Es geht auch anders - Elke Kahr - E-Book

Es geht auch anders E-Book

Elke Kahr

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Beschreibung

Kommunismus, darunter versteht Elke Kahr, für Menschen da zu sein, unmittelbar und jeden Tag, im Bus auf dem Weg zur Arbeit ebenso wie im Bürgermeisterinnenzimmer. Kann das funktionieren? Ihre völlig andere Version von Politik, die immer an den Schwächsten Maß nimmt, hat Kahr unter den verwunderten Blicken ganz Europas zur Bürgermeisterin von Graz gemacht. In diesem Buch erzählt sie aus ihrem Leben mitten unter denen, für die sie da sein will, und von ihrer Version, wie in diesen schwierigen Zeiten alles für alle wieder gut werden könnte.

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Elke Kahr

Es geht auch anders

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 edition a, Wien

www.edition-a.at

Redaktionelle Mitarbeit: Philipp Weritz

Cover: Bastian Welzer

Satz: Bastian Welzer

Gesetzt in der Premiera

Gedruckt in Europa

1   2   3   4   5   —   26   25   24   23

ISBN 978-3-99001-622-0

eISBN 978-3-99001-623-7

ELKE KAHR

im Gespräch mit Silvia Jelincic

ES GEHTAUCH ANDERS

INHALT

WORKING CLASS HERO

IMAGINE

GIVE PEACE A CHANCE

SEHNSUCHT NACH VERÄNDERUNG

DIE KRAFT DES ZUSAMMENHALTS

BÜRGERMEISTERIN SEIN

Dieses Buch entstand auf Basis vorbereitender Interviews, die die österreichische Journalistin und Bloggerin Silvia Jelincic mit Elke Kahr führte. Im Text wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit und Übersichtlichkeit auf gegenderte Formulierungen teilweise verzichtet. Selbstverständlich sind immer die weibliche und männliche Form gemeint.

VORWORT

Wie an den meisten Samstagen seit den Anfängen ihrer politischen Laufbahn spricht Elke Kahr zunächst an einem Infostand der Grazer KPÖ am Lendplatz, der auch für seinen Bauernmarkt bekannt ist, mit Grazerinnen und Grazern über deren Probleme oder plaudert einfach nur mit ihnen. Später, auf dem Weg zu einem Lokal in der Stockergasse, wo sie uns eins der Interviews für dieses Buch geben wird, bückt sie sich nach einem am Boden liegenden Zettel. Es ist ein A4-Blatt aus dem Farbkopierer, das jemand mit Klebestreifen am Zaun neben dem Gehsteig befestigt hatte. Von dort ist es heruntergefallen. In der selbstgebastelt wirkenden Einladung geht es um ein Bürgerinnen- und Bürgertreffen zum Thema Stadtteilbegrünung.

Kahr versucht mit mäßigem Erfolg, den Zettel wieder anzubringen. Sie kennt die Frau, von der er stammt. Die Architektin war heute Morgen bei ihr am Infostand, um dort einen Packen der Zettel zu hinterlassen und sie zu dem Treffen einzuladen. »Der Tixo wird auf dem Holz nicht halten, aber irgendwie mag ich es nicht, wenn Papier am Boden liegt«, sagt Kahr.

Vor dem Lokal, einem Café für jüngeres Publikum, sind zwei Tische frei. Die Grazer Bürgermeisterin und KPÖ-Chefin zeigt auf beide und blickt die Kellnerin fragend an. »Dürfen wir?«

Die Kellnerin schüttelt den Kopf. »Hier ist leider reserviert.«

Wir finden im Gastgarten an der Rückseite des Cafés Platz, gleich neben einer Sandkiste. Ein weißer Pudel hüpft gerade in die Kiste, in der auch Kinderspielzeug liegt, und gräbt wie wild ein Loch. Kahr runzelt die Stirn. »Das geht eigentlich nicht«, sagt sie zu uns.

Die Eignerin des Hundes hat unsere Blicke bemerkt und hebt resigniert die Arme. »Er gräbt so gern«, meint sie, mehr verliebt in den Hund als entschuldigend.

Kahr: »Immerhin gut, dass es hier überhaupt eine Sandkiste gibt.« Dann wendet sie sich mit einem strahlenden Lächeln an uns. »Worüber reden wir heute?«

Die Fragen für ein Buch wie dieses sollen die Interviewten verführen, sich über den Rahmen anderer Medienformate hinaus zu erklären. Es geht nicht darum, ihre Selbstsicht zu relativieren. Eine journalistische Grundhaltung der Distanz und Kritik prägt diese Fragen trotzdem. Auch bei Elke Kahr, obwohl sie uns von Anfang an gezeigt hat, dass ihre Art von Kommunismus keine Pose ist, schon gar keine populistische, sondern eher ein von ihrem Naturell initiierter Reflex.

Als wir sie baten, dieses Buch mit uns zu machen, hatte sie zunächst Zweifel. »Viel zu tun«, sagte sie. Was kein Wunder ist. Manchen der Passantinnen und Passanten, die ihr samstags am Infostand oder bei anderen Gelegenheiten ihre Anliegen vortragen, gibt sie gleich vor Ort Tipps oder sagt es ihnen klipp und klar, wenn sie einmal nicht helfen kann. Manche verweist sie an zuständige Referate. Aber die meisten bittet sie um ihre Telefonnummer.

Die bekommen wenig später tatsächlich einen Anruf und einen Termin bei ihr im Bürgermeisterinnen-Büro. Auf jedes der Gespräche lässt sie sich ein, sie scheint nicht anders zu können. Kahr verweilt gern bei Themen, wird neugierig, begeistert sich für etwas, hat Ideen. Für ihr Terminmanagement muss das eine Herausforderung sein.

Ebenso wie die direkte Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern gehört aber auch die Kommunikation über Medien zu den grundlegenden politischen Aufgaben. Zumal in Zeiten, die durch Teuerungen, Verarmung, Energiekrise, Pandemie, Klimawandel und die damit verbundenen Existenz- und Zukunftsängste geprägt sind. Da gibt es viele, die Sorgen haben, die nach den tieferen gesellschaftspolitischen Ursachen suchen und die wissen wollen, wie ein anderes System aussehen könnte. Die Bundesregierung wirkt überfordert, doch Kahr kann Antworten geben, die gleichzeitig bekannt und dennoch erstaunlich neu klingen. Das alles ist ihr bewusst.

Zudem war der Umstand, dass ausgerechnet eine Kommunistin Österreichs zweitgrößte Stadt regiert, aus medialer Sicht von Beginn an derart kolossal, dass die Analyse dieses kommunalpolitischen Erdrutsches den Rahmen der Berichterstattung von Tageszeitungen, Radios und Fernsehsendern teilweise sprengte. »Alle wünschen sich von Politikern Antworten in einem Satz«, sagte Kahr gleich zu Beginn unseres ersten Gespräches. »Das ist verständlich, doch dabei kommt manchmal einiges zu kurz. Zum Beispiel, wenn die häufig gestellte Frage lautet, was Kommunismus für mich eigentlich ist.«

Als Elke Kahr schließlich einwilligte, die Interviews für dieses Buch mit uns zu machen, ging es der Routine im Verlagswesen entsprechend auch um ihr Honorar. Von der Größenordnung her macht es bei derartigen Projekten rund zehn Prozent des Ladenpreises jedes verkauften Buches aus, also etwa 1,80 Euro pro Buch. Ohne zu zögern meinte Kahr, sie wolle kein Geld, auch nicht, um es zu spenden. »Etwas verdienen sollen die Menschen, die auch die Arbeit damit haben, und das bin in diesem Fall nicht ich«, erklärte sie. Erst im Laufe der Interviews verstanden wir, dass sie uns damit reflexartig ein kleines Stück ihrer Idee vom Kommunismus und der darin vorgesehenen Rolle für arbeitende Frauen und Männer gezeigt hatte.

Elke Kahrs Authentizität macht die journalistische Suche nach dem Haken an der Sache manchmal schwer. Allzu leicht drängt sich eine andere Frage auf: Warum denken, warum handeln nicht alle Politikerinnen und Politiker so authentisch wie sie? Warum sind nicht alle so nah an den Menschen? Elke Kahr kennt das Phänomen und freut sich darüber. Sie spricht dann von einem Funken, der überspringt. Von einem Wir-Gefühl, das manchmal auch über politische Parteigrenzen hinweg entsteht.

Auch ihre Begeisterung darüber ist offensichtlich keine Pose. Sonst hätte sie, die Unprätentiöse, die für die Politik so Untypische und mit ihrer Utopie so Exponierte, die Grazer Gemeinderatswahlen im Jahr 2021 nicht gewinnen und den vormaligen konservativen Bürgermeister nicht ablösen können. Oder gibt es doch einen Haken?

Ich wünsche eine spannende Lektüre!

Silvia Jelincic

WORKING CLASS HERO

Wenn wir das Wort »Kommunismus« hören, haben wir alle ein Bild vor Augen, das geprägt ist von der Geschichtsschreibung und der jahrzehntelangen Meinungsbildung im Kalten Krieg. Was aber ist Kommunismus eigentlich? Wie absurd ist es wirklich, dass Graz als zweitgrößte Stadt Österreichs eine kommunistische Bürgermeisterin hat? Und was hat das alles mit John Lennon zu tun?

»Alle wünschen sich von Politikerinnen und Politikern Antworten in einem Satz. Das ist verständlich, doch dabei kommt manchmal einiges zu kurz. Zum Beispiel wenn die mir besonders häufig gestellte Frage lautet, was Kommunismus eigentlich für mich ist. Denn um das zu erklären, muss ich zunächst einige Missverständnisse ausräumen.

Die sogenannten »kommunistischen« Staaten wurden von kommunistischen Parteien regiert, betrachteten ihr politisches System aber nicht als Kommunismus, sondern als Sozialismus. Der Kommunismus war ein fernes Ziel, das man erreichen wollte, eine Utopie. Im Song Imagine beschreibt John Lennon die Vorstellung eines solchen Ideals.

Das verbreitete negative Bild des Kommunismus entstand während des Kalten Krieges, der von 1947 bis 1989 das Weltgeschehen dominierte. Er stellte damals die große Bedrohung dar. Mit dem von den USA angeführten Westen und der Sowjetunion mit ihren verbündeten Staaten standen einander zwei Machtblöcke gegenüber, die brutale Stellvertreterkriege in Korea, Vietnam und Afghanistan führten und die per Knopfdruck die ganze Welt in eine nukleare Katastrophe hätten stürzen können. Auch die neutralen und blockfreien Staaten standen in der Regel der einen oder anderen Seite näher, und das bestimmte auch wesentlich das Bild, das in Medien und Schulbüchern gezeichnet wurde.

In Österreich wurde in abgeschwächter Form die Sichtweise übernommen, die in der damaligen BRD verbreitet wurde. Seither galt er als feindliches System, das alle Menschen gleichzumachen versucht und sie zu diesem Zweck enteignet und unterdrückt.

Die damaligen Führer dieser Länder waren zum Teil selbst daran schuld. Josef Stalin hat viele Verbrechen zu verantworten. Hammer und Sichel in gekreuzter Form sowie der rote Stern sind zwar nach wie vor weltweit wichtige Symbole der Verbindung der Arbeiterbewegung und der Bauern, doch an Stalins Taten gibt es nichts zu beschönigen. Er ließ unzählige Menschen ermorden, nicht zuletzt viele Kommunistinnen und Kommunisten, die sich gegen seine diktatorische Politik stellten. Es wäre aber auch zu einfach, alle Fehlentwicklungen einem einzelnen Mann in die Schuhe zu schieben. Auch nach Stalins Tod gelang es nicht, die sozialistischen Staaten so zu gestalten, wie es eigentlich Aufgabe der kommunistischen Parteien gewesen wäre. Dass die KPÖ dazu geschwiegen hat, hat sicher nicht dazu beigetragen, ihr Ansehen in Österreich zu stärken. Wir hätten viel früher deutliche Worte finden müssen. Als in der Sowjetunion Reformen zugelassen wurden, war es längst zu spät.

Der Antikommunismus der damaligen Zeit, der teilweise auch heute noch weiterwirkt, wird aber ganz unabhängig davon gegen alle Bewegungen für soziale Gerechtigkeit ausgenützt.

Die alten kommunistischen Führer hatten eine wichtige Sache nicht verstanden: Wer die Menschen in dem Land, das er regiert, nicht vom Wert seiner Arbeit überzeugen kann, wird langfristig keinen Erfolg haben.

Die meisten sozialistischen Staaten sind mit der Sowjetunion untergegangen und haben einen oft ungezügelten Kapitalismus eingeführt und zugelassen. Westliche Investoren haben diese Staaten im wörtlichen Sinn aufgekauft, was in vielen Ländern zu neuen Fehlentwicklungen geführt hat.

Der Kommunismus ist aber eine Weltanschauung, kein politisches System und auch keine nostalgische Sichtweise auf Staaten, deren herrschende Parteien das Wort »Kommunismus« im Namen geführt haben. Er ist ein Orientierungspunkt, aus dem andere Sichtweisen und eine andere politische Praxis abgeleitet werden kann als aus der vorherrschenden marktwirtschaftlichen Sichtweise, die dazu führt, dass große Konzerne mehr oder weniger vorgeben, in welche Richtung sich die Gesellschaften entwickeln. Soziale Gerechtigkeit und der Zustand der Umwelt werden den Interessen des Marktes untergeordnet, dafür zahlen wir alle einen hohen Preis.