Erwachen der Dunkelheit - Lara Adrian - E-Book

Erwachen der Dunkelheit E-Book

Lara Adrian

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Beschreibung

Heiß, gefährlich, unwiderstehlich!

Einst war Trygg einer der Jäger, ein Werkzeug in den Händen eines Wahnsinnigen, nun dient er mit eiserner Disziplin dem Orden der Vampire. Er ist ein Einzelgänger, der nur darauf aus ist, seine Pflicht zu erfüllen. Als er einen Feind des Ordens zur Strecke bringen soll, trifft er auf die schöne Atlantidin Tamisia, die eine Leidenschaft in ihm weckt, der die Kälte seines Herzens nichts entgegenstellen kann.

"Action, Spannung, fantastisches Worldbuilding, doch das Herz von Lara Adrians Büchern ist immer eine epische Liebesgeschichte." Under the Covers

Novella zur Midnight-Breed-Serie von Spiegel-Bestseller-Autorin Lara Adrian



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Seitenzahl: 174

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Inhalt

InhaltTitelZu diesem Buch1234567891011121314EpilogDie AutorinDie Romane von Lara Adrian bei LYXImpressum

LARA ADRIAN

Erwachen der Dunkelheit

Roman

Ins Deutsche übertragen von Firouzeh Akhavan-Zandjani

Zu diesem Buch

Einst war Trygg einer der Jäger, ein Werkzeug in den Händen eines Wahnsinnigen, nun dient er mit eiserner Disziplin dem Orden der Vampire. Er ist ein Einzelgänger, der nur darauf aus ist, seine Pflicht zu erfüllen. Als er einen Feind des Ordens zur Strecke bringen soll, trifft er auf die schöne Atlantidin Tamisia, die eine Leidenschaft in ihm weckt, der die Kälte seines Herzens nichts entgegensetzen kann.

1

Tamisia beugte sich über die Wiege und betrachtete das kleine Bündel unter der rosafarbenen Decke. So kostbar und unschuldig. So sterblich und zart. Sia hatte menschlichem Leben in all den Jahrhunderten, die sie schon existierte, nie mehr als einen flüchtigen Gedanken gewidmet. Doch jetzt gab es für sie nichts Wichtigeres als den Schutz dieser und der anderen sterblichen Seelen, für die sie im Frauenhaus in Rom verantwortlich war.

Sie streckte die Hand aus und berührte mit der Fingerspitze den lockigen Flaum auf dem Köpfchen des Säuglings. Sia lächelte. Angelina hieß das Baby, und mit dem seidigen Haar, den rosigen Pausbäckchen und dem niedlichen, engelhaften Mündchen war es tatsächlich das Abbild eines wahren Engels. Seit einem Monat hatte sie jeden einzelnen Tag Wesen wie diese zerbrechliche Unschuld um sich gehabt und es als Geschenk empfunden … eine Mahnung sozusagen, dass es auch dann noch einen Funken Hoffnung gab, wenn die Lage völlig trostlos schien. Es gab einen Grund, einen tieferen Sinn, jeden Morgen aufzustehen und die Sonne zu begrüßen. Sia hatte nicht erwartet, je wieder etwas so Erfüllendes zu finden, und schon gar nicht bei Menschen.

An manchen Tagen – und sei es auch nur für einen Moment oder zwei – konnte sie fast die Umstände vergessen, die sie überhaupt hierhin verschlagen hatten.

Fast.

Es war gerade mal sechs Wochen her, dass sie in Ungnade gefallen war und man sie aus der Kolonie der Atlantiden verbannt hatte, die lange ihr Zuhause gewesen war. Für einen Abkömmling ihrer Art war so eine Zeitspanne nicht mehr als ein Wimpernschlag. Der Schmerz war noch ganz frisch … genau wie ihre Scham.

Etwas Sinnvolles, etwas Wertvolles zu tun, half ein wenig über all das hinweg.

Das Gefühl, nützlich zu sein, bewahrte sie davor, verrückt zu werden, nachdem ihr alles, was sie einst ausgemacht hatte, entrissen worden war. Und daran trug nur sie allein die Schuld.

Elyons zu gut aussehendes Gesicht ging ihr kurz durch den Sinn, sogleich gefolgt von einer anderen, grausamen Erinnerung, bei der sich ihre Kehle vor Übelkeit zusammenzog. So lange sie lebte, würde sie den Mord an ihrem Freund und Gefährten im Atlantidischen Rat, Nethilos, nicht vergessen können. Genauso wenig würde sie sich jemals ihre Dummheit vergeben, dass sie dem Falschen ihr Vertrauen geschenkt hatte.

Ehe der Druck aus Kummer und Bedauern zu groß wurde, schob sie alle Gedanken an die Kolonie und die Freunde, die sie nie wiedersehen würde, beiseite. Sia kannte eigentlich keine emotionale Schwäche, geschweige denn, dass sie ihr je nachgegeben hätte. Und sie wollte verflucht sein, wenn sie jetzt damit anfing.

Ihr neues Leben war hier – in dieser übervölkerten, häufig grausamen Stadt, in dieser ihr fremden Welt der Sterblichen.

Sicherlich war das als ihre Buße anzusehen, doch Kinder wie die süße Angelina in der Sicherheit und Geborgenheit ihrer Obhut zu haben, nahm ihrer Melancholie etwas von ihrer Schärfe. Die Arbeit, die sie hier tat, war wichtig. Und das war genug, sagte Sia sich.

Da wenig Hoffnung bestand, dass sie jemals in die Kolonie würde zurückkehren können, würde dieses neue Leben genügen müssen.

Sia nahm die Hand von der Wiege des Babys und ließ den Blick durch den abgedunkelten Raum zu dem schmalen Bett schweifen, in dem die zwanzig Jahre alte Mutter des Kindes schlief. Die beiden waren vor zwei Tagen verängstigt und allein in die Unterkunft gekommen. Glücklicherweise wies Rosa keine der Prellungen oder Brüche auf, die bei den verzweifelten Ankömmlingen im Frauenhaus nur allzu häufig waren. Doch die schiere Angst im Blick der jungen Frau war nicht zu übersehen gewesen, als sie für sich und ihr Baby um eine sichere Unterkunft gebeten hatte. Sie war ein schüchternes Ding, das kaum jemandem in die Augen sah, geschweige denn Auskunft über seine elenden Lebensumstände gab oder über das abscheuliche Subjekt, das sie hier hatte Zuflucht suchen lassen.

Denn Vertrauen war, wenn erst einmal verloren, nicht so leicht wiederaufzubauen.

Das wusste Sia selbst nur allzu gut.

Sie seufzte leicht, verließ den Raum und schloss die Tür leise hinter sich. Die anderen Schutzbefohlenen der Unterkunft schliefen ebenfalls oder bereiteten sich darauf vor, zu Bett zu gehen, während Sia einen Korb mit Handtüchern und Decken nahm, die gewaschen werden mussten, und ihn nach unten trug, wobei ihr langer, blonder Zopf bei jedem Schritt hinten gegen ihre Oberschenkel schlug.

Als sie auf dem Weg in den Waschraum durch die Küche kam, schaute ihre einzige Kollegin und Gründerin der privat geführten Zuflucht von einem Stapel Papiere auf, die vor ihr auf dem Tisch lagen.

»Das brauchst du nicht zu machen, Tamisia.« Phaedra zog die haselnussbraunen Brauen über den blassgoldenen Augen zusammen. »Bitte, lass mich dir das abnehmen.«

Als sich die schöne braunhaarige Frau erhob, um zu helfen, schüttelte Sia den Kopf. »Schon gut. Ich tu das gern. Mach ruhig mit dem weiter, womit du gerade beschäftigt bist.« Ihr entging nicht das leichte Nicken von Phaedra, mit dem sie sich stillschweigend fügte. Es war eine automatische Reaktion, die zu unterdrücken Phaedra immer noch lernen musste, vor allem im Beisein von anderen. Keiner sonst im Frauenhaus wusste, wo Sia eigentlich herkam, oder ahnte auch nur, wie tief sie als eines der gepriesenen Oberhäupter ihres Volkes aus erlauchten Höhen gestürzt war.

Doch Phaedra wusste darum, weil sie genau wie Sia atlantidischer Herkunft war und eine der wenigen, die unter Menschen lebten statt unter ihresgleichen. Allerdings war Phaedra im Gegensatz zu Sia nicht zu einem Leben außerhalb des Reiches gezwungen worden. Sie hatte sich vor Jahrzehnten in Rom in einen Sterblichen verliebt und beschlossen, selbst nachdem der Tod ihn ihr genommen hatte, in seiner Welt zu bleiben.

Und im Gegensatz zu Sia hatte man Phaedra auch nicht verbannt. Sie konnte also – wenn ihr der Sinn danach stand – nach Hause zurückkehren. Dafür brauchte sie sich nur auf den kleinen, silbrigen Kristall, der an einem Lederband befestigt um ihr Handgelenk lag, zu konzentrieren, um an den Ort zurückgebracht zu werden, wo sie herkam. Es war in der Tat so, dass sich ein Atlantid mithilfe des Kristalls an jeden Ort versetzen konnte, zu dem er wollte. Dafür musste er sich nur konzentrieren und auf den Ort besinnen, an den er wollte.

Sia ertappte sich dabei, wie sie mit einem Gefühl schmerzlicher Sehnsucht auf das Handgelenk ihrer Freundin starrte. Selbst wenn die anderen Ratsmitglieder ihr in der Kolonie ihren Kristall nicht abgenommen hätten, gab es wahrscheinlich nichts, womit sie sich hätte reinwaschen und die anderen davon überzeugen können, ihr die Rückkehr zu erlauben.

Phaedra schenkte ihr ein sanftes, wehmütiges Lächeln, denn sie wusste um Sias Verlust. Dann legte sie die Hände in den Schoß, um die allzu sichtbare Erinnerung daran zu verstecken. »Es war ein langer Tag. Ich habe mir überlegt, ihn mit einem Becher heißen Kakaos und ein paar Cantuccini mit Zimt zu beschließen, die Louisa heute Morgen gebacken hat. Magst du dich mir vielleicht anschließen, nachdem du die Sachen da in die Wäsche getan hast?«

Sia nickte. »Das würde ich sehr gern.«

»Wunderbar. Ich werde schon mal die Milch warm machen.«

Der heutige Tag in der Unterkunft war hektisch gewesen, aber es war auch ein guter, ja großartiger Tag gewesen. Sie hatten drei neue Familien in der Zuflucht aufgenommen, sieben Köpfen ein Dach über dem Kopf gegeben und hungrige Mäuler mit gutem, warmem Essen gefüllt. Dass alle Neuzugänge reibungslos vonstattengegangen waren und kein gewalttätiger Idiot an die Tür gedonnert hatte, um »seine Frau« zu sehen, während die Neuankömmlinge einzogen, war wohl fast als ein Rekord anzusehen.

Jetzt, kurz nach Mitternacht, war es herrlich still im Haus. Es waren keine schreienden Babys zu hören und auch kein unterdrücktes Weinen von einer der neu dazugekommenen Frauen. Sia schwelgte in der wohltuenden Stille, während sie ihre Arbeit im Waschraum beendete und in die Küche zurückkehrte.

Ein Teller mit knusprigen Cantuccini stand bereits auf dem Küchentisch, während Phaedra zwei Becher mit dampfend heißem Kakao vom Herd herübertrug. »Ich kann dir gar nicht genug dafür danken, dass du dich bereit erklärt hast, mir hier in der Unterkunft zu helfen, Tamisia. Ich weiß gar nicht, wie ich es die letzten paar Wochen ohne dich hätte schaffen sollen.«

»Ich bin diejenige, die dir zu danken hat.« Sia nahm ihrer Freundin einen der Becher ab und pustete vorsichtig den Dampf weg. »Ich wäre längst verrückt geworden, wenn ich nichts zu tun gehabt und keinen behaglichen Unterschlupf gefunden hätte.«

»Behaglich?« Phaedra lachte leise. »Jetzt versuchst du aber eindeutig, höflich zu sein. Im Haus ist es eigentlich nie richtig ruhig, und diese winzige Kammer auf dem Dachboden, in der du schläfst, ist kaum das, woran du sonst gewöhnt warst.« Sie verzog kurz das Gesicht, als sie ihr den Teller mit den Cantuccini hinschob. »Oder war dein kurzer Aufenthalt bei den Stammesvampiren des Ordens so schlimm, dass du dieses Haus als eine Verbesserung empfindest?«

Sia schnaubte leise, als Phaedra sie daran erinnerte, wie sie nach Rom gekommen war. Im Rahmen ihrer Verbannung war sie in die Obhut der Stammesvampire gegeben worden – Wesen, die sich von Blut ernährten und lange die schlimmsten und gefährlichsten Feinde ihres Volkes gewesen waren. Jetzt herrschte ein fragiler Waffenstillstand zwischen dem Orden und der Kolonie, um sich gegen einen noch viel größeren Gegner zu verbünden.

Sia war sich nicht sicher, ob die Zusammenarbeit jemals klappen, geschweige denn andauern würde. Atlantiden und Stammesvampire waren einfach zu unterschiedlich, ja völlig gegensätzlich. Erstere gediehen bei Licht und schätzten Frieden, während Stammesvampire im Dunkel herrschten und sich von Blut ernährten, Gewalt also Teil ihres Wesens war.

»Zwei Wochen unter diesen Barbaren waren mehr als genug.« Sia tunkte eine Ecke ihres Cantuccini in den Kakao. »Im Gegensatz dazu wäre alles eine Verbesserung.«

Aber um der Wahrheit Genüge zu tun, musste sie zugeben, dass nicht alle Stammesvampire Barbaren waren. In der Kommandozentrale in Rom hatte man sie wirklich freundlich aufgenommen. Besonders der Leiter der Gruppe, Lazaro Archer, und seine Stammesgefährtin, Melena, waren sehr nett zu ihr gewesen. Die meisten der anderen Krieger und ihre Gefährtinnen hatten sich ihr gegenüber liebenswürdig und gleichzeitig ein bisschen neugierig in Bezug auf die in Ungnade gefallene Atlantidin gezeigt, die so plötzlich und unerwartet als Gast auf ihrer Schwelle gestanden hatte.

Nur ein Krieger, ein mürrischer, bedrohlich wirkender Koloss namens Trygg, hatte sie angesehen, als wäre sie eine Feindin. Die ganze Zeit, die sie in der Kommandozentrale verbracht hatte, war kaum ein Wort über seine Lippen gekommen. Sie war aber auch nicht sonderlich scharf darauf gewesen, etwas aus seinem Munde zu vernehmen, denn ein paar der anderen Krieger hatten ihr verraten, dass Trygg, ehe er sich dem Orden angeschlossen hatte, viele Jahre ein Berufskiller gewesen war. Allerdings war dies nicht seine Entscheidung gewesen, sondern hatte im Rahmen eines abscheulichen Ausbildungsprogramms stattgefunden, das von einem Wahnsinnigen namens Dragos initiiert worden war.

Nichtsdestotrotz sah Trygg definitiv wie ein Killer aus. Sia war jetzt seit einem Monat aus der Kommandozentrale raus, und trotzdem erfasste sie jedes Mal ein großes Unbehagen, wenn sie nur an sein kantiges, zernarbtes Gesicht, den rasierten Schädel und den kalten, missbilligenden Blick dachte.

Ja, alles stellte eine Verbesserung dar, solange sie nicht eine weitere Minute mit ihm unter demselben Dach verbringen musste.

Phaedra nahm einen Schluck von ihrer Schokolade und lächelte, als sie den Becher abstellte. »Nun, ich bin sehr dankbar, dass du hier bist, Tamisia. Du gehst so wundervoll mit den Kindern um, vor allem mit Angelina. Ich glaube, ihre Mutter mag dich auch.«

»Wirklich?« Sia konnte ihre Überraschung nicht verbergen. »Wie kommst du darauf? Rosa ist doch immer so zurückhaltend und ruhig.«

Verschlossen lag ihr auf der Zunge, doch sie hielt die Bemerkung zurück.

»Rosa ist schüchtern«, stimmte Phaedra ihr zu, »aber das wird sich mit der Zeit schon geben. Wir wissen nicht, was sie durchgemacht hat.«

»Dir hat sie sich auch nicht anvertraut?«

Phaedra schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Aber ich habe heute beobachtet, dass sie sich mit einer anderen Mutter unterhalten hat, deshalb bin ich eigentlich zuversichtlich, dass sie irgendwann ein bisschen aus ihrem Schneckenhaus herauskommt.«

Über ihnen ertönte plötzlich ein dumpfer Schlag. Es war eigentlich nichts Ungewöhnliches, wenn sich etwas im Haus rührte, aber etwas an dem Geräusch – und wie schnell es danach wieder still war – ließ Sia vor Schreck erstarren.

»Wahrscheinlich ist jemand aufgestanden, um ins Badezimmer zu gehen«, flüsterte Phaedra.

»Wahrscheinlich«, erwiderte Sia. Es gab eigentlich keinen Grund, etwas anderes zu denken, und doch ließ ihr feiner Instinkt alle Alarmglocken schrillen. Als sie in Phaedras Richtung sah, bemerkte sie den gleichen besorgten Ausdruck in den goldenen Augen. »Ich werde mal nachsehen.«

»Tamisia, alle Türen und Fenster sind abgesperrt und zusätzlich gesichert. Die Alarmanlage ist eingeschaltet. Hier kann keiner unbemerkt rein. Und wenn er es doch versucht, gehen überall Scheinwerfer an und ein halbes Dutzend Alarmmelder schrillen los.«

Trotzdem war jemand ins Haus eingedrungen.

Sia war sich da ganz sicher.

Und dann bestätigte ein heller Aufschrei von oben ihre Befürchtungen. Der Schrei deutete auf etwas hin, das schlimmer war als Schmerz. Die darauffolgende Stille währte noch nicht einmal einen kurzen Moment, denn sofort war das Weinen eines Babys zu hören.

»Oh nein.« Phaedra wurde leichenblass. »Das kommt aus Rosas und Angelinas Zimmer.«

Sia nickte mit düsterer Miene. Kein Wunder, dass die junge Mutter so ängstlich gewirkt hatte, als sie vor ein paar Tagen Unterschlupf bei ihnen gesucht hatte. Ihr Albtraum war weit entfernt davon, beendet zu sein. Angesichts der schrecklichen Geräusche von oben hatte der Mann, vor dem Rosa weggelaufen war, wohl entschieden, sie nicht so leicht davonkommen zu lassen.

Eisige Furcht erfasste sie und drang ihr bis tief ins Mark.

Mittlerweile erwachte das ganze Haus zum Leben und vibrierte förmlich vor Verwirrung und Angst.

Doch Sia hörte nur das schrille Greinen des unschuldigen kleinen Babys, das sie erst vor wenigen Minuten so friedlich schlafend zurückgelassen hatte.

Verflucht noch mal, nein!

Heiß kochende Wut ersetzte die Kälte, die sie eben noch erfasst hatte, und vor ihre Augen legte sich ein roter Schleier.

»Bleib hier, Phaedra, und ruf die Polizei.«

»Tamisia, was hast du vor?«

Sie wusste es nicht recht. Es war nicht genug Zeit, um irgendetwas zu überlegen. Sie wusste nur eins – sie musste handeln.

Ohne noch etwas zu sagen, rannte sie zur Treppe und blieb nur einmal lange genug stehen, um ihrer Freundin mit scharfer Stimme zu befehlen: »Die Polizei, Phaedra. Ruf auf der Stelle an.«

Sia war unsterblich und übermenschlich stark, aber sie war keine Kämpferin – das war sie nie gewesen –, sondern Politikerin, die sich immer auf atlantidische Leibwächter hatte verlassen können, die das Kämpfen auf ihr Geheiß hin für sie übernahmen. Aber das spielte jetzt alles keine Rolle, als sie die Treppe nach oben stürmte und an offenen Türen vorbeirannte, aus denen ihr die verängstigten Gesichter der anderen Bewohner der Unterkunft entgegensahen.

»Alle zurück in die Zimmer. Es kommt keiner raus, bis ich es sage.«

Keiner widersprach ihrem mit leiser Stimme hervorgestoßenen Befehl. Nach und nach zogen sich die eingeschüchterten Frauen und ein paar kleine Kinder zurück und schlossen ihre Türen.

Als Sia vor Rosas Zimmer stehen blieb, hörte sie durch die Tür gedämpft eine tiefe, männliche Stimme. »Es muss hier irgendwo sein. Such weiter! Santino sagte, es dürfe nichts mehr auf ihn hinweisen.«

Eine böse Vorahnung erfasste Sia. Das hörte sich nicht nach einem gewalttätigen Ex an, der Rosa etwas antun wollte. Da ging es um etwas anderes, aber genauso Gefährliches.

Sia holte aus und trat mit dem Fuß so fest gegen die Tür, dass sie aus den Angeln flog.

Sie hatte mit einem einzelnen Mann gerechnet, als sie nach oben gekommen war, doch im Zimmer waren gleich zwei. Einer hockte vor Rosas Schrank und durchwühlte hastig ihre wenigen Habseligkeiten. Der Inhalt der Kommode lag bereits auf dem Boden verstreut um ihn herum.

Der andere Eindringling – ein massiger Mann, der ganz in Schwarz gekleidet war – stand mit dem Rücken zu Sia neben Rosas Bett. Seine Hand lag um Rosas Hals, und er hielt sie so hoch, dass ihre nackten Füße mehrere Zentimeter über der Matratze baumelten. Ihr zierlicher Leib war schlaff und leblos. Die sanften braunen Augen waren weit aufgerissen und leer.

»Nein!«, brüllte Sia, obwohl sie sofort erkannte, dass es für eine Rettung bereits zu spät war. »Lass sie los!«

Trauer und rasender Zorn stiegen in ihr auf. Sie hatte Rosa im Stich gelassen. Das Gleiche durfte Angelina nicht auch noch widerfahren. Das ununterbrochene Schreien des Babys erfüllte den Raum. Sia warf einen schnellen Blick zur Wiege, in der Angelina sich wand und zappelte.

Zumindest dem Kind war nichts passiert. Sein Weinen war eine Qual für Sia gewesen, als sie es von draußen gehört hatte. Jetzt gab es ihr Kraft und eine gefährlich wütende Entschlossenheit.

»Ich sagte, lass sie los.«

Rosas Angreifer gab ein Brummen von sich und drehte den dunklen, struppigen Kopf, um Sia anzusehen.

Bernsteinfarben lodernde Augen glühten wie Kohle in seinem Schädel. Das leise Lachen, das er ausstieß, hatte nichts Menschliches an sich, es war nicht von dieser Welt. Seine Lippen verzogen sich zur Karikatur eines Lächelns, sodass seine riesigen Fänge trotz der Dunkelheit im Zimmer glitzerten.

Ein Stammesvampir.

Sia schluckte, als er sich ganz zu ihr umdrehte.

»Okay«, knurrte er. Sie erkannte am rauen Klang seiner Stimme, dass er es war, den sie von der anderen Seite der Tür gehört hatte. »Wenn es das ist, was du willst, du Schlampe, dann lass ich sie halt los.«

Mit einem heiseren Lachen ließ er Rosa auf den Boden fallen und trat sie dann zur Seite, als wäre sie nichts weiter als ein Haufen Lumpen. Sein glühender Blick war unstet und wild, und sein Körper zitterte von Kopf bis Fuß. Irgendetwas stimmte mit ihm nicht. Er verströmte einen seltsamen Geruch, etwas widerlich Süßliches, bei dem sich ihr der Magen umdrehte.

Ihr blieb keine Zeit, auch nur in Erwägung zu ziehen, was ihr Instinkt ihr sagte.

Er senkte den Kopf und stürzte sich auf sie.

Sie spürte, wie eine Woge von Energie tief aus ihrem Innern nach oben stieg und mit einem wuchtigen Lichtblitz aus ihren erhobenen Händen hervortrat. Die Kraft, die hinter dem Energiestoß steckte, traf den hünenhaften Leib des Stammesvampirs und schleuderte ihn krachend gegen die Wand.

»Was zum Teufel …!« Der Mensch, der Rosas Habseligkeiten durchwühlt hatte, fuhr taumelnd herum; die mageren Gliedmaßen versagten ihm den Dienst, sodass er auf dem Hintern landete, mittendrin in dem verstreuten Inhalt von Rosas Kommode und ihrer Handtasche. Seine trüben Augen traten hervor, als er von Sia zu dem riesigen Stammesvampir schaute, den sie außer Gefecht gesetzt hatte, ohne ihn auch nur richtig zu berühren.

Die Energie, die eben in Sia aufgestiegen war, brodelte immer noch und wurde von ihrer Wut weiter angeheizt.

»Warte!« Der Mann hob eine Hand, als wolle er sich ergeben. »Das ist alles nicht meine Schuld! Die Schlampe hätte nicht vor Santino weglaufen sollen. Sie hätte wissen müssen, dass er sie am Ende kriegt.«

Während er sprach, sah Sia ihn mit der anderen Hand nach etwas greifen.

Sie merkte erst, dass es eine Pistole war, als er mit zitternden Fingern auf sie zielte. Ohne zu zögern, drückte er immer wieder den Abzug.

2

Verfluchter Mist.

Es sollte ein Aufklärungseinsatz sein – mehr nicht. Deshalb stand sich Trygg auch in einer Seitenstraße, von der aus er das alte zweistöckige Haus in der Nähe der Bahnstation im Blick hatte, die Beine in den Bauch, während er darauf wartete, dass die beiden Mistkerle, die er beschattete, endlich ihren offensichtlichen Einbruch beendeten, sodass er ihre Überwachung fortsetzen konnte.

Vielleicht sollte er aber lieber sagen, dass er gewartet hatte.

Und zwar bis zu dem Moment, als eines der Fenster im ersten Stock plötzlich hell aufleuchtete, so als ob es eine kosmische Explosion strahlend weißer Energie gegeben hätte. Ihr folgten mehrere Schüsse.

Sehr viele Schüsse.

»Verdammt.«

Er trat aus dem Schatten hervor und steuerte auf das Haus zu.

Der Orden hatte eindringlich darauf hingewiesen, dass Trygg nichts tun sollte, was Roberto Santino oder seine Leute erkennen ließe, dass er sie auskundschaftete. Trygg verfolgte Santinos Handlanger, einen Stammesvampir namens Franco, seit nunmehr fast einer Woche und hatte im Verlauf seiner Recherchen den Standort von Santinos Hauptquartier auf einen Radius von einem halben Kilometer eingrenzen können. Ihm fehlten nur noch ein paar wenige Informationen, und dann würde er es genau wissen.