Flora Krähahn. Ein Abenteuer - Artur Hermann Landsberger - E-Book

Flora Krähahn. Ein Abenteuer E-Book

Artur Hermann Landsberger

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Beschreibung

Fix und Lustig sind Scheidungsanwälte und eingefleischte Junggesellen. Aber jetzt hat Peter Lustig sich auf einer Bahnfahrt nach Greifswald verliebt, wie vor zwanzig Jahren auf derselben Strecke. Das Abenteuer endete damals in einer gemeinsamen Nacht mit der Unbekannten in einem Hotel in Greifswald. Aber jetzt will Lustig zum Entsetzen seines Kompagnons gleich heiraten. In Greifswald ist, auch nach so langer Zeit, der sündige Vorfall immer noch Stadtgespräch. Die zwei Hotelzimmer werden seitdem nicht mehr belegt als Protest gegen den moralischen Verfall. Besonders Professorenfrau Hermine Anstoß ist Vorreiterin, wenn es gegen die guten Sitten geht. Dabei sieht es hinter den Kulissen ganz anders aus – mit vorgetäuschten Verlobungen und kleine Erpressungen! Und kurz nach der Hochzeit erschreckt Fleck, seit mehr als zwanzig Jahren Kellner im Hotel, Peter Lustig: war die Dame von damals vielleicht seine neue Schwiegermutter Anni Wohlgemuth? -

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Seitenzahl: 196

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Artur Hermann Landsberger

Flora Krähahn

Ein Abenteuer

Saga

Ebook-Kolophon

Artur Hermann Landsberger: Flora Krähan. © Artur Hermann Landsberger. Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2015 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen 2015. All rights reserved.

ISBN: 9788711488386

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com - a part of Egmont, www.egmont.com.

Für Hanns Heinz Ewers

Bester Hanns!

Da Dich Briefe nicht mehr erreichen, so muss ich Dir auf diesem ungewöhnlichen Wege meine Wünsche zum z. XI. senden. Zerstreut Dich dies Buch nur eine Stunde lang, so hat es seinen Zweck erfüllt.

Es wird Dir Freude machen, zu hören, dass jeder Feldgraue Deine Bücher liest und dass Du im Felde und in der Heimat der gelesenste aller deutschen Autoren bist. Unser guter Georg Müller hat es mir kurz vor seinem Tode berichtet.

Du wirst hier nicht vergessen; von Niemanden! Am meisten denkt natürlich Deine nun achtzigjährige, geistig und körperlich gleich rüstige, verehrungswürdige Mutter an Dich. Aber auch die grosse Zahl Deiner Freunde und Verehrer beiderlei Geschlechts gedenkt in Treue ihres Hanns Heinz.

Lass den Mut nicht sinken!

Dein

A.L.

„Ist noch jemand im Wartezimmer?“ rief Rechtsanwalt Fix in den Hausapparat. Und der Bürovorsteher gab zur Antwort:

„Frau Rittergutsbesitzer von Schenk, sonst niemand.“

„Ich lasse bitten.“

Eine elegante junge Frau rauschte ins Zimmer.

Doktor Fix erhob sich.

Sie ging hastig auf ihn zu, streckte ihm die Hand hin und fragte ungeduldig:

„Nun haben Sie verhandelt?“

„Ja!“ — Er schüttelte ihr die Hand und sagte: „Ich gratuliere.“

„Also geschieden?“

Doktor Fix nickte triumphierend mit dem Kopf.

Die schöne junge Frau hielt sich am Rand des Schreibtisches fest, schloss für einen Augenblick die Augen und hauchte:

„Ich hatte es nicht so schnell erwartet.“

„Wenn Ihnen daran lag, den Schmerz zu verlängern,“ erwiderte Doktor Fix gekränkt, „dann hätten Sie zu irgend einem Winkeladvokaten gehen müssen, da hätte der Prozess Jahr und Tag gedauert. Da Sie ein guter Stern aber zu den Rechtsanwälten Fix und Lustig geführt hat ...“

„Gewiss! Ich habe es ja gewollt.“

„Gemusst!“ verbesserte Doktor Fix. „Ihr Fall ist ein Schulbeispiel für die Anwendung des Paragraphen 1568. Nach den Schriftsätzen, die Sie während des Prozesses mit ihrem Gatten gewechselt haben ...“

„Verzeihung, die Schriftsätze haben Sie und der gegnerische Anwalt miteinander gewechselt.“

„Auf Grund der Angaben, die Sie meinem Kollegen Lustig und mir gemacht haben.“

„Es war nicht ganz so schlimm.“

„Wie meinen Sie das?“

„Nun, ich habe mich zum Mindesten nicht bemüht, zugunsten meines Mannes zu beschönigen.“

„Was selbstverständlich Ihr gutes Recht ist.“

„Und Ihr Kollege und Sie haben meine Angaben zu Anklagen verarbeitet, vor denen selbst ich erschrocken bin.“

„Unsere Spezialität!“ erwiderte Doktor Fix. „Sie sind in diesem Jahre unser vierhundertelfter Patient, der an der Ehe krankt. Sechzig davon im Rückfall. Wir haben bis auf zwölf alle geheilt. Sie alle erfreuen sich wieder der Freiheit und führen ein Leben nach ihrer Fasson.“

„Und sind glücklich?“ fragte Frau von Schenk, die auf eine Aufforderung des Doktor Fix hin in einem der tiefen Ledersessel Platz genommen hatte.

„Vermutlich. Jedenfalls haben wir den Grund dazu gelegt und das Hindernis, das ihrem Glück im Wege stand, beseitigt.“

„Es gibt aber doch auch glückliche Ehen.“

„Wir lernen nur die andern kennen. Das hat uns begreiflicherweise zu Pessimisten gemacht.“

„Gibt es gegen das Urteil eine Revision?“

„Seien Sie unbesorgt. Es ist endgültig. Sie sind von dieser Stunde ab Ihr eigener Herr. Niemand hat Ihnen mehr zu befehlen oder zu verbieten.“

„Acht Jahre lang haben wir miteinander gelebt.“

„Sie hätten es abkürzen können, wenn Sie früher zu uns gekommen wären.“

„Manche schöne Stunde haben wir zusammen verbracht.“

„Ich bitt Sie, was will das in acht Jahren besagen? Die hässlichen Stunden waren jedenfalls zahlreicher.“

„Ich habe sie nicht gezählt.“

Doktor Fix sah erstaunt die elegante junge Frau an. Sie hatte den Schleier hochgezogen und trocknete mit dem kleinen Spitzentuch eine dicke Träne, die ihr im rechten Auge stand.

„Sie weinen?“ fragte er erstaunt.

„Es geht vorüber.“

„Sie sind jung und schön und reich. Die Versuchung wird daher noch oft an Sie herantreten, gnädige Frau. Man wird Sie umwerben, und ich halte es als Ihr Anwalt für meine Pflicht, Sie zu warnen. Geniessen Sie das Leben ohne sich noch einmal Ihrer Freiheit zu begeben. Wenn ich nicht zur amtlichen Verschwiegenheit gezwungen wäre, ich liesse Sie in diesen Büchern des Lebens lesen und Sie wären für immer geheilt.“

„In diesen Akten?“ fragte Frau von Schenk.

„Ja! Es sind die vierhundertzehn Ehescheidungsprozesse dieses Jahres. Wer sie gelesen hat, ist immun gegen die Ehe. Und wenn aus sozialen Gründen bei Todesstrafe die Zwangsehe eingeführt würde — mein Kollege und ich würden als die letzten Junggesellen sterben.“

„Wie man sich irren kann,“ sagte Frau von Schenk. „Ich hätte Sie nie für einen Weiberfeind gehalten.“

„Ich bins auch nicht. Ich bin das Gegenteil. Aber gerade darum lehne ich die Frau ab, die in dem stupiden Bierbottich der Ehe versauert. Die verheiratete Frau bewahrt sich in der Ehe entweder ihre Reize — dann pflegt und schmückt sie sich aber auch fast immer nur für Andre. Oder sie hält zu ihrem Manne. Dann vernachlässigt sie sich, wird Mutter, spielt Säugetier und verbreitet statt des lieblichen Odeurs der Frau jenen Windelgeruch, der jede Zärtlichkeit ausschliesst.“

„Und der Mann?“ wollte Frau von Schenk den Hieb parieren.

„Ich weiss! Ich weiss!“ wehrte Doktor Fix ab. „Er entwickelt sich zum Ekel!“

„Da Sie es selbst sagen ...“

„Ich beschwöre es, wenn Sie es wollen.“

„Mit Ausnahmen!“ ertönte eine Stimme. In der geöffneten Tür stand Doktor Lustig. Im Reiseanzug, die Mütze in der Hand.

„Du schon zurück?“ rief ihm Doktor Fix zu.

„Du gestattest,“ erwiderte er und wies auf Frau von Schenk, ging auf sie zu und küsste ihr die Hand.

„Ihr Freund, Herr Doktor, ist gerade im Begriff, an mir eine Radikalkur zu vollziehen. Eben bin ich geschieden, da sorgt er sich auch schon, ich könnte rückfällig werden.“

„Das Urteil ist schon heraus?“

Frau von Schenk nickte.

„Auf Grund meines letzten Schriftsatzes,“ erklärte Fix stolz. „Aber ich gebe zu, dass ich die Kunst, die Richter individuell zu behandeln, von dir gelernt habe. Mein Schriftsatz war ein Konglomerat aller Entscheidungen, die der betreffende Dezernent in den letzten Jahren gefällt hat.“

„Aber bei mir handelte es sich doch um einen Fall, der alle hundert Jahre höchstens einmal vorkommt,“ erwiderte Frau von Schenk.

„Das eben war mein Kunststück! Ihren Fall auf eine dem Richter landläufige Formel zu bringen. Auf die Weise haben wir uns den Richter für künftige Fälle verbunden und Ihnen, gnädige Frau, Zeit, Kosten, Termine und Aufregungen erspart.“

Frau von Schenks Gesicht war alles eher als vergnügt.

„Mein armer Mann!“ dachte sie laut und erschrak, als Doktor Fix mit der Faust auf den Tisch schlug und rief:

„Da hört doch aber alles auf! Vor vier Wochen, da nannten Sie ihn noch ein pathologisches Ungeheuer.“

„Gewiss, er hat auch seine schlechten Seiten,“ erwiderte Frau von Schenk.

„Auch schlechte?“ rief Doktor Fix. „Nicht ein gutes Haar haben Sie an ihm gelassen!“

„Immerhin, es wäre bedauerlich ...“, begann jetzt Rechtsanwalt Lustig.

„Wie? Was?“ brüllte Doktor Fix.

„... wenn durch die Schnelligkeit des Verfahrens ...“

„... weiteres Unglück vermieden würde,“ ergänzte Fix.

„Ich wollte sagen,“ fuhr Lustig etwas geniert fort, „wenn die Ehe der Frau von Schenk geschieden wäre, ohne dass eine innerliche Notwendigkeit dafür vorläge.“

„Waa ..?“ fragte Fix erstaunt und sperrte den Mund weit auf. „Innere Notwendigkeit? Was sind das für Überspanntheiten? Sind wir Seelsorger? Wir haben nach den juristischen Möglichkeiten zu fragen, nach weiter nichts. Alles andre hemmt den Prozess, den zu fördern unsere Aufgabe ist.“

„Man kann doch aber auch einmal die menschliche Saite mitklingen lassen“, meinte Lustig.

„Nein! Rann man nicht!“ widersprach Fix. „Bei der Ehe schon gar nicht, die erfahrungsgemäss“ — und dabei wies er auf die vierhundertachtzehn Aktenstücke hin, die anklagend an der Wand lehnten — „eine der unmenschlichsten Institutionen ist.“

„Die menschliche Saite ...“, begann Lustig wieder.

„Seit wann bist du Minnesänger?“ fiel ihm Fix nicht eben freundlich ins Wort.

„Raten Sie mir, was soll ich tun?“ wandte sich Frau von Schenk an Lustig.

Fix sah nach der Uhr. Es war acht vorbei.

„Das will ich Ihnen sagen, was zu tun jetzt Ihre Pflicht und Schuldigkeit wäre: Ihre wiedergewonnene Freiheit mit Ihren Befreiern bei einem Glase Sekt zu begiessen, wozu mein Freund und ich Sie hiermit feierlichst geladen haben.“

„Ich muss gestehen,“ erwiderte Frau von Schenk, „dass mir danach augenblicklich der Kopf nicht steht.“

„Mir auch nicht“, stimmte Doktor Lustig bei.

„I was!“ rief Fix. „Wir werden Sie durch das Tor des neuen Lebens führen und Sie werden staunen, wie ganz anders Welt und Menschen aussehen, wenn man sie nicht durch die meist noch vom letzten Streit getrübte Brille der Ehe betrachtet.“

Frau von Schenk schien nicht mehr so abgeneigt wie vorher. Aber Lustig machte noch immer ein nachdenkliches Gesicht. Er führte die Hand an die Stirn und sagte:

„Offen gestanden, ich bliebe auch lieber zu Haus.“

Da fasste ihn Fix am Arm, sah ihn fest an und fragte:

„Was ist denn in dich gefahren, Lustig?“

Lustig errötete, sah beschämt zur Erbe und sagte:

„Die Liebe!“

„Gott, wie interessant!“ hatte Frau von Schenk gesagt, als Doktor Lustig gestand, dass die Liebe in ihn gefahren sei.

Aber Doktor Fix hatte die Farbe gewechselt, in den Knieen gewankt und gerufen:

„Unsere schöne Praxis!“

„Wie ist das gekommen?“ fragte Frau von Schenk.

Lustig war die Gegenwart eines Dritten, zumal einer Dame, in deren Beisein Fix seinen Gefühlen Zwang auferlegen musste, nicht unwillkommen. Schon während der ganzen Fahrt hatte er überlegt, wie er seinem Kollegen am schonendsten seinen Treubruch beibringen könnte. Dabei war er alles andere als ein furchtsamer Mensch. Im Gegenteil: einem gewissen Draufgängertum verdankte er neben einem Ruf, der nun zum mindesten nicht den Anforderungen einer Kleinstadtmoral standhielt, manche angenehme Stunde. Denn wenn Berlin auch seine Heimat und der Ort seiner beruflichen und ausserberuflichen Erfolge war, so führte politischer Ehrgeiz ihn doch auch in die Provinz. Und hier erregte der vierzigjährige Junggeselle, der in seinen Erzählungen keinen Unterschied zwischen dem Stammtisch der Honorationen und der Caférunde philiströser Betschwestern machte, häufiger Ärgernis als es den Aussichten für seine Reichstagskandidatur zuträglich war.

Verlegenheit kannte Doktor Lustig nicht. Darin lag seine Stärke auch gegenüber dem gegnerischen Anwalt und dem Gericht. In diesem Falle aber, wo er einem Schul- und Studienfreunde, der seit vierzehn Jahren sein Associé war, die Treue brach, fühlte er sich unfrei und beklommen. Denn wenn auch kein Ehrenwort oder Gelübde sie zu lebenslänglichem Junggesellentum verpflichtete, so bestand doch eine stillschweigende Abmachung, die, ohne dass einer es aussprach, mit dem Hinzutritt jedes neuen Klienten befestigt wurde.

„Gut! Gehen wir hinüber zu Ewest,“ sagte „Lustig, „und ich erzähle euch meine Geschichte.“

„Da bin ich aber wirklich gespannt“, sagten gleichzeitig Frau von Schenk und Doktor Fix. Aber doch in so verschiedenem Tone, dass man sofort heraushörte, mit wie ungleichen Gefühlen sie dem Ereignisse gegenüberstanden.

Auf dem Wege zu Ewest sprach keiner ein Wort. Erst, als sie sassen und bestellt hatten, wandte sich Frau von Schenk an Lustig und sagte:

„Also, Herr Doktor, nun erzählen Sie endlich.“

„Vor allem: ist dein Zustand heilbar?“ drang Fix auf ihn ein. „Oder besteht Gefahr, dass die Krankheit in Ehe ausartet?“

„Wenn du wüsstest ...“

„Danke!“ unterbrach ihn Fix kurz. „Ich weiss.“

Lustig und Frau von Schenk sahen zu ihm auf.

„Der Tonfall deiner Stimme, dein Auge, dein Gang, alles ist an dir verändert. Die Diagnose schliesst leider jede Hoffnung aus.“ — Er stützte den Kopf in die Hände und sagte traurig: „Unsere schöne Praxis!“

Eine Pause entstand. Dann sagte Lustig unvermittelt:

„Übrigens, meine Chancen für die Reichstagswahl sind ausgezeichnet.“

„Gratuliere!“ erwiderte Fix ärgerlich und fuhr dann fort: „Dass man durch Beschäftigung mit Politik den Charakter verliert, habe ich gewusst. Das hätte weder unserer Freundschaft noch unserer Praxis Abbruch getan. Aber dass man dabei auch das Herz verliert, das ist mir neu.“

„Ich muss auch sagen,“ stimmte Frau von Schenk zu, „mich haben Sie mit Aufbietung Ihrer ganzen Dialektik überzeugt, dass die Liebe eine Krankheit ist, deren Bekämpfung sich die medizinische Wissenschaft mit demselben Eifer annehmen sollte wie jeder anderen, die Volksgesundheit gefährdenden Seuche; und nun, wo Sie selbst davon ergriffen sind, haben Sie womöglich noch die Stirn, die Liebe als den Idealzustand jedes gesunden Menschen zu bezeichnen.“

„Ich gestehe meinen früheren Irrtum ein“, erwiderte Lustig.

„Das typische Erkrankungsbild“, bestätigte Fix. „Oder haben Sir schon mal einen Verrückten gesehen, der sich nicht für besonders gesund und alle andern für unheilbar krank gehalten hätte?“

„Das sind denn doch Vergleiche“, brauste Lustig auf.

„Dieser Vergleich stammt von dir und findet sich in dem Schriftsatz, durch den du die Scheidung der Ehe der Frau von Schenk erzwungen hast.“

„Du tust ja gerade so, als wenn ich schuld daran wäre, dass Frau von Schenk nicht mehr mit ihrem Manne zusammen ist.“

„Nicht deine Schuld, wohl aber dein Verdienst ist es! Denn soweit ich mich erinnere, war gegenseitige Eifersucht das einzige, was diese Ehe trübte. Und da Eifersucht nicht gerade die Folge unüberwindlicher Abneigung zu sein pflegt, so verdient deine Leistung, die Scheidung bei Gericht durchgesetzt zu haben, alle Anerkennung.“

Lustig fuhr sich an die Stirn:

„Grosser Gott!“ rief er. „Am Ende habe ich da ein Unglück angerichtet.“

Frau von Schenk seufzte laut auf.

„Wie kann man zwei Menschen, die sich lieb haben, auseinanderreissen!“ jammerte Lustig und klagte sich an.

„Das wirst du sehr bald an dir selbst erfahren“, erwiderte Fix.

„Wieso?“

„Ja, glaubst du denn, ich werde ruhig mit ansehen, wie du mit offenen Augen in dein Unglück rennst?“

„Aber du weisst ja noch gar nichts“, warf Lustig ein.

„Ich meine auch,“ stimmte Frau von Schenk nicht eben freundlich ein, „hören Sie ihn doch erst an, ehe Sie urteilen.“

Der Kellner servierte die Austern. Als er wieder draussen war, begann Lustig:

„Es ist jetzt zwanzig Jahre her, da hatte ich ein Erlebnis.“

„Allmächtiger!“ rief Fix entsetzt und liess die Austerngabel klirrend auf den Teller fallen. „Wenn du etwa vorhast, uns alle deine Erlebnisse der letzten zwanzig Jahre bis zu deinem nunmehr erfolgten Zusammenbruche zu erzählen, so erlaubst du wohl, dass ich inzwischen meine Austern esse?“

„Sei unbesorgt, mein Fall ist in wenigen Worten erzählt.“

„Also Liebe auf den ersten Blick“, spottete Fix.

„Nehmen Sie’s mir nicht übel, Doktor,“ wandte sich Frau von Schenk an Fix, „aber was verstehen denn Sie von der Liebe?“

„Verstehen dürfte kaum das richtige Wort sein“, erwiderte Fix. „Denn Verstand und Liebe sind Gegensätze und schliessen einander aus. Aber von der Liebe zum Zwang führt schon eher eine Brücke. Was, statt der Vernunft, die sogenannte Liebe zusammenführte, wird, wenn der erste Rausch vorüber ist, meist nur durch Zwang zusammengehalten.“

„Mit Ausnahmen“, widersprach Lustig.

„Und jeder redet sich ein, diese Ausnahme zu sein, bis ihn die Zeit eines Bessern belehrt.“

„So hören Sie Ihren Freund doch erst einmal an!“ drängte Frau von Schenk.

„Also, was war vor zwanzig Jahren?“ lenkte Fix ein.

„Es war im Sommer. Ich fuhr nach Rügen und war Student. In Pasewalk hielt der Zug.

„Das tut er heut noch.“

„Auf dem Nebengeleise lief der korrespondierende Zug Stralsund—Berlin ein. Der Zug stand kaum, da hüpfte aus einem Abteil erster Klasse mir gegenüber ein Frauenzimmer — ich sage euch, jung, hübsch, fesch, mit einem Wort: ein kapitales Weib.

„Nett muss die heut aussehen, nach zwanzig Jahren“, spottete Fix.

„Ich muss auch sagen,“ stimmte Frau Schenk ihm bei, „die jüngste kann sie darnach kaum mehr sein.“

„Was kümmert’s mich, wie sie heute aussieht. Damals jedenfalls war sie eine Frau wie’s nicht viele gibt.“

„Das sagt man stets von der Frau, die man gerade anbetet.“

„Möglich, dass sie in meiner Erinnerung noch schöner fortlebt, als sie in Wirklichkeit war. Man war damals jung und anspruchslos. Jedenfalls: aus meinem Abteil springen und ihr nach, war die Tat eines Augenblicks. Sie war an den Stand des Zeitungsverkäufers getreten. Ich stellte mich neben sie; ziemlich dicht; aber sie nahm keine Notiz von mir. Sie suchte offenbar Reiselektüre. Ich sah, wie ihr Auge auf einem Band Theodor Fontane ruhte. Ich greife im selben Augenblicke nach dem Buche und frage den Verkäufer nach dem Preis. Ehe er mir Antwort geben kann, wende ich mich spontan zu meiner Dame und sagte: ‚Verzeihung, Gnädigste, aber hatten Sie etwa auch die Absicht, das Buch zu kaufen?‘ — Sie errötet ein wenig, lächelt dann und erwidert: ‚Wenn ich ehrlich sein darf: ja!‘ — ‚Dann gestatten Sie‘, sage ich und reiche ihr das Buch. Sie nimmt es dankend und will es mir bezahlen. ‚Aber keinesfalls,‘ sage ich, ‚ich hätte das Geld ja auf alle Fälle ausgegeben.‘ — ‚Dann hätten Sie aber jetzt das Buch‘, erwiderte sie mit einer für Frauen nicht alltäglichen Logik.“

„Erlauben Sie mal!“ suchte Frau von Schenk zu widersprechen. Aber Fix stimmt ihm bei und sagte:

„Er hat ganz recht.“

„Na, du weisst,“ fuhr Lustig fort, „ich lasse mich nicht so leicht ins Bockshorn jagen. ‚Sie haben Recht,‘ sage ich, ‚aber die Reife ist weit. Lesen Sie das Buch, und wenn Sie damit zu Ende sind und nicht die Absicht haben, es Ihrer Bibliothek einzuverleiben, so geben Sie es mir, bevor Sie aussteigen, zurück. Leihgebühr erhebe ich nicht.‘ — Sie musste, was in solchen Fällen immer ein günstiges Zeichen ist, lachen und erklärte sich nach verschiedenen Einwendungen einverstanden. — Der Schaffner des nach Berlin fahrenden Zuges rief: ‚einsteigen!‘ — Ich erzählt ihr, um sie abzulenken, dass sie auffallend einem Damenporträt Lenbachs gleiche, das auf der jetzigen Berliner Kunstausstellung mit Recht so viel Aufsehen mache. Das interessierte sie und schmeichelte ihr — um so mehr, als ich mich stellte, als glaubte ich ihren Versicherungen nicht, dass sie dem Bild, das übrigens gar nicht existierte, völlig fremd gegenüberstehe. — Aber der Schaffner stand jetzt neben ihr und rief haarscharf: ‚Nach Berlin einsteigen!‘ — Im selben Augenblick sage ich: ‚Hier!‘ und suggeriere ihr, indem ich sie beim Arm nehme und ihr auf das Trittbrett helfe, in den falschen Zug nach Stralsund zu steigen.“

„Das ist ja nicht zu glauben!“ rief Frau von Schenk.

„Sie kennen ihn nicht!“ versicherte Doktor Fix. Lustig ist Spezialist in der Kunst, Frauen zu fesseln.“

„Ich war’s einmal“, erwiderte Lustig. „Heut bereue ich manche meiner Eskapaden.“

„Da haben wir’s!“ polterte Fix los. „Gestern hat ihn die Liebe gepackt und heute zeigen sich schon die Zeichen der Verkalkung. Mit dem Philistertum beginnt’s.“

„Fahren Sie fort!“ drängte Frau von Schenk.

„Während sich gegenüber ihr Zug in Bewegung setzt, erläutre ich ihr, wie im Falle eines Zugszusammenstosses die im Gange des Wagens befindliche Axt anzuwenden ist, und zwar derart anschaulich, dass sie mit dem Eisenbahnunglück vor Augen nur noch für meine Darlegungen Ohr und Augen hat. Erst als auch mein Zug in Bewegung und aus dem Bahnhofe heraus war, gönne ich mir Ruhe und sage:

„Wenn Sie gestatten, begleite ich Sie in Ihr Abteil.“

„Das ist denn doch die Höhe!“ erklärte Frau von Schenk.

„Sie fing also an, zu suchen. Eine undankbare Aufgabe, da ihr Wagen in entgegengesetzter Richtung auf Berlin zu lief und bereits in der Nähe von Prenzlau war.“

„Unerhört!“ rief Frau von Schenk.

„Nachdem wir den Zug zum Verdruss der Leute, die auf den Gängen standen, dreimal abgesucht hatten, kam ihr die erste Erleuchtung: ‚Mein Wagen wird doch nicht in Pasewalk abgehängt worden sein?‘ fragte sie mit Angst in den Augen. — ‚Undenkbar!‘ beruhigte ich sie. Aber im selben Augenblick erscheint der Schaffner im Gang, kontrolliert die Fahrkarten und stellt mit dürren Worten fest, dass meine Schöne sich im falschen Zuge befindet. — Ich hatte längst erkannt, dass sie eine sensible Natur war. Ich stelle mich also bereit, sie schreit auf und fällt mir in die ausgebreiteten Arme.

„Die Ärmste!“ rief Frau von Schenk.

„Es gibt Schlimmeres, als in meinen Armen zu liegen,“ erwiderte Lustig ein wenig gekränkt.

„Sie wird es in den zwanzig Jahren überwunden haben,“ meinte Doktor Fix.

„Jedenfalls tat ich nichts,“ fuhr Lustig fort, „um dieser Situation ein Ende zu bereiten. Ich liess sie ihren Schreck in meinen Armen zu Ende auskosten, stellte fest, dass es am selben Tage keine Möglichkeit mehr für sie gab, nach Berlin zu kommen und klärte sie, als sie wieder bei Bewusstsein war, über die Lage auf, in die sie sich durch ihre Unachtsamkeit gebracht hatte.“

„Na, wissen Sie,“ unterbrach ihn Frau Schenk, „das heisst, die Frechheit denn doch etwas weit treiben.“

„Sie war so hilflos, wie ich sie mir wünschte. Ich bot ihr meine guten Dienste an und machte ihr klar, dass ihr nichts anderes übrig bliebe, als die Nacht über in Greifswald zu bleiben. Ich versprach ihr zu Liebe meine Reise nach Rügen gleichfalls zu unterbrechen, wegen ihres Gepäckes alles Nötige zu veranlassen und sie am nächsten Morgen höchst eigenhändig in den Berliner Zug zu setzen. Ein tolles Regenwetter und eine geschlossene altertümliche Droschke, die einzige, die in Greifswald am Bahnhof stand, warm meine Bundesgenossen. Als wir spät abends im Hotel ankamen, hatte sie Vertrauen zu mir gefasst, das ich denn auch in jeder Weise zu rechtfertigen bemüht war.“

„Entsetzlich!“ rief Frau von Schenk.

„Im Gegenteil! Ohne eine Ahnung zu haben, mit wem ich es zu tun hatte, trennten wir uns am nächsten Morgen. Sie fuhr nach Berlin, ich nach Rügen, und nie im Leben haben wir mehr von einander gehört.“

„Bis euch endlich gestern“, fuhr Doktor Fix in Lustigs Tonfall fort — „die Stunde des Wiedersehens schlug, ihr euch in die Arme fielt und euch Liebe und Treue bis zum Tode schwuret.“

„Wer?“ fragte Lustig erstaunt, „Wir uns?“

„Nun ja,“ meinte auch Frau von Schenk.

„Ja, glaubt ihr denn, ich werde mich in eine Frau von vierzig Jahren so Hals über Kopf verlieben?“

„Du hattest ja zwanzig Jahre Zeit, dich darauf vorzubereiten.“

„Ich habe die ganze Zeit über nie mehr an dies Abenteuer gedacht — bis mich vor ein paar Tagen meine Reichstags-Kandidatur zum ersten Male wieder nach so langer Zeit nach Greifswald führte.“

„Und da bist du ihr wieder begegnet?“

„Keine Spur. Aber ich sass, wie damals, in einem Abteil erster Klasse, und in Pasewalk stieg, aus Stettin kommend, ein allerliebster — ach, was sag ich, die Sprache ist zu arm, um die Anmut dieses Engels zu schildern.“

„Muss man da nicht nach Ärzten schrein?“ rief Doktor Fix — „wenn ein Mensch, der bis dahin ganz normal war, und der an den Schläfen bereits grau zu werden beginnt ...“

„Ein anderer als du dürfte mir dar nicht sagen,“ unterbrach ihn Lustig.

„Dann sei froh, dass du wenigstens einen Menschen hast, der dir die Wahrheit sagt.“

„Fahren Sie fort!“ drängte Frau von Schenk, die neugierig und interessiert war.

„Sie setzte sich auf den leeren Platz mir gegenüber, nahm ein Buch aus ihrer Mappe und begann zu lesen, ohne die geringste Notiz von mir zu nehmen.“

„Ein Zeichen guter Erziehung,“ sagte Frau von Schenk.

„Und guten Geschmacks,“ ergänzte Fix.

„Dass sie mich völlig ignorierte, war nur ein Grund mehr, mich zu reizen. Als ich aber sah, dass das Buch, in dem sie mit einem Eifer ohne gleichen las, von niemandem anders als von Fontane war, da wurde in mir, nach zwanzig Jahren, die Erinnerung an mein Greifswalder Abenteuer wach.“

„Sie haben doch nicht etwa das arme Mädchen ...“

„Ich habe nichts weiter getan als das Manuskript meiner Wahlrede mit dem Gesicht meines Gegenübers vertauscht. Ich habe mich in ihren Anblick vertieft; ich habe Vergleiche mit jener Frau von damals angestellt — wahrhaftig, ich bin nicht schüchterner geworden, aber dieser zarten Blüte, dieser knospenhaften Keuschheit, dieser madonnenhaften Reinheit, dieser ...“

„... kitschigen Verliebtheit,“ fiel ihm Fix ins Wort, aber Lustig, der ganz der Erinnerung lebte, hörte nicht auf ihn.

„... dieser märchenhaften Unschuld gegenüber,“ fuhr er fort — „sass ich gebannt und wagte nicht, sie anzusprechen.“