Frau Bartsch reist sich zusammen - Stephanie Bartsch - E-Book
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Frau Bartsch reist sich zusammen E-Book

Stephanie Bartsch

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Beschreibung

Ein neues Leben in einem Haus auf vier Rädern Als Stephanie Bartsch ihren geliebten Mann durch einen Autounfall verliert, droht sie den Boden unter den Füßen zu verlieren. Das Leben in ihrer neuen Rolle als »Witwe« fühlt sich fremd an. Sie nimmt eine Auszeit von Beruf, Familie und Freunden, kauft sich ein Wohnmobil und fährt Richtung Süden. Von Tag zu Tag erkundet sie nun, was ihr das neue Leben zu bieten hat. Und das ist eine ganze Menge! Sie begegnet helfenden Menschen, spannenden Landschaften, und sie entdeckt das Schreiben für sich. Entstanden ist eine Art Roadmovie: entwaffnend offen, ehrlich, humorvoll und ganz anders, als man sich Trauer gemeinhin vorstellt. 

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Für Béla und Lotta

 

© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, Berlin/München 2023

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: zero-media.net, München

Covermotiv: privat

 

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Zitat

Frau Bartsch erinnert sich

Wofür denn noch ein Buch über Trauer?

21. 3. 2021

23. 3. 2021

24. 3. 2021

25. 3. 2021

26. 3. 2021

28. 3. 2021

31. 3. 2021

1. 4. 2021

2. 4. 2021

3. 4. 2021

4. 4. 2021

5. 4. 2021

6. 4. 2021

8. 4. 2021

10. 4. 2021

11. 4. 2021

14. 4. 2021

15. 4. 2021

17. 4. 2021

18. 4. 2021

NACH SPANIEN

19. 4. 2021

20. 4. 2021

21. 4. 21

22. 4. 2021

23. 4. 2021

24. 4. 2021

25. 4. 2021

26. 4. 2021

27. 4. 2021

30. 4. 2021

4. 5. 2021

6. 5. 2021

7. 5. 2021

10. 5. 2021

11. 5. 2021

12. 5. 2021

15. 5. 2021

17. 5. 2021

18. 5. 2021

19. 5. 2021

22. 5. 2021

23. 5. 2021

24. 5. 2021

25. 5. 2021

28. 5. 2021

1. 6. 2021

2. 6. 2021

7. 6. 2021

8. 6. 2021

9. 6. 2021

13. 6. 2021

15. 6. 2021

17. 6. 2021

19. 6. 2021

22. 6. 2021

NACH NORWEGEN

26. 6. 2021

26. 6. 2021

27. 6. 2021

28. 6. 2021

29. 6. 2021

30. 6. 2021

2. 7. 2021

3. 7. 2021

4. 7. 2021

7. 7. 2021

10. 7. 2021

11. 7. 2021

12. 7. 2021

13. 7. 2021

15. 7. 2021

17. 7. 2021

19. 7. 2021

20. 7. 2021

21. 7. 2021

23. 7. 2021

25. 7. 2021

26. 7. 2021

28. 7. 2021

31. 7. 2021

2. 8. 2021

4. 8. 2021

5. 8. 2021

6. 8. 2021

NACH HAUSE

8. 8. 2021

13. 8. 2021

15. 8. 2021

18. 8. 2021

27. 8. 2021

28. 8. 2021

29. 8. 2021

9. 9. 2021

10. 9. 2021

25. 9. 2021

10. 11. 2021

3. 12. 2021

26. 12. 2021

5. 3. 2022

Playlist der Reise

Danke

Literatur

Links

Anmerkungen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Ich suche nicht – ich finde.

Suchen – das ist das Ausgehen von alten Beständen

und ein Findenwollen von bereits Bekanntem im Neuen.

Finden – das ist das völlig Neue.

Das Neue auch in der Bewegung.

Alle Wege sind offen,

und was gefunden wird, ist unbekannt.

Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer.

Die Ungewissheit solcher Wagnisse

können eigentlich nur jene auf sich nehmen,

die sich im Ungeborgenen geborgen wissen,

die in der Ungewissheit,

in der Führerlosigkeit geführt werden,

die sich im Dunkeln einem unsichtbaren Stern überlassen,

die sich vom Ziele ziehen lassen

und nicht – menschlich beschränkt und eingeengt –

selbst das Ziel bestimmen.

Dieses Offensein für jede neue Erkenntnis

im Außen wie im Innen:

Das ist das Wesenhafte des modernen Menschen,

der in aller Angst des Loslassens

doch die Gnade des Gehaltenseins

im Offenwerden neuer Möglichkeiten erfährt.

Pablo Picasso

Frau Bartsch erinnert sich

»Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Mann heute Morgen bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist.«

Die Polizei kam zu dritt. Dachte ich. In Wirklichkeit war einer der Männer ein Seelsorger. Seine Uniform sah ähnlich aus wie die der Polizisten.

Nachdem ich den schlimmsten Satz meines Lebens gehört hatte und schrie, weinte der Seelsorger auf der Bank neben mir im Wohnzimmer. Im Schreien dachte ich: Das wird wohl als unprofessionell angesehen, aber deine Reaktion ist die einzig angemessene. Kurz darauf entließ er die Polizisten: »Sie können ruhig gehen, Sie haben ja sicher auch noch was Besseres zu tun.«

What?! Als die Polizisten gegangen waren, drohte ich zu hyperventilieren, hatte aber dennoch den Eindruck, alles unter Kontrolle zu haben, und das stimmte auch irgendwie. Ich habe mich in den Sessel gesetzt und mit einer Klopftechnik begonnen, die ich auch bei meinen Coaching-Klienten anwende. Vorher habe ich den Seelsorger beruhigt, ich müsse mich mal eben »regulieren« und das könne jetzt vielleicht etwas seltsam anmuten.

Der Seelsorger erlaubte mir, in meinem Wohnzimmer sitzend, alles zu tun, was mir jetzt guttäte. Danke.

Also klopfte ich die 16 Akupunkturpunkte, summte, zählte rückwärts und bewegte meine Augen in abgelegene Ecken. Es half! Ich konnte ruhiger atmen. Ich war stolz, dass mir in diesem Moment das Klopfen eingefallen war.

Danach musste mein geplantes Seminar am Nachmittag abgesagt werden, was der Seelsorger für mich erledigte, weil ich nicht tippen konnte.

Als Nächstes rief ich bei meinen Eltern an und sagte meinem Vater, sie müssten sofort kommen, Ralf sei tot.

Nun schaltete sich mein Seelsorger wieder ein, bevor ich noch mehr falsch machen konnte. Er wollte, dass ich erst einmal überlegte, wie meine Kinder reagieren würden. Daraufhin wurde eine Seelsorgerin zu meinem Sohn Béla geschickt, um ihn zu holen. Leider war die Schnittstellenkommunikation dabei nur semi-optimal, und so wurde meinem Sohn zunächst vermeldet, sein Vater sei tot. Die Seelsorgerin berichtigte sich dann jedoch und gab den Wohnort des gestorbenen Mannes an. So erfuhr mein Sohn, dass sein Stiefvater ums Leben gekommen war. Ralfs leibliche Tochter wurde in Hamburg von sehr einfühlsamen Polizisten besucht und informiert.

Meine Tochter Lotta rief mich an, um sich wegen Weihnachten zu erkundigen. Sie wohnt in Amsterdam und wollte einen Zug buchen. Ich aber dachte, sie wäre schon durch meinen Sohn informiert und riefe deswegen an. Zum Glück war ihre Mitbewohnerin zu Hause, und ihr Freund kam schnell, denn sie reagierte ebenfalls sehr heftig.

Am Abend waren dann alle bei mir versammelt, und wir blieben in dieser Konstellation acht Tage zusammen.

Ich war froh, dass Corona es untersagte, mich zu besuchen. Ich wollte niemanden weiter sehen und sprechen. Nach einigen Tagen habe ich einen Hilferuf in meinen WhatsApp-Status geschrieben, dass wir uns nicht gut versorgen könnten und es eine große Hilfe sei, uns zu bekochen. Daraufhin bekamen wir leckerstes Essen von allen Seiten, alle waren froh, etwas tun zu können. Und wir waren so dankbar für alles. So viele Menschen haben so unendlich viele gute Dinge für mich, für uns getan!

Es war eine Zeit der Gemeinschaft und Verbundenheit. Wir haben unglaublich viel gelacht – etwas, was uns selbst merkwürdig vorkam, weil wir, abgesehen von meinem Sohn, noch nie in einer akuten Trauer gesteckt hatten. Eine derartige Achterbahnfahrt der Gefühle hatte keiner von uns vorher erlebt. Man kann nicht ununterbrochen nur an den Tod denken. Zudem ereigneten sich die abstrusesten Dinge, über die wir wirklich nur lachen konnten.

Es war alles auf eine Weise schön und gut, und unsere innere Welt wartete, dass Ralf endlich nach Hause käme …

 

Dennoch merkte ich nach ein paar Wochen, dass ich so schnell nicht wieder würde arbeiten können. Ich hatte mich für eine Ausbildung »Kollegiale Führung« angemeldet, die ich absagte. Ich konnte mich einfach nicht konzentrieren, und nichts interessierte mich.

Langsam wurde mir klar, dass ich einen Schlag erhalten hatte, von dem ich mich so schnell nicht wieder erholen würde. Je näher der 1. März rückte, an dem ich meine neue Arbeit antreten wollte, desto dringlicher wurde eine Entscheidung, auf wann ich den Start des neuen Jobs verschieben sollte. Ich schätzte, dass ich im Juni wieder würde arbeiten können, doch erschien es mir angenehmer, die Auszeit auch über den Sommer auszudehnen. So setzte ich willkürlich den 1. September als Start fest.

Auszeit bis September. Es war Mitte Januar, und mein Leben, wie ich es mit Ralf geführt hatte, war zerstört. Ich ging davon aus, dass ich für den Rest meines Lebens Single bleiben würde.

Schon länger hatte ich von einem Campingmobil geträumt, mit dem man unabhängig war und frei in der Natur stehen konnte. Ralf träumte den Traum aus Liebe zu mir ein bisschen mit, aber mir war immer klar gewesen, dass das nicht seine Art war, Urlaub zu machen. Er liebte luxuriöse Hotels und das Stadtleben, ohne Fliegen, Mücken und Spinnen. Nur die Vorstellung davon, eine Toilettenkassette entleeren zu müssen, führte bei ihm schon zu Schüttelekel. Wir waren uns immer einig gewesen, dass so ein hässliches weißes Wohnmobil mit Holzimitat-beklebten Innenschränken keine Option für uns war.

In meiner neuen Lebenssituation kam ich nun zu dem Schluss, dass ein Campermobil genau das Richtige für mich war. So konnte ich meine vielen Freunde in anderen Städten besuchen und gleichzeitig unabhängig sein. Ich konnte in der Natur stehen und Ruhe genießen. Und Leute kennenlernen und dann die Tür wieder hinter mir zumachen.

Mein freundlicher Bankberater hatte mich kurz vor Weihnachten über meine finanzielle Situation informiert, die recht rosig schien. Ich hatte offenbar noch ein großzügiges Polster aus einer Lebensversicherung, nachdem die Schulden vom Haus abbezahlt waren. So stellte es sich jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt dar. Ralfs Kolleginnen und Kollegen beschenkten mich außerdem mit einer großzügigen finanziellen Unterstützung, und so wollte ich einen lang gehegten Traum wahr werden lassen: ein (fast) hölzernes Wohnmobil im Stil eines Zirkuswagens aus einer niederländischen Manufaktur zu kaufen.

Doch der Preis dafür, den ich seit dem Besuch einer Camping-Messe in Düsseldorf einige Jahre zuvor im Kopf spazieren trug, war bei Weitem nicht der realistische. In einem Telefonat mit dem Inhaber der Werkstatt stellte sich außerdem heraus, dass das Wohnmobil mindestens alle zwei Jahre abgeschliffen und neu lackiert werden musste. Als ich dann auch noch von der Wartezeit von über einem Jahr hörte, war der Traum endgültig zerplatzt.

Cool fand ich ansonsten auch die Vans mit Schiebetür. Muss man denn mit 50 Jahren noch cool wirken? Am liebsten ja.

Mit meiner Freundin schaute ich mir YouTube-Filme von seltsamen Campern an, die die Vor- und Nachteile solcher Vans schilderten. Wir lachten uns kringelig, und ich fragte mich, ob ich in Zukunft wirklich zu so einer Gruppe von Menschen dazugehören wollte. Wollte ich nicht.

Aber dennoch: Ich war sicher, dass ich, trotz aller Hässlichkeit, ein echtes Wohnmobil kaufen würde. Ich wollte eine richtig gemütliche Toilette und Dusche und eine große Sitzgruppe als »Wohnzimmer«. So zogen wir am nächsten Tag los und besuchten den Wohnmobilhandel in meiner Nachbarschaft. Auch das hatte ich von den YouTube-Filmen gelernt: Du hast ständig Malaisen mit so einem Teil, und dann ist es günstig, wenn du einen Händler in der Nähe hast.

Der gut gelaunte Verkäufer zeigte mir ein Wohnmobil von sechs Metern Länge. Es hatte ein Hub-Bett über der Sitzgruppe. Das war es! So eine Anordnung war genau die richtige: große Sitzgruppe und kein Bett, das Platz in Anspruch nimmt. Ein Bekannter hatte mir jedoch aus seiner Erfahrung zu einem sieben Meter langen Wagen geraten. Schließlich zeigte man mir dann ein Ausstellungsstück von Dethleffs, und das war perfekt! Und ist es in meinen Augen auch heute noch.

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, immer eine Nacht über alles zu schlafen, und das verkündete ich auch; aber dann bekam ich ein so tolles Angebot, dass ich sofort einschlug. So ist das mit Frau Bartsch und ihren Prinzipien.

Vor Unterschrift des Kaufvertrags wurde ich in Kenntnis darüber gesetzt, dass dieses Wohnmobil vom Abgasskandal betroffen war und möglicherweise ein Entzug der Betriebsgenehmigung auf mich zukommen könne – darum also ein so günstiges Angebot.

Mir egal, es wird schon nicht so weit kommen, dachte ich.

Ich war der Meinung, dass ich nun ein Wohnmobil hätte, mit dem ich sofort losfahren könnte, aber weit gefehlt! Bei der Übergabe ein paar Tage später wurden mir diverse Utensilien zum Kauf angeboten: ein dreipoliges Kabel, ein Abwasserschlauch, eine Trinkwassergießkanne, ein leichter Wasserkessel, Töpfe, Campingstühle, Klemmstangen für den Kühlschrank, Taschenlampe, Verbandskasten, Warndreieck (war wirklich nicht enthalten). Okay, das kaufte ich dann eben auch noch in dem Laden. Jetzt hatte ich aber alles. Dachte ich.

In diversen Facebook-Gruppen wurden mir wunderbare Dinge angeboten: von lebensmitteltauglichen Wasserschläuchen, den passenden Schlauchadaptern und Spanngurten über rutschsichere Matten für die Küchenschränke bis hin zu leichtem Geschirr, Wasserfilter, Befestigungsschienen und Schubladeneinteilungen für Besteck. Es gab Kristallgläser, die auf Magnetschienen befestigt wurden, und Schaumstoffmatten, in die man bruchsicher Flaschen, Teller und Tassen stecken konnte. Es gab den Omnia-Camping-Backofen und dazu passende Kochbücher. Ich brauchte einen Lattenrost aus Plastik und eine zusätzliche dünne Matratze. Es gab Mitgliedschaften von ADAC über Landvergnügen bis zur ACSI-Campingrabattkarte. Es gab externe Akkus mit Solarbetrieb und jede Menge Kästen und Boxen, die ich brauchen konnte.

Zwischendurch dachte ich, dass ich mir nie ein Wohnmobil gekauft hätte, wenn ich gewusst hätte, was für eine Wissenschaft damit verbunden ist. Ein Wohnmobil-Kollege bei Facebook empfahl mir dringend, das Fahrzeug keramikversiegeln zu lassen. Er hätte das auch gemacht, und seitdem würde der Regen das Fahrzeug sauber waschen. Er nannte mir eine Firma bei Augsburg, und ich vereinbarte einen Termin. So ganz auf der Höhe war ich nicht: Sonst hätte ich mal recherchiert und festgestellt, dass es auch bei mir in der Nähe so eine Firma gibt. Der Termin fiel leider in eine Zeit, als bei uns so viel Schnee lag wie seit Jahren nicht mehr.

Ich war erst ein paarmal mit dem Wohnmobil gefahren – ein bisschen über Land und an Hecken vorbei, um die Maße des Fahrzeugs abschätzen zu lernen. Aber wir waren noch nicht wirklich vertraut miteinander. Das sollte sich nun auf der großen Fahrt ändern.

Bei der Keramikversiegelung stellte sich heraus, dass die hintere »Garagentür« undicht war. Sie war zwar nun keramikversiegelt, musste aber von Dethleffs ausgetauscht werden. Die Austauschtür ist bis heute nicht keramikversiegelt. Dafür ist sie aber wieder undicht. Das musste ich auch erst lernen: Ein Wohnmobil ist wie ein kleines Spielzeughaus. Die Dinge sind filigran und gehen schnell kaputt. Damit an Gewicht gespart werden kann, werden möglichst leichte Teile verbaut. Ständig ist irgendetwas auszubessern, und das nicht nur bei den günstigeren Fahrzeugen, sondern, wie ich mittlerweile weiß, auch bei den sehr, sehr hochpreisigen »Wohnschiffen«.

Wofür denn noch ein Buch über Trauer?

Als ich am 9. Dezember 2020 um 6.40 Uhr Witwe geworden bin, sah ich mich mit 50 Jahren zum ersten Mal seit vielen Jahren mit einer Situation konfrontiert, in der ich mich nicht auskannte; eine Situation, die ich seltsamerweise als beschämend empfand. Mehrmals am Tag sagte ich mir vollkommen ungläubig: »Ich bin doch keine Witwe!« Beschämt war ich auch aufgrund meiner mir ganz und gar unverständlichen Trauerreaktionen. Ich lachte viel und redete ununterbrochen. Damit einher gingen eine Menge selbstabwertende Gedanken: dass ich nicht richtig trauern würde, weil ich nicht wirklich lieben könne, zum Beispiel. Es wunderte mich auch, dass ich bis auf die erste Nacht und die nach der Trauerfeier fast jede Nacht mindestens sechs Stunden schlief.

Ich war ratlos und tat das, was ich immer mache, wenn ich keinen Plan habe: Ich bestellte mir Bücher zum Thema. Gierig las ich, wie andere Witwen die Situation durchlebt hatten. Leider half mir das jedoch gar nicht weiter, weil ich selten so empfand wie die Autorinnen. Die Bücher verstärkten meine Überzeugung, dass ich eben nicht richtig sei und der Liebe nicht fähig.

Da ich mir weiterhin Rat oder Unterstützung wünschte, suchte ich mir eine Expertisestelle für das Thema. Ich führte ein Beratungsgespräch mit einer sehr erfahrenen Mitarbeiterin eines Hospizes. Ihre Worte halfen mir, denn sie bestätigte, dass Trauer so unterschiedlich sei wie die Menschen selbst.

Ich war mir zwar immer noch nicht im Klaren darüber, was mit mir los war, aber zumindest schon mal gewarnt vor verallgemeinernden Trauerkonzepten – beispielsweise der Trauerphasen-Theorie einer Elisabeth Kübler-Ross aus den 1970er-Jahren. Bis heute hält sie sich hartnäckig, obwohl sie schon direkt nach ihrer Veröffentlichung von der Wissenschaft stark kritisiert wurde.

Da ich keine Orientierung im Außen hatte, tat ich das, was ich mit zunehmendem Alter mehr und mehr tue: Ich vertraute meiner Intuition. Und meine Intuition war: Weg hier! Weg von den mitleidigen Blicken und den Fragen der Menschen, die, natürlich berechtigt, wissen wollten, wie es mir ging. Von Ärzten und Krankenkasse wurde mir zugesichert, dass eine längere Auszeit okay sei. Man sagte mir, dass so ein Schlag bei vielen Menschen seine Zeit bräuchte, bis es wieder weitergehen könne oder dürfe.

Wenn ich also sowieso zu nix zu gebrauchen war, konnte ich ja auch an einem wärmeren Ort mit Meer nicht zu gebrauchen sein, dachte ich, als ich das Wohnmobil kaufte. Um ehrlich zu sein: Letztlich haben es mir meine Eltern gekauft. Denn unser Bankberater hatte einen Fehler begangen. Zwei Tage nach Unterzeichnung des Kaufvertrags teilte er mir mit, dass er sich bezüglich der Lebensversicherung geirrt habe – sie lief auf mich und nicht auf Ralf. Meine Eltern schenkten mir daraufhin den Betrag. So konnte ich mir dieses Schneckenhaus doch noch leisten. Ein Haus auf Rädern, in das ich mich jederzeit zurückziehen konnte, wenn ich Schutz brauchte.

 

Wir lebten mitten im Corona-Lockdown. Probe fahren war verboten. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung von Wohnmobilen, dafür aber die Zuversicht, dass das Reisen damit eine Form von zukünftigem Urlaub sein könnte, die mich vor Einsamkeit beschützen würde. Auf Campingplätzen kommt man immer in Kontakt.

In meiner Fantasie wollte ich mit meinem Wohnmobil nach Südeuropa fahren und am Meer stehen. Das Meer würde mir Heilung bringen, davon war ich überzeugt. Intuitiv. Oder aus Erfahrung. Aber vielleicht ist das ja auch dasselbe. Gleichzeitig war mir natürlich klar, dass die Küsten Südeuropas durch Bebauung und touristische Nutzung alles andere als romantische und beschauliche Orte sein würden. Vermutlich, so dachte ich, würde ich in einer kleinen Parzelle neben anderen hässlichen Wohnmobilen auf dem Campingplatz stehen, von Natur und Heilung weit entfernt.

Aber zurück zu der Frage, wie es zu diesem Buch gekommen ist. Das, was ich erlebt habe, ist natürlich sehr subjektiv. Auch bin ich mir bewusst, dass ich aufgrund der finanziellen Absicherung durch Ralfs Vorsorge und meine Eltern natürlich privilegiert bin. Darüber hinaus machten die speziellen Corona-Bedingungen die Reise zu etwas Besonderem. Es geht mir aber um etwas anderes.

Mein Buch soll Mut machen, den eigenen Trauerweg intuitiv zu finden. Es soll Mut machen, fröhlich zu sein, wenn man fröhlich ist, und traurig, wenn man traurig ist. Meine Geschichte soll Trost sein in dunklen Zeiten der Perspektivlosigkeit. Und sie soll den Blick auf die Fülle des Lebens schenken, wenn einem gerade das Liebste genommen wurde.

Alles begann damit, dass ein Bekannter mir riet, einen Blog zu schreiben und mir einen Presseausweis ausstellen zu lassen, damit ich beruflich legitimiert reisen könne. Touristisches Reisen war während des zweiten Lockdowns der Corona-Pandemie Anfang 2021 verboten. Ich beantragte also einen Presseausweis, den ich auch erhielt, weil ich schon einige Fachartikel zu meinen beruflichen Themen veröffentlicht hatte.

Anfangs schickte ich die Blogartikel zum Redigieren an meinen Bekannten, der sich dann schnell als »Blogfee« etablierte, als die er meine Artikel dann kommentierte. Doch nach und nach wurde ich sicherer und mutiger. Der Blog wurde zu einer Art Therapeutikum für mich und verband mich zudem mit zu Hause. Immer mehr Menschen, die in einer ähnlichen Situation waren wie ich, hörten davon und lasen mit. Sie schrieben, dass der Blog sie ermutige, und so entstand langsam die Idee, meine innere und äußere Reise in Buchform zur Verfügung zu stellen.

Die Passagen, die ich aus heutiger Perspektive zum besseren Verständnis und zur Einordnung ergänzt habe, sind in einer anderen Schrifttype gesetzt. Einiges, was ich damals erlebt habe, ordne ich heute anders ein.

So hoffe ich, dass dieses Buch neue Einblicke in ein tabuisiertes Thema ermöglicht. Möge es dazu beitragen, dass wir einen unverkrampfteren Umgang mit Tod und Trauer finden.

21. 3. 2021

Frau Bartsch sucht nach einer Trauer-Theorie, die zu ihr passt

»›Es soll Nachtfrost geben.‹ – Das ist ein toller erster Satz für deinen Blog.« Das sagte vor einigen Tagen ein Freund zu mir, dem ich vertraue, weil er Autor und Journalist und ein kluger Kopf ist. Aber es ist eben nicht mein erster Satz, und ich merke, dass es mir hier weniger um Ästhetik der Sprache geht als darum, mich auszudrücken in meinem Erleben. Wenn denn mal etwas Poetisches dabei herauskommen sollte, will ich nicht traurig sein. Aber wofür schreibe ich diesen Blog?

Es geht mir um Besinnung und Reflexion, aber auch darum, Euch teilhaben zu lassen an meinem Prozess des Trauerns und hoffentlich auch Heilens. Gleichzeitig möchte ich erzählen, wie es sich reist als Frau allein im Wohnmobil, mit allen Höhen und Tiefen.

Wird es schwer sein, authentisch zu bleiben? Kann ich ehrlich beschreiben, was in mir vorgeht, und mich gleichzeitig vor Beschämung schützen? Meine Erfahrungen der letzten Monate haben mich gelehrt, dass nicht alle Menschen mit meiner Offenheit gut umgehen können.

Eine Trauerbegleiterin des Osnabrücker Hospizes riet mir, so lange nach einer Trauer-Theorie zu forschen, bis ich die für mich passende gefunden habe. Und wenn ich keine fände, dann könne ich ja eine eigene Trauer-Theorie entwickeln.

Und ich habe etwas gefunden: In dem Online-Newsletter Nr. 6 der Initiative »Mein Erbe tut Gutes – Das Prinzip Apfelbaum« mit dem Titel »Trauer« las ich, dass die »Phasenmodelle« schon vor vierzig Jahren in die Kritik gerieten, weil jeder Mensch anders trauere. Außerdem ließe sich keine Prognose darüber stellen, mit welcher Art zu trauern man langfristig gesundheitliche Probleme bekäme.

Margaret Stroebe und Henk Schut von der Universität Utrecht veröffentlichten laut dem Newsletter 1999 ein Duales-Prozess-Modell der Trauerbewältigung. Zentrale Aussage: Trauernde bewegen sich permanent zwischen zwei Polen: Tod und Verlust auf der einen Seite und Gegenwart und Zukunft auf der anderen. Das führt zu einem Oszillieren zwischen zwei Aufgaben: der Auseinandersetzung mit dem Verlust und sogenannten wiederherstellungsorientierten Aufgaben. Mal überwiege das eine, mal das andere. Oder es tritt beides zur gleichen Zeit auf.

Zack! Da hatte ich mein Modell. Sie schrieben auch, dass Trauer nicht intensiv und schwer sein müsse. Dieser Mythos sei widerlegt. Es habe sehr viel mit der Kultur zu tun, in der man aufgewachsen sei, aber auch mit der eigenen Persönlichkeit. Menschen könnten mit Verlusten viel besser umgehen, als lange Zeit angenommen wurde. Trauer und die damit verbundenen Gefühle kämen in Wellen, und die Intensität nähme mit der Zeit langsam ab. Trauernde pendelten laut einer Studie des US-Psychologen George Bonanno ständig zwischen positiven Gefühlen und Schmerz. Und fänden gerade dadurch Trost und Hoffnung. Die Theorie passt zu mir.

Ich möchte über mein persönliches Erleben berichten und dabei nur ein weiteres Beispiel von der Vielfalt der Trauer öffentlich machen. Denn Tod und Trauer, das habe ich in den letzten drei Monaten erfahren, ist für viele Menschen ein Tabuthema, bei dem sie ganz steif und handlungsunfähig werden.

Mein Vorhaben: Mit meinem Blog schreibe ich mich sukzessive aus der Trauer. Gleichzeitig möchte ich dazu ermutigen, mehr Verständnis für sich selbst als Trauernde und mehr Unbefangenheit im Umgang mit Trauernden zu entwickeln.

Das Abenteuer beginnt …

Sizilien im April 2022

Zunächst wollte ich mich und mein Wohnmobil an der Westküste der Niederlande ausprobieren. Dort war das Reisen erlaubt, und einige Campingplätze hatten geöffnet. Mir war klar, dass ich mir nicht jede Nacht einen zu bezahlenden Platz würde leisten können, doch zum Eingewöhnen buchte ich mir noch von zu Hause aus eine Woche Campingplatz.

 Viele Informationen über das Campen im Wohnmobil und gute Stellplätze erhielt ich durch Facebook-Gruppen. Außerdem habe ich mir über die Satellitenansicht bei Google Maps die Gegend angesehen und so mein erstes Nachtquartier gefunden. Anfangs stand ich mitten im Naturschutzgebiet und entdeckte erst beim Spaziergang das »Camping verboten«-Schild. Deshalb parkte ich mit dem mir noch sehr unbekannten Gefährt noch einmal um und stand zwischen Feld und Waldrand am Rand der Straße.

 

23. 3. 2021

Frau Bartsch on the road

Die erste Nacht campe ich wild an der Ems. Absolute Stille. Beim Spaziergang sehe ich Biber und Kiebitze, Rehe, Kaninchen, Gänse. Eine Hummel. Nun soll es doch wohl bald mal was werden mit dem Frühling?

Am Abend versuche ich, an meinem Online-Pilateskurs teilzunehmen, aber das Emsland ist noch nicht so gut vernetzt, kaum Empfang. Fernsehen geht auch nicht, meine SAT-Schüssel sucht minutenlang und findet nichts.

Als Live-Abenteuer erlebe ich, wie ein Baum in einen See fällt, einfach so. Mit enormem Getöse, da, wo ich gerade noch die Biber gesehen hatte. Hoffentlich haben sie es überlebt!

Eine Bloggerin hat berichtet, dass die ersten Nächte im Wohnmobil ungewohnt seien und man nicht wirklich tief schläft. Das lege sich nach etwa einer Woche. Ich rechne also nicht mit einer erholsamen Nacht. Von draußen sind überhaupt keine Geräusche zu hören, aber wenn die Heizung anspringt, werde ich hellwach. Irgendein Licht nervt auch. Das muss ich mal abkleben.

 

Heute dann weiter an die Westküste der Niederlande. Keine Grenzkontrolle trotz gegenteiliger Ansage. Der Campingplatz in Bloemendaal aan Zee, den ich für eine Woche gebucht habe, ist überwältigend schön. Besser als in meinen Vorstellungen, wo es sowieso immer nur einen einzigen guten Campingplatz gab, nämlich den auf Vlieland (einer holländischen Insel), wo keine Wohnmobile und -wagen hindürfen. Nun bin ich aber doch sehr zufrieden.

Etwas fehlt. Ja klar: Ralf sowieso. Als ich heute über die Düne komme und das Meer sehe, da reißt es mich kurz weg. Wir sind noch im Sommer auf Vlieland gewesen und haben von unserem Hotelzimmer das Meer gesehen. Vom Bett aus! Jetzt das Meer immer nur noch allein zu sehen und den Genuss nicht mit ihm teilen zu können, verursacht ein stechendes Gefühl im Körper.

Glücklicherweise ist meine Tochter dabei, die für ein paar Wochen mit ihrem Freund das Elternhaus des Freundes in Haarlem hütet und mich nachmittags besucht. Während der Corona-Pandemie findet ihr Studium online statt, und es ist egal, von wo aus sie studiert. Mit ihr kann ich die Freude, die mir das Meer bereitet, teilen. Dadurch bin ich schnell abgelenkt. Aber es fehlt außerdem noch etwas: die Wärme. So schön es am Strand auch ist, wir bleiben dort nicht lange, weil mir die Zehen fast abfallen vor Kälte.

24. 3. 2021

Frau Bartsch kommt vom »wir« zum »ich«

Die Sonne begrüßt mich versöhnlich und lässt mein Herz lachen. So viele Erinnerungen an Dünenlandschaft und Sonnenschein! Die glücklichsten meines Lebens stammen vom Campingplatz auf Vlieland. Die Insel ist für mich ein Stück Heimat. Wenn ich hier nun im Wohnmobil wohne und es auch nicht sommerlich warm ist, kratzt das nur ein wenig am Lack meines guten Gefühls.

Schlurfe fröhlich wie ein Kind im Nachthemd, Wintermantel drüber, und barfuß in den Stiefeln zum Klohäuschen, weil meine Toilettenkassette schon voll ist und ich sie leeren muss. (Irgendwie ist die Kassette schneller voll und das Gas schneller verbraucht als erwartet.) Bei der Gelegenheit dusche ich auch gleich. Völlig in Gedanken versunken, steige ich mit Mundschutz unter die Dusche. Das Wasser lässt sich nicht überzeugend warm stellen, so ist es nur ein kurzes Vergnügen; und auch der kalte Boden lässt mich eher auf eine unangenehme Weise wach werden. Dann wieder ab ins Bett.

Ich möchte mir gern ein Ritual zulegen: morgens im Bett erst einen Tee trinken und Zeitung lesen, bevor ich in den Tag starte. Jetzt ist es 13.40 Uhr, und ich habe die Zeitung noch nicht mal angeschaut! Stattdessen habe ich endlich die Datenschutzgrund-Verordnung in meine Blog-Website eingepflegt. Der Anbieter der Seite stellt dafür gesetzeskonforme Formulierungen zur Verfügung. Über eine Stunde bin ich damit beschäftigt, den vorgefertigten Text, der im Plural formuliert ist, in den Singular zu setzen. Für mich ist das eine Metapher für mein augenblickliches Leben: Ich schreibe das »wir« in ein »ich« um.

Jeden Satz, mein zukünftiges Leben betreffend, lese ich aufmerksam durch, suche nach den »Wir« und verwandle sie in »Ich«: Ich werde die Rechnung für das Schneeschieben bezahlen, die Steuernachzahlung für 2020, den Maler beauftragen, die Farbe aussuchen. Ich werde dauerhaft allein in dem breiten Wasserbett schlafen und beide Seiten beheizen, weil die Seite von Ralf immer etwas wärmer eingestellt ist und ich am Anfang zu ihm rüberrutsche, um dann später aufgewärmt auf meine Seite zu wechseln.

Seltsam: Ich habe erst ein einziges Mal von Ralf geträumt. Das war etwa zehn Tage nach seinem Tod. Ich hatte mich nachmittags hingelegt. Meine Tochter war gerade zurück nach Amsterdam gefahren, und ich war das erste Mal allein im Haus. Damals träumte ich, dass er sich mit einer Rasierklinge ganz tief in den Daumen geschnitten hatte und es sofort im ganzen Zimmer nach süßlichem Blut roch und ich meiner Tochter zurief, sie solle den Notarzt holen, während ich versuchte, Ralf davon zu überzeugen, sich auf den Boden zu legen. Dann wurde ich wach, und es war das erste Mal, dass ich nicht erleichtert war, aus einem Albtraum zu erwachen, denn die Realität war so viel schlimmer als der Traum.

Ich bin nur noch die Hälfte von einem Paar und muss mich nun im Leben einer alleinstehenden Frau einrichten. Wenn ich Freunde besuche, fühle ich mich fragil. Das Gleichgewicht ist verloren. Die sind zu zweit, und ich bin allein. Seltsamerweise ändert das irgendetwas, etwas, das ich nicht in Worte fassen kann. Aber ich fühle mich nicht mehr so sicher.

Was mir außerdem fehlt, ist das Reflektieren eines solchen Treffens mit Ralf: Wie hast du dies oder jenes wahrgenommen? Fandest du es auch so lustig/ärgerlich/widersprüchlich/angenehm, als XY dies und jenes sagte? War ich da zu … oder wie hast du mein Verhalten empfunden? Sollte ich noch mal etwas dazu sagen?

Nun fehlt mein Korrektiv und auch das Verbundensein, weil wir die Erlebnisse so oft ähnlich bewertet haben und uns dadurch bestärkt fühlten. Werde ich jetzt eine schrullige Frau, weil mir niemand mehr Rückmeldung geben wird, oder werde ich sozialer, weil mein mir beipflichtender Mann fehlt?

Im Augenblick ist sowieso alles anders. Ich bin die bedauernswerte Witwe und werde wie ein rohes Ei behandelt, und das bin ich ja auch irgendwie. Aber ich möchte am liebsten alle anschreien: »Behandelt mich nicht wie ein rohes Ei! Ich bin immer noch die Person, die ich vor dem 9. Dezember war!«

Das stimmt jedoch leider in zweierlei Hinsicht nicht: Ich bin nicht mehr die Person, die ich vor dem 9. Dezember war. Und: Mir fehlt eine schützende Haut. Sie ist schon etwas nachgewachsen, aber eine stabile Schicht ist das noch lange nicht. Was aber stimmt, ist: Ich wäre so gern wieder die, die ich vor dem 9. Dezember war. Ich hätte auch gern wieder dasselbe Selbstverständnis und dieselbe Ausgewogenheit von Geben und Nehmen im Verhältnis mit meinen Freunden wie vor dem Tag, als Ralfs Leben endete. Daher vielleicht auch der Rückzug aus den gewohnten Kreisen. Denn wie man es auch dreht: Es ist etwas nicht wirklich richtig, weil etwas ganz grundlegend falsch ist: Ralf fehlt.

 

Ich möchte noch etwas zum neuen »Ich« erzählen: Vorgestern habe ich Gabriele von Arnim im Deutschlandfunk Kultur gehört. Sie stellte dort ihr neues Buch vor: Das Leben ist ein vorübergehender Zustand. Sie zitierte Rilke: »Die Toten sterben in uns hinein«, und sagte, dass sie den Eindruck habe, ihr gestorbener Mann sei bei ihr. Sie hätten nicht immer eine himmelhoch jauchzende rosa angestrichene Beziehung geführt, und so habe sie ihren Mann als »Einflüsterer« zwar an ihrer Seite, fühle sich aber frei, ihr Leben selbst zu gestalten und Entscheidungen anders zu treffen, als er es ihr einflüstere.

So habe ich sie verstanden. Und genau so erlebe ich es auch. Ab und an halte ich inne, und aus dem Innern kommt eine feste Überzeugung, dass Ralf das jetzt anders sehen und entscheiden würde. Ich frage mich dann, ob das ein guter Rat ist. In den letzten Wochen habe ich daraufhin schon einige Male meine ursprüngliche Handlungsabsicht verworfen und es so gemacht, wie Ralf es mir geraten hätte. Genau wie zu seinen Lebzeiten!

Also doch noch ein wir? Oder ist das alles nur unter »kognitiver Dissonanz« abzuspeichern? Für mein Leben ist mir das schnurzpiepe. Wenn ich auf Menschen treffe, deren Meinung mir wichtig ist, ist es mir unangenehm, darüber zu sprechen. Es hat so eine übersinnliche Komponente, etwas, was ich eigentlich nicht vertreten kann und möchte. Lege ich demnächst Steine ins Wasser, um es zu energetisieren?

Die Frau vor dem 9. Dezember hätte vehement andere Positionen vertreten. Und der Mann an ihrer Seite auch.

Sizilien im April 2022

Während ich diesen Blog-Eintrag schrieb, sah ich einen Fuchs um mein Wohnmobil schleichen. Ich konnte sogar ein Video von ihm drehen. Einen Fuchs aus solcher Nähe hatte ich noch nie gesehen. Mein Vater warnte mich vor Tollwut, doch das Internet verriet mir, dass Tollwut in Deutschland und den Niederlanden ausgerottet sei. Seit Ralfs Tod hatte ich immer wieder Tiere aus der Nähe beobachten können und mir eingebildet, dass in dem jeweiligen Tier der Geist von Ralf stecke, dass er mich in Tiergestalt besucht. Das hat mich auf eine Art getröstet.

 Als Ralfs Tochter und ich am Tag nach seinem Tod morgens im Wohnzimmer saßen und nach draußen schauten, sahen wir ein Eichhörnchen in unserem geschmückten Weihnachtsbaum auf der Terrasse klettern – nur getrennt durch die Terrassentür, etwa einen Meter von uns entfernt. Wir stellten uns vor, dass das Ralfs Geist sei, und mussten lachen. Denn Ralf hätte es nicht gefallen, als Eichhörnchen zu uns zu kommen.

 

25. 3. 2021

Frau Bartsch hat’s laut

Es ist Mittag, ich sitze im Bett – muss mich durchringen, hier abzuhauen, seit Stunden ohrenbetäubender Lärm: eine Autorennbahn in der Nähe, die gestern noch nicht da war. Gerade hatte ich mich auf ein bisschen Bleiben eingeschossen. Alles habe ich im Wohnmobil verteilt und muss es nun wieder fahrsicher verstauen. Das dauert, und ich habe keine Lust, mir etwas Neues zu suchen. Aber bleiben kann ich hier nicht.

Sizilien im April 2022