Masters of Seduction - Atemlose Nacht - Lara Adrian - E-Book

Masters of Seduction - Atemlose Nacht E-Book

Lara Adrian

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Beschreibung

Vier Novellen von vier der besten Autorinnen der Romantic Fantasy entführen ins sinnliche Reich der Inkubi und Nephilim ...

Der Inkubus Devlin Gravori beschuldigt die Nephilim, seinen Bruder ermordet zu haben. Um sich zu rächen, nimmt er die schöne Nephilimkriegerin Nahiri als Geisel. Zwischen Devlin und Nahiri entwickelt sich schon bald eine Leidenschaft, der beide nicht widerstehen können. Doch auf der Suche nach dem Mörder von Devlins Bruder kommen sie einer Verschwörung auf die Spur, die weitreichender ist, als sie vermutet haben.

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Lara Adrian: MERCILESS – Das Haus Gravori

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Donna Grant: SOULLESS – Das Haus Romerac

1

2

3

4

5

6

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8

9

10

Laura Wright: SHAMELESS – Das Haus Vipera

1

2

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4

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6

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8

9

10

11

12

Alexandra Ivy: RUTHLESS – Das Haus Xanthe

1

2

3

4

5

6

7

8

9

Die Autorinnen

Lara Adrian bei LYX

Impressum

LARA ADRIAN · DONNA GRANT · LAURA WRIGHT · ALEXANDRA IVY

Masters of Seduction

Atemlose Nacht

Roman

Ins Deutsche übertragen von

Firouzeh Akhavan-Zandjani

Zu diesem Buch

Vier der besten Autorinnen der Romantic Fantasy entführen Sie ins sinnliche Reich der Inkubi und Nephilim.

MERCILESS – Das Haus Gravori

Nach dem Mord an seinem Bruder sinnt der Inkubus Devlin Gravori auf Vergeltung. Er nimmt die Nephilimkriegerin Nahiri als Geisel, für die er jedoch bald schon ganz andere Gefühle entwickelt.

SOULLESS – Das Haus Romerac

Der größte Wunsch des Inkubus Canaan Romerac ist es, Rache an denjenigen zu nehmen, die ihn einst verrieten. Bis er die schöne Nephilim Rayna trifft. Wird sie seine verletzte Seele heilen können?

SHAMELESS – Das Haus Vipera

Um seine alte Kraft zurückzugewinnen, benötigt der Inkubus Scarus Vipera die Energie der hübschen Rosamund aus dem Harem der Nephilim. Doch die geheimnisvolle Schöne ist entschlossen, niemanden an sich oder in ihr Herz zu lassen.

RUTHLESS – Das Haus Xanthe

Der Inkubus Jian Xanthe erhält den Auftrag, das abwesende Oberhaupt auf dem Obsidianthron aufzuspüren. Auf seiner Mission begegnet er der überirdisch schönen Muriel, deren Anziehung er bald nicht mehr widerstehen kann.

LARA ADRIAN

MERCILESS – Das Haus Gravori

1

Ein Schwall aus heißer Luft und feinem rostbraunem Sand wirbelte wie ein Derwisch vor Devlin Gravoris versteinerter Miene, als sich die Luke seines Privatjets öffnete und er sich nach dem langen Flug daranmachte auszusteigen.

Als er heute Morgen aufgewacht war, hatte er nicht ahnen können, dass er noch vor Tagesende mehrere Stunden von seiner Festung auf einer Insel in der Adria entfernt sein und den Fuß auf diesen kleinen verlassenen Flugplatz in einer unwirtlichen Gegend des Nahen Ostens setzen würde, die man früher – vor langer, langer Zeit – als Mesopotamien bezeichnet hatte.

Andererseits hatte Dev, als der Tag heute begonnen hatte, auch nicht geahnt, dass sein Bruder ermordet worden war.

Der Schock, der stechende Schmerz, war noch genauso groß wie in dem Moment, als er es erfahren hatte.

Der charmante, wunderbare Marius … tot.

Ermordet.

Devs Hände ballten sich zu Fäusten, als die Erinnerung an das, was er vorhin gesehen hatte, wieder in ihm hochkam. Marius und eine Menschenfrau, die beide nackt und ineinander verschlungen auf zerwühlten Laken gelegen hatten, welche mit Schweiß, Samen und einer schrecklichen Flut ihrer beider Blut getränkt gewesen waren.

Die Frau war mit einem Stich ins Herz ermordet worden – was für jeden Sterblichen den sofortigen und sicheren Tod bedeutete.

Bei Marius musste es schwieriger gewesen sein, ihn umzubringen.

Er war noch keine vierhundert Jahre alt gewesen und damit mehrere Jahrhunderte jünger als Dev, aber nicht weniger beeindruckend. Sie waren Inkubi, eine Dämonenrasse, die sich von sexueller Energie ernährte und die es schon so lange gab wie den Kampf von Himmel und Hölle um die Seelen der Menschen.

Devlin und seine Brüder des Hauses Gravori – und auch jeder einzelne Inkubus der anderen neun Häuser ihrer Rasse – stammten aus grauer Vorzeit und waren so gut wie unsterblich.

Es gab nur sehr wenige Möglichkeiten, einen Abkömmling ihrer Art zu töten, und noch weniger Individuen, die es wagten, so etwas zu tun.

Wer es auch gewesen sein mochte, der Marius letzte Nacht die Kehle aufgeschlitzt hatte, während er sich gerade von sexueller Energie nährte – ihm war die sicherste Methode bekannt gewesen.

Nach Devs Einschätzung hatte der Mörder sich Marius’ schwächsten Moment zunutze gemacht und ihn von hinten angegriffen, während der Inkubus seinen fleischlichen Hunger an einer Lustsklavin stillte.

Die Frau war, während Marius höchstwahrscheinlich gerade am Verbluten war, genauso fachmännisch und heimtückisch gemeuchelt worden. Er war auf ihr zusammengesunken und sie dadurch von der Taille abwärts unter seinem mächtigen Leib begraben gewesen. Eine tiefe Wunde hatte in ihrer Brust geklafft, und ihre helle Haut war von ihrem klebrigen, dunklen Blut bedeckt gewesen.

Die Morde waren fachgerecht und absolut professionell ausgeführt worden.

Bis auf einen aufschlussreichen Fehler.

Dev hatte diesen Beweis jetzt bei sich, als er auf dem Weg zu einer unangekündigten Konfrontation auf neutralem, schon immer geheiligtem Boden war.

Er fuhr sich mit einer Hand über das kurz geschnittene schwarze Haar und stieg in seinem dunkelgrauen, maßgeschneiderten italienischen Anzug und den glänzenden Lederschuhen die Treppe der Gulfstream G650 herunter. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, zu diesem Treffen etwas Passenderes anzuziehen. Wenn die äußere Aufmachung aus der Welt da draußen jemanden stören sollte, so war das zumindest Dev völlig egal. Er war am Morgen aus seinem Büro direkt zum Tatort gerufen worden, um dann innerhalb einer Stunde auch schon auf dem Weg in diesen ausgedörrten, unter der Hitze stöhnenden Landstrich zu sein.

Irgendwie komisch, dass der erhabene Kreis, den er aufsuchen wollte, sich an so einem unwirtlichen Ort versteckte.

Er murmelte einen Fluch. Hässliche Worte, die er in der alten Sprache seiner dämonischen Ahnen ausstieß.

»Es ist noch nicht zu spät umzukehren, Dev.«

Die ruhige, tiefe Stimme gehörte Ramiel, dem Captain der Wächter des Hauses Gravori. Der dunkelhaarige Bodyguard, der zusammen mit Dev aus dem Flugzeug stieg, trug schwarze Hosen und ein dazu passendes schwarzes T-Shirt, das sich eng an seine breite Brust und die kräftigen Oberarme schmiegte. Aufwendige Tätowierungen, die Rams Zugehörigkeit zum Haus und seine Aufgabe anzeigten, bedeckten die Unterarme des Leibwächters des Inkubus.

Sie waren blutsverwandt; und obgleich Ram nur ein entfernter Cousin war, verband ihn mit Dev die Loyalität eines Bruders. Doch wo der Wächter besonnen und umsichtig war, neigte der Herr des Hauses Gravori dazu, beim ersten Anzeichen eines Angriffs sofort und ohne Vorwarnung zuzuschlagen.

Genau wie dem Skorpion, der über Äonen das Wappen der Gravoris gewesen war, wohnte Devs Zorn eine tödliche Schnelligkeit inne.

Gepaart mit völliger Erbarmungslosigkeit.

Das hatte ihm den Spitznamen »Devil« Gravori eingetragen … ein Ruf, der ihm sowohl im Geschäftsleben als auch in allen anderen Lebensbereichen vorauseilte.

Heute war er darauf eingestellt, diesem Ruf an einem der heiligsten Höfe des unsterblichen Reiches mit aller Macht gerecht zu werden.

»Du musst das nicht tun«, fuhr Ram fort. »Nicht so.«

»Den Teufel muss ich«, knurrte Dev.

Der Anblick des ermordeten Marius’ war noch zu frisch in seiner Erinnerung. Jede Einzelheit hatte sich bis in alle Ewigkeit eingebrannt. Der Kummer überwältigte ihn fast, doch es war Wut gewesen, die ihn an Bord des Flugzeugs hatte gehen lassen, um voller Rachedurst hierherzueilen.

In der Brusttasche seiner Anzugjacke befand sich das Beweisstück, welches Dev unter der Leiche seines Bruders hervorgezogen hatte. Es fühlte sich wie ein Eisklumpen an, der über seinem Herzen lag. »Keiner kommt dem Hause Gravori ungestraft in die Quere. Nicht einmal die.«

Er blickte stur geradeaus, und weder verlangsamte er seinen Schritt, noch war er bereit, es sich anders zu überlegen.

Ramiel marschierte mit grimmiger Miene neben ihm her. Sie gingen über den vor Hitze flirrenden Asphalt auf einen Einheimischen mit seinem Geländewagen zu. Der SUV war gemietet worden, um sie in die Wüste zu einer zerklüfteten Hügelkette zu fahren, die sich wie der Rücken eines Drachen in der Ferne erhob.

Der Fahrer würde sie nicht bis ganz an ihr Ziel bringen können. Der Ort, zu dem Dev wollte, war auf keiner Karte zu finden, genauso wenig führte eine Straße oder auch nur ein Trampelpfad dorthin.

Um das letzte Stück seiner Reise hinter sich zu bringen und den neutralen Boden des Nephilim-Hofes betreten zu können, würde Dev Dämonenmagie zu Hilfe nehmen müssen.

Und dann inständig hoffen, dass dieselbe Dämonenmagie ihn dort auch wieder herausholte, wenn alles vorbei war.

Als sie den wartenden Geländewagen erreicht hatten, zögerte Ram. Die Miene des Leibwächters war ernst, und Angst und Zweifel waren in seinen Augen zu erkennen. »Man kann die Dreiheit nicht einfach so zur Rede stellen, Dev. Das weißt du selbst. Sie sorgen für das Gleichgewicht. Sie haben die Macht, die Gesetze der Nephilim zu vollstrecken. Und selbst das Oberhaupt schenkt ihnen Gehör.«

»Das Oberhaupt«, brummte Dev. »Es ist mehr als fünfhundert Jahre her, dass der Rat den Obsidianthron dem Hause Marakel zusprach. Seitdem ist zwischen den Nephilim und den anderen Inkubi-Häusern nichts mehr im Gleichgewicht gewesen. Wenn du mich fragst, wären wir besser damit bedient, klar Schiff zu machen und neu anzufangen. Beginnen würde ich da mit dem Inkubus, der gerade auf dem Thron sitzt.«

Ram stieß einen unterdrückten Fluch aus. »Um Himmels willen, Dev. Erst fliegst du hierher und willst eine Audienz bei den mächtigsten Nephilim des Reiches, und jetzt stehst du hier und sprichst von Hochverrat.«

Dev zuckte mit den Achseln. »Der Wandel ist schon im Gange, aber für meinen Geschmack viel zu langsam. In ein paar Jahren ist es ohnehin fällig, dass die Dreiheit zurücktritt, und wenn Marakel nicht bald einen Inkubus-Erben hervorbringt, wird sein Haus genauso untergehen wie das Haus Akana.«

Ram bedachte ihn mit einem skeptischen Blick. »Ja, aber in der Zwischenzeit kann – und wird – die Dreiheit tun, was ihr gefällt … und alles im Namen des Friedens. Wenn du schon Vernunftgründen nicht zugänglich bist, dann lass mich heute zumindest mit dir zusammen vor sie treten. Als Captain der Wächter des Hauses Gravori habe ich mit Blut und Stahl geschworen, dafür zu sorgen, dass du dir nicht den Hals brichst.«

»Das würden sie nicht wagen«, versicherte ihm Dev.

»Erzähl das Marius«, erwiderte Ram mit ausdrucksloser Miene.

Dev gefiel es nicht, daran erinnert zu werden, auch wenn die Warnung nicht ganz unbegründet war. Doch er war nicht bereit hinzunehmen, dass sich jemand zwischen ihn und die drei Nephilim-Priesterinnen stellte, deren Hände seiner Ansicht nach mit dem Blut seines Bruders besudelt waren. Ram mochte sich zwar Devlin, dem Herrn des Hauses Gravori, mit seinem Leben verpflichtet haben, doch bei Devs Anwesenheit hier ging es um etwas Persönliches.

Und wenn sich ein Kampf daraus ergab, wollte er verdammt sein, ließe er jemand anders diesen für sich bestreiten.

»Es gibt Schlimmeres als den Tod«, murmelte Ram. »Gefängnis und Folter im Kerker der Verdammten, um nur eins zu nennen.«

Obwohl der Leibwächter damit recht hatte, tat Dev den Gedanken an den berüchtigten, übernatürlichen Kerker mit einem gezischten Fluch ab.

»Ich kann Marius’ Tod nicht ungesühnt lassen, Ram«, erklärte er, und sein Tonfall ließ keinen Widerspruch mehr zu. »Jemand muss sich wegen der Ermordung meines Bruders verantworten. Jemand muss dafür büßen … Blut um Blut.« Devs Hand ging zu der Stelle, wo das Beweisstück kalt über seinem Herzen ruhte. »Ich werde nicht eher gehen, bis diese Schuld eingetrieben ist.«

2

Die Audienz bei der Dreiheit stand kurz davor, in Tränen und Enttäuschung zu enden.

Nahiri wusste es, noch bevor das Kinn der Nephilim-Mutter zu zittern begann. Die Frau kniete mit ihrer sittsam schauenden Tochter neben sich in ehrerbietiger Haltung am Fuße der breiten Marmortreppe, die zum Podium des Tempels führte.

Am oberen Ende der acht glänzend polierten Marmorstufen saßen hinter einem hohen Paravent aus durchbrochenem Sandelholz, der mit schimmerndem Blattgold überzogen war, die drei Nephilim-Priesterinnen, die für niemanden sichtbar den Vorsitz über den Tempel und alle darin Anwesenden führten.

Nahiri stand rechts am Fuße der Treppe. Wie die Mutter, die mit ihrer Tochter gekommen war, um Rat zu ersuchen, hatte auch Nahiri ein Gewand angelegt, das speziell diesen heiligen Hallen angemessen war … eine Leinentunika und Hosen aus ungefärbtem Stoff sowie schlichte Kalbsledersandalen. Doch jeweils quer von Schulter zu Taille trug sie die geflochtenen Lederscheiden, in denen sie die Waffen trug, die zu ihrem Rang gehörten.

Nahiri war eine Klingenkriegerin.

Genauer gesagt, eine Tempel-Klingenkriegerin, eine von weniger als einem Dutzend Nephilim-Kriegerinnen, die dafür verantwortlich waren, das Podium zu bewachen und die Dreiheit zu beschützen.

Nicht dass je auch nur einer daran gedacht hätte, ihnen etwas anzutun.

Für Nahiri und die anderen Klingenkriegerinnen – im Grunde für alle Nephilim – handelte es sich bei der erhabenen Dreiheit, die halb Mensch, halb Engel waren, eigentlich um Göttinnen.

Seit fast dreihundert Jahren standen sie dem Tempel als oberste heilige Ratgeberinnen vor. Wie die Dreiheit, die vor ihnen gedient hatte, war auch ihr Leben dem Oberhaupt auf dem Obsidianthron und den größeren Nephilim- und Inkubi-Bevölkerungsgruppen geweiht, die insgeheim da draußen in der Welt unter den Menschen lebten; die Aufgabe der Dreiheit bestand darin, allen mit ihrem selbstlosen Rat zur Verfügung zu stehen.

Die Entscheidungen und Dekrete der Dreiheit sollten den Frieden erhalten und vor allem für ein harmonisches Gleichgewicht zwischen den Nephilim und den Inkubi sorgen.

Leider deckten sich diese Entscheidungen nicht immer mit den Wünschen und Vorstellungen aller, denen eine Audienz im Tempel gewährt wurde, wie bei der Mutter zu sehen war, die die Dreiheit heute wegen ihrer Tochter aufgesucht hatte.

Nahiri stand regungslos auf ihrem Posten, während die Nephilim-Mutter versuchte, die Dreiheit dazu zu überreden, noch einmal über ihre Bitte nachzudenken.

»Euer Dreiheit, bitte, ich flehe Euch an. In jeder Generation wurde unsere Familie auserwählt, eine unserer Töchter in ihrem zwanzigsten Jahr in den Harem zu schicken. Warum dieses Mal nicht? Warum nicht meine Tochter? Es ist eine Ehre, die wir immer untertänigst akzeptiert haben –«

»Wie es dir auch anstand«, erwiderte eine der Dreiheit. Die Antwort kam sanft, aber wohl durchdacht hinter dem Paravent hervor. »Auserwählt zu werden ist eine Ehre, die weder eingefordert noch erbeten werden kann. Es ist eine geheiligte Pflicht, die geschützt und bewahrt werden muss.«

Zwar respektierte Nahiri die Art, wie die Nephilim lebten, aber sie war gleichzeitig froh, dass sie als Klingenkriegerin für den Harem nicht infrage kam. Die Vorstellung, fortgeschickt zu werden, um sich mit den Inkubi zu paaren, die den Palast der Freude aufsuchten, ließ sie innerlich schaudern. Sie hatte genug Geschichten über den unstillbaren, sündhaften Hunger und die überwältigende sexuelle Kraft der Inkubi gehört.

Entsetzt und gleichzeitig fasziniert hatte sie den anderen Klingenkriegerinnen gelauscht, wenn diese sich spät in der Nacht im Schlafsaal des Tempels Geschichten erzählten … Geschichten, die diese von ihren Schwestern und Cousinen von draußen gehört hatten und in denen es um all die Gerüchte ging, die über die Dinge kursierten, die sich innerhalb der mit Seide bespannten Wände des Harems abspielten.

Sündige, abartige Dinge, bei denen sich Nahiris Wangen röteten und sich sogar jetzt Hitze zwischen ihren Schenkeln ausbreitete.

Unbehaglich trat sie kurz von einem Bein auf das andere, während sie versuchte, die unerwünschten Regungen ihres Körpers zu ignorieren. Sie merkte, wie ihr langer schwarzer Zopf dabei über ihren Rücken schwang.

Nahiri zuckte zusammen, weil ihre perfekte Gardehaltung einen Riss bekommen hatte, und hoffte, dass keiner es bemerkt hatte.

Aber natürlich hatte es doch jemand gesehen.

Die leichte Bewegung war der Klingenkriegerin, die ihr gegegenüber am anderen Ende der breiten Treppe stand, nicht entgangen. Die große blonde Nephilim sah mit hochgezogenen blassen Augenbrauen in ihre Richtung und nahm Nahiris Fehler damit süffisant zur Kenntnis.

Natürlich genoss Valina es zu sehen, wie Nahiri sich wand. Seit sie im Alter von achtzehn Jahren in den Tempel gekommen waren, um zu Klingenkriegerinnen ausgebildet zu werden, konkurrierten sie miteinander. Zehn Jahre später waren sie immer noch Rivalinnen.

Mit ihrer atemberaubenden Schönheit flog Valina die Gunst aller zu, die sie ansahen, aber die Klingenkriegerin war auch eine versierte Kämpferin. Allerdings war sie nicht ganz so versiert – und auch nicht so diszipliniert – wie Nahiri. Es war dieser kleine Unterschied, der den Ausschlag gegeben hatte, dass Nahiri jetzt als Anführerin der Klingenkriegerinnen den Platz auf der rechten Seite der Treppe im Audienzsaal innehatte, während Valina als ihre Vertreterin zur Linken stand.

Und obwohl Stolz im Tempel verpönt war, konnte Nahiri sich einer gewissen Genugtuung angesichts der Position, die sie sich durch harte Arbeit und mit hingebungsvoller Pflichterfüllung verdient hatte, nicht erwehren.

Sie nahm wieder Haltung an, und ihre Miene war ausdruckslos, als die Nephilim-Mutter mit ihrer Tochter von der Dreiheit entlassen wurde und sich zurückzog.

Die beiden hatten gerade die bogenförmige doppelflügelige Tür erreicht, als sich die feinen Haare in Nahiris Nacken aufzurichten begannen.

Vor dem Audienzsaal braute sich mit einem Mal etwas zusammen.

Die hohe Tür schwang auf, und ein Schwall heißer Luft drang herein. Er schoss durch den Raum, und mit ihm schlug Nahiri der metallische Geruch von Ozon entgegen. Wie bei einem herannahenden Unwetter lud sich die Luft auf.

Und nahm dann in einem Mann Gestalt an.

In einem großen, bedrohlich wirkenden Mann.

Inkubus.

Nahiri wusste es, noch bevor der Dämon mit dem rabenschwarzen Haar sich vollständig materialisiert hatte und den dunklen Kopf hob. Die bernsteinfarben funkelnden Augen waren zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, seine Haltung wirkte aggressiv, und die großen Hände waren zu Fäusten geballt.

Furcht breitete sich wie eine explodierende Gaswolke im Raum aus. Nervöses Flüstern und ängstliches Raunen gingen durch die Reihen der anderen Klingenkriegerinnen. Eine, die erst vor Kurzem zu ihnen gestoßen war, stieß einen leisen Schrei aus.

Nur die Dreiheit schien von allem völlig ungerührt.

Das aber schien der Inkubus gar nicht zu bemerken.

Und es kümmerte ihn auch nicht.

Schon die Missachtung, die er mit seiner Ankunft gezeigt hatte, indem er einfach in den Audienzsaal eingedrungen war, war offensichtlich. Aber seine äußere Erscheinung stellte einen weiteren Affront dar. Statt sich dem Anlass und dem heiligen Ort gebührend zu kleiden, war sein Aufzug etwas, das man in der Welt da draußen trug … in der Welt der Menschen. Moderne, elegante Kleidung, die ihn hier irgendwie noch fremder, noch unzivilisierter erscheinen ließ.

Der dunkelgraue Anzug, den er anhatte, betonte jeden kräftigen, muskulösen Zentimeter seines Körpers. An seinem Hals war ein Streifen glatter, gebräunter Haut unter dem aufgeknöpften Kragen seines schneeweißen Hemds zu sehen, was viele müßige Stunden unter strahlendem Sonnenschein erahnen ließ.

Dekadent, dachte Nahiri missbilligend. Es fiel ihr nicht schwer, sich ein verwöhntes Luxusleben voller sinnloser Ausschweifungen vorzustellen.

Sie versuchte, nicht weiter über den Dämon nachzudenken, der sich von sexueller Energie ernährte, und auf keinen Fall wollte sie sich Fantasien darüber hingeben, dass er und die anderen seiner Art die mächtige Gabe besaßen, selbst jene mit widerwilligstem Geist zu verführen.

Sie spürte die machtvolle Ausstrahlung des Inkubus, die die Luft förmlich knistern ließ, als er sich näherte und nicht auf die Erlaubnis wartete, vortreten zu dürfen; ja, er bat die Dreiheit noch nicht einmal darum.

Nahiri legte beide Hände an ihre Waffen, als er mit arroganten, langen Schritten den Mittelgang hochkam und sein ganzes Auftreten etwas Bedrohliches ausstrahlte. Doch trotz seiner Arroganz und Unverfrorenheit sah er gut aus. Sie hätte sich sogar dazu versteigen können, ihn als schön zu bezeichnen, wäre da nicht die finstere Miene aus zusammengezogenen Brauen und wütend aufeinandergepressten Lippen gewesen.

Sogar in seiner Wut hatte sein Gesicht etwas Fesselndes. Erbittert und unwirsch, kantig und unversöhnlich sagte es jedem, der es anschaute, dass er mehr war als ein Mensch.

Ein Wesen, das schon lange lebte und auf düstere Art Respekt einflößend war.

Ein gefährliches Wesen – erst recht aufgrund seiner verlockenden, schroffen Anziehungskraft.

Angesichts der aufgeregten Gesichter der anderen Klingenkriegerinnen – und Valina war da nicht ausgenommen – musste Nahiri davon ausgehen, dass es sich hier wohl um einen unglaublich mächtigen Inkubus handeln musste.

Sie hörte das leise Tuscheln der anderen Nephilim.

»Ist das nicht der Herr des Hauses Gravori?«

»Der Himmel stehe uns bei, wenn er das ist.«

»Du weißt doch, wie man ihn nennt, nicht wahr?«

»Devil Gravori.«

Er hatte jetzt fast die breite Treppe erreicht, und als Anführerin der Klingenkriegerinnen war es an Nahiri, der Bedrohung entgegenzutreten und ihn aufzuhalten. Falls es erforderlich war, würde sie alle Klingenkriegerinnen im Raum dazu aufrufen anzugreifen.

Sie trat ihm mitten in den Weg. »Keinen Schritt weiter.«

Erleichtert stellte sie fest, dass ihre Stimme fest klang … ruhig und nicht gepresst. Sie spürte mehr als nur ein Augenpaar auf sich ruhen, als sie alleine vortrat, um sich der Bedrohung entgegenzustellen, die den Raum in Besitz genommen hatte.

Der Inkubus blieb stehen, doch die alterslosen goldenen Augen richteten sich fragend auf sie.

Eindeutig herausfordernd und gereizt.

Nahiri gefiel das verruchte Funkeln nicht, das sie in seinem Blick sah. Es stellte seltsame Dinge mit ihrer Atmung an und ließ ihr ohnehin schon rasendes Herz noch schneller schlagen.

Der beunruhigende Blick aus bernsteingelben Augen gab ihr das Gefühl, als würde er ihr bis auf den Grund der Seele schauen. Sie fühlte sich entblößt … verletzlich. Als hätte er Einsicht in all ihre Ängste, Zweifel und sündigen Gedanken.

Schlimmer noch … sie musste alle Willenskraft zusammennehmen, um sich nicht in seinen Augen zu verlieren und dem verruchten Versprechen zu erliegen, das in deren Tiefen zu lodern schien.

Sie wollte sich nicht vorstellen, was jemand wie er mit einer Frau machen konnte. Doch kaum war ihr dieser Gedanke durch den Kopf geschossen, standen ihr auch schon lebhafte – sehr weltliche – Bilder vor Augen. Sie sah sich mit diesem Mann, diesem Dämon, eng umschlungen unter einem heißen Sommerhimmel liegen.

Sie konnte förmlich den Duft seiner nackten, von der Sonne erwärmten, gebräunten Haut riechen. Fast meinte sie, die sinnliche Wärme seines Leibs unter ihren Fingerspitzen, unter ihren Händen, auf ihrer Zunge … an jedem fiebrig erregten Zentimeter ihres Körpers zu spüren.

Und dann waren es seine Finger, die über ihre nackte Haut glitten … seine Lippen, die jeden Zentimeter ihrer Haut erkundeten.

Sein Mund fiel mit einem Hunger über sie her, der sie zu verschlingen drohte …

Das reicht.

Nahiri räusperte sich und brachte mühsam ihre sich verselbstständigende Fantasie unter Kontrolle.

Machte er das absichtlich mit ihr?

Musste ein so hoher Inkubus wie er es überhaupt versuchen?

Er wollte um sie herumgehen. Nahiri trat ihm wieder in den Weg. Mit hoch erhobenem Kinn begegnete sie seinem arroganten Blick und schloss dabei die Finger um das Heft ihrer Schwerter.

»Unangemeldete Besucher haben keinen Zutritt zum Tempel.«

Sie war in der Lage, die Klingen im Bruchteil einer Sekunde zu ziehen und in Angriffsstellung zu gehen.

Zwar hatte sie diese speziellen Dolche noch nie gegen jemanden gerichtet, doch sie würde nicht zögern, es jetzt zu tun.

Sie würde nicht zögern zu töten, wenn dadurch die Dreiheit geschützt wurde. Die Dreiheit war ihre Familie – oder kam einer Familie, wie sie sie kannte, zumindest am nächsten.

Der sengende Blick aus bernsteinfarbenen Augen richtete sich auf sie. »Ich bin kein Besucher«, knurrte er mit dunkler, tiefer Stimme. Sie spürte den vibrierenden Klang bis ins Mark ihrer Knochen. »Und da ich nun schon mal hier bin, sollte meine Anwesenheit als die Anmeldung betrachtet werden, die alle brauchen.«

Mehrere Klingenkriegerinnen keuchteten entsetzt auf.

Noch nie hatte jemand seine Missachtung des Tempels so schamlos offenkundig gezeigt, und wichtiger noch … auch nicht gegenüber der Dreiheit.

Nahiri nahm eine drohende Haltung ein und zog einen ihrer Dolche. »Sie werden gehen. Jetzt.«

Er betrachtete die scharfe Klinge aus geschliffenem Obsidian, die sie in der Hand hielt. Eine Augenbraue zuckte kaum wahrnehmbar nach oben. Dann versteinerte seine Miene, und der gefährliche Zug um seinen Mund bekam etwas noch Furchterregenderes.

Er machte noch einen Schritt, wobei er jetzt nicht auf die Treppe zuhielt, sondern auf sie. Ganz nah trat er an sie heran, zu nah, sodass kaum mehr eine Hand zwischen sie gepasst hätte.

»Du meinst, du könntest dich mit mir anlegen, kleine Klingenkriegerin? Ich bin nicht so leicht zu erledigen wie mein Bruder. Das verspreche ich dir«, knurrte er.

Sie wusste nicht, wovon er überhaupt redete.

Sie wusste gar nichts in diesem Moment, außer dass sein hypnotisierender Blick und die Erregung, die er durch ihre Glieder schießen ließ, ihr das Gefühl gaben, dass ihre Haut zu eng und viel zu heiß war, um es ertragen zu können.

All die sinnlichen Bilder und höchst erotischen Gefühle, die sie eben angesichts seines Blickes gespürt hatte, verstärkten sich jetzt noch. Sie sah Dinge – spürte Dinge –, die zu verstehen es ihr in ihrer Jungfräulichkeit schwerfiel, während ihr unberührter Körper ganz erpicht darauf schien, in die Lehre zu gehen.

Ihr Herz raste. Ihre Atemzüge wurden zu einem flachen, schnellen Keuchen, während ein heftiges, schmerzhaftes Sehnen in ihr zu erblühen begann. Völlig machtlos, ihre Reaktion auf dieses heftige Verlangen zu unterdrücken, stöhnte sie. Sie konnte sich seinem Bann nicht entziehen. Schlimmer noch … sie brachte noch nicht einmal den Willen auf, sich losreißen zu wollen.

Es war unerträglich … sowohl die Sehnsucht ihres Körpers als auch die demütigende Feststellung, wie mühelos der Inkubus dazu in der Lage wäre, sie ihm hörig zu machen, wenn er es wollte.

Ihre Finger, die den Dolch eben noch fest umklammert hatten, lösten sich, sodass sie ihn beinahe fallen ließ.

Nein. Sie würde sich auch nicht so leicht erledigen lassen.

Nahiri nahm alle Kraft zusammen, die sie aufbieten konnte, und stieß ihn im Geiste mit aller Entschlossenheit zurück.

Nein!

Sofort ließ das Sehnen nach. Sie war immer noch atemlos, und ihr ganzer Körper kribbelte, aber zumindest hatte sie sich wieder unter Kontrolle.

Was den Dämon betraf – Devil Gravori –, der neigte den Kopf zur Seite und musterte sie mit größerem Interesse als sie wahrhaben wollte. Der Blick war da und auch schon wieder verschwunden, als er den Kopf wegdrehte und sich nun direkt an die Dreiheit wandte.

Er ging auf die Treppe zu, ehe Nahiri ihn aufhalten konnte.

Keiner hielt ihn auf.

Keiner schien geneigt, ihm entgegenzutreten … nicht einmal Valina.

Alle Frauen im Raum sahen ihn völlig gebannt an, und es waren jetzt nicht Angst oder Entsetzen, die sich in ihren Gesichtern widerspiegelten, sondern die gleiche faszinierte Nachgiebigkeit, die er auch in ihr ausgelöst hatte.

Er hatte jede einzelne Klingenkriegerin im Raum in seinen Bann gezogen und sich hörig gemacht.

Und nun richtete sich seine Wut ganz und gar auf die drei Priesterinnen, die oben auf dem Podium saßen.

»Ich bin hergekommen, um eine Erklärung zu verlangen«, sprach er, und seine Stimme hallte durch die Stille, die sich über den Raum gesenkt hatte. »Ich bin gekommen, um Gerechtigkeit zu fordern für das, was meiner Familie und meinem Haus angetan worden ist.«

Das Schweigen der Dreiheit schien die Stille dröhnen zu lassen. Nahiri wartete darauf, dass eine von ihnen die Stimme erhob … in irgendeiner Weise auf die Anschuldigung reagierte.

Hatte er die mächtigen Nephilim-Priesterinnen genauso in seinen Bann gezogen wie alle anderen im Audienzsaal?

Schließlich drang eine Stimme hinter dem hohen Wandschirm hervor.

»Damit gehst selbst du einen Schritt zu weit, Devlin Gravori.«

Devlin, stellte Nahiri im Stillen fest, nicht Devil. Allerdings war jetzt sehr gut zu erkennen, wie er zu seinem Spitznamen gekommen war.

»Du bist seit vielen Jahrhunderten der Herr deines Hauses«, erklärte eine andere der Drei. »Lang genug, um zu wissen, dass dieser Tempel weder der Ort für Gewalt noch für Anschuldigungen ist. Dies ist ein Ort des Friedens und der Gnade, der Weisheit und des Rates. Und wir Drei sind nur das Gleichgewicht –«

»Zur Hölle mit euch Dreien«, knurrte er, noch wütender als zuvor. »Und zur Hölle mit eurem kostbaren Gleichgewicht. Mein Bruder ist letzte Nacht zusammen mit seiner menschlichen Lustsklavin ermordet worden. Ich gehe nicht eher, bis ich erfahren habe, warum.«

Er marschierte zur Treppe, die nach oben zur Dreiheit führte, und begann, zwei Stufen auf einmal zu nehmen.

Die Panik, die Nahiri daraufhin erfasste, ließ sie sich in Bewegung setzen. Sie raste neben ihm die Treppe hoch und stellte sich ihm in den Weg. Die Obsidianklinge hielt sie locker, aber tödlich in der rechten Hand; nach der anderen würde sie ebenso schnell greifen können.

»Halt«, befahl sie dem mächtigen Inkubus. »Sie haben kein Recht –«

Seine Zähne blitzten weiß auf, als er wütend die Lippen verzog. »Ach, wirklich, kleine Klingenkriegerin?«

Er schob eine Hand unter seine Anzugjacke. Nahiri war sicher, dass er eine Waffe ziehen wollte.

Und in gewisser Weise tat er genau das.

»Ich habe das heute unter der Leiche meines Bruders gefunden.« Er streckte den Arm aus, und sie sah, dass in seiner Hand ein längliches Stück schwarz schimmernden vulkanischen Gesteinsglases lag. Seine Stimme bebte vor mühsam unterdrückter Wut. »Wer immer ihn ermordet hat, ließ das hier zurück.«

Es war das abgebrochene Stück einer Klinge.

Einer Obsidianklinge.

Einer Waffe, die nur von Nephilim-Kriegern wie Nahiri getragen wurde.

3

Dev beobachtete, wie sich ein Ausdruck des Entsetzens über das Gesicht der Klingenkriegerin legte, als sie das abgebrochene Obsidianstück in seiner Hand ansah. Ihre dunklen Augen wurden vor Verwirrung ganz groß. Sie war fassungslos.

War sie bestürzt, von dem Mord zu hören, oder darüber, dass er dieses Beweisstück in der Hand hielt?

Dev war sich nicht sicher.

»Nein«, sagte sie leise. Als sie den Kopf schüttelte, schwang ihr seidiger, langer, schwarzer Zopf wie ein Pendel auf ihrem geschmeidigen Rücken hin und her. »Nein, das kann nicht sein. Keiner führt so eine Waffe mit sich. Nur –«

»Nur eine Klingenkriegerin«, stimmte Dev ihr zu. »Und keine Klingenkriegerin würde ihre Waffe ohne die Zustimmung der Dreiheit gegen jemanden erheben.« Er warf einen finsteren Blick in Richtung Wandschirm. »Und vielleicht sogar nur auf direkte Anweisung.«

Er hörte, wie sie zischend Luft holte, und spürte, wie sich ihr Körper bei seiner aufrührerischen Anklage noch mehr anspannte. »So darf man nicht mit ihnen reden. Das gehört sich nicht. Es ist nicht richtig –«

»Es ist nicht richtig, dass mein Bruder tot ist, verdammt noch mal!« Seine scharfe Erwiderung hallte in der Stille des Tempels wider. Er sah sie mit vor Wut verzerrtem Gesicht an. »Es ist nicht richtig, dass irgend so ein mieser Feigling Marius die Kehle aufgeschlitzt hat und ihn verbluten ließ, um dann seine Geliebte mit einem Stich ins Herz umzubringen.«

Die Nephilim-Kriegerin sah ihn stumm an. Angesichts der Wut, die ihr entgegenschlug, konnte sie kaum mehr atmen.

Und trotz des rasenden Zorns und der Trauer über den Tod des Bruders, herbeigeführt durch eine von ihren Gefährtinnen, konnte er nicht leugnen, dass die Klingenkriegerin ihn faszinierte.

Sie war wunderschön. Pechschwarzes Haar umrahmte ihr zartes Antlitz, aus dem ihn ein unergründlicher Blick aus unschuldigen und gleichzeitig weisen braunen Augen traf.

Doch Schönheit allein bedeutete Dev nichts. Er hatte ein Leben lang die Freuden schöner Frauen genossen. Mehrere Leben lang.

Die Nephilim weckte sein Interesse wegen ihres Muts … auch wenn ihr Gesicht überirdisch schön war und sie einen verführerischen Körper besaß, was, wie er mit viel zu viel Interesse feststellte, nur unzureichend von der locker sitzenden Tempelkleidung verborgen wurde.

Sie war die einzige Klingenkriegerin im Tempel, die versucht hatte, ihn aufzuhalten … was ihn zwar beeindruckte, jedoch nicht sehr überraschte, da sie zur Rechten der Treppe gestanden hatte und damit unter den Wächterinnen den höchsten Rang einnahm.

Als er jetzt in ihr ernstes, entschlossenes Gesicht schaute, hätte Dev allerdings wetten können, dass sie sich ihm auf jeden Fall in den Weg gestellt hätte, egal welchen Rang sie unter den Klingenkriegerinnen einnahm.

Diese Frau war mutig. Ein Mut, der fast schon an Sturheit grenzte.

Außerdem besaß sie einen starken Willen. Sie war die einzige Nephilim-Kriegerin im Tempel gewesen, die sich seinem Zauber hatte entziehen können.

Er hatte sie die volle Wucht seiner Verführungskraft spüren lassen, und doch war es ihr gelungen, nicht die Kontrolle über ihren Willen zu verlieren. Wenn auch mit Mühe.

Dieser hartnäckige Widerstand wurmte den Inkubus in ihm und weckte sein ruchloses Verlangen. Wie weit würde er gehen müssen, um sie zu verführen?

Wie lange würde er brauchen, um die schöne Klingenkriegerin hörig und zur Sklavin seines Verlangens zu machen?

Ärgerlich schob Dev diesen Gedanken beiseite. Seine verruchte Seite – und die fleischlichen Gelüste, die damit einhergingen – würde auf eine andere Gelegenheit warten müssen.

Auf eine andere Frau.

Dev konzentrierte sich wieder auf den Grund für seine Anwesenheit im Tempel, während seine Finger sich um das kalte Stück Obsidian in seiner Hand legten. Er war hergekommen, weil er Antworten wollte. Er wollte eine Erklärung, warum ausgerechnet Marius das Ziel eines so grausamen Anschlags geworden war und welche Nephilim-Kriegerin ihn ausgeführt hatte.

Dev war hier, weil er ein Geständnis von der Dreiheit hören wollte. Eine Entschuldigung.

Er war hier, um Rache zu nehmen, sollte er hier im Tempel keine Satisfaktion erhalten.

Er drehte sich wieder zur Dreiheit um und knurrte: »Ich will die Wahrheit wissen. Habt Ihr eine Klingenkriegerin losgeschickt, um meinen Bruder zu ermorden?«

Schweigen erfüllte die Weiten des Audienzsaales, und einen Moment lang zweifelte Dev daran, dass er eine Antwort erhalten würde. Doch dann rührte sich etwas hinter dem Wandschirm oben an der Treppe.

Man hörte die Dreiheit leise miteinander sprechen, ehe eine von ihnen schließlich die Stimme erhob. »So ein Befehl wurde nie gegeben. Genauso wenig wie wir jemals die Hinrichtung eines Inkubus verlangt haben.«

Dev sah mit finsterer Miene nach oben, und sein Zweifeln an diesen Worten stieß ihm wie bittere Galle auf. Es stimmte. Ihm fiel nicht ein einziges Mal ein, bei dem ein Inkubus auf Geheiß der Priesterinnen im Laufe ihrer dreihundertjährigen Amtszeit ermordet worden war. Jemanden in den berüchtigten Kerker der Verdammten zu werfen entsprach da schon eher ihrer Art. Und trotzdem spürte er eine Lüge in ihrer Antwort.

Den Beweis für diese Lüge hielt er in der Hand. Das scharf geschliffene Klingenstück aus Obsidian fühlte sich wie ein Eisklumpen an.

»Wollt Ihr damit sagen, dass die Klingenkriegerin, die meinem Bruder mit dieser Waffe an die Kehle ging, es aus eigenem Antrieb tat? Oder noch unvorstellbarer … gegen die Regeln dieser hohen Kammer?«

Das wäre etwas noch nie Dagewesenes … und weder wahrscheinlich noch möglich angesichts der Ergebenheit der Nephilim-Kriegerinnen gegenüber der Dreiheit.

Die Priesterinnen hinter dem dünnen Schirm atmeten leise aus. Die Missbilligung, die in diesem Seufzer mitschwang, war kaum zu überhören. In der kurzen Stille, die folgte, war ihre Verachtung deutlich spürbar.

»Euer Eindringen hier ist unerwünscht, Master Gravori. Ebenso wie Eure Anschuldigungen.«

Dev schnaubte. Dass die Dreiheit seinen Vorwurf als Beleidigung auffasste, ließ ihn unbeeindruckt. »Sagt mir, warum mein Bruder ermordet worden ist.«

»Wenn Ihr meint, dass Eurem Haus Unrecht widerfahren ist, empfehlen wir, dass Ihr Euch an das Oberhaupt wendet –«

»Das Oberhaupt«, höhnte Dev. Der Versuch der Dreiheit, ihn abzuwimmeln, ließ neuen Zorn in ihm aufsteigen. »Ihr wisst verdammt genau, dass meinem Ersuchen niemals stattgegeben werden wird. Wie viele Jahre ist es jetzt her, dass ihn überhaupt jemand gesehen hat?«

»Ihr habt unsere Antwort.« Kurze Worte, die vor Verärgerung scharf klangen. »Damit ist die Sache für uns erledigt.«

»Da täuscht Ihr Euch aber.« Dev kochte vor Wut.

Er konnte den lauten Schrei, der aus ihm hervorbrach, nicht zurückhalten. Er riss den Arm zurück und schleuderte das abgebrochene Stück des Obsidiandolches gegen den Wandschirm oben an der Treppe. Es knallte gegen die geschnitzte, angemalte Wand aus Sandelholz, die zwischen ihm und der Dreiheit stand.

Hinter dem Wandschirm brach Panik aus.

Dev genoss ihre Angst. Obwohl er sie nie gesehen hatte, stellte er sich jetzt vor Schreck ganz bleiche Gesichter vor und Füße, die in Sandalen steckten, welche über den polierten Marmor stürzten, als die Priesterinnen Schutz suchend zurücksprangen.

»Klingenkriegerinnen!«, rief eine. »Nahiri, ergreif ihn!«

Eine schlanke, starke Hand packte sofort Devs Arm, und die rasiermesserscharfe Kante kalten Obsidians legte sich warnend unter sein Kinn.

Er begegnete dem Blick aus dunklen Augen, die ihn mit unerschütterlicher Entschlossenheit aus dem liebreizenden Gesicht der höchsten Wächterin des Tempels ansahen. Sollte er auch nur durch ein leises Zucken seine Absicht kundtun, der Dreiheit etwas antun zu wollen, würde diese exotische Schönheit – Nahiri – ihm an Ort und Stelle die Kehle aufschlitzen.

Er wollte sie dafür nicht bewundern, aber er konnte trotzdem nicht umhin, sie mit den jetzt schmalen Rehaugen und dem zum Angriff bereiten angespannten Körper noch attraktiver zu finden.

Sie ging völlig in ihrer Aufgabe auf und gab nichts von ihren Gefühlen preis.

Sie war in höchstem Maße gefährlich … daran hegte Dev keinen Zweifel.

Doch sie brauchte sich keine Sorgen zu machen. Obwohl er vor Wut raste, würde Dev die Dreiheit trotzdem nicht angreifen.

Es war eine Sache, in den Audienzsaal zu stürmen und Antworten zu verlangen, doch eine ganze andere, zum Schlag gegen das Allerheiligste der Nephilim auszuholen.

Die Reiche der Inkubi und der Nephilim hatten bereits vor Jahrhunderten einen grausamen Krieg gegeneinander geführt. Er würde ganz gewiss nicht derjenige sein, der hier und jetzt für einen erneuten Zusammenstoß zwischen ihren Völkern sorgte.

Aber er würde nicht gehen, ohne sich nicht zumindest eine gewisse Genugtuung verschafft zu haben.

»Damit ist es längst nicht vorbei«, warnte er. »Ich werde herausfinden, wer meinen Bruder umgebracht hat und warum. Ich werde nicht eher ruhen, bis ich die Antworten habe. Und ich schwöre Euch … der Schuldige wird sich nicht lange verstecken können, egal wer es ist.«

Dev sah in Nahiris entschlossen funkelnde rehbraune Augen. Sie musste sich anstrengen, den Dolch weiter an seine Kehle zu drücken, während sie einen verzweifelten, inneren Kampf gegen den Schwall sexuellen Drängens führte, den er jetzt mit voller Absicht auf sie richtete. Dieses Mal setzte er sie einer noch viel stärkeren Zurschaustellung seiner Macht aus. Ihre vollen rosigen Lippen öffneten sich mit einem Stöhnen, als er ihren Geist und ihre Sinne mit Erregung, mit heftigem Verlangen überflutete.

Sie war stark, aber er war stärker.

Und in ihm war kein Erbarmen.

Nur Wut.

Nur Trauer und das Verlangen, jemanden büßen zu lassen.

Bis die Dreiheit bereit war, ihren Anteil an der Ermordung von Marius zu gestehen, sollten auch sie spüren, was ein Verlust bedeutete.

Dev legte die Finger um Nahiris Handgelenk und zog die Waffe ohne große Anstrengung von seiner Kehle weg. Während er ihren Arm umklammerte, kam ihm plötzlich ein böser Gedanke. Ein finsterer Gedanke, der ein Feuer in seinem Blut entzündete, dessen Flammen schneller hochschlugen, als er es wieder unter Kontrolle bringen konnte.

»Da dieser Tempel sein verdammtes Gleichgewicht so sehr schätzt«, knurrte er, »scheint es mir nur angemessen, Euch etwas Kostbares zu nehmen.«

»Ihr werdet es nicht wagen –«, keifte eine der Dreiheit wütend.

Doch das hatte er bereits.

Dev hielt Nahiri, die völlig unter seinem Bann stand, fest umklammert, als er sich entmaterialisierte und die von den Nephilim-Priesterinnen am meisten geschätzte Klingenkriegerin mit sich nahm.

4

Nahiri erwachte auf einem großen Bett in einem ihr fremden Zimmer.

Mit einem Ruck kam sie hoch, kaum dass sie sich wieder an alles erinnerte, und die Hände gingen automatisch zu den Waffen. Sie waren fort.

Die Scheiden aus Leder, die sie kreuzweise um den Leib geschlungen trug, waren leer.

Nein. Das bedeutete, dass ihr Albtraum nicht nur ein Traum gewesen war. Alles war wirklich passiert.

Der Inkubus im Tempel … Devlin Gravori.

Er hatte sie tatsächlich mitgenommen.

Voller Panik riss Nahiri die Augen auf. Am anderen Ende des Raumes fiel Sonnenlicht durch ein offenes Fenster und schien ihr voll in die Augen.

Geblendet kniff sie die Augen zusammen und versuchte, sich unter gesenkten Lidern einen schnellen Eindruck von ihrer Umgebung zu verschaffen.

Sauber verputzte Wände, ein dunkler Holzfußboden und eine männlich aussehende Einrichtung. An der Decke schwere Holzbalken.

Unter ihr ein riesiges Bett. Die Matratze war so weich wie eine Wolke, und das Baumwolllaken mit den in Seide gehüllten Decken darüber ließ einen unwillkürlich auf sündige Gedanken kommen.

Die Luft war erfüllt vom Duft faszinierend exotischer Gewürze und etwas noch Verlockenderem.

Ihm.

Sie spürte seine Anwesenheit, noch ehe sie den Kopf in seine Richtung drehte und feststellte, dass er in einem Polstersessel neben dem Bett saß. Nein, er saß eigentlich nicht einfach da. Er vereinnahmte ihn. Genau wie er jeden Raum vereinnahmte, in dem er sich aufhielt.

Er ruhte locker entspannt in dem Sessel, die kräftigen Beine lang ausgestreckt, ein Arm auf der Sessellehne ruhend, den anderen aufgestützt, um den Kopf zu halten, wobei die geschlossene Hand unter seinem kantigen Kinn lag.

Er hatte sich irgendwann seines Jacketts entledigt und hatte jetzt nur noch die graue maßgeschneiderte Hose und das weiße Oberhemd an. Der Kragen stand jetzt weiter offen, als sie in Erinnerung hatte. Das Hemd war nur einen Knopf mehr auf, aber dadurch wurde genug von seiner gebräunten Haut entblößt, um ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen zu lassen, weil sie plötzlich den unzüchtigen Drang verspürte, von ihm zu kosten.

Sie wollte diesen Impuls gern als etwas abtun, das er ihr eingegeben hatte, doch an der lässigen Art, wie er sie musterte, konnte sie erkennen, dass die Neugier, die sie in diesem Moment verspürte, aus ihr selbst kam.

Nahiri krabbelte vom Bett herunter. Sie zog sich in die von ihm am weitesten entfernte Ecke zurück und sah ihn argwöhnisch an. »Wo bin ich? Wo haben Sie mich hingebracht?«

»Du bist im Gravori-Haus.« Er ließ seinen Blick entspannt durch das Zimmer wandern. »Genauer gesagt befindest du dich in meinem Schlafzimmer.«

Obwohl sie sich das schon selbst hätte zusammenreimen können, schlug ihr das Herz plötzlich bis zum Hals. Seit sie mit achtzehn in den Tempel gekommen war, um zur Klingenkriegerin ausgebildet zu werden, hatte sie das Gelände des Heiligtums nicht ein einziges Mal wieder verlassen und davon abgesehen natürlich noch nicht einmal eine Minute im Schlafzimmer eines Mannes verbracht.

Sie mochte zwar eine Jungfrau sein, aber ein verhuschtes kleines Etwas war sie nie gewesen. Sie war eine erwachsene Frau. Eine erfahrene Kämpferin. Sie war nicht bereit, sich von ihm einschüchtern zu lassen.

»Es war keine gute Idee, mich aus dem Tempel zu entführen«, teilte sie ihm mit. »Die Dreiheit wird Sie dafür bestrafen, Inkubus, egal was Sie mir antun wollen. Und ob nun mit oder ohne meine Waffen bin ich doch nach wie vor eine Klingenkriegerin. Ich werde Sie bis zum letzten Blutstropfen bekämpfen.«

»So wie du es im Audienzsaal getan hast?«

Ihre Wangen wurden ganz heiß, als er sie daran erinnerte … an die demütigende Situation. Sie hatte sich mit ihrer Schwäche vor den anderen Klingenkriegerinnen, vor den drei Priesterinnen, die ihr ihr Leben anvertraut hatten, blamiert … die geglaubt hatten, dass sie die Beste, die Stärkste unter den Kriegerinnen war.

Und der Dämon hatte dies von einem Moment auf den anderen widerlegt.

Er würde es wieder tun, wenn ihm der Sinn danach stand. Er konnte alles mit ihr machen, was er wollte. Nahiri erkannte dies am Funkeln seiner goldenen Augen.

Nein, bei all ihren Fähigkeiten, bei aller Hingabe zu den Lehren des Tempels und zu ihrer Ausbildung – Devlin Gravori konnte sie jederzeit, wenn ihm der Sinn danach stand, vernichten.

»Ich will nicht gegen dich kämpfen«, sagte er leise, als wüsste er, welche Richtung ihre Gedanken genommen hatten.

Sie schluckte und beobachtete, wie er sie quer durch den Raum anstarrte. Er rührte sich nicht, und trotzdem zitterte sie am ganzen Körper, als würden seine Hände bereits genauso heiß wie sein Blick über sie gleiten. All die verruchten, abartigen Dinge, die sie je über die Gelüste der Inkubi gehört hatte, stürmten plötzlich in einer Woge aus Angst und schrecklichen Vorahnungen auf sie ein.

»Und falls du dir Sorgen machen solltest – ich bin auch nicht daran interessiert, dich zu vergewaltigen«, meinte er mit gedehnter Stimme, wobei sein sinnlicher Mund sich verzog, als er die Worte mit seiner tiefen, sonoren Stimme aussprach. »Eine Frau zu zwingen entspricht nicht der Art und Weise eines Inkubus. Und auf jeden Fall ist es noch nie meine Art gewesen.«

Nahiri hob das Kinn. »Nein, eher werden Sie meinen Willen so lange beugen, bis ich mich füge … oder mich zu Ihrer Lustsklavin machen, sodass Sie von meiner Lebenskraft zehren können. Vielleicht verwirren Sie mir aber auch so sehr den Geist, dass ich Sie am Ende anflehe, mich ganz auszusaugen. Ich glaube, das würde mehr Ihrer Art entsprechen.«

»Es gibt viele Frauen«, brummte er – und es schwang Erheiterung in seiner Stimme mit –, »die nur zu gern meine Bedürfnisse stillen – alle meine Bedürfnisse.«

Wie es mit Zusicherungen so war, trug seine nicht gerade dazu bei, sie zu erleichtern. Er legte die Fingerspitzen unter dem Kinn zusammen und musterte sie mit seinen bernsteinfarbenen Augen. Nahiri konnte kaum atmen. Seine fast schon greifbare Energie legte sich schwer auf sie, doch sie empfand sie jetzt anders als im Tempel.

Er hielt seine dämonische Verführungskraft jetzt zurück. Sie spürte nur die Hitze, die über ihre Glieder glitt und ihr Blut entflammte. Er faszinierte sie, beunruhigte sie gleichzeitig aber auch.

Der Himmel stehe ihr bei, doch er führte sie in Versuchung.

Obwohl er Angst in ihr auslöste und sie wütend machte, weckte er doch zur gleichen Zeit ein gefährliches Verlangen in ihr.

Und er wusste es.

So wie er sie ansah, wusste er ganz genau, dass sie sich gegen eine Anziehungskraft wehrte, die sie unbedingt leugnen wollte.

Eine seiner schwarzen Augenbrauen zuckte fast unmerklich. »Wenn ich dich zu meiner Geliebten machen wollte, Nahiri, oder zu meiner Lustsklavin, um meinen Hunger an dir zu stillen, würde ich keine Gewalt anwenden oder Inkubus-Magie zu Hilfe nehmen müssen.«

Das Zusammenspiel ihres Namens aus seinem Munde und der schrecklichen Wahrheit, die er aussprach, ließ ihr Herz einen Schlag aussetzen. Es klopfte ganz flach und beschleunigte sich mit ihren Atemzügen.

Die ganze Zeit versuchte sie auszublenden, wie sein Blick jeden Zentimeter ihres Körpers abtastete und sich dann auf ihren Busen legte, der sich mit jedem schnellen Luftholen hob und senkte.

Er kam aus dem Sessel hoch und stand einen Moment lang einfach nur da. Als er sich schließlich in Bewegung setzte, war sein ruhiger Schritt gemessen. Er strahlte ein solches Selbstvertrauen aus, als wären Zweifel etwas, womit er sich im Zusammenhang mit Frauen noch nie befasst hatte.

So was in der Art hatte er ihr ja auch gerade mitgeteilt, also sollte seine Arroganz sie eigentlich nicht weiter verwundern.

Nahiri stand wie erstarrt da, als er sich näherte und seine muskulösen Oberschenkel ihn wie einen Jäger auf Beutefang langsam durch den Raum trugen. Eine Armlänge von ihr entfernt blieb er stehen.

»Warum haben Sie mich hergebracht?«, fragte sie und registrierte dankbar, dass das Zittern ihres Körpers sich nicht auf ihre Stimme ausgeweitet hatte. Keinen Moment lang konnte sie vergessen, dass sie es mit einem Dämon zu tun hatte. »Was wollen Sie von mir?«

Sein sinnlicher Mund verzog sich nachdenklich. »Das habe ich mir noch nicht überlegt. Aber lass mich eines klarstellen, kleine Klingenkriegerin. Du magst dich zwar der Dreiheit und ihrem ach so kostbaren Tempel verpflichtet haben, doch in diesem Haus bin ich der Herr. So lange, wie du dich unter diesem Dach befindest, wirst du mir gehorchen. Ab jetzt liegt dein Wohlergehen, dein Leben … alles … in meiner Hand.«

In ihr sträubte sich alles, und Wut schoss wie ein Flammenstrahl in ihr hoch. Sie hieß den Zorn willkommen. Er half, das Verlangen, das immer noch in ihr schwelte, in den Hintergrund zu drängen, dieses unerwünschte Verlangen, das sie niemals eingestehen würde – vor allem nicht gegenüber diesem anmaßenden Ungläubigen.

Devlin Gravori war verrückt, wenn er meinte, dass sie in ihm jemals etwas anderes als einen Entführer sehen würde.

Ihren Feind.

Und das konnte er ebenso gut gleich jetzt wissen.

Nahiri zog die Lippen zurück und bedachte ihn mit einem grimmigen Lächeln. Sie nahm eine Angriffshaltung ein und war bereit, sich auch ohne Waffen auf einen Kampf mit ihm einzulassen. »Ich würde lieber sterben, ehe ich Ihnen irgendetwas gebe. Bereitwillig oder mit Gewalt. Eher würde ich Sie umbringen.«

Er sah sie mit finsterer Miene an, als sie ihm diese Worte ins Gesicht zischte. Als er die Hand hob, war sie davon überzeugt, dass er sie schlagen würde.

Doch stattdessen legte sich seine große, warme Hand von hinten um ihren Hals. Er hielt sie mit festem Griff und brachte sein Gesicht erschreckend nah an ihres heran.

Als er sprach, klang seine Stimme rau, als hätte er Schmirgelpapier im Mund. »Sei vorsichtig mit deinen Drohungen, Nahiri. Das sind gefährliche Worte. Insbesondere wenn meine Verwandten bereits den Verlust eines Bruders betrauern, der durch die Hand von einer von euch zu Tode gekommen ist.«

Gebannt starrte sie in seine wütenden goldenen Augen und war wie gelähmt von der Macht, die sie darin sah … von dem Schmerz und der Wut, die seine schönen Gesichtszüge verhärteten und seinen sinnlichen Mund ganz schmal hatten werden lassen.

»Auf der anderen Seite dieser Schlafzimmertür befindet sich ein Dutzend von meinen Inkubi-Brüdern und -Cousins, die versucht sein könnten, sich deine Drohungen gegen mich zu Herzen zu nehmen. Sie könnten auch zu anderen Dingen versucht sein. Aber nicht solange du unter meinem Schutz stehst. Keiner nimmt sich, was mir gehört.«

Während er sprach, glitt sein Blick zu ihrem Mund. Er verweilte dort, und plötzlich konnte Nahiri kaum mehr schlucken, weil ihr Mund völlig ausgetrocknet war. Ihre Lippen kribbelten unter seinem durchdringenden Blick und sehnten sich danach, berührt zu werden. Ihre Schläfen pochten im Gleichklang mit ihrem Herzen. Es war ein immer lauter werdendes, stetes Dröhnen, das auf der kurzen Distanz zwischen ihrem und seinem Körper einen Widerhall zu erzeugen schien.

Alles Weibliche in ihr war völlig gebannt von diesem Mann – diesem finsteren, gefährlichen Dämon – und dem sündigen Verlangen, das er in ihr entfachte.

»Du wirst mir gehorchen«, raunte er, und der Befehl streichelte ihre Sinne wie Samt, wo sich ihr doch alle Haare hätten sträuben müssen. »Ab jetzt, Klingenkriegerin Nahiri, gehörst du mir.«

Er wollte sie küssen.

Zum Kuckuck noch mal, er wollte noch viel mehr als das mit Nahiri machen, und angesichts seines lodernden Verlangens traute er sich nicht, auch nur eine Sekunde länger hier mit ihr allein zu sein.

Ein Inkubus lebte von der Lust. Sex machte sein ganzes Wesen aus … er versorgte ihn mit Energie wie einen Menschen die Nahrung. Doch es war nicht diese körperliche Notwendigkeit, die ihn in Gegenwart der herrlichen Nephilim befiel, welche unter seinem Gewahrsam stand.

Es war Lust … reine, schlichte Lust.

Schmerzhaft intensive, pure, verzehrende Lust.

Er mochte sich vielleicht etwas darauf einbilden, sich von einer Frau nie etwas genommen zu haben, was diese nicht freiwillig gab, doch sein Körper hatte da ganz andere Vorstellungen, wenn es um Nahiri ging.

Ganz und gar verführerische Vorstellungen, ruchlose Vorstellungen durch und durch.

Deshalb fand Dev sich auch gleich darauf auf der anderen Seite der geschlossenen Schlafzimmertür wieder. Er stand da mit einer riesigen Erektion und kurz davor durchzudrehen.

Ramiel hatte diesen Moment gewählt, um vom anderen Ende des Flurs auf ihn zuzukommen. Er blieb wie angewurzelt stehen, als er Devs wütende Miene bemerkte.

Der Wächter grinste spöttisch. »Und jetzt sag mir, dass es kein Fehler gewesen ist, die Frau hierherzubringen.«

Dev gab nur ein wortloses Knurren von sich. Ram war völlig fassungslos gewesen, als Dev sich mit einer verzauberten, bewusstlosen Klingenkriegerin im Schlepptau aus dem Tempel herausteleportiert hatte.

Er hatte Dev bedrängt, noch einmal zu überdenken, was ihn dazu getrieben hatte, sich Nahiri als Pfand zu greifen, damit der Gerechtigkeit im Zusammenhang mit Marius’ Ermordung auch wirklich Genüge getan wurde. Aber Devs Entschluss hatte festgestanden. Er wollte die Dreiheit nicht damit durchkommen lassen, ihm neben dem Mord, bei dem sie seiner Ansicht nach gewiss ihre Finger mit im Spiel gehabt hatten, auch noch dreist ins Gesicht zu lügen.

Die Dreiheit hatte heute auch erfahren sollen, was Schmerz war.

Sie hatte es verdient, ebenfalls so etwas wie einen Verlust zu erleiden.

Was Nahiri anging … ihr einziger Fehler war gewesen, das Pech zu haben, ins Fadenkreuz seines Zorn geraten zu sein.

Nicht dass er Mitleid mit der Klingenkriegerin gehabt hätte.

Nein, im Moment stand Mitleid ziemlich weit unten auf der Liste der Dinge, die er für sie empfand.

Er trat von der geschlossenen Tür weg, um zu seinem Leibwächter am anderen Ende des Flurs zu gehen. Die beiden Inkubi begaben sich gemeinsam nach unten ins Erdgeschoss des Hauses.

»Soll ich einen meiner Männer abstellen, deine Gefangene zu bewachen?«

Dev warf Ram einen finsteren Blick zu. »Das ist nicht notwendig. Sie wird nicht versuchen zu fliehen.«

»Wie kannst du dir da so sicher sein?« Ram sah ihn mit fragend hochgezogenen Augenbrauen von der Seite an. »Was hast du getan? Ihr gedroht, ihren niedlichen Nephilim-Hintern wie eine Leckerei vor allen Inkubi der Festung baumeln zu lassen? Ich kann mir lebhaft vorstellen, was für einen nicht zu bezähmenden Hunger das bei allen auslösen würde.«

Die Vorstellung ließ Devs ohnehin schon explosive Stimmung noch weiter hochkochen. Er sah den Hauptmann seiner Garde finster an. »Keiner wird sie anrühren! Verstanden? Keiner. Aber das braucht sie nicht zu wissen. Alles, was sie wissen muss, ist, dass sie ganz und gar meiner Gnade ausgeliefert ist, solange sie sich in meinem Gewahrsam befindet.«

Ram nickte, musste aber schnauben, als er ein leises Lachen nicht unterdrücken konnte. »Der Gnade von Devil Gravori ausgeliefert. Ist ihr klar, dass das noch gefährlicher ist, als einer Horde sexhungriger Inkubi gegenüberzutreten?«

Dev brummte nur, während er durch den Wohnbereich der weitläufigen Villa im mediterranen Stil vorausging. Die meisten Bewohner des Hauses nahmen gerade das Mittagessen im sonnigen Hof zu sich. Seine Brüder und Cousins saßen still an großen Tischen, die im gepflasterten Patio aufgestellt worden waren, während die Gravori-Kinder – ein halbes Dutzend Inkubi-Jungen und ein paar Nephilim-Mädchen, also die Nachkommenschaft der Familienmitglieder, die sich gebunden hatten – laut jauchzend Fangen in dem Irrgarten aus hohen Buchsbäumen spielten.

Devs Blick ruhte vor allem auf einem flachsblonden Jungen. Der Fünfjährige sprang mit einem Jubelschrei auf einen großen Stein und strahlte triumphierend, als er sich zum Sieger erklärte. Ein paar von den anderen Jungen hüpften hoch, um ihn vom Siegerpodest zu stoßen, und purzelten dabei alle zu Boden, um gleich darauf unter wildem Geschrei und Scheinringkämpfen weiterzutoben.

»Ich gehe davon aus, dass Kai und den anderen Kindern noch nichts über Marius gesagt worden ist.«

Ram schüttelte den Kopf. »Arionn hält es für das Beste, wenn du es als Erstes dem Jungen sagst. Dann wird er die anderen Kinder zu sich holen und allen zusammen die Situation erklären.«

Dev sah zu seinem Bruder hinüber, der eine Gefährtin hatte. Es gab Momente, in denen ihn das Gefühl beschlich, dass der ruhige und ausgeglichene Ari besser geeignet wäre, als Oberhaupt dem Hause Gravori vorzustehen. Er war auf jeden Fall besonnener und besaß das zum Herrschen notwendige Mitgefühl. Ari hatte zwar versucht, den Sitz einzunehmen, doch stattdessen war er Devlin zugefallen.

Was seine anderen Brüder anging – Bannor, Naell und Zaban –, hatte von denen keiner die Verantwortung übernehmen wollen, die mit der Führung einherging. Vor allem nicht Zaban.

Und wenn es im Haus einen Inkubus gab, den Nahiri genauso fürchten musste wie Dev, dann war es das schwarze Schaf ihres Dämonenclans, ein ausgewiesener Wüstling.

»Es wundert mich, dass Zaban heute hier ist«, meinte Dev leise. »Es ist doch sonst nicht seine Art, hier herumzuhängen, wenn es brenzlig wird.«

Ram zuckte mit den Achseln. »Offensichtlich trauert auch er um Marius. Ari hat mir erzählt, dass Zaban bis nach den Riten bleiben wird.«

»Wie großzügig von ihm«, brummte Dev, während sein Blick mit dem seines dunkelhaarigen jüngeren Bruders zusammenprallte, der ihm ernst über den Rand eines mit blutrotem Wein gefüllten Glases zunickte. Er wandte den Blick von Zaban ab, ohne dessen Gruß zu erwidern.

Die Kinder spielten immer noch im Garten und lachten fröhlich. Dev sah Marius’ einzigen Nachkommen voller Mitleid an. Das Gesicht des kleinen, im Harem geborenen Jungen strahlte vor Freude. Er ahnte nicht, welch schreckliche Nachricht ihn erwartete. »Bring Kai zu mir, sobald er mit dem Spielen fertig ist. Ich bin in meinem Arbeitszimmer und bereite alles für morgen Abend vor.«

5

Nahiri sah ihren dämonischen Entführer den restlichen Tag und auch die ganze folgende Nacht nicht mehr.

Sie hatte die verführerische Bequemlichkeit des Bettes – seines Bettes – gemieden und stattdessen die Nacht zusammengerollt auf dem Holzfußboden verbracht. Dabei hatte sie ihr Bestes gegeben nicht einzuschlafen, falls er beschließen sollte, in sein Schlafzimmer zurückzukommen, um womöglich doch noch eine seiner beunruhigenden Drohungen in die Tat umzusetzen.

Zwar wusste sie, dass sie vor allen Inkubi hier in dieser fremden, feindlichen Umgebung Angst haben sollte, doch es war Devlin Gravori, vor dem sie sich am meisten fürchtete.

Nicht, weil sie vor dem Angst hatte, was er ihr vielleicht antun könnte …

Sondern weil sie tief im Innern zu ihrem großen Entsetzen fürchtete, dass er recht gehabt haben könnte: Wenn er sie zu seiner Geliebten machen wollte, würde er weder brutale Gewalt noch die Tricks eines Inkubus’ anwenden müssen, um sie dazu zu überreden.

Seine Worte hatten sie die ganze Nacht verfolgt.

Auch am nächsten Morgen bedrückten sie sie immer noch, als die Schlafzimmertür ohne ein Anklopfen oder eine andere Vorwarnung aufging und der arrogante, beunruhigend attraktive Dämon hereinspaziert kam.

Wenn überhaupt möglich wirkte seine finstere Miene heute noch einschüchternder.

Nahiri sprang auf und warf ihren langen Zopf nach hinten, während sie ihn argwöhnisch musterte. Sein gut aussehendes Gesicht wirkte heute noch angespannter, die kantigen Gesichtszüge unversöhnlich. Tiefe Linien hatten sich zu beiden Seiten seines sinnlichen Mundes eingegraben. Dunkle Schatten lagen unter seinen atemberaubend gelb schimmernden Augen.