Erinnerungen aus dem Feldzug gegen Rußland 1812-13 - Adrien J. B. F. Bourgogne - E-Book

Erinnerungen aus dem Feldzug gegen Rußland 1812-13 E-Book

Adrien J. B. F. Bourgogne

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Beschreibung

Bourgognes Erinnerungen geben über den Feldzug in Rußland 1812 in schlichter Erzählungsweise ein fesselndes, ja oft ergreifendes Bild des Lebens und der Leiden des Mannes in Reih und Glied, wie es lebenstreuer und anschaulicher in der Literatur über diese Zeit nicht existiert. Das Wesen des Krieges in seiner ganzen Ursprünglichkeit, nach den Eindrücken eines Mannes aus der Mitte des großen Haufens, tritt vor uns. Der Erzähler repräsentiert in seiner einfachen, natürlichen, vom besten Soldatengeist getragenen Art das populäre Element, und dies ganz besonders ist es, was dem Buch ein erhöhtes Interesse verleiht. Es liefert einen Beitrag zur Geschichte jenes Krieges, wie ein solcher bisher noch nicht aufgefunden sein dürfte. (... Vorwort)

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt.

Vorwort.

Kapitel

Von Portugal nach Rußland. - Schlacht an der Moskwa. - Marsch nach Moskau.

Kapitel

Endlich in Moskau! - Der große Brand. - Eine Wanderung zum Kreml. - Reiche Beute. - Ein Leben im Überfluß. - Im Kreml. - Eine Ballfestlichkeit.

Kapitel

Abmarsch von Moskau. - Was mein Tornister enthielt. - Der Kaiser in Gefahr. - Über Moshaisk nach Slawkowo.

Kapitel

Dorogobush. - Kleine Ereignisse. - Hunger und Kälte.

Kapitel .

Eine Feuersbrunst. - Ein Familiendrama. - Marschall Mortier. - 27 Grad Kälte. - Ankunft in Smolensk. - Eine Räuberhöhle.

Kapitel

Eine unruhige Nacht. - Abmarsch von Smolensk. - Schlacht bei Krasnoi.

Kapitel

Fortsetzung des Rückzugs. - Verlust meines Tornisters. - Ich treffe eine Bekannte. - Entmutigung. - Allein. - Verschiedene Erlebnisse. - Begegnung mit Pikart.

Kapitel

Mit Pikart zusammen. - Kosaken. - Pikart verwundet. - Polnische Gastfreundschaft. - Schreckliche Stunden. - Wir treffen die Armee. - Der Kaiser und die Heilige Legion. - Übergang über die Beresina.

Kapitel.

Nach Wilna. - Der Kaiser verläßt die Armee. - König Murat übernimmt das Kommando. - 28 Grad Kälte.

Kapitel

Von Wilna nach Kowno. - Der Regimentshund. - Marschall Ney. - Plünderung des Kriegsschatzes. - Ich bin vergiftet. - Im Quartier beim Henker. - Grenadier Faloppa. - Von Kowno nach Elbing. - Mutter Gâteau und Michaut. - Die beiden Brüder. - Ich finde Pikart wieder. - Die verräterischen Juden. - Eine Megäre. - Eylau. - Ankunft in Elbing.

Kapitel

Aufenthalt in Elbing. - Madame Gentil. - Leichenschmaus. - Neujahr 1813 - Vater Elliot. - Schlußwort.

Vorwort.

DIE vorliegenden Denkwürdigkeiten entstammen einem Manuskript, welches der Autor an der Hand von Aufzeichnungen niederschrieb, die er sich kurz nach dem russischen Feldzug machte.

Ein Teil der Memoiren erschien noch bei Lebzeiten Bourgognes 1857 in einem französischen Journal. Dieses Bruchstück zeigte aber seinen geringen Wert, nachdem das Originalmanuskript in der Bibliothek von Valenciennes in den 90ziger Jahren1 entdeckt, und von der Familie des Autors der „Nouvelle Revue rétrospective“, einem Journal zur Veröffentlichung übergeben worden war, welches sich seit langen Jahren der Aufgabe widmet, Dokumente, welche die vaterländische Geschichte betreffen, zu publizieren.

Hierauf erschien die erste ausführliche Schilderung der Erlebnisse Bourgognes im Jahre 1896, welche rasch nacheinander eine Reihe von Auflagen erlebte.

Bourgognes Erinnerungen geben über den Feldzug in Rußland 1812 in schlichter Erzählungsweise ein fesselndes, ja oft ergreifendes Bild des Lebens und der Leiden des Mannes in Reih und Glied, wie es lebenstreuer und anschaulicher in der Literatur über diese Zeit nicht existiert.

Das Wesen des Krieges in seiner ganzen Ursprünglichkeit, nach den Eindrücken eines Mannes aus der Mitte des großen Haufens, tritt vor uns.

Der Erzähler repräsentiert in seiner einfachen, natürlichen, vom besten Soldatengeist getragenen Art das populäre Element, und dies ganz besonders ist es, was dem Buch ein erhöhtes Interesse verleiht. Es liefert einen Beitrag zur Geschichte jenes Krieges, wie ein solcher bisher noch nicht aufgefunden sein dürfte.

Als Sohn eines Leinwandhändlers in Condé an der Schelde geboren, trat Bourgogne am 12. November 1805 in sein 20.tes Lebensjahr, und gleichzeitig seinem lebhaften Wunsche folgend, in die Armee.

Sein Vater erlangte für ihn die Aufnahme in das Korps der kaiserlichen Jäger der Garde, einer erst neu gebildeten Elitetruppe, die in kleinen Abteilungen allen Infanterie- und Kavallerieregimentern der alten Garde beigegeben wurde. Die Kleidung entsprach derjenigen der Regimenter, zu welchen die Zuteilung erfolgte. Die in diese Elitetruppe Eintretenden mußten ein gewisses Einkommen nachweisen und erhielten auf bestimmten Vorbereitungsanstalten eine besondere Ausbildung im Schreiben, Rechnen, Zeichnen und Turnen, womit dem Zögling auch die Offizierskarriere erschlossen wurde.

Der Feldzug 1806 führte Bourgogne nach Polen, wo er 1807 Korporal wurde. Von 1809 bis 1811 nahm er an den Kämpfen in Österreich, Spanien und Portugal teil, und 1812 zog er nach Wilna, woselbst der Kaiser seine gesamte Garde vereinigte, bevor er gegen die Russen marschierte. Zu dieser Zeit war Bourgogne Sergeant. Im März 1813 kehrte er nach Frankreich zurück und wurde Unterleutnant im 145. Linienregiment. Als solcher ging er mit nach Preußen, wurde aber am 12. Oktober 1813 bei Dessau verwundet und gefangengenommen, und dort, während der Gefangenschaft, war es, wo er sich mit der Ausarbeitung dieser Erinnerungen beschäftigt hat.

Aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt, nahm er sogleich seine Entlassung, da inzwischen die Bourbonen wieder den Thron bestiegen hatten. Sein Herz gehörte noch dem Kaiser, unter dem er mehr als 20 Schlachten, sowie viele kleinere Gefechte mitgemacht hatte, und dreimal verwundet worden war. In seinen Memoiren sagt er darüber einfach: „L’empereur n’étant plus en France, je donnai ma démission.“2

In den Ruhestand getreten, heiratete er sehr bald und widmete sich ganz dem Wohle seiner Familie und der Erziehung seiner Kinder.

Im Jahre 1830, als die Trikolore wieder entfaltet wurde, trat er noch einmal in den Dienst und zwar als Platzmajor in Brest, von wo er 1832 in gleicher Eigenschaft nach Valenciennes versetzt wurde, nachdem er 1831 das Kreuz der Ehrenlegion erhalten hatte. Im Jahre 1853 ließ er sich pensionieren, und am 2. April 1867 starb er als 80ziger.

Große körperliche Leiden vergifteten ihm seine letzten Tage, trotzdem aber behielt er bis ans Ende guten Humor und Gleichmut, Eigenschaften, die in allen Lagen des Lebens einen Grundzug seines Charakters gebildet hatten.

1 Anmerk. d. Hrsg.: Gemeint sind hier die 1890er Jahre.

2 „Da der Kaiser nicht mehr in Frankreich war, reichte ich meine Kündigung ein.“

Erinnerungen aus dem Feldzug gegen Rußland 1812-1813

1. Kapitel.

Von Portugal nach Rußland. - Schlacht an der Moskwa. – Marsch nach Moskau.

ES war im März 1812, während wir in Portugal gegen die englische Armee unter Wellington kämpften, als uns in Almeida der Befehl traf, nach Rußland abzumarschieren.

Wir brachen alsbald auf und hatten auf unserem Weg durch Spanien jeden Marschtag ein, mitunter sogar zwei Gefechte zu bestehen, ehe wir in Bayonne, der ersten französischen Stadt ankamen.

Von hier ging es zu Wagen nach Paris, wo wir dachten, uns einige Zeit ausruhen zu können. Indessen schon nach einem 48stündigen Aufenthalt besichtigte uns der Kaiser, fand die Ruhe unserer unwürdig, und ließ uns vom Fleck aus über die Boulevards und die Straße Saint-Martin nach Villette marschieren, hinter welchem Ort mehrere hundert Fiaker und sonstige Fuhrwerke verschiedener Art unserer warteten. Wir mußten dieselben besteigen, immer vier Mann einen Wagen, und dann: Hui! knallte die Peitsche, und fort ging’s bis nach Meaux und von dort in anderen Gefährten Tag und Nacht bis zum Rhein.

In Mainz gönnte man uns einige Ruhe. Darauf überschritten wir den Rhein und marschierten über Frankfurt, durch Franken, Sachsen und Preußen nach Polen. Bei Marienwerder gingen wir über die Weichsel und am Morgen des 25. Juni, bei herrlichem Wetter (nicht bei scheußlichem, wie M. de Ségur berichtet) auf mehreren Schiffbrücken über den Njemen, womit wir Litauen, die erste russische Provinz betraten.

Am anderen Morgen rückten wir weiter und marschierten bis zum 29., ohne daß irgend etwas Bemerkenswertes vorfiel. In der Nacht vom 29. zum 30. aber ließ sich ein dumpfes Dröhnen vernehmen; es war das Grollen des Donners, welches ein heftiger Wind uns zutrieb. Die Wolkenmassen türmten sich über unseren Köpfen und entluden sich bald über uns. In wenigen Minuten waren unsere Feuer erloschen, unsere Schutzhütten über den Haufen geworfen und unsere Gewehrpyramiden umgeweht. Tiefe Dunkelheit umgab uns und keiner wußte mehr, wohin sich wenden.

Ich rannte, um eine Zuflucht zu suchen, querfeldein in der Richtung auf ein nahegelegenes Dorf, welches mich der Schein der Blitze hatte erkennen lassen. Bei einem derselben glaubte ich plötzlich einen Weg zu bemerken, und froh, wenigstens einigermaßen festen Boden zu gewinnen, laufe ich darauf zu. Im nächsten Augenblick verschwand ich vom Erdboden. Der vermeintliche Weg war ein hoch angeschwollener Mühlgraben gewesen.

Wieder aufgetaucht, schwimme ich ans Ufer und erreiche endlich das Dorf, in dessen erstes Haus ich eintrete. Umhertappend finde ich eine Tür, öffne sie leise und bemerke, daß die Stube von einer Menge tief schlafender Soldaten besetzt ist. Mich weiter tastend, treffe ich auf einen großen, schön warmen Kachelofen, um welchen herum, wie ich fühlte, eine Bank lief. Das war, was ich brauchte. Ich entledigte mich nunmehr sofort meiner nassen Kleider, rang mein Hemd und die anderen Sachen aus, breitete sie zum Trocknen über die Bank und kauerte mich dann selbst auf derselben nieder.

Als der Morgen zu dämmern begann, zog ich mich an, und machte mich ebenso leise wie ich gekommen war, wieder davon. Im Lager fand ich meine Ausrüstung in einem wahren Morast eingebettet.

Glücklicherweise brachte der Morgen des 30. wieder heiteres Wetter, und die Sonne trocknete, nachdem wir den Weitermarsch angetreten hatten, alles schnell. Wir kamen noch selbigen Tags in Wilna, der Hauptstadt Litauens an, woselbst der Kaiser am Tage vorher mit einem Teil der Garde eingetroffen war.

Hier blieben wir über 14 Tage. Am 16. Juli abends 10 Uhr verließen wir die Stadt und marschierten in der Richtung auf Borisow.

Den 27. trafen wir bei Witebsk auf die Russen, und nahmen Stellung auf einer Anhöhe, welche die Stadt und Umgebung beherrschte. Der Feind hielt Höhen rechts und links der Stadt besetzt. Die Kavallerie des Königs Murat hatte schon mehrere Attacken gemacht. Als wir anrückten, sahen wir, wie gegen 200 Voltigeure des 9. Linienregiments, die sich zu weit vorgewagt hatten, von zahlreicher russischer Kavallerie, welche soeben zurückgeworfen worden war, überrascht wurden.

Wir hielten die Unseren für verloren, da wir durch den Fluß getrennt, ihnen nicht zu Hilfe eilen konnten. Die gut geschulten, kriegsgewohnten Leute, geführt von tüchtigen Offizieren, vereinigten sich aber noch schnell genug zum Carré und wiesen unerschrocken die wiederholten Angriffe der feindlichen Reitermassen, unter denen sich auch Lanzenreiter befanden, ab. Bald umgab ein Wall von toten und verwundeten Pferden und Menschen die kleine Schar und bildete für sie eine Schutzwehr, der gegenüber die Russen endlich alle weiteren Versuche, das Carré zu sprengen, aufgaben. Sie zogen sich zurück, in wilder Jagd davonreitend, gefolgt von dem Freudengeschrei all unserer Truppen, die diesem Kampf von der Höhe aus zugesehen hatten.

Das tapfere Häuflein trat hierauf ruhig seinen Rückweg an, nur ab und zu noch einmal Front machend, um erneuten Angriffen des Feindes die Stirn zu bieten. Der Kaiser verlieh sofort den Tapfersten der endlich glücklich Zurückgelangten den Orden der Ehrenlegion. Auch die Russen auf den Höhen uns gegenüber waren Zeugen des heldenmütigen Verhaltens der Unseren und der erfolglosen Anstrengungen ihrer Kavallerie gewesen.

Kurze Zeit nach diesem kleinen Kriegsschauspiel bezogen wir unseren Lagerplatz. Auf demselben erhielt ich den Besuch von zwölf jungen Burschen aus meiner Vaterstadt Condé. Zehn davon waren Tambours, einer Tambourmajor und einer Korporal bei den Voltigeuren, sämtlich von ein und demselben Regiment. Ich bezeigte ihnen meine Freude sie zu sehen, bedauerte aber, daß ich ihnen gar nichts vorzusetzen hätte. Da meinte der Tambourmajor, deshalb wären sie auch nicht gekommen, im Gegenteil, sie wollten mich einladen, zu ihnen herüberzukommen und den Abend bei ihnen zu verleben, da sie den Küchenwagen eines russischen Generals mit Wein und anderen schönen Stärkungen erbeutet hätten. „Wir haben alles“, sprach er weiter, „auf dem Marketenderwagen unserer Florencia untergebracht, einer jungen Spanierin, die für meine Frau gilt, aber nur in allen Ehren, so lange sie unter meinem Schutz steht, bis sie für ihren Bräutigam, der in Bilboa von einem Spanier erstochen wurde, einen anderen Mann gewählt hat. Sie ist ein hübsches Mädel, gegen das aber keiner wagen wird sich etwas herauszunehmen. Also Landsmann, es ist abgemacht, du gehst mit uns, komm, wir wollen lustig sein.“

Ich zog natürlich mit ihnen und fand in der Spanierin eine wirklich sehr hübsche, kleine Person, die mich um so freundlicher empfing, als ich durch meinen Aufenthalt in Spanien in ihrer Muttersprache mit ihr reden konnte. Wir waren bei dem Wein und anderen guten Sachen des russischen Generals sehr vergnügt, und plauderten die ganze Nacht am Feuer von der Heimat und unseren Erlebnissen. Erst der Kanonenschuß, welcher den Anbruch des Tages verkündete, machte unserem fröhlichen Zusammensein ein Ende. Wir trennten uns mit der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen. Die armen Jungen! wenn sie gewußt hätten, wie nahe ihnen ihr Ende war.

Es war der 28. Wir erwarteten für heute eine Schlacht, aber die Russen waren still abgezogen und wir rückten in Witebsk ein, woselbst wir 14 Tage blieben. Mein Regiment kam in einer Vorstadt ins Quartier.

Ich erhielt Unterkunft bei einem Juden, der eine hübsche Frau und zwei reizende Töchter hatte. In diesem Hause fand ich einen kleinen Kupferkessel zum Bierbrauen, sowie Gerste und eine Handmühle zum Mahlen derselben, aber der Hopfen fehlte. Ich gab deshalb dem Juden 12 Franken, um solchen aus der Umgegend herbeizuschaffen, behielt aber vorsichtigerweise, um seiner Rückkehr sicher zu sein, Frau und Töchter als Geiseln zurück. Nach Verlauf von 24 Stunden war Jakob mit dem Hopfen auch richtig wieder da, und ein Flamländer in der Kompanie, der von Beruf Brauer war, braute uns nunmehr fünf Tonnen vortreffliches Bier.

Als wir am 13. August Witebsk verließen, waren noch zwei Tonnen von dem Bier vorhanden, die wir unserer Marketenderin, der Mutter Dubois, auf ihren Wagen gaben. Diese abscheuliche Person hatte aber die Schlechtigkeit, das Bier an die hinter uns marschierenden Truppen zu verkaufen, während wir vor Durst verschmachteten.

Am frühen Morgen des 16. August kamen wir vor Smolensk an, wo sich der Feind eben eingeschlossen hatte. Wir nahmen Stellung auf dem von den Bewohnern des Landes so genannten „heiligen Felde.“ Die Stadt ist von einer sehr starken Mauer mit alten Türmen umgeben, deren Spitze aus Holz besteht. Am Fuße der anderen Seite der Stadt fließt der Dnjepr. Der Angriff wurde sogleich begonnen und Bresche geschossen. Am 17. morgens, als der Sturm statthaben sollte, war man sehr erstaunt, die Stadt geräumt zu finden. Die Russen hatten sie - verlassen, die Brücke hinter sich abgebrochen und eine Aufstellung jenseits des Flusses auf einer die Stadt beherrschenden Höhe genommen, von welcher aus sie mit Vollkugeln und Granaten fast alle Häuser in Trümmer legten, ehe sie abzogen. Ein großer Teil der Einwohner suchte nach der völligen Zerstörung ihrer Wohnplätze Zuflucht in der Kathedrale.

Am 21. setzten wir den Marsch fort und überschritten die Hochebene von Valutina, wo zwei Tage vorher ein blutiges Gefecht stattgefunden hatte, in dem der brave General Gudin gefallen war.

Demnächst rückten wir in Eilmärschen bis nach der Stadt Dorogobush, von welcher wir am 24. aufbrachen und die Russen bis nach Wjasma verfolgten, welches schon in Flammen stand. Dort fanden wir Branntwein und einige Lebensmittel.

Am 1. September erreichten wir Gshatsk und blieben daselbst zwei Tage, weil hier die Geschütz- und Gewehrmunition ergänzt wurde, um für eine bevorstehende große Schlacht ausreichend versehen zu sein.

Den 4. marschierten wir weiter und am 5. stießen wir auf die russische Armee in einer verschanzten Stellung. Das 61. Linienregiment eroberte die vorderste Schanze.

Am 6. wurden Vorbereitungen für die große Schlacht3 getroffen, welche am folgenden Tage geschlagen werden sollte: Die einen setzten ihre Waffen in Stand, andere brachten das Verbandszeug in Ordnung, manche machten ihr Testament, sorglose Gemüter aber sangen oder schliefen. Die gesamte kaiserliche Garde erhielt Befehl, den Paradeanzug anzulegen.

Um 5 Uhr des anderen Morgens stand alles gefechtsbereit. Der Kaiser, welcher schon früh zu Pferde gestiegen war, ritt alle Truppenfronten ab.

Die Schlacht begann um 7 Uhr; im einzelnen beschreiben kann ich sie nicht, aber in der ganzen Armee herrschte Freude, als die Kanonen zu sprechen begannen, und man damit die Gewißheit erhielt, daß die Russen diesmal standhielten und die Schlacht annahmen. Am Abend vorher und einen Teil der Nacht über war ein feiner, kalter Rieselregen niedergegangen, mit Anbruch des Tages wurde das Wetter aber schön, klar stand die Sonne am heiteren Himmel.

Wie alle unsere großen Schlachten, war auch diese ein mächtiger Artilleriekampf. Unsererseits sollen 120,000 Schuß abgegeben worden sein. Die Russen hatten 50,000 Mann an Toten und Verwundeten, und darunter, wie man angibt, 50 Generale. Unser Verlust betrug 17,000 Mann, mit 43 Generalen, die teils tot, teils verwundet waren.

Wir befanden uns während der ganzen Schlacht in Reserve hinter der Division Friant, trotzdem aber schlugen doch auch Kugeln in unsere Reihen und um den Standpunkt des Kaisers.

Die Schlacht endete mit Einbruch der Dunkelheit, und wir verblieben während der Nacht auf den 8. auf unserem Platze. Ich besuchte an diesem Tage in Begleitung des

Unteroffiziers Grangier, eines Regimentskameraden, mit dem ich vor Witebsk die Nacht vom 27. zum 28. Juli im Kreise unserer Landsleute und der hübschen Spanierin so fröhlich zugebracht hatte, das Schlachtfeld. Es war ein Gang, der uns die schrecklichsten Bilder sehen ließ. Wir kamen auf demselben auch an eine Schlucht, um welche besonders heiß gekämpft worden war. Jetzt standen dort die Zelte des Königs Murat. In dem Moment, wo wir anlangten, vollzog der Leibarzt des Königs gerade an zwei schwer verwundeten Kanonieren der kaiserlich russischen Garde eine Beinamputation. Nachdem die Operation vorüber war, ließ der König jedem der beiden Unglücklichen ein Glas

Wein reichen. Darauf ging er am Rand der Schlucht spazieren, und betrachtete die sich dort ausbreitende, von einem Gehölz begrenzte Ebene. Auf dieser hatte er während der Schlacht auf dem Rückzug befindliche feindliche Truppen mit seiner Kavallerie attackiert, und viele der Moskowiter ins Gras beißen lassen. Seine glänzende Tapferkeit, seine Kaltblütigkeit und stolze Haltung, wenn er, den Säbel in der Faust, Befehle erteilte, oder, wenn es galt, auch selbst mit einhieb, erregten immer Bewunderung. Er war stets

weithin zu erkennen an seinem schmalkrempigen Samthut mit dem wallenden weißen Federbusch und seinem flatternden Mantel.

Am 9. verließen wir das Schlachtfeld und kamen am selben Tage nach Moshaisk. Dort hatte jenseits der Stadt auf einer Anhöhe die Nachhut des Feindes Stellung genommen. Unbekümmert um die Stärke des Gegners, stieg eine Kompanie Voltigeure und Grenadiere des 33. Linienregiments, welche dem Vortrupp angehörte, den Abhang hinauf. Sie wurde bald von mehreren Schwadronen Kürassieren und Kosaken angegriffen, formierte aber Knäuel und demnächst Carré, und wies mit ihrem Feuer die Angreifer ab, worauf sie die Höhe gewann und die russische Nachhut abzog.

Den 10. verfolgten wir den Feind bis zum Abend, und nach Beendigung des Marsches wurde ich zu der Wache kommandiert, welche das Schloß zu beschützen hatte, in dem der Kaiser die Nacht zubrachte. Die Stelle des mir angewiesenen Postens befand sich auf einem Wege, der zum Schloß führte. Kurze Zeit nach meiner Ankunft daselbst kam ein polnischer Diener, dessen Herr im Stabe des Kaisers war, mit einem Packpferd an der Hand vorüber. Das Tier schleppte sich nur noch mühsam und brach dicht bei uns zusammen. Alle Mühe des Dieners, es wieder aufzubringen, war vergeblich; er packte es deshalb ab, belud sich selbst mit den Sachen und überließ das Pferd seinem Schicksal. Kaum hatte er es verlassen, als meine sehr hungrigen Leute das dem Verenden nahe Tier töteten und die besten Teile herausschnitten. Wir brachten alsdann die ganze Nacht mit Essen und Kochen für den nächsten Tag zu.

Am Morgen kam der Kaiser mit König Murat und einem Kabinettschef den Weg vom Schloß entlang. Ich ließ meine Mannschaft sofort unter Gewehr treten, und als der Kaiser bei uns anlangte und des Pferdes ansichtig wurde, blieb er stehen und fragte, ob wir davon gegessen hätten. Auf meine bejahende Antwort lachte er und sagte: „Na, habt nur Geduld, in vier Tagen sind wir in Moskau, und da sollt ihr Ruhe haben und besser zu essen bekommen; indessen ist Pferdefleisch auch nicht übel.“ Damit setzte er seinen Weg fort.

Den folgenden Tag marschierten wir bei gutem Wetter weiter. Am Abend des 13. lagerten wir bei einer Abtei und anderen schönen Gebäuden, welche die Nähe einer großen Stadt anzeigten.

Den 14. brachen wir frühzeitig auf und passierten eine Schlucht, an der die Russen angefangen hatten, Erdwerke zur Verteidigung herzurichten. Bald hiernach betraten wir einen großen Wald von Fichten und Birken, durch den eine sehr breite, wohlgepflegte Straße führte. Wir waren nicht mehr fern von Moskau.

An diesem Tage befand ich mich beim Vortrupp. Nach Verlauf einer Stunde machte die Marschkolonne kurze Rast. Während derselben bemerkte ich einen Liniensoldaten, der den linken Arm in einer Schlinge trug, und auf sein Gewehr gestützt dastand, als ob er jemand erwartete. Ich erkannte in dem Mann einen der zwölf von meinen Landsleuten aus Condé, die mich im Lager von Witebsk besucht hatten. Als ich ihn freundlich begrüßte, sagte er mir, daß er sich hier aufgestellt hätte, in der Hoffnung, mich zu treffen. Auf meine Frage, wie es unseren Freunden ginge, erwiderte er, den Gewehrkolben auf den Boden stoßend: „O sehr gut! Sie sind alle tot - auf dem Felde der Ehre gefallen, wie man sagt - und eingescharrt in der großen Schanze an der Moskwa. Nie werde ich diese Schlacht vergessen! Was war das für eine Schlächterei!“

„Und was hast du denn am Arm?“

„Ach, gar nichts! Einen Schuß zwischen Ellbogen und Schulter. Doch setzen wir uns einen Augenblick; ich will dir erzählen, wie es uns erging.“

Und er begann:

„Gleich mit Beginn der Schlacht, um 7 Uhr, kamen wir scharf ins Gefecht. Unser Führer, der General Campans, wurde bald verwundet, ebenso der, welcher an seine Stelle trat, und dann auch der dritte. Darauf übernahm als vierter der General Anabert von der Garde das Kommando. Er ließ sogleich zum Sturm vorgehen. Wir 61er waren vorn, die Kartätschen mähten uns beinahe gänzlich nieder, unter den Toten befanden sich auch unsere Freunde. Der General war verwundet, hatte aber wenigstens bei all den schweren Verlusten die Genugtuung, die Schanze genommen zu haben. Meinen Schuß in den Arm bemerkte ich erst, als wir im Besitz derselben waren.

Es stellten sich Schmerzen ein, die mich bewogen, zurückzugehen, um mir die Kugel auf dem Verbandplatz herausnehmen zu lassen. Unterwegs begegnete ich unserer kleinen Spanierin mit einer Flasche Branntwein in der Hand. Sie weinte bitterlich, denn sie hatte von Verwundeten von dem Unheil des Regiments gehört, und bat mich, sie zu demselben zu führen, um vielleicht noch einige mit einem Trunk laben zu können. Ich ging also mit ihr zurück, und als wir zu unseren Tambours kamen, die neben ihren zerschmetterten Trommeln lagen, trat sie laut klagend von einem zum anderen, jeden untersuchend, ob noch Leben in ihm wäre. Das war bei mehreren der Fall, auch bei dem Tambourmajor. Während sie bei diesem kniete, um ihm einen stärkenden Schluck einzuflößen, entspann sich das Gefecht auf einmal von neuem, denn die Russen rückten abermals an, um die Schanze wieder zu erobern. Plötzlich stieß das Mädchen einen Schrei aus; eine Kugel hatte den Daumen ihrer linken Hand getroffen, und war in die Schulter des Sterbenden gedrungen, dessen Kopf sie stützte. Sie sank ohnmächtig um. Ich wollte sie aufheben, um sie in Sicherheit zu bringen, mein zerschossener Arm machte das aber unmöglich. Zum Glück kam gerade ein Kürassier, der sein Pferd verloren hatte, an uns vorüber. Er sah das bewußtlose Mädchen und mein vergebliches Bemühen, trat herzu, nahm ohne weiteres die kleine Gestalt wie ein Kind auf seine Arme und schritt mit den Worten: „Nun schnell fort, hier wird’s faul“, eilends aus dem immer heftiger werdenden Feuer heraus einem kleinen Gehölz zu, in dem sich der Verbandsplatz der Gardeartillerie befand. Erst dort erwachte Florencia aus ihrer Ohnmacht.

Ein Chirurg des kaiserlichen Stabes, M. Larrey, welcher hier anwesend war, nahm ihr sogleich den Daumen ab, und mir die Kugel aus dem Arm, worauf ich mich bald viel besser befand.“

Kurze Zeit, nachdem mein Landsmann, er hieß Dumont und war Korporal bei den Voltigeuren des 61. Regiments, geendet hatte, brachen wir wieder auf. Ich bat ihn, mich einmal in Moskau zu besuchen, falls wir dort länger bleiben sollten, ich habe aber nie mehr etwas von ihm gesehen oder gehört. Die Schlacht an der Moskwa am 7. September 1812 hatte mich demnach aller der zwölf Gefährten aus meiner Vaterstadt Condé beraubt, die mich in treuer Landsmannschaft im Lager vor Witebsk aufgesucht hatten.

3 Schlacht an der Moskwa, auch Schlacht bei Borodino genannt.

2. Kapitel.

Endlich in Moskau! - Der große Brand. - Eine Wanderung zum Kreml. - Reiche Beute. - Ein Leben im Überfluß. - Im Kreml. - Eine Ballfestlichkeit.

ALS wir gegen 1 Uhr mittags aus dem großen Walde heraustraten, bemerkten wir in einer Entfernung vor uns eine Anhöhe. Nach einer halben Stunde langten wir an derselben an. Die vordersten Abteilungen, die schon die Kuppe erreicht hatten, machten uns lebhafte Zeichen und schrien: „Moskau! Moskau!“ - Ja, in der Tat, da lag sie endlich vor uns, die große Stadt, in der wir hofften, uns von allen Strapazen erholen zu können, denn wir von der Garde hatten ohne nennenswerte Ruhepausen über 1200 Lieues (ca. 5000 Kilometer) zurückgelegt.

Es war ein schöner Sommertag, und in der Mittagssonne glitzerten die Kuppeln, Kirchtürme und vergoldeten Paläste. Wohl hatte ich schon Paris, Berlin, Warschau, Wien und Madrid gesehen, aber keine dieser Hauptstädte hatte in mir eine ähnliche Empfindung hervorgerufen wie Moskau. Ich und alle anderen standen hier wie vor einem märchenhaften Zauberbild.

In diesem Augenblick waren alle Leiden, Gefahren, Mühsale und Entbehrungen vergessen, nur der eine Gedanke beseelte uns: „Endlich am Ziel, endlich in Moskau, wo wir gute Winterquartiere beziehen und Eroberungen in anderer Weise machen werden.“ Denn das ist die Art des französischen Soldaten: aus dem Kampf zur Liebe, von der Liebe in den Kampf.

Während wir mit solchen Gefühlen in die Betrachtung der Stadt versunken waren, erhielten wir Befehl, den Paradeanzug anzulegen.

Ich gehörte an diesem Tage mit 15 Mann zur Vorhut, und es waren mir mehrere in der Schlacht an der Moskwa gefangene russische Offiziere zur Bewachung überwiesen worden. Unter diesen befand sich auch ein Pope, wahrscheinlich ein Feldgeistlicher, welcher sehr gut Französisch sprach und sein Schicksal schwerer als seine Gefährten zu empfinden schien. Es war mir aufgefallen, daß er, sowie alle anderen Gefangenen, als sie auf der Höhe ankamen, sich gegen die Stadt verneigten und wiederholt bekreuzten. Ich bat den Priester, mir den Grund davon zu erklären. „Mein Herr“, erwiderte er, „der Berg, auf dem wir stehen, trägt den Namen „der Berg des Heils“, und jeder gute Moskowiter muß sich beim Erblicken der heiligen Stadt verneigen und das Zeichen des Kreuzes machen.“

Bald hiernach stiegen wir den Berg hinab und hatten nach einer Viertelstunde das Stadttor erreicht.

Der Kaiser mit seinem Gefolge hielt schon vor demselben. Wir machten Halt. Nach kurzer Zeit kam der Marschall Duroc aus der Stadt, in Begleitung von einigen französisch sprechenden Einwohnern, an die der Kaiser verschiedene Fragen richtete. Darauf meldete der Marschall Sr. Majestät, daß sich im Kreml eine Menge bewaffneter Kerle befänden, welche größtenteils aus den Gefängnissen freigelassene Verbrecher wären, die Kavallerie des Königs Murat beschössen und wiederholter Aufforderung ungeachtet sich weigerten, die Tore zu öffnen. „All diese Unseligen sind betrunken und nehmen keine Vernunft an“, schloß der Marschall.

„So soll man die Tore mit Kanonen öffnen und das ganze Gesindel zum Teufel jagen!“ entgegnete der Kaiser.

Dies war inzwischen schon geschehen; König Murat hatte sich nicht weiter aufhalten lassen. Zwei Kanonenschüsse hatten genügt, das ganze Lumpenpack zu zerstreuen und der Reiterei den Weg freizumachen, um der russischen Nachhut auf den Fersen zu bleiben.

Ein Trommelwirbel aller Tambours der Garde und das Kommando: „Garde à vous!“ erfolgte. Dies war das Zeichen zum Einrücken in die Stadt. Es war 3 Uhr nachmittags. Die Musik mit klingendem Spiel voran, zog die Marschkolonne durch das Tor.

Kaum waren wir in der Vorstadt eine Strecke marschiert, als wir mehrere von den Kerlen, die aus dem Kreml verjagt worden waren, umherschleichen sahen. Sie hatten abschreckende Gesichter, und waren mit Gewehren, Lanzen oder Mistgabeln bewaffnet. Auf der Brücke, welche die Vorstadt von der Stadt trennt, kam uns ein solches Galgengesicht entgegen, das unter der Brücke hervorgekrochen war. Der Strolch trug ein Wams aus Schaffell und einen Ledergürtel um die Hüften; langes, graues Haar fiel über seine Schultern und ein dichter, weißer Bart bis auf den Gürtel. Er war mit einer dreizinkigen Heugabel bewaffnet, so, wie man den aus dem Wasser steigenden Neptun zeichnet. In diesem Aufputz ging er auf den Tambourmajor zu, indem er Miene machte, denselben als ersten aufzuspießen. Wahrscheinlich hielt er ihn in seinem Aufputz für einen General. Er holte mit seiner Gabel zu einem wuchtigen Stoße aus, glücklicherweise aber gelang es dem Angegriffenen, noch rechtzeitig beiseite zu springen, dem Bösewicht die Mordwaffe zu entreißen und diesen selbst mit einem kräftigen Fußtritt in den Hintern über die Brücke in das Wasser zu schleudern, dem er vorher entstiegen war. Vom Strom erfaßt, sahen wir ihn noch ein paarmal auftauchen, dann aber war er plötzlich verschwunden.

Es erschienen noch mehr Leute, welche Gewehre hatten. Ein Teil feuerte auf uns, der andere aber nicht. Wir entwaffneten die Burschen und begnügten uns, sie mit einigen wohlgemeinten Kolbenstößen in die Rippen heimzuschicken. Als wir ihre Gewehre zerbrachen, sahen wir, daß die Mehrzahl derselben an Stelle des Feuersteins am Schloß nur kleine Holzstücke hatte. Diese Gewehre entstammten dem im Kreml befindlichen Arsenal. Die neuen Steinschloßgewehre wurden dort in der Weise aufbewahrt. Steine wurden ihnen erst bei der Verausgabung eingefügt.

Nachdem wir die Brücke passiert hatten, marschierten wir durch eine schöne, große Straße. Wir waren erstaunt, niemand zu sehen. Nicht ein einziger hübscher Mädchenkopf ließ sich durch unsere Musik anlocken, nach deren lustigen Weise: „Der Sieg ist unser“ wir flott dahinmarschierten. Wir wußten uns diese gänzliche Nichtbeachtung gar nicht zu erklären, indessen trösteten wir uns mit der Hoffnung, von manchem schönen Auge durch die geschlossenen Fensterjalousien beobachtet zu werden.

Nach etwa einer Stunde erreichten wir die erste Umwallung des Kreml, bogen jedoch hier scharf nach links und betraten eine noch schönere und breitere Straße, als die, welche wir soeben entlang marschiert waren; sie führte nach dem Gouvernementsplatz. Auf ihr mußten wir, irgendeines kleinen Hindernisses wegen, einen Augenblick halten und bemerkten währenddem an dem Fenster eines Erdgeschosses drei Damen. Ich befand mich nahe bei ihnen auf dem Trottoir, und die eine bot mir ein Stück Brot an, das schwarz wie Kohle war. Ich dankte ihr und reichte ihr meinerseits ein Stück Weißbrot aus den Vorräten der Mutter Dubois. Die Dame errötete und ich lachte; sie legte ihre Hand auf meinen Arm, ich erfuhr aber die Bedeutung dieser Berührung nicht, denn im selben Augenblick ging es weiter.

Endlich trafen wir auf dem Gouvernementsplatz ein, und stellten uns in dichten Kolonnen dem Palast des Generalgouverneurs Rostoptschin gegenüber auf, des Mannes, der Moskau anzünden ließ. Darauf machte man uns bekannt, daß das Regiment Befehl erhalten habe, als Pikett4 auf dem Platze zu verbleiben. Gleichzeitig wurde jede Entfernung eines einzelnen, unter welchem Vorwande es auch sei, untersagt. Das verhinderte aber nicht, daß eine Stunde später alle guten Dinge, die man sich nur wünschen konnte, auf dem Platze vorhanden waren. Da gab es Weine und Liköre von allen Sorten, eingemachte Früchte, eine erstaunliche Menge von Zuckerhüten, etwas Mehl und andere Sachen, aber kein Brot und nur wenig frisches Fleisch. Man war in die den Platz umgebenden Häuser gegangen, um Essen und Trinken zu verlangen, hatte aber in denselben kein menschliches Wesen angetroffen, und somit sich selbst bedient. Daher die Fülle alles Guten.

Die Wache erhielt ihren Platz unter dem Hauptportal des Palastes angewiesen. Gleich rechter Hand lag ein großes Zimmer, welches eine vortreffliche Wachstube abgab. Dasselbe bot genügend Raum für die ganze Wachtmannschaft und einige in der Stadt aufgefundene und eingebrachte russische Offiziere. Alle früheren Gefangenen hatten wir bis dicht vor Moskau mitgenommen, und dort unter Bewachung zurückgelassen.

Der Palast des Gouverneurs ist ziemlich groß und ganz in europäischem Stil erbaut. Zwei breite, schöne Treppen führen in den ersten Stock nach einem mächtigen Saal, in dessen Mitte ein sehr langer, ovaler Tisch steht, und wo an der Wand hinter demselben ein Kolossalbild des Kaisers Alexander zu Pferde hängt. Der zum Palast gehörige ausgedehnte Hofraum ist von Gebäuden umschlossen, welche für das Dienstpersonal bestimmt sind.

Eine Stunde nach unserer Ankunft brach das Feuer aus. Man bemerkte zuerst dicken Rauch und sah bald darauf die lodernden Flammen. Es hieß, das Feuer wäre in den Verkaufshallen und würde wahrscheinlich durch Unvorsichtigkeit plündernder Leute entstanden sein, die in den Läden nach Lebensmitteln gesucht hätten.

Von vielen, die den Feldzug nicht mitgemacht haben, wird behauptet, daß der Brand von Moskau das Verderben der Armee herbeiführte. Ich und viele andere denken aber, die Russen hätten ihre Stadt nicht anzuzünden brauchen, um uns loszuwerden. Wenn sie statt dessen alle Lebensmittel mitnahmen oder ins Wasser warfen und auf sechs Meilen in der Runde das hier ohnedem wenig ertragfähige und bebaute Land verwüsteten, so wäre das wirksamer gewesen. Alsdann würden wir zweifellos schon nach Verlauf von 14 Tagen gezwungen gewesen sein, abzuziehen. Die Feuersbrunst vertrieb uns nicht, denn es blieben noch Wohnstätten genug übrig, um die ganze Armee unterzubringen, brannte aber auch wirklich alles nieder, nun, dann hätten wir immer noch in den Kellern Unterkunft gefunden.

Um 7 Uhr traf die Meldung beim Pikett ein, daß das Feuer das Quartier unseres Gouverneurs bedrohe. Der Oberst erschien auf der Wache und befahl, daß eine Patrouille von 15 Mann nach der Brand-stelle abgehen solle; ich wurde mit dazu kommandiert. Wir marschierten sofort ab, hatten aber kaum 300 Schritte zurückgelegt, als in unserer Nähe geschossen wurde. Wir dachten zuerst, daß die Schüsse von betrunkenen Leuten unserer eigenen Truppen herrührten, und kümmerten uns deshalb nicht weiter darum, bald aber knallte es uns auch aus einer Sackgasse entgegen, und ein Mann der Patrouille wurde in den Schenkel getroffen. Die Verwundung war zwar nicht schlimm, denn sie hinderte den Mann nicht daran, weiterzumarschieren, indessen wurde doch beschlossen, zum Regiment zurückzukehren. Im Begriff, dies zu tun, kamen abermals Schüsse aus der Richtung, aus welcher die ersten gefallen waren. Dies änderte unseren Entschluß. Wir wollten der Sache nun doch nähertreten und gingen gegen das Haus vor, welches wir für das verdächtige hielten. Nachdem wir die Tür desselben eingeschlagen, stellten sich uns neun große, mit Gewehren und Lanzen bewaffnete Kerle entgegen und verwehrten uns den Eingang.

Sogleich entspann sich in dem Hofe ein Kampf. Es war kein gleicher, denn wir standen 19 gegen 9, aber da wir glaubten, daß sich noch mehr solch verwegener Gesellen in der Nähe befinden könnten, stachen wir die drei vordersten sofort nieder. Zwei entflohen und die anderen vier hielt ich mit fünf Mann durch unsere ihnen auf die Brust gesetzten Bajonette so fest gegen eine Mauer gedrückt, daß sie sich ihrer Waffen nicht bedienen und bei der geringsten Angriffsbewegung erstochen werden konnten. Sie schlugen sich mit ihren Fäusten auf die Brust und gebärdeten sich wie toll. Ihre totale Trunkenheit ließ uns sie zunächst schonen, als wir aber erkannten, daß wir nicht anders mit ihnen fertig werden konnten, machten wir sie kampfunfähig.

Nun durchsuchten wir eilig das Haus. In einem Zimmer trafen wir noch zwei Leute, die, als wir uns schnell auf ihre Waffen warfen, so bestürzt waren, daß sie vom Balkon hinabsprangen. Der eine brach sich das Genick, der andere beide Beine. Einen dritten fanden wir unter seinem Bett. Wir taten ihm nichts, denn wir wollten ihn als Führer behalten. Er war wie die anderen alle, ein Sträfling, und sah ebenso abschreckend und unheimlich aus wie jene.

Als wir jetzt wieder ins Freie traten, um zum Regiment nach dem Gouvernementsplatz zurückzukehren, waren wir nicht wenig überrascht, den Weg versperrt zu finden. Das Feuer hatte inzwischen durch den heftigen Wind eine solche Ausdehnung gewonnen, daß die Flammen sich über der Straße kreuzten; schon stürzten die Dächer zusammen. Wir mußten eine andere Richtung einschlagen, und wählten die, von welcher aus auf unserem Herweg die zweiten Schüsse gefallen waren. Mit unserem Gefangenen, der mehr einem Bären als einem Menschen glich, vermochten wir uns in keiner Weise verständlich zu machen.

Nach einer Weile kamen wir an das Haus, von welchem wir vermuteten, daß es dasjenige sei, aus dem der Schuß gekommen war, der unseren Kameraden verwundete. Da packte uns die Neugierde, auch hier noch einmal näher zuzusehen. Wir ließen unseren Gefangenen zuerst eintreten und folgten dicht hinter ihm. Sogleich erschallte ein Warnungsruf und mehrere Männer mit brennenden Fackeln flohen über einen großen Hof. Wir waren, wie wir nun sahen, in kein gewöhnliches Haus gekommen, sondern in einen Palast. Nachdem wir zwei Mann als Schildwachen an dem vordersten Tor zurückgelassen, und uns Lichter, die wir bei uns führten, angesteckt hatten, betraten wir die Räume. Nie im Leben hatte ich solche Pracht gesehen. Die kostbarsten Möbel, herrliche Bilder, und viele andere Kunstwerke fesselten unsere Blicke. Nichts aber zog uns so an, wie ein Waffenschrank, gefüllt mit den auserlesensten Waffen. Ich nahm mir aus demselben zwei Pistolen von selten schöner Arbeit, deren Kasten mit Perlen und Edelsteinen verziert war.

Etwa eine Stunde hatten wir uns in den mit fremdartigem Luxus ausgestatteten Räumen aufgehalten, als wir plötzlich durch einen furchtbaren Knall unter uns erschreckt wurden. Die Erschütterung war so stark, daß wir in größter Hast das Freie suchten, um nicht unter den Trümmern des Hauses begraben zu werden. Nachdem wieder alles still geworden war, trieb es uns doch, zu sehen, was uns so erschreckt hatte. Die Untersuchung führte uns in einen großen Speisesaal, in welchem die Decke samt einem großen Kristallkronleuchter herabgestürzt war, dessen Splitter nebst vielen anderen Dingen überall umherlagen. Das Unglück war durch Granaten verursacht worden, die man jedenfalls absichtlich in einen großen Kachelofen gelegt hatte. Die Russen scheuten eben kein Mittel, um uns zu vernichten.

Während wir hierüber noch unsere Bemerkungen austauschten, hörten wir die Schildwachen draußen auf einmal „Feuer!“ schreien. Als wir infolgedessen eiligst hinausliefen, sahen wir an mehreren Stellen dicken Rauch aus dem Hause aufsteigen, und wenige Augenblicke danach stand das ganze Haus in Flammen.

Nach manchen Umwegen kamen wir in eine breite, lange Straße, die auf beiden Seiten mit prachtvollen Bauwerken besetzt war. Wir hofften, auf ihr zu unserem Ausgangspunkt zurückzugelangen, denn von Führung seitens unseres Gefangenen war keine Rede. Er war zu weiter nichts nütze, als ab und zu unseren Verwundeten zu tragen, dem allmählich das Gehen schwer wurde. Auf unserem Wege begegneten wir mehreren langbärtigen, finsterblickenden Gestalten, die im Schein der brennenden Fackeln, die sie trugen, noch unheimlicher aussahen. Da wir bis jetzt von den Plänen, die diese Männer verfolgten, noch nichts wußten, ließen wir sie ruhig ziehen. Bald hierauf erfuhren wir von einer uns begegnenden Patrouille, daß die Leute mit den Fackeln von den Russen gedungen wären, das Feuer anzulegen. Kurze Zeit darauf hatten wir Gelegenheit, dies selbst zu beobachten. Wir überraschten drei Kerle, welche im Begriff standen eine Kirche anzustecken. Zwei liefen davon, der dritte aber versuchte, trotz unserer Annäherung, sein Werk auszuführen. Erst ein Kolbenschlag auf den Hinterkopf machte seiner Hartnäckigkeit ein Ende. Solch obstinate Teufel wurden auch anderwärts angetroffen. Ich hörte von einem, der, nachdem ihm das Handgelenk der rechten Hand mit dem Säbel durchhauen war, die Fackel mit der Linken ergriff, und nicht ruhte, bis man ihn erstach.

Während unseres weiteren Weges drangen plötzlich aus einem Hause Hilferufe von Frauenstimmen in französischer Sprache an unser Ohr. In dem Glauben, daß es Marketenderinnen von uns wären, die von Russen belästigt würden, eilten wir in das Haus, und waren sehr erstaunt, in dem Zimmer, welches wir betraten, zwei Damen mit aufgelösten Haaren und einen Jungen von 12 bis 15 Jahren inmitten einer Anzahl anscheinend sehr reicher, in der Stube umhergestreuter Kostüme zu finden. Die Damen riefen sogleich unseren Schutz an gegen vier russische Polizeisoldaten, die ihre Wohnung anzünden wollten, ohne ihnen Zeit zu lassen, ihre Sachen zu retten, unter denen sich auch das Gewand Cäsars, der Helm des Brutus und der Küraß der Jeanne d’Arc befanden. Unsere Schützlinge waren französische Schauspielerinnen, deren Männer die Russen mit fortgeschleppt hatten. Wir verhinderten für den Augenblick die Einäscherung ihrer Behausung, indem wir die vier Polizisten mit uns zum Regiment nahmen, welches wir endlich nach manchen Irrwegen noch auf seinem Platz trafen.

Als der Oberst von unserer Rückkehr hörte, kam er sogleich, um uns seine Unzufriedenheit über unser langes Ausbleiben auszusprechen und Rechenschaft von uns zu fordern, wo wir uns seit gestern abend 7 Uhr herumgetrieben hätten. Nachdem er aber unsere Gefangenen sowie unseren Verwundeten gesehen, und von den Gefahren gehört hatte, denen wir ausgesetzt gewesen waren, gab er sich zufrieden und freute sich, daß wir wieder da wären, denn er hatte große Unruhe um uns ausgestanden.

Der Platz sah jetzt aus, als ob alle Völker der Erde sich auf ihm versammelt hätten, denn viele unserer Leute hatten sich als Kalmücken, Chinesen, Tartaren, Perser und Türken ausstaffiert, und anderes kostbares Pelzwerk und sogar französische Hofbekleidung mit glänzenden Stahldegen angelegt. Alle aber ließen es sich wohl sein an den Getränken und Leckerbissen aller Art, die in Menge auf dem Platz zusammengetragen waren.

An diesem Tage, den 15., 9 Uhr morgens, verließ das Regiment den Platz, um sich in die Nähe des Kremls zu begeben, in dem der Kaiser sein Quartier aufgeschlagen hatte. Ich verblieb mit 15 Mann einstweilen im Gouvernementsgebäude auf Wache.

Um 5 Uhr kam unsere Kompanie als Pikett auf den Platz wieder zurück, der andere Teil des Regiments war beschäftigt, das Feuer zu beschränken, welches in der Umgegend des Kremls wütete.

Bald nach Rückkehr der Kompanie hatte der Kapitän Patrouillen in verschiedene Stadtteile ausgeschickt. Dieselben brachten am Abend und während der Nacht zwei russische Offiziere und mehrere Soldaten ein, die durch das Feuer aus den Häusern vertrieben worden waren, in denen sie sich versteckt hatten. Der eine der Offiziere, welcher zur Armee gehörte, ließ sich ruhig seinen Degen abnehmen, und bat nur, ihm eine goldene Medaille, die an seiner Brust hing, zu belassen. Der andere, ein junger Mensch, welcher außer einem großen Säbel noch einen Gürtel mit Patronen trug, wollte sich nicht entwaffnen lassen, weil er, wie er uns in sehr gutem Französisch auseinandersetzte, der Miliz angehöre. Dieser Umstand imponierte uns zwar sehr, indessen blieb uns doch nichts übrig, als ihm die Notwendigkeit unserer Forderung begreiflich zu machen.

Um Mitternacht brach das Feuer von neuem in der nächsten Umgebung des Kremls aus. Noch einmal gelang es, seiner Herr zu werden. Am 16. um 3 Uhr morgens aber wiederholte sich der Ausbruch von Anfang an in so umfassender Weise, daß jede Anstrengung zur Dämpfung erfolglos blieb.

In dieser Nacht wandelte mich und zwei Freunde, Unteroffiziere wie ich, die Lust an, uns den Kreml, von dem soviel die Rede war, anzusehen. Wir machten uns also auf den Weg. Für diesen selbst bedurften wir ja keiner besonderen Beleuchtung, da wir aber auch den Wohnungen und Kellern der vornehmen Moskowiter einen Besuch abzustatten gedachten, nahmen wir jeder einen Mann der Kompanie mit, den wir mit aufgefundenen Kerzen versahen.

Trotzdem meine Kameraden den Weg zum Kreml schon zweimal gemacht hatten, verirrten wir uns doch bald, denn das fortwährende Zusammenstürzen der Häuser gab den Straßen ein ganz verändertes Aussehen. Nachdem wir ohne bestimmte Richtung, je nachdem es das Feuer erlaubte, umhergezogen waren, trafen wir auf einen Juden, der sich beim Anblick seiner brennenden Synagoge, deren Rabbiner er war, Haar und Bart raufte. In deutscher Sprache klagte er uns, daß er und seine Glaubensgenossen all ihr Eigentum von Wert zur Sicherheit in den Tempel gebracht hätten, und daß nun alles verloren wäre. Wir bemühten uns, ihn zu trösten, nahmen ihn am Arm, und befahlen ihm, uns nach dem Kreml zu führen.

Noch heute muß ich lachen, wenn ich daran denke, wie der Jude mitten in all seinem Kummer und Herzeleid uns plötzlich fragte, ob wir nichts zu verschachern oder zu vertauschen hätten. Es mag wohl die Macht der Gewohnheit gewesen sein, die ihn diese Anfrage stellen ließ, denn im Augenblick war wahrhaftig kein Geschäft zu machen.

Nachdem wir durch mehrere Stadtviertel gekommen waren, welche größtenteils brannten, und auch manche schöne Straßen bemerkt hatten, die noch verschont geblieben waren, erreichten wir nicht weit von der Moskwa einen kleinen, etwas hochgelegenen Platz, von welchem aus uns der Jude die Türme des Kreml zeigte, die man bei dem Schein der Flammen so deutlich wie am hellen Tage erkannte. Wir hielten uns hier etwas auf, um einen Keller zu besuchen, den eben einige Gardereiter verließen. Wir nahmen uns von hier Wein, Zucker und viel eingemachte Früchte mit, was alles wir dem Juden aufpackten.

Es war Tag geworden, als wir bei der ersten Umwallung des Kremls ankamen. Wir gingen durch ein großes Tor von grauem Gestein, welches zu Ehren des heiligen Nikolaus mit einem kleinen Glockenturm gekrönt ist. Dieser große Heilige steht in reicher Kleidung und in mehr als sechs Fuß Höhe in einer Nische des Torwegs. Jeder vorübergehende Russe, selbst jeder Sträfling und Verbrecher erweist ihm göttliche Verehrung; er ist der Schutzheilige Rußlands.

Jenseits des ersten Walles bogen wir nach rechts ein, nachdem wir unter mancherlei Schwierigkeiten eine Straße entlanggezogen waren, auf welcher in mehreren Häusern, die von Marketenderinnen der Garde bewohnt wurden, Feuer ausgebrochen war, und gelangten an eine hohe Mauer, welche in bestimmten Zwischenräumen dicke Türme überragten, deren Spitzen vergoldete Adler trugen.

Nachdem wir wiederum ein mächtiges Tor passiert hatten, befanden wir uns dem Residenzschloß gegenüber, in welches der Kaiser am Tage vorher eingezogen war. Die Nacht vom 14. zum 15. hatte er in einer Vorstadt zugebracht.

Wir fanden hier Kameraden vom 1. Chasseurregiment, die auf Pikett lagen, und uns aufforderten, an ihrem Frühstück teilzunehmen. Wir aßen frisches Fleisch, was wir lange nicht genossen hatten, und tranken vorzüglichen Wein. Unser Begleiter, der Jude, mußte trotz seines Widerstrebens Schinken kosten. Sein Widerstand aber wurde hauptsächlich wohl durch den Anblick von Silberbarren gebrochen, welche die Chasseure ihm zu verhandeln versprachen, wenn er Schinken äße. Die Barren stammten aus der Münze und hatten die Größe und Form eines Mauersteins. Man hatte viele davon gefunden.

Kurz vor Mittag schwelgten wir noch mit unseren Freunden, den Rücken gegen die Riesengeschütze gelehnt, die zu beiden Seiten des Tores des Arsenals stehen, welches dem Schloß gegenüberliegt, als der Ruf: „An die Gewehre!“ erschallte. Das Feuer war in den Kreml gedrungen. Wenige Minuten später fielen schon brennende Holzstücke in den Hof, wo sich alle Munitionswagen der Gardeartillerie befanden. Ganz in der Nähe derselben lag eine Menge Werg, welches die Russen zurückgelassen hatten, und das zum Teil schon brannte. Die Furcht vor einer Explosion verursachte einige Unordnung, besonders durch die Anwesenheit des Kaisers, den man gewissermaßen mit Gewalt zwingen mußte, den Kreml zu verlassen.

Während dieses Wirrwarrs entfernten wir uns, um zum Regiment zurückzukehren. Wir hatten dem Juden begreiflich gemacht, wo sich dasselbe befand, und er ließ uns eine Richtung einschlagen, die unseren Weg abkürzen sollte. Doch es war unmöglich, vorwärtszugelangen, überall trieben die Flammen uns zurück. Wir mußten warten, bis ein Durchlaß frei wurde, denn augenblicklich schien der Kreml völlig von einem Feuerring umschlossen, und der sehr heftige Wind schleuderte uns brennendes Holz zwischen die Beine. Ein Kellerraum, der schon von Menschen überfüllt war, gewährte auch uns Schutz. Als wir denselben nach längerem Verweilen wieder verließen, trafen wir auf Regimenter der Garde, welche nach dem Schlosse Peterskoi, dem für den Kaiser gewählten Zufluchtsort abrückten. Nur ein einziges Bataillon blieb im Kreml zum Schutz des Palais zurück, in welches der Kaiser am 18. wieder einzog.

Wind und Feuer rasten weiter, wir konnten aber nunmehr den für den Kaiser freigelegten Durchweg benutzen. Er führte uns an das Ufer der Moskwa, welches wir zunächst verfolgten. Alsdann wendeten wir uns Straßen zu, die vom Feuer noch weniger ergriffen waren, oder solchen, deren Häuser schon gänzlich zusammengefallen waren.

Aus einer dieser letzteren kamen wir in ein völlig eingeäschertes Stadtviertel, wo unser Jude mit vieler Mühe eine Straße zu erkennen suchte, die uns nach dem Gouvernementsplatz führen sollte.

In der Richtung, die wir jetzt eingeschlagen hatten, lag uns der Kreml zur Linken. Der Wind trieb uns die heiße Asche in die Augen, und der fast glühende Schutt, über den wir größtenteils gehen mußten, verbrannte uns die Sohlen.

Wir hatten schon eine große Strecke zurückgelegt, als wir plötzlich eine ganz offene Stelle sahen. Es war das Judenviertel, dessen kleine, ganz aus Holz erbaute Häuser vom Feuer bis auf den Grund verheert waren. Bei diesem Anblick stieß unser Führer einen Schrei aus und stürzte bewußtlos nieder. Wir befreiten ihn sogleich von der Last, die er trug, flößten ihm etwas Branntwein ein, und gossen ihm davon auch ins Gesicht. Darauf schlug er die Augen auf, und gab uns auf unsere Fragen zu verstehen, daß sein Haus ein Raub der Flammen geworden, und in diesen wahrscheinlich seine Familie umgekommen wäre. Als er dies sagte, fiel er in eine neue Ohnmacht, so daß wir uns entschließen mußten, ihn liegenzulassen, obwohl wir das sehr ungern taten, denn wir wußten nicht, was inmitten eines solchen Labyrinthes ohne Führer mit uns werden sollte. Indessen aufhalten konnten wir uns nicht länger, und so beluden wir einen unserer Leute mit den Sachen, die der Jude getragen hatte, und setzten unseren Weg fort. Bald aber waren wir gezwungen, denselben zu unterbrechen.

Bis zur nächsten Straße hatten wir mindestens noch 100 Schritt. Auf dieser Strecke aber flog die glühende Asche so dick, daß wir fürchten mußten zu erblinden, wenn wir uns hineinwagten. Im Überlegen, was wir tun sollten, schlug der eine meiner Freunde vor, so schnell als möglich hindurchzurennen; ich aber riet dazu, lieber noch zu warten, und die anderen stimmten mir bei. Unmittelbar hierauf stürmt jedoch der, welcher den Vorschlag gemacht hatte, mit dem Rufe davon: „Wer keine Memme ist, folge mir!“ und alle anderen rennen sofort hinter ihm drein, nur ich und der Soldat, welcher unsere Beute trägt, bleiben zurück. Letztere bestand noch aus drei Flaschen Wein, fünf Flaschen Likör und eingelegten Früchten.

Kaum hatten die Davongelaufenen 30 Schritte gemacht, als sie unseren Augen in einem Wirbel heißer Asche entschwanden. Der vordere war längelang hingeschlagen; er sah nichts mehr und schrie und fluchte wie ein Teufel. Die anderen hoben ihn auf und mußten ihn führen, konnten aber bald nicht mehr vor- und rückwärts. Es verging über eine Stunde, ehe wir uns wieder vereinigten. Während dieser Zeit versuchte der fast Erblindete, sich die Augen mit Speichel auszuwischen, unzweifelhaft würde er aber dazu von unserem Wein genommen haben, wenn er ihn bei sich gehabt hätte. Da auf diese Weise jedenfalls eine Flasche verloren gewesen wäre, so leerte ich diese auf der Stelle mit dem mir treu gebliebenen Kumpanen.

Als wir endlich wieder zusammen waren, erkannten wir die Unmöglichkeit, hier unseren Weg fortsetzen zu können. Schon beschlossen wir deshalb, umzukehren, da kam uns der Gedanke, jeder sollte eine der herumliegenden Zinkplatten nehmen, um den Kopf gegen Wind, Flammen und Asche zu decken. Das geschah; wir gaben ihnen eine kleine Rundung, hielten sie mit den Händen fest, und fanden so den erwünschten Schutz.

Dicht hintereinander herschreitend gelangten wir nunmehr über die schwierige Strecke hinweg und in eine neue Straße, wo viele jüdische und einige chinesische Familien auf der Erde kauerten, und ihre geringen Habseligkeiten bewachten, die sie gerettet oder auch vielleicht gestohlen hatten. Wir machten einem Juden begreiflich, daß er uns nach dem Gouvernementsplatz führen sollte; trotz seines Geleits erreichten wir aber, infolge der vielen Umwege, zu denen wir gezwungen wurden, und verschiedener anderer Schwierigkeiten halber, erst um 11 Uhr nachts den Ort, den wir etwa vor 24 Stunden verlassen hatten. Ich legte mich sofort auf schöne Pelze, die unsere Leute in Menge zusammengeschleppt hatten, und schlief bis 7 Uhr morgens.

Die Kompanie war noch immer nicht von ihrem Posten abgelöst worden, da alle Regimenter, über welche der Gouverneur der Stadt, Marschall Mortier, verfügte, seit 36 Stunden beschäftigt waren, das Feuer zu bekämpfen, welches immer, wenn es auf einer Stelle gelöscht war, auf einer anderen wieder ausbrach. Zwar gelang es, viel mehr Häuser zu retten, als wir zur Unterkunft bedurften, aber die Anstrengungen, welche das erforderte, waren groß, denn Rostoptschin hatte mit schlauem Vorbedacht alle Spritzen beiseite geschafft; jedenfalls waren die, welche er hatte stehen lassen, gänzlich unbrauchbar.

Am 16. wurde befohlen, alle auf der Tat ertappten Brandstifter zu erschießen. Dieser Befehl kam auch alsbald zur Ausführung. Ein in der Nähe des Gouvernementsplatzes gelegener kleiner Platz, auf dem mehrere Brandstifter erschossen und dann an Bäume gehängt wurden, hieß bei uns von da ab „der Platz der Gehängten.“

Gleich beim Einzug in Moskau hatte der Kaiser dem Marschall Mortier aufgegeben, alles Plündern strengstens zu untersagen. Das war auch geschehen, als aber bekannt wurde, daß die Russen die Stadt in Brand steckten, waren die Mannschaften nicht mehr zu halten. Jeder nahm sich was er bedurfte und auch mehr.

In der Nacht des 17. schickte mich der Hauptmann mit zehn Leuten aus, um nach Lebensmitteln zu suchen. 20 Mann sandte er nach einer anderen Seite. Er befahl uns, bei dem Geschäft die strengste Ordnung zu halten. Das Plündern war jetzt sozusagen stillschweigend erlaubt. Die Truppen nannten es: auf den Jahrmarkt gehen.

Zuerst zogen wir durch eine von unserem Platz ausgehende Straße, in der es zwar schon zweimal gebrannt hatte, deren Erhaltung aber doch gelungen war, und auf welcher viele höhere Offiziere und Beamte der Armee wohnten. Durch andere, völlig zerstörte Straßen kamen wir dann in einen Stadtteil, der vom Feuer noch gar nicht berührt worden war. Die tiefste Stille herrschte; man sah nichts als einige unbespannte Wagen. Wir durchstöberten dieselben, es fand sich aber nichts darin vor. Kaum hatten wir sie verlassen, als ein durchdringender Pfiff hinter uns erschallte und zweimal in verschiedenen Richtungen beantwortet wurde. Nachdem wir eine Weile gestanden und gelauscht, aber nichts mehr vernommen hatten, beschlossen wir, zwei Häuser zu durchsuchen, die so aussahen, als könnten sie nützliche Dinge bergen. Ich, mit fünf Mann, wollte das eine, ein Korporal mit den anderen fünf Mann sollte das zweite nehmen. Wir zündeten unsere Laternen an und zogen die Säbel.

Das, in welches ich hineinwollte, war verschlossen, und die Tür mit großen Eisenplatten beschlagen. Es war dies ärgerlich, denn wir wollten jeden Lärm vermeiden. Indessen bemerkten wir eine offene Tür, die in einen Keller führte. Zwei Leute stiegen hinab und entdeckten eine kleine Treppe, auf welcher sie durch eine Falltür in den Hausflur gelangten. Dadurch konnten sie uns das Haus von innen öffnen. Wir traten ein und sahen, daß wir uns in einem Spezereiwarenladen befanden. Überall herrschte die größte Ordnung, nur ein Zimmer machte den Eindruck, als ob es in größter Eile verlassen worden wäre. Es stand noch gebratenes Fleisch auf dem Tisch und mehrere Säcke mit Geld lagen auf einem Koffer.

Nachdem wir das ganze Haus durchsucht hatten, begannen wir uns mit Lebensmitteln zu versehen, denn es gab hier Mehl, Butter, Zucker, Kaffee in Menge und auch ein großes Faß voll Eiern, schichtenweise in Haferstroh verpackt. Während wir unsere Auswahl trafen, ließ mir der Korporal sagen, daß in dem Hause, wo er wäre, sich einige 30 kleine Wagen befänden, und in einem Zimmer 17 schwerverwundete Russen lägen, denen er Wasser zutragen lasse.

Ich begab mich sofort in das Haus, und wählte zwei leichte kleine Wagen zum Transport unserer Lebensmittel. Darauf besuchte ich auch die Verwundeten, und fand unter ihnen fünf Kanoniere der Garde mit zerschmetterten Beinen, im übrigen aber meist Asiaten.

Als ich mit meinem Wagen das Haus verließ, bemerkten wir drei Männer, von denen einer einen langen Spieß, ein anderer einen Säbel und der dritte eine brennende Fackel trug, und die eben daran waren, das Haus anzuzünden, in welchem meine Leute ahnungslos die ausgewählten Vorräte einpackten.

Wir schrien, um die drei Schurken zu erschrecken; zu unserer Überraschung rührten sich aber diese fanatisierten Menschen nicht von der Stelle, und der mit dem Spieß legte denselben, unseren Angriff erwartend, gegen uns aus. Mit unseren kurzen Säbeln dieser langen Waffe gegenüber vermochten wir aber dem Burschen nicht an den Leib zu kommen. Wir hätten ihn nun einfach über den Haufen schießen können, denn der Korporal hatte inzwischen zwei geladene Pistolen gebracht, die er bei den Verwundeten gefunden hatte, indessen nahm ich von dem Gebrauch der Schußwaffe Abstand, da ich befürchtete, daß der Knall uns am Ende noch mehr von dem Gesindel auf den Hals ziehen könnte.

Ein unter uns befindlicher Bretone bewaffnete sich nunmehr mit der Deichsel eines der kleinen Wagen, und diese in radförmiger Bewegung durch die Luft wirbelnd, schritt er gegen den Kerl vor. Nach wenigen Augenblicken brach derselbe mit einem furchtbaren Schrei zusammen, nachdem er sich vergeblich bemüht hatte, der ihm ganz fremdartigen Kampfesweise zu begegnen. Beide Beine waren ihm zerschmettert, und fast gleichzeitig durch die nochmals durch die Luft sausende Deichsel auch der Kopf. Eine Kanonenkugel hätte nicht schneller wirken können. Der erboste Bretone wollte dasselbe Manöver an den anderen beiden Russen wiederholen, wir taten ihm aber Einhalt. Der eine mit der Fackel floh in das Haus des Spezereiwarenhändlers, wohin ihm zwei der Unsrigen folgten. Er kam nicht wieder heraus. Der dritte ließ sich ohne Widerstand gefangennehmen, und wurde sogleich mit einem anderen Kerl, den wir inzwischen auf der Straße aufgegriffen hatten, vor den am schwersten beladenen Wagen gespannt. Dieser enthielt außer dem größten Teil der Ladenbeute auch unser kostbares Faß mit den Eiern. Um einem Durchgehen des Gespanns vorzubeugen, verbanden wir dasselbe in weiser Vorsicht durch einen festen, doppelt um den Leib geschlungenen Strick mit der Deichsel. Für den zweiten Wagen hofften wir auch noch ein paar Brandstifter zu bekommen, vorderhand aber mußten ihn vier von meinen Leuten ziehen.

Eben im Begriff, abzufahren, bemerkten wir, daß das Haus, in welchem die russischen Verwundeten lagen, zu brennen anfing. Der Gedanke, die Unglücklichen in den Flammen umkommen zu lassen, war uns gräßlich. Wir eilten zu ihrer Hilfe, nachdem ich drei Mann zur Bewachung der Wagen bestimmt hatte, und trugen sie in eine vom Hause getrennt liegende Remise. Mehr ließ sich nicht tun, denn wir mußten eilen, wenn wir uns nicht selbst und die Wagen gefährden wollten, da sich auch schon Rauch und Flammen an mehreren Stellen zeigten, die in der Richtung des Weges lagen, den wir einschlagen mußten.

Kaum hatten wir jedoch 25 Schritte gemacht, als ein furchtbares Geschrei der Verwundeten uns veranlaßte, noch einmal Halt zu machen. Ich schickte den Korporal mit vier Mann hin. Die Flammen hatten das Stroh erfaßt, welches in Massen auf dem Hofe herumlag, und die Remise war dadurch bedroht. Der Korporal tat, was in seinen Kräften stand, die armen Menschen zu schützen, und kam dann wieder zu uns zurück, wahrscheinlich sind sie aber doch noch verbrannt.