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Freud wartet auf das Wort E-Book

Georges-Arthur Goldschmidt

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Beschreibung

Als Fortsetzung seiner berühmt gewordenen Studie »Als Freud das Meer sah«, die mehrere Auflagen erlebt und dem Autor zahlreiche renommierte Preise eingetragen hat (zuletzt: Joseph-Breitbach Preis 2005), setzt Goldschmidt seine Analyse der deutschen Sprache vor dem Hintergrund der Psychoanalyse fort. Orientierte sich Freud an der grammatikalischen Struktur der deutschen Sprache, die die eigentliche Information immer an den Schluss der Sätze stellt, ganz im Gegensatz zum Französischen, wo Subjekt und Verb am Anfang eines Satzes die Aussage bestimmen? Eine Sprache entfernt sich nicht von ihrem Gebrauch. Freud hat seine Methode am Vorabend der aufziehenden Nazi-Barbarei entwickelt, eine Barbarei, die alles daran gesetzt hat, wie die Geschichte zeigt, zuallererst die Sprache zu beschmutzen und zu zerstören. Goldschmidt geht diesem Phänomen nach und analysiert das Einhergehen von Sprachreinigung und Sprachzerstörung. Er sieht in der deutschen Sprache die 'Grundsprache', die von keiner anderen Sprache massgeblich beeinflusst worden ist, die durchsichtig davon spricht, was dem Benutzer in dringlicher Wirklichkeit vor Augen steht. Die beiden Sprachen, Französisch und Deutsch, werden per definitionem einander so gegenüber gestellt: das Deutsche ist urwüchsig, dinghaft, kindlich-obszön, das Französische durch luzide Rationalität geprägt, theoriegeeignet, geschmeidig, erwachsen.

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Georges-Arthur Goldschmidt

Freud wartet auf das Wort

Freud und die deutsche Sprache II

Übersetzt von Brigitte Große

FISCHER E-Books

Inhalt

WidmungMottoVorbemerkung zur deutschen AusgabeI Ohne das Wissen von BabelII Am Waldrand oder Soll man Freud übersetzen?III Drunter und drüberIV Freud wartet auf das Wort oder Der VerzögerungseffektV Eine Sprache in ZeitlupeVI Aus-Sichten einer SpracheVII Ein SprachzwangVIII Das Feld der WörterIX Der Klang der WörterX Apocalypse nowAnhangAm WaldrandLiteratur

Für Nicole und Patrice Loraux, in tiefer Freundschaft

»Der gleiche Sinn verändert sich mit den Worten, die ihn ausdrücken.«

Blaise Pascal[1]

 

»Ich beschreibe nur die Sprache und erkläre nichts.«

Ludwig Wittgenstein[2]

Vorbemerkung zur deutschen Ausgabe

Dieses Buch, genau vor zehn Jahren in seiner französischen Niederschrift erschienen, war ein Versuch, Freud durch seinen Gebrauch der deutschen Sprache zu verstehen, einer Sprache, wie sie in Frankreich doch kaum gelesen werden kann. Durch die Übertragung wird der Text ein vollkommen anderer, wobei der Inhalt derselbe bleibt, er aber die Farbe gewechselt hat, ein rot angestrichenes Gebäude wird auf einmal hellblau. Es ist sozusagen derselbe Mensch mit einem anderen Gesicht. Was haben uns die Sprachen zu sagen, da, wo die Übersetzung nicht ganz ankommt und von der Ausgangssprache nichts wiedergibt? Vielleicht drücken die Sprachen das Wesentliche gerade dort aus, wo sie der anderen Sprache nur ihre Stummheit entgegenzuhalten haben, denn die Sprachfelder decken sich nur teilweise, und das Aufregende und Deutlichste geschieht fast immer dort, wo die Zielsprache leer ausgeht. Allein der Sinn bleibt erhalten, man versteht, sieht aber nicht, es ist, als sollte Glasgow für Lissabon gehalten werden.

Freud schrieb deutsch, und zwar ein besonders klares, schönes Deutsch. Übersetzt wirkt er meist gestelzt und kompliziert, aber trotz der manchmal auffallenden Verschiebungen versteht man ihn durch das Französische genau wie im Deutschen. Die Übersetzung hat in nichts den Sinn der Psychoanalyse entstellt, und doch sieht der Text vollkommen anders aus, klingt anders, wird in einem anderen Kontext anders aufgenommen. Deshalb stellt sich die Frage: Wie ist dasselbe anders, wie funktioniert es in seiner Andersartigkeit? Und so galt es, dem französischen Leser zu zeigen, wie das Deutsche überhaupt, jedenfalls das Deutsche, wie es zur Zeit Freuds von »Akademikern« geschrieben wurde, funktioniert, vor allem im Hinblick darauf, daß Freuds Denken parallel zum Aufkommen des Nazismus verlief und sich entwickelte. Freud hat, ohne es entsprechend zu formulieren, wie ein Jahrhundert zuvor Heinrich Heine, die Katastrophe des 20. Jahrhunderts herannahen sehen. Sein ganzes Werk war vielleicht eine Warnung, die zu spät kam, angesichts der nicht wiedergutzumachenden Zerstörung Europas durch den Nazismus.

Die eigentliche Frage in diesem Buch lautet: Wie sieht das Deutsche auf französisch aus? Eine Frage, die in weiteren Arbeiten, z.B. für die inzwischen eingestellte Zeitschrift Nouvelle Revue de psychanalyse oder in l’Inactuel und anderen ähnlichen Veröffentlichungen, noch näher untersucht worden ist. An ein paar wenigen Stellen wurde der Text vom Verfasser für die deutsche Erstausgabe leicht abgeändert. Sein besonderer Dank gilt der Übersetzerin Brigitte Große.

 

Georges-Arthur Goldschmidt

IOhne das Wissen von Babel

Was den Sprachen fehlt, passiert zwischen ihnen. Daß alles auch anders gesagt werden kann, »rettet« sie. Der Ursprung der Sprachen ist ihr Ungenügen, ihre Unzulänglichkeit angesichts des Gemeinten. Die Sprache setzt Zeichen, sonst wüßte man gar nicht, daß es etwas zu wissen gibt, denn was sie zeigt, zeigt sich nur durch sie, und nur sie sagt uns auch, daß sie es verfehlt: Das Unzulängliche der Sprache kennen wir nur durch sie. Wer spricht, überdauert das, was er sagt, und will es immer wieder sagen; keine Sprache sagt etwas über den Sprecher aus; deshalb ist sie Sprache.

Ich, der die Sprache spricht, bleibe hinter der Sprache, dafür ist sie da.

Die Sprache besteht nicht aus denen, die sie sprechen, und kann ohne sie doch nicht existieren; das macht die Sprache aus: Sie ist nicht, sie ist nirgendwo, aber jeder spricht sie; jeder versteht sie, doch so genau weiß keiner, was der andere versteht und wie er es versteht. Um es zu sagen und sich Gehör zu verschaffen, benutzt man die Sprache; man benutzt sie, ist sie aber nicht. Was durch die Sprachen dringt, ist ihr Sinn, ist das, was ich sagen möchte. Jede Sprache enthüllt die Existenz einer anderen. Von Anfang an ist mir klar, daß ich mich hätte anders ausdrücken können, daß ich weitersprechen und es anders sagen werde: Wenn ich will, kann ich mehrere Sprachen sprechen, und ich bin es, der sie beherrscht, ich bleibe in ihrer Verschiedenheit derselbe, ich hätte auch »in« einer anderen Sprache geboren werden können; mein Einssein ist geradezu der Beweis für die Vielheit der Sprachen.

Ich weiß, daß ich sprechen kann, und dieses Sprechenkönnen vor dem Sagen, dieses »noch nicht« ist es, was letztlich die Sprachen »zeugt«. Das Durchdringen des Sinns macht die Sprachen wiedererkennbar.

»Es ist eine der treflichsten Uebungen für den Geist, wenn er das oft in einer Sprache Gedachte wieder in einer anderen vortragen muss. Der Gedanke wird dadurch unabhängiger von einer bestimmten Art des Ausdrucks, sein wahrer innerer Gehalt tritt deutlicher hervor, Tiefe und Klarheit, Stärke und Leichtigkeit begegnen einander harmonischer«, schreibt Wilhelm von Humboldt.«[3]

In der Tat fängt alles mit der Übersetzung an, mit dem, was sich von Sprache zu Sprache fortstiehlt, was sie alle durchdringt und von keiner erfaßt wird. Seit jeher übersetzt der Mensch, er setzt zuerst sein eigenes Wort (parole) in Worte (mots), und von Anfang an geht es schief. Das Deutsche hat nur ein einziges Wort für das Wort, wo das Französische zwei hat, um zweierlei zu sagen; »Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort«, übersetzt Martin Luther (Johannes I, 1); Louis Segond übersetzt: »Au commencement était la parole et la parole était avec Dieu et la parole était Dieu.«[4]

Welchen Sinn hat es für das Deutsche, mot (Wort) mit parole (Wort) zu »verwechseln« und aus dem Sprechen (parler) die Sprache (la langue) zu machen? »Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache« (Moses I, 11, 1), dagegen wieder Louis Segond: »Toute la terre avait une seule langue et les mêmes mots« (Genesis 11, 1).

Die Aussage (le dire, la parole – das Wort) ist wie eine Hülle des Worts (mot), als bliebe der Sinn im Wort gefangen, da doch das Deutsche eins vom anderen nicht unterscheidet: »Gott war das Wort«, sagt das Deutsche, »la parole était Dieu«, das Französische, das Wort war Gott, also das, was im Wort (mot) »spricht«: Der Sinn entwischt den Wörtern (mots) von Anfang an, das Wort (la parole) verflüchtigt sich. Was die eine Sprache sagt, wird von der anderen umgedreht: »Gott war das Wort« – »la parole était Dieu«; es ist dasselbe, nur andersrum, als bildeten die einander gegenüberstehenden grammatischen Rahmen dasselbe ab.

 

Vielleicht ist die durch die konstante grammatische Umkehrung von Anfang an spiegelbildliche Übersetzung ein Ausdruck für die Struktur beider Sprachen: dieselbe »Passage« (parole) in unterschiedlicher Richtung, in dem oder jenem »Sinn«.

Auf französisch könnte man auch sagen: »Au commencement était le Verbe« – schon wieder das Wort, in diesem Falle das göttliche Wort, in dem die Konjugation durch alle Zeiten mitklingt.

Da also »verwirrt« es sich gleich zu Beginn: Drei Wörter (parole, mot, verbe) werden zu einem einzigen Wort, und doch wird jedesmal derselbe »Sinn« übertragen. Das Wort (la parole) jedoch entwischt ihm – »der fehlende Teil«.

Der fehlende Teil – das zieht sich durch alle Sprachen, das sind die Sprachen selbst; so belegen sie sich gegenseitig und beweisen die Notwendigkeit der Übersetzung, die ihnen allen zugrunde liegt. »Es hatte aber die Welt einerlei Zunge und Sprache« – eine Sprache, ein »Sprechen«.

Wenn das Deutsche für le mot und la parole nur ein und dasselbe Wort hat, hat es dafür für la langue zwei: das alte, heute fast in Vergessenheit geratene Wort die Zunge ist wie im Französischen sowohl das sprachbildende Organ als auch das Gesprochene selbst, die Sprache, die vom Wort sprechen kommt. Das Sprechen, für das es im Französischen ein eigenes Wort, le langage, gibt, wird im Deutschen wiederum zur Sprache.

Nun spricht die Sprache gerade durch diese Lücken, diese Mängel; in ihr ist ein Rest, der sie ist, den sie aber nicht ausdrücken kann (der Rest, von dem Molière spricht), wo sie (im Kopf des Übersetzers) ins Stottern gerät und ratlos dasteht mit offenem Mund, da ist sie baff.

Den Ursprung der Sprache (des Sprechens – langage also) kann jeder jederzeit in sich selbst erleben, wenn er sprechen will und ihm die Worte fehlen (la parole). Molière, der Linguist unter den Linguisten[5], zeigt das mit bestürzender Kraft, indem er George Dandin in seinem sprachlichen Ausdruck aufs äußerste beschränkt: »Ich weiß, was ich weiß.«

Die Sprache (la langue) des Menschen erwächst aus dem Nicht-sprechen-Können. Auch in Molières Amphitryon wird die Hauptfigur, Sosie, seiner Äußerungsmöglichkeiten so weit beraubt, daß er fast erstickt und nur noch mit den Händen wedeln kann, aller Zeichen ledig, durch die er für sich und andere wiedererkennbar wäre. So ist Sosie auf die unaussprechliche Gewißheit seiner selbst reduziert, auf seine unbeweisbare Identität, in der die Sprache (le langage) ihren Ursprung hat. Sicher gibt es phylogenetische und »historische« Anfänge der Sprache, aber es gibt auch deren ewigen Neubeginn in jedem, der spricht und sich durch seine Worte nicht verständlich machen kann, der seine Identität nicht nachweisen kann, weil nichts sie beweist: In diesem Abgrund gründet das Sprechen.

In Molières Amphitryon setzt sich Merkur, der über Jupiters Abenteuer mit Amphitryons Frau wacht, an die Stelle Sosies, bemächtigt sich seiner physischen Erscheinung ebenso wie seiner vergangenen und gegenwärtigen Taten und Gesten. Sosie wird aller Erkennungszeichen, auch seines Sprechens, beraubt und ist doch mehr als jeder andere im Herzen der Sprache (langage). Der einzige Beweis, daß er er ist, ist die Unmöglichkeit, sich selbst zu beweisen: Jedesmal, wenn er ein Zeichen seiner selbst hervorbringt, wird es ihm gleich von Merkur entzogen.

Je weniger Sosie seine Identität äußern kann, desto sicherer ist er sich ihrer. Und das Bedürfnis, sich zu äußern, wird desto stärker, je mehr die Sprache (le langage) sich ihm entzieht: Hier ist der eigentliche Ursprung, der »Sinn«, die »Aussage« der Sprache. Die Sprache nährt sich aus dem Scheitern des Sprechens. Es geht ihr voraus. Es bringt sie zum Reden.

Letztendlich kommt alles von diesem Sprechen (langage), das den Sprachen (langues) vorausgeht, die anfangs nichts anderes sind. »Wohlauf, lasset uns herniederfahren und ihre Sprache daselbst verwirren, daß keiner des anderen Sprache verstehe. Also zerstreute der Herr sie von dort in alle Länder«, heißt es in Luthers Übersetzung der Genesis (11, 7). »Allons! Descendons et confondons leurs langages afin qu’ils n’entendent plus la langue les uns des autres et l’Éternel les dispersa loin de là sur la face de toute la terre«, übersetzt Segond.

»Confondre« heißt es da, vermischen, während Luther schreibt: verwirren (brouiller). Es gibt eine Sprache (le langage) vor Babel, doch keine Sprachen (les langues); vermischen, verwirren, die Sprache, die Sprachen: Das Französische unterscheidet hier, anders als das Deutsche, zwischen der Sprache (le langage), dem Sprechen also, das allen Sprachen gemein ist, und der Sprache (la langue), die sich von allen anderen unterscheidet; auch wenn die Sprachen in alle Länder zerstreut sind, sind sie doch alle aus dem gleichen Stoff: dem Sprechen, jemand spricht sie (oder hat sie gesprochen), und es zählt nicht zu den geringsten Merkwürdigkeiten, daß man mehrere Sprachen sprechen kann – dasselbe im Ursprung des Verschiedenen. Ohne Menschen keine Sprache (langue), sie besteht nur aus dem, was ich verstehe. Sie spricht nachträglich aus, was ich bereits verstanden habe. Ihre Formulierung sagt nichts, was nicht in mir wäre; ich bin der einzige, der versteht, was sie sagt, und was ich verstehe, kann ich nur zeigen, indem ich es sage.

Auf der Schneide der Sprache entsteht – in mir – das Verstehen: Ich bin dem, was ich sage, voraus; körperlich bin ich vorher da und werde auch nachher noch dasein; Sprache ist das Vorhergehende und das Folgende. Das zeigt uns der deutsche Nebensatz, den man erst versteht, wenn er zu Ende ist, wie wir später noch sehen werden. Ursprünglich stammt diese Konstruktion aus dem Lateinischen, das Deutsche hat sie nur gefestigt und ausgebaut.

Das Französische kommt so schnell wie möglich zum Verb, der Sinn bleibt nicht in der Schwebe, das Wesentliche wird sofort gesagt, das Nebensächliche folgt: Substanz vor Akzidens; im Deutschen dagegen entfaltet sich das Wesentliche nach und nach aus den Einzelteilen, bis das konjugierte Verb am Ende des Satzes dessen Sinn ergibt und ihn in sich abschließt.

Was von diesem schrittweisen Auftreten hängenbleibt, zeigt sich ausschließlich in mir: Der Satz existiert nicht durch sich selbst und hat für den, der die Sprache nicht spricht, weder Hand noch Fuß (ni queue ni tête, sagt das Französische, weder Schwanz noch Kopf). Der Pfeil seines Sinns durchdringt mich, und dieses »kurz davor«, wenn die Bedeutung noch offen ist, ist die Sprache selbst.

Hierin liegt die Einheit der Sprachen, in dem Moment, wo das Sprechen »auf dem Sprung« ist. Dies mag auch der »Mythos« vom Turm zu Babel ausdrücken: Die Sprachen sind ein fragmentiertes Selbes, und ihre Vielfalt ist nur der Beweis ihrer Einmaligkeit: Das anders Gesagte ist die Hoffnung des Sagens. Die Verschiedenheit der Sprachen offenbart, daß das Wort (la parole) stets unerschöpflich zwischen ihnen schwebt.

Max Picard, Autor eines Buches, das in der Erhellung des Nazismus vielleicht am weitesten geht[6] (übrigens gehört er zu den Autoren, bei denen sich Heidegger gern bedient, ohne die Quelle zu nennen), schreibt in Die Welt des Schweigens (das Deutsche macht hier, wie so oft, aus dem Infinitiv einen Gattungsnamen): »In dem Moment, bevor der Mensch spricht, schwebt das Wort (la parole) noch über dem Schweigen, dem es eben entstiegen ist, und treibt zwischen dem Schweigen und dem Wort (le mot). Es ist noch im Ungewissen, wohin es sich wenden soll.«

Vergeblich suche ich nach der passenden Sprache, ich bleibe für immer die Distanz, die mich von ihr trennt: Sprachen gibt es nur aufgrund ihres unangemessenen Gebrauchs. Das Wort liegt einem gern auf der Zunge. Die Sprachen bringen Babel zum Sprechen; und was wird durch sie »verworren«? Sprache gibt es nur, weil es auch andere gibt – das ist die Bedeutung von Babel; es gab nur ein Wort (la parole), bevor es die Sprachen gab, vor Babel wurde nicht gesprochen; es gab das Wort (la parole), aber keine Wörter (mots), um es zu sagen. Babel ist eine fortlaufende punktierte Linie, das Sprechenkönnen vor dem Sprechen, deshalb betrachtete Wilhelm von Humboldt »das Wort als das eigenste des Daseins«.[7]

Alle Sprachen sind Sprachen, und alle haben miteinander gemein, daß man sie sofort als solche erkennt: »In welcher Sprache redet der denn?« fragt das Kind. Jede Sprache ist übersetzbar, das ist ihr Wesen: die Übersetzbarkeit. Jede Sprache definiert sich als verständlich: In ihr wird etwas gesagt, das ich verstehen könnte, wenn ich diese Sprache beherrschte; das Verständliche ist die Sprache selbst. Aber auch jenes Selbe, das anders von Sprache zu Sprache geht. Ohne Worte, ohne Grammatik, ohne Akzente und ohne den Klang ist es jene Grundsprache, von welcher der Klient, den Freud nie hatte, der gute Daniel-Paul Schreber, ganz anders spricht, jener »Sprachgrund«, den es nicht gibt und den man doch in jeder Sprache und durch alle Sprachen hindurch versteht, weil er jeder eignet.

Sieht man in der Metro jemanden eine bulgarische Zeitung lesen, fragt man sich zuallererst: »Was mag das bedeuten?« Man erkennt jede Sprache auf Anhieb als solche, das heißt, daß sie etwas »bedeutet«, daß sie »etwas meint«, das ich auch verstehen könnte, wenn ich sie kennte. Dieses mögliche Verstehenkönnen aller Sprachen, das keine von ihnen enthält, weil es allein dem »Sprecher« eignet, ist der Sprachgrund, der allen Sprachen »gemein« ist. Die Gemeinsamkeit der Sprachen ist das »Menschliche« dessen, der sie spricht.

Das Menschliche aber, das heißt, was den Menschen als solchen ausmacht, ist, daß er mehrere Sprachen sprechen kann bzw. können könnte: Im Deutschen ist das Sprechen ein Können: Ich kann Deutsch, im Französischen ein Wissen: Je sais l’allemand – ich weiß das Deutsche; dem Deutschen scheint das Können wichtiger zu sein als das Wissen.

Das »Sprachliche«, das allen Sprachen innewohnt, ist dieses Wissen, das sie nicht festhalten: Sprache ist aus dem gemacht, was von Sprache zu Sprache geht. Jede Sprache offenbart sich mir als »Spanne« zwischen ihr und dem Sinn. Sie sagt stets, was sie ist, nämlich künftig: Ich werde noch sprechen, meine künftige Rede bleibt noch zu sagen, und ich bin es, der sie sagen wird. Ich bin der, der der Sprache Sein verleiht; es ist dieses »noch nicht«, das ich in mir trage.

Schon erstaunlich übrigens, daß ich weiß, was das heißt, daß ich den Sinn dessen verstehe, was ich sagen höre.

Woher kommt es eigentlich, daß ich weiß, was das heißt, daß ich den Sinn in der anderen Sprache erkenne, woher diese Kongruenz der Sprachen, die ich, der Sprecher, als einziger einordnen kann? Das ist das Sprachliche, die Erkenntnis des Sinns, die jeder Übersetzung vorausgeht.

Vor-Babel ist das Vorher, vor dem Sprechen, vor jeder Äußerung in der einen oder anderen Sprache, jener unfaßbare, nichtexistente Moment, in dem das, was gesagt werden wird, unaufhaltsam ins Sagen kippt; nun ist dieser Moment der eigentlich sprachliche des Sprechens, wird aber eben darum von den aus ihm hervorstürzenden Worten überrollt, weggefegt, ausgelöscht: Der Satz ist das, was von dem, was ich sagen wollte, übrigbleibt.

Die letzte, höchste, absolute Sprache, von der zum Beispiel Walter Benjamin träumte[8], gibt es nicht, es kann sie nicht geben, weil sie als solche dem Wesen des Sprachlichen widerspräche, denn es ist den Sprachen eigen, den Platz des Sprechenden auszusparen.

Der Sinn einer Sprache liegt eigentlich in ihrer »Unvollkommenheit«; sie ist immer so, daß sie nicht paßt, daß sie den Sprechenden entwischen läßt, und er »entwischt« durch das, was er versteht. Was er versteht, ist jedoch nicht in den Worten, Worte sind nur Geräusch oder Gekritzel auf weißem Papier, sie enthalten nicht, was sie sagen, ihr Sinn bin ich, sind wir, ist jedes Ich, das ihn zur Sprache bringt. Worte sind nur die Brücke zwischen den je individuellen Weisen des »Verstehens«.

Die Entdeckung der Psychoanalyse und besonders der Arbeit Freuds war, daß jede Sprache nur eine entstellte, das heißt verschobene und »abgelenkte« Grundsprache ist. Die Grundsprache hat kein Vokabular, keine Grammatik, keine Worte und keine Existenz, aber alle Sprachen sprechen von ihr. Die Grundsprache ist das, was eine Sprache zur Sprache macht: ihre symbolische Verständlichkeit. Eine Sprache spricht von dem Unvermittelbaren in ihr, aus dem sie hervorgeht und das ohne sie nie zum Ausdruck käme: Im Grunde spricht sie von dem, was sie nicht sagt und was sie, indem sie davon spricht, verhindert.

Was der Sprache Existenz verleiht, ist ihr Ursprung im Sprechenden, doch »die innere Erfahrung findet in sich nirgends ein genau angemessenes Sprechen«, wie Bergson sagt.[9]

Von dieser »inneren Erfahrung« spricht die Sprache, wird ihr aber nie ganz gerecht; immer bleibt dieser »Rest«, der ich bin und der sich weder davor noch danach durch das Sprechen auf einen Ausdruck reduzieren läßt. Ein paar Zeilen später fügt Bergson hinzu: »Es bedarf einer regelrechten Aufräumarbeit, um die Wege zur inneren Erfahrung freizumachen.« Ob er hier an die seiner eigenen so ähnliche Arbeit Freuds gedacht hat? Bei Freud wird diese Aufräumarbeit nicht in gleicher Weise sichtbar (und genau das ist ein Merkmal der deutschen Sprache): Freud ist viel enger »in Fühlung« mit der Sprache, offener und direkter als Bergson, dessen Text rätselhafter, verschwiegener, gleitender bleibt. Das sieht man schon an der Unübersetzbarkeit des Titels »La Pensée et le mouvant«; besonders le mouvant (mouvant: sich ständig wandelnd, bewegend, wogend, unruhig flatternd): Die einzig verfügbaren deutschen Wörter, die uns übrigens wieder die Anschaulichkeit des Deutschen vor Augen führen, flüssig (fluide) und beweglich (mobile), sind auch nicht annähernd in der Lage, die Bedeutung von le mouvant wiederzugeben, das beide Wörter mit ihrem gesamten Klangspektrum einschließt.

Freuds Aufräumarbeit hat den Überbau über den Fundamenten freigelegt, die sich nur durch ihn zeigen, das heißt, durch die Sprache, wie sie sich dem, der sie spricht, darstellt. So traten die »Bildungen« (früher hätte man »Strukturen« gesagt) zutage, auf denen die Sprache aufbaut, doch im weggeräumten Schutt findet man überall noch deren Wege und Spuren. Das Aufräumen zeigt sich nur am Schutt. Was man sagen will, ist in das Gesagte eingeschlossen. Man entgeht der Sprache nicht, die man spricht, der Muttersprache (langue maternelle), wie das Deutsche hier sagt, genausogut könnte es auch Mutter Sprache (langue-mère) sagen. Was die Sprachen durchzieht, ist jene Grundsprache, die Daniel-Paul Schreber so gut durch alles sprechen hört, was sie nicht sagt.[10] Es ist, als ob die Sprache in sich hineinstürzte – im französischen s’effondrer hört man den Grund (fond), den sie dabei berührt, im deutschen zusammenbrechen oder auseinanderfallen nicht. Egal, ob die Sprache in sich zusammenfällt oder in Stücke bricht, man sieht den Grund nicht, den man vergeblich zu ergründen (explorer) sucht, ein Wort, das man im Französischen eigentlich mit approfondir übersetzen müßte, weil es auf demselben Grund gründet. Approfondir deckt teilweise das Feld von ergründen ab; über den Grund (fond) sind beide Sprachen sich hier einig, als ließe sich das Wesentliche ganz problemlos übersetzen; doch approfondir bedeutet eher vertiefen, graben, bohren, tiefer machen, faire plus profond, wobei profond wiederum nichts mit fond zu tun hat, dem französischen Wort für den deutschen Grund. Man wird nie damit fertig, weil man zu gut damit fertig wird.

Bestätigt das womöglich Ferenczis These von der obszönen Grundlegung (fondement!) der Sprache? Ferenczi schreibt: »Dem obszönen Wort wohnt eine eigentümliche Macht inne, die den Hörer gleichsam dazu zwingt, sich den darin benannten Gegenstand, das geschlechtliche Organ oder die geschlechtliche Tätigkeit in dinglicher Wirklichkeit vorzustellen.«[11]

Die dingliche Wirklichkeit, die Ferenczi selbst hervorhebt, ist im Deutschen anscheinend stärker ausgeprägt als im Französischen, viel unmittelbarer abzubilden mit allem, was sie umgibt, ohne deshalb »zugänglicher« zu sein. Welche Wege halten die Sprachen für das bereit, von dem es sich nicht zu sprechen ziemt? Wie organisieren sich die Sprachen um das, wovon man nicht sprechen darf, das aber überall gleichermaßen präsent ist? Wie drückt sich das Deutsche, wie das Französische aus, und drücken sie beide dasselbe aus?

Der Weg, den das Deutsche nimmt, geht bekanntlich den Dingen auf den Grund, das Deutsche ist gründlich, und Gründlichkeit ist, wie die Deutschen selbst sagen, ihre Schwäche. Natürlich hat die deutsche Gründlichkeit auch Konsequenzen für den sprachlichen Zugriff – gibt es denn einen anderen? – auf die Psychoanalyse: Dort ist genau jene Gründlichkeit der Sprache am Werk, ihre besondere Art, das, was sie sagt, »offenzulegen«.

Es läßt übrigens tief blicken, daß die Gründlichkeit nicht direkt ins Französische übersetzbar ist: Zu Ostern wird gründlich geputzt – Pour Pâques, on fait le ménage à fond (wörtlich: Zu Ostern macht man den Haushalt von Grund auf). Das Französische sitzt hier genau auf dem Deutschen, aber es muß anders herangehen, weil es kein Wort für gründlich und schon gar keine Substantivierung auf -keit hat; hier geht die Sprache ins Leere.

Die Gründlichkeit war auch bei der Vernichtung am Werk, präzise und ohne die geringste Einzelheit zu vernachlässigen, organisierte sie in der ihr eigenen Perfektion die effizienteste, rentabelste Form der Tötung und setzte damit das düsterste Geraune auf extremste Art um: Die Euthanasie der Geisteskranken und der Genozid an den »Volksschädlingen« sind eine Veranschaulichung der Gründlichkeit in all ihren Bedeutungen und Anwendungen. Das ist mit Sicherheit »unübersetzbar«.

Die interessante Frage ist, was diesen »Leerstellen« der einen gegenüber der anderen Sprache entspricht, denn was sich da in einer Sprache »entzieht«, ist vielleicht gerade das, was am sprechendsten ist, aber erst in der Spiegelung durch die andere sichtbar wird, als wären die Sprachen wirklich dazu gemacht, miteinander zu sprechen. Der Mythos von Babel ist, wie man sieht, der Mythos von der »Einheit« der menschlichen Sprache: Man wüßte nie, was einer Sprache entgeht, wovon sie sich abwendet, was sie zu sagen sich weigert, was sich nach und nach von ihr gelöst hat, wenn es nicht die anderen gäbe, die davon sprechen.

Was einer Sprache fehlt, ist nicht etwa mehr in einer anderen vorhanden; in der anderen Sprache steckt etwas anderes, das von Sprache zu Sprache Verdrängte ist immer anders. Der Mangel der einen wird nie von der anderen Sprache übersetzt, höchstens angedeutet – als wäre es die Natur der Sprachen, »die Leere zu streifen«.

Einerseits sprechen die Sprachen stets das an, wovon sie nicht sprechen können – Wittgenstein zeigt unablässig die Abgründe und »Schreckgespenster« (Patrice Loraux) der Sprache –, andererseits spricht das, was sie nicht hören wollen, immer wieder auf andere Weise aus ihnen: Das ist das Feld, das Freuds Forschungen eröffnet haben. Wäre es womöglich dasselbe, das sich entzieht und gleichermaßen zur »Metaphysik« wie zur Psychoanalyse gehört?

Wenigstens kann man durch den Vergleich der Sprachen einkreisen, was auf diese Weise spricht, ohne sich je niederzuschlagen, abzulagern, sédimenter, was Paul Claudel (auf die Dichtung bezogen) das Leere mit der Fülle drumrum nannte. So kann man die Häufungen der Zwischenräume beobachten, die den Übersetzer über den Leerstellen der Zielsprache zappeln lassen, und sich mit Bergson sagen: »Es ist das Ich, das von unten an die Oberfläche steigt. Unter dem unwiderstehlichen Druck platzt die äußere Schale. Etwas brodelte also in den Tiefen dieses Ichs, unter den sehr vernünftig aneinandergereihten Argumenten, und ließ die Spannung der Gefühle und Ideen steigen, sicher nicht ganz unbewußt, wir wollten es nur nicht beachten.«[12]

Das schrieb Bergson 1889, als Freud gerade seinen allerersten Artikel veröffentlicht hatte, weit vor der Entdeckung der Psychoanalyse.

Man wollte nicht darauf achten, daß etwas im Schoß der Sprachen uns am Wissen hindert, was nur ein Vergleich erahnen läßt. Freuds Text erhellt die dunklen Punkte des Deutschen, verdunkelt aber, was aus dem Französischen entstanden wäre, wenn es ihn nicht schon auf deutsch gegeben hätte. Man müßte ihn aus dem Deutschen, wo alles gegeben ist, sichtbar und hörbar, wo kein Schritt übersprungen und viel hinzugefügt wird, in eine Sprache verpflanzen, wo alles diskrete Anspielung ist, wo nichts gezeigt wird, nur angedeutet, und trotzdem jeder Bescheid weiß, wo alles ganz klar ist und zugleich unfaßbar; aus einer Sprache, in der die Kindheit stets gegenwärtig ist, in eine erwachsene Sprache, aus einer Sprache, wo jeder macht, was er will, um am Ende wie alle zu denken, in eine Sprache für alle, wo keiner denkt wie der andere.

Dies Nebeneinander der Sprachen gilt es zu erkunden. Immer spricht aus ihnen ein »anderswo«, das man nicht hört, überhört, wie das Deutsche sagt. Man hört nicht, was man nicht hören will. Wie stellen die Sprachen es an, sich dem zu entziehen, was aus ihnen spricht? Sollte man überhaupt Freud übersetzen? Wo hätte die »Freudsche Sache« (»La chose freudienne«, wie Lacan es nannte) sich angebahnt, wenn es Freud nicht gegeben hätte? Ist es das, was zwischen den Sprachen überspringt, in dieser unbestimmten, nichtexistenten Zone, wo sie wie Parallelen aufeinander zulaufen, ohne sich jemals zu treffen, ist es das, was eigentlich spricht, was man aber überhört oder höchstens durch die eine oder die andere hindurch hört? Und wenn es aus beiden spricht, drückt sich das »Simultane« doch »sukzessiv« aus. Da ist nichts zu machen, egal was man tut, man kann nur versuchen, sich ein wenig »Durchblick« zu verschaffen.

IIAm Waldrand oder Soll man Freud übersetzen?

Das ist es nicht, oder so geht das nicht.

Es gibt nichts Eigenartigeres als den Wechsel ein und desselben Objekts aus einer in eine andere Sprache. Dieser Wechsel ist um so verblüffender, als ein solches Sprachobjekt werden muß, was es nicht ist und nicht sein kann.

Jede Übersetzung hat von Anfang an schwer an ihrer Unmöglichkeit zu tragen – als könnte man einen Körper seines Körpers entkleiden. Alles, was in einer Sprache gesagt oder geschrieben wird, ist diese Sprache. Die Übersetzung macht aus demselben ein anderes; ein deutscher Text kann nicht zu einem französischen werden. Und gerade weil Übersetzung unmöglich ist, ist sie unumgänglich.

Freuds Text ergibt nur dann einen Sinn, wenn man ihn im Herzen des Deutschen, beim Intimsten der Sprache erwischt, und schreit deshalb um so mehr nach Übersetzung, was aus demselben Grund nicht geht. Sich mit dieser schlichten Tatsache zufriedenzugeben führt nicht weiter. Viel interessanter wäre es herauszufinden, wie es nicht geht, also den Unmöglichkeiten des Übersetzens auf die Schliche zu kommen.

Vielleicht läßt es ja tief blicken, was eine Sprache sagt, wenn man genau das nicht in der anderen sagen kann.

Wenn man beschreibt, was nicht geht, übersetzt man womöglich mehr, als wenn man übersetzt, was geht. Anders gesagt: Was sich von allein übersetzt, ist analytisch kaum zu gebrauchen, weil es keinen »ins Auge springenden« Widerstand enthält. Wie zufällig ballt sich der ganze Sinn an diesem Punkt zusammen, kristallisiert genau da, wo »es« nicht geht, wo man »es« nicht hinkriegt. Allseits bekannt sind die unzähligen Kommentare zu unübersetzbaren Wörtern, besonders bei Freud – als läge es an den Wörtern! Als hätte die Psychoanalyse nicht genau da ihren Ausgang genommen!

Wenn ein Text in seiner Sprache sehr klar ist, bedeutet das nicht, daß er leicht in eine andere übergeht. Beweis: die außerordentliche Schwierigkeit, Bergson ins Deutsche zu übersetzen. Und umgekehrt: Was einfach geht, muß nicht unbedingt klar sein.

Das Wesen jeder »interlinguistischen« Tätigkeit scheint das zu sein, was nicht geht. Es heißt oft, die Arbeit des Übersetzers und die des Analytikers seien eng verwandt: Das liegt auf der Hand! Das Französische sagt hier: Ça tombe sous le sens – Das fällt unter den Sinn; gut möglich, daß man wirklich erst unter den Sinn kriechen muß, um die »Sachen« hervorzuholen. So hat jede Sprache ihre – fast unergründlichen – Tiefen (profondeurs), die viel darüber sagen, was die »benachbarte« Sprache sagt, als müßte man die Übersetzung dort »suchen gehen« (aller chercher; eigentlich: holen), »wo sie nicht ist«. Fast könnte man sich fragen, ob die Übersetzung nicht eine Art Zwangsneurose ist, die immer wieder bei Null anfängt und mit dem Kopf gegen die Wand rennt.[13]

Seit jeher hat die Übersetzung das Unmögliche versucht, nämlich den Text »als solchen« durchzubringen, statt ihn zu umgehen. Die Übersetzung per se ist verstockt und kann nicht erkennen, daß das, was in ihr verhindert wird, genau das ist, was eigentlich übersetzt. Tatsächlich läßt sich hier im Vergleich, an der Notwendigkeit der Übersetzung, die ganze Tragweite der Psychoanalyse ermessen, der zumindest das Verdienst zukommt (wenn sie schon keinen geheilt hat), die Übersetzer aufgeklärt zu haben; die Psychoanalyse nämlich ist eine Übersetzung, die ihrem Wesen nach zum Scheitern verurteilt ist – die enorme Arbeit Freuds hätte keinen Sinn ergeben, wenn sie zu einem Ergebnis geführt hätte –, weil sie dazu da ist, die Verbote und Fehltritte (faux pas/faut pas!) des menschlichen Handelns und vor allem seiner sprachlichen Aktivitäten aufzudecken.

Was die Psychoanalyse aufdeckt, ist das »Eine«, das sich durch alle Sprachen zieht und sich in allen Sprachen zeigt, ohne daß auch nur eine von ihnen dem Ausdruck verleihen oder mit ihm zur Deckung gelangen könnte (die Grundsprache). Dennoch wünscht man der Analyse nicht gerade dort Erfolg, wo »alle« Sprachen versagen.

»Es« wäre auch nicht gut für sie, wenn es gelänge. Wir werden natürlich nie erfahren, wie sie in Freuds Kopf kam, wie es ihn irgendwie störte, wie es drückte und herausmußte. Genauso geht es dem Übersetzer: Er hat es im Kopf, doch das, was herauskommt, ist nur eine miserable, läppische Übersetzung: Was zählt, ist immer nur das, was unter den Tisch fällt.

Sie sehen schon, es ist wie bei der Zwangsneurose, das fängt immer wieder von vorn an, oder besser, man muß »es« immer wieder von vorn anfangen, eben weil es, wie bei der Übersetzung, nie genau genug ist. Das liegt auf der Hand, das hat was, aber »es« ist noch nicht das.

Das ist es nicht – ce n’est pas ça. Ça ist stärker, demonstrativer, das zeigt mit dem Finger auf etwas: Oui, c’est ça! Das ist es! Ça weist immer auf etwas hin, es kann auch dies oder das sein, das eine oder das andere. Ça ne se dit pas! Das sagt man nicht!

Es ist viel unbestimmter als ça