Erinnerungen an Jugend- und Kriegsjahre - Walter Baumann - E-Book

Erinnerungen an Jugend- und Kriegsjahre E-Book

Walter Baumann

4,9

Beschreibung

Walter Baumann berichtet von seiner Jugendzeit und als noch lebender Zeitzeuge aus den Schauplätzen des zweiten Weltkrieges, um das Erlebte der Nachwelt und vor allem seinen Kindern, Enkeln und Urenkeln zu erhalten.

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Inhaltsverzeichnis

Jugendzeit

Der Ostfront erster Teil

Ich hatt‘ einen Kameraden

Zum zweiten Mal in Russland

Kriegsweihnachten 1943

Im Westen - September 1944

Weihnachten in Dertingen

Letzter Akt

Jugendzeit

Das Licht der Welt erblickte ich am 16. Mai des Jahres 1924 in Dertingen und zwar im Elternhaus meiner Mutter Lenchen Baumann, geb. Baumann im Gasthaus „Zum Roß“. Später zogen wir in das Elternhaus meines Vaters Georg Baumann, wo wir eine kleine Landwirtschaft - auch mit Weinbau - betrieben, so wie es damals in unserem Dorf üblich war.

Schon frühzeitig wurde ich wie die meisten meiner dörflichen Altersgenossen mit diesem kleinlandwirtschaftlichen Leben vertraut gemacht. Ja, es war eine Selbstverständlichkeit, schon als Schulbub oder -mädchen in Haus und Hof mitzuhelfen. Oftmals kam vom Vater oder der Mutter die Anweisung: „Wenn du deine Schulaufgaben gemacht hast, musst du aber, bevor du zum Spielen gehst, noch bei den Stallhasen ausmisten, die Rüben vom Keller in den Viehstall bringen“ usw.. So war das und niemand, auch keine „Obrigkeit“, nahm Anstand daran.

Im Alter von 8 Jahren eignete ich mir auf einer alten einreihigen Hand-Harmonika das Harmonikaspiel an. Einige Jahre später schenkten mir meine Eltern zu Weihnachten - nachdem sie eine Kuh verkauft hatten - ein neues größeres Instrument, das noch heute mit einer gewissen Leidenschaft, auch im Alter von 92 Jahren, von mir gespielt wird.

Nach dem Besuch der sogenannten „Kinderschule“, am Ende der Schulgasse, unterhalb der Kirche, begann nach Ostern 1931 meine eigentliche Schulzeit im damaligen Schulhaus neben der Kirche. In meinem Schuljahrgang waren es sieben Buben und fünf Mädchen. Ein Schulkamerad kam vom großen Krieg nicht mehr zurück, er fiel im Mittelabschnitt der Ostfront, nicht gerade weit von mir entfernt, wo ich zur selben Zeit im Einsatz war.

Nach acht Jahren Volksschulbesuch wurden wir an Ostern 1939 konfirmiert, ein halbes Jahr später begann der Krieg. Während dieser Schulzeit waren wir ab dem 10. Lebensjahr auch schon Angehörige des „Jungvolkes“, ab dem 14. Lebensjahr der „Hitlerjugend“.

Während dieser Jungvolkzeit erlebten wir auch Dinge, die unsere Jungenherzen erfreuten. Ich erinnere mich, dass wir einmal im Wald auf dem Mandelberg aus Reisig und Moos eine große Hütte bauten. Die Innenwände wurden mit Säcken behängt und mit Kalkbrühe bestrichen. Die eine Gruppe hatte die Aufgabe anzugreifen, die andere musste verteidigen. Im Ellenberg bauten wir eine sogenannte „Thingstätte“, wie es die alten Germanen getan hatten. Dort wurde dann Gericht gehalten über diejenigen, die es verdient hätten.

An Ostern oder Pfingsten ging es auf große Fahrt: Miltenberg, Festung Würzburg oder einmal nach Rothenburg o.d.T.. Hier kam es dann immer zum großen Kampf. Ein Wollfaden wurde um ein Handgelenk gebunden. Wurde er vom Gegner abgerissen, war man „tot“. Nach erfolgreichem Kampf zogen wir dann unter lautem Fanfarengeschmetter - die Fanfarenzüge bestanden aus 12-bis 14-Jährigen - durch die Stadttore in Rothenburg ein und kamen zur gleichen Zeit von allen Seiten auf dem Marktplatz an, ein nicht zu vergessendes Erlebnis. In der Stadthalle wurden wir dann auf Stroh einquartiert.

Am nächsten Morgen kauften wir uns das, was in unserem Dorf das Jahr über nicht zu sehen war, nämlich Orangen! Auch dies war ein bleibendes Erlebnis.

Im Herbst fuhren wir - einige Jahre lang - immer mit dem Fahrrad zum großen Zeltlager nach Messelhausen. Die Zelte standen an einem See, auf einer Wiese, im Wald. Hier ist mir in Erinnerung geblieben die Stunde, oder waren es zwei, wo wir um 2.00 Uhr nachts am Waldrand Wache stehen mussten und plötzlich auf den Bäumen die Käuzchen zu schreien begannen. Da fiel uns 11- oder 12-Jährigen doch fast das Herz in die Hose. Inzwischen wurde ich dann - ich war nun 13 oder 14 Jahre alt - zum „Jungenschaftsführer“ bestellt; allerdings ohne mein Zutun.

Einige Male im Jahr war man in der Jugendherberge in Wertheim. Schulungslehrgang für uns. Aus Dertingen waren wir zu zweit, später zu dritt. So weiß ich heute noch: An einem Samstagmorgen war es nach dem Frühsport, beim Antreten auf dem Hof wurde bekanntgegeben: „Wir besuchen heute den Fliegerhorst.“ Dort angekommen sahen wir in den Hallen nagelneue Flugzeuge stehen, die erst vor wenigen Tagen eingeflogen wurden. Es waren die legendären Ju87 Sturzkampfbomber, genannt „Stukas“, die die herkömmlichen Henschel-Flug-zeuge ablösen sollten. Wir waren die ersten „Zivilisten“, die hinein steigen durften. Man wollte uns sicher begeistern für die neue deutsche Luftwaffe. Ich sehe heute noch vor mir den Steuerknüppel, den ich in die Hand nehmen durfte. Doch meine Begeisterung hielt sich in Grenzen, vielleicht auch nur weil ich mich als eher musisch veranlagter Mensch nur wenig für Technik interessierte. Wie konnte ich ahnen, dass diese Maschinen ein bis zwei Jahre später Tod und Verderben über so viele unschuldige Menschen bringen sollten. Auf dem Heimweg sangen wir trotz alledem: „Ein junges Volk steht auf zum Sturm bereit.“ Später in Russland habe ich oftmals daran denken müssen - Ironie oder Schicksal?

Doch zurück zur Konfirmation. Unser damaliger Pfarrer hieß Eberhardt. Doch da er Jonathan als Vornamen hatte und sich auch zur sogenannten „Bekennenden Kirche“ rechnete, zog er sich den Unwillen der damals Herrschenden in unserem Dorf zu. So erschien eines Tags im „Stürmer“, dem bekannten Judenhetzblatt, ein Artikel über diesen „Jonathan“, dem man eine nicht arische Abstammung unterschieben wollte, obwohl er wie alle anderen den „Arier-Nachweis“ hatte erbringen müssen. Doch dieser Pfarrer Eberhardt war ein wirklicher Seelsorger. Er gründete damals den hiesigen Posaunenchor. Als Nachwuchskräfte erlernten wir schon als Konfirmanden bei ihm das Posaunenspiel. In der Erntezeit ging er sogar mit älteren, allein stehenden Ehepaaren mit der Sense auf dem Buckel zum Kornschneiden aufs Feld. Er hatte zwei Windhunde. Wenn er durchs Dorf ging liefen sie ihm voraus und so wusste man: Der Pfarrer kommt! Doch da hörte man auch schon ein Summen, Singen oder Pfeifen - er war ein ungemein musikalischer Mensch. Ein halbes Jahr vor Kriegsbeginn heiratete er. Einige Jahre später musste er in Russland auf der Krim als Soldat sein Leben lassen. Er hat mir als Konfirmand vieles gegeben und eingeprägt, was ich heute noch in mir trage. Dieser Pfarrer Eberhardt gab mir bei der Konfirmation den Spruch: 1. Johannes, Kapitel 5, Vers 4: „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“

Nun war es Ende August 1939. Die Nachrichten im Rundfunk überschlugen sich wieder einmal. Doch man hoffte, dass wieder alles mit einem großen Erfolg unblutig zu Ende gehen würde. So wie wir es die Jahre zuvor schon immer wieder erlebt hatten. Doch über Nacht kamen die ersten Einberufungsbefehle - mein Vater war auch dabei. Der 1. September brach an. Ich hatte gerade die Milch an der Sammelstelle abgeliefert, da hörte man, dass im Radio in Kürze eine außergewöhnliche Reichstagssitzung übertragen werden würde. Wir hatten noch kein Rundfunkgerät. So ging ich, wie auch sonst immer, zum „Frälla“ (Oma) ins „Roß“. Die Reichstagssitzung begann und plötzlich hörte ich den Satz, der in mir ein Gefühl auslöste, das ich damals nicht beschreiben konnte: „Ab heute früh, 5.45 Uhr, wird zurück geschossen.“ Plötzlich war die Gaststube voller Leute. Meine Mutter kam auch herein und sagte: „Ein Motorradfahrer hat gerade von unserem Vater von Tauberbischofsheim einen Brief gebracht. Sie weinte zwar, doch in dem stand zu lesen: „Macht euch keine unnötigen Sorgen; diesmal bin ich nicht mehr vorne mit dabei.“ Er war ja schon im 1. Weltkrieg verwundet worden. Doch diesmal wurde er, da er ja schon älter war, einem Pferdelazarett zugeteilt.

Die ersten beiden Kriegsjahre und mit ihnen „die großen Siege“, gingen vorüber. Ich musste in der Landwirtschaft daheim mithelfen. Da mein Vater im Herbst 1939 noch im Polenfeldzug mit dabei war, habe ich mit dem „Härla“ (Opa) und der Mutter die ganze Arbeit bewältigen müssen. Ab Oktober fing es an zu regnen, bald jeden Tag. Fast die ganze Kartoffelernte war noch draußen und Äpfel gab es so viele wie nie zuvor. So sind wir auch sonntags im Regen auf dem Apfelbaum gewesen und wochentags haben wir die Kartoffeln mit dem „Karscht“ heraus gehackt, da man vor lauter Regen und Nässe mit dem Pflug und den Kühen nicht mehr auf den Acker konnte. Abends haben der „Härla“ und ich Apfelmost gekeltert. Ich weiß noch genau, wie ich - mit meinen 15 Jahren - nachts um halb zwölf den Most mit der Budde zur Kegelbahn getragen habe, das war der große Keller vom „Roß“ und wir hatten einige Fässer dort liegen, da ja meine Mutter „s‘Roßwirts-Lenche“ war - und ich notgedrungen im Volksmund der „Roßwirts-Walter“.

Am Anfang des Krieges waren noch nicht alle Männer „eingezogen“, wie der Ausdruck damals war. Doch nun kamen immer mehr Stellungsbefehle und bald waren im Dorf fast nur noch ältere Männer, Frauen, Kinder, französische Kriegsgefangene und wir 15- bis 18-Jährigen. Später kamen noch junge Polen und auch junge russische Frauen hinzu, die allesamt in der Landwirtschaft eingesetzt waren. Bei einigen französischen Kriegsgefangenen gab es nach Kriegsende jeweils Gegenbesuche der „Gastfamilien“. Mit den polnischen und russischen Menschen konnten nach Kriegsende jedoch keine Verbindungen mehr hergestellt werden.

Damals wurde noch mit der Dreschmaschine in der Scheune gedroschen und so kam es also dazu, dass wir in unseren jugendlichen Jahren das Korn in den Säcken auf den Boden (Speicher) getragen haben. Ich denke, dass ich fast in jedem zweiten Gehöft in unserem Dorf eingesetzt war, so wie natürlich meine anderen Kameraden (Kumpels) auch. Wo war eigentlich das Jugendschutzgesetz? Erstaunlicherweise haben wir es damals alle überlebt.

Zum Glück kam dann doch immer wieder einmal der Winter und mit ihm dann auch wieder die Spinnstube. Ein Fest war das Jahr über nicht in Sicht. Doch in der Spinnstube bei Apfelmost und meiner Ziehorgel ging es oftmals ganz schön rund.

Würzburg lag für uns irgendwo weit weg. Ich habe es in dieser Zeit nur wenige Male gesehen. Nach Wertheim kam man schon etliche Male mehr, denn man hatte doch ein Fahrrad und so sind wir einige Male in den Film gefahren, wie wir freudvoll sagten. Da waren Hans Moser und Theo Lingen auf der Leinwand zu bewundern. Ein Fässchen Dünnbier haben wir dann - hie und da - doch auch in der „Hoscht“ geleert aus irgendeinem Anlass. Das war eine Freude! Da haben wir mal wieder „einen draufgemacht“ - so haben wir noch einige Wochen später davon geschwärmt.

Das war ein Teil unserer Jugendzeit. Doch es sollte noch anders kommen, denn es kam der 22. Juni 1941, ein Sonntag. Ich wurde durch laute Fanfarenstöße aufgeweckt. Wir hatten ja immer noch kein Radio, doch unser Nachbar der „Adeles Willem“ hatte einen Volksempfänger. Da die Obere Gasse ziemlich schmal ist und wir genau gegenüber wohnten, hörte ich ganz deutlich die Ankündigung: „In Kürze eine Sondermeldung des Oberkommandos der Wehrmacht!“ Ich hüpfte aus dem Bett, sprang zum Fenster und rief zum „Willem“, der auch gerade herausschaute: „Was ist los?“ Er hatte schon vorher Nachrichten gehört und so sagte er „Sie sen in Russland einmarschiert.“ „In Russland?“, sagte ich, „Ja und der Stalin?“ „Der hoad‘se scheint‘s nei ‘glasse.“

Trotz Nichtangriffspakt war das geschehen, womit eigentlich bei uns in der Heimat niemand gerechnet hat. Der Russlandfeldzug hatte begonnen. Wenige Wochen später kam der erste Brief ins Dorf, der schwarz umrandet war. „Für Führer, Volk und Vaterland gefallen.“ „Wer ist es denn?“ „No, der Waidmichel’s-Schorsch!“.

Wenige Wochen später - es war wieder Sonntag - ich war gerade in meiner Stube oben und wollte mit meiner Harmonika einen neuen Walzer einüben. Irgendjemand hatte mir die Noten (Preis 80 Pfennig) von Wert