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Geboren in der Nachkriegszeit 1954 und aufgewachsen in der DDR als drittes von vier Kindern, war es schon immer mein Wunsch auf Reisen zu gehen und die Welt kennenzulernen – ein nicht so einfaches Unterfangen. Mit Hilfe meiner Ausbildung und der Mitgliedschaft in der SED gelang mir der Seiteneinstieg in die Handelsflotte der DDR. Von 1982 bis 1987 fuhr ich zur See als „Offizier für elektrische Anlagen“. Die Erfahrungen auf meinen Reisen und der große politische Druck, der auf den Seeleuten lastete, ließen mich an dem politischen System der DDR zweifeln. 1986 durfte ich meine Ehefrau Regina mit auf eine Reise nehmen- Unser Sohn blieb als Faustpfand zurück. Durch das Erlebte waren wir uns nach der Rückkehr einig, unser Sohn sollte unbedingt in Freiheit aufwachsen und die Möglichkeit haben, frei zu entscheiden, wo der leben und was er sagen möchte, ohne dass ihm daraus Nachteile entstehen würden. Ich entschied mich im Februar 1987 zur Flucht. Über Dänemark kam ich in die BRD. Unser Antrag auf Familienzusammenführung wurde lange Zeit abgelehnt. Wir setzten alle Hebel in Bewegung, um bald wieder vereint zu sein. Regina nahm an den ersten Friedensgesprächen in der Nikolaikirche Leipzig teil und ich schrieb an fast alle politischen Persönlichkeiten der BRD und trat der IGFM bei – der Internationalen Gesellschaft für Menschrechte. Der Familienzusammenführung wurde erst im Juli 1989 zugestimmt, kurz vor der Öffnung der Mauer.
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Seitenzahl: 212
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Rainer Adelberg
Freiheit ohneWiederkehr
Engelsdorfer Verlag Leipzig 2025
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.
Angaben nach GPSR:
www.engelsdorfer-verlag.de
Engelsdorfer Verlag Inh. Tino Hemmann
Schongauerstraße 25
04328 Leipzig
E-Mail: info@engelsdorfer-verlag.de
Copyright (2025) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Titelbild © Nima [Adobe Stock]
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt
Ich, Rainer Adelberg, bekenne mich der Republikflucht für schuldig!
Cover
Titel
Impressum
Prolog
Sehnsucht
Auswahl
Familie
Umweg
Zur See
Mitreisende Ehefrau
Tagebuchaufzeichnungen einer mitreisenden Ehefrau – Auf nach Afrika
Zweifel
Der Entschluss
Der Weg
Gießen
Der Start
Arbeit
Trennung
IGFM
Amnestie
Wiedersehen
Kampf
17. Juni 1989
Ausreise
Epilog
Literatur, Hinweise und Erklärungen
Freiheit, welch ein schöner Klang!
Wir leben in einer Demokratie, Freiheit ist allgegenwärtig, sie ist für uns so selbstverständlich, dass wir sie oft gar nicht mehr wahrnehmen oder erkennen. Freiheit durchdringt, praktisch lautlos, unseren Alltag.
Im Namen der Freiheit wurden und werden Kriege geführt, Revolutionen angezettelt, Morde begangen, Intrigen gesponnen und Verrat geübt. Die Geschichte ist voll von derartigen Ereignissen und es ist mühevoll sie alle aufzuzählen.
Was aber ist Freiheit und vor allem was bedeutet Freiheit für jeden Einzelnen.
Im Zeitalter des Internets schaut man einfach mal ins World Wide Web, dasteht „schwarz auf weiß“, was Freiheit ist. Und wer kein Netz hat, wird nie erfahren, was Freiheit ist!?
Spaß beiseite!
Was ist Freiheit?
Der Mensch ist frei, wenn er selbst bestimmen kann was er tut. Er kann sich zwischen mehreren Möglichkeiten oder Alternativen entscheiden, ohne Zwang von außen und ohne dadurch Nachteile zu erleiden. Natürlich kann man nicht jeder machen, was er will, denn das wäre ja Anarchie – die Selbstbestimmung wird begrenzt durch Gesetze, Regelungen und endet da, wo die Freiheit anderer beginnt!
Heutzutage gehört Freiheit zu den Grund- und Menschenrechten in jeder Demokratie. Das Grundgesetz, unsere Verfassung, garantiert dem gesamten deutschen Volk die Grund- bzw. Freiheitsrechte. Dabei geht es vor allem um den Begriff der politischen Freiheit. Die Bürger haben das Recht, sich an den politischen Willensbildungsprozess zu beteiligen. Wir haben uns daran gewöhnt und nehmen unser legitimiertes Recht oftmals nicht wahr. Eine Riesendummheit!
Bei der Bundestagswahl 2021 betrug die Wahlbeteiligung lt. Statista.com 76,4 %1, fast 25 % der Wahlberechtigten nahmen ihr verbrieftes Recht nicht wahr.
Für mich bedeutet Freiheit vor allem eines, Reisefreiheit! Ich kann wohnen wo ich will, arbeiten wo ich will und reisen wohin ich will. Dabei ist dies nicht nur auf das Bundesgebiet beschränkt. Es betrifft die ganze Europäische Union und darüber hinaus faktisch die ganze Welt – bis auf wenige Ausnahmen.
Für die heutige Generation eine Selbstverständlichkeit!
Innerhalb Europas existieren keine Grenzkontrollen mehr, jeder kann dahin, wo er gerne hinmöchte! Was für unendliche Möglichkeiten sein Leben selbst zu gestalten, wenn man will! Eine unglaubliche Errungenschaft und in den Zeiten des Eisernen Vorhanges einfach unvorstellbar! Deutschland war geteilt, hier die DDR, der sozialistische Arbeiter- und Bauerstaat und da die böse BRD.
Zum Glück wurde ich auf der „richtigen“ Seite des Zaunes geboren – in der DDR!!
Wie sagte schon Friedrich Schiller:
„Die schönsten Träume von Freiheit werden im Kerker geträumt!“2
Ja, da hat der alte Schiller sicherlich recht, in Diktaturen ist der Wille zur Freiheit am Größten, aber nicht alle würden dem unwidersprochen zustimmen.
Das geht bereits mit der Definition „Kerker“ oder „Gefängnis“ los.
Schon die Frage, ob man in der DDR eingesperrt war oder es sich um ein großes Gefängnis gehandelt hat, löst ganz unterschiedliche Reaktionen aus.
Es ist alles dabei, von Zustimmung, vom betretenen Schweigen über leichtes Kopfnicken bis zum totalen Widerspruch!
„Nein, natürlich nicht“, höre ich den vielstimmigen Chor der DDR-Nostalgiker.
Wie kann es auch anders sein!
Wir hatten doch Arbeit, wir hatten genug zu Essen und zu Trinken und wir hatten ein Dach über den Kopf. Das konnte im Westen auch nicht jeder von sich behaupten. Urlaub machten wir an der Ostsee, falls wir einen FDGB3-Ferienplatz ergattert hatten!
Wir wurden beschützt mit Mauer und Stacheldraht. Freigang gab es auch, mit Zustimmung der Stasi durften einige zu ihren Verwandten in den Westen.
Na ja, also doch wie im Gefängnis oder zumindest fast?!
Die Frage ruft viele Emotionen wach und wenn man genau hinsieht, kann es nur ein Urteil geben – ja die DDR war ein Unrechtsstaat! Es gab für alle Bereiche des Lebens Gesetze, also eine ganz „normale“ Rechtsordnung, aber diese konnten ganz willkürlich durch den politischen Willen der Partei außer Kraft gesetzt werden, ohne dass der Betroffene die Möglichkeit hatte dagegen zu klagen!
Natürlich empfindet es jeder anders, abhängig von seinen Lebensumständen und der inneren Einstellung. Je größer der zeitliche Abstand ist, umso mehr verklärt sich der Blick auf die DDR und ihre „Errungenschaften“.
Nein, es war nicht alles schlecht!
Die DDR als Staat hatte versagt aber nicht seine Menschen!
Der tausendfache Wunsch nach Freiheit hat am 9. Oktober 1989 die friedliche Revolution ausgelöst und führte so zum Untergang des ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaates.
Ich wurde im Nachkriegsjahr 1954 als eines von vier Kindern geboren. In Bad Düben einer Kleinstadt im damaligem Bezirk Leipzig umgeben von der Dübener Heide verbrachten wir eine schöne, glückliche Kindheit. Trotz des damaligen Mangels organisierten unsere Eltern alles, um uns mit dem zu versorgen, was Kinder zum Großwerden so benötigen. Die Hosen und Hemden erbten die jüngeren Geschwister von ihren größeren Brüdern, notfalls wurde eine neue Naht gezogen oder die Socken geflickt.
Der Braten zu Ostern und zu Weihnachten kam aus der eigenen Kaninchenzucht und manchmal gab es auch Schnitzel, wenn Mutti sich früh um sieben beim Fleischer anstellte. Zum Telefonieren ging man zum Postamt. Aus dem Urlaub wurden Karten geschickt, welche manchmal erst nach dem Urlaub ankamen!
Ja, so war das damals und es war gut so!
Auch ich habe ihn gehört, den Ruf der Freiheit.
Nein, ich bin nicht früh aufgestanden und die Marianne4 aus Frankreich stand strahlend vor mir und gefragte: „Na, wie wäre es heute mit uns beiden?“, es war ein längerer Prozess des Verstehens.
Zuerst war es nur ein unbekanntes Bauchgefühl, da muss doch noch etwas sein!
Wenn ich in meinem Gedächtnis krame und das Schubfach „Schulzeit“ öffne, dann weiß ich, dass mich dieses unbekannte Bauchgefühl – der Drang nach Freiheit – seit meiner Jugend begleitete und mich nicht mehr losließ! Mit zunehmendem Alter setzte sich der Wunsch nach Freiheit in mir fest und ich wurde ihn einfach nicht mehr los!
Mein ganzes Leben war erfüllt von diesem Wunsch nach Freiheit und selbst heute noch verspüre ich den Drang in die Welt hinauszugehen, einfach immer der Nase nach, dort wo etwas Neues auf mich wartet!
Aber Freiheit ist nicht nur Selbstzweck, Freiheit bedeutet auch Verantwortung. Der Philosoph Immanuel Kant5 (1724-1804) sagt dazu:
„Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt.“
Aufgewachsen hinter dem Eisernen Vorhang in der ehemaligen DDR ist der Wunsch nach Freiheit eine schwere Hypothek und dem Drang, über seinen Tellerrand hinauszusehen und erst recht hinauszugehen sind enge Grenzen gesetzt. Ich meine dies im wahrsten Sinne des Wortes – Grenzen!! Ich wollte die Grenzen überwinden oder wenigstens verschieben, soweit wie es damals möglich war!
Die Freiheit oder zumindest ihre „kleine Schwester“ trat mir während der Schulzeit zum ersten Mal auf die Zehen.
Im Lehrprogramm der Polytechnischen Oberschulen (POS) steht ab der 5. Klasse das Fach Erdkunde auf dem Programm.
Neben der großartigen Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten, gab es da auch noch viele andere Länder und Kontinente. Es war einfach faszinierend und ich wollte sie alle sehen. Am liebsten natürlich gleich, leider musste ich vorher noch etwas lernen: Geduld, Geduld und nochmals Geduld!
Neben Sport, Zeichnen und Musik wurde Erdkunde eines meiner Lieblingsfächer. Vor allem der Atlas hatte es mir angetan.
Er war mein imaginärer Reisepass in eine andere Dimension. Die ganze Welt breitete sich vor mir aus. Stundenlang konnte ich darin blättern, mit dem Zeigefinger fuhr ich so durch die ganze Welt. Meine Phantasie kannte keine Grenzen und nahm mich mit in die entlegensten Orte.
Was für interessante Namen, was für tolle Länder, ich war hin und weg und konnte es kaum erwarten den Verlockungen der Ferne zu folgen.
Ich war jung und mir war nicht bewusst, dass ich unerfüllbare Träume träumte, welche für fast jeden DDR-Bürger unerreichbar waren. Es war alles so weit entfernt und realitätsfremd, wie eine Reise zum Mond.
Damals, mit 11 Jahren, verstand ich nicht warum dies so ist und nahm es als gegeben hin.
Im Bücherschrank meiner Eltern befand sich, neben unzähligen Romanen und Reisebeschreibungen, auch ein 3-teiliges Buch „Afrika. Traum und Wirklichkeit“6. Die Zeichnungen und schwarz-weiß Fotografien hatten es mir besonders angetan, unzählige Male holte ich die Bücher aus dem Schrank und jedes Mal staunend, sah ich sie mir an!
Schon der Klang des Wortes „Afrika“ versetzte meine Seele in Schwingungen und ein unbekanntes Fernweh erfüllte mich. Ein Gefühl, welches aus meinen Innersten kam. Eine unstillbare Sehnsucht, die ich nicht greifen konnte und mich nicht mehr losließ. Ich fühlte mich wie magisch zu diesem Erdteil hingezogen. Der Bauch kribbelte und der Puls ging nach oben!
Wie bei der ersten, großen Liebe! Am liebsten wäre ich gleich mit dem Fahrrad losgezogen, um diesen rätselhaften Kontinent mit eigenen Augen zu sehen.
Im Frühjahr 1982 näherte ich mich Afrika das erste Mal. Ich war „Assistenzoffizier für elektrische Anlagen“ auf der MS Schwielowsee und auf meiner Jungfernfahrt in Richtung Westafrika. Ich stand auf dem Brückendeck und schaute gebannt Richtung Osten, dort wo sich die Konturen der Küstenlinie Afrikas aus dem Dunst schälten.
Ein unbekannter aber gleichzeitig auch vertrauter Geruch wehte vom Festland herüber. Es roch nach Erde, nach Moder, nach Wärme, nach Leben und auch etwas nach Magie.
Ich war voller Vorfreude, so als ob ich nach langer Zeit nach Hause komme! Mir war, als hätte ich mein Ziel erreicht. Es war ein überwältigendes Gefühl, das ich so nie erwartet hätte und nicht vergessen kann. Vieleicht fühle ich mich dem Kontinent so eng verbunden, weil hier die Wiege der Menschheit stand, von hier aus zogen unsere Vorfahren los, die Erde zu besiedeln.
Ein kleiner Teil meiner DNA kann sich daran noch erinnern und macht sich in mir bemerkbar!
Afrika ist mein Heimwehland, mein Heimwehkontinent.
In der Schule erfährt man aber nicht nur etwas über Länder und Kontinente, sondern auch darüber, dass zwei Drittel der Erde mit Wasser bedeckt ist. Riesige Ozeane, unendliche Wasserflächen verbinden die Landmassen der Erde. Eine schier unerschöpfliche Vielzahl an Lebewesen sind in den Meeren beheimatet, auch das größte Tier der Erde lebt hier- der Blauwal. Mit einer Länge bis zu 30 Metern und einem Gewicht von fast 190 Tonnen, sehen selbst die Dinosaurier ziemlich „alt“ aus!
Die tiefste Stelle der Weltmeere, der Marianengraben, befindet sich im Pazifischen Ozean und ist unbeschreibliche 11.000 Meter tief! Trotz all unserer heutigen Technik sind die Meere weitestgehend unbekannte Areale, weiße Flecken, welche auf ihre Entdeckung warten. Da ist viel Platz für Reisen mit „Käpten Nemo“ ins Unbekannte, für aufregende Abenteuer.
Meine kindliche Phantasie kannte keine Grenzen.
Ich verschlang Bücher über Piraten, Abenteurer, Seeungeheuer und über die Geschichte der Seefahrt und wollte unbedingt auch über alle sieben Weltmeere schippern. Ja, alle sieben sollten es sein, aber die Wirklichkeit stellte sich meiner Phantasie in den Weg und ich musste mit dem auskommen, was mir die Gesellschaft vorschrieb und erlaubte.
Aber ich war voller Ungeduld, die Welt wartete auf mich und ich wollte sie nicht enttäuschen.
Bei der Berufswahl kam deshalb nur etwas in Frage, was mich weit, weit fortbringen sollte, am liebsten bis an das Ende der Welt. Die Auswahl war natürlich nicht sehr groß.
Meine Entscheidung fiel deshalb auf eine Ausbildung als „Vollmatrose in der Hochseefischerei“ und so bewarb ich mich um eine Lehrstelle. Die Bezeichnung „Vollmatrose“ hat nichts mit dem Zustand zu tun, welcher sich nach reichlich Alkoholgenuss einstellt, sondern ein „Vollmatrose“ hat eine vollumfängliche, seemännische Ausbildung absolviert!
Der Einzige in der ganzen Schule, welcher so einen abwegigen Berufswunsch hatte machte mir nicht nur Freunde und viele tippten sich nur einfach an die Stirn. Fische fangen, was soll das denn für ein Beruf sein? Das hielt ich aber ohne Probleme aus!
Ich war voller Hoffnung, dass ich schon bald auf den Planken eines Schiffes stehe und mir die Gischt der See übers Gesicht läuft!
Die Antwort auf meine Bewerbung zog sich wie Kaugummi bis kurz vor Ende der Schulzeit. Immer wieder gab es Rückfragen, neue Anträge und Bestätigungen wurden ausgefüllt. Immer wieder wurden Hoffnungen geweckt und die Zeit des Wartens zog sich in die Länge und strapazierte meine Geduld. Es war eine aufregende Zeit, doch letztendlich wurde ich enttäuscht und bekam eine Absage.
Ich war ziemlich niedergeschlagen, meine Stimmung war auf dem Tiefpunkt. Aber wie es so ist, im Nachhinein kann ich sagen, zum Glück hat es nicht geklappt, sonst wäre mein Leben völlig anders verlaufen als es ist!
Doch damals stand ich vor einem Dilemma, mein größter beruflicher Traum war zerstört und ich wusste nicht, was ich machen sollte. Welcher Beruf ist der Richtige für mich?
In solch einer Situation merkt man erst, wozu Brüder eigentlich da sind. Wir sind vier Brüder und ich bin der Vorletzte in der Reihe. Im Abstand von nur ein bis eineinhalb Jahren erblickten wir zwischen 1951 und 1955 das Licht der Welt. Unser Vater wollte unbedingt eine Tochter haben, doch nach vier Söhnen hat er wohl eingesehen, dass er das Geheimnis nicht mehr lüften kann.
Von meinem Bruder Bernd bekam ich einen super Tipp:
„Rainer, mache doch das Gleiche wie ich“ und das Gleiche war: „Elektromonteur“ im Chemiekombinat Bitterfeld (CKB).
Nicht gerade ein Beruf mit großem „Bewegungsradius“, mir fiel aber auch nichts Besseres ein. So bewarb ich mich um eine Lehrstelle und wurde angenommen.
Der Bus nach Bitterfeld ging in aller Herrgottsfrühe gegen fünf Uhr dreißig, eine Zeit in der sechzehnjährige normalerweise schlafen. Am ersten Tag meiner Lehre bekam ich als Muntermacher meinen ersten Bohnenkaffee vorgesetzt. Ganz schön bitter, aber ich fühlte mich so richtig erwachsen!
Kaffee und ich sind dicke Freunde geworden!
Der letzte Tag der Schule wurde zu einem Schicksalstag für mich. Gleich nach der Übergabe der Schulabschlusszeugnisse, fragte uns der Klassenlehrer, wer Interesse hätte, an der FDJ7-Sommerinitiative „Autobahnbau“ teilzunehmen. Neben einem kleinen Verdienst winken noch jede Menge Spaß und ein bisschen Abenteuerlust.
Natürlich war das auch etwas für mich, schließlich wollten wir endlich raus aus dem Kleinstadtmief und das Leben kennenlernen. Also setzte ich meine Unterschrift in die Teilnehmerliste und die Liebe nahm ihren Lauf!
Das FDJ-Lager war in der Nähe von Großbothen bei Grimma.
Zwei Wochen waren gut 30 Jugendliche „kaserniert“. Wir schliefen in Zelten und zogen morgens los, um Betongrate mit der Spitzhacke, von der halbfertigen Autobahn, zu entfernen.
Eine wirklich „sinnvolle“ Arbeit, welche unseren ganzen körperlichen und geistigen Einsatz forderte und so waren wir am Abend noch voller Energie und suchten Abwechslung.
„Eh, Rainer hast du schon gehört in Großbothen ist Jugendtanz“, informierte mich ein Schulfreund.
Keine Frage genau da wollten wir hin und machten uns gleich am ersten Abend auf. Die kürzeste Strecke ging immer entlang der Schienen, bis uns die Trapo8 erblickte und mit einem Motorrad anrückte. Zum Glück waren wir schneller. Sie wussten zwar, dass die Halbstarken aus dem FDJ-Camp waren, wussten aber nicht wer. Unser Betreuer ordnete deshalb ein Ausgehverbot für alle an. Aber das konnte uns nicht aufhalten und bei der nächsten Gelegenheit machten wir uns wieder auf die Socken. Diesmal etwas vorsichtiger und wir erreichten unentdeckt das Kulturhaus in Großbothen.
Schon von weitem drangen die Klänge der Live-Musik auf die Straße und voller Erwartungen gingen wir hinein.
Da sah ich sie zum ersten Mal. Sie, war meine zukünftige Verlobte und jetzige Ehefrau Regina! Ich war hin und weg und sofort verliebt! So ein hübsches und anmutiges Wesen hüpfte dort mit ihrer Freundin auf der Tanzfläche rum.
Sie musste mein sein.
Wir tanzten den ganzen Abend und verabredeten uns für den nächsten Tag wieder. Es war eine tolle Zeit und am Tag meiner Rückfahrt nach Bad Düben, lud sie mich zu ihrem 17. Geburtstag nach Colditz ein.
Vorher hatte ich noch nie etwas von Colditz gehört aber bei solch einem Mädchen muss dies ja eine tolle Stadt sein.
Von Bad Düben nach Colditz war es damals eine halbe Weltreise. Erst ging es mit dem Bus nach Leipzig und nach zwei Stunden Wartezeit weiter mit dem Zug nach Colditz. Für etwa 80 km musste man mit mindestens drei, manchmal mit vier Stunden Anfahrtszeit rechnen. Aber ich erschien pünktlich mit einem Strauß Blumen, es waren Gerbera, was anderes gab es nicht, für die zukünftige Schwiegermama.
Drei Jahre später heirateten wir, Regina im geborgten Brautkleid und zu großen Schuhen und ich im Jugendweiheanzug. Es war eine schöne und vor allem lustige Feier, der Standesbeamte stotterte und trug seine Worte halb singend vor! Eine gute Voraussetzung für eine glückliche Ehe!
Wir hatten nicht viel aber wir liebten uns und das war das Wichtigste! Noch im gleichen Jahr wurde unser Sohn Jens geboren, voller Stolz schoben wir den Kinderwagen in der Gegend rum. Wir waren noch so jung, dass wir des Öfteren hörten:
„So ist das, wenn Kinder Kinder kriegen“, aber was kümmerte uns das Geschwätz der Alten!
Wir machten das, was wir wollten und für richtig hielten.
Mit Hilfe des Einrichtungsdarlehns von 5000 Mark der Deutschen Notenbank richteten wir unsere erste Wohnung in der Platte ein und waren glücklich.
Aber da war ja noch etwas!!
Der Beruf eines Elektromonteurs war wirklich nicht mein Ding.
Mit meinen Jobs war ich nie zufrieden und ständig auf der Suche nach neuen, interessanten Herausforderungen und so wechselte ich recht häufig die Arbeitsstelle.
Ich machte praktisch fast alle Jobs, die möglich waren: Schichtelektriker, Anlagenfahrer, Werkstattleiter und war auch als Techniker in einer Forschungs- und Entwicklungsabteilung tätig.
Um meine Möglichkeiten zu erweitern, begann ich 1974 ein Fernstudium an der Ingenieurschule für Elektrotechnik „Hanno Günther“ in Velten-Hohenschöpping. Nach 5 Jahren hielt ich meine Urkunde in den Händen, nun lautete meine Berufsbezeichnung „Ingenieur für Automatisierungstechnik“.
Na, das klang schon richtig gut und meine Familie und ich waren mächtig stolz auf meinem Abschluss. Aber auch das reichte mir nicht wirklich und trotz vieler neuer beruflicher Möglichkeiten suchte ich weiter nach meinem alternativlosen Job.
Ich wollte zur See!
Ein aus damaliger Sicht fast aussichtsloser Wunsch, doch wie heißt es so schön: geht nicht, gibt es nicht!
Dann endlich, eines Tages meinte es das Schicksal so richtig gut mit mir. Ich wurde für meine schier endlose Geduld belohnt.
An einem Wochenende blätterte ich in der Leipziger Volkszeitung und eine Stellenanzeige sprang mich förmlich an.
Ich traute meinen Augen nicht und glaubte zu träumen.
Da stand schwarz auf weiß, die Anzeige, auf der ich schon Jahre gewartet hatte!
Gesucht wurden „Offiziere für Elektrische Anlagen“ bei dem VEB9 Deutfracht / Seereederei in Rostock, der Handelsmarine der DDR. Das Beste an der Stellenbeschreibung war, eine der Grundvoraussetzungen für Quereinsteiger, welche man mitbringen musste: neben einer gewissen körperlichen Fitness, den Abschluss eines Studiums als „Ingenieur für Automatisierungstechnik“!
Wow, das hatte gesessen und brannte sich in mir fest!
Das war genau mein Ding, darauf hatte ich mein ganzes Leben gewartet! Allein die Vorstellung auf einem Schiff die Weltmeere zu bereisen, ließ mich tagelang nicht schlafen.
Aber ein anderes Thema machte mir richtig Kopfzerbrechen, wie bringe ich es meiner Familie bei.
Zuerst mussten meine Ambitionen mit meiner Frau ausdiskutiert werden. Ein schwieriges Unterfangen.
Tagelang hatten wir nur das eine Thema, warum will ich zur See und wird dies unsere Ehe aushalten? Regina war nicht gerade begeistert bei der Aussicht, wochenlang auf ihren Mann zu warten. Aber letztendlich konnte ich sie überzeugen. Ich wollte mich ja nicht von meiner Familie trennen, sondern endlich den Beruf ausüben, der mir ins „Stammbuch“ geschrieben war!
Anfang 1980 bewarb ich mich um die Stelle als „Offizier für Elektrische Anlagen“.
Bei solch einem Beruf, der ins „nichtsozialistische Ausland“ führte, wurde der Bewerber natürlich von allen Seiten beleuchtet und durchleuchtet. Jeder durfte seinen Senf dazugeben, angefangen vom damaligen Arbeitgeber, vom Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei des Ortes und natürlich von der Staatssicherheit. Selbst die Bewohner unserer Platte wurden befragt.
Eine erste Bewerbung wurde nach langer Überprüfung durch die Behörden abgewiesen. Ich hatte diese Möglichkeit zwar einkalkuliert aber als Berufsoptimist immer gehofft, es wird schon klappen!
Als ich die Ablehnung in den Händen hielt, hat es mich doch ganz schön getroffen. Kleinbeigeben lag mir jedoch überhaupt nicht.
„Nun erst recht!“, sagte ich mir.
In der DDR wusste jeder, mit einem Parteibuch der SED lassen sich so manche fest verschlossenen Türen öffnen. Sollte auch ich diesen Weg wählen?
Mein Wille zur See zu fahren, war größer als meine Bedenken und um meine Chancen zu erhöhen, trat ich der allein selig machenden Partei bei.
Die Entscheidung bereitete mir einige Bauchschmerzen, da die SED10 nicht gerade meine politische Heimat war, jeder versuchte sich so gut es ging, um eine Mitgliedschaft zu drücken! Manchmal war dies jedoch notwendig um ans Ziel zu kommen, da muss man auch „mit den Wölfen heulen“.
Schon während meines Studiums wäre ich wegen dem Fach „Marxismus-Leninismus“ fast exmatrikuliert worden. In der mündlichen Prüfung sollte ich beschreiben, welche Vorteile die kommunistische Gesellschaftsform hat.
Was fällt einem dazu ein, genau nichts bzw. fast nichts. Mir ging es genauso und stammelte etwas vor mir hin.
Der Lehrer war sehr human und gab mir noch eine Vier, aber nur weil ich in den anderen Fächern immer gute Noten ablieferte.
Ich schluckte also die „Kröte“, da ich wusste, dass meine Mitgliedschaft in der SED nur einem Ziel diente, ich wollte endlich zur See fahren.
Was blieb mir weiter übrig?
Die Aussicht auf einen Job bei der DSR11 war ein zu verlockendes Angebot. Also, Augen zu und durch, letztendlich konnte ich so einen lang gehegten Traum verwirklichen.
Ein zweiter Anlauf bei der DSR zeigte Erfolg.
Ich wurde als „linientreu“ eingestuft und endlich angenommen.
Was für eine Berufsbezeichnung „Offizier für Elektrische Anlagen“!
Das klang „wie Musik in meinen Ohren“!
Diesen Job gab es nur auf den Schiffen der DSR.
Der Grund ist ganz einfach, die Schiffe waren weltweit unterwegs und im Falle einer Havarie sollten keine Devisen für Reparaturen ausgegeben werden, da ja eigene Ingenieure und Techniker zur Verfügung standen.
Im Februar 1982 war es dann endlich soweit!
Nach ein paar väterlichen Ratschlägen, drückte ich meinen Sohn fest, gab meiner Frau einen längeren Abschiedskuss und fuhr mit der Deutschen Reichsbahn von Leipzig nach Rostock.
Treffpunkt der zukünftigen Seefahrer, war das „Haus Sonne“.
In Rostock wurden wir „Landratten“ erst einmal für drei Wochen auf die Seefahrt vorbereitet. Die Unterbringung erfolgte in einem Plattenbau in Lütten-Klein am Rande von Rostock.
In dieser Zeit erfolgte eine Ausbildung als Rettungsbootsmann, als Feuerschutzmann und als Hebezeug-Führer!
Links und rechts waren passé, von nun an hieß es: Backbord und Steuerbord!
Ich war dem Flottenbereich 2 zugeteilt, die Schiffe befuhren das Mittelmeer und alle Gewässer rund um Afrika.
Aha, da ist es wieder, eines meiner Lieblingsworte … Afrika, genau da, wo ich hinwollte.
Im März ging es dann zunächst einmal in die Werft.
Mein erstes Schiff, die MS Schwielowsee, lag im Trockendock in Wismar. Ich wurde einem erfahrenen E-Ingenieur zugeteilt, um meinen fachlichen Horizont zu erweitern. Ich lernte viel und wir redeten noch mehr, ein echter Norddeutscher mit dem man über alles quatschen konnte.
Er hatte auch viele gute Ratschläge für mich, ich sollte doch nicht gleich bei meiner ersten Fahrt in Hamburg absteigen!
Auf Ideen kommt so ein alter Seemann!?!?
Daran hatte ich noch nie gedacht und für mich war es damals vollkommen unvorstellbar! Ich wollte nirgendwo absteigen, ich wollte einfach nur zur See fahren und meiner Familie ein gutes Leben ermöglichen. Die Heuer betrug fast das Doppelte, was man an Land verdienen konnte! Außerdem wurden erst vier DM an Devisen pro Seetag gezahlt, später waren es sechs DM.
Nach zwei Wochen kam die MS Schwielowsee aus der Werft und für die erste Reise erhielt ich einen Heuerschein als „Assistenzoffizier für elektrische Anlagen“. Das war praktisch wie eine Probezeit, es wurde geprüft, ob man fachlich und mental in der Lage ist, seinen Job auf einem Schiff zu machen.
Bevor es losging, fuhr ich nochmals nach Colditz, um für eine längere Zeit Abschied zunehmen.
Endlich war es dann soweit, der Zoll und die Passkontrolle waren von Bord und hatten das Schiff freigegeben. Der E-Ingenieur und sein Assistent, also ich, mussten in den Maschinen-Kontrollraum, um den Wellengenerator ans Bordnetz zu nehmen. Der Hauptmotor wurde angeschmissen und das Schiff vibrierte unter meinen Füßen. Wir nahmen Fahrt auf, es ging los in Richtung Westafrika und weiter ums Kap der guten Hoffnung bis nach Mosambik. Die MS Schwielowsee war ein Stückgutfrachter vom Typ Poseidon und hatte eine Gesamtlänge von 120 Meter. Wir konnten fast alles laden: Schüttgut, Container, Autos, Stahl und einmal hatten wir für die PLO12 auch eine Haubitze samt Munition an Bord. Diese wurde bei einer Nacht- und Nebelaktion vor der Küste des Libanon von einem anderen Frachter übernommen.
Es folgten noch viele weitere Reisen und insgesamt blieb ich der Seefahrt fünf Jahre treu. Es war eine tolle ereignisreiche Zeit, welche ich nicht missen möchte.
Auf der MS Schwielowsee sah ich zum ersten Mal einen hauptamtlichen Politoffizier.
Was es alles so gibt!
Er war Stellvertreter des Kapitäns für die politische Arbeit und für die politisch-ideologische Betreuung der Seeleute zuständig. Bewohnte einer der größten Kammern auf dem Schiff, mindestens so groß wie die vom Kapitän und war auch als Parteisekretär tätig.
Ich fragte mich, was so ein Mensch den ganzen Tag auf dem Schiff macht. Nach drei Wochen wusste ich es, er organisierte das gesellschaftliche
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