirklich laut, andere verhalten oder gar verlegen. Aggressiv waren in dem Moment die wenigsten, obwohl es auch Männer gab, die gehörig in ihr herumfuhrwerkten, sie wund scheuerten und Blutergüsse hinterließen. An manchen Abenden war sie sogar froh darüber, denn dann konnte sie die nachfolgenden Männer wie einen Segen empfinden. Aber in dem kurzen Moment vor ihrem Höhepunkt waren sie alle gleich und wie versessen auf ihren Körper und ihre heiße Schlüpfrigkeit. In diesem Moment brauchten die Männer sie wie einen Bissen Brot und waren vollkommen unterlegen. Und DAS war dann der Moment, den auch sie auskosten konnte.

„Ach, Männer“, seufzte sie und beendete ihr Kunstwerk an den Zehen. Für eine willige Muschi ließen manche ein halbes Vermögen springen und das war ihr Glück, oder auch ihr Pech. Je nach Standpunkt eben. Denn, natürlich hätte sie gerne ein schöneres Leben gewählt an der Seite eines anständigen Mannes mit viel Kohle. Aber das Schicksal war nicht immer fair, so wie ihr Zuhälter Gregori, der sie regelmäßig ausnahm wie eine Weihnachtsgans und sie hin und wieder selbst vögelte. Einfach so. Ohne zu zahlen, versteht sich.

„Dich krieg ich auch noch mal dran“, fluchte sie, schnürte ihr Mieder fest und drängte ihre Brüste in üppiger Weise empor. Dazu wählte sie einen kleinen Fetzen Rock und extreme High Heels. Schon war die Berufsuniform angelegt. Auf der Straße nannte sie sich Ramona, weil das irgendwie frivol in den Ohren der Männer klang, aber in Wirklichkeit hieß sie Elli. Elli Leitner. Ganz einfach und kein bisschen frivol.

Die leise Träne wischte sie sich von der Wange. Gefühle konnte sie sich nicht leisten und ihrem Make-up tat es auch nicht gut. Sie musste gut aussehen, denn die Konkurrenz war hart, das Angebot von schönen Mädchenkörpern kaum zu überbieten. Viel zu viele Frauen hatten diesen Weg gewählt oder waren gezwungen worden.

„Verschissene Männerwelt.“ Ja, im Grunde mochte sie die Männer durchaus, doch ein paar von ihnen wünschte sie im nächsten Leben ein richtig mieses Leben als Nutte. Wiedergeburt als Rache oder so.

Es war Zeit und Elli wackelte als Ramona auf ihren hohen Schuhen aus dem Haus, um geradewegs in die heiße Zone möglicher Kundschaft zu schlendern. Die Gasse, die sie dann betrat, war menschenleer und dunkel. Elli fühlte sich unbehaglich und ihre High Heels klapperten unnatürlich laut über den Asphalt. Die Straßenbeleuchtung hatte ihren Geist aufgegeben und aus den umliegenden Häusern drang nur spärlich Licht zu ihr. Überall waren Schatten, die sich in der Dunkelheit regten und ihr nachzustellen schienen. Seit sie diesen Job machte, hatte sie so einiges erlebt, vieles durchgemacht und sich dennoch mit der Situation arrangiert. Sie war nicht allzu ängstlich, hatte ihren Pfefferspray mit dabei und ein gutes Mundwerk. Dennoch hatte sie plötzlich ein komisches Gefühl. Sie blickte nach hinten, konnte aber nichts erkennen. Automatisch beschleunigte sie ihre Schritte.

Da war doch etwas? Erneut sah sie sich um, versuchte mit ihren Augen die Dunkelheit zu durchdringen. Doch es war niemand zu sehen und auch nichts anderes zu hören, als ihr eigener Atem und das verfluchte Geklapper ihrer Schuhe. Irgendwann begann sie zu laufen. Die Dunkelheit gab ihr das Gefühl lebendig zu sein, Krallen nach ihr auszustrecken. Wie ein finsteres Biest schien es da zu hocken und doch irgendwie näher zu kommen.

Der Mann war groß und so finster wie die Dunkelheit selbst. Er hatte die Frau beobachtet und für sich erwählt. Die kaputten Lampen gingen auf sein Konto, die Vision der lebendigen Finsternis ebenso. Er war ein Meister seine Klasse und brauchte nur zu warten, bis das gehetzte Wild bei ihm eintraf. Das Opfer wähnte das Monster hinter sich und begriff nicht, dass es geradewegs darauf zulief. Was für eine Ironie! Was für ein Drama!

Elli lief ohne wirklich zu wissen wohin. Die Vision hatte sie völlig im Griff. Sie fühlte sich vom Dunkel der Gasse eingehüllt, konnte kaum Hauswände und Gehsteigrand erkennen und stolperte ziellos weiter, bis sie gegen eine Wand prallte. Zumindest glaubte sie im ersten Moment an eine Wand, denn der Mann, der vor ihr aufragte, erwischte sie mit der ganzen Masse seines Körpers. Durch die Wucht des Aufpralls wurde sie wie ein Gummiball nach hinten geschleudert. Doch ihr Körper bestand nicht aus Gummi. Ihr Schuh flog in hohem Bogen davon und sie selbst landete mit einem dumpfen Poltern auf dem Asphalt, wo ihr Hinterkopf hart aufschlug. Ihr Schädel explodierte förmlich in einem Dunst aus Schmerz und knackenden Knochen. Elli verlor augenblicklich das Bewusstsein.

„Ja“, murmelte der Mann zufrieden während seine bösen Augen über das Opfer huschten und jedes Detail begierig in sich aufnahmen. Kurzer Rock, schöne Beine, keine Krampfadern – alles im Fluss, alles gesund. Er schmatzte und leckte sich über die geschwollenen Lippen. Diese Frau war schon weit über fünfundzwanzig, aber das Blut einer reiferen Frau konnte auf gewisse Weise gehaltvoller sein. Sofern es nicht verdorben war. Wie bei gutem Wein konnte die falsche Lagerung sehr viel kaputt machen. Bei Menschen war es der widrige Lebenswandel, die falsche Ernährung, Krankheiten, traumatische Erlebnisse oder schlicht die falsche, negative Lebenseinstellung. Das kam zwar öfter vor, als man dachte, aber für verdorbene Lebensmittel hatte er einen sechsten Sinn. Diese Nutte war noch nicht lange genug im Geschäft, um wirklich verdorben zu sein. Sie stand gerade einmal am Anfang davon Schmutz anzusetzen, vom Tod zu kosten und die ersten Spuren der Verwesung in sich zu tragen. Etwas, das ihr natürliches Aroma nur verstärkte und dem metallischen Geschmack eine freche Nuance von Verdorbenheit im weitesten Sinne gab. Er lachte und beschnüffelte ihren Körper, ohne sich dabei zu ihr herunterzubeugen. Sein Geruchssinn war in vortrefflichem Zustand und der Duft einer Frau sagte alles über sie aus. Ob sie schwanger war oder geschlechtskrank, ob sie ihre Unterwäsche täglich wechselte oder gar frigide war. Interessante Details, die es galt zu wissen, denn das Letzte was er brauchte war Frigidität, die den Geschmack mit grauenhafter Langeweile zunichtemachte. Für ihn war die Qualität des Blutes essentiell, aber auch die ästhetische Schönheit der Schenkel. Er liebte es den Frauen das Blut aus der Nähe ihres Intimbereichs zu stehlen. Frivoler Duft und Schenkelblut waren eine Kombination, die ihn in absoluten Rausch versetzen konnte.

Elli stöhnte und kam langsam wieder zu sich. Der Mörder hatte längst seine Waffen bereit und kam näher. Dieses Mal würde er schnell vorgehen, ganz ohne Spielchen, obwohl er die eigentlich so mochte. Aber auch so würde er es genießen. Benommen blickte Elli auf und sah einen unnatürlich großen Schatten über sich. Sie wollte schreien und wegkriechen, doch sie schaffte es nicht. Zwei grässlich durchdringende Augen stierten auf sie herab und gaben ihr den Befehl, still liegen zu bleiben, während ihre Beine brutal auseinandergerissen und der kurze Rock mühelos nach oben geschoben wurde. Elli öffnete den Mund, um zu schreien, konnte sich aber der mentalen Kraft des Mörders nicht entziehen. Ständig sah sie die grässlichen Augen vor sich, obwohl die längst nicht mehr über ihrem Gesicht schwebten, sondern bereits eine Etage tiefer gewandert waren. Sie verharrten zwischen ihren Beinen, wo kein Slip mehr die Sicht verbarg.

Der Mörder knurrte und berührte ihr weiches Fleisch ungestüm mit seinen Fingern. Elli atmete hektisch, konnte kaum noch Sauerstoff in die Lungen bekommen. Für den Mörder klang es, als hätte sie gerade mächtig Spaß und ein spöttisches Lachen zog sich über seinen Mund, ließ seine Zähne überdimensional groß erscheinen.

Hinreißend ... dachte er, bohrte seine Finger tief in ihre heiße Mitte und stieß zeitgleich seine Waffe in ihre Vene femoralis. Die Hitze ihrer Vagina und das heiß sprudelnde Blut ließen ihn vor Glückseligkeit stöhnen. Diese Vene am Oberschenkel transportierte neunzig Prozent des Blutes zum Herzen zurück und beinhaltete nicht mehr allzu viel Sauerstoff. So konnte er das herrliche Elixier länger genießen, ohne gleich zu kommen oder vollkommen high davon zu werden.

3. Kapitel

Erik kam überraschend spät nach Hause. Die Kinder lagen schon im Bett, sein Abendessen hatte ich warm gestellt.

„Aber jetzt unter die Decke, Sofie“, lachte ich und kitzelte ihre kleinen Fußsohlen, während Erik mit verschlossener Miene ins Kinderzimmer kam und nach einem forschen „Gute Nacht“ gleich wieder ging ohne noch einmal zurück zu blicken. Es war ein so untypisches Verhalten, dass ich mich nicht nur wunderte, sondern mir auch Sorgen machte. Doch vor den Mädchen lächelte ich fleißig weiter, erzählte noch ein kurzes Märchen und knipste schließlich das Licht aus. Danach ging ich leise hinaus und trat hinter meinen Mann, der im Stehen aß und komische Geräusche von sich gab.

„Was ist denn Schatz? Alles in Ordnung?“, fragte ich besorgt und schmiegte mich an seinen breiten Rücken. Er aber reagierte nicht entsprechend, brummte etwas Unverständliches und schob sich einen Bissen von dem labbrig gewordenen Huhn in den Mund. Seine Nicht-Reaktion aber machte mich stutzig und ich wollte sie auch nicht hinnehmen. Energisch schnappte ich mir seinen Teller und ging damit zum Esstisch.

„So, mein Bester! Und nun kommst du hier an den Tisch, setzt dich gemütlich hin und erzählst mir, was dir über die Leber gelaufen ist.“ Wieder nur ein Brummen und ausweichende Blicke. Wenigstens nahm er Platz und begann zu essen. „Bier kriegst du auch! Du kannst es sogar aus der Flasche trinken“, meinte ich aufmunternd, ging zum Eiskasten und öffnete eine eiskalte Flasche. Doch statt einer erfreuten Reaktion oder einem kurzen Lächeln kam nur wieder dieses seltsame Brummen.

„Herrgott, was ist denn los?“, rief ich empört und knallte ihm das Bier so hart auf den Tisch, dass es prompt überschäumte ... ebenso wie ich. Wenigstens blickte er jetzt auf und sah mir in die Augen.

„Ich wurde gefeuert.“

„Du wurdest was?“

„G-E-F-E-U-E-R-T!“

„Aber, aber ... wieso denn? Du warst doch der aufstrebende General Manager und hast alle Zahlen geliefert, die sie haben wollten.“

„Scheiß drauf.“

„Was heißt das jetzt wieder? Gibt’s einen Grund für die Kündigung oder nicht?“

„Die Assistentin meines Chefs wollte mir an die Wäsche“, brummte er und zerfledderte den letzten Rest des Huhns derart brutal, dass mir alleine vom Zusehen übel wurde.

„Ich ... äh ... hatte ja keine Ahnung“, flüsterte ich und musste mich setzen.

„Natürlich nicht! Ich habe dir auch nichts gesagt, damit du ...“

„Was?“, unterbrach ich ihn giftig, weil ich allmählich kapierte worum es hier eigentlich ging. „Damit ich der Schlampe nicht die Augen auskratze oder wie?“ Von einer Sekunde auf die andere war ich nicht nur wütend, sondern auch frustriert und total eifersüchtig. Lediglich das laute Gekicher hinter mir hielt mich davon ab, noch ein paar delikate Fragen nachzuschießen. Sofie und Marie steckten gerade ihre Köpfe ins Esszimmer und grinsten bis über beide Ohren.

„Ihr! Was macht ihr hier? Es ist doch längst Schlafenszeit“, rief ich und versuchte sie mit einer scheuchenden Handbewegung zurücktreiben, doch die Mädels blieben stehen.

„Aber wir wollen einen Kuss von Papa“, meinte Marie.

„Genau“, ergänzte Sofie und begann wieder zu kichern. „Wer ist überhaupt eine Schlampe?“, fragte sie dann noch und ich biss mir vor Ärger auf die Lippen.

„Niemand ist eine Schlampe“, fuhr Erik die Mädchen an, ließ das Besteck fallen und stand so abrupt auf, dass ich richtig Angst bekam. Erik war kein gewalttätiger Mensch, doch in dem Moment konnte ich mir vorstellen, dass er zu einer unbedachten Handlung fähig war. Und natürlich war ich eifersüchtig und nicht ganz objektiv, weil er die Tussi aus seinem Büro gerade verteidigt hatte. Ich reagierte vielleicht übertrieben, aber ich ging neben Marie und Sofie in Beschützer-Position. Nicht mal er sollte es wagen, die Mädchen zu schlagen! Doch meine Sorge war unbegründet. Erik war und blieb ein guter Vater.

„Gute Nacht ihr beiden“, sagte er lediglich sehr streng, beugte sich zu den Mädchen herunter und küsste sie jeweils auf die Stirn. Das böse Funkeln in seinen Augen entging den beiden trotzdem nicht und so zeigten sie sich recht willig, abzumarschieren.

„Ich bringe die beiden noch in ihr Zimmer“, meinte ich mit einem Gefühl im Magen, als hätte ich Steine gegessen.

„Gute Nacht, Paps“, flüsterten die beiden und liefen mit mir zurück zum Kinderzimmer, wo ich sie in ihre Bettchen stopfte und ihnen das Versprechen abrang, sofort einzuschlafen. Sanft streichelte ich noch über ihre Köpfe und schickte fleißig Flugküsse. Doch eigentlich war ich nicht recht bei der Sache. Nach dem letzten Flugkuss zog ich die Kinderzimmertür hinter mir zu und machte mich auf den Weg zum Esszimmer, um Erik zur Rede zu stellen. Doch dort fand ich nur seinen Teller mit dem Rest vom Essen. Zuerst wollte ich nicht glauben, dass er sich klammheimlich davongeschlichen hatte, rief leise seinen Namen, suchte ihn auf der Toilette, im Bad und sogar im Keller. Erst ein Blick aus dem Fenster bestätigte mir dann, was ich schon geahnt hatte: Erik war ohne ein Wort der Erklärung davongefahren. Es war vermutlich nur eine Kurzschlussreaktion, aber die erschütterte mich zutiefst. Zugleich machte sie mich fuchsteufelswild, denn dass er sich so feige benahm, sah ihm gar nicht ähnlich. Und dass er mich so rücksichtslos aus seinen Problemen heraushielt, konnte ich nicht fassen. Mit zittrigen Händen schnappte ich mir das Telefon, wählte seine Mobilnummer und kam ... auf seine Sprachbox. Was schlicht die nächste Niederlage war.

„Wenn du keinen TOTALEN Streit riskieren willst, ruf mich an“, blaffte ich aufgebracht in den Hörer, machte eine kurze Pause und lenkte doch wieder ein. „Bitte! Wir müssen doch über so etwas reden!“ Ich versuchte den Kloß in meinem Hals loszuwerden, wollte noch etwas sagen, vielleicht sogar etwas bitten, doch der lächerlichste Piepton aller Zeiten katapultierte mich einfach so aus der Leitung. Vielleicht hatte Erik mich aus der Leitung gedrückt, vielleicht hatte die Mailbox nicht so viel Speicherplatz. Wer wusste schon, wie Mobiltelefone wirklich funktionierten?

Viel wütender als zuvor schleuderte ich den Hörer auf die Station, zitterte am ganzen Leib und begann ... zu heulen. Erik war nicht bei Sinnen, hatte vermutlich ein Verhältnis mit einer Bürokollegin und seinen Job verloren. Das Schlimmste aber war, dass er einfach davongelaufen war und womöglich plante, für immer aus meinem Leben zu verschwinden.

Endlich läutete das Telefon.

„Erik?“, rief ich außer mir, doch am anderen Ende blieb es still. „Erik, bitte, was ist denn los? Rede mit mir!“

„Hier ist nicht Erik.“

„Was, ... wer? Sind Sie das, Herr Martins?“, fragte ich und schniefte verärgert die letzten Tränen fort.

„Sie werden sich vielleicht wundern, wegen ihrem Mann, aber ...“

„Wie bitte? Woher wissen Sie? Ich meine ...“

„Schhht!“

„Ja, ich äh...“ Aus irgendeinem Grund vergaß ich plötzlich, warum ich gerade noch so aufgeregt war.

„Hör mir gut zu, Silvi! Es hat sich alles beschleunigt und uns bleibt nicht viel Zeit. Du wirst deine Kinder morgen nach der Schule von deiner Mutter abholen lassen und dafür sorgen, dass sie bei ihr für mindestens zwei Wochen bleiben können. Verstanden?“

„Verstanden“, krächzte ich, obwohl ich nicht wirklich zugehört hatte und immer noch seinen Zischlaut im Kopf hören konnte. Dieses „Schhht“ wollte einfach nicht aus meinen Gehirnwindungen verschwinden, schien sich in einer Dauerschleife verfangen zu haben und immer wieder von vorne zu beginnen. Völlig erledigt plumpste ich in den nächstbesten Stuhl.

„Ihr hattet einen Streit, aber dein Mann kommt schon wieder zurück. Vermutlich brauchst du ein wenig Urlaub. Ein Wellnesshotel in einem anderen Bundesland wäre ideal. Wichtig ist nur, dass du die Mädchen versorgt weißt, morgen zur Schule bringst und danach zu mir ins Büro kommst. Dort erfährst du alles weitere. Verstanden?“

„Verstanden“, antwortete ich so automatisiert wie zuvor, bevor das laute Tut-tut-tut mich von dem ewigen „Schhht“ in meinem Kopf ablenkte. Irritiert begann ich zu blinzeln und blickte auf den Hörer in meiner Hand.

Warum habe ich den noch schnell in der Hand? Ach, ja! Ich muss meine Mutter anrufen!

4. Kapitel

„Danke, Mama. Du bist die Beste!“, sagte ich und legte auf. Sicherheitshalber hatte ich noch einmal angerufen, weil ich auf dem Weg zur Schule Sachen für die Mädchen vorbeibringen wollte. Zwei Wochen waren schließlich kein Pappenstiel, da brauchten meine Kinder schon genug Gewand, Plüschtiere und was sie sonst noch alles mithaben wollten. Die beiden waren richtig aufgeregt zwei Wochen Urlaub bei Oma verbringen zu dürfen, wobei sie das Ausmaß der Tage vermutlich nicht abschätzen konnten.

„Und dass ihr mir brav seid, ihr Süßen“, rief ich während der Autofahrt nach hinten und erhielt freudiges Gejohle als Antwort.

„Mach dir keine Sorgen Mama, wir passen schon auf die Oma auf“, kicherte Marie und Sofie fiel in das alberne Gelächter ihrer Schwester ein.

„Und auf den Opa! Der raucht immer zu viele Zickarrellos.“

„Das heißt Zigarillos, Sofie und Opa raucht nicht zu viel, sondern gönnt sich manchmal eine nach dem Essen und das auf dem Balkon. Ihr werdet also nicht mit Rauch belästigt.“

„Werden wir wohl“, jammerte Marie. „Opa stinkt dann immer furchtbar aus dem Mund.“

„Dann lass dich halt nicht anhauchen, mein Schatz. Ihr seid doch gerne bei Oma und Opa, oder?“

„Klar, wie Tomatensoße!“

„Ach, Marie! Tomatensoße ist meist nicht klar“, erklärte ich pflichtbewusst und erntete ein freundliches Schnauben.

„Alles klar“, meinte sie dann übermütig und ich musste so lachen, dass auch meine Mädels wieder zu kichern anfingen.

Meine Mutter öffnete mit besorgter Miene die Tür. Zuerst begriff ich gar nicht was sie hatte, doch dann fiel mir ein, dass ich mich ja von Erik getrennt und einen spontanen Wellnessurlaub in Oberösterreich gebucht hatte. Nanu. Warum fühlte ich mich nur so gut dabei? Ich versuchte ein Lächeln.

„Hallo, Mama! Vielen Dank für deine Hilfe! Hier hast du zwei Koffer mit Sachen von den Mädels. Ihr Unterricht endet heute um 12.00 Uhr, den restlichen Stundenplan habe ich dir ausgedruckt und in den Koffer gepackt. Ich werde mich natürlich jeden Tag melden. Versprochen“, sagte ich und hoffte damit alles getan und gesagt zu haben. Was unter den gegebenen Umständen reinster Wahnsinn war.

„Kind, ich weiß gar nicht was ich sagen soll“, begann meine Mutter überfordert. „Wie geht es dir denn? Und wo steckt Erik? Er würde seine Mädels doch nie ...“

„Mama, ich habe doch gesagt, dass ich nicht darüber reden möchte. Fakt ist nur, dass er mich verlassen hat – wegen einer anderen“, schmetterte ich und hoffte, dass sie nun Ruhe geben würde. Was unter den gegebenen Umständen ... eh schon wissen.

„Waaas? Aber das ist ja ...“

„Bitte, Mama. Kümmere dich für zwei Wochen um meine beiden Mäuse und ich verspreche dir, dass ich das alles schon wieder hinbekomme. Ich muss nur unbedingt zwei Wochen frei nehmen“, flehte ich und guckte demonstrativ auf die Uhr, weil die Kinder in den nächsten zehn Minuten in der Schule sein sollten.

„Eine Mama hat nie frei“, brummte meine Mutter unwirsch, ergriff aber die zwei Koffer, die ich ihr für Sofie und Marie reichte ... und das genügte mir, um es als Einverständnis zu deuten. Außerdem war es für mich das Zeichen loszulassen – die Koffer, mein altes Leben, einfach alles.

Das „Tschüss!“ war schnell gerufen, die Kehrtwende geschickt gemacht. Meine Mutter hatte keine Chance auf eine Erwiderung und konnte sich mit zwei Koffern in der Hand nicht wirklich wehren. Mit einem unangebrachten Lächeln auf den Lippen lief ich zurück zu meinen Mädels.

Nachdem ich sie in der Schule abgeliefert hatte, fuhr ich Richtung Stadtzentrum und summte ein fröhliches Lied. Ich genoss den Anblick der Innenstadt, die Fassade der schönen Staatsoper und fragte mich erst nach einem lauten Hupen von rechts, was ich hier eigentlich machte.

„Halt den Rand, du Idiot“, keifte ich aus dem offenen Fenster, weil der Spinner noch einmal auf die Hupe drückte und seinen Stinkefinger gen Himmel richtete. Kopf schüttelnd blieb ich bei der nächsten roten Ampel stehen und fragte mich erneut, warum ich überhaupt in die Stadt gefahren war. Aber dann wurde es wieder grün und ich bog in eine kleine Nebengasse, die mir plötzlich interessant erschien. Ich fuhr ein bisschen weiter und entdeckte die Zufahrt zu einer Tiefgarage. Kurz entschlossen fuhr ich darauf zu, drückte den Knopf für den Schranken und wurde ohne Worte, einer Karte oder sonst was eingelassen. Dann parkte ich mich perfekt ein und stieg gerade aus, als mein Telefon klingelte.

„Mekal“, rief ich und blickte mich in der Garage um.

„Dritter Stock, zweite Tür. Mein Name steht dran.“ Klick. Es war eine kurze Anweisung, aber genau die richtige, um mich weiter zu lotsen. Ich reagierte wie ein Roboter, sah den Ausgang zum Stiegenhaus und das Büro quasi schon vor mir. Ohne zu zögern ging ich dort hin. Alles war gut, alles war richtig ... und dann klingelte das Telefon ein zweites Mal.

„Mekal?“ Es klang wie eine Frage, obwohl ich natürlich wusste wie ich hieß.

„Silvi, was soll das? Wo bist du?“ Verdutzt blieb ich stehen.

„Erik?“

„Ja, wer sonst. Bist du noch mit jemand anderen verheiratet?“

„Aber du hast mich doch verlassen!“

„Ich habe was? Spinnst du?“ Sein Ton war alles andere als freundlich und erinnerte mich daran, wie seltsam er sich gestern verhalten hatte und wie klammheimlich er von Zuhause abgedüst war. Die ganze Nacht war er nicht zurückgekommen.

„Ich habe im Büro etwas vergessen und bin dann dort geblieben.“

„Mit deiner Tussi oder was? Und warum hast du mir das nicht gesagt? Ich wollte mit dir sprechen, aber du hast dich wie ein Verbrecher weggeschlichen.“

„Erstens habe ich keine Tussi und zweitens habe ich dir eine Nachricht geschrieben. Du hast ja immer den Tick alle Telefone abzudrehen, damit die Kinder nicht aufwachen und mein Handy spinnt zurzeit. Keine Ahnung, warum das nicht geht.“ Er klang verwundert und sogar aufrichtig. Was mich zum Nachdenken brachte. Eine Nachricht hatte ich dennoch nicht gefunden.

„Von wegen Nachricht! Nichts war da“, blaffte ich und bemerkte erst jetzt, dass ich mich in einer Tiefgarage befand. Komisch. Für einen Moment wusste ich gar nicht, was ich hier sollte. Sicherheitshalber zischte ich noch einen empörten Laut ins Handy, um über dezente Gedächtnislücken hinwegzutäuschen. Doch irgendetwas schien mit meinem Kopf nicht ganz in Ordnung zu sein.

„Schatz, der Zettel war so groß, den kannst du nicht übersehen haben. Oder glaubst du etwa ein kleiner Einbrecher hat ihn weggeräumt?“ Er lachte, doch aus irgendeinem Grund bekam ich Gänsehaut und ein komisches Bild in den Kopf: Eine Hand mit schwarzem Handschuh, eine Maske, einen Messerblock. Meinen Messerblock.

„Ich hör jetzt auf, ... muss wohin“, erklärte ich stockend und legte auf. Gegen jede Regel schaltete ich sogar das Handy aus. Als Mutter musste ich immer erreichbar sein, doch die Hauptverantwortung hatte ich heute Morgen an meine Mutter abgetreten, auch wenn ich plötzlich nicht mehr wusste warum. Mein Kopf schmerzte und allmählich wurde mir unheimlich zumute. Ich verhielt mich seltsam, war verwirrt und steuerte scheinbar auf einen Nervenzusammenbruch zu. Streit mit Erik, Wellnessurlaub, Gedächtnislücken, seltsame Unbekümmertheit und unbekannte Bilder in meinem Kopf, schienen eine deutliche Sprache zu sprechen. Wie zum Beweis zischte erneut ein Bild von einem maskierten Einbrecher durch meinen Kopf. Keuchend lehnte ich mich an die nächstbeste Betonsäule und versuchte mich zu beruhigen. Irgendetwas stimmte nicht mit mir. Drogen? Psychische Störung? Mein Kopf begann stärker zu pochen und plötzlich konnte ich mich an etwas erinnern: An den Anruf von Martins. Genau! Seine eindringliche Stimme hatte mir den Vorschlag unterbreitet, einen Wellnessurlaub zu machen und ich hatte es ganz einfach hingenommen. Dabei machte ich mir gar nichts aus Dampfkammern und Hallenbädern. Je länger ich darüber nachdachte, desto absurder erschien mir der ganze zweiwöchige Urlaubswunsch.

- Ende der Buchvorschau -

Impressum

Texte © Copyright by Sabine Berger Autorenname Sabineee Berger www.bumaku.at

Bildmaterialien © Copyright by Sabine Berger Autorenname Sabineee Berger www.bumaku.at

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 978-3-7394-3886-3