Freak Life - Alpha O'Droma - E-Book

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Alpha O'Droma

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Beschreibung

Ob als Börsenmakler, Berufsspieler, Barkeeper, Schmuggler, Reitknecht für den Maharadscha von Udaipur, Orangenpflücker in Australien, putziger Umweltapostel im Thai-TV, Fluchtwagenfahrer, Drogendealer, Knastbruder, Gründer, Erbauer und Lehrer einer Schule auf einer tropischen Insel, Quizkandidat, satirischer Autor oder ganz allgemein als zynischer, misanthropischer Philanthrop, der ganz fürchterlich einen auf Sendungsbewusstsein macht, in Wirklichkeit jedoch nur ein bekennender Klugscheißer ist ...
Alpha O'Droma macht überall eine schlechte Figur und sein Leben ist eine einzige Katastrophe

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Veröffentlichungsjahr: 2015

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Alpha O'Droma

Freak Life

Das katastrophale Leben des Alpha O'Droma

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Inhalt

 

 

Freak Life

 

 

von Alpha O'Droma

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

© Alpha O'Droma 2014

Die Rechte aller Bilder liegen ebenfalls bei mir

 

 

 

 

Inhalt

 

 

Vorwort 

 

Kurze Vaterfreuden 

 

Wilde 60er 

 

Schulze(it) 

 

Studentenzeit 

 

Amnesia Ferrari 

 

Zockerjahre 

 

Veränderungen 

 

Erfahrungstrip 

 

Schamanenflug für Anfänger 

 

Orientierungsloser Orientale im Okzident 

 

Exodus 

 

Quo vadis 

 

Wieso eine Insel am Arsch der Welt? 

 

Koh Chang 

 

Gabou 

 

Onkel Einzahn 

 

Rosemary 

 

The Castle 

 

Kai Bae School 

 

Bob und der Untergang des Morgenlandes 

 

Die Knäste dieser Welt (Teil 1) 

 

Die Knäste dieser Welt (Teil 2) 

 

Die Knäste dieser Welt (Teil 3) 

 

Dachdeckerleben 

 

Paradise" O Paradise! 

 

Roisìn und Odin 

 

Der Untergang 

 

"Was nun?", sprach Zeus 

 

Scribo ergo sum 

 

Ein offenes Ende 

 

Nachwort 

 

 

 

 

Vorwort

 

 

 

Mein Leben neigt sich dem Ende zu. Nicht dass ich todkrank wäre, es geht mir, abgesehen von den üblichen Zipperlein, prima, nein, es ist vielmehr eine rational unerklärliche spirituelle Gewissheit, dass mir nicht mehr all zu viel Zeit bleibt, deshalb schreibe ich dies nieder.

 

Für wen schreibe ich dies?

 

Gewiss blicke ich zurück auf ein reiche, erfüllte Vita, habe viel scheinbar Unglaubliches erlebt. Rund 80 Länder durfte ich bereisen, fantastische Menschen kennenlernen und mich - mehr oder weniger erfolgreich - in einer Unzahl verschiedener Berufe versuchen, darunter kriminelle wie Schmuggler, Fluchtwagenfahrer, Dealer, Hehler oder Versicherungsbetrüger, exotische wie Orangenpflücker in Australien, Schuldirektor in Thailand, Pferdeknecht für den Maharadscha von Udaipur oder auch ganz profane wie Lastwagenfahrer, Kellner, Zeitungsausträger oder Dachdecker. Selbst einen dubiosen Regierungsauftrag in Afghanistan habe ich erledigt, der zumindest eines Kapitels von John le Carré würdig gewesen wäre, doch bevor ich wieder mal zu aufgeblasen klinge:

Nichts davon ist derart bedeutend, dass man deshalb Memoiren verfassen müsste ...

Obschon ich ein eitler Mensch war, der stets Kraft aus der Bewunderung anderer schöpfte, zeigt sich in der Retrospektive, dass viele jener hier kurz angerissenen Heldentaten hohl und leer waren, während die wirklich bedeutsamen Triumphe meist gänzlich unbemerkt und ohne Applaus stattfanden.

 

Ich will hier ehrlich sein.

 

Früher - noch von zehn Jahren - hätte ich mich mit all meinen glänzenden Leistungen geschmückt und meine zahlreichen Niederlagen kleingeredet, doch jetzt, im Alter, erkenne ich, dass es Debakel und Verlust sind, die einen Menschen wachsen, lernen, werden lassen, und nicht Sieg und Gewinn.

 

Meine umfangreiche Sammlung von Pokalen liegt lange schon im Müll.

 

 

Ich glaube, ich schreibe dieses Buch für meine Kinder, denen ich ein miserabler Vater war.

Nicht, um mich zu rechtfertigen für Abwesenheit und Versagen, sondern um ihnen zu berichten von ihrer Herkunft, denn nur wer die Vergangenheit versteht, wird die Zukunft meistern, aber auch vom Wunder des Lebens auf diesem wahnsinnig schönen Planeten, auf dass es ihnen als Inspiration dienen möge und sie vieles klüger anstellen als ich.

 

Sollten sie nur eine einzige Lehre hieraus ziehen, hat sich dieses Buch bereits gelohnt ...

 

 

 

P.S.: Achja, selbst ein so hässlicher alter Sack wie ich war irgendwann mal süß...

Kurze Vaterfreuden

 

Meine erste, bewusste Erinnerung ist ein halsbrecherischer Stunt, doch muss ich dafür in das Jahr vor meiner Geburt zurückgehen ...

 

Meine Mutter war leidenschaftliche Rock'n Roll-Tänzerin und verliebt in ihren Tanzpartner Georg, welcher sie derart durch die Berliner Luft warf, dass sie sogar den Berliner Meistertitel errangen. Im Sommer 1962 begab es sich, dass Paulchen Kuhn - damals wie heute eine Legende - mit der SFB Big Band, einem berühmten Fernsehorchester, eine Sendung aufzeichnen sollte, in der er unter anderem Bill Haleys "Rock around the Clock" zu spielen gedachte. Dazu sollten drei Paare tanzen, und um Produktionskosten zu sparen, wollte man einfach jene verpflichten, die bei der ortsansässigen Landesmeisterschaft auf dem Treppchen gestanden hatten - ganz oben, meine Mutter Heidi und mein Vater Georg. Doch meine Großmutter, eine missgünstige Nazischlampe, die Adolf auch heute, da ich dies schreibe, mit 93 Jahren immer noch verteidigt, weil er die verkackte Autobahn gebaut hatte, war eine rigorose Frau, für die ihre Tochter ein Flittchen war, weil sie sich "mit schamlosen Verrenkungen zu dieser Negermusik wand, dass einem aufrechten Deutschen übel davon wird". Also verbat sie es schlicht, was ihr deshalb möglich war, weil deutsche Mädchen laut damaligem Gesetz zwar schon mit 16 heiraten durften, jedoch erst mit 21 volljährig wurden.

 

Meine Mutter weinte sich Wochen lang die Augen aus dem Kopf, denn 1962 im Fernsehen aufzutreten, war ungleich bedeutsamer als heutzutage, wo jeder Grenzdebile gezeigt wird und sogar ich! Das Fass zum Überlaufen brachte ein Kuss. Eines Abends - Georg brachte Heidi nach Hause - küssten sie sich zum Abschied im Hausflur. Meine Großmutter, eine begeisterte Fensterguckerin und Falschparkerdenunziantin, beobachtete diesen Vorgang durchs Schlüsselloch, empfing meine Mutter mit einer derart schallenden Ohrfeige, dass sie zu Boden ging, und verbot ihr kurzerhand den Umgang mit Georg.

 

Und so begab es sich, dass Heidi (mit dem Segen meines Großvaters) ihren Georg ehelichte - nur, um von Zuhause wegzukommen. In der Hochzeitsnacht wurde Heidi defloriert und sogleich geschwängert - mit mir - ein Umstand, den ich 35 Jahren nicht zu glauben bereit war. Erst als meine eigene Frau schwanger wurde und ich ihr aus falschem Pflichtbewusstsein einen Antrag machen sollte, fand ich es heraus, denn für die Ehe muss man beim Rathaus das Familienstammbuch beantragen. Und da stand es schwarz auf weiß: Meine Eltern hatten am 18.9.1962 geheiratet! An sich nichts Besonderes, es sei denn, man wäre am 18.6.1963 geboren und hätte die Geschichte von der jungfräulichen Empfängnis immer als Ammenmärchen belächelt ...

 

Heidi und Georg Schulze wurden zusammen sehr glücklich. Sie bezogen eine typische Berliner Hauswartswohnung in Neukölln. Im Durchgang zwischen Vorder- und Hinterhaus gelegen, Hochparterre. Dort - oder besser gesagt zwischen dort und dem Weg zum Neuköllner Krankenhaus - erblickte ich an jenem 18. Juni das Licht eines Taxis. Ungeduld und Freiheitsdrang zeichneten mich schon immer aus ...

 

Es waren bewegte Zeiten. Eine Woche nach meinem nullten Geburtstag nahmen mich meine Eltern mit zum Schöneberger Rathaus, wo Kennedy behauptete, er wäre ein Berliner. Die Menge jubelte, ich hingegen hab's angeblich verschlafen. Eine infame Lüge!

 

 

Ich weiß nicht, ob mich hier das Bad anwidert oder die Gardine oder die Tischdecke...

 

Ja, glücklich war jene Epoche, jedoch leider auch sehr kurz.

 

Keine drei Monate später klingelte es an nachmittags der Tür. Meine Mutter stand in schwarzen Dessous mit Strapsen im Badezimmer und schminkte sich gerade auf "verruchter Vamp", denn sie empfing meinen Vater öfters im sexy Outfit, wenn er von der Arbeit kam, um ihm den Feierabend mit heißem Begrüßungssex zu versüßen - sie waren halt ein junges Paar und verrückt nacheinander ...

 

Als es klingelte, so beschrieb sie es mir einmal, schossen ihr sofort die Tränen in die Augen und sie wusste, dass er tot war. Nie konnte sie das erklären, weder sich selbst noch anderen, doch das Geräusch der Türklingel ließ sie mit unumstößlicher, finaler Gewissheit zurück. An der Tür stand Oma Nazischlampe und erzählte ihr von dem Unglück: Georg arbeitete beim Bau der Berliner Philharmonie, er hatte sich bei einer Zigarettenpause ans Gerüst gelehnt, welches plötzlich nachgab. Ein Gerüst besitzt Querstreben, eine in Knie- und eine in Hüfthöhe, die es seitlich nach außen sichern. Sie werden von innen angebracht. Die Strebe in Höhe der Hüfte war aus ungeklärten Gründen von außen und wohl auch nicht sehr gründlich fixiert worden. Sie rutschte auf einer Seite aus ihrer Verankerung, wodurch mein Vater nach hinten kippte. Die Strebe in Kniehöhe hielt perfiderweise, wodurch seine Beine hoch flogen und er - aus lächerlichen zwei Metern - mit dem Hinterkopf voran auf eine Betonkante knallte: Schädelbasisbruch. Mein Vater starb noch auf dem Weg ins Urbankrankenhaus.

 

Dies alles hatte man Oma Nazischlampe mitgeteilt, weil sie im Gegensatz zu meinen Eltern ein Telefon besaß. Sie überbrachte die Nachricht pflichtgemäß, und ging - natürlich nicht ohne noch zu erwähnen, dass meine Mutter - verheult und in Korsage - wie eine billige Nutte aussähe und mein Vater eh nichts getaugt hätte.

 

Omas muss man einfach lieben ...

 

Ach ja, meine erste bewusste Erinnerung: Jene Hochparterre-Hauswartwohnung in der Hobrechtstraße ging direkt vom Durchgang, der zum Hinterhof führte, rechts ab. Fünf Stufen hoch lag der Eingang und ich saß auf einem Dreirad. In völliger Unkenntnis von Schwerkraft, kinetischer und potentieller Energie oder sonstiger Physik beschloss ich eines Tages, die unbewachte, offene Tür zu nutzen, um ins Freie zu fahren.

Natürlich über die fünfstufige Treppe ...

 

Mit Anlauf legte ich los, überschlug mich, landete mit meinem Dickschädel auf einer Treppenstufe, setzte meinen formvollendeten Überschlag fort, landete auf den Rädern am Fuße der Treppe - soweit alles witzig, hat ja gar nicht weg getan, ätschibätsch! - wurde dann jedoch zum Opfer meiner potentiellen Energie, die sich in kinetische verwandelte und mich vorwärts an die die gegenüberliegende Wand donnern ließ, gegen die mein edles Gesicht prallte und mich derart recht unsanft zum Stillstand kommen ließ.

 

Ganz deutlich kann ich mich daran erinnern, an das euphorische Gefühl beim Überschlag, den Klaps auf meinem Schädel und wie weh die verschissene Wand tat.

 

Meine Mutter, die die Tür geöffnet hatte, um mit mir einkaufen zu gehen, etwas vergessen und nur deshalb die offene Tür für wenige Sekunden unbeaufsichtigt gelassen hatte, kam, um mich zu trösten, doch ich empfand nur Schmerz, Wut und Enttäuschung darüber, dass im Leben nicht alles so glatt lief, wie ich es mir vorgestellt hatte.

 

Der Schmerz und die Wut sind mittlerweile vergangen.

 

An der Enttäuschung arbeite ich noch ...

Wilde 60er

 

 

Es begann eine ungestüme Epoche für meine Mutter. So sehr sie unter dem Verlust ihrer großen Liebe auch litt, sie war eine bildschöne neunzehnjährige Frau und plötzlich einigermaßen wohlhabend. Zu ihrer ohnehin recht hohen Witwenrente, deren Berechnung sich aus dem sehr guten Einkommen meines Vaters im letzten Jahr ergab - dem Jahr, in dem er wegen Heirat und meiner bevorstehenden Geburt Überstunden geknüppelt hatte wie ein Wahnsinniger - kam eine zweite Rente der Bauberufsgenossenschaft, da es sich um Tod durch Arbeitsunfall handelte. Zusätzlich wurde noch eine Entschädigung in beträchtlicher Höhe durch die Gerüstbaufirma gezahlt, der man das Verschulden nachgewiesen hatte.

Meine Mutter hatte also plötzlich einen erklecklichen Batzen Geld und bekam zudem noch zwei Witwenrenten in Höhe von insgesamt fast 2.000 Mark - im Jahr 1963 beinahe ein Spitzeneinkommen, in etwa soviel, wie ein höherer Beamter im Monat verdiente.

Als die Trauerphase überwunden war, begann Heidi wieder zu leben.

 

 

Hier mit meinem Onkel Hermann (Georgs großer Bruder) und Tante Helga

 

Sie verkehrte nach wie vor in der Rock'n Roller-Szene, kannte viele Musiker und schweigt sich bis heute darüber aus, doch ich vermute, sie war ein Edel-Groupie. Sie bestreitet alles, behauptet felsenfest, sie hätte maximal rumgeknutscht und gefummelt. Vielleicht war dem so, man weiß es nicht ...

 

Bald trat auch ein Mann in ihr Leben, eine gewisser Cisco, Leadsänger der Country-Band Truck Stop, die später sogar ein paar Hits landen sollten, damals jedoch noch gänzlich unbekannt waren. Heute rollt man die Augen, wenn man nur an den monotonen Sound von Steel Guitars denkt, doch damals, war alles, was aus Amerika kam, supercool, selbst Kuhfladenmusik ...

 

Als die Beatles 1964 ihr legendäres Konzert im Hamburger Beat Club gaben, war ich dabei. Naja, nicht wirklich, meine Mom war dabei, ich hingegen sägte draußen vor der Tür des Beat Clubs im Tourbus von Truck Stop an einem Zahnstocher und verpennte mal wieder das Ganze - genau wie weiland die Rede von John F. Kennedy - zum Kotzen!

 

Eine herrliche Anekdote muss ich dazu berichten, es geht mal wieder um Oma Nazischlampe. Wie alle Weiber ihres Schlages war sie spießig und von unberechtigtem Standesdünkel erfüllt. Natürlich war es ihr zuwider, dass ihre Tochter - eindeutig ein Flittchen! - mit so einem langhaarigen Hippie von Bandleader zusammen war, doch konnte sie diesen Umstand nach einem Jahr oder so nicht mehr leugnen und so kam es zu der pikanten Situation, dass irgendeine Tante bei einer Familienfeier meine Mutter fragte, was ihr Freund denn beruflich mache, denn schließlich war bekannt, dass da irgendein Mann in Heidis Leben getreten war und man gedachte, sie schnell wieder unter die Haube zu bringen, auf dass das Kind nicht in Schande lebe. Meine Mutter wollte gerade antworten, als Oma Nazischlampe dazwischen fuhr, um mit vor Stolz geschwellter Brust den Beruf des Auserwählten zu verkünden: "Er ist erst 25 Jahre alt und schon Kapellmeister!"

 

Meine Mutter biss sich auf die Zähne und verschwand flugs ins Bad, um dort loszuwiehern ...

 

Ich weiß nicht, wie lange die Kiste mit Heidi und Cisco lief aber spätestens 1965 war sie wieder Single. Ich habe sie mal abgefüllt und dann über diese Zeit auszufragen versucht, wobei die Namen diverser Fußballprofis von Hertha BSC fielen - heute allesamt Legenden - doch sie beharrte stets, sie hätte nur geflirtet, vielleicht mal geknutscht, wäre jedoch nie schwach geworden. Auch ein Promill später blieb sie standhaft bei dieser Version, so dass ich fast geneigt bin, ihr zu glauben.

 

Wie der aufmerksame Leser unschwer nachzurechnen vermag, wurde ich 1966 drei Jahre alt.

 

Nun ist dies an sich nichts Besonderes, doch wer mal Kinder gehabt hat, weiß, dass im Alter zwischen drei und vier Jahren die gefürchtete Warum-Phase beginnt, die sich bei den meisten Gören irgendwann legt, bei mir jedoch aus unerklärlichen Gründen bis heute anhält.

 

Und so wurde ich eine unerträgliche Nervensäge, welche die Umwelt pausenlos mit Fragen löcherte, warum dies, warum das, weshalb jenes. Das ging so weit, dass sich bei meiner Mutter regelrechte Erschöpfungszustände bemerkbar machten, ein Umstand, den ich gut nachvollziehen kann. Ich selbst verlasse fluchtartig den Raum, wenn Kleinkinder mich vollsülzen. Die Vorstellung, dies 16 Stunden am Tag zu ertragen, löst bei mir suizidale Gedanken aus...

 

Meine Mutter entging dem unausweichlichen Selbstmord, indem sie beschloss, zwei Wochen in Urlaub zu fahren. Da die Deutschen in den 60ern nur drei Urlaubsländer kannten: Spanien, Italien und Österreich, blieb keine große Auswahl. Spanien klang am exotischsten und befand sich am weitesten von mir entfernt, also flog meine Mutter auf die iberische Halbinsel, wo sie den Kuckuck kennenlernen sollte, doch davon später mehr.

 

Um den Quälgeist - also mich - sollten sich die beiden Omas kümmern, die erste Woche Oma Nazischlampe, die zweite Woche meine Oma väterlicherseits, Margarethe, zu der ich ein besonders herzliches Verhältnis pflegte.

 

Oma Margarethe hatte zwei Söhne aus zwei Ehen geboren, Herrmann Schmidt von meinem Opa Schmidt, den ich nur einmal sah, bevor er sich zu Tode gesoffen hatte, und meinen Vater, Georg Schulze (ich sollte später den Namen meiner Ehefrau annehmen, weil dieser - für einen Autor wichtig - wesentlich besser klang) von Opa Schulze, der im Juni 1944 an der Westfront von einer Fliegerbombe zerfetzt wurde, die auf seinen Gefechtsstand krachte. Das war kurz nach D-Day, irgendwo in der Normandie.

 

Ja, der Krieg und meine Familie, Opa Schulze zeugte meinen Vater auf Heimaturlaub 1941, der wurde dann 1942 in Neukölln geboren und hatte - wie ich - keine bewusste Erinnerung an seinen Vater, eine traurige Tradition, die ich leider ebenfalls pflege.

 

Ende 1943 wurde Berlin dann von den alliierten Bombenangriffen heimgesucht. Meine Großmütter verbrachten jede zweite Nacht im Luftschutzkeller. Am 1. Dezember ging ein besonders schweres Bombardement nieder. In dieser Nacht geschahen - Luftlinie nur etwa einen Kilometer voneinander entfernt - zwei Dinge. Als der Angriff vorbei war und Oma Margarethe mit Baby Georg wieder ihre Wohnung in der Franz Körner-Straße 16 betrat, fehlten alle Wände an der Ostseite des Gebäudes. Sie setzte sich aufs Sofa, stillte meinen Vater, und fragte sich, wie sie jetzt wohl heizen solle.

 

In der Gradestraße 7, gleich um die Ecke, lag Oma Nazischlampe im Luftschutzkeller und brachte meine Mutter zur Welt.

 

Genug dieser ollen Kamellen, ich wollte von Oma Margarethe erzählen, die ich über alles liebte. Diese und viele andere Geschichten vom Krieg erzählte sie mir immer wieder, wie sie sich aus Brettern notdürftig eine Wohnzimmerwand baute und dass sie froh war, denn das Nachbargebäude hatte es viel schlimmer getroffen, es lag in Schutt und Asche und brannte lichterloh. Oder wie sie als junges Mädchen auf dem Kurfürstendamm einmal den Kaiser in seiner Pferdekutsche vorbeifahren hatte sehen und wie sich alle Untertanen verbeugt hatten und er huldvoll die Hand zu Gruße gehoben hatte, mindestens 100 mal hat sie mir davon berichtet in der Art wie es alte Leute tun. Nun berichten die meisten alten Leute nur mittelmäßig Interessantes, doch meine Oma gehörte zur so genannten Abenteuergeneration, die vom Kaiser über zwei Weltkriege, Hunger, Inflation, Weltwirtschaftskrise über den Wiederaufbau bis hin zum Wirtschaftswunder alles mitgemacht hatte. Meine Oma Margarethe war eine Trümmerfrau, unbedarft, gänzlich unpolitisch und daher für mich auch glaubwürdig, wenn sie sagte, dass sie den "Obergefreiten", den "großen Weltenlenker" wie man Hitler abfällig nannte, nie leiden hatte können. Alles, was sie wollte in dieser schweren Zeit, war ihre beiden kleinen Jungs durchfüttern und dabei als arme Kriegswitwe anständig bleiben.

 

Ich denke, es ist ihr gelungen, für mich ist sie eine Heldin. Und so lauschte ich immer wieder ihren Geschichten, spannende Abenteuergeschichten aus einer anderen Welt. Ich denke hier liegt einer der Gründe, warum Großeltern und ihre Enkel so kompatibel sein können: Nur Kinder vermögen ein- und dieselbe Geschichte immer wieder gern zu hören und nur Großeltern schaffen es, ein- und dieselbe Geschichte immer wieder zu erzählen ...

 

Ich freute mich also schon auf die Woche mit Oma Margarethe, doch vor der Woche bei Oma Hertha (so hieß die Nazischlampe) war mir bange. Meine Mutter setzte mich mit dem Taxi dort ab - das Folgende stammt aus den Berichten meiner beiden Großmütter, denn ich selbst erinnere mich nicht daran - was ich mir wohl gemerkt haben muss: Taxis sind schwarze Mercedes mit einem gelben Schild auf dem Dach, man steigt ein und nennt die Adresse und der freundliche Mann fährt einen dann dort hin. Heute sind Taxis elfenbeinfarben und es können auch alle möglichen Marken darunter sein, doch 1966 waren Taxis schwarz und 99 Prozent waren Mercedes, das Schlachtschiff mit der Heckflosse. Einer von 100 war ein Opel (Diplomat oder Admiral) und wurde stets als Exot bestaunt. Als Dreijähriger kannte ich selbstverständlich alle Fahrzeugtypen und -marken, Matchbox sei Dank!

 

Oma Nazischlampe ging mit mir zum Britzer Damm, um dort einzukaufen. Nun hasse ich Einkaufen - damals wie heute. Und da ich quengelte, raunzte mich die ungeliebte Großmutter an und hieß mich vor dem Laden warten. Das habe ich wohl auch getan, einige Sekunden, doch dann muss ich den schwarzen Mercedes mit dem gelben Schild entdeckt haben, den ich kurzentschlossen bestieg: "Franz Körner-Straße 16"

 

Der Taxifahrer gab später an, er hätte mich befragt und ich hätte lediglich stets die Adresse wiederholt und dass ich zu meiner Oma wolle, die dort wohne. Nun war das gleich um die Ecke - auch 20 Jahre nach Kriegsende wohnten beide Großmütter im jeweils selben Haus wie damals - also zuckte der gute Mann mit den Schultern und fuhr mich hin. Nun mochte ich zwar alles über Autos wissen, doch das Prinzip der Dienstleistung gegen Entgelt war mir wohl noch unbekannt und so zeigte ich mich überrascht, dass der Mann Bezahlung verlangte. Ich verließ die Taxe und rannte zum Haus von Oma Margarethe, verfolgt von einem erbosten Taxifahrer, der mir ankündigte, er wolle mir die Ohren lang ziehen, doch Oma Margarethe bezahlte die Fahrt, so dass ich diesem Schicksal entging. Mittlerweile rannte Oma Nazischlampe völlig entsetzt über den Verlust ihres Schutzbefohlenen den Britzer Damm auf und ab und befragte jeden Passanten, doch keiner hatte mich gesehen. Oma Margarethe schleifte mich zu einer Telefonzelle - Telefon hatte damals nicht jeder - und rief Oma Hertha an, die jedoch zu diesem Zeitpunkt bereits auf der Polizeiwache saß, um dort meinen Verlust zu vermelden. Es war ein wildes Hin und Her, Hertha fuhr zu Margarethe nach Hause, als jene mich zu Herthas Wohnung zurückgeschleift hatte, die Bullen suchten nach mir und Oma Margarethe beschloss, sich mit mir einfach in eine Kneipe zu setzen, die gegenüber Oma Nazischlampes Wohnung lag, um von dort den Hauseingang im Blick zu haben. Ein guter Plan, der auch gelang, und so wurde ich - gegen meinen ausdrücklichen Willen und unter lautem Geschrei - der geliebten Oma entrissen und der ungeliebten übergeben, die allen voll glücklichem Überschwang berichtete, wie besorgt sie doch gewesen sei und wie beseelt, den geliebten Enkel wieder in ihren Armen zu halten. Die Show hielt sie exakt so lange durch, bis wir in ihrer Wohnung waren, dann wurde ich so fürchterlich verdroschen wie zuvor und danach nie wieder. Früher hätt's das nicht gegeben! Jaja, die gute alte Schule...

 

Nun zeigte sich ein Charakterzug in mir, der dort wohl stets geschlummert hatte: ich verabscheue Autorität und jede Einschränkung meiner persönlichen Freiheit.

 

 

Sylvester mit Omas, ein paar Jahre vor dieser Anekdote

 

Heute bin ich klüger und vermag Autoritäten anzuerkennen, fachlich, wenn sie auf überlegenem Wissen beruhen oder ethisch, wenn sie auf unbestreitbaren moralischen Grundsätzen fußen, doch mit dreieinhalb Jahren vermochte ich hier nicht zu differenzieren: Oma Nazischlampe war mein Feind und ich machte ihr das Leben zur Hölle. Zum Abendbrot gab es Spinat. Bis zu diesem Tage mochte ich Spinat, doch da er vom Antichristen kam, musste er übel sein, also verweigerte ich mich.

 

"Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt!", schwadronierte die Nazibraut und fütterte mich mit dem Löffel - ich sammelte das Zeug in meinen Pausbacken wie ein adipöses Streifenhörnchen ...

"Schluck runter!", kam der zackige Befehl von Frau Gauleiter - ich spuckte ihr den gesamten grünen Brei auf ihre weiße Spitzenbluse.

 

Sie knallte mir eine - ich schrie, greinte und schlug um mich wie ein Berserker.

 

Dieser Abend muss der Horror gewesen sein. Schließlich löste Oma Nazischlampe zwei Schlaftabletten in einem Glas Saft auf, den sie mir verbot zu trinken, bis ich aufgegessen hatte. Natürlich trank ich ihn - ich war drei und unerfahren in Guerillataktiken ...

 

Am nächsten Morgen wachte ich benebelt auf. Oma Nazischlampe hatte meine Sachen bereits gepackt und rief ein Taxi: "Franz Körner-Straße 16"

 

Sie gab auf und ich verbrachte den Rest der zwei Wochen bei meiner geliebten Oma Margarethe. Hurra!

 

Unterdessen lag ein kurviges Vollweib in Spanien am Strand und wurde von einem galanten, sehr gut aussehenden Mann angesprochen: Manfred Kuckuck, ein Großhandelskaufmann in Sachen Mode, der für die Berliner Metro den Ankauf der gesamten Damenoberbekleidung verrichtete, ein für sein Alter von Mitte Zwanzig sehr hochrangiger Posten, den er sich durch seine gute Rhetorik, sein Verhandlungsgeschick und selbstbewusstes Auftreten gesichert hatte. Diese Eigenschaften, gepaart mit großem Charme, machten ihn zu einem Weiberhelden. Aufgrund seines Jobs hatte er viel mit Mannequins zu tun, wie Models damals noch genannt wurden, und da er von allen "Manne" genannt wurde, standen diese vielen reizvollen jungen Damen ihm auch zu, "Manne-Quins", so übersetzte er das. Aber in meine Mutter hatte er sich regelrecht verknallt. Models kamen zu Modeschauen nach Berlin, wo man sie in dem sicheren Wissen verführen konnte, dass sie alsbald wieder in das Kuhkaff verschwanden, wo sie lebten - so war das vor der großen Urbanisierung. Heidi jedoch lebte - wie er - in Berlin, und sie war nicht leicht zu haben. Wenn man den Worten meiner Mutter Glauben schenkt, gelang es nur meinem Vater, sie zu erobern und eben jenem galanten Manne Kuckuck. Doch nicht in Spanien, wo sie den Urlaub zusammen verbrachten, nein, sie ließ ihn zappeln, und erst als er ihr - wieder daheim in Berlin - bewiesen hatte, dass seine Absichten ernsthafter Natur waren, ließ sie ihn an die Wäsche.

 

Und so bekam ich einen Stiefvater, der "Onkel Manfred" hieß. Alle Freunde und Bekannten hießen "Onkel Soundso" oder "Tante Schnickschnack" - bis zur Volljährigkeit. Erst nach dem Abi wurde mir offiziell das "Manne" angeboten. Da war er mir längst anderthalb Jahrzehnte ein guter Vater gewesen, nur nannte man es weiland nicht so, da der Begriff der leiblichen Vaterschaft eine wesentlich höhere Bedeutung hatte als heutzutage.

 

Die Groupiezeiten meiner Mutter waren vorüber und wir zogen von der kleinen Hauswartswohnung im wilden Neuköllner Kiez sehr bald in ein großes Haus in der Marienfelder Chaussee im beschaulichen Lichtenrade, nur einen Kilometer von der Metro entfernt, in der Onkel Manfred arbeitete. Im Erdgeschoss plus Partykeller wohnte das Ehepaar Klaus und Bärbel Steuer, er alkoholkranker Beamter, sie oberflächliche Grundschullehrerin. Im ersten Stock befand sich unsere Wohnung und das Dachgeschoss barg mein Reich, ein komplett in Profilholz gehaltenes Zimmer, in das Licht durch ein einziges, kleines Dachfenster schien. Die gesamte Konstruktion besaß einen romantischen Charme - würde ich heute sagen - damals jedoch war es Furcht einflößend, da der alte Dachstuhl bei jedem Windstoß ächzte und stöhnte und die Holzkonstruktion meines Zimmers knarrte wie die Gorch Fock bei schwerem Seegang: es war unheimlich! Doch man gewöhnt sich an alles und wenige Kinder, eigentlich nur die Sprösslinge wohlhabender Familien, hatten damals ein eigenes Zimmer, schon gar nicht so ein großes ...

 

Hinter dem Haus befand sich ein riesiger Garten, der für Vieles kompensierte, vor dem Haus ein mittlerer Garten, der jedoch alsbald weichen musste, denn die zweispurige Chaussee wurde vierspurig ausgebaut, wofür alle Anwohner des Großteils ihrer Vorgärten verlustig gingen. Bürgerbegehren gab es in den Sechzigern nicht, man wurde enteignet und bekam eine vom Staat festgelegte Entschädigung - Basta!

 

Noch heute sieht man auf dem Mittelstreifen der Maienfelder Chaussee die alte Baumreihe. Mitten auf der heutigen südlichen Fahrbahn befanden sich unser Bürgersteig und Gartenzaun - nur falls es wen interessiert.

 

Wir fanden all das nicht schlimm, da man ohnehin im hinteren Garten saß und so weniger Rasen mähen musste.

 

Hinter uns auf einem Hammergrundstück - wegen seiner Form so genannt, weil nur durch eine lange Auffahrt mit der Straße verbunden, quasi dem Hammerstiel - wohnten die Schmolls, eine reiche Familie. Der Vater besaß eine Gartenbaufirma, und das Anwesen einen Pool, der Inbegriff des Statussymbols in einer Ära aufblasbarer Planschbecken. Dort verbrachte ich die Sommer, wie alle Kinder der Nachbarschaft. Es liefen immer alle nackt herum und erst Jahre später verstand ich, warum die Zigaretten der Schmolls so komisch rochen. Auch sexuell wurden erste Doktorspielerfahrungen gemacht, ("Guck mal Bärbel!", sagt der Klaus, "Bei dir sieht's ja ganz anders aus!"), zu denen wir regelrecht motiviert wurden. Nicht falsch verstehen, die Scholls waren nicht pervers und keiner der Erwachsenen hat uns jemals angefasst, aber es gehörte zum Geist der Zeit, völlig frei und ungezwungen zu experimentieren. Ich fand das auch nicht schlimm, nur der Sohn der Scholls, Hanno, irritierte mich. Bei Doktorspielen wurde ja auch tatsächlich behandelt und mit irgendwelchen Plastikinstrumenten operiert, aber Hanno wollte immer nur "Po sägen" oder mit seinem Finger die Tiefen des Raums erkunden, das ging mir dann doch zu irgendwie zu weit. Ich traf ihn Jahre später einmal, wo sich dann alles aufklärte: Hanno Scholl war die Oberschwuchtel geworden, eine Neigung, die augenscheinlich seit den Sechzigern in ihm geschlummert hatte.

 

Es war eine schöne Zeit, diese meine frühe Kindheit, die mit zwei einschneidenden Erlebnissen endete. Das erste war die Mondlandung im Juni 1969:

 

 

Wir verfolgten sie alle live auf dem riesengroßen Schwarzweißfernseher, einer nagelneuen Anschaffung, die unseren Aufstieg in die obere Mittelklasse zementierte. Die ganze Familie war zu Gast, um es mitzuerleben. Ich weiß noch, wie ich zu diesem Behufe immer wieder geweckt wurde, denn das Ganze geschah mitten in der Nacht und ich war beim Verfolgen der historischen Geschehnisse auf der Couch ständig eingepennt. Die Bedeutung des Boheis war mir nicht klar und irgendwie empfand ich es auch als enttäuschend, denn wenn ich nach oben in den Nachthimmel blickte, sah ich niemanden winken ...

 

Das zweite Erlebnis war dann schon traumatischer. Nur wenige Wochen nach Neill Armstrongs legendärem Satz auf dem Mond machte auch ich einen "small step for men but a big step for myself" - ich wurde eingeschult.

 

 

Schulze(it)

 

 

 

Heidi, Manfred, Hund Alfi und olle Icke

 

Die Grundschule am Sandsteinweg hatte keinen Namen. Wie so viele öffentliche Gebäude nach dem Krieg war sie ein eilig aus Waschbetonplatten zusammengeschustertes Konstrukt.

 

Als Schulhof diente eine weite Fläche aus planiertem Schotter, der nie weniger rau werden sollte, egal, mit vielen Quadratmetern abgeschürfter Kinderhaut wir ihn in den kommenden Jahren zu glätten versuchten.

 

Schicksalsergeben ließ ich mich dorthin führen, mein Hals eng geschnürt von Furcht und meiner ersten Krawatte. Ob es jene Angst oder der alberne blaue Blazer war, der mich an jenem heißen Sommertag schwitzen ließ wie eine Hafennutte beim Gottesdienst, kann ich heute nicht mehr sagen, doch es war die Hölle. Etwa 100 Familien standen dort mit ihren Delinquenten, um auf drei Schulklassen aufgeteilt zu werden. Uns gegenüber standen der Schuldirektor und drei Lehrerinnen, die unserer harrten. Der Direx hielt eine viel zu lange Rede, voller Lügen, wie toll doch die Schule sei, was wir alles lernen würden und wie viel Spaß das doch machte, dann waren die Lehrerinnen dran. Sie lasen laut und in alphabetischer Reihenfolge die Namen der Todgeweihten vor, die sich hinter ihnen zu versammeln hatten, um die jeweiligen Klassen zu bilden. Unsere Lehrerin hieß Frau Marose und begann, wie Espenlaub zitternde Kinder hinter sich zu gruppieren. Als sie bei S ankam, wurde mir bang ums Herz.

 

" Andreas SCHABOVSKIII!"

 

Ein kleiner Kerl sprintete über den Hof, um sich hinter den anderen zu verstecken.

 

"Michael SCHMIIIIDT!"

 

Wir zuckten zusammen, als wir den Schrei vernahmen: "MAAAAAMIIII!"

 

Der dicke Micha sträubte sich wie ein junger Hund an der Leine. Seine dicke Maaaaamiiii verbarg ihr feistes Gesicht vor Scham in ihren dicken Händen und sein dicker Papi drohte ihm dicke Prügel an, wenn er nicht augenblicklich zu der lieben Frau Lehrerin ginge. Als Antwort kam nur lautstarkes Geheule, das Betteln um Gnade und ein Aufjaulen, als Papi ihn der Mami entriss, um ihn kurzerhand zu schultern und zu Frau Marose zu schleppen, die ihn sofort zu trösten begann. Bildung ist halt nichts für jedermann...

 

"Andreas SCHULZEEE!"

 

Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter und trat so tapfer wie möglich meinen schweren Gang an, ähnlich wie tragische Filmhelden auf ihrem Weg zur Hinrichtung. Aber nach dem armseligen Michael Schmidt konnte ich nur gut aussehen.

 

Als schließlich Thomas ZANDEEER zu uns gestoßen war, setzte sich unser Tross in Bewegung und Frau Marose führte uns ins Klassenzimmer - wir waren die 1 A, also quasi die Eliteeinheit, und hätten wir ihn damals schon gekannt, wir hätten auf unserem Schicksalsweg gewiss den River Kwai March gepfiffen, denn genau so sah das damals aus: https://www.youtube.com/watch?v=4k4NEAIk3PU&hd=1

 

Im Klassenraum angekommen, versuchte ein jeder, sich möglichst weit hinten zu platzieren, was natürlich nur wenigen gelang. Ich hingegen war bereits ein kleiner extrovertierter Scheißer (heute bin ich ein großer extrovertierter Scheißer...) und setzte mich ganz nach vorne in die erste Reihe, um ja nichts zu verpassen, denn die Neugier siegte in meinem Leben stets über die Furcht, ein dubioser Umstand, dem ich manch böse Narbe verdanke.

 

An die Tafel hatte Frau Marose mit bunter Kreide ein riesiges Bild gemalt. Dieses Wunderwerk naiver Kunst zeigte Kinder mit Schultüten, dazu ihre Mütter und Väter, im Vordergrund ein Selbstportrait von Frau Marose. Sie gab uns kurz Zeit, das Ensemble zu bewundern, schnappte sich sodann einen nassen Schwamm und wischte es weg. Von außen nach innen bewegte sich der Schwamm, um in konzentrischen Kreisen zur Bildmitte zu gelangen, wo sich das Gesicht einer Mutter befand. Um dieses Gesicht wischte sie herum, um lediglich ein mütterliches Auge in Form eines Schlüssellochs übrig zu lassen. Dann wandte sie sich zu uns, um mit verschwörerischer Miene etwas zu sagen wie "Big Brother is watching you!". So stellt es sich jedenfalls in meiner persönlichen Retrospektive dar, da Englisch aber erst in der dritten Klasse gelehrt wurde, muss es wohl eher irgendetwas wie "Seid schön brav, denn die Mama passt auf, dass ihr hier keine Scheiße baut, ihr kleinen Kackbratzen!" oder etwas Ähnliches gewesen sein.

 

Auch wenn mir der genaue Wortlaut nicht in Erinnerung geblieben ist, hat sich diese Szene jedoch bis ins Detail in mein Gedächtnis gebrannt. Wir alle warfen immer wieder paranoide Blicke über die Schulter zur Tür des Klassenzimmers, doch dann schaffte es Frau Marose, uns gnädig zu stimmen, indem sie ankündigte, wir würden heute nur ein Lied lernen und könnten dann gehen. Erleichterte Seufzer allenthalben!

 

Schon eine Viertelstunde später sangen wir aus vollen Kehlen "Hurra ich bin ein Schulkind und nicht mehr klein!", ein vorpubertärer Motivationssong, der uns zu Privilegierten im Sandkasten erheben sollte, dann durften wir unter lautem Jubelgeschrei zu unseren im geschotterten Kasernenhof wartenden Eltern zurückkehren, die sich dort die Zeit mit Schwitzen vertrieben hatten.

 

 

Glücklich kehrte ich nach Hause zurück, das Martyrium überstanden zu haben, jedenfalls, so lange, bis man mir die furchtbare Wahrheit mitteilte.

 

Ich zeigte mich angemessen entsetzt: "WAAAS? Ich muss da morgen wieder hin???"

 

Das Leben ist grausam!

 

Der erste tatsächliche Schultag sollte mir meinen Spitznamen einbringen, der heute sogar in meinem Ausweis steht. Andreas nennt mich nur noch meine Mutter ...

 

Wir erlebten die erste Deutschstunde, nur existierte Deutsch noch nicht als Schulfach, in der Grundschule war es unterteilt in "Schreiben" und "Lesen", Mathematik hieß "Rechnen" und "Sport", das später hochtrabend als "Leibesübungen" bezeichnet wurde, hieß "Turnen". Schreiben bestand zuerst aus dem Malen von Kringeln, es ging darum, uns die richtige Haltung des Schreibgeräts zu vermitteln, am Ende der Stunde mussten wir eine Acht malen, immer und immer wieder. Als frühreifer und altkluger Streber, der ich war, fühlte ich mich sofort unterfordert und bat um anspruchsvollere Aufgaben. Die Acht ödete mich an, ich wollte eine Fünfzehn oder gar eine Hundertdreiundzwanzig zu Papier bringen, doch ich wurde lediglich zur Disziplin ermahnt. Und so entwickelte ich mich bereits am ersten Schultag zum Störenfried und Pausenclown. Als dann Lesen dran war, schlug meine große Stunde, denn das beherrschte ich bereits. Nicht die großen Klassiker, aber da ich Walt Disneys Lustige Taschenbücher verschlang, war mir das ABC seit dem vierten Lebensjahr vertraut und so gedachte ich mit meinem Wissensvorsprung zu glänzen. Doch was machte Frau Marose? Sie fragte die Klasse, wer denn den ersten Buchstaben des Alphabets kenne. Ich vermag im Nachhinein nicht mehr zu sagen, ob ich die Antwort aus der Sesamstraße oder der Sendung mit der Maus wusste, die stets mit einem Satz in einer Fremdsprache begann "Und das war Ungarisch", doch das Alphabet war das ABC in Griechisch, und so schnippte ich hektisch mit den Fingern und kam sogar dran, um stolz meine geniale Antwort zu verkünden: "Alpha!"

 

Natürlich lachte mich die gesamte Klasse aus und ich wollte vor Scham im Boden versinken, denn augenscheinlich hatte sie nach dem profanen A gefragt, doch Frau Marose tröstete mich, die Antwort sei gar nicht so verkehrt. Ein hohler Trost, denn seit dem Tage nannten mich alle nur noch "Alpha", was jedoch auch damit zu tun, dass wir etwa fünf Andreas und genau so viele Michael und Thomas in der Klasse hatten - so hießen fast alle Jungs dieser Generation. Eigentlich hatte ich noch Glück gehabt, denn aufgrund jener Andreas-, Michael- und Thomas-Inflation wurden die anderen Spacki, Fetti oder gar Doofi genannt. Den dicken Micha traf es am härtesten, denn seit jenem verhängnisvollen Tag der Einschulung hieß er nur noch Heulsuse, leider ein passender Name, den er sich bei jeder Gelegenheit zu bestätigen bemühte. Alpha ging also noch, aber für mich war es im ersten Schuljahr ein Mal der Schande und es sollte viele Jahre dauern, bis ich begriff, dass es eigentlich sogar einen ziemlich coolen Spitznamen darstellte, den ich dann sogar freiwillig anzunehmen bereit war, und der in Verbindung mit dem Familiennamen meiner späteren Frau zu "Alpha O'Droma" werden sollte, und das klingt doch nun wirklich nach einem Schriftsteller, oder etwa nicht!?

 

Doch nicht nur deswegen war die Schulzeit schwierig für mich. Ich fand alle anderen Kinder doof - Mädchen waren ja noch uninteressant - ich fand den Unterricht doof, weil sie immer nur Sachen erzählten, die ich schon wusste, und wenn ich etwas Neues lernte, dann nervte es mich dass der Stoff endlos wiederholt wurde, bis sogar Doofi und Heulsuse ihn aufsagen konnten. Alles doof! Also verbrachte ich die Zeit damit, zu schwatzen, zu kaspern und den Unterricht zu stören, was soweit ging, dass man meine Mutter in die Schule bestellte. Doch auch Strafandrohungen und Strafen halfen nichts, ich blieb - auch wenn ich fast überall Einsen hatte - stets der Pausenclown. Man bestellte mich zu einem Psychologen, der ein Gutachten erstellte. Mein IQ sei deutlich jenseits der 140 und ich hyperaktiv, lautete das fachmännische Urteil. Man solle mich am besten in ein Internat für Hochbegabte stecken.

 

Ich muss dazu erwähnen, dass es damals noch kein ADHS gab, das nannte man "Zappelphilip", auch Legasthenie und Dyskalkulie waren unbekannt, das nannte man "Blödheit". Und von der Möglichkeit, Klassen zu überspringen oder gar einer Hochbegabtenförderung wollen wir gar nicht reden. Leider existierte nur ein Internat in Berlin, dass sich meiner hätte annehmen können, es befand sich im Grunewald und hätte über tausend Mark im Monat gekostet - umgerechnet auf die heutige Zeit mehrere tausend Euro, es kam also nicht infrage. Derart geförderte kleine Genies kamen in dieser Epoche grundsätzlich nur aus reichen Familien, dass solche auch in der Mittelschicht oder gar in Arbeiterfamilien existieren sollten, schien doch arg weit hergeholt ...

 

Und so verbrachte ich meine Grundschulzeit wie jedes andere Gör, nur lauter, störender und Nerv tötender für alle Beteiligten. Völlig isoliert in meiner Klasse, fand ich in der 2. die Kinder aus der 4. interessant, aber für die war ich natürlich zu klein und kam als Spielkamerad nicht infrage. Also entwickelte ich mich zum Stubenhocker und Bücherwurm, wenn andere draußen tobten, las ich Kästner oder Enid Blyton, sollte Hanno Schmoll doch einem anderen Jungen am Po rumsägen, das war mir wumpe, ich hatte ja Bücher.

 

Andere Kinder waren mir grundsätzlich egal.

 

Ich wurde der Einzelgänger der ich heute noch bin, und war erstaulich glücklich dabei.

 

 

Schon früh begann ich, mit Drogen zu experimentieren ...

 

1971 beschloss Onkel Manfred, sich selbständig zu machen. Finanziell ging es uns - auch wenn eine superteure Privatschule nicht drin war - blendend, wir besaßen sogar ein Auto. Wie jede Mittelschichtfamilie natürlich nur einen Käfer, aber das war damals schon was!

 

Nur damit in Urlaub zu fahren, 1.000 Kilometer nach Österreich, wobei ich die Rückbank mit Onkel Herrmann, Tante Helga und einem halben Dutzend Reisetaschen teilen musste, verleidete mir den Wagen später, aber zurück zur Selbständigkeit:

 

Manne hatte durch seinen langjährigen Job bei der Metro Kontakte zu allen namhaften Vertretern der Damenoberbekleidung geknüpft und diese überredet, ihm Ware auf Kommission zu liefern. Er mietete einen Laden in der Berliner- Ecke Blissestraße an, einer sehr teuren Wilmersdorfer Wohngegend, wo seine zukünftige Kundinnen lebten: wohlhabende, meist ältere Damen.

 

Das Geschäft hieß "Kuckuck-Moden" mit dem Beinamen "Ihr Spezialist für große Größen", was eine schlüssige Geschäftsidee schien, da seine Kundschaft selten in Konfektionsgröße 34 passte. Alle Ersparnisse - also seine und die meiner Mutter - wanderten in den Laden, der dann auch recht mondän wirkte - zumindest der Verkaufsraum. Ich musste jetzt nach der Schule quer durch die Stadt fahren um die Zeit bis zum Ladenschluss entweder in seinem Büro - einem nackten unverputztem Kellerraum unter dem Laden - oder bei schönen Wetter draußen im Volkspark zu verbringen. Öde!

 

Und öde war auch der Umsatz. Manne hatte für über 100.000 Mark Ware im Laden, teure Kleider, Abendgarderobe, aber auch edle Pelzjacken und sogar einige Nerzmäntel - alles auf "Kriegste", wie man Kommission im Volksmund nannte. Die Verkäufe reichten jedoch anfangs nicht mal für die Miete, geschweige denn zum Leben, was vielleicht auch daran lag, dass er den Laden im Frühjahr eröffnet hatte. Geld musste her, Onkel Herrmann und Tante Helga wurden angepumpt, Oma Nazischlampe hatte zwar am meisten Geld, doch einen Igel in der Tasche. Dabei hatte sie sich gerade einen gewissen Gerd Stichovski geangelt, gut betuchter Pensionär mit riesigem Haus bei Heidelberg, der alles bezahlte, so dass ihre Witwenrente seit Jahren direkt aufs Sparkonto wanderte...

 

Im Sommer ging es nicht mehr, Heidi saß jetzt im Laden und Manne nahm gleich zwei Vertreterjobs an: er vertickte für Electrolux hochwertige Staubsauger (sehr empfehlenswert: das Vorführungsmodell funktioniert nach fast 40 Jahren immer noch wunderbar!) und für die WWK Versicherungen, das zahlte die Miete für Laden und Haus und es reichte gerade so, was ich daran sah, dass es fast nur noch belegte Brote gab, wo vorher Schweins- und Rinderbraten auf dem Tisch standen. Im Herbst begann der Laden, endlich zu laufen, doch da war es bereits zu spät. Wir waren zwei Monate mit der Miete im Rückstand, die Kreditraten waren schon länger nicht bezahlt. Das hätte man mit einem guten Winterhalbjahr locker kompensieren können, doch seine Lieferanten hatten ihn auf die schwarze Liste gesetzt, holten ihre Kommissionware ab und rückten keine neue mehr heraus - gerade als es gut lief. Bald war der Laden leer, doch neue Ware hätte es nur gegen Vorkasse gegeben, die Pleite stand vor der Tür, noch dazu mit großen Schulden. Doch im Moment der größten Verzweiflung - ich hörte meine Mutter fast jeden Abend weinen - zeigte Manne Kuckuck sein Talent! Er wusste, dass es den Bach runter geht, also zahlte er überhaupt keine Rechnungen mehr, sondern behielt alles Geld, was reinkam. Mit meiner Mutter, Onkel Herrmann und Tante Helga schloss er zurückdatierte Kreditverträge ab und beantragte dann einen Vergleich. Nun muss man erklären, wie die Gesetzeslage damals war: Wenn die Mehrheit der Gläubiger einem Vergleich zustimmte, musste auch der Rest dies tun. Manne setzte die Mindestvergleichsumme an, ich glaube 20%, und versprach, alle Gläubiger auszuzahlen, die diesem Vergleich zustimmten, also Hermann, Helga und meine Mutter - sie hatten nie geheiratet, weil meine Mom sonst ihre beiden dicken Witwenrenten verloren hätte, ergo waren sie als Nichtehepaar auch nicht gemeinsam haftend - und einige kleinere Lieferanten, die wussten, dass sie sonst gar nichts bekommen hätten. Die großen Gläubiger, wie die Sparkasse und die Hauptlieferanten ließ er außen vor. So bekam er eine Mehrheit für diesen lächerlichen Vergleich und leistete einen Offenbarungseid, ohne dass die Hauptgläubiger einen Titel auf die vollen Schulden hätten bekommen können, sie waren gesetzlich gezwungen, den 20% zuzustimmen. Die Sparkasse prozessierte gar und verlor, woraufhin Manne nie wieder ein Konto bei einem namhaften deutschen Kreditinstitut eröffnen durfte. Er musste fortan sein Konto bei der Hardy Bank führen. Nie gehört? Ich auch nicht...

 

Sei es wie es sei, jemand, der eine deutsche Bank legal um einen ordentlichen fünfstelligen Betrag bescheißt, ist für mich ein Held!

 

Doch damit war es nicht genug! All die gehortete Kohle benutzte er, um im Namen meiner Mutter in Lichtenrade für 18.000 Mark ein Baugrundstück zu kaufen. Die starb tausend Tode, doch sie vertraute diesem Filou. Zu Recht! Er hatte seit Jahren vorausgesagt, die Immobilienpreise müssten steigen, doch seit Jahren war nichts passiert. Kaum hatte er von den letzten Kröten diese 800 Quadratmeter von Efeu überwucherten Urwalds gekauft, explodierten die Preise. Doch verkaufte er? Nein. Er sicherte uns mit einer minimalen Anzahlung das Vorkaufsrecht auf eine Doppelhaushälfte in der Eisnerstraße 27, ebenfalls in Lichtenrade. Nun schlief meine Mutter überhaupt nicht mehr, denn alles lief auf ihren Namen. Die Doppelhaushälfte samt Grundstück sollte 200.000 Mark kosten plus 5000 für eine Einbauküche, Anzahlung von 50.000 fällig binnen drei Monaten, Rest in Raten, ein Deal der nur funktionierte, weil sich die Butze noch im Rohbau befand und der Bauherr selbst Planungssicherheit wollte. Man bot 35.000 für unser Grundstück, dann 40.000, schließlich 50.000, die geforderte Summe, die wir zur Anzahlung für unser eigenes Haus so dringend benötigten, doch obwohl es keine vier Wochen mehr hin waren bis zur Fälligkeit, weigerte Manne sich zu verkaufen, obwohl meine Mutter ihn anflehte. Onkel Herrmann und Tante Helga hatten ihn längst für verrückt erklärt und die paar Tausender, die sie ihm gepumpt hatten, bereits unter "Lebenserfahrung" abgeschrieben.

 

Eine Woche später verkaufte Manne den Efeudschungel für 65.000 Mark an einen privaten Bauherrn, zahlte Hermann und Helga aus, schob die 50 Mille für unsere Hütte rüber, die 5.000 für die Einbauküche, kaufte sich einen gebrauchten Mercedes und bei uns kam wieder Braten statt Stulle auf den Tisch. Sogar die Sparkasse bekam ihren lächerlichen Anteil ...

 

Im Juni 1973 zogen wir in die Eisnerstraße. Pleite, aber bis auf die Raten für das Haus schuldenfrei. Die Hütte wurde über einen langfristigen Bausparvertrag finanziert, dessen Tilgung so gering war, dass wir in den nächsten 30 Jahren für die restlichen 150.000 durch die Zinsen über 300.000 berappen sollten, aber das war egal. Manne und Heidi waren jung und wollten leben, deshalb war die geringe monatliche Belastung, die der Miete einer durchschnittlichen Dreizimmerwohnung entsprach, ihnen wesentlich wichtiger, als die Butze möglichst schnell abzuzahlen. Manfred gab den Job für Elektrolux auf und konzentrierte sich voll auf die WWK. Und wieder verriet er Gespür. Da er auf Provisionsbasis arbeitete, mussten hohe Umsätze her, also ließ er sich auf eigene Kosten 50.000 Postkarten mit seinem Konterfei drucken, auf denen er nicht nur für Versicherungen, sondern auch für Anlageberatung warb. Gebühr bezahlt Empfänger. Lichtenrade, das in den Sechzigern noch weitgehend von Weizenfeldern geprägt war, wurde Anfang der Siebziger zum Bauland erklärt, überall schossen Häuser aus dem Boden, junge Familien siedelten sich an, alles gute bis obere Mittelschicht in neuen Eigenheimen, die versichert werden wollten. Auch ich entwickelte mich zum Jungunternehmer: Onkel Manfred zahlte mir für 500 verteilte Postkarten 10 Mark. Das ist nicht so viel, wie es klingt, denn die Hochhaussiedlungen in der Nahariyastraße waren noch nicht fertig, es galt jede Menge Einfamilienhäuser und Reihenhaussiedlungen mit dem Fahrrad abzuklappern, worauf ich jedoch keinen Bock hatte. Doch in meiner neuen Schule - die Grundschule am Dielungsgrund hieß, noch so ein namenloser Waschbetonplattenneubau - wurde ich auf einmal zum Jobwunder, indem ich Mitschülern ihre Gebiete zuwies: "Verteil die 1000 Postkarten hier und du bekommst von mir 10 Mark! Achja, ich mach natürlich Stichproben und wenn die Dinger im Müll landen und nicht im Briefkasten, kommt der Typ hier und haut dir persönlich auf die Fresse!"

 

Dabei deutete ich auf Mannes markantes Konterfei, das zwar freundlich grinste, doch keiner traute dem Postkartenlächeln und so machten meine Klassenkameraden lieber ihre, pardon, meine Arbeit und ich hatte soviel Taschengeld wie noch nie.

 

Nach ein paar Wochen kam mir Manne auf die Schliche. Es kamen genug Rückmeldungen von den Karten, das Geschäft lief gut an, aber wie sein Stiefsohn in den Sommerferien über 20.000 Postkarten verteilen konnte, obwohl er den ganzen Tag in seinem Zimmer abgammelte und Abenteuerromane von Karl May und Jack London las, das erschien ihm dann doch verdächtig, also stellte er mich zur Rede. Ich tat unschuldig überrascht, die Karten seien doch verteilt worden, das sei meine Aufgabe und wie ich sie erfüllte, wäre doch egal.

 

 

Keine Sorge, das ist kein Schlaganfall! Hier sehen wir den Jungunternehmer bei seiner Einsegnung im Alter von 15 Jahren. Fototermine waren ihm schon immer verhasst und wenn man ihn aufforderte, jetzt doch gefälligst mal zu lächeln, dann kam stets eine solche Fratze dabei heraus. Das ist wohlgemerkt das BESTE Foto meiner Einsegnung!!!

 

Wider Erwarten bekam ich keinen Anschiss, sondern ein Eis. Ich hatte Manne mit Stolz erfüllt. Von diesem Tag an musste ich die schweren Postkartenstapel nicht mehr zur Schule schleppen. Meine Sklavenkolonne holte die heiße Ware jetzt persönlich bei mir zuhause ab.

 

Da reifte in mir der Plan, einmal Unternehmer zu werden. Oder wie Manne gern sagte: Ist der Handel noch so klein, bringt doch mehr als Arbeit ein ...

 

Unsere Anfangs recht kärglich eingerichtete Doppelhauhälfte wurde langsam gemütlich. Nach und nach kamen Möbel dazu, so wie die Kohle halt rein kam, und es wurde stetig mehr Kohle, denn Onkel Manfred hatte einen festen Kundenstamm etabliert, den er auch pflegte. Egal wie gering ein Haftpflichtschaden war, er fuhr persönlich hin und nahm ihn auf. Die Kunden dankten es ihm und seiner charmanten Art und wenn es galt, eine ordentliche Lebensversicherung abzuschließen, dann kamen sie zu ihm. Dort lag das wirkliche Geld, da gab es schon mal über 3.000 Mark Provision und darauf hatte Manne sich spezialisiert, die sogenannten "dynamischen Lebensversicherungen", die er als Kapitalanlage verkaufte. "Dynamisch" bedeutete, dass die Beiträge mit der Inflationsrate und dem Einkommen stiegen, die Auszahlungssumme aber auch, und wenn der Kunde es schaffte, nach 20 Jahren nicht abgekratzt zu sein, wurde ihm die Summe ausgezahlt. Eigentlich ein Nepp, denn die Rendite war miserabel, doch man war in der Zeit lebensversichert und wenn man wider Erwarten doch den Löffel abgab, bekam der Begünstigte die volle Schadensumme - und in dem Falle war die Rendite formidabel. Das Bedürfnis, materiell abgesichert zu sein, war Anfang der Siebziger immer noch sehr stark, die Älteren hatten den Krieg noch erlebt, die Jüngeren meist noch die Nachkriegszeit und so ließ man sich Sicherheit etwas kosten - gut für Versicherungsvertreter!

 

1974 war es dann soweit: wir schafften uns den ersten Farbfernseher an. Nicht lachen, Kinder, das war damals eine große Sache, nicht der Fernseher, der war winzig, aber Farbfernsehen an sich gab es noch nicht allzu lange und immer noch wurden die meisten Sendungen in Schwarzweiß ausgestrahlt. Doch ein Weltereignis dräute, das Fußballverrückte wie Onkel Manfred in Ekstase versetzte: Die WM im eigenen Land!

 

Dazu muss ich noch kurz etwas zu seiner Vita erzählen, denn Manne war in seiner Jugend ein Spitzenfußballer gewesen. Wir besitzen ein Album mit Zeitungsausschnitten von ihm. Sogar bis ins Viertelfinale des DFB-Pokals hat er es mal geschafft (1962 unter dem legendären Hanne Sobeck), wo er mit dem SC Charlottenburg jedoch gegen den Lokalrivalen Hertha BSC 3:4 nach Verlängerung verlor. "Eine ausgezeichnete Partie bot der linke Läufer Manfred Kuckuck ...", ihr wisst ja, was man über Torhüter und Linksaußen sagt, oder? Es stimmt...

 

Dazu mal eine Anekdote aus der Fußballerzeit von Manfred, ich muss damals um die 10 Jahre alt gewesen sein, aber ich erinnere mich bestens.

 

Manfreds große Fußballerkarriere war wiegesagt wegen seiner Knie beendet, doch er spielt ab und zu selbst noch bei den alten Herren mit oder in diversen Prominentenmannschaften. So kam es, auch, dass wir einmal im Jahr gegen Hänschen Rosenthals Truppe antraten. Da junge Leser es vielleicht nicht mehr wissen, will ich kurz erwähnen, dass Hans Rosenthal damals Deutschlands größter Showmaster war. In den Siebziger und Achtziger Jahren lief seine Spielshow „Dalli Dalli“, in der Promis in Teams gegeneinander antraten und der Gewinner Geld für einen guten Zweck gewann. Die Sendung war ein Straßenfeger und lief fast 20 Jahre wie ein Käfer, bis Rosenthal Ende der Achtziger erkrankte und dann auch starb. Auf dem Fußballplatz nannte ihn jeder nur „Hänschen“, was auch an seiner Statur gelegen haben mag, denn er war klein und schmächtig, doch sein Herz war das eines Wals. Als Berliner Jude entging er nur knapp dem Tod, musste in den Vierzigern Jahre lang Zwangsarbeit in einer Fabrik leisten, entkam bei einem Bombenangriff und überlebte das Kriegsende versteckt in einer Laubenkolonie, doch nach dem Krieg blieb er in Deutschland und arbeitete beim Radio. Wie wir war er sehr fußballbekloppt, leider für den falschen Verein, Tennis Borussia, dem er lange als Präsident vorsaß. Und schon früh ging es bei ihm um die gute Sache. Regelmäßig veranstaltete er Benefizspiele mit anderen Prominenten, deren Einnahmen zum Beispiel deutschen Kriegerwitwen zugute kamen – und das als von den Nazis geknechteter Jude! Doch Hänschen kannte keine Vorurteile, auch wenn er in jungen Jahren auf dem Fußballplatz noch oft als Drecksjude beschimpft wurde, er lächlte all dies weg und begegnete dem Hass mit seiner allumfassenden Menschenliebe. Und die Menschen spürten das, es sprach sich herum, dass dieser kleine Wicht ein ganz Großer war. Und ein Gentleman. Wie ihr vielleicht wisst, herrschen auf dem Fußballplatz eigene Sitten. Jeder wird geduzt, der Humor ist so derb wie die Fouls und der Ton so rau wie die Schotterplätze, auf denen die Pelle stets liegen blieb, wenn man fiel. 44 blutende Knie begleiteten jede Begegnung, denn Rasenplätze gab es nur für die Topteams. Und in dieser Welt der harten Kerle bewegte sich Hans Rosenthal mit ausgesuchter Höflichkeit, siezte jeden und behandelte auch das schnoddrigste Arbeiterkind wie den hochprominenten Gast einer seiner Sendungen. Er liebte Kinder, spielte mit uns oft Kicker und verlor dabei absichtlich. Wir liebten ihn – wie ihn jeder liebte. 

 

Eines Tages, es stand mal wieder eine Benefizspiel gegen TeBes Promi-Elf an und ich stand wie immer hinter dem gegnerischen Tor, kam es zu jenem legendären Foul.

 

In Onkel Manfreds Mannschaft spielte ein Stürmer namens Koko, fast zwei Meter groß, athletisch, behaart wie ein Affe, ein richtiger Bigfoot.  Onkel Manfred flankte von links herein, doch die Flanke kam etwas zu tief für Koko, der Torwart, irgendein Schauspieler, dessen Name mir ums Verrecken nicht mehr einfällt, faustete sie heraus, direkt auf Hänschen, der den Ball mit der Brust stoppte, ihn sich vorlegte und gerade weiter passen wollte, als Koko herangestürmt kam und ihn von hinten umsenste. Koko traf dabei sogar den Ball, doch Hänschen Rosenthals im Weg befindliche Beine schossen dabei eine derartige Sonne, dass ein kollektives „AUUUU!“ über den Platz schallte – von Spielern und Zuschauern gleichermaßen.

 

Es sah grotesk aus, dieser eingesprungene Rosenthal mit anderthalb Schrauben, eine unglaubliche Übung, die so nie wieder geturnt werden sollte. Nur die Landung wirkte ungesund, als das schmächtige Kerlchen halb seitwärts und halb rücklings zu Boden krachte und die damals noch unbekannten Spiegelneuronen uns allen schmerzverzerrte Minen aufs Antlitz zauberten. Der Pfiff des heran sprintenden Schiris erklang noch vor der Landung. Er gab Gelb – damals eine Sensation, speziell bei Freundschafts- oder gar Benefizspielen – denn Gelb gab es in den Siebzigern in der Regel eigentlich nur bei offenen Schien- und Wadenbeinbrüchen, so etwas wie simple Bänderrisse durch Blutgrätschen wurden meist mit einer Ermahnung abgetan. Wie durch ein Wunder hatte sich Hänschen nicht schwer verletzt, er sammelte seine Knochen zusammen und ging humpelnd auf Koko zu. Normalerweise hätte jeder deutsche Fußballspieler jetzt etwas Unverbindliches geschrien wie „Du hast wohl den Arsch offen, du debiler Kackspast!“ oder ihm eine gelangt, nicht jedoch der legendäre Hans Rosenthal.

 

Er baute sich dicht vor Koko auf, was an sich schon komisch wirkte, da dieser ihn um fast zwei Köpfe überragte, stemmte seine Fäuste in die Hüften und sprach mit vorwurfsvoller Stimme das seinen Tod überdauernde Bonmot: „Mein lieber Herr Kokoschinski …“ 

 

Wir haben Tränen gelacht, alle bis auf Koko, der wirklich untröstlich war und sich mit hängendem Kopf vielmals entschuldigte. Für Hänschen war das Spiel vorbei, er zog beide (!) Beine nach, was ebenfalls einen Touch von Slapstick hatte und ließ sich sofort auswechseln. Nicht nur Koko wurde sein Leben lang mit diesem Spruch gehänselt, auch meine Eltern sollten, wann immer ich Scheiße baute, und das war nicht selten, sich vor mir aufbauen, die Fäuste in die Hüften stemmen und „Mein lieber Herr Kokoschinski!“ knurren.

 

Der „Herr“ ging offensichtlich irgendwann verloren, aber zuweilen hört man den Satz immer noch, auch wenn niemand die dazu gehörige Anekdote mehr kennt. Ich hoffe, ich konnte diese Bildungslücke schließen.

 

Es sollte fast 40 Jahre später sogar zu einem Déjà-vu kommen: Anno 2009 schaute ich eines Samstags die Sportschau und plötzlich schoss mir das Bier aus der Nase, weil ich so unfassbar lachen musste. Kickers Offenbach spielte grade ein Drittligamatch gegen den VFL Osnabrück, die in den Strafraum stürmten, da hörte ich den Kommentator rufen: „Kokoschinski von hinten in die Beine – Uiii, ein böses Foul!“

Tatsächlich spielte bei Offenbach ein Michael Kokocinski im Mittelfeld, und auch wenn ich mir nicht mehr sicher bin, wie Kokos Nachname damals geschrieben wurde, kann man sicher davon ausgehen, dass es sich bei jenem Offenbacher Kickers-Rüpel um einen direkten Nachfahren handeln muss …

 

Doch zurück zur WM 74!

 

Deutschland war im Fußballfieber, sogar wir Kids, es war die Geburt der Panini-Sammelbilder, auf dem Schulhof wollte jeder Beckenbauer, Overath oder Netzer sein, dabei war der eigentliche Held kleines dickes Müller - egal - wir befanden uns in kollektiver Hysterie. Als es dann losging, gestaltete sich das Fußballgucken jedoch schwierig. Die WM 1970 hatten wir noch auf dem riesigen Schwarzweißgerät verfolgen können. 1974 hockte die gesamte Familie weit vornüber gebeugt vor der Glotze, denn das Sonderangebot von Neckermann (999 Mark - weiland fast ein Monatsgehalt) besaß einen Bildschirm in Briefmarkengröße. der ganze Kasten war zwar etwa 50 Zentimeter breit und 35 hoch, doch die Hälfte davon ging für die Bedienelemente drauf, zwei große knarzende Drehschalter, die man - wie bei einer Safekombination - in die jeweils richtige Stellung rattern musste, damit man mit kleiner Antenne und großem Glück einen Sender empfing. Die Spieler hatten die Größe von Stecknadelköpfen und der Ball war kaum zu erahnen, aber man sah ja, wo die Stecknadelköpfe hinrannten. Und nun stellt euch eure gesamte Mischpoke vor, wie sie auf der Couch, auf Sesseln und herbei gerückten Stühlen sitzt, um aus zwei bis drei Metern Entfernung die Geschehnisse auf einem schlecht auflösenden 12-Zoll-Monitor zu verfolgen, dann gelangt ihr zu der Vorstellung, wie lächerlich wir aussahen. Aber wurscht, Deutschland gewann (das 0:1 gegen die DDR war Absicht, um in die leichtere Vorschlussrundengruppe zu kommen - reden wir uns heute noch ein...) und beim Finale gegen Holland brachen alle Dämme. Es stand ja schon zur Halbzeit 2:1 für uns, aber wie wir uns danach noch 45 Minuten durch die zweite Hälfte bangten, hofften, schrien, fluchten und wimmerten, das hatte Shakespeare'sche Qualitäten. Am Ende Tränen und Jubel, man lag sich in den Armen, nur um sogleich nach draußen zu gehen und die Nachbarn abzuknutschen und jeden Passanten, dessen man habhaft werden konnte. Es war ein schöner Tag!

 

1975 wurde ein trauriges Jahr. Oma Margarethe erlitt kurz nach ihrer Verrentung - sie hatte 45 Jahre als Kürschnerin geschuftet - einen Herzinfarkt. Ich konnte sie noch ein letztes Mal im Krankenhaus besuchen, dachte mir jedoch nichts Böses dabei, alte Leute werden halt krank, doch als sie kurz darauf starb, traf es mich hart. Weinen konnte ich selbst auf ihrer Beerdigung nicht, wie ich überhaupt nicht imstande bin, aus Trauer zu weinen. Nur vor Freude, vor Lachen oder im Anblick von Perfektion vermag ich das. Beim Mauerfall oder als Heike Drechsler in Sydney noch mal Gold holte und die Stadionrunde absolvierte, da lief mir der Rotz in Strömen, aber beim Verlust eines geliebten Menschen vergieße ich keine Träne.

 

Kann sich jemand daraus einen Reim machen? Ich nicht.

 

Das zweite traumatische Erlebnis dieses Jahres stellte ein weiter Schulwechsel dar. Damals wurden bereits nach 6 Schuljahren meist schon die Weichen für das weitere Leben gestellt, denn die Schule sprach so genannte Empfehlungen aus, die jedoch so gut wie bindend waren. Kinder wie Doofie oder Heulsuse wurden in die Hauptschule verbannt, solche wie Fetti oder Spacki gingen auf die Realschule und kleine Arschlöcher wie ich aufs Gymnasium.

 

Und weil meine Mutter und Manfred diesmal die richtigen Weichen für mich stellen wollten, informierten sie sich, was denn wohl das beste Gymnasium Berlins wäre. Und sie wurden fündig.

 

Ich zitiere mich im folgenden mal selbst. Es handelt sich um eine Glosse, die ich vor Jahren für die Schülerzeitung des Eckener Gymnasiums schrieb, wohin ich verbannt wurde, auf dass man mir dort meine Flausen austriebe. Dass das misslang, weiß jeder, der mich kennt, aber ich denke, es vermittelt dennoch einen guten Eindruck, welches harte Schicksal mich mit zarten zwölf Jahren ereilen sollte:

 

Kotletten-Ziehen und Cicero

Alpha O`Droma (Jahrgang 1963) war Schüler des Eckener-Gymnasiums und schreibt hier über den Schulalltag am Eckener in den 70er Jahren

 

Der Turm über dem Kunstraum erinnert noch heute an längst

vergangene Zeiten...

 

Inside/Februar 2007/Readme.eck

 

 

Meine Verkehrsanbindung zur Schule bestand

aus 25 Minuten Fußweg zum 76er Bus, dann

noch einmal 20 Minuten Fahrt zur U-Bahn,

eine Station von Alt-Mariendorf bis Westphalweg

und weiteren 5 Minuten Fußmarsch, was

bedeutete, dass es mit all den Wartezeiten

über eine Stunde dauerte, bis ich vor der

mittelalterlichen Burg stehen sollte, die mir

Schauer der Angst über den Rücken jagte:

dem Eckener Gymnasium.

So Smittelalterlich wie die Burg, die um die

Jahrhundertwende gebaut worden war und

die tatsächlich ein Turm auf dem Dach ziert,

waren die Lehrer. Ich kam in die 7L1, wobei

das L für Latein stand. Unsere Klassenlehrerin

war Frau Graf, die mit dem Gebäude nicht

nur das Alter und die bröckelnde Fassade gemein