Erwischt: ein neuer Fall für Theo Boone - John Grisham - E-Book

Erwischt: ein neuer Fall für Theo Boone E-Book

John Grisham

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Beschreibung

Theo Boone, der jüngste Anwalt aller Zeiten, ist zurück!

Woody, ein guter Freund von Theo, steckt in ernsthaften Schwierigkeiten: Gemeinsam mit seinem älteren Bruder und einem dritten Jungen wird er verhaftet. Die Anklage lautet: bewaffneter Raubüberfall! Dass es nur eine Wasserpistole war und Woody die ganze Zeit im Auto saß, interessiert niemanden. Woody und sein Bruder werden eingesperrt und bekommen es im Gefängnis plötzlich mit echten Verbrechern zu tun. Jetzt sind Theos ganzer Mut und Kampfgeist gefragt …

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Seitenzahl: 235

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Buch

Eigentlich wollen Tony und Garth einfach nur ein bisschen durch die Gegend fahren. Doch Woody, Tonys jüngerer Bruder, der die beiden begleitet, hat von Anfang an kein gutes Gefühl. Als Garth dann mit einer Wasserpistole in der Hand einen kleinen Laden überfällt, bestätigt sich Woodys böse Vorahnung. Alle drei werden verhaftet, auch Woody, obwohl er einfach nur im Auto sitzengeblieben ist. Prompt landen Woody und sein Bruder in Untersuchungshaft, mit einem sehr unangenehmen Zellengenossen. Nur Theo Boone, Tonys guter Schulfreund, kann jetzt noch helfen! Doch welche Chance hat er gegen Garth, der sich den besten Verteidiger leisten kann und Tony und Woody belastet?

Wenn der Kontostand über Recht und Unrecht entscheidet, dann ist es gut, einen Freund wie Theo Boone zu haben!

Autor

John Grisham hat über dreißig Romane geschrieben, die ausnahmslos Bestseller sind. Zudem hat er ein Sachbuch, einen Erzählband und sieben Jugendbücher veröffentlicht. Seine Bücher wurden in mehr als vierzig Sprachen übersetzt. Er lebt in Virginia.

John Grisham

Ein neuer Fall für

Theo Boone

Roman

Aus dem Amerikanischen von Imke Walsh-Araya

Die Originalausgabe erscheint unter dem Titel The Accomplicebei Dutton Children’s Books, Penguin Random House, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2019 by Boone & Boone, LLC

Copyright © 2020 der deutschen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle Rechte sind vorbehalten.

Redaktion: Silvia Schröer

Umschlaggestaltung: Eisele Grafik-Design, München, unter Verwendung eines Motivs Bigstock / jamesteoh; Shutterstock.com / OSTILL is Franck Camhi

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-26294-5V001

Für Margot Renée Linden.

Willkommen.

Pünktlich umfünf Uhr am Dienstagnachmittag entließ Major Ludwig Pfadfindertrupp 1440, und die Jungen liefen nach draußen zu ihren Fahrrädern. Wie immer blieb Theodore Boone einen Augenblick zurück, um sich vom Major zu verabschieden. Dann ging auch er nach draußen, wo es mittlerweile kühl geworden war, um wie geplant zur Anwaltskanzlei seiner Eltern in der Innenstadt zu fahren.

Am Fahrradständer sah er seinen guten Freund Woody Lambert und musste feststellen, dass Woody auch heute kein Lächeln zustande brachte. In letzter Zeit lächelte Woody überhaupt nicht mehr, was an sich kein Grund zur Besorgnis gewesen wäre, wenn Woody zumindest zu verstehen gegeben hätte, dass alles in Ordnung war und seinen normalen Lauf nahm. Stattdessen lief er mit einem langen Gesicht herum und sah aus, als würde er vom Leben kräftig gebeutelt. Als lasteten Probleme auf ihm, die zu schwer für einen Dreizehnjährigen waren.

Theo kannte ihn seit der vierten Klasse, als die Lamberts nach Strattenburg gezogen waren. Die Verhältnisse bei Woody zu Hause waren schwierig. Seine Mutter war zum zweiten oder dritten Mal verheiratet, und ihr aktueller Ehemann war häufig beruflich unterwegs. Woodys richtiger Vater hatte sich schon vor Jahren abgesetzt. Sein älterer Bruder Tony war einmal festgenommen worden und geriet zunehmend in Verruf. Theo vermutete, dass es bei den Lamberts ernste Probleme gab und Woody deswegen so unglücklich war.

»Komm wir gehen zu Guff’s Frozen Yogurt«, schlug Theo vor. »Ich lade dich ein.«

Woody schüttelte sofort ablehnend den Kopf und wirkte geradezu verärgert. »Nein, danke.«

Er hatte nie Geld und war zu stolz, um sich von Theo oder sonst jemandem einladen zu lassen. Theo wusste das seit Langem und kam sich vor wie ein Idiot, weil er es angeboten hatte.

»Alles in Ordnung bei dir?«, fragte Theo.

»Bestens«, sagte Woody und stieg auf sein Rad. »Wir sehen uns.«

»Ruf mich an, wenn du was brauchst«, rief Theo ihm nach, als er davonfuhr. Woody antwortete nicht.

Eigentlich wollte Woody auf keinen Fall nach Hause, wo vermutlich sowieso niemand war. Seine Mutter hatte zwei Teilzeitstellen und bediente dienstags in einem Lokal in der Nähe der Universität. Ihr Ehemann, Woodys Stiefvater, arbeitete auf dem Bau und verdiente zeitweise sehr gut, hatte aber keine regelmäßige Beschäftigung. Sein aktueller Einsatzort lag zwei Stunden von Strattenburg entfernt, und Woody hatte ihn seit einem Monat nicht gesehen. Sein Bruder Tony ging in die zehnte Klasse der Strattenburg High, würde aber wohl durchfallen, die Schule abbrechen oder wegen schlechter Noten und ständigen Schwänzens von der Schule fliegen. Tony war das alles egal.

Woody stellte sein Rad unter dem Dach des Carports ab, ging durch die nicht abgeschlossene Tür in die Küche, rief nach Tony und war froh, als keine Antwort kam. Er war viel allein, und das war gar nicht so übel, weil er machen konnte, was er wollte: Computer spielen, fernsehen, seine Hausaufgaben machen oder seine Elektrogitarre einstöpseln und ein Stündchen üben. Die Hausaufgaben standen ganz unten auf seiner Liste. Seine Noten wurden immer schlechter, und die Lehrer wollten wissen, woran das lag, aber zu Hause schien das keinen zu interessieren.

Es war ja auch selten jemand da.

Theo stellte sein Rad vor der Hintertür der Kanzlei Boone & Boone ab, deren Büros in einem umgebauten alten Wohnhaus untergebracht waren, das seine Eltern lange vor seiner Geburt gekauft hatten. Die Tür führte direkt in Theos eigenes kleines Büro, wo er sofort von Judge begrüßt wurde, seinem treuen Hund, der seit Stunden auf ihn wartete. Judge verbrachte den ganzen Tag in der Kanzlei, schlief hauptsächlich und bettelte um Futter. Er streifte lautlos durch die Räume und döste zwischendurch ein Stündchen in einem seiner Körbchen, bevor er zum nächsten wanderte. Er besaß mindestens vier Körbchen, drei unten und eines oben, aber am liebsten war ihm das weiche Hundebett unter Theos Schreibtisch. Jeden Nachmittag ging Judge in Theos Büro und wartete dort, bis sein bester Freund aus der Schule kam.

Theo tätschelte ihm den Kopf und redete kurz mit ihm, bevor die beiden loszogen, um alle anderen zu begrüßen. Vince, der Anwaltsassistent, war schon nach Hause gegangen, und die Tür zu seinem Büro war geschlossen. Dorothy, die Immobiliensekretärin, war schwer beschäftigt, erkundigte sich aber trotzdem, wie Theos Tag gewesen war. Die Tür zu dem großen Büro seiner Mutter war geschlossen, ein klarer Hinweis darauf, dass sie ein Mandantengespräch führte. Sie war Scheidungsanwältin und vertrat vor allem Frauen. Wenn eine vertrauliche Besprechung stattfand, war die Atmosphäre meist recht angespannt. Zu klopfen kam für Theo nicht infrage.

Scheidungsanwalt wollte er bestimmt nicht werden. Obwohl er erst dreizehn war, war er fest entschlossen, entweder ein brillanter Prozessanwalt zu werden, der als Bester im Staat nur die ganz großen, wichtigen Fälle übernahm, oder aber ein berühmter Richter, der die Verhandlungen in diesen Verfahren leitete und für seine Weisheit und seinen Gerechtigkeitssinn geschätzt wurde. Die meisten seiner Freunde träumten von einer Karriere als Profisportler, Computergenie oder Gehirnchirurg, ein oder zwei wollten vielleicht Rockstars werden. Ganz anders Theo. Das Recht war seine Leidenschaft, und er träumte von dem Tag, an dem er endlich erwachsen war und dunkle Anzüge und einen edlen Aktenkoffer aus Leder sein eigen nannte. Allerdings waren seine Eltern der Meinung, er müsse zuerst die achte Klasse zu Ende bringen und dann die Highschool besuchen, um schließlich Jura studieren zu können. Er hatte mindestens noch zwölf Jahre Schule und Studium vor sich und wenig Lust auf diesen Stress. Manchmal war ihm jetzt schon alles zu anstrengend.

Über die Rezeption von Boone & Boone herrschte Elsa Miller, langjährige Empfangsdame, Sekretärin, Anwaltsassistentin, Beraterin, Schiedsrichterin und früher ab und zu auch Theos Babysitterin. Elsa machte alles, und zwar mit einer Begeisterung, die Theo häufig auf die Nerven ging.

Bei seinem Anblick hüpfte sie hinter ihrem Schreibtisch hervor, riss ihn an sich, umarmte ihn, zwickte ihn in beide Wangen und fragte dabei, wie sein Tag gewesen war. Es war die immer gleiche tägliche Routine.

»Schule war langweilig«, verkündete Theo, während er sich wand, um sich aus ihrer Umarmung zu befreien.

»Das sagst du immer. Und bei den Pfadfindern?«

Elsa kannte seinen Tagesablauf besser als er selbst. Wenn er einen Arzt- oder Zahnarzttermin hatte, stand er bei Elsa im Kalender. In Naturwissenschaften musste ein Referat abgegeben werden? Elsa erinnerte ihn daran. Ein Ausflug zum See mit den Pfadfindern? Elsa war informiert.

Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß, um sich zu vergewissern, dass sein Hemd zur Hose passte – auch das eine nervige Angewohnheit.

»Deine Mutter hat eine Mandantin da, aber dein Vater ist gerade frei«, sagte sie.

Sein Vater war immer frei und allein. Woods Boone war Immobilienanwalt und Pfeifenraucher, und der Qualm sorgte dafür, dass sich niemand aus der Kanzlei in die Nähe seines Büros im ersten Stock wagte.

»Denk dran, gleich deine Hausaufgaben zu machen.« Damit zog sich Elsa hinter ihren Schreibtisch zurück.

An jedem einzelnen Schultag seines Lebens erinnerten ihn mindestens drei Personen – sein Vater, seine Mutter und Elsa – daran, dass er seine Hausaufgaben erledigen musste. Das Ärgerliche war, dass Theo seine Hausaufgaben immer machte. Es war überhaupt nicht nötig, dass ihn jemand erinnerte. Seit er zur Schule ging, hatte er sie nicht ein einziges Mal vergessen, was ihm die ständigen Ermahnungen aber keineswegs ersparte.

Manchmal hätte er allen drei gern die Meinung gesagt, aber es war den Ärger nicht wert. Außerdem brachte es ohnehin nichts. Ein netter Junge zu sein bedeutete auch, über die Schwächen der Erwachsenen hinwegzusehen. Sie wiederholten Dinge gern, besonders sein Vater, und vor allem kleine Anweisungen, die Theo angeblich zu einem besseren Menschen machten. Putz dir die Zähne. Kämm dich. Iss dein Gemüse. Vorsicht mit dem Fahrrad im Straßenverkehr. Mach deine Hausaufgaben. Die Liste schien endlos.

»Wird erledigt«, sagte er deshalb einfach nur und ging zur Treppe. Judge folgte ihm auf den Fersen, und gemeinsam polterten sie die Treppe hoch. Sein Vater war dafür bekannt, dass er am späten Nachmittag gern ein Nickerchen hielt, und als netter Junge wollte Theo nicht einfach hereinplatzen, während er vor sich hin schnarchte.

Aber Mr. Boone war hellwach und in den üblichen Papierstapel auf seinem Schreibtisch versunken. Der schwere, intensive Geruch von Pfeifentabak, den Theo schon immer gemocht hatte, hing in der Luft.

»Hallo, Theo«, sagte sein Vater und blickte auf, als wäre er überrascht, obwohl sich diese Szene praktisch jeden Nachmittag wiederholte.

»Hallo, Dad.« Theo ließ sich auf den weichen Lederstuhl vor dem Schreibtisch plumpsen. »Bist du beschäftigt?«

»Beschäftigt?«, wiederholte Mr. Boone und wedelte mit den Armen in Richtung der Papierberge, als hätte er viel zu viele Mandanten. »Für dich habe ich immer Zeit. Wie war’s in der Schule?«

»Langweilig wie immer, aber bei den Pfadfindern hat’s Spaß gemacht. In zwei Wochen machen wir einen Ausflug zum See.«

»Ich weiß. Der Major hat mich eingeladen, aber diesmal geht es nicht.«

Das hatten sie schon mindestens dreimal besprochen.

»Dad, ich mache mir Sorgen.«

»Worum geht’s?«

»Um Woody. Er benimmt sich merkwürdig, als hätte er Kummer. Seine Noten werden immer schlechter, und die Lehrer haben ihn im Visier.«

»Probleme zu Hause?«

»Wahrscheinlich. Sein großer Bruder Tony treibt sich mit üblen Gestalten herum, schwänzt die Schule, kommt spät nach Hause und so, und Woody lässt sich leicht beeinflussen. Ihre Mutter hat mehrere Teilzeitjobs und ist nicht oft da. Der Stiefvater arbeitet in einer anderen Stadt, und Woody kann ihn sowieso nicht leiden. In zwei Wochen gehen wir zelten, und Woody will nicht mit, angeblich, weil er zu Hause Gartenarbeit erledigen muss. Wahrscheinlich hat er kein Geld für den Ausflug. Zurzeit ist er ständig pleite. Ich mache mir wirklich Sorgen.«

»Hat er viele Freunde?«

»Du kennst doch Woody, Dad. Er ist beliebt und wird in der Klasse respektiert, weil er sich nichts gefallen lässt. Wenn es irgendwo eine Prügelei gibt, hat Woody sie entweder angefangen, oder er greift ein und sorgt für Ordnung. Keiner will sich mit ihm anlegen, und er hat sich in seiner Rolle als knallharter Kerl ganz gut eingerichtet. Ich habe das Gefühl, er gerät auf die schiefe Bahn. Können wir nichts für ihn tun?«

»Du kannst sein Freund sein und mit ihm reden, Theo. Ihr seid doch immer gut miteinander ausgekommen. Sei ein positiver Einfluss. Motiviere ihn, zu lernen und seine Hausaufgaben zu machen. Sprich mit ihm darüber, wie es sein wird, wenn ihr beide nächstes Jahr zusammen auf die Highschool geht. Der Sport, die Mädchen an der Schule, die Footballspiele, die Klassenfahrten, all die spannenden Dinge, die euch erwarten.«

»Wenn du meinst. Du und Mom, ihr könnt nichts tun?«

»Ich rede mit ihr, und wir überlegen es uns, aber es kommt meist nicht gut an, wenn man sich bei anderer Leute Kindern einmischt. Wir haben schon alle Hände voll mit dir zu tun.« Er lachte, aber Theo war nicht zu Späßen aufgelegt.

»Danke, Dad. Ich mache mich besser an die Hausaufgaben.«

»Na klar, Theo. Und ich rede mit deiner Mutter.«

Theo und Judge gingen nach unten in Theos kleines Büro. Judge rollte sich auf seinem Bett zusammen und schlief sofort seelenruhig ein. Theo beneidete ihn. Was für ein Leben so ein Hund doch hatte. Schlafen, essen, gelegentlich Eichhörnchen und Kaninchen jagen – um mehr musste er sich nicht kümmern.

Es war schon dunkel, als Woody hörte, wie die Küchentür zuknallte. Er sah im Wohnzimmer fern und langweilte sich. Tony platzte mit einem breiten Grinsen herein. »Hallo, Kleiner, was treibst du?«

»Nichts. Hast du was von Mom gehört?«

»Nein. Dienstags arbeitet sie bis zehn.«

Tony ließ sich auf das Sofa fallen und schleuderte seine Sportschuhe von sich. »Was siehst du gerade?«

»Clint Eastwood. Ein alter Western.«

»Du ziehst dir das merkwürdigste Zeug rein. Hast du schon gegessen?«

»Es ist nichts zu essen da. Ich hab schon nachgesehen.«

»Ich muss heute Abend Pizza ausliefern. Komm doch mit, dann essen wir unterwegs.«

Pizza klang gut, obwohl es die in letzter Zeit oft gab. Tony arbeitete ein paar Stunden pro Woche für eine beliebte Pizzeria mit Lieferservice namens Santo und brachte eigentlich immer ein paar übrig gebliebene Stücke für ihn und Woody mit. Oft ließ er eine ganze Pizza Supreme mitgehen.

»In Ordnung«, sagte Woody, ohne sich von der Stelle zu rühren. Tony sprang vom Sofa, ging in sein Zimmer und kehrte Sekunden später in seinem roten Santo-Polohemd und mit der passenden roten Kappe auf dem Kopf zurück. Woody schaltete den Fernseher und das Licht aus, dann zogen sie los.

Tony fuhr einen kleinen Toyota-Pick-up, der eine Million Kilometer auf dem Buckel hatte und früher ihrem Stiefvater gehört hatte. Er war nichts Besonderes, und Mädchen konnte er damit nicht beeindrucken, aber etwas anderes hatten sie nicht. Zehn Minuten später fuhren sie auf den Parkplatz vor einer Ladenzeile, wo Tony den Wagen möglichst weit von Santo entfernt abstellte.

»Kopf einziehen«, sagte er beim Aussteigen.

»Ich weiß, ich weiß«, erwiderte Woody und rutschte auf seinem Sitz möglichst weit nach unten. Bei Santo war es verboten, Beifahrer mitzunehmen, der Chef verstand da keinen Spaß. Wer bei seiner Auslieferungstour mit einem Fahrgast erwischt wurde, wurde fristlos gekündigt. Tony verschwand im Restaurant und für Woody begann das Warten. Als er unauffällig aus dem Fenster spähte, sah er Studenten aus ihren Autos steigen und zu Santo gehen. Hübsche Mädchen, coole Typen, schnelle Autos. Woody fragte sich, ob er es je an die Uni schaffen würde. Er hatte seine Zweifel, machte sich mit seinen dreizehn Jahren aber auch keinen großen Kopf darum. In seiner Clique hatten nur Theo und vielleicht noch ein oder zwei andere Zukunftspläne. Woody liebäugelte damit, Feuerwehrmann zu werden, und konnte sich nicht vorstellen, dass er dafür ein Studium brauchte.

Ein Ping kündigte eine Nachricht von seiner Mutter an. Hast du Tony gesehen? Was isst du heute Abend?

Bei uns alles gut, schrieb Woody zurück. Pizza. Bei dir?

Alles okay, arbeite aber vielleicht bis elf. Ist das in Ordnung?

Klar.

Hausaufgaben erledigt?

Natürlich.

Nach seinen Hausaufgaben erkundigte sie sich nur, weil sie wusste, dass es von ihr erwartet wurde. Tatsächlich war Mrs. Lambert zu müde, um sich darum zu kümmern, wie ihre Söhne in der Schule zurechtkamen. Sie wusste, dass Tony oft schwänzte, weil die Schule dann bei ihr anrief, und es gab deswegen häufig Streit. Aber Tony gewann immer, weil seine Mutter einfach nicht die Energie hatte, ihm Grenzen zu setzen. Mit ihrem aktuellen Ehemann lief es nicht gut. Sie machte sich ständig Sorgen und schlief schlecht. Seine Mutter war immer müde und genervt, und Woody war beunruhigt. Mit dem, was sie mit ihren beiden Teilzeitstellen verdiente, und dem Wenigen, das ihr Ehemann beisteuerte, hielt sich die Familie gerade eben über Wasser.

Wie hätte Woody da von einem Studium träumen können? Für jemanden wie Theo war es einfach – mit Eltern, die beide Rechtsanwälte und offenbar glücklich verheiratet waren. Außerdem war Theo Einzelkind. Er war Woody seit vielen Jahren ein treuer Freund und würde es immer bleiben, aber manchmal beneidete Woody Theo insgeheim.

Tony kam mit dem knallroten Santo-Magnetschild heraus und befestigte es oben auf dem Toyota. »Dauert bloß noch ein paar Minuten.« Damit verschwand er wieder im Lokal. Woody sagte nichts. Zehn Minuten später kam Tony mit vier großen Pizzaschachteln zurück, die er auf die Bank zwischen ihnen legte. Es roch köstlich, und Woody war plötzlich am Verhungern. »Mach die oberste auf, das ist unser Abendessen«, sagte Tony, kaum dass sie losgefahren waren. »Würstchen und Pilze.«

Woody öffnete die Schachtel, gab Tony ein Stück und nahm sich selbst eins.

Sie aßen schweigend, während Tony – wie immer viel zu schnell – durch die engen Straßen rund um Stratten College flitzte. Ihr erster Halt war ein heruntergekommenes Doppelhaus, in dessen Vorgarten mehrere Fahrzeuge parkten. Tony überprüfte die Adresse, hielt auf der Straße und lief mit einer großen Pizza zur Haustür. Sekunden später war er zurück. »Der Typ hat mir einen Dollar gegeben«, schimpfte er. »Eine Pizza für zwölf Dollar und zu geizig für mehr als einen Dollar Trinkgeld. Studenten!« Sie rasten wieder los und hielten zwei Blocks weiter vor einer anderen heruntergekommenen Studentenbude. Noch ein Dollar Trinkgeld.

Aber sie hatten ihren Spaß, während sie durch das Straßenlabyrinth rund ums College sausten, laut Musik im Radio hörten, Pizza aßen und über die geizigen Studenten schimpften. Als die letzte Pizza ausgeliefert war, raste Tony zurück zu Santo, um die nächste Ladung zu holen. Das Restaurant war rappelvoll, und beim Lieferservice klingelte ununterbrochen das Telefon. Es war Essenszeit, und die Studenten hatten Hunger.

Mit quietschenden Reifen und einem Stapel warmer Pizzas zwischen ihnen fuhren sie wieder los. Normalerweise war es am Dienstag ruhig, aber Santo bot schlauerweise zwei Pizzas für den Preis von einer an, und das Geschäft lief bestens. Zwei Stunden lang fuhren Tony und Woody kreuz und quer durch den Westen von Strattenburg, wobei sie vor allem Studenten, aber auch ein paar schöne Einfamilienhäuser belieferten. Als es gegen neun Uhr ruhiger wurde, hatte Tony 27 Dollar Trinkgeld eingenommen, worauf er ziemlich stolz war. Er gab Woody einen Fünfdollarschein und sagte, seine Mutter würde einen Zehner bekommen. Woody bezweifelte das.

Sie hielten an einer Tankstelle mit Supermarkt am Stadtrand, weil sie Benzin brauchten. Jemand rief Tonys Namen, und ein Freund von Tony namens Garth kam aus dem Geschäft und auf sie zu. Da Tony tankte, konnte Woody nicht das gesamte Gespräch hören, aber er bekam mit, wie Garth sagte: »Lass uns ein bisschen durch die Gegend fahren. Ich habe Bier und einen vollen Tank.«

Garth fuhr einen getunten Mustang mit breiten Reifen und überdimensionalen Auspuffschalldämpfern – und er war bekannt dafür, dass er mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Stadt raste. Er war kein übler Kerl, er war sogar ziemlich beliebt, und hatte das hübscheste Mädchen zur Freundin, das Woody je gesehen hatte. Aber irgendwas störte Woody an Garth. Er wurde das Gefühl nicht los, dass Garths dunkle Seite jederzeit die Oberhand gewinnen und er eine Dummheit begehen könnte. Er war achtzehn, ein Jahr älter als Tony, aber das war nach amerikanischem Recht nicht alt genug, um Bier zu kaufen. Wenn er trotzdem welches hatte, war das kein gutes Zeichen. Tony tankte fertig und stellte den Pick-up neben dem Geschäft ab.

»Kommst du mit?«, fragte er Woody.

»Was soll ich sonst machen? Nach Hause laufen?«

»Komm schon. Wir fahren ein bisschen herum und sind noch vor Mom zu Hause.«

Die Stimme der Vernunft in Woodys Kopf sagte Nein. Steig bloß nicht zu Garth und Tony ins Auto. Im Collegeviertel herumfahren und Bier trinken ist eine ganz schlechte Idee und wird böse enden. Die nicht ganz so vernünftige Stimme in seinem Kopf war anderer Meinung. Stell dich nicht so an, sagte sie. Ein bisschen Spaß hat noch keinem geschadet. Wie viele Dreizehnjährige sind schon mit den Großen unterwegs?

»Kommst du mit?«, zischte Tony, aber es war mehr als eine Frage. Es war eine Herausforderung. Willst du etwa kneifen und zu Hause auf Mami warten?, war die eigentliche Botschaft.

Woody zuckte nicht mit der Wimper, zögerte keine Sekunde. »Ich bin dabei«, sagte er achselzuckend, als wäre er ständig mit Älteren unterwegs. Er kletterte auf den Rücksitz des Mustangs, während Garth das Gaspedal durchtrat. Der Motor röhrte, und der Wagen bog mit schlingerndem Heck auf die Straße ein.

»Gib mir ein Bier«, sagte Garth über die Schulter, während er sich viel zu schnell durch den Verkehr schlängelte. Woody entdeckte auf dem Sitz neben ihm einen Sechserpack Bierdosen. Er nahm zwei davon und gab sie Tony. »Du kannst dir auch eins nehmen«, sagte der.

Noch eine Herausforderung. Garth beobachtete ihn im Rückspiegel. »Wie alt bist du, Woody?«, fragte er.

»Dreizehn.«

»Schon mal Bier getrunken?«

»Na klar.«

»Mit mir«, sagte Tony. »Wir holen uns ein paar aus dem Kühlschrank, wenn keiner zu Hause ist.«

Mit ihnen im Auto saß ein gewaltiges, dickes Problem. Woody konnte es spüren, geradezu körperlich fühlen, als säße es neben ihm, und am liebsten wäre er damit herausgeplatzt, um sein Gewissen zu erleichtern. Tony hatte Bewährung. Vor vier Monaten war er festgenommen worden, weil er Gras bei sich hatte. Das war an sich schon schlimm genug, aber er wurde damals beschuldigt, mit dem Rauschgift Handel treiben zu wollen. Dann hatte er unverschämtes Glück, weil die beiden Drogenbeamten, die ihn erwischt hatten, plötzlich weg waren. Einer wurde gefeuert, weil er Drogen gestohlen hatte. Der Zweite setzte sich auf Nimmerwiedersehen ab. Die Beweismittel verschwanden zusammen mit den Polizeibeamten, und für ein paar Wochen war Tony der glücklichste Junge in Strattenburg. Er bekannte sich des Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig und kam als Jugendlicher mit sechs Monaten auf Bewährung davon. Er verbrachte eine einzige Nacht in Gewahrsam und fand die ganze Geschichte eher lustig. Beunruhigt war er auf jeden Fall nicht, und in der Schule rutschte er nach wie vor durch die Maschen.

Wenn er mit Bier erwischt wurde, war das ein Verstoß gegen seine Bewährungsauflagen und würde ihm höchstwahrscheinlich ein paar Tage Knast einbringen. Aber Tony war im Augenblick alles egal. Er war siebzehn, ging nur zur Schule, wenn es ihm passte, und genoss das Leben als künftiger Schulabbrecher.

»Ich habe mein erstes Bier mit zehn getrunken«, verkündete Garth stolz. »Mein verrückter Onkel hat es mir gegeben. Er sitzt übrigens gerade im Gefängnis. Komm schon, Woody, greif zu.«

Tatsächlich hatte Woody mehrmals Bier probiert, aber nur weil Tony dabei war und er sich keine Blöße geben wollte. Tatsächlich schmeckte es ihm überhaupt nicht. Nachdem er jahrelang Bierwerbung gesehen hatte, in der junge, attraktive und sportliche Menschen das Leben mit einem kühlen Bier in der Hand genossen, konnte er kaum glauben, wie ekelhaft der Geschmack war. Das hatte er auch Tony gesagt, aber der hatte ihm versichert, das sei alles eine Sache der Gewohnheit.

Garth sah immer noch über die Schulter. »Komm schon, Kleiner«, sagte er. »Mach dir eins auf.«

Woody nahm sich ein Bier, riss die Dose auf, trank einen Schluck und versuchte so zu tun, als würde ihm das Zeug schmecken, obwohl er es am liebsten ausgespuckt hätte. Er würgte es herunter, ohne eine Miene zu verziehen, biss die Zähne zusammen und trank noch einen Schluck. Dann noch einen. Der Geschmack wurde einfach nicht besser.

»Ich glaube, dem schmeckt’s«, stellte Garth zwischen zwei Schlucken fest.

Wenn du wüsstest, sagte sich Woody im Stillen. Tony und Garth, denen das Bier deutlich mehr zusagte als Woody, warfen nach wenigen Minuten die leeren Dosen nach hinten und verlangten nach mehr. Woody reichte ihnen Nachschub und trank noch einen Schluck. Allmählich drehte sich ihm der Kopf, was zumindest gegen den schlechten Geschmack half. Endlich hatte er seine erste Dose geleert und öffnete die zweite.

»Braver Junge«, lobte Garth, ohne sich umzudrehen. Sie bogen auf einen Parkplatz an einem großen Einkaufszentrum und kurvten herum, bis sie zu einem Kino kamen.

»Da ist sein Auto«, stellte Tony fest, und es klang, als wollte er dem Eigentümer lieber nicht begegnen. Der Wagen stand neben mehreren anderen aufgemotzten, PS-starken Fahrzeugen, an denen unangenehm aussehende Typen lehnten und Zigaretten rauchten. Garth parkte in der Nähe und stellte den Motor ab. »Bringen wir es hinter uns.«

»Bleib hier«, sagte Tony im Aussteigen zu Woody.

Aber gern, dachte Woody. Er beobachtete, wie Garth und Tony zu den anderen gingen, sie mit Handschlag und Abklatschen begrüßten und sich eine Zigarette anzündeten. Niemand hielt ein Bier oder ein anderes Getränk in der Hand. Ganz in der Nähe fuhr ein Polizeiwagen vorbei. Die Jungs winkten. Die Polizeibeamten winkten zurück. Alles lief sehr gesittet ab.

Woody duckte sich auf den Rücksitz und warf höchstens einmal einen vorsichtigen Blick durch das Fenster. In der Gruppe wurde gelacht, es wurden Witze gerissen, es ging hin und her, dann wurde das Gespräch ernst. Garth und Tony griffen in ihre Taschen, holten Geld heraus und gaben es einem Bärtigen, der ein paar Jahre älter zu sein schien. Sie bekamen von ihm nichts dafür. Woody konnte sich nicht vorstellen, dass Garth oder sein Bruder so dumm waren, an einem so gut einsehbaren Platz, der von der Polizei überwacht wurde, Gras zu kaufen. Wahrscheinlich gab es überall Kameras. Trotzdem wirkte das Geschäft, oder was auch immer es war, irgendwie zwielichtig.

»Wer war der Typ mit dem Bart?«, fragte Woody, als die beiden zum Auto zurückkamen.

Garth ließ den Motor an und rollte los. Tony sagte gar nichts. Woody hakte nach. »Wer war der Typ mit dem Bart?«

»Ein alter Freund«, behauptete Tony. Aber es war offensichtlich, dass es mit der Freundschaft nicht weit her war und Tony nur seinen kleinen Bruder zum Schweigen bringen wollte. Eine Weile sprach niemand, während Garth ohne besonderes Ziel die Main Street entlangfuhr. »Ich brauche mehr Bier«, verkündete er schließlich.

Der Sechserpack war leer. Jeder hatte zwei Dosen getrunken.

»Ich bin pleite. Hast du noch Geld?«, fragte Garth Tony.

»Nein. Hab ich alles ihm gegeben.«

»Was?«, fragte Woody. »Wie kannst du pleite sein? Du hattest doch eben noch mehr als 20 Dollar.«

Tony drehte sich um und starrte seinen kleinen Bruder wütend an. »Der Typ da hinten ist ein Freund von uns. Er ist Buchmacher an der Uni und nimmt Wetten auf Footballspiele an. Wir waren ihm noch was schuldig. Keine große Sache. Manchmal hat man Glück, manchmal nicht. Du könntest mir die fünf Dollar leihen, die ich dir gegeben habe.«

»Ich wüsste nicht, warum.« Woody hätte gern etwas zum Thema Glücksspiel gesagt, das natürlich auch gegen Tonys Bewährungsauflagen verstieß.

»Vergiss es«, sagte Garth. »Wir nehmen kein Geld von Kindern.«

Er bremste abrupt und hielt vor einem Einkaufszentrum. Alle Geschäfte waren geschlossen, aber ein Geldautomat war einladend hell erleuchtet. Garth stellte das Auto mit laufendem Motor ab, ging zum Geldautomaten, sah sich nervös um, als wollte er eine Bank überfallen, und fing an, Zahlen einzugeben. Immer wieder tippte er sie ein, ohne Erfolg. Er stapfte wütend davon und stieg ins Auto. »Wahrscheinlich hat meine Mutter wieder mein Konto gesperrt«, sagte er. »Ich brauche echt ein Bier.«

Mit quietschenden Reifen raste der Mustang davon.

Der Supermarkt mit Tankstelle lag am Stadtrand, an einer wenig befahrenen zweispurigen Straße. Der Parkplatz war geschottert, und die Schaufenster wurden durch dicke Gitterstäbe geschützt. Es gab zwei Zapfsäulen, aber im Augenblick waren keine anderen Kunden zu sehen.

Garth stellte das Auto ab. »Ich kenne den Typen«, sagte er. »Bin gleich wieder da.«

»Was hat er vor?«, fragte Woody, fast im Flüsterton.

»Um Garth brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Er kennt jeden.«

Sie warteten nicht lang. Sehr schnell erschien Garth wieder, mit einem ganzen Karton Dosenbier und offenbar in Eile. Er riss seine Tür auf, warf das Bier Woody in den Schoß, sprang ins Auto und legte den Gang ein. Der Mustang raste davon, dass der Schotter vor dem Geschäft spritzte.