Feuer und Rauch - A. L. Knorr - E-Book
NEUHEIT

Feuer und Rauch E-Book

A.L. Knorr

0,0

Beschreibung

Feuer und Rauch - Der letzte Band der Urban Fantasy Bestseller Serie aus Kanada Unwahrscheinliche Verbündete Neros Macht nimmt mit jedem Tag zu. Nahezu alle Feuermagier haben ihr Feuer verloren und so ist es an Saxony und Tomio sich Nero in den Weg zu stellen. Doch die beiden werden Verbündete brauchen. Ryan ist ein mächtiger Magier und will sein Feuer behalten. Saxony hofft, dass sie, wenn schon nicht ihm, dann zumindest Ryans Eigennutz vertrauen können. Doch Neros Kräfte übersteigen mittlerweile selbst Ryans Fähigkeiten. Diese Erkenntnis stellt Saxony vor eine schwere Entscheidung: Sie kennt zwei mächtige magische Wesen, die vielleicht in der Lage wären, ihr gegen Nero zu helfen. Doch kann Saxony das Leben ihrer Freundinnen Targa und Georjie riskieren, um die Feuermagier zu retten?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 339

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.

Beliebtheit




FEUER UND RAUCH

DIE ARKTURUS AKADEMIE

BUCH 5

A. L. KNORR

Titel: Feuer und Rauch

Originaltitel: Source Fire

Autor: A. L. Knorr

Verlag: VVM

ISBN: 9798843294199

Cover: Damonza

Deutsche Erstveröffentlichung: Berlin 2022

INHALT

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Epilog

Nachwort

PROLOG

Targas schwarzes Haar wehte im Wind, während sie zum Meer sprintete.

Sie rannte nicht aus Freude, das war offensichtlich, sie rannte, um von etwas wegzukommen. Ihre nackten Fußsohlen blitzten weiß im schwachen Glanz des stürmischen, aber mondbeschienenen Himmels. Ich schwebte hinter ihr her, körperlos, eine entfernte Beobachterin.

Targa war allein, aber das Gefühl einer unheimlichen Präsenz verfolgte sie. Ihr Atem ging schnell, aber gleichmäßig, ihr Gang war rasch und sicher. In einer ihrer Fäuste steckte etwas, aber durch die Art, wie sich ihre Arme bewegten, war es schwer zu erkennen was. Worum auch immer es sich handelte, Targa hielt es so fest, dass ihre Knöchel weiß wurden.

Sie sprang über Büsche und wich Schösslingen und verworrenen Sträuchern aus. Sie sprang sogar über einen Zaun.

Das Meer war nicht weit, ich konnte es hören. Targa zweifellos auch. Das Seufzen der Brandung war wie Musik in unseren Ohren. Sie würde es in die Sicherheit des Ozeans schaffen, dessen war ich mir sicher. Dort wäre sie unbesiegbar; ein Sturm in perlmuttfarbener Haut, mit juwelenbesetzten Augen und flüssiger Anmut. Targa war großartig.

Als sie sich dem Kreidefelsen näherte, blickte sie hinter sich – die Augen weit aufgerissen. Sie blickte auf das Meer. Es befand sich weit unter ihr, selbst für eine Sirene, aber es war weniger gefährlich als die Bedrohung hinter ihr. Sie wandte sich dem Wasser zu, ihre perfekte Stirn von Sorgenfalten gezeichnet, und sprang die Klippe hinab.

Eine leuchtend rote Feuerlanze erschien wie eine Wunde an ihrem Arm, dann eine weitere an der Rückseite ihres Beins. Sie schrie vor Schmerz auf und zuckte in der Luft. Als sie auf die Wellen zuflog, erschien ein weiterer heller Lichtblitz, diesmal auf ihrem Rücken. Ihre Kleidung verbrannte so schnell, als bestünde der Stoff aus trockenem, gewebten Gras.

Mit einem Zischen wurde Targas Körper verzehrt. Er zerfiel zu Asche und wurde dann vom Wind aufgenommen. Die Aschereste meiner Freundin wirbelten auf und flogen sanft umher, bevor sie sich zu der Form eines Vogels zusammenfügten.

Eine Taube aus Feuer und Rauch.

* * *

Ein erstickter Schrei drang an meine Ohren.

Meine Augen öffneten sich, aber ich konnte trotzdem nichts sehen. Mein Nacken und meine Stirn waren mit einer glatten Schweißschicht überzogen. Die Panik grub ihre Krallen in mein Herz. Ich stürzte aus dem Bett und tastete nach meinem Telefon. Mein Herz weigerte sich, langsamer zu schlagen. Alles, was ich sehen konnte, war die Gestalt der Taube, die auf ihrem Weg in den Himmel Aschestaub und Funken hinter sich herzog.

Mit zitternden Händen fand ich mein Telefon in der Vorderseite meiner Tasche und tastete nach Targas Nummer. Ich schaute nicht auf die Uhrzeit, das war egal. Ich musste ihre Stimme hören, musste wissen, dass es ihr gut ging. Der Traum war zu realistisch, um ihn andernfalls zu ertragen.

Ich stellte das Telefon auf Lautsprecher und legte es auf meinen Nachttisch; ich war zu nervös und verschwitzt, um es zu halten. Ich konnte nicht ruhig bleiben, also lief ich auf meinem Teppich hin und her und flehte Targa im Geiste an, abzunehmen.

„Saxony?“, ertönte ihre verschlafene Stimme.

Der Klang ihres Sirenentons brachte mein Herz vor Erleichterung und Freude zum Klopfen.

„Targa.“ Ich lächelte und wischte mir die Tränen weg. „Es geht dir gut.“

Sie stieß ein müdes Schnaufen aus. „Ja, mir geht es gut, oder es ging mir gut. Es ist zu früh für mich, um wach zu sein. Wie spät ist es?“ Am anderen Ende des Telefons waren Geräusche zu hören, das Rascheln von Stoff, vielleicht das Geräusch von Hausschuhen, die über den Boden glitten.

„Ich habe keine Ahnung.“ Ich grinste durch die feuchten Ränder meiner Augen. „Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.“

„Ich glaube, die Frage ist eher: Geht es dir gut? Meine Güte, Saxony. Es ist fünf Uhr dreißig. Dann ist in England vier Uhr dreißig. Warum bist du noch auf?“ Sie klang jetzt vollkommen wach, obwohl sie sich vielleicht den Zeh gestoßen hatte, denn ich hörte ein dumpfes Geräusch und einen gemurmelten Fluch.

„Ich hatte einen Albtraum, in dem du vorkamst. Ich dachte, vielleicht ... ich dachte, vielleicht steckst du in Schwierigkeiten.“ Jetzt, wo ich wusste, dass es ihr gut ging und dass ich sie nur wegen eines Traums geweckt hatte, kam ich mir ein wenig dämlich vor.

„Ich hasse solche Träume.“ Sie sprach leise, schien aber langsam aufzuwachen. „Gib mir eine Sekunde. Ich will Antoni nicht wecken. Wobei ich glaube, er könnte selbst eine durch unser Zimmer stürmende Büffelherde verschlafen.“

Ich lachte und stellte mir vor, wie sie aus ihrer Suite in der Novak-Villa schlich, wahrscheinlich barfuß und möglicherweise nackt. Ein Rascheln und das Klicken einer Tür waren zu hören, bevor sie gähnend zurück in die Leitung kam.

„Das hört sich nach einem stressigen Traum an“, sagte Targa und machte mehr Lärm im Hintergrund. „Ich setze gerade einen Kessel auf; ich beginne meinen Morgen neuerdings mit Kräutertee. Willst du mir von deinem Traum erzählen?“

Ich blinzelte. Targa begann ihren Morgen mit Kräutertee?

„Was für ein Tee?“

„Ähm, warte mal, ich lese die Schachtel. Antoni hat ihn für mich geholt, ich weiß nicht einmal, wie er heißt.“ Ein paar Sekunden vergingen, dann brach sie in Gelächter aus.

„Was?“ Ich lächelte, obwohl ich den Witz nicht kannte.

„Wenn ich dir das Etikett vorlese, ist die Katze aus dem Sack, und dafür ist es noch ein bisschen zu früh.“

Meine Wirbelsäule wurde kerzengerade, meine Augen waren weit aufgerissen. „Targa –“

„Ja. Es ist noch früh“, sagte sie und hörte sich an, als würde sie immer noch lächeln. „Ich bin schwanger. Wir wollten eigentlich die 90 Tage abwarten, nur für den Fall, dass etwas schiefgeht. Aber ich glaube nicht, dass diese Babys den Laden dichtmachen, sie fühlen sich stark an.“

„Babys?“ Ich war wie benommen.

„Ja, Zwillinge. Ist das nicht verrückt? Und meine Mutter hat recht, Sirenen können es spüren. Aber um ehrlich zu sein, wusste ich anfangs nicht, dass es Zwillinge waren, das kam erst einen Monat später.“

Ich fiel auf mein Bett und landete so hart, dass der Rahmen knarrte.

Targa war so alt wie ich, noch nicht einmal aus dem Teenageralter heraus. Für die meisten menschlichen Mädchen war es viel zu früh, um Babys zu bekommen, aber offensichtlich nicht für eine Meerjungfrau.

„Herzlichen Glückwunsch“, brachte ich heraus, nachdem ich mich mit der Tatsache abgefunden hatte, dass meine Freundin Mutter werden würde. „Das ist ... ich ... freue mich so für dich.“

Der Wasserkocher pfiff und einen Moment später hörte ich, wie sie Wasser einschenkte. „Antoni steht noch unter Schock, aber er ist glücklich. Die Morgen sind für mich etwas schwierig. Mama war überhaupt nicht krank, also hoffe ich, dass es schnell vorbeigeht.“

Ich wusste nicht viel über Schwangerschaften, aber ihr wurde jetzt schon übel? „Warte, wie weit bist du?“

„Sechseinhalb Wochen. Ich bin so aufgeregt, das ist die perfekte Ausrede, um weniger Zeit im Büro und mehr Zeit zu Hause oder im Meer zu verbringen, und ...“

Targa und ich unterhielten uns, bis die Sonne sich ankündigte und ich irgendwann gähnte.

Targa ging es gut, mehr als gut, und der Traum schien eine ferne Erinnerung zu sein. Es war noch früh und ich konnte noch ein paar Stunden Schlaf nachholen. Ms. Shepherd und Mehmet würden erst nach neun Uhr eintreffen.

Als sie mich gähnen hörte, tat Targa es mir gleich. „Ich könnte einfach wieder ins Bett gehen“, sagte sie.

„Ich auch.“

„Wir haben nie über deinen Traum gesprochen“, bemerkte Targa. „Willst du ihn mir erzählen?“

„Nein. Das ist nicht wichtig. Ich kann mich kaum noch daran erinnern.“ Ich lehnte mich in meine Kissen.

„Bist du sicher?“

„Ich bin mir sicher. Hey, weiß Georjie Bescheid?“

„Nein, wir haben es noch niemandem gesagt. Ich hatte vor, es dir und Georjie gleichzeitig zu sagen. Sag ihr bitte nichts, ich werde sie selbst anrufen. Sie wird so aufgeregt sein. Diese Babys werden die unglaublichsten Tanten der Welt haben.“

Ich lachte und dachte an mein Feuer und Georjies Feenfähigkeiten.

„Ja, das werden sie.“

1

Wind und Regen peitschten gegen die Mauern von Chaplin Manor.

Niemand lächelte.

Ryan lehnte am Heizkörper unter einem der großen Diamantfenster der Lobby und starrte mit verkniffenem, blassen Gesicht auf den Boden.

Tomio saß auf der vorderen Kante eines gepolsterten Stuhls, die Ellbogen auf die Knie gestützt, und starrte mit starrem Blick ins Feuer.

Basil ging vor dem Kamin auf und ab, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und rückte alle paar Minuten seine Brille zurecht, wenn sie ihm über den Nasenrücken rutschte.

Mehmet – ein kleiner, breiter Mann mit lebhaften Augen – saß auf einer Couch, einen Laptop auf den Knien, völlig in den Bildschirm vertieft. Ms. Shepherd stand hinter Mehmet und bearbeitete ihre Unterlippe mit den Zähnen.

Jetzt, wo ich die Frau persönlich kennengelernt hatte, wirkte sie viel weniger einschüchternd. Bei unseren Videokonferenzen hatte sie stets stoisch und beherrscht gewirkt. In persona wirkte sie nervös und unsicher. Vielleicht lag das aber auch daran, dass sich die Lage seit Neapel dramatisch verschlechtert hatte. Weitere Feuer waren erloschen. Tomio und ich hatten angenommen, dass sie eine Magierin war, aber auch da hatten wir uns geirrt. Ms. Shepherd war nicht übernatürlich, sie war ein ehemaliges Mitglied des Militärs mit Kompetenzen in Logistik und Organisation.

„Der neue Datenpunkt beweist unsere Theorie also. Die Frage ist, was können wir dagegen tun?“ Basil schickte einen durchdringenden Blick in Richtung Ryan und wir anderen folgten seinem Blick. Ryan wusste mehr über Neros Machenschaften als jeder andere, aber er verhielt sich kryptisch und ausweichend.

Die Agentur hatte eine neue Metrik zu ihrer Datenerfassung hinzugefügt, nachdem Ryan vorgeschlagen hatte, die Farben der Leerfeuer der ehemaligen Magier zu verfolgen. Die Agentur hatte sich zuerst dagegen gewehrt. Leerfeuer sei eine Sache der Kindheit, behaupteten sie, etwas Skurriles und Niedliches – sicherlich nichts, was man in dieser Angelegenheit berücksichtigen müsste. Die Agentur, unter der Leitung von Ms. Shepherd, argumentierte, dass sie mit den begrenzten Ressourcen, die ihr zur Verfügung stand, besser daran täte, relevantere Datenpunkte wie die ethnische Zugehörigkeit hinzuzufügen.

Aber Ryan bestand darauf und Ryan hatte recht. Leerfeuer existierten in den sieben Farben des Regenbogens. Fünf davon waren nun ausgelöscht worden: Orange als Erstes im vergangenen Dezember; gelb im März; rot und rosa Anfang Juli – obwohl wir nicht verstanden, wie Nero das im Abstand von nur drei Tagen geschafft hatte; und nun eine fünfte Farbe, nur zwei Wochen später.

Niemand sprach offen darüber, dass Ryans Vater Mitglied der rosa Gruppe gewesen war. Zu der rosa Gruppe gehörten außerdem Jade, der Professor für Feuerwissenschaft der Akademie Tyson Hupelo, Dr. Price und ihre Tochter Cecily, ganz zu schweigen von vielen anderen.

Ryan rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen. „Die Welle, die gestern erfolgt ist“, er blinzelte Mehmet mit blutunterlaufenem Augen an, „wissen wir, welche Farbe das war?“

Mehmet sah auf, seine Augen waren genauso rot wie die von Ryan, aber das lag daran, dass er so angestrengt auf seinen Computerbildschirm starrte. „Ja, es war indigoblau.“

In der Lobby herrschte wieder Stille.

In der langen Pause bewegte sich Tomio vom Stuhl und setzte sich neben mich auf die Couch. Er nahm meine Hand und umschloss sie mit seiner eigenen. Sein Oberschenkel drückte meinen, fest und beruhigend.

Tomio und ich hatten keine Zeit gehabt, über unsere aufkeimenden Gefühle nachzudenken, geschweige denn über eine mögliche Beziehung zu sprechen. Jedes Mal, wenn ich mich an unseren letzten Kuss erinnerte, wurde meine Kehle trocken vor Verlangen: seine Lippen auf meinen, drängend, mit einem Hauch von Verzweiflung. Wir waren uns schmerzlich bewusst gewesen, dass Tomio und Ryan in der unterirdischen Höhle auf Nero hätten treffen können. Dieser Kuss war ehrlicher und verletzlicher gewesen als jeder andere Kuss, jedes Gespräch und jeder Blick, den ich jemals mit jemandem geteilt hatte. Er hatte alles offengelegt und sein Körper hatte mit der Klarheit einer Schiffsglocke nach mir gerufen. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als mit Tomio allein zu sein, ihm zuzuhören, ihn zu berühren, ihn zu küssen, so zu tun, als gäbe es diesen ganzen schrecklichen Albtraum nicht.

Doch die Bedrohung, die Nero für die verbliebenen Magier darstellte, ließ sich nicht einfach ignorieren. Janet war verschwunden und Gage lag in einem Krankenhausbett im Flügel eines neapolitanischen Krankenhauses. Im Koma.

Angelika hatte versprochen, dass sie uns anrufen würde, sobald sich etwas an seinem Zustand änderte, aber bisher hatten wir nur Nachrichten mit Gages Werten und aufmunternden Worten erhalten.

Ich schätzte Angelikas Bemühungen, uns bei Laune zu halten, aber jedes Mal, wenn mein Telefon aufleuchtete und mir mitteilte, dass Angelika eine Nachricht geschickt hatte, wurde mein Herz schneller. Ich sehnte mich nach einem Anruf oder der SMS mit nur drei einfachen Worten: Er ist aufgewacht.

Aber diese Nachricht kam nicht.

Wir waren vor drei Tagen, am 21. Juli, in der Akademie angekommen. In England gab es selten Sommergewitter wie jenes, das wir gerade erlebten, aber wir befanden uns in Dover. Das Wetter hier war unberechenbar, launisch und irgendwie auch bemerkenswert im Einklang mit dem, was die Menschen unter dem Dach der Akademie gerade fühlten.

„Denk zurück.“

Ms. Shepherds Stimme durchbrach das zerbrechliche Geflecht meiner Gedanken. Eine Sekunde lang dachte ich, sie würde mich ansprechen, aber sie sah Ryan an.

Es gab eine Sache, die wir unbedingt herausfinden mussten: Wo Nero als Nächstes zuschlagen würde.

„Es muss etwas geben, das dir aufgefallen ist, etwas, an das du dich erinnerst, das uns einen Hinweis darauf gibt, wohin er als Nächstes gehen wird.“ Sie fummelte an dem blaugrünen Schal an ihrem Hals herum.

Ryans Kiefer spannte sich vor Ungeduld. Er sah genervt aus. „Nero reagiert sofort auf neue Informationen, er speichert sie nicht für später ab und wartet. Wenn er den nächsten Ort selbst noch nicht weiß, wie kann ich ihn dann wissen? Und wenn er ihn erst jetzt herausgefunden hat, dann hätten Sie mehr Glück, wenn Sie Ihr Netzwerk nach Flugbuchungen unter einem seiner Decknamen durchsuchen oder die Sicherheitsaufzeichnungen durchkämmen. Nur weil ich Zeit mit ihm verbracht habe, heißt das nicht –“ Ryans Gesichtsausdruck verhärtete sich. Er bekam den entrückten Blick von jemandem, der tief in einen neuen, aufschlussreichen Gedanken versunken war.

Der Rest von uns tauschte nervöse Blicke aus und wartete.

„Was? Was hast du, Ryan?“, fragte Basil.

Ryan sah aus wie ein erleuchteter Weiser. „Lasst mich kurz nachdenken.“

Tomio und ich, die gemeinsam auf der Couch den Atem anhielten, stießen gleichzeitig ein langes Stöhnen aus, als Ryan sich vom Fenster entfernte und auf die Treppe zu Basils Büro zuging. Er begann, vor der antiken Telefonzelle auf und ab zu gehen.

„Ich glaube, wir haben ihn verloren“, murmelte Mehmet und wandte sich wieder seinem Laptop zu.

„Ich brauche einen Drink.“ Basil entfernte sich vom Kamin. „Möchte jemand etwas?“

Mehmets Kopf schnappte hoch. „Für einen Old Fashioned würde ich morden.“

Der Schulleiter hob die Brauen.

„Richtig. Ihr seid ja noch Magier und trinkt keinen Alkohol.“ Mehmet schenkte Basil ein strahlendes, komisch übertriebenes Lächeln. „Ich nehme ein Wasser.“

„Ich auch“, sagte Ms. Shepherd.

„Ich bringe genug für alle mit.“ Basil verließ die Lobby und ging in den nächstgelegenen Aufenthaltsraum.

Tomio sprach so leise, dass nur ich ihn hören konnte. „Komisch, dass Mehmet sich verhält, als wäre er nie einer von uns gewesen, jetzt wo er sein Feuer verloren hat. Unglaublich, wie gut er damit klarkommt.“

Ich nickte, aber meine Gedanken waren bei etwas anderem. Ich ließ mich tiefer in die Möbel sinken und legte meinen Kopf auf die bauschige Lehne, während ich Tomio studierte. „Du hast das Feuer schon viel länger als ich. Du warst neun, als du es bekommen hast?“

Tomio nickte, als er neben mir in die Couch sank und seinen Kopf zurücklegte.

„Hast du jemals die Farbe deines Leerfeuers gesehen?“, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. „Ich muss wohl zu alt gewesen sein. Basil hat gesagt, dass sich das Leerfeuer nicht mehr oft nach dem sechsten oder siebten Lebensjahr zeigt. Du hattest Glück, dass du Ryans sehen konntest. Es ist äußerst selten, dass ein Erwachsener so sorglos ist, dass es zum Vorschein kommt.“

Nachdem die Löschungen durch Farbe der Leerfeuer bestätigt worden waren, hatte ich Tomio ausführlich erzählt, wie ich Ryan einmal am Strand dabei gesehen hatte, wie er grüne Flammen in den Wind warf und beobachtete, wie sie sich drehten und in den Himmel schraubten. Es war spektakulär, schön und wild gewesen.

„Aber wir wissen, dass meines grün ist, denn Basil und Ryans Leerfeuer sind ebenfalls grün, ebenso wie Gages, und ich habe Verbindungen zu allen von ihnen. Hatte, im Falle von Gage.“ Meine Stimme stockte und ich schluckte schwer. „Das würde logischerweise bedeuten, dass deines ...“

„Violet ist. Die letzte andere Farbe, die noch nicht erloschen ist.“

Wir starrten einander an. Gedanken und Ängste sprühten aus unseren Augen. Tomio berührte meine Wange und strich mit seinem Daumen über meine Unterlippe. „Versuch, nicht daran zu denken.“

„Das ist unmöglich“, flüsterte ich.

Was auch immer Nero vorhatte und wohin er als Nächstes ging, es würde bedeuten, dass einer von uns sein Feuer verlieren würde, wenn wir nicht einen Weg fanden, ihn aufzuhalten. Wie würde Tomio reagieren, wenn er es wäre? Und wie würde ich reagieren, wenn ich es wäre? Würde einer von uns weiterkämpfen, während der andere zusammenbrach?

Der Grund, warum wir diese Treffen in der Akademie abhielten, war, dass die Büros der Agentur in London als Genesungsheim genutzt wurden. Felix, Harriet und Brooke, unsere Freunde von den Feuerspielen, waren alle dort untergebracht und wurden gepflegt und therapiert. Ich wollte sie besuchen, aber ich musste dem Kampf gegen Nero Vorrang einräumen. Basil hatte mich davon überzeugt, dass ein Besuch bei den verzweifelten Magiern, so nett er auch sein mochte, uns nur ablenken würde.

„Wo sind deine Gedanken?“, fragte Tomio und berührte mit einer Fingerspitze das Ende meiner Nase.

„Ich denke nur daran, wie es in der Zentrale der Agentur gerade zugehen muss.“

Er legte die Stirn in Falten. Ich konnte fast sehen, wie sich die Zahnräder in seinem Kopf drehten und wie seine Fantasie ansprang. Plötzlich hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn daran erinnert hatte, dass die meisten unserer Freunde zu den Opfern der vorherigen Wellen gehörten.

„Tut mir leid“, flüsterte ich. „Lass uns stattdessen über die Artefakte nachdenken, die wir in Neros Bunker gesehen haben, vielleicht fällt uns etwas Hilfreiches ein, ein Hinweis oder so.“

Seine Miene hellte sich fast unmerklich auf. „Wir werden ihn aufhalten, Saxony. Wir werden ihn finden. Wir müssen.“

Basil kehrte in die Lobby zurück und trug ein Tablett mit Gläsern und einer großen Karaffe mit Wasser in den Händen. Er stellte es vor uns ab.

„Wo ist Ryan hin?“

Wir setzten uns auf und schauten hinter unsere Couch. Ryan war tatsächlich nicht mehr in der Lobby.

„Ich habe ihn nicht weggehen sehen.“ Tomio stellte die Gläser aufrecht hin, während Basil sie füllte.

Ich reichte Ms. Shepherd und Mehmet jeweils ein volles Glas. „Ich hoffe, er erinnert sich an etwas Gutes, denn es kommt mir vor, als würden wir viel zu langsam vorankommen“, sagte ich.

Mehmet lachte. „Ha! Ich wünschte, wir würden überhaupt vorankommen. Wir waren Nero offensichtlich die ganze Zeit vier Schritte hinterher.“

Ms. Shepherd sträubte sich und hielt ihr Glas Wasser dicht an ihre schmale Brust. „Immer mit der Ruhe. Wir wissen jetzt mehr, als wir jemals wussten.“

Mehmet lehnte sich zurück und starrte auf seinen Laptop, während er in die Tasten tippte. „Ja, dank eines Haufens von Teenagern.“

Ms. Shepherd hob ihren Blick zum Himmel, als wolle sie die Götter um Geduld bitten, und nahm dann einen Schluck.

Basil zwinkerte mir zu. Es war das erste Mal, dass ich etwas von Basils alter Lässigkeit sah, seit wir aus Neapel zurückgekommen waren, und es wärmte mein Herz.

Das Klopfen auf der Treppe veranlasste uns alle, uns umzudrehen und die Gläser in die Luft zu halten.

Ryan kam mit fiebrig leuchtenden Augen auf uns zu. Er hatte sein Handy in der Hand, das eine Webseite zeigte, auf der nur Text stand.

Seine Haare standen in Büscheln und Spitzen ab, als hätte er sie zwanghaft ausgerissen.

„Gütiger Himmel“, sagte Basil angesichts seines beängstigenden Aussehens.

Ryan fuhr sich mit der anderen Hand durch seine zerzauste Mähne. Er sah von Basil zu Ms. Shepherd. „Haben Sie zufälligerweise Strahlenphysiker unter Ihren Mitarbeitern?“

Ms. Shepherd und Basil tauschten einen verwirrten Blick aus.

Mehmet sprach zuerst. „Ein Strahlenphysiker? Ein menschlicher?“

Ryan winkte mit einer Hand. „Menschlich, übernatürlich, ist egal. Jemand, der sich mit Radioaktivität auskennt.“

Ms. Shepherd richtete sich auf. Während sie über Ryans Frage nachdachte, näherte sich ihr Gesichtsausdruck der Schwelle zum Verstehen, überschritt sie aber nicht ganz. „Weil Nero radioaktiv ist? Meinst du, wir könnten ihn auf diese Weise aufspüren?“

Ryan begann, auf und ab zu gehen, und sah seinem Bruder dabei ähnlicher denn je. „Wenn ich an die Flughafensicherheit denke, frage ich mich, wie er es schafft, um die ganze Welt zu fliegen. Selbst wenn er ein Privatflugzeug nimmt.“

„Ich glaube nicht, dass Metalldetektoren so gebaut sind, dass sie Radioaktivität erkennen“, murmelte Mehmet. „Aber vielleicht haben die Flugzeuge selbst Alarmanlagen.“

Basils Stirn legte sich in Falten, sein Blick war auf Ryan fixiert. „Fahr fort.“

„Ich weiß nichts über Radioaktivität, aber eine schnelle Suche“, er hielt sein Handy hoch und schüttelte es, wobei er ein wenig aussah, als befände er sich am Rande des Wahnsinns, „sagt mir, dass Strahlung chemische Verbindungen aufbricht, auch die in unserem Körper. Genug davon und du stirbst. Aber Nero ist nicht im Begriff, zu sterben, er wird stärker, was den Gesetzen der Physik widerspricht. Liege ich da falsch?“

Das Zimmer wurde ruhig.

„Worauf willst du hinaus?“, fragte Tomio und drehte sich so, dass er Ryans faszinierende Präsentation besser sehen konnte.

Ich drehte mich ebenfalls und stützte mich auf eine Hüfte. „Janet dachte, sie würde an einer Strahlenvergiftung leiden, wenn sie zu viel Zeit mit Nero verbrachte. Irgendetwas machte Janet krank. Willst du damit sagen, dass Nero nicht radioaktiv ist?“

Ryan zeigte auf mich und schritt in die andere Richtung, wobei er seinen Kopf drehte. „Genau. Ich denke, dass er nicht wirklich radioaktiv ist, aber dass er eine Art ... übernatürlichen Ausfluss ausstößt ... auf den Menschen in seiner Nähe mit Symptomen reagieren.“

Er hielt inne und ein Schatten zog über seine Züge. Er war so schnell da und wieder weg, dass ich keine Zeit hatte, ihn zu identifizieren. Vielleicht erinnerte er sich daran, was Nero mit Gage gemacht hatte.

Er fuhr fort: „Was auch immer er tut, wenn er an diese Orte reist, verstärkt das diesen übernatürlichen Ausfluss, weshalb Janet sich immer kränker fühlte, wenn er von einer anderen Reise zurückkam.“

„Und du glaubst, dass dieser übernatürliche Ausfluss als Radioaktivität registriert werden könnte?“ Ms. Shepherd Blick wurde nahezu hungrig. „Aber wie sollen wir Nero nahe genug kommen, um ihn aufzuspüren, wenn wir keine Ahnung haben, wo er ist? Wir haben keine Beweise dafür, dass er Italien verlassen hat, und auch keine Hinweise darauf, dass er irgendwelche offiziellen Grenzen überschritten hat.“

„Von Janet gibt es auch keine Spur“, murmelte ich und mein Magen zog sich vor Sorge zusammen. Die letzten Worte, die ich zu ihr gesagt hatte, hallten anklagend in meinem Gedächtnis wider: Wir kommen zurück und holen dich.

Aber Ryan schüttelte den Kopf. „Wir konzentrieren uns auf die falsche Sache. Wir waren so sehr damit beschäftigt, nach Hinweisen darauf zu suchen, wo Nero hingeht, dass wir nicht genug darauf geachtet haben, wo er gewesen ist.“

Ryan hielt sein Handy hoch, damit wir sehen konnten, was er gelesen hatte.

Tomio und ich krabbelten gemeinsam auf die Rückenlehne des Sofas, um näher an den Bildschirm zu kommen. Ms. Shepherd und Basil kamen ebenfalls näher. Wir vier standen so dicht beieinander, dass ich den Kaffeegeruch in Ms. Shepherds Atem und Basils Aftershave riechen konnte.

Mein Puls beschleunigte sich, als ich verstand, was Ryan uns da zeigte. Ms. Shepherds Hand flog vor Schreck zum Mund.

Basil murmelte: „Ich will verdammt sein.“

„Würde das bitte jemand laut vorlesen?“, sagte Mehmet von der Couch aus, während sein Laptop zirpte und summte. „Ich kann meinen Posten hier nicht aufgeben.“

„Gebiete mit natürlich hoher Hintergrundstrahlung werden als HBNRAs bezeichnet“, flüsterte ich und las vom Bildschirm ab, bis mich ein trockener Fleck im Hals zum Husten und Würgen brachte. Ich nahm noch einen Schluck Wasser.

Tomio klopfte mir auf den Rücken, während er weiterlas. Doch schon bald erstarb seine Hand und lag warm zwischen meinen Schulterblättern.

„Zu diesen Gebieten gehören Yangjiang, China. Guarapari, Brasilien. Ramsar, Iran, und Karunagappalli in Indien.“

Eine Gänsehaut kräuselte sich auf meinen Armen. „Ryan.“ Ich sah auf. „Das sind Worte, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie mir über die Lippen kommen würden, aber du bist ein Genie.“

Ryan grinste so breit, dass er endgültig verrückt aussah, vor allem mit seiner Igelfrisur.

„Steht Australien auch auf dieser Liste?“, fragte Ms. Shepherd.

„Nicht auf dieser Seite, aber ja. Arkaroola, Australien, ist auch eine HBNRA“, sagte Ryan und senkte sein Telefon.

Ms. Shepherd wandte sich ab. „Ich muss einen Anruf tätigen. Wir müssen sofort jemanden darauf ansetzen.“ Sie begann, in der roten Tasche zu wühlen, die sie auf den Boden gestellt hatte, und förderte eines ihrer vielen Handys zutage. Sie verließ die Lobby und ging in den nächsten Aufenthaltsraum, vermutlich um die Agentur anzurufen.

„Sind diese Orte nach Strahlkraft geordnet?“ Ich kletterte über die Rückenlehne der Couch und schaute auf Ryans Handy.

„Nicht auf dieser Website, aber Wiki sagt, dass Ramsar die Nummer eins in der Welt ist.“

„Wo Nero dich hingeschickt hat“, sagte Tomio.

„Ja.“

„Was hast du dort gemacht?“ Ich sah in Ryans Gesicht und studierte seinen Ausdruck.

Seine Augen bewegten sich und er wich zurück, als ob er sich bedrängt fühlte. „Er sagte, es gäbe dort eine Kugel. Er sagte, ich solle sie holen und für ihn zurückbringen.“

„Und hast du?“ Basil nahm ein Tuch aus seiner Jackentasche und putzte seine Brille.

Ryans Energie veränderte sich. Sein Blick huschte zu einem nahe gelegenen Fenster, dann zum Feuer, dann zu Basil. „Ja. Und da wir gerade von den Kugeln sprechen, Sie müssen die beiden Kugeln im Besitz der Agentur holen.“

Der Schulleiter rückte sein Halstuch und seine Brille zurecht. „Warum?“

„Auch wenn die HBNRAs ein Hinweis sind, brauchen wir diese Kugeln, um Neros Ziele zu bestätigen.“

„Und du weißt, wie man das macht, nehme ich an? Ich habe nämlich ausgiebig mit diesen Kugeln experimentiert und sie sind so leblos wie Gartenzwerge.“ Basil verschränkte die Arme mit zweifelnder Miene.

„Vielleicht.“ Ryan starrte Basil an, ohne mit der Wimper zu zucken.

Basil atmete aus. „Ich muss nicht zur Agentur gehen, um sie zu holen. Sie sind hier, in der Akademie.“

Ryan schien nicht überrascht zu sein. Er streckte eine Hand aus und schnippte zweimal mit den Fingern.

Vier Augenpaare richteten sich auf Basil. Der Schulleiter sah aus, als wolle er protestieren.

„Warum zögern Sie?“, fragte ich, da ich annahm, dass Basil Ryan nicht vertraute, und ich hatte volles Verständnis dafür, wenn dies der Fall war. „Ryan ist jetzt auf unserer Seite. Wenn Sie ihn im Vesuv gesehen hätten, würden Sie nicht an ihm zweifeln.“

„Danke, Saxony“, antwortete Ryan, ohne seinen Blick von Basil abzuwenden. „Wenn Sie sich erinnern, liegt mein Zwilling immer noch im Koma, dank Nero. Ich will ihn mehr als jeder andere aufhalten.“

Ehrlich gesagt vertraute ich Ryan immer noch nicht. Er mochte auf unserer Seite stehen, aber das bedeutete nicht, dass er uns nicht etwas verheimlichen würde, wenn es ihm nützte. Ich hatte bereits den Verdacht, dass er etwas über das, was er in Ramsar gemacht hatte, geheim hielt, aber das Wichtigste war, Janet und die Magier zu retten. Und wenn Ryan sagte, er wüsste, wie man die Kugeln, die sich in unserem Besitz befanden, nutzen konnte, dann mussten wir das tun.

„Das ist es nicht.“ Basil zupfte mit den Zähnen an seiner Unterlippe. „Es ist nur so, dass sie unbezahlbar sind, und niemand außer mir hat sie je angefasst. Wenn ihnen etwas zustoßen würde ...“ Er brach ab, vielleicht weil er merkte, dass es so klang, als würde er ein paar Artefakte über das Wohlergehen der Welt stellen. „Also gut.“ Er zupfte an seiner Jacke. „Ich werde sie holen.“

Ryan zog ungeduldig die Augenbrauen hoch: „Das wäre toll.“

Basil ging auf die Treppe zu.

Ms. Shepherd kam zurück. „Okay, wir haben jemanden, der sich mit der Strahlungstheorie beschäftigt. Gute Arbeit, Ryan. Es ist zwar nicht der Weisheit letzter Schluss, aber es ist ein Anfang. Wo ist Basil?“

„Er holt die Kugeln“, sagte Mehmet und ließ seinen Blick über seinen Laptop-Bildschirm gleiten.

„Ausgezeichnet, das ist der nächste Punkt auf der Tagesordnung. Wenn wir herausfinden können, wie Nero sie benutzt, sollten wir in der Lage sein, einen Plan zu entwerfen, anstatt uns hilflos zu fühlen.“

Ich warf ihr einen überraschten Blick zu. Ich hatte Ms. Shepherd noch nie zuvor persönliche Gefühle zu einer Situation äußern hören.

Basil kam schließlich die Treppe hinunter und hielt eine glänzende schwarze Schachtel an seine Brust. Er ging zu Ryan hinüber und blieb vor ihm stehen. Basil zögerte einen Moment, dann reichte er Ryan die Schachtel.

Die ganze Luft schien aus dem Raum gesaugt zu werden, als Ryan sie nahm und sich an einen Tisch setzte. Tomio und ich drängten uns zu beiden Seiten von ihm, um in der ersten Reihe zu sitzen. Ms. Shepherd stellte sich hinter mich und sogar Mehmet legte schließlich seinen Laptop beiseite.

Mein Mund fühlte sich trocken an und mein Herz pochte vor Vorfreude, sogar meine Hände zitterten, als Ryan den Deckel öffnete. Zum Vorschein kam eine glänzende silberne Kugel, die in einem roten Samtkissen lag.

Mein Atem stockte und Ms. Shepherd stieß einen bewundernden Schrei aus.

Sie war wunderschön, perfekt rund und aus einem Metall, das zu hell war, um Silber zu sein, aber nicht reflektierend genug, um Quecksilberglas zu sein. Sie war mit einer erhabenen, organischen Linie durchzogen, die wie die Nähte eines Baseballs aussah, sich aber schlängelte. Die Linie ragte aus der Oberfläche der Kugel heraus, ohne Risse, Brüche oder verräterische Schweißnähte. Es war, als wäre ein eleganter, himmlischer Wurm unter die Oberfläche gekrochen und hätte eine Spur in dem schimmernden Metall hinterlassen.

Ryan wirkte unbeeindruckt. Aber er hatte ja auch schon einmal eine dieser Kugeln in der Hand gehabt. Er blickte Basil an. „Sie haben gesagt, Sie hätten zwei.“

„Und das tue ich auch“, antwortete Basil defensiv, aber entschlossen. „Wenn du aus dieser Kugel Informationen herausbekommst, dann hast du dir das Recht auf die zweite verdient.“

Ryan stieß Luft aus und schloss den Deckel. „Gut. Damit kann ich leben.“

Eine leichte Enttäuschung machte sich in mir breit, jetzt, wo die Kugel nicht mehr zu sehen war. Ich wollte sie in die Hand nehmen, sie untersuchen, aber ich hatte nicht den Mut zu fragen, zumindest nicht in diesem Moment, in dem Basil so angespannt und misstrauisch wirkte.

„Aber“, Basil hob warnend den Finger, „wenn du irgendetwas tust, was sie beschädigt, wird es dir sehr, sehr leidtun.“

2

„Was glaubst du, was er macht?“, fragte Tomio, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und stützte eine Hand auf seinen vollen Bauch. „Hast du Basils Gesicht gesehen, als Ryan nicht zum Pizzaessen auftauchte?“

Wir saßen in der Cafeteria, leere Pizzakartons standen auf dem Tisch zwischen uns. Basil hatte gegessen und war dann nach London gefahren, um zu sehen, wie es in der Agentur lief. Ms. Shepherd und Mehmet hatten ihr Essen verschlungen und sich im Büro des Schulleiters eingeschlossen, wo sie mit dem Team von Ms. Shepherd Gespräche über radioaktive Spuren führten.

Ryan hatte die Kugel genommen und war gegangen, ohne auf die Pizza zu warten oder jemandem zu sagen, wohin er wollte.

„Basil sah aus, als hätte jemand sein Kind gekidnappt.“ Ich schloss die Kartons und brachte sie zur nächsten Mülltonne. Es gab kein Reinigungspersonal im Sommer und ich war an der Reihe, den Sack zum Müllcontainer an der Straße zu bringen, damit die Stadt ihn abholen konnte. Vor morgen früh würde niemand da sein, also konnte ich es bis dahin aufschieben.

Als ich zum Tisch zurückkehrte, schob ich ein Bein über Tomio und ließ mich auf seinem Schoß nieder.

„Oh, hallo.“ Er legte seine Hände auf meine Hüften und schaute mir mit verschleierten Augen ins Gesicht.

„Ich bin mir nicht sicher, ob es mir wichtig ist, wohin Ryan verschwunden ist, wenn wir dadurch Zeit für ... andere Dinge haben.“ Ich fuhr ihm mit den Fingern durch die Haare am Hinterkopf und genoss es, wie seine Augen groß wurden.

„Entschuldigung, hast du etwas gesagt?“ Tomio lallte, als wäre er betrunken.

Ich senkte meine Lippen auf seine, mein Puls raste, mein Magen wurde warm.

„Dafür ist später noch genug Zeit, Kinder“, sagte plötzlich Ryan an der Tür.

Ich richtete mich ruckartig auf und stieg von Tomios Schoß, wobei mein Gesicht vor Verlegenheit glühte. Tomio warf mir einen seltsamen Blick zu und schien völlig entspannt und unbeeindruckt davon zu sein, dass Ryan hereingeplatzt war. Er war so viel cooler als ich, das musste ich zugeben. Vielleicht lag es am MMA – oder an irgendeiner anderen Kampfsportweisheit.

„Entspann dich“, sagte Ryan und sah gelangweilt aus. „Es ist mir egal, mit wem du knutschst.“ Er umklammerte eine volle braune Papiertüte in einem Arm.

„Was ist in der Tasche?“ Tomio richtete sich auf.

Ryans Gesichtsausdruck wurde verschmitzt. „Nur ein paar Haushaltschemikalien. Komm mit mir, Cagney. Wir haben viel zu tun.“

„Was hast du vor?“ Ich folgte ihm, wenn auch langsam.

„Mit dem Radioaktivitätsteam und den Kugeln werden wir sehr bald herausfinden, wo Nero als Nächstes hin will, und dann haben wir keine Zeit mehr für Nachhilfe, geschweige denn Zugang zur Schmiede. Also, komm.“

„Du willst, dass sie dich trainiert?“, fragte Tomio neugierig.

Ryans Lachen war trocken und sarkastisch. „Nein. Ich werde sie trainieren.“ Sein Blick wanderte zu mir und er krümmte einen Finger. „Zeit, etwas Alchemie zu lernen.“

Ich tauschte einen großen Blick mit Tomio aus, aber bevor ich reagieren konnte, hatte Ryan die Cafeteria verlassen.

Ich folgte ihm.

„Darf ich mitkommen?“, rief Tomio uns nach.

Da Ryan nicht antwortete, beantworte Tomio seine Frage selbst: „Warum frage ich überhaupt? Es ist mir egal, was er denkt, ich werde das nicht verpassen.“

Wir holten feuerfeste Kleidung, zogen sie an und trafen Ryan vor dem CTH.

Der abgestandene Geruch von Neopren in einem Raum, der schon lange nicht mehr gelüftet worden war, stieg mir in die Nase. Das Abendlicht drang durch die Oberlichter und warf kantige Schatten auf die Matten. Ich dachte kurz an den Kuss zurück, den Tomio und ich vor nicht allzu langer Zeit auf diesen Matten geteilt hatten. Ich warf einen kurzen Blick auf ihn. Er schien meine Gedanken nicht zu bemerken.

Als wir die Schmiede betraten, schaltete ich die Belüftung ein, und Tomio machte das Licht an. Die leisen, aber leistungsstarken Industrieventilatoren begannen, die Luft umzuwälzen, und der muffige Geruch verflog.

Ryan trug seine Tasche zu einem der Hafniumwaschbecken hinüber und stellte sie dort ab. Er begann, Gegenstände herauszunehmen und sie auf dem Tresen aufzustellen. „Die Art und Weise, wie Arkturus Alchemie lehrt, ist langsam und sicher. Dafür haben wir keine Zeit.“

„Das klingt ominös.“ Tomio nahm eine rote Flasche in die Hand, die wie Motoröl aussah. Er warf Ryan einen leicht besorgten Blick zu.

Als er mit dem Ablegen der Gegenstände fertig war, verschwand Ryan im Metallschrank. Schubladen öffneten und schlossen sich, dann kam er mit einem Glas, das ein weiches silbrig-weißes Metall enthielt, wieder heraus. Ich hatte dieses Metall schon gesehen, aber noch nie damit gearbeitet.

„Kaliumchlorid, Bor, Kalziumchlorid“, zählte Ryan auf.

Ich ließ meinen Blick über die Gegenstände schweifen. „Die sind alle gefährlich. Wenn sie nicht gerade explosiv sind, dann sind sie ätzend oder instabil.“

Ryan grinste. „Ja, und wenn Basil wüsste, was ich dir gleich zeige, würde er durchdrehen. Also bleibt das unter uns, zumindest bis du dich erholt hast.“

Tomio riss den Kopf hoch. „Bis sie ... Pardon?“

Ryan warf Tomio einen Blick zu und deutete mit dem Daumen auf die Tür. „Wenn ich Ärger mit dir habe, Loverboy, dann verschwinde. Abgesehen von Nero ist Saxony der widerstandsfähigste verbrannte Magier, den wir kennen. Sie wird es überstehen. Sie wird in naher Zukunft Alchemie brauchen, glaub mir.“

Angst krabbelte bei diesen Worten meine Wirbelsäule entlang, aber da war auch ein heißes Kribbeln der Erregung. „Ich bin bereit.“

Ryan warf Tomio einen fragenden Blick zu.

Tomio hob beide Hände. „Ist schon gut, ich bin nur hier, um zu beobachten. Ich werde mich nicht einmischen.“

„Das hat dir Nero beigebracht, nachdem du die Kugel abgeliefert hattest, nicht wahr?“ Ich konnte immer noch sehen, wie Nero und Ryan sich gegenseitig mit farbigem Feuer im Vesuv beschossen. Das war ein Anblick, den ich nie wieder vergessen würde.

Ryan zögerte. „Ja. Er konnte mir nicht alles beibringen, weil ich nicht so stark bin wie er, aber er zeigte mir die Grundprinzipien. Obwohl du keine Zeit haben wirst, sie vollständig zu beherrschen. Das dauert Jahre. Je schneller du Alchemie lernst, desto größer ist die Gefahr. Für dich, meine ich. Du wirst dich heute Abend nicht gut fühlen, wenn du ins Bett gehst, aber du wirst dich erholen. Kannst du mir das glauben?“

„Ich denke schon.“ Wenn es einfach wäre, würde es jeder machen, und ich hatte bereits gesehen, was Alchemie in den Händen von Anfängern bewirken konnte.

„Gut. Es ist wichtig, dass du den Unterschied zwischen Alchemie und Leerfeuer erkennst, denn beides gibt es in Regenbogentönen.“

„Erwachsene produzieren kein Leerfeuer ...“ Ich hielt inne und erinnerte mich an die prächtigen tiefsmaragdgrünen Flammen, die Ryan unten am Strand erzeugt hatte. „... zumindest nicht sehr oft. Und Kinder können sicherlich keine Alchemie betreiben.“

„Ja, aber darüber hinaus kann man Leerfeuer von Alchemiefeuer durch die Farbe unterscheiden. Es gibt beide in Orange, Gelb, Grün, Blau, Violett, Rot und Indigo, aber Alchemie ist heller.“

„Eher künstlich“, vermutete ich. „Fast neonfarben?“

„Ja, woher weißt du das? Vom Vesuv?“

„Davor. Der Eindringling, den ich verfolgte, bevor unser erstes Jahr begann, erzeugte helle saphirfarbene Flammen, die ich noch nie gesehen hatte. Das Feuer stank nach Chemikalien und entzündete Dinge superschnell.“

Ryan nickte. „Das bringt mich zum nächsten Unterschied: Die meisten Alchemieflammen haben einen starken Geruch. Allerdings kann ein erfahrener Magier den Geruch, den er verströmt, minimieren.“ Er nahm eine Substanz in die Hand. „Fangen wir hier an. Jede der alchemistischen Farben wird deine Fähigkeiten auf eine andere Weise verbessern. Dieser Zusatz enthält Nitromethan, das deine Verbrennungsfähigkeiten steigert. Ich konnte kein reines Nitromethan finden, also musst du die Mischung absorbieren und verbrennen, was du nicht brauchst.“

Meine Kehle schnürte sich zu und ich brauchte eine Sekunde, um zu verstehen, was er sagte. „Du willst, dass ich das trinke?“

Tomio unterdrückte ein Gurgeln in der Kehle und ballte eine Hand zwischen die Zähne.

Ryan ignorierte ihn. „In gewisser Weise, aber nicht durch den Mund, sondern durch die Haut. Ich werde etwas in deine Handfläche gießen. Halte es und erhöhe deine Körpertemperatur stetig, bis du alles aufgenommen hast. Das Nitromethan muss bis in dein Inneres vordringen. Wenn es abgekühlt ist, wird es ein Teil von dir sein.“

„Dauerhaft?“

Ryan nickte. „Dauerhaft. Das sind die Dinge, die du hier an der Akademie nie lernen wirst. Sie verabreichen unverbrannten Magiern nur einen winzigen Tropfen der Substanz. Das ist weniger gefährlich, aber die Wirkung ist schwach und vorübergehend. Nur verbrannte Magier sind stark genug, um das zu tun, was du gleich tun wirst.“

„Hast du das mit allen Farben gemacht?“

Ryan schraubte den Deckel ab. „Hier geht es nicht um mich und du hältst mich hin. Streck deine Hand aus.“

Ich reichte ihm meine Handfläche und Ryan goss die ölige Substanz darauf. Er stellte die Flasche ab und legte seine Hände auf meine Schultern. Er führte mich zu einem freien Platz in der Schmiede direkt unter der Lüftung und sagte: „Verbrenn es nicht. Denk daran, es nach innen zu ziehen, nicht nach außen zu drücken. Und erhöh deine Temperatur nicht zu schnell.“

„Das sind eine Menge Anweisungen“, murmelte ich, schürte mein Feuer und ließ es unter meiner Haut um meinen Körper wallen.

Aber ich konnte bereits spüren, was er meinte. Indem ich die Energie meines Feuers lenkte, konnte ich spüren, wie die Chemikalien in meine Hand einsickerten. Ein brutzelndes Gefühl begann in meiner Handfläche und kroch meinen Arm hinauf, als ich meine Temperatur erhöhte. Einen Moment später erfüllte ein zischendes Geräusch meine Ohren.

„Genau so.“ Ryans Stimme klang, als käme sie aus den Lautsprechern eines altmodischen Radios.