Asiaten! Ein Liebesroman aus zwei Welten - Artur Hermann Landsberger - E-Book

Asiaten! Ein Liebesroman aus zwei Welten E-Book

Artur Hermann Landsberger

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Beschreibung

In einem Gebiet Japans, in das Anfang des vergangenen Jahrhunderts kein Ausländer je seinen Fuß gesetzt hatte, wuchs Hana Tatsumi auf. Als Waise war sie ihrem Onkel übergeben worden, der sich sehr um sie bemühte. So übergab er sie weiter an Omasan Mori, die ihre eine bessere Ausbildung garantieren konnte, als die kleine Hana sie in jeder höheren Töchterschule hätte genießen können. Hana entwickelte sich in den folgenden Jahren ganz ausgezeichnet und wird das hübscheste Mädchen des Ortes. Was heißt des Ortes? Selbst die Großstädte des Landes würde sie bezaubern, und so überzeugt Omasan Mori den Onkel, Hana in Tokio oder Osaka zu einer Geisha zu machen, einer Geisha für die gehobenen Kreise. Dort angekommen, sprengt Hana alle Erwartungen. Sie erfüllt die Sehnsüchte bekannter Persönlichkeiten, darunter des Amerikaner John Adamson und des Prinzen aus dem Kaiserhaus. Aber keinen Moment vergisst sie ihren Freund aus Kinderzeiten, Taizo Hodsumi, der sich in ihrem Heimatort zu einem Künstler des Töpfereihandwerks entwickelt. Gibt es für beide jemals ein Wiedersehen?-

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Artur Hermann Landsberger

Asiaten!

Ein Liebesroman aus zwei Welten

Saga

Liebe Hana!

Erster teil

1

„Es war einmal“ müßte jede japanische Geschichte beginnen. Auch wenn sie erst gestern oder heute sich zugetragen hat. Denn alles, was den Sinnen sich erschließt, was das Auge sieht, wird hier zum Märchen. — Ein Schleier, zart wie der Hauch einer rosafarbenen Wolke liegt darüber. Er gibt Stimmung und Färbung allem Geschehen. — Aber wehe, wenn die Hand eines Fremden hineinfährt und den Schleier zerreißt!

Mit dem Tage, an dem Amerika entdeckt wurde, schwanden Ruhe und Beschaulichkeit aus der Welt. Mit dem Tage, an dem der Amerikaner an Japans Küste landete und die Japaner zwang, ihr Land dem Handel mit den Völkern des Westens zu erschließen, wurde ein Märchenland entzaubert. — Damit schwand für alle, deren Gehirne noch nicht von der aus Amerika importierten Seuche des Materialismus angefressen waren, die Möglichkeit, sich je in reinere Gefilde zu retten.

Und doch: noch heute gibt es im Innern Japans Orte, die nie eines Amerikaners Fuß betrat. Aus einem solchen Orte zwischen Tschinchi und Helenkoi in Nord-Japan stammte Hana Tatsumi, die als Waise von fünf Jahren in das Haus ihres Onkels Yamakana nach Schikotsu kam.

*

Onkel Yamakana hatte einen Laden, in dem es von einem Sen an bis hinauf zu zehn Yen alles gab, was eines Japaners Herz erfreute. Von buntem Zuckerzeug, billigen Papierfächern, Holzschnitzereien, Kakémonos, lackierten Medizinschachteln, meterlangen Makimonos an bis zu den herrlichsten Tsubas mit in Gold und Silber eingelegten Landschaften. Aber auch die Hausfrau fand alles, was sie suchte. Und im Hintergrunde lag zwanzig Zentimeter über dem Boden eine Matte, auf der Bürger aus Schikotsu des Abends bei Sake und kleinen getrockneten Fischen saßen.

Hana schlief dann schon. Aber durch die dünnen Schiebewände drang das Geräusch. Sie lag dann oft wach und hörte, was die Männer sprachen. Meist erzählte der junge Taizo Hodsumi aus Tokarischo saki, der auf die große Zeitung in Mororan abonniert war, was in der Welt, vor allem, was in Japan vorging. Um diese Neuigkeiten zu hören, kamen die Bürger. Meist dieselben — zehn bis zwölf. Und Onkel Yamakana, der gern diskutierte und gegen den sogenannten Fortschritt war, rechnete dem jungen Taizo dann und wann ein Kännchen Sake weniger an, als er getrunken hatte.

*

Onkel Yamakana hätte seine Nichte Hana, obschon er gegen alles Moderne war, gern in die Höhere Töchterschule geschickt. Denn sein Bruder hatte ihm fünfhundert und siebzig Yen hinterlassen und ihn gebeten, das Geld für die Erziehung Hanas zu verwenden. Aber in Schikotsu gab es nur die Bürgerschule. Sie hätte hinunter nach Ostaruna gemußt, wo die Taka Odagiri — man bedenke, eine Frau! — eine Höhere Töchterschule unterhielt, in der viele Mädchen aus guten Häusern unterrichtet wurden.

Taizo Hodsumi meinte eines Abends, als wieder von Hanas Erziehung die Rede war:

„Was sie da lernt, bringt ihr die Tochter des Hirono Mori auch bei.“

„Willst du mit ihr sprechen?“

„Gern.“

Omasan Mori war erst dreißig Jahre alt. Aber sie lebte in einem kleinen Hause, das in schöner Gegend unten am Fluß stand, nur der Erinnerung. Als Kind hatte sie das vornehme Mädcheninstitut Yyogakkora in Tokio besucht, wo ihr Vater kaiserlicher Beamter gewesen, aber früh gestorben war. Sie hatte dann in Geishaschulen unterrichtet und war, wie sich die bösen Münder in Schikotsu erzählten, durch die Vermittlung eines Hikite — jaya (Liebesagenten) sogar kurze Zeit Oiran in einem der ersten Yoroyas von Tokio gewesen. Bis sie eines Tages eine kleine Erbschaft machte. Mit der war sie nach Schikotsu, der Heimat ihrer Mutter, die früh gestorben war, zurückgekehrt. Jeder hatte versucht, mit ihr in Verkehr zu kommen. Man sehnte sich in dem stillen Schikotsu danach, von dem großen Leben draußen etwas zu hören. Omasan war zu jedem freundlich. Aber sie blieb für sich. Nur hin und wieder nahm sie sich eines jungen Mädchens an, das sich aus Schikotsu hinaussehnte und das ihrer Meinung nach für eine Osadon (Küchenmädchen) zu schade war.

Taizo Hodsumi wußte das. Er ging also zu ihr, und Omasan Mori erklärte sich für die Summe von 150 Yen bereit. Schon am Morgen des übernächsten Tages trippelte Hana, achtjährig, an der Hand Taizos, der damals neunzehn Jahre alt war, zu Omasan Mori. Und von nun an jeden Morgen. Acht Jahre lang. Ohne Unterbrechung. Da wurde Hana Tatsumi sechzehn Jahre alt und war das hübscheste Mädchen in Schikotsu.

Omasan Mori war stolz auf Hana, als wäre sie ihre Schöpfung.

„Sieh,“ sagte sie zu Onkel Yamakana, „welche von uns Frauen in Schikotsu hat einen so schön geformten Nacken, solche Schultern und so sammetweiche Haut? Nie wird Hana Tatsumi Hüften haben. Zeige mir in ganz Japan eine Geisha, die sich in ihren Bewegungen mit ihr messen kann.“

„Geisha?“ fragte Onkel Yamakana und riß Mund und Augen auf.

„Wo sonst soll sie ihr Glück finden?“ erwiderte Omasan. „Oder willst du, daß sie ihr Leben in Schikotsu vertrauert? Dazu habe ich sie nicht pantomimische Tänze, den Tee bereiten, Blumen binden, Dichtkunst, Malerei, Räuchern mit Wohlgerüchen und Luxusarbeiten mit der Nadel gelehrt.“

„Das alles kann Hana?“

„Weit mehr kann sie. Alles, was die Mädchen mühsam lernen, ist ihr angeboren: Anmut, gute Manieren, spielen, singen, sich anziehen und schön aussehen. Sie kann mit der Tsuzumi umgehen und Samise spielen. Sie füllt eine Sakeschale, ohne einen Tropfen auf die Matte zu vergießen. Noch ein paar Monate in guten Händen in Morioka, und Hana Tatsumi wird sehr bald eine der gefeiertsten und begehrtesten Geishas sein.“

Onkel Yamakana war auf alles das nicht vorbereitet, und so kam es, daß er ein wenig die Fassung verlor.

„Und du meinst, daß das ihr Glück ist?“ fragte er.

„Wenn sie hier bleibt, wird es ihr ergehen wie mir. Sie wird verblühen, ohne glücklich gewesen zu sein.“ —

Hana Tatsumi hatte die ganze Zeit über an dem niedern Habachi gehockt und sich die kleinen, zarten und gepflegten Händchen über den Kohlen des kleinen Ofens gewärmt. Sie hatte nicht gewagt, ein Wort zu sprechen. Erst jetzt, als Onkel Yamakana sie um ihre Meinung fragte, glitt sie wie ein junges Kätzchen über die Matte, hockte zu des Onkels Füßen nieder und sagte:

„Wie es dir gefällt.“

„Es fällt mir schwer, mich von dir zu trennen. — Aber es ist wohl gut für dich.“

Hana weinte.

„Willst du zeitlebens Musme bleiben?“ fragte Omasan, und der Onkel erinnerte an das Sprichwort:

„Eine verheiratete Frau zu sein, ist schlimm. Aber unverheiratet zu sein, ist schlimmer.“

Hana dachte an Taizo Hodsumi. Aber sie wagte nicht, es auszusprechen. Denn sie wußte, daß es sich für ein Mädchen nicht ziemte, über Dinge zu sprechen, die es nicht verstand und über die andere zu entscheiden hatten.

Der Onkel meinte:

„Möglich wäre ja auch, daß man hier einen Mann für sie fände.“

„Hana gehört in die große Stadt. Hana ist geschaffen für Luxus und Reichtum. Sie muß auf sich halten. Sie darf nicht den ersten Besten nehmen.“

„Ist ihre Ausbildung denn beendet?“ fragte der Onkel.

„Ich sagte ja schon, man soll sie für ein paar Monate nach Morioka schicken. Besser wäre, sie ginge gleich nach Osaka oder Tokio. Doch, das kostet viel.“

„Vierhundert Yen liegen da — sogar etwas mehr. Auch die Zinsen. Und kostet es mehr, so könnte ich fünfzig Yen, vielleicht auch hundert ...“

„Für die Zeit reicht es schon — für den Unterricht auch. — Aber die Kleider! — Es gibt Teehaus und Teehaus. Die Unterschiede sind groß.“

„Für Hana kommt nur ein erstes in Frage.“

„Wer sie sieht, nimmt sie; und wer sie nimmt, sorgt auch, daß sie schön aussieht.“

„Sie muß es abarbeiten. Die Gäste zahlen ja. Es kommt genug ein.“

„Unabhängiger ist sie schon, wenn sie nicht nur ihre Jugend und Schönheit mitbringt.“

„Wer wird sie hinbringen?“ fragte Onkel Yamakana. „Osaka ist weit, und ich kenne dort niemand.“

„Ich selbst bringe sie,“ erwiderte Omasan.

Onkel Yamakana war gerührt. Er lud Omasan ein, in seinen Laden zu kommen und sich zu nehmen, was ihr gefiel.

Omasan legte ihren Arm um Hana und sagte:

„Das Schönste nahm ich schon.“

Sie öffnete den Obi (Gürtel) von Hanas grünseidenem Kimono, zog ihr den Kimono aus und half ihr in einen baumwollenen, der blau und weiß und weich wie Seide war.

Hana sah darin ganz allerliebst aus.

„Das tragen jetzt im Sommer alle Damen in Tokio. Ich sah sie im Maple Club zu Dutzenden.“

„Aber als Geisha?“ meinte Onkel Yamakana, „da wird sie sich doch wohl putzen müssen.“

„Sie soll weder Dschonkina tanzen, noch als Oiran neben Komuris im Zug der Kurtisanen vor einem gelben Oelschirm stolzieren. Das feinste Teehaus ist grade gut genug für sie.“

Onkel Yamakana sah Omasan von der Seite an. Er glaubte nicht recht, was sie sagte.

„Sie soll doch den Haikaras gefallen,“ sagte er.

„Wenn du damit die Gecken meinst, die ihre Nächte in den Yoroyas verbringen — für die ist Hana Tatsumi nicht. Auch Nen-ki und San-bu kommen für sie nicht in Frage. Nur das Schichibu. Wer hoch anfängt, braucht nicht weit zu steigen.“

Onkel Yamakana war sehr stolz auf seine Nichte.

„Wird die Stimme denn reichen? Sie hat zwar manche Nacht im Winter auf dem Dach beim Mondenschein gesungen und, wie du weißt, erst vor wenigen Wochen eine schwere Entzündung überstanden. Die Stimme ist danach auch stärker geworden — aber, ob sie stark genug ist?“

„Auch der Gesang des Vogels reicht oft nicht weit. Und er geht doch ans Herz.“

„Ich vertraue dir, Omasan. Denn du weißt mehr von der Welt und Menschen als ich. Sage mir nur, wann soll Hana uns verlassen?“

„Da die Jugend schnell vergeht und ich sie nichts mehr lehren kann, so ist es besser, sie geht heut’ als morgen.“

Hana gab einen Laut von sich, der klang wie der Angstschrei eines Vogels in der Ferne.

Omasan und Onkel Yamakana sahen sie an. Hana stand jetzt am Fenster. Mit dem Rücken zum Zimmer.

„Du bliebest lieber?“ fragte Omasan.

Langsam bewegte Hana den Kopf und sagte:

„Ich weiß es nicht. Aber ihr entscheidet.“

„So spricht ein braves Mädchen“, sagte Omasan. „In zwei Tagen komme ich, dich holen. Und da es für eine Frau nicht schicklich ist, Geschäfte abzuwickeln, werde ich meinen Bruder in Osaka bitten, uns zu begleiten.“

Alle drei verbeugten sich. Dann ging Hana Tatsumi hinter ihrem Onkel Yamakana aus dem Zimmer. Sie stieg die Stufen hinunter, schlüpfte, während der Onkel sich die hohen Schuhe anzog, in ihre Pantöffelchen und folgte ihm auf die Straße.

Mehr noch als sonst beugte Hana den kleinen Körper nach vorn, und es schien, als schleppte sie auf dem runden Rücken alles Leid der Welt.

2

Hana und Taizo Hodsumi hatten in all den Jahren auf dem Wege zu Omasan nicht viel miteinander gesprochen. Wenn die Magd des alten Yamakana früh am Morgen die Tür des Hauses öffnete und Hana wie die kostbarste Puppe eines Spielwarenladens über die Schwelle trat, stand Taizo regelmäßig schon vor der Tür. Nicht einmal in der ganzen Zeit hatte sie auf ihn zu warten brauchen. Sie verbeugten sich mehrmals tief, dann gingen sie Hand in Hand den weiten Weg. Sie blieben stehen, wenn die Sonne hinter dem braunen Berg emporstieg, und sahen dem Schauspiel zu. Oder sie lauschten dem Gesang eines Vogels, der in den Bäumen sang. Und dann kam es wohl vor, daß ihre Hände fester als sonst ineinander lagen.

Nur einmal, an einem Frühlingsmorgen, als die braune Landschaft ganz in Sonne getaucht war, sahen sie sich in die Augen, und Taizo fragte:

„Was denkst du, Hana?“

Hana senkte den Kopf.

„Du weißt es wohl“, sagte sie. Und mitten auf dem Feld, am Rand des Flusses, hob sie die Arme, bewegte sie den leichten Körper, tanzte und sang sie:

„Zu schnell vorüber mit dem Morgenwinde

Der Frühling schwebt;

Im goldnen Kelch, den er berührte linde —

Der Wein noch bebt.

Rings von den Zweigen fiel wohl Blüt’ auf Blüte. —

O Schönste mein,

Vom flücht’gen Rausche tiefer noch erglühte

Die Wange dein.

Mein düst’res Haus, von Pfirsichen umzogen,

Jetzt ist es alt.

Das Licht fließt rasch, und um den Tag betrogen

Sind wir so bald!

Eh’ ihr den Tanz beginnt,

Ist’s Nacht und kalt.

Haß trennet, die zusammen einst getragen

So Schmerz wie Glück;

Mein Haar ward seidenweiß — Und unser Klagen

Bringt nichts zurück.“

Träne um Träne fiel auf das junge Grün. Taizo legte den Arm um sie. Er sprach kein Wort. So gingen sie bis vor Omasans Haus. Da sah er ihr noch einmal in die Augen. Durch den Gürtel hindurch fühlte sie den Druck seiner Hand.

„Hana!“ sagte er.

Sie sah zu ihm auf, lächelte und ging ins Haus.

Schweigend erlebten sie das nun jeden Morgen. Wenn sie an diese Stelle kamen, lösten sich von selbst ihre Hände. Er legte den Arm um sie, und so gingen sie bis zu Omasans Haus. Da sahen sie sich in die Augen, und er nannte ihren Namen. — Sie schloß dann jedesmal die Augen, und ihr war zu Mute, als wenn sie jemand mit heißem Atem an sich zog.

„Was das wohl ist?“ fragte sich Hana oft. Mehr als einmal schon wollte sie Omasan fragen. Aber die würde es auch nicht wissen. Die sprach von so vielen Dingen, aber nie war ihr dabei zu Mute, um von Taizo und sich zu reden.

Den ganzen Weg über hatte sie an nichts anderes gedacht. Als sie jetzt hinter dem Onkel in den Laden trat, saßen die Bürger von Schikotsu schon hinten beim Sake. Taizo fehlte noch.

„Geh’ schlafen, Kind! Du wirst müde sein“, sagte der Onkel.

Hana verbeugte sich und ging. Sie wußte, daß sie nicht schlafen würde.

Onkel Yamakana war sehr stolz auf seine Nichte und erzählte seinen Gästen, welche kommende Berühmtheit Schikotsu in seinen Mauern barg.

„Da weiß man doch, wo man hingeht, wenn man mal nach Osaka kommt“, meinte Tasaka, der am Marktplatz Mützen fabrizierte.

„Uns wird sie dann nicht mehr kennen“, erwiderte Nujokana, der die größten Reisfelder von allen Bürgern Schikotsus besaß. „Wir werden ihr nicht fein genug sein.“

„Hana ist ein bescheidenes Mädchen“, beteuerte Onkel Yamakana. „Aber ob man euch in solch feines Teehaus hineinläßt, ist noch die Frage.“

Taizo war in die Tür getreten und im Laden stehen geblieben, ohne von den andern bemerkt zu werden. Er verstand sofort, was vorging. — War es denn möglich? — Doch, doch! Es war sogar natürlich. An dem Tage, an dem er sie zum ersten Male zu Omasan führte, begann Hanas Schicksal seinen Lauf zu nehmen. Mit jedem Tage waren sie einander näher gekommen. Aber keiner von beiden hatte daran gedacht, daß jeder Tag und jede Stunde, die sie bei Omasan verbrachten, den Zeitpunkt der Trennung beschleunigte.

Taizo wandte sich zur Tür. Er ging leise um das Haus Yamakanas herum, tastete die Wand ab, hinter der Hana lag, lehnte den Kopf an das kleine Fenster und glaubte deutlich ihren Atem zu vernehmen. Er fand nicht den Mut, an das Holz des Fensters zu klopfen oder das Gesicht dem Glas zuzuwenden, so daß sie ihn, falls sie wach war, hätte sehen können. Er war ja ohne Plan und Absicht. Wie es auch jetzt eigentlich nicht bedacht, Vielmehr Ausbruch des Gefühls, das ihn beherrschte, war, als er den Mund an die Scheibe preßte und inbrünstig „Hana!“ sagte.

„Ich komme!“ klang eine Stimme. Es war Hanas Herz, das sprach. Kaum, daß ihr Mund die Lippen bewegte.

Sie öffnete und beugte den zarten Körper aus dem Fenster. Taizo Hodsumi breitete die Arme aus. „Komm!“ sagten die. Sie legte den Kopf in seine Hände. Er fühlte die Lippen und die heißen Tränen und das Schluchzen eines armen Herzens. Er sah das weiße Gesicht sich heben, sah schmerzverzerrte Züge, sah ein Lächeln ohne Hoffnung, den schmalen Körper, der ohne Leben schien, zitternde Hände, die das Fenster schlossen, einen Schatten, der den Kopf bewegte und zurück ins Zimmer schwebte.

Taizo Hodsumi stürzte fort. Die Brust gepreßt zum Zerspringen. Er lief durch die Straßen — in den Wald — den Fluß entlang. Als er nach Stunden heimkehrte, brannten in Yamakanas Haus die Kerzen.

Die Kerzen im ersten Stock beleuchteten den Raum, dessen einziger Schmuck der Butsudan (Hausaltar) war. Er stand im Halbdunkel in einer Ecke und war stets verschlossen. Nur der alte Yamakana und seine Nichte Hana besaßen einen Schlüssel. Der Schrank war aus rotem Lack. In der Mitte seines altarförmigen Innern saß ein Buddha aus Alt-Cloisonné. Rechts und links von ihm standen die Ihai, die Tafeln der Toten. Kleine Grabsteine, auf denen die Namen der verstorbenen Verwandten standen. Deren Geister erfüllten den Raum und blieben auch nach dem Tode im Kreise der Familie. Ihnen galt alle Sorgfalt und Liebe. Auch Hana war in Anbetung der alten Gesetze der Lotusschriften erzogen. Sie kniete vor den Tafeln ihrer Eltern und nahm Abschied.

3

Omasan benutzte die Reise nach Osaka, um Hana Tatsumi über die Nutzanwendung von dem, was sie in all’ den Jahren gelernt hatte, aufzuklären.

„Für die japanische Frau erschöpft sich der Sinn des Lebens darin, dem Manne zu gefallen“, sagte sie.

„Welchem Manne?“ fragte Hana.

„Jedem, der sich um ihre Gunst bemüht.“

„Wenn es nun viele sind?“

„Um so besser für sie. Je mehr Männer, um so mehr Ehre.“

„Man kann doch aber nur einem dienen.“

„Man dient allen. Wenn man Glück hat, ist einer darunter, der einen heiratet — dann freilich dient man nur ihm.“

„Wenn man ihn aber nicht mag?“

„Darin eben besteht die Kunst, es ihn nicht fühlen zu lassen.“

„Und wenn man an einen anderen denkt?“

„Dann wird man alt und elend.“

„Ich werde immer an einen andern denken.“

Omasan glaubte, falsch zu hören.

„Erst mußt du doch mal unter Menschen kommen.“

„Und wenn ich noch so viele kennen lerne — ich werde doch nur immer an den einen denken.“

„Du hast ihn dir also schon ausgemalt, deinen Märchenprinzen?“

„Es ist Taizo Hodsumi.“

Omasan lachte laut auf.

„Der Bettelprinz aus Schikotsu?“

„Der Gold- und Silberschmied“, erwiderte Hana.

„Ich weiß! ich weiß!“ rief Omasan belustigt. „Der für zwölf Yen die Woche Bäume und kleine Vögel auf Schalen und Zigarettendosen kritzelt. Und du glaubst wirklich, daß ich dich sieben Jahre lang tanzen und singen, Blumen binden und Tee bereiten gelehrt habe, damit du dich mit deinen Gedanken an diesen Bettelprinzen hängst?“

„Es ist aber so — ohne, daß ich etwas dazu tue.“

„In acht Tagen wirst du ihn vergessen haben.“

Hana lächelte nur. Sie wußte, daß es nicht so war.

Sie befanden sich an Bord der „Akita maru“. Der Dampfer hatte nur Japaner an Bord, die nach der Hauptstadt fuhren.

Es fiel Hana auf, daß Omasan sich bei dem Obersteward des Schiffes nach den Namen verschiedener Passagiere erkundigte. Am Abend unterhielt sie sich mit zwei älteren Herren, die im Smoking waren und während des Gesprächs mehrmals zu Hana, die am offenen Fenster des Musiksalons stand, hinübersahen. Der Obersteward stand in der Tür und begann mit Hana ein Gespräch über das Meer. Es sei um die Jahreszeit sonst weit stürmischer. Er meinte, die Ruhe diesmal habe man wohl dem Umstand zu danken, daß sich unter den Passagieren der Baron Iwasaki befände. — Auf Hanas Frage, ob er denn der Wettergott sei, erwiderte er: daß der Baron in der Tat ein Liebling der Götter sei. Alles, was er begänne, führe er zum Erfolg. Jeder, der mit ihm in Berührung komme, werde vom Glück begünstigt. Hanas Frage, welcher von den Passagieren der Baron sei, beantwortete der Obersteward, auf einen älteren Herrn im Smoking weisend, der neben Omasan stand:

„Gefällt er dir?“

„Ich würde sehr froh sein, wenn er mit mir spräche.“

In diesem Augenblick kam Omasan mit den beiden Herren auf sie zu. Der Obersteward trat zur Seite, verbeugte sich und sagte:

„Die kleine Dame, Herr Baron, hat den Wunsch, Ihre Bekanntschaft zu machen.“

„Da begegnen sich unsere Wünsche“, erwiderte er. Alle verbeugten sich mehrmals. Der Baron trat dicht an Hana heran.

„Man hat mir viel Gutes von Ihnen erzählt.“

„Sie sind sehr gütig, so mit mir zu sprechen.“

„Gewiß ist Ihnen diese Reise nicht leicht gefallen?“

„Ich danke Ihnen, daß Sie so viel Anteil an mir nehmen.“

„Sie verstehen es gut, eine Unterhaltung zu führen. Da Sie auch schön sind, so wird der Erfolg mit Ihnen sein.

„Wüßte ich nur, wodurch ich so viel Lob verdiene!“

„Sie sind so artig, daß Sie eine Zierde für jedes Teehaus bedeuten.“

„Und wäre doch viel lieber in Schikotsu geblieben.“

„Für Sie ist Tokio grade groß genug.“

„Ich fürchte mich, daran zu denken.“

„Ich will Ihnen Bilder zeigen aus Tokio und Kyoto. Sie werden sich nicht mehr fürchten. Sie werden sehr froh sein.“

„Ich wünsche es mir.“

Er nahm sie bei der Hand und führte sie in die Kabine. — Omasan und der Steward sahen sich an. — Der Freund des Barons kehrte ihnen — nicht zufällig — den Rücken.

*

Zwei Stunden später schwebte Hana wie ein Vögelchen mit gebrochenen Flügeln scheu den Kabinengang entlang, schob sich die schmale Treppe zum Deck hinauf und verschwand da in der Dunkelheit.

Die Passagiere lagen längst in den Betten. Nur im Rauchsalon war noch Licht — und bei Omasan, die aufgerichtet auf ihrem Lager saß und auf Hanas Rückkehr wartete.

Hana lief das Verdeck entlang, bückte sich, als sie an den hellen Fenstern des Rauchsalons vorüberkam, erschrak vor ihrem eigenen Schatten, der gespensterhaft neben ihr herglitt, ins Riesenhafte wuchs und zur Reeling strebte, als wollte er sich kopfüber ins Meer stürzen.

Sie lief die Treppe zum Zwischendeck hinunter, scheuchte Leute, die nachtsüber im Freien lagen, aus dem Schlaf und hockte sich vorn am Bug des Schiffes nieder. Sie merkte weder, wie heiß ihr Körper war, noch wie der Wind hier pfiff. Sie fühlte nichts und hatte nicht die Kraft, zu denken. Nur fort von den Menschen wollte sie. Allein sein!

Dichter Nebel stieg auf und legte sich feucht auf das Schiff. Die Lichter eines Dampfers, der vorüberfuhr und lebhaft funkte, wurden milchig matt und verschwanden im Nebel. Langgezogen stießen die Rufe des Nebelhorns über das Meer. Der Scheinwerfer mühte sich ab, versuchte durchzubrechen, sandte immer stärkere Massen von Licht. Aber der Nebel stand wie eine Wand und würgte es ab.

Omasan wurde ängstlich. Sie schloß die Luke. Sie schlüpfte in den Morgenkimono und lief auf den Flur. Vor der Kabine des Barons Iwasaki blieb sie stehen, legte den Kopf an die Tür und lauschte. Der alte Herr schnarchte. Sie drückte behutsam die Klinke herunter und schob die Tür ins Zimmer. Das Licht des Scheinwerfers erhellte für einen Augenblick den Raum. Der Alte lag unbedeckt auf dem Rücken. Das verwitterte gelbe Gesicht stand voll Schweiß. Der blauseidene Pyjama stand offen. Dicke Büschel grauen Haars wuchsen ihm auf der Brust. Die Brust hob und senkte sich ruckweise. Er schien an Asthma zu leiden und schwer zu träumen. Vor dem Bett lag die grünseidene Schärpe vom Kimono Hana Tatsumis. Omasan tat einen Schritt ins Zimmer, bückte sich und hob sie auf.

Behutsam glitt sie hinaus, schloß leise die Tür und — suchte Hana. Alles im Leben wiederholt sich, dachte sie. — Aehnlich war es einst ihr ergangen. Das lag nun bald zwanzig Jahre zurück. Aber sie wußte noch, als wäre es heute geschehen, wie ihr damals zumute war. — Sie überlegte. — Was hatte sie damals getan? Es hatte sie von den Menschen fortgetrieben. Der helle Saal mit den vielen Menschen, in den sie hätte zurückkehren müssen, schreckte sie. Sie, die sonst so Furchtsame, war mitten in der Nacht tief hinein in den Park gelaufen. Es trieb sie fort von den Menschen, sie wollte für sich sein. Eiskalt und erschöpft hatte man sie am nächsten Morgen gefunden.

Omasan war sich gar nicht bewußt, daß sie im Banne der Erinnerungen zum Verdeck hinaufgestiegen war und sich durch die Nacht des Nebels tastete. Ihr war es, als erlebte sie alles noch einmal. Und so ging sie rein instinktiv den Weg Hanas. Sie hielt sich an der nassen Reeling fest, stieg die Treppe zum Zwischendeck hinunter, blieb, wenn das Licht des Scheinwerfers über das Deck strich, um sich zu orientieren, stehen und stand plötzlich dicht neben Hana. Sie hockte sich behutsam neben ihr nieder, legte den Arm um sie und sagte, so weich es ihre Stimme zuließ:

„Was bedeutet denn das?“

Hana blieb völlig ruhig, wandte sich um und sagte, bestimmter als Omasan es von ihr gewöhnt war:

„Laß mich allein!“

Aber Omasan umschlang sie nur um so fester.

„Steh auf!“ befahl sie und hob sie in die Höhe. „Wie lange hockst du hier schon? Bei diesem Wetter?“

„Ich weiß es nicht.“

„Weshalb bist du nicht in deiner Kabine?“

„Sie gehört dir. — Und ich muß tun, was du willst.“

„Du brauchst nicht, wenn du nicht willst. — Sage es, und wir kehren um.“

„Nun nicht mehr!“

Omasan lächelte. Hana sah es nicht. — Omasan hatte ihren Zweck erreicht. Die Gefahr der Rückkehr war behoben.

4

Bis Yokohama blieb Hana Tatsumi unsichtbar. Sie klagte, so oft Omasan versuchte, sie in ein Gespräch zu ziehen, über Schmerzen im Kopf und im Rücken. Sie erklärte sich außerstande, an Deck zu gehen. Den Arzt lehnte sie ab. Sie sprach nicht und berührte die Speisen kaum, die man ihr in die Kabine brachte. Und doch litt sie nicht übermäßig. Was geschehen war, nahm sie als Schicksal. So war es bestimmt, so mußte es kommen! Sie hatte darüber nie nachgedacht.

Was also empfand Hana, als der Baron Besitz von ihr ergriff? — Daß sie Taizo Hodsumi liebte. Daß dieser Liebe ein Unrecht geschah. Daß sie sich nach ihm sehnte. Plötzlich sich einsam fühlte — und doch nicht wünschte, zu ihm zurückzukehren. — Die Liebe war beleidigt. Nicht der Mensch.

Omasan ließ sie gewähren. Sie wußte, was in Hana vorging, und war sich über deren Gefühl klarer als Hana selbst. Deren Zukunft verlangte diesen Eingriff. Je früher es geschah, um so besser für sie. — Sie überließ Hana ihrer Stimmung. Es gibt Dinge, die das Laute nicht vertragen, die man durch gutes Zureden daher nicht bessert. An die man am besten gar nicht rührt und die man sich selbst überläßt. Dann schlummern sie ein.

Erst kurz vor Mito hielt Omasan es an der Zeit, Hana daran zu erinnern, daß das Leben aus Pflichten bestehe und daß kein Mensch sich den Luxus gestatten könne, seinen Stimmungen zu leben.

„Ich weiß, daß du gut zu mir warst,“ erwiderte Hana, „und ich danke dir, daß du mich daran erinnerst.“

„Ich will aus dir machen, was mir einst für mich vorschwebte. Du darfst meine Fehler nicht wiederholen. Ich will mich in dir erneuern. Denn ich bin wie ein leeres Gefäß, seit Krankheit mich aus der Bahn warf — mitten während des Aufstieges.“

„Wenn ich deinen starken Willen hätte!“

„Ich werde ihn für dich haben. Aber versprich, mir in allem zu folgen. Ich sehe eher als du, wenn du dich verlierst.“

„Was könnte ich anderes tun, als dir folgen? Was ich gelernt habe, verdanke ich dir. Wüßte ich doch nicht einmal, es zu verwerten.“

*

Yokohama war noch immer ein Riesen-Trümmerhaufen. Das Innere der um drei Fuß gesunkenen Stadt mit den selbst für Japan niedrigen Häusern glich einem Lager von Baracken. Selbst die Räumungsarbeiten machten einen trostlosen Eindruck. Etwa: ‚Wozu die Mühe, wo es jeden Augenblick von neuem losgehen kann?‘ — Das schien überhaupt das Gebot der Stunde, nach dem man hier lebte, und der Schlüssel zum Verständnis von allem, was diese Stadt betraf.

Die großen ausgebrannten Staatsgebäude, Banken und Geschäftshäuser standen nach acht Monaten noch wie am Tage der Katastrophe. Die klaftertiefen Gruben und Löcher in der Erde waren noch nicht zugeschüttet, zum Ueberschreiten mit schmalen Brettern belegt und bei Dunkelheit durch Papierlaternen beleuchtet. An der Wiederherstellung der Straßen, in denen man bis zum Knöchel in Lehm watete, hatte noch keine Hand gerührt. Saß man in einer Rikscha, so spritzte der Schmutz einem in das Gesicht, und die armen Kulis mühten sich, den alle paar Minuten festgefahrenen Rikschawagen aus dem Schlamm zu ziehen.

Hana weinte, als sie das sah und hörte, daß unzählige Tote, die man nicht bergen konnte, noch unter den Trümmern lagen. Sie hatte den Wunsch: schnell fort von hier. Aber Osmana erklärte:

„Der Teil von Yokohama, der uns interessiert, ist wieder aufgebaut.“

Sie stiegen bei einer Bekannten Omasans im Innern der Stadt ab. Sie wohnte in einem Häuschen, das wie alle anderen einer Baracke glich und in einer aufgewühlten, schmalen Straße lag. Sie hieß Matsu Shuto, war alt und häßlich, aber freundlich und gut gekleidet. Die Begrüßung war herzlich. Die Verbeugungen wiederholten sich immer wieder. Und vor allem Hana wurde mit einer Wärme empfangen, die ihr völlig neu war. Es zeigte sich, daß sie Hanas Verhältnisse genau kannte, und obschon Hana sonst nicht viel nachdachte, so sagte sie sich doch, daß sie alles das nur von Omasan wissen konnte.

„Ein Kind ohne Eltern ist schlecht dran,“ sagte sie, „aber wohl ihm, wenn sich andere seiner annehmen, wie Omasan sich deiner angenommen hat.“

„Mein Onkel Yamakana war gut zu mir,“ erwiderte Hana. Aber die Alte hob die Arme und sagte:

„Laß nur, laß! Eine Mutter kann nur eine Frau ersetzen. Und was du bei Omasan gelernt hast, hätte dir auch eine Mutter nicht beigebracht.“

Sie klatschte in die Hände.

Vier junge Nesans (bessere Mägde) erschienen, nahmen die Sachen von Hana und Omasan und trugen sie durch eine Tür, die Matsu Shuto aufgezogen hatte. Man sah in einen hellen, sauberen Raum, der mit Blumen geschmückt war. Gleich darauf brachten die Mägde kleinere Schalen, allerlei Leckerbissen und eine weiße, mit Messing eingefaßte Holzschale voll Reis, die einer Trommel glich. Die Mägde schöpften die Körner aus dem Brei heraus und taten sie in eine Schüssel aus Porzellan.

Matsu Shuto drängte vor allem Hana beständig, zu essen und die Sakeschale zu leeren, die eine Magd auf ihr Zeichen schon zum dritten Male füllte.

Nach Verlauf etwa einer halben Stunde meldete eine Nesan die Ankunft der Haarverschönerin. Omasan gab Hana ein Zeichen. Diese erhob sich. Aber sie fühlte die ungewohnte Menge des heißen Weins in Kopf und Beinen. Omasan und Matsu Shuto entging das nicht.

„Sie wird sich früh niederlegen heute“, sagte die Alte. „Aber erst muß sie meinen Freunden noch etwas von ihrer Kunst zeigen.“

Hana hörte es beim Hinausgehen.

Die Friseurin-Gehilfin verbeugte sich tief, als Hana ins Zimmer trat. Hana begrüßte sie freundlich.

„So einer hübschen Dame habe ich schon lange nicht mehr den Kopf gewaschen.“

Hana dankte lächelnd und staunte über die Fertigkeit, mit der die Gehilfin das Haar wusch, parfümierte und mit einem halben Dutzend Kämme glättete und strich. Sie war eben fertig, als die Nesan erschien und die Ankunft der Friseurin meldete. Im Spiegel sah Hana eine nicht mehr junge Frau mit ein paar Kästen, die sich tief verbeugte. Hana forderte sie auf, näher zu kommen. Die Gehilfin trat beiseite, und die Friseurin begann nach nochmaliger Verbeugung mit der Frisur.

„Welche Frisur darf ich Ihnen machen?“ fragte sie.

„Ich kenne für Mädchen nur diese eine“, erwiderte Hana, worauf die Friseurin lächelnd erwiderte:

„Oh, dann stehen Sie noch im Anfang des Lebens, es gibt vierzehn.“

In diesem Augenblick schob eine Nesan die Tür zur Seite, und Matsu Shuto und Omasan traten ins Zimmer.

Nach den üblichen Verbeugungen besprach sich die Friseurin mit den beiden. Sie packte wohl ein Dutzend verschiedener Zierkämme, unzählige Krepp- und Seidenbändchen, farbige Papierflechten, Schleifen aus Goldfäden, zierliche Stahlagraffen und körbchenartige Unterlagen aus. Eine große Auseinandersetzung erfolgte, an der nur die, die es anging, Hana, sich nicht beteiligte.

Die Friseurin fragte, ob Hanas Haar denn auch von Jugend an die richtige Pflege gehabt habe — sonst könne sie natürlich nicht dafür garantieren, daß es die von Omasan gewünschte Frisur länger als ein paar Monate ohne Haarausfall aushalte.

Omasan, die auf diese Frage schwer eine Antwort geben konnte und erst jetzt erkannte, daß sie ein Wesentliches in Hanas Entwicklung vernachlässigt habe, log und sagte:

„Selbstverständlich. Man hat ihr dreißig Tage nach der Geburt das Haar glattrasiert und nur am Scheitel und an den Schläfen vom elften Tage des elften Monats an einen kleinen Kranz wachsen lassen.“

„Ja, und dann? Und dann?“ fragte die Friseurin eifrig, als handle es sich um eine Frage, die über Hanas ganze Zukunft entschied. „Wann hat man sie lang wachsen lassen?“

„Selbstredend erst vom sechsten Lebensjahre an.“

„Das ist ein Jahr zu spät!“ schalt die Friseurin.

„Das Kind war schwach.“

„Um so achtsamer mußte man für den Haarwuchs sorgen!“

„Es ist mit den teuersten Pomaden und Oelen behandelt worden.“

„Und wann hat das ehrenwerte Fräulein zum ersten Male eine Frisur getragen?“

„Eben von ihrem sechsten Jahre an.“

„Sehen Sie hier!“ — und sie wies auf einen kahlen Fleck auf der obersten Stelle des Kopfes — „die Tonsur als Zeichen der Jungfräulichkeit soll rund und nur einen Zoll groß sein.“

„Ja, ist sie denn das nicht?“ fragte Omasan.

„Das sind mindestens vier Fünftel Zoll — und rund ist sie auch nicht.“

„Aber die wird doch verdeckt.“

„Wenn auch. Das Haar ist die Krone der Frau. Es sollte dieselbe Pflege haben wie Körper und Geist. Eine kunstvolle Frisur macht ein breites Gesicht schmal, eine häßliche Frau hübsch, eine alte jung. An eine noch so gut gewachsene Frau mit dem schönsten Gesicht, die zu wenig oder zu schlechtes Haar hat, um daraus eine kunstvolle Frisur zu machen, wird sich kein Mann verlieren.“

Bei der dritten Frisur waren sich alle einig, daß sie die richtige sei. Sie wurde festgelegt, dann sagte die Friseurin:

„Die junge Dame ist von Natur aus durch Gestalt bevorzugt. Zum schönsten Mädchen in Yokohama aber habe ich sie gemacht.“

„Ein Meisterwerk“, stimmte Matsu Shuto bei, und Omasan sagte:

„Sie haben recht! Was ich sie in zehn Jahren gelehrt habe, wiegt nicht mehr als das, was Sie in einer Stunde aus ihr gemacht haben.“

„Wo wird die junge Dame hinkommen?“

„Vermutlich in das Mukojima.“

„Nach Tokio soll sie? Und in ein Teehaus, in das die reichen Leute mit ihren langweiligen Familien gehen?“

„Ja, warum nicht?“

„Weil sie mit ihrer Schönheit da nichts anzufangen wissen. Die Väter und Mütter ärgern sich, daß ihre Töchter nicht ebenso aussehen, und zahlen schlecht.“

„Darin liegt etwas Wahres“, sagte Matsu Shuto. „Im Shin-Bashi oder Yanagi kämen ihre Reize mehr zur Geltung.“

„Warum Tokio?“ erwiderte die Friseurin. „Gibt es in Yokohama keine Geishaviertel? Weder Kyoto noch Osaka kann sich damit messen.“

„Man müßte es sich ansehen“, meinte Matsu Shuto.

Die Friseurin fuhr fort:

„Ich habe in meinem Leben wohl an tausend Mädchen meine Kunst geübt. Ich nehme den Mund nicht gern voll — aber mit der werden Sie bei jeder Oiran Dochu den Vogel abschießen.“

„Das Mädchen soll keine Kurtisane werden“, erwiderte Omasan. „Sie soll in einem vornehmen Teehause tanzen und Samise spielen.“

„Kurtisane hin, Kurtisane her. Wenn eine Frau in Japan keine Aussicht hat, Kaiserin zu werden und aussieht wie die“ — dabei wies sie auf Hana, die noch vor dem Spiegel des Frisiertisches stand und ohne auf das Gespräch zu achten, staunend die mit ihr vorgegangene Veränderung sah — „dann soll sie nur einen Ehrgeiz haben: Königin der Kurtisanen zu werden.“

„Sie überstürzen das Tempo“, erwiderte die Alte, und meinte:

„Erst soll sie sich einmal an Menschen gewöhnen. Sie war ihr Leben lang allein.“

„Das Leben ist kurz. Das Leben einer Geisha noch nicht mal halb so lang. Jetzt ist die Zeit, wo das Glück ihr in den Schoß fällt. Wenn eine Geisha anfängt, es zu suchen, merkt sie meist erst, daß es vorüber ist.“

„Sie sprechen klug“, sagte Omasan.

„Ich spreche aus Erfahrung. Nennen Sie mir eine Geisha, die in Asakusa oder Mukojima war und ihr Glück gemacht hat? Ich gebe zu, es gibt in ganz Tokio keine besseren Teehäuser! Aber Männer, die dahin gehen, sind schmalbrüstig und engherzig und heiraten keine Geisha. Sehr zu deren Glück. Denn sie sind dann in ein paar Jahren nichts anderes als Kinderhüter und Osadons. Eine Oiran aber bleibt auch in der Ehe ein Schmuckstück, mit dem sich der Mann gern zeigt. Ich kenne Dutzende beider Arten. Hätte ich eine Tochter, die aussieht wie die“ — wieder wandte sie sich an Hana, stürzte auf den Frisiertisch zu und drehte hastig einen kleinen Handspiegel, den Hana mit der Vorderseite nach oben gelegt hatte, um. „Wissen Sie nicht, daß der Spiegel das Symbol des Frauenherzens ist, das man nie offen legen darf, weil sonst eine andere Frau das Herz des Geliebten gewinnt?“

„Ich habe keinen Geliebten,“ erwiderte Hana.

„Aber Sie werden einen haben — und es ist gut, wenn man sich beizeiten daran gewöhnt.“ — Da Hana schon wieder in den Spiegel sah, so fuhr sie fort: „Haben Sie gewußt, daß Sie so schön sind?“

„Nein, ich habe nie darauf geachtet.“

Sie nahm ein paar Blumen, die in einer kleinen violetten Schale schwammen, und machte Anstalten, sie sich ins Haar zu stecken.

Die Friseurin riß sie ihr aus der Hand.

„Ja, Kind, Sie wissen ja rein gar nichts!“ rief sie entsetzt.

„Was bedeutet denn das?“ fragte Hana.

„Frauen, die frische Blumen in den Haaren tragen, werden ihre Eltern auf dem Sterbebett nicht sehen,“ wurde sie belehrt.

Da sah Hana traurig vor sich hin und sagte:

„Ich habe keine Eltern mehr.“

„Oh, wie traurig!“ erwiderte sie und verbeugte sich tief. Aber gleich darauf fuhr sie fort: „Dann sind Sie also frei und haben für niemanden zu sorgen.“

„Das bin ich. — Ich habe niemand außer Omasan und Onkel Yamakana.“ Sie blickte zu Omasan hinüber. Ihre Augen trafen sich — und Omasan sah, daß sie an Taizo Hodsumi dachte.

Die Friseurin, die Matsu Shuto, wohl versehentlich, einmal bei ihrem Vornamen Shima nannte, fuhr fort: „Wie wäre es, wenn Sie das Kind mir überließen? Sie ist bei mir besser aufgehoben.“

„Wo denken Sie hin!“ erwiderte Matsu Shuto, gab aber Omasan ein Zeichen, mit Shima hinauszugehen.

Sie schob Shima und Omasan in den Nebenraum und schloß hinter ihnen die Tür zu. Zu Hana gewandt, sagte sie:

„Sie kommen gleich zurück.“

Nebenan begann Shima das Gespräch:

„Wenn Ihnen an der Zukunft des Kindes liegt, so sagen Sie „ja“. Ich kenne jedes öffentliche Haus und bessere Teehaus in Yokohama und Tokio. Durch mich hat schon manches Mädchen sein Glück gemacht.“

„Was haben Sie denn für einen Charakter?“

„Einen schlechten, denn ich will verdienen.“

„Das will ein jeder.“

„Gut gesprochen! So kommen wir schnell zu einer Verständigung. Was verlangen Sie?“

„Aber ich kann mir das Kind doch nicht abkaufen lassen. Es gehört mir ja nicht.“

„Wem denn?“

„Niemandem.“

„Dann werde ich es mir einfach aneignen.“

„Sie geht nicht von mir, wenn ich es nicht will. — Im Uebrigen: was sie ist, ist sie durch mich.“

„Sie irren. Das Talent ist ihr angeboren. Genau wie ihre Schönheit.“

„Ich habe Furcht, daß Sie nur den Zweck verfolgen, Kapital aus ihr zu schlagen.“

„Davon können Sie überzeugt sein. Je mehr, umso besser! Aber mit Verstand. Sie ein paar Jahre lang in ein öffentliches Haus stecken und sie dann zu Hausarbeiten verwenden, dazu reicht es schließlich bei jeder. Aber dabei springt nichts heraus. Eine Frau wie die, muß man als Geisha lancieren, und zwar so, daß sie ein Jahr lang Gesprächsstoff in jeder Gesellschaft Tokios ist.“

„Als was?“

„Als die schönste Geisha. — Dann kann sie sich die Männer aussuchen. — Auch heiraten, wen sie will.“

„Mir scheint, daß ich nicht das Recht habe, nein zu sagen.“

„Das scheint nicht nur — es ist so!“

„Ich werde mit ihr sprechen.“

„Erst müßten wir uns über die Bedingungen einig sein.“

„Ein Mensch ist doch kein Kaufobjekt.“

„Daß man hübsche Kinder armen Eltern abkauft, um Geishas aus ihnen zu machen, ist eine alte Sitte in Japan.“

„Weder bin ich die Mutter, noch ist Hana ein Kind.“

„Das erhöht Ihren Anspruch. Denn Zeit und Kosten für die Ausbildung werden gespart.“

„Hanas Ausbildung weist noch Lücken auf.“

„Anmut und Takt gleichen sie aus.“

„Sie hat nie bei einem Bankett serviert.“

„Und wird es nie tun. — Die Zeiten haben sich geändert. Zum mindesten für schöne Frauen. Sie bedienen nicht mehr. Sie werden bedient! Und eine Frau, die nie bedient hat, steht heute höher im Wert als eine, die es nicht mehr nötig hat, zu bedienen.“

„Irgend etwas sträubt sich in mir gegen diesen Handel. — Machen Sie es mit ihr selbst ab. Sie ist klug und alt genug, um über Dinge, die nur sie angehen, zu entscheiden.“

„Sie reden daher wie eine Europäerin. Im übrigen will ich Ihnen verraten, daß ich das längst getan hätte, wenn nicht die Gesetze des Staates dagegen ständen.“

„Was geht das den Staat an?“

„Er schützt die Minderjährigen. — Ein Vertrag, den ich mit dem Kinde schlösse, wäre nichtig und strafbar!“

„Ja, darf denn ich das?“

„Hat die Familie ....“

„Sie besitzt nur einen Onkel.“

„Also: hat der Onkel Ihnen das Recht übertragen, an seiner Statt für die Zukunft Hanas zu sorgen?“

Omasan zog ein Schreiben aus dem Aermel ihres Kimonos.

„Er hat es mir schriftlich gegeben.“

„Ich bitte darum, es lesen zu dürfen.“

Omasan entfaltete das Blatt und reichte es ihr. Shima las es. Ueber ihr Gesicht glitt ein Lächeln.

„Das ist ja ausgezeichnet,“ sagte sie. „Sie schreiben einfach darunter: die mir aus diesem Schreiben zustehenden Rechte übertrage ich an Shima Mataumoto. — Sofort nach der Unterschrift zahle ich Ihnen fünfhundert Yen. Das ist ein schönes Stück Geld. Aber ich werde schon auf meine Kosten kommen.“

„Ich möchte sie doch wenigstens fragen,“ sagte sie.

„Ueberlassen Sie mir das.“ — Im selben Augenblick war sie auch schon durch die Schiebetür hindurch im Nebenzimmer.

Da stand Hana, noch immer beglückt durch die neue Frisur, in einem Kimono von weißer Seide, über dem ein Ko-Uschiki (Ueberkleid), mit roten und blauen Blumen bestickt, lose herabfiel. Um die Mitte war ein rotes Seidentuch geschlungen. Sie lächelte bezaubernd und bewegte sich, einen Tanz andeutend, eben von der Tür aus zurück zum Spiegel.

„Sechshundert Yen — tausend,“ dachte Shima Mataumoto bei diesem Anblick. Die alte Matsu Shuto schob sich in ihre Nähe und flüsterte ihr zu:

„So etwas haben wir noch nicht gehabt. — Sieh’ dir den weißen Fetzen an! Was sie daraus gemacht hat! Er lag zusammen mit anderem Kram in der Ecke für die Nesan. Aus einem Dreck macht sie eine Staatstoilette.“

Hana stand jetzt wieder vor dem Spiegel, verschob die Schärpe ein wenig, nestelte an der Seide herum — und bot ein völlig anderes Bild, das abermals vollendet war.

„Sie sind das schönste Fräulein aus ganz Japan,“ sagte die Alte.

Hana erwiderte lächelnd:

„Heute gefalle ich mir selbst.“

„Sie müssen sich alle Tage gefallen,“ sagte Shima. „Und wenn Sie unter meinem Schutze stehen, werden Sie noch immer schöner werden.“

„Wo ist Omasan?“ fragte Hana.

Shima wies auf das Nebenzimmer und sagte:

„Sie wartet auf Sie. — Aber sie möchte, daß ich zuvor mit Ihnen spreche. — Omasan ist ein vorzüglicher Mensch. Um Sie besorgt, zittert sie um Ihre Zukunft. Sie sieht nun, daß sie nicht die Möglichkeit hat, Ihre Schönheit und Ihre Gaben in das richtige Licht zu setzen. Daher hat sie mich gebeten, mich Ihrer anzunehmen.“

„Und Sie wollen es tun?“

„Würden Sie sich mir denn anvertrauen?“

Hana, das erste Mal in ihrem Leben vor eine Entscheidung gestellt, wurde unsicher. — Shima Mataumota entging es nicht.

„Die Frage ist einfach die: wollen Sie schön und reich sein?“

„Gewiß will ich das!“

„Oder ziehen Sie es vor, nach einem Leben der Enttäuschungen arm und verachtet zu Ihrer Familie zurückzukehren?“

„Nie täte ich das!“

„Dann gehen Sie rasch hinein und sagen Sie Omasan, daß Sie sich mir anvertrauen wollen.“

Omasan saß noch vor dem Schriftstück, hatte den Satz, durch den sie ihre Rechte auf Shima Mataumoto übertrug, schon darauf gesetzt, zögerte aber noch, zu unterschreiben.

Hana ging auf sie zu und sagte:

„Liebe Omasan, die Menschen sind so gut zu mir.“

„Sie wollen, daß ich dich in ihre Obhut gebe.“

„Ich weiß. Sie wollen, daß ich reich und glücklich werde.“

„Das sagen sie. Und ich glaube es auch.“

„Dann sage ich ‚ja‘!“

Omasan fügte in das Schriftstück die Worte ein „mit Hana Tatsumis Willen“, setzte ihren Namen darunter und ließ Hana mit unterzeichnen. Dann erhob sie sich und rief Shima Mataumoto.

Die kam, rot vor Erwartung, und las in Omasans Gesicht sofort, wie die Entscheidung gefallen war. Hana wurde noch einmal hinausgeschickt.

„Hier,“ sagte Omasan, als Hana draußen war, und hob das Schriftstück hoch, „Sie hat eingewilligt.“

„Sie wird es nicht zu bereuen haben.“

„Was den Kaufpreis anbelangt, so sind 500 Yen natürlich eine viel zu geringe Summe.“

„Ich bin bereit, sechshundert zu zahlen.“

„Fünfzehnhundert — und nicht einen Yen darunter!“

Shima Mataumoto wurde rot vor Zorn, den sie nur mühsam unterdrückte.

„Sie wollen mich ruinieren!“

Ich sage mir, je höher der Preis ist, um so größer wird die Sorgfalt sein, die Sie auf das Kind verwenden.“

„Ich schwöre Ihnen, daß ich für tausend Yen dieselbe Sorgfalt ....“

„Die fünfzehnhundert sind mir eine bessere Gewähr.“

„Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht einmal solch hohen Preis bezahlt!“

„Sie haben auch in Ihrem ganzen Leben noch nie so ein Geschöpf in Ihre Hand bekommen!“

„Teilen wir uns die Differenz.“

„Ich handle nicht.“

Shima Mataumoto gab nach.

„Sie verstehen Ihr Geschäft,“ sagte sie bösartig und füllte einen Scheck aus.

„Ich hoffe sehr, daß ich sie nicht zu billig weggegeben habe,“ erwiderte Omasan und erhob sich.

Die Trennung von Hana vollzog sich dank der Kühle, die Omasan vortäuschte, in aller Ruhe.

„Laß oft von dir hören,“ sagte Omasan. „Du wirst vermutlich eine Bindung auf längere Zeit eingehen. Vor dem Schlimmsten bist du bewahrt. Ich errichte dir morgen auf der Hokkaido Colonization Bank ein Konto in Höhe von ...“ — sie rechnete die von Yamakana erhaltenen fünfhundert Yen dazu — „von zweitausend Yen, über die du jederzeit verfügen kannst.“

„Wo kommt das Geld her?“ fragte Hana.

„Du hast dich bei niemandem dafür zu bedanken — am allerwenigsten bei mir!“

Omasan, sonst so beherrscht, fühlte, wie schwer ihr die Trennung wurde.

„Leb’ wohl, mein Kind!“ sagte sie schluchzend. „Sei glücklich, hörst du? — und vergiß mich nicht.“

Sie wankte hinaus.

Hana stand und sah ihr nach. — Sie war längst aus dem Hause, da rief Hana — und es klang wie ein Hilferuf, der nicht mehr zu ihr drang: „Omasan!“

5

Shima Mataumoto gehörte, wie sich erst jetzt herausstellte, das Haus, in dem die alte Masu Shuto wohnte. Sie besaß mehrere solcher Häuser in Tokio und Yokohama. Sie vermietete sie an reiche Japaner oder deren Geishas für jede beliebige Zeit. Sie ließ sie von Frauen verwalten, die selbst früher Oirans oder Geishas gewesen waren. Sie selbst ging im Shin-Bashi und Yanagy, neuerdings auch in den wieder errichteten Häusern Yokohamas ihrem Berufe nach. Die Häuser, die sie besaß und bediente, wahrten nach außen den Charakter eines Teehauses, waren in Wirklichkeit aber bessere Yoroyas, und die darin untergebrachten Mädchen waren Oirans, die der Bildung und dem Aeußern nach aber für Geishas gelten konnten. Auch den Gästen gegenüber gab sie sie dafür aus. Sie hatte ein kleines Autocar, das sie trotz ihrer fünfzig Jahre selbst lenkte, und genoß das Vertrauen aller Geishas, denen sie die Freundin, oft sogar die Mutter ersetzte. Ueberall half sie, und so entwickelt ihr Geschäftsgeist war, immer hatte sie außer guten Ratschlägen auch Geld, wenn eine ihrer jungen Freundinnen krank oder in Not war. Bei Unzufriedenheiten und Streitigkeiten war sie den Mädchen und den Besitzern der Häuser als Vermittlerin willkommen. Sie war unbestechlich und hatte einen Verstand, der so lang war wie das schöne Haar der berühmten Doirin Fukuka, wegen der sich schon zwei Japaner das Leben genommen hatten. Nie ging ihr die Zigarette aus, und trotz Beschwerden in den Nieren, einer Folge ihres zum Stehen nötigenden Berufes, gab es keine Frisur, bei der sie nicht ihr Kännchen Sake leerte. Trotzdem blieb sie schlank und flink wie die jüngste Geisha, mit denen sie scherzte und um die Wette tanzte.

Sie faßte den Beruf ihrer Mädchen als den natürlichen Weg zum sozialen Aufstieg der Frau mittleren und niederen Standes auf. Sie kannte das Leben von hunderttausend Japanerinnen, die Leben und Gesundheit in den Fabriken opferten und, wenn sie müde, alt und langsam wurden, als Bettlerinnen auf die Straße flogen. Sie stand oft stundenlang an den Ausgängen der Fabriken und nahm sich schwacher Mädchen an. Gewiß, mit der Absicht, sie ins Freie — so nannte sie das Leben der Geishas und Kurtisanen — zu führen. Oft aber aus Menschenliebe. Und sie half ihnen auch, wenn ihr Versuch an der Moral der Mädchen oder dem Widerstande der Eltern scheiterte.

Im Verkehr mit Frauen, die den Verkauf von Mädchen lediglich als Gewerbe betrieben, war sie schlau und zurückhaltend. Sie mochte sie nicht. Auch in Omasan sah sie lediglich die Kupplerin. Bedenken, die Omasan bei dem Verkauf Hana Tatsumis geäußert hatte, nahm sie nicht für ernst, die Hemmungen für Heuchelei. Ja, sie fürchtete, daß Omasans Einfluß durch die Trennung noch nicht gebrochen war. Ihr erstes Bemühen war, Hana ihrer bisherigen Beschützerin zu entfremden.

Noch am selben Abend setzte sie Hana in ihr Auto, wickelte sie in Decken und fuhr mit ihr nach Tokio. Sie rasten eine Strecke lang neben der elektrisch betriebenen Eisenbahn her, die von Yokohama nach Tokio fuhr. Hana zitterte anfangs. Aber die Ruhe, mit der Shima, die brennende Zigarette im Mund, am Steuer saß, nahm ihr schnell jede Furcht. Sie schrie zwar auf, wenn in einiger Entfernung vor dem Wagen Menschen den Fahrweg kreuzten oder ein paar Hühner erschrocken in die Höhe flatterten. Aber es bereitete ihr diebische Freude, wenn sie den Eisenbahnzug, der ihnen eben entwischt war, an den Stationen überholten, um schließlich vor ihm die ersten Häuser der Riesenstadt zu erreichen.