Flor Peeters (1903-1986) - Clemens Morgenthaler - E-Book

Flor Peeters (1903-1986) E-Book

Clemens Morgenthaler

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Beschreibung

Flor Peeters (1903-1986) war als Organist, Komponist und Pädagoge einer der weltweit prägenden Musiker des 20. Jahrhunderts. Das musikalische Lebenswerk des Belgiers ist umfassend und kann als monumental bezeichnet werden. Dieses Buch bietet erstmals eine Einführung in sein Leben und Werk und deutet es im Kontext seiner Zeit.

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Flor Peeters (1903–1986)

Leben und Werk

Clemens Morgenthaler

Flor Peeters (1903–1986)Leben und Werk

Für Elli

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unterhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

978-3-95983-614-2 (Hardcover)

978-3-95983-615-9 (Paperback)

978-3-95983-616-6 (e-Book)

© 2020 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz

www.schott-buch.com

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck in jeder Form sowie die Wiedergabe durch Fernsehen, Rundfunk, Film, Bild- und Tonträger oder Benutzung für Vorträge, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags.

Inhalt

Vorwort

Kindheit und Jugend

Studium

Domorganist

Lehrtätigkeit

Konzerttätigkeit

Charles Tournemire

Familie

Ehrungen

Komponist

Orgelwerke

Sonstige Werke

Würdigung

Biografie – chronologisch

Werkliste

Flor Peeters als Interpret

Diskografie

Literaturnachweis

Internetquellen

Abbildungsverzeichnis

Über den Autor

Dank

Vorwort

Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Dieses Buch ist dem Leben und Werk von Flor Peeters (1903–1986) gewidmet. Dass dies, mehr als 30 Jahre nach seinem Tod, in dieser Form im deutschen Sprachraum erstmals unternommen wird, mag einigermaßen erstaunlich erscheinen, galt Flor Peeters doch zu Lebzeiten als weltweit geachtete Autorität im Bereich der Kirchenmusik und der Orgelmusik im Besonderen. Über die möglichen Ursachen und Hintergründe für diesen Tatbestand wird an anderer Stelle im Kapitel »Würdigung« noch zu sprechen sein. Doch was bringt einen Sänger und Gesangspädagogen dazu, sich mit dem Leben und Wirken des belgischen Organisten, Komponisten und Pädagogen auseinanderzusetzen, gar ein Buch zu schreiben? Schon an dieser Stelle sei der Begriff »Liebe« ins Spiel gebracht. Ja, der Verfasser bekennt freimütig, sich in die Musik dieses Komponisten verliebt zu haben. Dieser Umstand mag auf den ersten Blick einen objektiven oder gar wissenschaftlichen Zugang zum Lebenswerk eines Menschen als geradezu unmöglich erscheinen lassen. Gleichwohl bedarf es in diesem konkreten Falle wohl zunächst einer besonderen Motivation und eines besonderen Vorschusses an Sympathie, ohne die eine Annäherung erst gar nicht stattfinden würde.

Meine erste Begegnung mit der Orgelmusik von Flor Peeters hatte ich Anfang der 1990er Jahre bei einem Orgelkonzert im Würzburger Dom. Paul Damjakob, der legendäre und langjährige Domorganist der dortigen Kathedrale, spielte in einem Konzert als Finalstück »Toccata, fugue et hymne sur ›Ave Maris Stella‹« op. 28. Dieses wohl meistgespielte Werk von Peeters berührte mich zutiefst und war gleichsam die Eintrittskarte in die Welt dieses Komponisten. Diese »Liebe auf den ersten Blick« vertiefte und verstetigte sich anlässlich eines Konzertes von Leopold Sluys an der Hausorgel des bedeutenden Organisten und Würzburger Orgelprofessors Günther Kaunzinger. Sluys, ein ehemaliger Schüler von Peeters, spielte neben »Toccata, fugue et hymne sur ›Ave Maris Stella‹« op. 28 noch das wunderbar berückende Choralvorspiel »O Gott, du frommer Gott« aus op. 68. Nun war es endgültig um mich geschehen. Die Tatsache, dass Flor Peeters Belgier war, verstärkte noch meine Zuneigung, war doch in meiner damaligen aktiven Zeit als Fußball-Torwart der Belgier Jean-Marie Pfaff mein absolutes Idol und Vorbild. Das Land Belgien mit seinen Fußballstars und sonstigen Bewohnern musste demnach als besonders attraktiv erscheinen und hatte somit für mich bereits einen guten Klang. Dass ich damit quasi automatisch auch Anhänger von Pfaffs deutschem Fußballverein, des FC Bayern München, sein musste, möge mir von Unterstützern anderer Fußballvereine an dieser Stelle gnädigst verziehen werden. Dieser Umstand aus meiner Jugend soll der freundlichen Aufnahme dieses Buches nicht entgegenstehen.

Mein Weg führte mich dann einige Jahre später von meiner tauberfränkischen Heimat zum Kirchenmusik-Studium nach Freiburg im Breisgau. Hier spielte die Musik von Peeters eigentlich keine nennenswerte Rolle. Immerhin erarbeitete ich im Studium einige seiner Werke (»Concert Piece« op. 52a, »Suite modale« op. 43, »Toccata, fugue et hymne sur ›Ave Maris Stella‹« op. 28), was zur damaligen Zeit in der Kirchenmusik- und Orgelausbildung in deutschen Landen sicher als eher exotisch gelten durfte. An dieser Stelle möchte ich meinem verehrten Orgelprofessor Klemens Schnorr für die Toleranz und das mir entgegengebrachte Verständnis in dieser Sache danken. Als sich nach dem Kirchenmusik-Studium dann die Welt des Gesanges meiner bemächtigte, war mit Orgelmusik und exotischen Repertoireausflügen in entlegene Orgellandschaften erst einmal Schluss. Mit meiner ersten Liebe, der Orgel, stand ich zwar nach wie vor in einem guten Verhältnis, aber nun galt mein Interesse der Erkundung einer für mich gänzlich neuen musikalischen Welt. Fortan sollte die Gesangskunst im Zentrum meiner musikalischen Bemühungen stehen, was sie bis auf den heutigen Tag auch tut. Weil aber bekanntlich alte Liebe nicht rostet, fühlte und fühle ich mich neben der Beschäftigung mit der unerschöpflichen Literatur aus Oper, Lied und Oratorium nach wie vor der Welt der »Musica sacra« in besonderer Weise verbunden.

Mein Verhältnis zur Musik von Flor Peeters bekam einen neuen Auftrieb, als meine Gesangsklasse an der Musikuniversität Feldkirch die Möglichkeit erhielt, im Rahmen des Bodenseefestivals 2019 ein geistliches Konzert in der schönen neugotischen Herz-Jesu-Kirche in Bregenz zu gestalten. Das Festival widmete sich der Musik der drei Beneluxstaaten. Was lag also näher, als das angedachte Konzert dem bedeutenden und wirkmächtigsten belgischen Komponisten des 20. Jahrhunderts, Flor Peeters, zu widmen? Zusammen mit dem Organisten Helmut Binder musizierten wir geistliche Vokalmusik in Solo- und Ensemble-Besetzung. Die Reaktion des Publikums auf die ihm unbekannte Musik war durchwegs positiv und teils begeistert. Gleiches erlebten wir bei den Wiederholungskonzerten in Feldkirch, Freiburg und Singen.

Als ich im Frühjahr 2019 einen Gesangskurs an der Musikhochschule in Löwen (Belgien) abhielt, hatte ich auch die Gelegenheit in der dortigen Bibliothek Nachforschungen zum Leben und Werk Flor Peetersʼ anzustellen. Dass mein Ansinnen und Interesse am wohl bedeutendsten belgischen Musiker und Komponisten des 20. Jahrhunderts auf eine gewisse Überraschung stieß, ließ mich doch sehr erstaunen. Sic transit gloria mundi! Jedenfalls wich die leichte Irritation über mein Begehren einer freudig-konstruktiven Unterstützung und Mithilfe in der Beschaffung der gewünschten Informationen, Bücher und Partituren.

In der konzertlosen Zeit der Corona-Krise im Frühjahr 2020 fand der Verfasser dieser Zeilen nun die Möglichkeit, die Ergebnisse seiner Nachforschungen zu Leben und Werk von Flor Peeters einem geneigten Leserkreis in Form eines Buches darzubieten. Wie schon erwähnt, geschieht dies nicht in einer kritisch-distanzierten Haltung, sondern aus einer hoffentlich spürbaren Begeisterung für die Musik des großen Flamen. Gibt es in der subjektiven Betrachtung künstlerischer und musikalischer Angelegenheiten überhaupt die Kategorie der Objektivität jenseits der Beurteilung festgelegter Parameter? Möglicherweise. Wenn diese Schrift den Anstoß zu einer weiteren, gerne auch kritischeren Beschäftigung mit dem Werk Flor Peetersʼ geben sollte, hätte sie bereits einen Zweck erfüllt. Gleichwohl harrt ein Großteil seines Oeuvres jenseits der bekannten Orgelwerke, wie das geistliche Vokalwerk, die Lieder sowie die Klavier- und Kammermusik einer Wieder- bzw. Neuentdeckung. Auch hierzu hoffe ich mit diesem Buch einen bescheidenen Beitrag leisten zu können. Es ist gewissermaßen seine vornehmste Aufgabe. Nun wünsche ich den Leserinnen und Lesern ein freudiges Eintauchen in die Welt von Flor Peeters.

Kindheit und Jugend

Franciscus Florentius Peeters wurde am 4. Juli 1903 in Tielen, einem kleinen flämischen Dorf östlich von Antwerpen (Region Kempen), als jüngstes Kind einer elfköpfigen Familie geboren. Er wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Sein Vater, Ludovicus Peeters (1839–1910) war Postmeister und versah in der Heimatpfarrei den Organisten- und Küsterdienst. Er war seit 1887 in dritter Ehe mit Maria Elisabeth Deckers (1864–1935) verheiratet. Seine ersten beiden Frauen waren früh verstorben. Aus diesen Ehen gingen insgesamt vier Kinder hervor.1 Flor Peeters hatte somit zu seinen acht leiblichen Geschwistern noch vier Halbgeschwister, die zum Zeitpunkt seiner Geburt allerdings nicht mehr im Haushalt lebten. Sein leiblicher Bruder Petrus Emilius (1889–1978), genannt »Emiel«, wurde wie der Vater Postmeister und Küster-Organist in Tielen und setzte damit die Familientradition fort, während eine seiner Schwestern (Rosalia Mathilde Magdalena) ins Kloster ging. Der Vater starb 1910, als Flor gerade einmal sieben Jahre alt war. Nach dem frühen Tod des Vaters erzog die Mutter die neun Kinder allein. Trotz der materiell eher einfachen Lebensumstände spielte die Musik, und hier insbesondere die Kirchenmusik, in der Familie eine bedeutende Rolle. So spielten alle Familienmitglieder ein Instrument (Violine, Blasinstrumente, Klavier, Harmonium). Auch das gemeinsame Singen wurde gerne und ausgiebig gepflegt. Bereits 1911, mit acht Jahren, spielte Flor unter der Aufsicht seines Bruders Emiel zum ersten Mal im Gottesdienst die Orgel der Pfarrkirche seines Heimatdorfes Tielen, das zu dieser Zeit ungefähr 1100 Einwohner zählte. Fortan vertrat er öfters seinen Bruder Emiel, der auch als erster sein Talent entdeckt hatte, beim gottesdienstlichen Orgelspiel. Auch der Mutter war schon früh die außergewöhnliche musikalische Begabung ihres jüngsten Kindes nicht verborgen geblieben und sie unterstützte diese mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. So hatte der junge Flor Peeters schon in dieser Zeit die Möglichkeit, neben dem Klavier- und Orgelspiel, auch das Violinspiel zu erlernen. Von der engen Bindung an seine Mutter, geprägt von großer Dankbarkeit, zeugt auch die Widmung der »Elegie« op. 38 für Orgel, die er 1935 am Abend ihres Todes komponierte und die den Schmerz über ihren Verlust eindrücklich zum Klingen bringt. Die gläubige Hoffnung auf ein Wiedersehen im Jenseits wird durch ein Choral-Zitat aus dem gregorianischen Requiem »In Paradisum« (»Zum Paradies mögen Engel dich geleiten«) ausgedrückt. Hier berühren sich zwei wesentliche Ebenen, die für das weitere Leben von Flor Peeters bestimmend sein sollten, nämlich der christliche Glaube und die Musik. Die Synthese aus beiden Bereichen stellt die Kirchenmusik dar, die fortan sein Leben wesentlich und dauerhaft prägen sollte.

Schon früh zeigte der junge Flor Peeters eine große Aufgeschlossenheit allen musikalischen Dingen und Erscheinungsformen gegenüber. So besuchte er beispielsweise oft die Proben der heimatlichen Blaskapelle und machte sich damit schon früh mit den charakteristischen Möglichkeiten und Stärken der jeweiligen Blasinstrumente vertraut. Daher rührt wohl auch sein besonderes und lebenslanges Interesse an Blechblasinstrumenten wie Trompete und Posaune, welche er in späteren Werken gerne und wirkungsvoll einsetzen sollte (»Entrata festiva« op. 93, »Sonate für Trompete und Klavier « op. 51, »Suite für vier Posaunen« op. 82, »Choral-Fantasie über ›Christ the Lord has risen‹« op. 101 für zwei Trompeten, zwei Posaunen und Orgel, »Canticum Gaudii« op. 118 für zwei Trompeten, zwei Posaunen und Orgel).

Ab dem zwölften Lebensjahr besuchte er das Gymnasium in Herentals, wo er beim Organisten des Kollegs neben Klavier- und Orgelunterricht auch Solfège-Unterricht erhielt. Auch hier vertrat er oft seinen Orgellehrer bei den verschiedensten Gottesdiensten und lernte so auf ganz selbstverständliche Weise die Liturgie der katholischen Kirche und ihre Erscheinungsformen kennen. Zudem hinterließ die Orgel der Hauptkirche St. Walburgis (40 Register, drei Manuale und Pedal) bei ihm einen nachhaltigen Eindruck.

Ab 1915 setzte er seine schulische Laufbahn am Institut Saint-Victor in Turnhout, wie Herentals eine Kleinstadt, fort. Hier blieb er bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Sein Lehrer in Orgel und Harmonielehre war mit Jozef Brandt ein Absolvent des renommierten Lemmens-Instituts für Kirchenmusik in Mechelen, der auch schon seinen Bruder Emiel unterrichtet hatte. Der junge Flor hatte zweimal in der Woche Unterricht in Klavier, Orgel, Harmonielehre und Begleitung des Gregorianischen Chorals. Zudem war er als Violinist Mitglied des Schulorchesters und spielte im Blasorchester verschiedene Instrumente. Im Chor sang der Knabe Flor Peeters als Sopranist mit. Nach dem Stimmbruch verfügte der groß gewachsene Jüngling mit dem lebendigen Gesichtsausdruck über eine wohlklingende tiefe Baritonstimme.2 Auch hier weiß sich der Verfasser dieser Zeilen als Bassbariton-Sänger mit dem Protagonisten dieses Buches in gleicher Stimmfach-Zugehörigkeit und sängerischer Eintracht verbunden. Der Unterricht bei Jef Brandt in Turnhout war eine hervorragende Vorbereitung auf das Studium am Lemmens-Institut, welches Peeters dann in vier statt in der Regelstudienzeit von acht Jahren absolvieren konnte. In Turnhout entstanden die ersten Kompositionen (Lieder, Motetten, Märsche für die Blaskapelle). Er hatte auch einige konzertante Auftritte als Pianist.3

Schon in dieser frühen Zeit seiner Jugend zeigte sich, dass der Dreiklang Glaube, Musik und eine tiefe Liebe und Verbundenheit zur reichen Kultur und Geschichte seiner flämischen Heimat stets die innere harmonische Grundlage bilden sollte, auf der sich dann später seine Entwicklung hin zu einem musikalischen Weltbürger ganz organisch vollziehen konnte. Diese sich dann bald frei entwickelnde »Lebensmelodie« hatte in der Geborgenheit seiner Heimat Flandern ihren festen Grund und Boden, was er in späteren Werken (»Variationen und Finale über ein altflämisches Lied« op. 20, »Vlaamsche Rhapsodie« op. 37) klingend zum Ausdruck bringen sollte. Seine spätere musikalische Universalität und Vielseitigkeit wurde schon in diesen frühen Jahren seines Lebens geprägt und gefördert.

 

1 Vgl. Guido Peeters, Raymond Schroyens, Allegro energico, Antwerpen 1991, S. 17.

2 Vgl. Peeters, Schroyens, Allegro energico, S. 23.

3 Vgl. John Hofmann, Flor Peeters – his life and his organ works, New York 1978, S. 10.

Studium

Im Jahr 1919 begann für Flor Peeters das Studium am Lemmens-Institut in Mechelen, nachdem er von seinem älteren Bruder Emiel dort angemeldet worden war. Diese Ausbildungsstätte war im Jahr 1879 als Konservatorium für Organisten gegründet worden und hatte sich seither rasch einen bedeutenden Ruf in der Welt der »Musica sacra« erworben. Der Namensgeber Jacques-Nicolas Lemmens (1823–1881), Absolvent des Brüsseler Konservatoriums und in Breslau Schüler von Adolph Hesse, war einer der renommiertesten Bach-Interpreten und Orgelpädagogen seiner Zeit. Seine »École dʼorgue« wurde stilbildend für viele weitere Orgelschulen. Zu seinen Schülern zählen u. a. Alexandre Guilmant, Charles-Marie Widor und Oscar Depuydt, der nun der Orgellehrer von Flor Peeters werden sollte. Oscar Depuydt (1853–1925) galt als herausragender liturgischer Orgelimprovisator und war ein geschätzter Orgellehrer. So waren beispielsweise Jules van Nuffel, Jules Vyverman, Staf Nees und Arthur Meulemanns seine Schüler. Die genannten Musiker hatten im Belgien des 20. Jahrhunderts bedeutende Stellen inne und wirkten auch als Komponisten vorwiegend geistlicher Chormusik prägend auf das kirchenmusikalische Leben ihrer Zeit.

Flor Peeters war im Lemmens-Institut der mit Abstand jüngste Student. Die meisten seiner Kommilitonen waren als Soldaten im Ersten Weltkrieg eingesetzt gewesen und somit durchwegs älter als er. Seine Lehrer am Institut waren neben Depuydt (Orgel und liturgische Orgelimprovisation) van Nuffel (Gregorianischer Choral) und Lodewijk Mortelmanns (Kontrapunkt und Fuge). Peeters war ein eifriger und herausragender Student. So konnte er das eigentlich auf acht Jahre ausgelegte Studium bereits nach vier Jahren erfolgreich beenden. Dem Abschlussdiplom im Jahre 1921 folgte 1922 der Exzellenzpreis. Alle Prüfungen schloss er mit Bestnote und Auszeichnung ab. Im Jahr 1923 wurde der erst 20-Jährige mit dem »Prix Lemmens-Tinel« ausgezeichnet. Er war damit der jüngste Empfänger dieses prestigeträchtigen und höchsten Preises des Lemmens-Instituts.4

Flor Peeters

Oskar Depuydt

 

4 Vgl. Hofmann, Flor Peeters, S. 12.

Domorganist

Im Jahr 1923 wurde Flor Peeters zur Unterstützung seines Lehrers Oscar Depuydt zum zweiten Organisten an der Kathedrale von Mechelen und zum Assistenten am Lemmens-Institut ernannt. Depuydt war 40 Jahre lang Organist der St.-Rombout-Kathedrale gewesen und galt weithin als herausragender Improvisator. Nach dem Tod von Depuydt im Jahr 1925 wurde Flor Peeters durch den Erzbischof von Mechelen Desiré-Joseph Kardinal Mercier zum Hauptorganisten an der Kathedrale ernannt und zum Professor für Orgel und Liturgisches Orgelspiel am Lemmens-Institut in Mechelen bestellt.

Mechelen, zwischen Antwerpen und Brüssel gelegen, ist Sitz des Primas von Belgien. Der Bischofssitz der Erzdiözese Mechelen-Brüssel ist traditionell auch mit der Kardinalswürde für den Amtsinhaber verbunden. Erzbischöfe wie Kardinal Léon-Joseph Suenens (1904–1996) und Kardinal Godfried Danneels (1933–2019) spielten in ihrer Amtszeit und auch teilweise darüber hinaus eine zumindest kirchenpolitisch nicht ganz unwichtige Rolle. Das Erzbistum Mechelen wurde 1559 gegründet und 1961 in Erzbistum »Mechelen-Brüssel« umbenannt, was der Bedeutung der innerhalb der Bistumsgrenzen gelegenen Hauptstadt Brüssel Rechnung trägt. Die um 1200 begonnene und um das Jahr 1500 in ihrer heutigen Gestalt vollendete Kathedrale zählt zu den Hauptwerken der brabantischen und europäischen Gotik. Sie ist nach dem Heiligen Romuald (Sint Rombout), dem Stadtheiligen von Mechelen benannt und beherbergt auch dessen sterbliche Überreste. Der heilige Romuald brachte der Stadt im Jahre 756 das Christentum und wird hier bis heute verehrt. Mit der Errichtung des Erzbistums Mechelen im Jahr 1559 wurde die St.-Rombout-Kirche zur Kathedrale erhoben. Sie thront mit ihrem 98 Meter hohen Turm (Belfried) weithin sichtbar über der Stadt. Der Turm der Kathedrale beherbergt ein mächtiges Geläut, das zu den größten in Belgien gehört, sowie ein großes Carillon aus 49 Glocken.5

Hier nun sollte Flor Peeters für die nächsten 63 Jahre als Organist wirken. Am 16. November 1958, nach 35 Jahren als Organist an St. Rombout, ging für Peeters ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung. An diesem Tag wurde die umgebaute, erneuerte und reorganisierte Orgel der Kathedrale eingeweiht. Der große Kirchenraum beherbergte endlich eine Orgel, die hinsichtlich der Liturgie und Konzertpraxis den damals vorherrschenden Erwartungen an ein modernes Instrument vollauf gerecht werden konnte. An der Planung und der Erstellung der Orgel-Disposition war Flor Peeters wesentlich beteiligt. Dieses Universalinstrument der Orgelbaufirma Stevens (Duffel) sollte die Darstellung der Orgelliteratur aller Zeiten ermöglichen, indem es als Synthese-Instrument die verschiedenen Einflüsse der europäischen Orgelgeschichte in sich vereinigt. Es gibt eine Vielzahl von Mixturen und Zungen. Die 83 Register verteilen sich auf vier Manuale und Pedal. Die reiche Erfahrung des weitgereisten Domorganisten im Umgang mit verschiedensten Orgeln und Spieltischen floss auch in die Gestaltung des elektrischen Spieltisches mit ein. Die Notwendigkeit von Spielhilfen aller Art mag Peeters insbesondere im Kontakt mit den großen Konzertorgeln Nordamerikas und dem angelsächsischen Orgelbau bewusst geworden sein.6

Im Pontifikalamt zur Orgeleinweihung am 16. November 1958 erklang als Uraufführung die »Missa laudis« op. 84 für vier gemischte Stimmen und Orgel von Flor Peeters. Der Domchor sang unter der Leitung von Jules Vyverman, dem Nachfolger Jules van Nuffels als Chordirektor der Kathedrale. Als Orgelmusik erklang im Gottesdienst eine Improvisation zum Introitus »Dicit Dominus«, »In dir ist Freude« von Johann Sebastian Bach und »Lied to the sun« aus der »Lied-Symphonie« op. 66 von Flor Peeters. Nach der Messe verlieh ihm Mechelens Kardinal Jozef-Ernest van Roey den höchsten Orden des Vatikans für katholische Laien: Peeters war nun »Commandeur im Orden Gregors des Großen«. Im Einweihungskonzert erklangen dann Orgelwerke von Bach, Dieterich Buxtehude, Jan Pieterszoon Sweelinck, Charles Tournemire, Olivier Messiaen und Peeters.7 Flor Peeters war stets fasziniert von seiner Domorgel und schöpfte aus ihr Inspiration für seine gottesdienstlichen Orgelimprovisationen, die von hohem Einfühlungsvermögen in die Liturgie gekennzeichnet waren. Als glänzender Improvisator waren die im gottesdienstlichen Orgelspiel entstanden Improvisationen wichtige Vorstufen zu seiner kompositorischen Tätigkeit, besonders im Bereich der unzähligen Choralbearbeitungen. Bei all seinen vielen Verpflichtungen war doch der sonntägliche Organistendienst an der Kathedrale bis zu seinem Lebensende 1986 das eigentliche Zentrum seines musikalischen Wirkens. Er mochte das liturgische Milieu an der Kathedrale und bewunderte ihre Architektur sowie den weiten Innenraum des Bauwerks, das seine gottesdienstlichen Improvisationen und Kompositionen wesentlich inspirierte. Auch die Stadt Mechelen wurde für ihn, nicht zuletzt durch seine Familie, sein inneres und äußeres Zuhause und die Stadt seines Herzens.

Disposition der Stevens-Orgel von 1958

Kathedrale von Mechelen, außen

Kathedrale von Mechelen, innen

Kathedrale von Mechelen, Stevens-Orgel

 

5 Vgl. Bert Verriest, Die St.-Rombaut-Kathedrale Mechelen, Regensburg 2007.

6 Vgl. Peter Bovens, »Peeters Flor (1903 1986)«, in: Matrix – Centrum voor nieuwe muziek, Leuven, https://www.matrix-new-music.be/nl/publicaties/componistenfiches/peeters-flor/, 17.4.2020.

7 Vgl. Hofmann, Flor Peeters, S. 53 54.

Lehrtätigkeit