Fühle mich. Unendlich - Kathinka Engel - E-Book
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Fühle mich. Unendlich E-Book

Kathinka Engel

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Beschreibung

Die »Finde-mich-Reihe« geht endlich weiter!Sophias bisheriges Leben war ein einziger Kampf. Nach einer Haftstrafe hat sie jegliches Gefühl für sich selbst verloren. Mit der Patenschaft, die eine reiche alte Dame für sie übernimmt, bekommt die ehemalige Straftäterin eine zweite Chance. Philip, der Enkel der Dame, ist fasziniert von Sophias unangepasster Art, mit der sie in der gehobenen Gesellschaft aneckt. Seine eigenen Träume hat der junge Anwalt aufgrund seines Verantwortungsgefühls gegenüber der Familie nie verwirklicht. Jetzt lässt die Mischung aus Sophias Unerschrockenheit und Philips Überlegtheit all die Möglichkeiten sichtbar werden, die vor ihnen liegen. Doch ihre Vergangenheit und seine Gegenwart scheinen so unvereinbar, dass die Liebe eigentlich keine Chance hat …Das sagen die LeserInnen zur »Finde-mich-Reihe«:»Ich bin so froh diese Reihe entdeckt und gelesen zu haben, aber bin auch traurig, dass es zu Ende ist, ich hatte noch ewig weiter lesen können. Ich würde mir noch wünschen eine Geschichte über Sophia zu lesen ...« 5-Sterne-Bewertung»Diese Geschichte war einfach ein Lesegenuss und ich kann diese Reihe wirklich jedem empfehlen! Ich kann es kaum erwarten, weitere Bücher der Autorin zu lesen und hoffentlich ebenso zu verschlingen.« 5-Sterne-Bewertung»Ich freue mich schon sehr auf weitere Bücher von Kathinka Engel, die ich mir nicht entgehen lassen werde.« 4-Sterne-Bewertung»Ich werde die Charaktere richtig vermissen. Es war mir ein absolutes Lesevergnügen und ich kann euch die Reihe wirklich nur wärmstens ans Herz legen. Ich bin eigentlich traurig, dass es schon vorbei ist, aber wer weiß, was die Autorin zukünftig noch so in petto hat.« 5-Sterne-Bewertung »Ein wenig bricht es mir das Herz, dass die erste Trilogie von Kathinka Engel jetzt schon wieder beendet ist. Das ging viel zu schnell.« 5-Sterne-BewertungKathinka Engel kennt die Buchwelt aus verschiedensten Perspektiven: Als leidenschaftliche Leserin studierte sie allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft, arbeitete für eine Literaturagentur, ein Literaturmagazin und als Redakteurin, Übersetzerin und Lektorin für verschiedene Verlage. Mit ihrem Debüt »Finde mich. Jetzt« schaffte sie es aus dem Stand auf die Spiegel-Bestsellerliste.

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© everlove, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2022

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München.

Redaktion: Michelle Gyo

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Coverabbildung: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Text bei Büchern ohne inhaltsrelevante Abbildungen:

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Startgespräch

vor sechs Monaten

Kurzes Gespräch im Café

vor fünfeinhalb Monaten

Kurzes Gespräch im Außenbereich des Cafés

vor vier Monaten

Erstes Quartalsgespräch

vor drei Monaten

Kurzes Gespräch im Café

vor anderthalb Monaten

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Drittes Quartalsgespräch

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für Kyra, die den Sad Clown vertrieben hat.

Novembersonne, Skype-Cheerleader, Word-Countess in Crime.

Startgespräch

vor sechs Monaten

»Herzlich willkommen in meinem kleinen Reich«, sagt sie. Ob ich was trinken will. Wasser? Sie geht zum Kühlschrank, obwohl ich nichts gesagt habe. Ich stehe einfach hier. Weiß nicht, wohin mit mir. Alles an dieser Situation ist fucking beschissen, weil wir beide wissen, dass ich nicht hier sein will. Aber wir wissen auch beide, dass die Tatsache, dass ich hier bin, bedeutet, dass sie gewonnen hat. Sie, Amy Davies, meine Sozialarbeiterin, in deren Programm ich seit einer Woche bin. Seit ich draußen bin. Aus dem Knast.

Mir fällt auf, dass Amy mich erwartungsvoll ansieht. Geht’s noch um das Wasser? »’kay«, nuschle ich und nehme eine Flasche entgegen.

»Setz dich.« Amy deutet auf ein zerschlissenes Sofa. »Wie geht’s dir?«

Klar, das muss sie fragen. Als meine Sozialarbeiterin will sie eh alles wissen. Wie es mir geht. Wie ich mich schlage. Ob ich vorhabe, Drogen zu nehmen. Hab ich natürlich nicht. Ich bin ja nicht blöd. Oder nicht mehr.

Ich zucke mit den Schultern.

»Keine Sorge, das wird leichter. Es ist am Anfang immer noch ein bisschen viel. Das verstehe ich. Hast du dich denn einigermaßen eingelebt? Kommst du zurecht?«

Mehr Fragen. Ich starre auf meine schwarzen Schnürstiefel. Die hat Amy mir gekauft. Also sage ich: »Schätze schon«, und hoffe, dass ich damit durchkomme.

»Das ist doch was. Darauf können wir aufbauen.« Sie lächelt. Lächelt nett. Und gibt damit den Blick auf eine kleine Lücke zwischen ihren Schneidezähnen frei. Sieht witzig aus. Und ein bisschen hübsch, schätze ich. So wie der Rest von ihr mit dem blonden Pferdeschwanz und dem gerade geschnittenen Pony. »Willst du mir erzählen, was dir im Moment noch besonders schwerfällt? Oder auch, was dir keine Probleme bereitet?«

Haha. Soll das ein beschissener Witz sein? Will ich? »Nicht dringend, nein.« Ich schaue aus dem Fenster, um Amys Blick auszuweichen. Als könnte sie sonst sehen, wie’s in mir drin aussieht. Mit ihren blauen Augen einfach in mich reinschauen. Fuck.

»Okay, versuchst du es trotzdem mal?«

Ich seufze. Es ist ihr Job. Und meiner ist es im Augenblick, auf ihre Fragen zu antworten, schätze ich. Aber was, wenn ich nicht weiß, wie mein Job geht? »Ich find’s schwierig, dass alle so verflucht interessiert tun.«

»Interessiert tun?«

»Ja. Du zum Beispiel.«

Sie lacht. »Aber das ist meine Aufgabe, oder?«

»Ja, kann sein.«

»Und ich tue nicht nur interessiert, ich bin interessiert.«

Wenn sie meint … »Wenn du meinst …«

»Was noch?«

Vielleicht sollte ich einfach mal ehrlich sagen, was ich denke. Vielleicht wäre das gut? »Dieses ewige Rumreiten auf Gefühlen. Wie geht’s dir? Wie fühlst du dich? Was meinst du zu diesem und zu jenem? Verfickte Hölle, das ist krass anstrengend.«

»Warum?«

Als ich weiterspreche, klinge ich aufgebrachter, als ich erwartet habe. Das verwirrt mich. »Weil ich selbst nicht weiß, wie’s mir geht oder wie ich mich fühle, okay? Keine Ahnung.«

»Du kannst nicht sagen, wie du dich jetzt gerade fühlst?«

Ich kaue auf meiner Unterlippe herum. Zucke wieder mit den Schultern. Genau das ist das Problem.

»Na komm.« Amys Tonfall ist auf einmal ganz verständnisvoll. Und das macht was mit mir. Das macht, dass ich mich komisch fühle. Ich rutsche auf dem Sofa hin und her. Fixiere wieder das Fenster. Nicht, dass es wirklich etwas Interessantes zu sehen gäbe.

»Fühlst du dich unwohl?«

»Na ja, wohl fühl ich mich nicht.«

»Fühlst du dich sicher?«

Sicher? Das hat mich noch nie jemand gefragt. Fast muss ich losprusten. »Wenn du nicht vorhast, mich auszurauben, schon, schätze ich.« Ich lache über meinen eigenen Witz. »Aber viel zu holen gäb’s eh nicht.«

»Also fühlst du dich unwohl und sicher. Was noch?«

»Müde.«

»Schläfst du nicht gut?«

»Machst du Witze? Hast du mal eine Nacht im Gefängnis geschlafen? Ich penne wie ein Stein!«

Jetzt ist Amy diejenige, die lacht.

Ohne dass ich es merke, spreche ich weiter. »Es ist nur alles anstrengend.«

»Was denn?«

»Du gibst wohl nie auf.«

»Nope, das ist auch Teil meiner Aufgaben.«

Und weil ich das Gefühl habe, dass das immerhin mal ehrlich war, sage ich: »Eigentlich alles. Also die Arbeit im Café, die Abendschule, das Zusammenwohnen mit Malik, seine Freundin Zelda, die dauernd mit mir reden will, das Leben. Dass man irgendwie an alles denken muss. Da ist niemand, der einem sagt, was man tun soll. Und dann weiß man halt auch nicht, ob es überhaupt richtig ist, dass man da ist, wo man ist.«

»Wie meinst du das?«

Offensichtlich ist sie auch nicht zufrieden, wenn ich Antworten gebe. Aber gleichzeitig merke ich, dass es guttut, mich mal auszukotzen. Es ist irgendwie besser, als dauernd nur dankbar sein zu müssen. »Na ja, wenn man halt so viel Mist durch hat, fragt man sich, ob man noch ’ne Chance verdient hat. Ist doch normal, oder?«

»Weißt du, wir sind alle die Summe unserer Entscheidungen, aber man kann jeden Tag anfangen, etwas zu verändern. Und dann wirst du die Chance zu Recht bekommen haben.«

Wird sie jetzt fucking philosophisch oder was? »Wo hast du denn diesen deepen shit her?«

»Von mir. Also, wenn du mehr Unterstützung brauchst …«

»Lass mal. Ich krieg das schon hin.« Hab’s immer hingekriegt. Allein.

»Aber ich bin da, okay?«

»’kay.« Denn das klingt immerhin nicht ganz scheiße.

Kurzes Gespräch im Café

vor fünfeinhalb Monaten

Amy betritt das Imogen’s. Das macht sie regelmäßig, um zu sehen, wie ihr Café so läuft. Ihr integratives Café, auf das sie mächtig stolz ist. Das Teil ihres Rehabilitierungsprogramms für jugendliche Straftäter in Zentralkalifornien ist. Aber ich bin nicht dumm. Ich weiß, dass sie vor allem checken will, wie ich, die ehemalige Straftäterin, mich schlage. Und das fühlt sich hässlich an.

»Du schon wieder«, sage ich deswegen. Und ich gebe mir auch keine sonderliche Mühe, freundlich zu klingen. Ich arbeite schließlich. Da kann sie vielleicht auch einfach mal … keine Ahnung … nicht nerven.

»Ich schon wieder, wie immer.« Sie flötet fast. Wieso ist sie immer so fucking gut gelaunt?

»Kaffee?«, frage ich, weil ich herausgefunden habe, dass sie weniger redet, wenn sie in eine Tasse pustet.

»Gern.«

Ich wende Amy den Rücken zu und mache mich an der Kaffeemaschine zu schaffen. Inzwischen habe ich raus, wie sie funktioniert. Am Anfang haben Celia, die fast gleichzeitig mit mir angefangen hat, und ich mehr Sauerei als Kaffee gemacht. Das war witzig. Celia ist witzig.

Ein paar Minuten schweigen wir, dann stelle ich einen Becher auf den Tresen.

»Danke.« Amy pustet auf ihren Kaffee.

»Klar.«

»Und?«

Ich verdrehe die Augen.

»Hast du einen guten Tag?«

»Geht das wieder los?« Ich bemühe mich, nicht scheiße zu klingen. Wenn ich nett bin, geht sie schneller wieder.

»Daran musst du dich wohl gewöhnen.« Amy lacht. Beinahe entschuldigend. Was ganz cute ist, schätze ich.

»Mein Tag ist normal.« Wie um das zu beweisen, schnappe ich mir den Lappen aus der Spüle und wische über das glänzende Metall der Kaffeemaschine.

»Was bedeutet ›normal‹?«

Celia kommt in ihrem geblümten Kleid, das ein bisschen aussieht wie eine Tischdecke, durch die Hintertür ins Café. Ihre blonden Haare sind in zwei ordentlichen Zöpfen an ihrem Kopf entlanggeflochten. Und weil Celia Celia ist und zu allem ihren Senf dazugibt, antwortet sie an meiner Stelle. Dafür könnte ich sie knutschen. Wenn ich so was machen würde. »›Normal‹ bedeutet ›nicht besonders‹. Ich zum Beispiel bin nicht normal, ich bin besonders.«

»Du bist voll normal«, sage ich. Irgendwie will ich mich bei ihr bedanken.

Celia kichert. »Du bist voll normal.«

»Deine Mutter ist voll normal«, sage ich.

»Ja, das stimmt. Und wir sind besonders.« Sie sieht zufrieden aus.

Amy blickt von mir zu Celia und wieder zurück. Dann lächelt sie.

»Ihr versteht euch, oder?«

»Jep«, sage ich.

»Und mit den anderen? Wie ist es mit Rhys? Mit Malik? Mit Ollie?«

»Sind alle cool.« Und das sind sie wirklich. Auch wenn ich mich mit Celia am wohlsten fühle. Celia hat diesen Effekt auf Menschen.

»Das freut mich. Und das Zusammenleben?«

»Auch cool.« Vor allem ist es cool, ein Zuhause zu haben, denke ich.

»Also nicht mehr überfordernd?«

»Man gewöhnt sich an alles, oder?«, sage ich, weil dieser Gefühlskram einfach echt nicht meine Welt ist.

»Heißt das, du fühlst dich wohl?«, fragt sie.

»Das heißt, dass alles normal ist.«

Kurzes Gespräch im Außenbereich des Cafés

vor vier Monaten

Draußen ist viel los. Die Tische sind fast alle besetzt. Und ausgerechnet in diesem Moment betritt Amy den Hof. Klar, ist ihr Café. Ihr Hof. Aber es gibt Momente, da ist es wirklich ungünstig.

»Du hast gerade viel zu tun, oder?«, fragt sie und lächelt.

»Ja, gerade ist es stressig.«

»Ich wollte nur wissen, wie es dir geht. Aber dann störe ich nicht länger.« Das Lächeln wird breiter, sodass man die kleine Zahnlücke zwischen ihren Vorderzähnen sieht.

»Okay, bye«, sage ich und stelle Tassen auf mein Tablett.

Doch natürlich stört sie noch ein bisschen weiter. »Nur kurz: Ist alles in Ordnung?«

»Amy!«, sage ich mit gespielter Strenge.

»Bin schon weg.« Sie wendet sich ab.

»Es ist alles in Ordnung, ja.«

Erstes Quartalsgespräch

vor drei Monaten

Jetzt bin ich seit drei Monaten draußen. Das ist wohl eigentlich ganz nice. Aber das bedeutet auch, dass ich zum ersten Quartalsgespräch bei Amy antanzen muss. Und dass sie mir gegenübersitzt und ein Klemmbrett auf dem Schoß hat. Und dass sie genau zuhören wird. Und mitschreiben. Und es fühlt sich nicht nach der Art von Freiheit an, die ich draußen erwartet habe.

»Wie geht’s dir?«, fragt Amy.

Obwohl ich mich langsam daran gewöhne, dass sie immer und immer wieder diese Frage stellt, kann ich nicht anders, als genervt zu sein. »Alter, wenn du nur einmal nicht danach fragen würdest.«

»Das wird aber nicht passieren.« Es ist krass, was Amy für eine Geduld hat.

»Ich wette, die anderen nervt das auch.«

»O ja. Aber bislang hat mich noch niemand dazu gebracht, die Fragerei sein zu lassen. Also wird dir das auch nicht gelingen.«

Ich seufze. Das stimmt wohl. »Wenn’s unbedingt sein muss … mir geht’s okay, schätze ich.«

»Du weißt, was jetzt kommt, oder?«

Ich ahme Amys Tonfall nach. »Und was bedeutet ›okay‹?«

Sie lacht. »Ganz genau.«

»›Okay‹ bedeutet, dass ich alles hinkriege. Dass du dir keine Sorgen machen musst. Aber dass ich auch nicht den ganzen Tag durch die Gegend tanze, weil mein Leben so verfickt geil ist.« Das trifft es wohl ganz gut.

»Was hält dich davon ab, durch die Gegend zu tanzen?«

»Meine Würde?« Was denkt sie denn? »Nee, ernsthaft. Es ist irgendwie schwierig, zu wissen, wie ich mich schlage. Ich mache keine Probleme, schätze ich. Und das ist wohl gut.«

»Hattest du erwartet, Probleme zu machen?«, fragt Amy mit gerunzelter Stirn.

»Na ja, bislang war’s immer so. Irgendwann hab ich Scheiße gebaut, und dann war’s vorbei.« Ist eben einfach so.

»Wusstest du denn vorher, dass das, was du tun würdest, ›Scheiße‹ war?«

»Ich bin ja nicht blöd. Ich dachte nur irgendwie nie an die Konsequenzen.«

Amy schreibt etwas. Das nervt mich. »Und jetzt schon?«

»Wir haben schließlich einen Deal. Abendschule, Abschluss nachholen und der ganze Scheiß?« Das war Amys Bedingung. Wenn ich meinen Abschluss nachhole, darf ich währenddessen in einer WG wohnen, die Teil ihres Programms ist. Und ihr Programm ist ganz cool, glaube ich. Jedenfalls hat man ein Jahr Zeit, um wieder auf die Beine zu kommen. Das ist mehr als sonst. Deswegen, sagt sie, sind die Erfolgschancen auch höher. Aber deswegen muss Amy auch die ganze Zeit zusehen, dass sie neue Förderer auftreibt. Hat Rhys erzählt. Mein Chef im Café, der das Programm abgeschlossen hat.

»Du nimmst das ernst.«

»Ist meine letzte Chance, oder?«

»Du bist ein bisschen jung, um über letzte Chancen zu sprechen, finde ich.«

»Wenn ich das jetzt verkacke, war’s das. Dann hab ich bewiesen, dass ich es nicht kann. Dann hatten alle recht.«

»Wer?«

»Na alle.«

»Was haben denn ›alle‹ gesagt?«

»Dass ich nutzlos bin. Dass ich nur Ärger mache. Dass ich nichts kann. Dass ich …« Ich spreche den Satz nicht zu Ende.

»Das haben sie gesagt?«

Ich nicke.

»Das tut mir leid.«

Ich zucke mit den Schultern. Ist egal.

»Niemand hat das Recht, so etwas zu dir zu sagen.«

»Na ja, ich hab ihnen ja auch nicht gerade das Gegenteil bewiesen.« Leiser sage ich: »Oder mir.«

»Aber es hat trotzdem wehgetan, oder?«

»Fängst du jetzt wieder mit dieser Gefühlsscheiße an? Verfickte Hölle.«

»Es ist völlig in Ordnung, sich mies zu fühlen, wenn Leute solche Dinge zu einem sagen.«

»Ich fühl mich nicht mies.«

»Wie fühlst du dich denn?«

»Hardcore gelangweilt, ehrlich gesagt.«

»Das glaube ich dir nicht.«

»Dann lass es eben.«

»Ich glaube, diese Dinge, die über dich gesagt wurden, haben dich verletzt. Und du tust so, als wäre es dir egal, weil du nicht willst, dass ich weiß, dass du verletzlich bist.«

»Und wenn?« Ich will wirklich, dass sie aufhört zu reden.

»Nichts. Es ist nur einfach eine sehr verständliche Reaktion.«

Ich sage nichts mehr. Kaue auf meiner Unterlippe herum. Mein Blick findet wie automatisch das Fenster.

»Vielleicht wäre es gut, du würdest versuchen, deine Emotionen nicht einfach nur wegzuschieben.«

»Was ist das denn jetzt für ein Psychokram?«

»Das ist mein Rat an dich. Und ich weiß, wovon ich spreche.«

Jetzt sehe ich sie doch wieder an. Was meint sie?

»Ich habe ziemlich lange gedacht, wenn ich die Dinge mit mir selbst ausmache, ist es leichter. Aber es stellte sich heraus, dadurch wurde alles immer nur schwerer.«

Oha. Damit habe ich nicht gerechnet. »Wie meinst du das?«

»Du kannst am Leben sein, ohne richtig zu leben. Aber Sinn macht es eigentlich erst, wenn du die Dinge zulässt. Die guten, die schlechten.«

»Also damit, schlechte Dinge zuzulassen, hatte ich noch nie Probleme.« Ich lache. Bitter.

»Dann fangen wir doch jetzt mal mit den guten an, was meinst du?«

»Und wie soll das bitte aussehen?«

»Vielleicht schreibst du die guten Gefühle einfach mal auf. Am Ende jedes Tages.«

»Klingt kacke.«

»Das wäre zum Beispiel nichts, was du aufschreibst. Stattdessen würdest du aufschreiben: ›Ich bin stolz auf mich, weil ich die Herausforderung angenommen habe.‹« Amy grinst und zeigt wieder ihre Zahnlücke.

»Oder: ›Ich bin froh, dass ich Amys bescheuerte Aufgabe nicht gemacht habe‹«, schlage ich vor. Doch das hat nicht den gewünschten Effekt, denn Amy redet einfach weiter.

»Solange du es aufschreibst …«

Kurzes Gespräch im Café

vor anderthalb Monaten

Ich lache laut. Richtig laut. »Celia, hör auf damit! Ernsthaft!«

Doch Celia tanzt einfach weiter durchs Café.

»Du verschreckst die Kunden!«

»Es ist Feierabend. Und es ist niemand hier.«

»Abgesehen von mir«, sagt unsere Kollegin Ollie, die gerade noch draußen eine Zigarette geraucht hat.

»Dann tanz du mit mir!« Celia tanzt auf Ollie zu, ich verdrehe die Augen. Aber auch ich muss grinsen.

»So ein bisschen tanzen hat noch niemandem geschadet«, sagt Ollie, nimmt Celias Hand und dreht sie einmal im Kreis. Es sieht völlig absurd aus. Ollie mit ihren Piercings und dem schwarzen Undercut, dem Shirt mit feministischem Aufdruck und daneben Celia in ihrem weiten Blumenkleid.

Celia jubelt und jauchzt. »Komm schon, Sophia.«

»Ja, komm schon, Sophia.« War klar, dass Ollie sich auf Celias Seite schlägt.

In diesem Moment geht die Tür auf, und Amy betritt das Café. Aber heute stört es mich gar nicht so sehr wie sonst.

Ich hebe die Hand. »Endlich jemand, der bei Verstand ist«, sage ich.

»Ihr habt’s ja lustig.«

Celia nickt. »Nur Sophia nicht.«

»Ich kann auch aus der Ferne Spaß haben.« Und das habe ich. Mit Celia eigentlich immer. »Mir geht’s übrigens gut, falls du das fragen wolltest. Bin von keiner Tarantel gestochen worden oder so.« Ich nicke zu Ollie und Celia, denn für die beiden gilt das offensichtlich nicht.

»Das freut mich, zu hören«, sagt Amy.

Weil es hier einfach zu laut ist, bedeute ich Amy, mir in den Hof zu folgen. Dort haben wir Ruhe vor den beiden Wahnsinnigen.

Wir setzen uns an einen der Tische. In der Garage hört man Che rumoren. Che heißt eigentlich Ernesto, ist ein lustiger Mexikaner mit Bart und Bauch. Er war früher der Koch im Imogen’s, bevor er eine kleine Brauerei namens Wish You Were Beer in der Garage im Hinterhof eröffnete und mein Mitbewohner Malik seine Stelle bekam.

Noch ehe Amy fragen kann, sage ich: »In der Arbeit läuft’s gut, wenn Celia und Ollie nicht gerade völlig durchdrehen. In der Abendschule ist es okay.«

Amy lächelt. Ich glaube, sie ist überrascht, aber nachdem ich ihr eh nicht entkomme, kann ich ihr genauso gut erzählen, was sie hören will. »Klingt, als hättest du dich richtig eingefunden.«

»Schätze schon, ja.« Und noch ehe ich es ausspreche, denke ich, dass das wirklich stimmen könnte.

»Und wie läuft es mit den Gefühlen?«

Ach ja, richtig. Die Gefühle. »Ich hab sie nicht aufgeschrieben, falls du das meinst.«

»Schade.«

»Aber ich hab mir ein paar gemerkt.« Seltsamerweise. Ohne dass ich es wirklich drauf angelegt hätte. Vielleicht funktioniert Amys Psychokram tatsächlich.

»Okay, das gilt auch.«

Es macht mich zufrieden, dass Amy das so sieht. »Ich muss jetzt aber keinen Seelen-Striptease vor dir hinlegen, oder?«

»Du musst nicht, aber du darfst.«

»Dann lass ich es lieber.« Denn übertreiben müssen wir es ja nun nicht.

Heute

1

Sophia

Für einen kurzen Augenblick liegt Amys Hand auf meiner Schulter. Es ist nur ein vorsichtiges Dirigieren. Nur eine winzige Berührung. Aber es ist eine Berührung, und ich fühle sie. Durch mein T-Shirt hindurch. Leichter Druck, Wärme auf der Haut. Meine miese Laune, die Angst vor unserem Gespräch, alles wird überlagert von diesem kurzen Gefühl von Nähe und Verbundenheit. Auch wenn’s vielleicht eine Lüge ist. Auch wenn’s vielleicht Manipulation ist. Aber ich bin wohl ein leichtes Opfer. Verfickte Hölle.

»Wir beide haben heute etwas zu feiern«, sagt Amy und zeigt auf zwei Schokomuffins, die in ihrem Empfangszimmer auf dem kleinen Tisch zwischen Sofa und Sessel stehen. Es sind die aus dem Imogen’s.

»Was denn?« Ich gebe mir Mühe, nicht verschlossen zu wirken. In den letzten Monaten habe ich angefangen, mich weniger gegen Amys Fragen zu wehren, weil ich weiß, dass sie es nur gut meint. Und weil ich das Gefühl habe, dass es besser für mich ist, wenn ich mit ihr zusammenarbeite. Chancen nutzen und so. Auch wenn Amys Büro nicht unbedingt der Ort ist, an dem ich am liebsten auf der Welt bin. Man fühlt sich beobachtet. Evaluiert, wie Amy es nennt.

»Sechs Monate, Sophia. Ein halbes Jahr! Ich hoffe, du bist stolz auf dich.«

Ach so, das. Ja. Sechs Monate. Das bedeutet, dass mich sechs Monate davon trennen, resozialisiert zu sein. Wie Rhys. Rhys ist mein Chef im Imogen’s. Aber dafür muss ich Amys Programm absolvieren. Und dafür muss ich dieses Gespräch bestehen. Und dafür darf ich nicht zu unnahbar wirken. »Hm, ich weiß nicht, ob ich es Stolz nennen würde.«

»Wie denn dann?«, fragt Amy, und damit ist die Evaluierung eröffnet.

Amy sitzt mir gegenüber in ihrem Sessel und schreibt etwas auf ihren Fragebogen. Später wird sie ihn in meine Akte heften. ZweitesQuartalsgespräch steht obendrüber.

Alle drei Monate haben Amys Schützlinge, wie sie uns nennt, einen Termin bei ihr. Neben den regelmäßigen Besuchen zu Hause oder auf der Arbeit sind das die Momente, vor denen man sich am meisten einscheißt. Dabei ist Amy eigentlich nett. Richtig nett. Aber Nettigkeit ist was, das mir eine Heidenangst einjagt. Bin wohl nicht wirklich dran gewöhnt, dass die Leute nett zu mir sind.

Zähne zusammenbeißen, reden. »Es ist ein bisschen, als würde ich auf Zehenspitzen gehen«, sage ich. In mir sträubt sich alles dagegen, solche Dinge von mir preiszugeben, aber ich weiß, dass es absolut keinen Sinn hat, Amy nicht alles zu erzählen. Nicht nur, weil sie es ohnehin aus einem rauskriegt, ob man will oder nicht. Sondern auch, weil das meine Chance ist. Amy, das Resozialisierungsprogramm, der Job, die Wohnung …

»Was meinst du damit?« Sie blickt von ihrem Fragebogen auf und sieht mich interessiert an. Viel zu interessiert. Ich hasse das. Blicke auf mir. Ich weiß dann nie, wie ich mich verhalten soll.

Also verschränke ich die Arme. Zum Schutz. Es kommt mir selbst völlig lächerlich vor. Wovor will ich mich denn schützen? »Na ja …« Aber ich schätze, es ist einfach merkwürdig, sich auf diese Weise umzukrempeln. Das Innere nach außen, damit es jemand evaluieren kann. »Also …« Es fühlt sich an, als würde man sich komplett nackt machen. Nur ist es eben das beschissene Gehirn, das nackt ist. »Ich glaube, ich will so sehr alles richtig machen, dass ich mich selbst blockiere, weißt du?« Da. Das ist es.

»Hast du ein Beispiel?«

»Gestern in der Schule erst. Es wurde eine Frage gestellt. Ich wusste die Antwort. Oder ich dachte, ich wüsste sie. Aber ich hab mich nicht gemeldet, weil ich mir auf einmal selbst nicht mehr getraut habe.«

»Was wäre denn passiert, wenn die Antwort falsch gewesen wäre?«, fragt Amy, während sie etwas aufschreibt.

»Also, in den Knast wäre ich wohl nicht gekommen.« Es klingt zwar wie ein beschissener Witz, aber genau davor habe ich Angst. Dass ich etwas falsch mache, aus dem Programm fliege, wieder Mist baue und zurück ins Gefängnis komme. Für länger diesmal. Wenn man einmal in diesem verfickten System drin ist, geht das viel schneller. Sagt Malik. Und der muss es wissen, den haben sie gleich wieder eingebuchtet damals.

»Nein, das wärst du nicht. Wofür würdest du in den Knast kommen?«

Was für eine bescheuerte Frage. »Wenn ich was Kriminelles mache halt.«

»Und hast du vor, was Kriminelles zu machen?«

Eine noch bescheuertere Frage. »Natürlich nicht.«

»Du kannst dir selbst vertrauen. Seit sechs Monaten hast du dir nichts zuschulden kommen lassen. Du gehst in die Abendschule, arbeitest im Imogen’s. Rhys ist sehr zufrieden mit dir. Du darfst dir durchaus ein bisschen Freiraum erlauben.«

Rhys. Der irgendwann auch mal hier saß. Auf meiner Seite des Sofas. Der es geschafft hat, ein richtiges Leben zu führen.

»Ja, das denk ich auch manchmal. Und dann bin ich mir aber nicht sicher, wie der Freiraum aussehen soll.«

»Was macht dir denn Spaß?«

»Jeden Morgen aufzuwachen und zu wissen, dass das jetzt mein Leben ist.« Die Antwort kommt schnell. So schnell, dass es mich überrascht. So schnell, dass Amy lächelt. Natürlich.

»Was noch?«

»Ins Bett zu gehen und zu wissen, wenn ich am nächsten Morgen aufwache, ist das immer noch mein Leben.«

»Was noch?«

»Ich schätze, ich mag die Arbeit. Ich mag es, dass ich dazugehöre irgendwie.« Wie bescheuert klingt das denn?

»Wieso sagst du ›irgendwie‹?«

»Weil’s irgendwie so ist?« Weil es sich verflucht unwirklich anfühlt, Teil von was zu sein.

»Da war wieder das ›irgendwie‹.«

Aber vielleicht gehört es eben auch einfach da hin? »Ja, okay, also dann bin ich halt Teil vom Team.«

Teil von Rhys’ High Fives, nach denen man sich ein bisschen stolz fühlt. Teil des etwas zu festen Auf-die-Schulter-Klopfens von Ollie. Aber sie meint es nett. Das ist unser Ding. Das und die Tatsache, dass ich Frühschichten für sie übernehme, weil sie gern lange schläft. Teil von Celia und Sophia.

»Ich mag sogar die Abendschule irgendwie.«

»Das klingt, als hättest du das nicht erwartet.«

»Schule war nie meins. Aber das weißt du ja.«

»Was hat sich verändert?«

»Ich hab begriffen, dass das die Regeln sind. Deine Regeln.«

»Meine Regeln?«

»Na ja, ich hab gesagt, ich mach das Programm nicht, wenn ich wieder in eine Familie muss. Du hast gesagt, dafür musst du deinen Abschluss machen. Das war ein Moment, in dem ich dachte, wow, da nimmt mich jemand ernst. Und deswegen nehme ich es jetzt ernst.«

Amy nickt. Schreibt und nickt. Dann: »Weißt du, Sophia, ich finde, das klingt so, als hättest du eigentlich alles ziemlich gut im Griff.«

»Findest du?«

»Findest du nicht?«

»Na ja. Ich will echt alles richtig machen. Aber dann gibt’s Momente, da ist es nicht so leicht.« Im Gegenteil, es ist scheiße schwierig. Aber vielleicht muss ich das meiner Sozialarbeiterin nicht unbedingt auf die Nase binden.

»Das ist es für niemanden.«

»Aber alle anderen kriegen’s hin …«

»Vieles sieht nach außen einfacher aus, als es in Wahrheit ist. Wenn man dich sieht, würde man auch nicht glauben, dass du manchmal kämpfst. Du weißt nicht, was hinter der Fassade passiert.« Amy lächelt wieder.

»Ja, nee, ist klar.«

»Und du weißt nicht, wo die anderen angefangen haben. Es ist für alle ein weiter Weg. Erinnerst du dich an den Tag vor sechs Monaten?«

»Schon, ja.« Amy holte mich vom Pearley Juvenile Prison ab. Mit ihrer Pflegetochter Jeannie. Und dann sind wir in eine Mall gefahren, um Klamotten zu kaufen. Das war noch, bevor sie anfing, mir mit Fragen auf die Nerven zu gehen. Und es war, bevor ich anfing, mich an die Fragen zu gewöhnen.

»Wie ging es dir da?«

Ich zucke mit den Schultern. »Ganz gut, schätze ich.«

Amy lacht. »Ganz gut? Denk mal nach.«

»Also … Es war schon echt viel alles. Mit den Menschen. Und Jeannie.« Amys Pflegetochter ist gleichzeitig Rhys’ Halbschwester. »Sie hat in einer Tour gequasselt. Und ich wusste irgendwie gar nicht, wie ich da jetzt reinpassen soll. In die Welt. Ich hatte keine Ahnung, wie das alles laufen würde. Ehrlich gesagt, dachte ich, ich lass einfach was mitgehen und sie buchten mich gleich wieder ein.«

»Im Ernst?«

»Ich war mir sicher, dass es beim Ausgang piepsen würde.«

»Aber das hat es nicht.«

»Nein, das hat es nicht.« Meine verfluchten Mundwinkel zucken.

»Was war dann?«

Ich starre auf meine schwarzen Schnürstiefel. Die hat Amy mir dort gekauft. Aus purer Nettigkeit. »Dann sind wir in die Wohnung gefahren. Ich hab mein Zimmer gesehen.« Komische Dinge passieren in meinem Inneren, während ich über den Tag spreche. Das sind wohl diese Gefühle, über die Amy dauernd reden will. Die ich aufschreiben soll. Verfickte Hölle. Amy weiß genau, was sie hier tut.

»Mochtest du das Zimmer?«

»Ja!« Das ist leicht. »Ich mag’s immer noch. Weil es mein Zimmer ist.«

»Das ist dir wichtig.«

»Es ist schön, einen Ort für sich zu haben.« Das Zimmer. Die Wohnung. Malik, der Omelette macht. Das Imogen’s.

»Das verstehe ich gut.«

»Es ist schön, wenn man weiß, wo man hinsoll, weißt du? Wenn man weiß, wie die Dinge laufen.«

Sie nickt, als wüsste sie tatsächlich, was ich meine. Als hätte sie auch mal nicht gewusst, wohin mit sich. »Siehst du, wie weit du gekommen bist? Mach dich nicht kleiner, als du bist. Wenn überhaupt: Mach dich größer. Zumindest nach außen.«

Ich beiße mir auf die Innenseite meiner Wange. Denn wenn man immer dachte, dass man nicht gut genug ist, nicht mal gut genug, um einfach nur auf dieser beschissenen Welt zu sein, dann ist es ganz schön krass, das zu hören.

»Beim letzten Mal haben wir drüber gesprochen, dass es gut wäre, die positiven Gefühle aufzuschreiben. Erinnerst du dich?«

Ich beiße mir auf die Unterlippe. »Ja.«

»Und du hast gesagt, du merkst sie dir, richtig?« Amy lächelt wissend. »Wärst du heute bereit, ein paar davon mit mir zu teilen?«

Alter.

»Sophia?«

»Also … ähm …« Ich zögere einen Moment, weil dieses Seelenzeug verflucht peinlich ist. Aber es ist auch genau das, was Amy hören will. »Also … wenn Zelda mich umarmt. Dann hab ich das Gefühl, dass ich nicht allein bin mit dem ganzen Kram.« Zelda ist Maliks Freundin. Sie ist klein und laut und bunt. »Oder wenn Malik mir was zu essen macht. Das ist fast so was wie ’ne Familie. Zusammenhalt oder so. Wenn Ollie und Celia durchs Café tanzen. Dann macht mich das froh. Wenn ich abends im Bett liege, dann … bin … fühle ich mich zufrieden, glaub ich.«

»Das sind jede Menge positive Gefühle.« Amy sieht überrascht auf.

»Ja. Weil … also … ich glaub, ich hab mich früher wohl ein bisschen viel betäubt. Und deswegen hab ich, glaub ich, ein paar Sachen verpasst. Und wenn ich gefühlt habe, dann halt vor allem so was wie Wut. Oder Frustration. Oder nichts.«

»Aber das ist jetzt anders?«

»Es wird«, sage ich und senke den Blick, damit Amy nicht sieht, wie ich rot werde. Wie neulich, als Jeannie sich auf meinen Schoß gesetzt hat. Die Nervkröte. Sie quakt in einem fort. Auch wenn sie nicht auf Schößen sitzt. Aber dann besonders. Und ich dachte, das muss schön sein, das Auf-einem-Schoß-Sitzen. Warm und sicher irgendwie. Das Umgebensein von jemand anderem.

»Und das ist großartig, Sophia«, sagt Amy.

Da ist sie wieder. Die Nettigkeit. Amy ist einfach so verflucht nett. Egal, wie scheiße ich schon zu ihr war. Sie ist immer nett. Amy, die Nette. Zelda ist die Quirlige. Tamsin – Rhys’ Freundin – die Kluge. Ich bin … keine Ahnung. Die auf Zehenspitzen. Die mit der Liste aus fremden Gefühlen.

»Du kannst sehr stolz auf dich sein.«

»Das ist ein Gefühl, das ich irgendwie noch nicht so richtig kenne«, sage ich und ärgere mich im nächsten Moment, dass mir das so rausgerutscht ist.

»Das macht nichts. Das kommt mit der Zeit.«

Ich nicke. Vielleicht. Vielleicht kommt es mit der Zeit.

Während der nächsten halben Stunde gehen wir Amys Fragenkatalog durch.

Wie läuft es in der Schule? Gut, bis auf Englisch.

Warum läuft es in Englisch nicht? Weil in den Texten, die wir lesen, nie das steht, was die Leute eigentlich sagen wollen. Und ich hasse es, wenn man drum herumredet. Wieso soll ich mir Mühe geben, wenn sich Shakespeare keine Mühe gibt?

Habe ich Pläne? Nein, aber ich sauge mir schnell aus den Fingern, dass ich erst mal meine Konzentration darauf richten will, den Highschool-Abschluss nachzuholen. Das gefällt Amy, weil ich ambitioniert wirke.

Wer sind meine Hauptbezugspersonen? Malik, weil wir zusammenwohnen und -arbeiten. Zelda, weil sie an Malik klebt. Rhys, weil er mein Boss ist. Ollie, weil sie mich irgendwie adoptiert hat an meinem ersten Tag. Celia, weil man immer um Celia herum sein will, wenn sie in der Nähe ist, weil sie immer fröhlich ist. Aber das sage ich nicht, sonst muss ich danach erklären, warum ich nicht immer fröhlich bin oder so.

Nach einer gefühlten Ewigkeit haben wir schließlich das Ende ihrer Unterlagen erreicht.

»Danke für deine Zeit, Sophia.«

Früher hätte ich gesagt, dass ich wohl kaum eine andere Wahl hatte. Aber jetzt … keine Ahnung, ich fühle mich irgendwie ganz aufgeräumt nach unserem Gespräch. Das ist ein Gefühl für meine Liste. Inneres Aufgeräumtsein.

»Wenn du noch fünf Minuten Zeit hast, würde ich dir gern noch etwas vorschlagen«, sagt Amy.

»Okay?«, frage ich.

»Oder besser gesagt, dich um Hilfe bitten.«

»Du? Mich?« Das ist neu.

Amy lacht. »Warum ist das so unvorstellbar?«

»Na ja …« Ich mache eine unbeholfene Geste in ihre Richtung und dann eine in meine.

Sie schüttelt lachend den Kopf. Dann sagt sie: »Du weißt, dass mein Rehabilitierungsprogramm spendenfinanziert ist, oder?«

»Ja.« Und dass ich hier sitze, innerlich aufgeräumt, habe ich der Tatsache zu verdanken, dass Amy mich – aus welchen Gründen auch immer – dafür ausgewählt hat.

»Wir nehmen an einem neuen Projekt teil. Believe in Second Chances heißt es.« Sie reicht mir einen edel aussehenden Flyer. Darauf sind glückliche Jugendliche abgebildet. Schenken Sie zweite Chancen mit Ihrer Patenschaft, steht darauf.

Amy räuspert sich, als wäre es ihr unangenehm. »Es handelt sich um ein Charity-Projekt, bei dem wohlhabende Leute Patenschaften für junge Straftäterinnen und Straftäter übernehmen. Sie unterstützen Programme wie dieses hier durch eine Spende, dafür verbringen sie Zeit mit ihrem« – sie malt Anführungszeichen in die Luft – »›Patenkind‹.«

»Hä? Warum?«

»Ich weiß, ich weiß, es klingt ein bisschen … komisch.«

»Die zahlen Geld, um Kriminelle kennenzulernen?«

»Ich fand das Projekt anfangs auch … fragwürdig. Aber mit der Unterstützung könnte ich zwei weitere Schützlinge aufnehmen. Vielleicht sogar drei. Und am Ende geht es vor allem darum, oder? Zu helfen?«

Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Weiß nicht, wo ich hinsehen soll. Irgendwelche reichen Leute wollen mich als ihr Charity-Projekt?

»Du kannst selbstverständlich Nein sagen. Um Hilfe bitten ist keine Schande. Abzulehnen allerdings auch nicht.«

Sie lächelt. Scheiße noch mal, warum ist sie so verflucht nett?

»Es geht um ein Mittagessen oder Abendessen pro Monat. Mehr ist es nicht.«

Mehr ist es nicht.

»Und wenn es dir unangenehm ist, kannst du jederzeit zu mir kommen, dann finden wir eine Lösung.«

Dann finden wir eine Lösung.

»Aber es bleibt deine Entscheidung.«

Meine Entscheidung.

»Du kannst auch gern einfach drüber nachdenken. Nimm dir den Flyer mit, wenn du willst. Und mach dir keinen Druck deswegen.«

»’kay«, sage ich, und mein Blick bleibt an meiner Spiegelung im Fenster hängen. Struppige schwarze Haare, schwarzes T-Shirt, schwarze Jeans mit Riss am Knie, schwarze Schnürstiefel. Die wollen mich? Soll ich lachen? Doch dann zucke ich mit den Schultern und stecke den bescheuerten Flyer ein.

2

Philip

»… Bachelor-Abschluss nach zweieinhalb Jahren, Juris Doctor als Jahrgangsbester an der renommierten Berkeley University mit nur vierundzwanzig …«

Ich lächle gequält in die Runde. Diese Lobeshymnen sind mir unangenehm. Ja, ich habe einen tollen Abschluss gemacht. Ja, ich bin noch jung. Nach außen sieht das alles mächtig toll aus. Aber innerlich? Nichts von alldem bedeutet, dass ich dieser Rolle gewachsen bin. Oder dem Druck. Oder den Ansprüchen. Es bedeutet nur, dass der Kampf weitergeht.

Mein Dad scheint es zu merken, denn er legt mir die Hand auf die Schulter und sagt: »Sieh es deinem alten Herrn nach, Philip, ich bin einfach wahnsinnig stolz auf dich.« Kurz bricht seine Stimme. Er sieht mich mit einem liebevoll-väterlichen Blick an, und gegen meinen Willen bin ich auf einmal gerührt. »Und deswegen bleibt mir nur zu sagen: Herzlich willkommen, mein Sohn, bei Mason & Englander.« Mein Dad grinst breit und beginnt zu applaudieren.

»Zwei Generationen Englanders in einer Kanzlei, ob das gut geht?« Reginald – oder Reggy, wie wir ihn nennen –, der Partner meines Dads, lacht und klatscht ebenfalls. Die anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tun es ihm nach. Ich stehe in ihrer Mitte, nicke, lächle, fühle mich unwohl. Fühle mich wie eine Mogelpackung.

»Philip, möchtest du noch ein paar Worte sagen?«, fragt mein Vater nun.

Da ich weiß, was von mir erwartet wird, und wirklich außerordentlich gut darin bin, diesen Erwartungen gerecht zu werden, ergebe ich mich in die Situation und trete einen Schritt nach vorn. »Erst einmal vielen Dank für die herzliche Begrüßung, Seymour.«

Es ist merkwürdig, meinen Vater mit Vornamen anzusprechen, aber wir haben uns im Vorfeld darauf geeinigt. Als ich es beim Abendessen ausprobierte, musste meine große Schwester Pearl so lachen, dass sie sich an ihrem Soda verschluckte und es ihr aus der Nase wieder rauskam. Meine Großmutter war wenig amüsiert, und das ohnehin schon angespannte Verhältnis zwischen ihr und Pearl bekam einen weiteren Dämpfer.

»Reginald.« Ich lächle Reggy zu, nicke freundlich, so wie es sich für den Sohn des Partners und den neuen Anwalt der Kanzlei gehört. »Ich freue mich, hier zu sein, und fühle mich angesichts des Vertrauens, das mir entgegengebracht wird, geehrt. Ich werde mir die allergrößte Mühe geben, es nicht zu enttäuschen.« Ein paar Leute lachen höflich. »Ich bin mir sicher, einige von Ihnen werden denken, dass es keine große Kunst ist, Sohn zu sein. Dass ich mich ins gemachte Nest setze. Und ja, Sie haben recht.« Wieder ernte ich ein paar Lacher, verhaltener diesmal. Auch wenn ich mich liebend gern nicht ins gemachte Nest gesetzt hätte. Doch mein Pflichtbewusstsein siegte über meinen Abenteuergeist. »Aber ich versichere Ihnen, ich werde hart arbeiten, um Sie davon zu überzeugen, dass mehr als ein guter Abschluss und mehr als der Name Englander in mir steckt, so wie ich es bereits im letzten Jahr bei verschiedenen Praktika im In- und Ausland getan habe.« Allerdings hatten nicht alle davon etwas mit Jura zu tun, aber das ist hier nicht relevant. »Ich hoffe, Sie werden mir verzeihen, wenn ich anfangs etwas öfter nachfrage, wie die Kaffeemaschine funktioniert oder warum der Drucker nicht macht, was er soll.« Das Lachen wird nun wieder lauter. »Normalerweise lerne ich schnell und sollte Ihnen nicht allzu lange mit meiner Unwissenheit auf die Nerven fallen. Und das ist dann meistens auch der Moment, in dem die Leute beginnen, mich zu mögen. Also lassen Sie uns gemeinsam hoffen, dass es nicht allzu lange dauert.« Jetzt lächelt selbst die rundliche ältere Dame in der ersten Reihe, die bislang jede emotionale Regung unterdrückt hatte. »Ich freue mich, hier zu sein, freue mich auf die Zusammenarbeit und freue mich vor allem darauf, Sie alle kennenzulernen – mit Namen zu den Gesichtern.«

Alle, inklusive mein Vater und Reggy, klatschen erneut. Dann kommt Bewegung in die Belegschaft. Jeder kehrt zu seinem Platz zurück und macht sich an die Arbeit. Für einen Moment stehe ich etwas verloren herum, doch dann tritt eine Frau Mitte vierzig mit glatten, offenen Haaren, die schon leicht grau werden, auf mich zu.

»Mein Name ist Allison. Allison Howard. Ich bin Ihre Assistentin.«

»Freut mich, Sie kennenzulernen.« Ich schüttle ihre Hand. »Philip Englander. Aber das ist Ihnen vermutlich nicht verborgen geblieben.« Sie erwidert mein Lächeln.

»Lassen Sie mich Ihnen Ihr Büro zeigen, Mr Englander«, sagt Allison.

»Nennen Sie mich doch einfach Philip.« Die Förmlichkeiten, die in so einer Kanzlei herrschen, widerstreben mir.

»Gern, Philip.« Sie wiederholt meinen Namen, als müsse sie ihn üben.

Allison führt mich den Gang entlang. Hinter Glaswänden werden Meetingräume vorbereitet, Menschen telefonieren, tippen E-Mails, wühlen sich durch Akten.

»Bitte sehr.« Sie schiebt die Tür eines Büros auf, und ich trete hinein.

Für viele ist so ein allererster Arbeitstag als Anwalt in einer großen, renommierten Kanzlei sicher ein Traum, und ich will nicht undankbar sein. Das hier ist eine tolle Chance. Nicht nur Teil von Mason & Englander zu sein, sondern auch an spannenden Fällen zu arbeiten. Zu lernen. Erfahrungen zu sammeln. Mit diesem Gedanken lasse ich mein Büro auf mich wirken.

Es ist nicht groß. Sicher nicht so groß wie das meines Vaters oder Reggys, mit Assistentinnen in Vorzimmern, als wären sie Don Draper persönlich. Aber ich habe einen großzügigen Glasschreibtisch, ein Fenster, durch das die Morgensonne scheint, und einen ergonomischen Schreibtischstuhl.

»Hätten Sie gern einen Kaffee, Mr Engl… Philip?«, fragt Allison.

»Ich hole mir gleich selbst einen. Vielen Dank.«

»Lassen Sie es mich wissen.«

»Danke, Allison.«

»Ich habe einige Nummern auf Kurzwahl eingestellt.« Sie reicht mir einen Zettel. »Ich bin auf der Eins. Wenn ich sonst noch etwas für Sie tun kann …«

»Danke.« Eigentlich brauche ich vor allem einen kurzen Moment für mich, um mich zu orientieren. Mich zu strukturieren.

Allison nickt zögerlich, dann wendet sie sich zum Gehen.

»Ähm, Allison?« Sie dreht sich noch einmal um. »Ich bin es nicht gewöhnt, eine Assistentin zu haben. Das ist alles noch ziemlich neu für mich.«

»Wir werden uns schon einspielen«, sagt sie, jetzt mit einem Lächeln auf den Lippen. »Vielleicht sagen Sie mir einfach, wie Sie Ihren Kaffee trinken, dann weiß ich für die Zukunft schon einmal Bescheid.«

»Schwarz«, sage ich. »Und Sie?«

»Ich?«

»Ja.«

»Mit einem Schuss Sojamilch.«

»Ist notiert.«

Allison lacht und verlässt mein Büro, und ich seufze und fahre meinen Computer hoch.

Sorry, ich komme jetzt erst los, schreibe ich gute zehn Stunden später an Zelda, mit der ich eigentlich in genau diesem Moment verabredet bin. Vor lauter Einlesen und Orientieren habe ich bereits an meinem ersten Arbeitstag die Zeit vergessen. Na, das kann ja was werden!

Kein Problem, ich hab was zu lesen dabei. Und damit meine ich, Tamsin hat was zu lesen dabei. Und damit meine ich, ich brauche nichts zu lesen, weil ich Tamsin dabeihabe. Ist das okay? Sorryyyyyy!

Natürlich ist das okay. Ich mag Zeldas Freundin Tamsin. Sie ist nett und schlau und witzig und geht absolut vorurteilsfrei durch die Welt, was man schon daran erkennen kann, dass ihr Freund Rhys ein ehemaliger Straftäter ist. Irgendwas mit Drogen und Waffen, als er ein Teenager war oder so. Ich habe nie nachgefragt, weil es mich nichts angeht. Er hat seine Strafe abgesessen.

Ich stecke ein paar Unterlagen, die ich mir entweder heute Abend oder morgen zum Frühstück noch mal ansehen will, in meine lederne Aktentasche – ein Geschenk von Gran zu meinem Abschluss –, ziehe mir das Sakko über und verlasse mein Büro. Auf dem Gang grüße ich einen älteren Herrn vom Reinigungsteam. Die meisten anderen haben bereits Feierabend gemacht.

Um Zelda und Tamsin nicht unnötig warten zu lassen, rufe ich mir ein Uber und bin zehn Minuten später im bunten Univiertel von Pearley. Wir sind im Vertigo verabredet, einer typischen Studentenkneipe, die sich in der verkehrsberuhigten Ausgehmeile befindet. Der Fahrer lässt mich an der nächsten Straße raus, und ich versuche, so schnell wie möglich an den flanierenden Studentinnen und Studenten vorbeizukommen. Antiquariate reihen sich hier an kleine Boutiquen und Bars, Restaurants werben mit neuen Fusion-Konzepten, vor einer veganen Eisdiele, die Pearl über alles liebt, hat sich eine lange Schlange gebildet.

Zu meiner Rechten kommt endlich das Vertigo in Sicht. Ich selbst habe nicht in Pearley studiert, weswegen ich das nächtliche Leben erst nach und nach für mich erschließe. Doch im Vertigo habe ich mich schon etliche Male mit Zelda getroffen, weil es in der Nähe meiner Wohnung und vom Campus liegt, sodass es für uns beide der perfekte Ort für einen Feierabenddrink ist.

Wenn man eintritt, schlägt einem der unverkennbare Geruch von Bier und fettigem Essen entgegen. Das war in den Kneipen rund um Berkeley nicht anders. Man kann noch so reich oder schlau sein, wenn man einen über den Durst getrunken hat, braucht man Frittiertes oder ölige Pizza, die aus mehr Käse als sonst was besteht.

Aus den billigen Lautsprechern dröhnt ein rockiger Sound, der sich mit Gesprächen und Gelächter vermischt. Es ist ein lebendiger Ort, der nicht gegensätzlicher zur Kanzlei, aus der ich gerade komme, sein könnte. Statt Auszeichnungen und Urkunden hängen alte Autokennzeichen und Metallschilder mit halbwitzigen Motivationssprüchen und Zitaten an der Wand. Und ganz hinten in der Ecke erspähe ich Zeldas blauen Haarschopf.

»Entschuldigt die Verspätung«, sage ich etwas außer Atem, nachdem ich mich durch die Menge aus Trinkenden gedrängelt habe.

»Das macht nichts. Aber … äh … bist du in einen Armani-Katalog gefallen oder so?« Zelda mustert mich breit grinsend von oben bis unten. Dann beginnt sie zu kichern. »Bisschen overdressed fürs Vertigo, meinst du nicht?«

»Hast du nicht gesagt, wir treffen uns mit Philip? Ist der nicht barfuß durch Europa getrampt und will Craft Beer brauen?«, fragt Tamsin, die sehr wohl weiß, wer ich bin. Sie zieht mich nur auf. Aber auf einmal bin ich mir überdeutlich der Tatsache bewusst, dass Tamsin mit ihren langen, braunen Haaren und ihren Hippie-Klamotten deutlich besser hierher passt als ich.

»So sieht man nun mal aus, wenn man als Anwalt arbeitet«, sage ich halb entschuldigend, auch wenn ich weiß, dass sie es nicht böse meinen.

»Heute war dein erster Tag, oder?«, fragt Tamsin. »Wo arbeitest du noch mal?« Sie schiebt ein dickes Buch zur Seite. Auf den zweiten Blick erkenne ich, dass es sich um Ulysses von James Joyce handelt.

»Wartet. Jetzt wird es richtig hardcore«, sage ich, zücke meinen Geldbeutel und ziehe eine der Visitenkarten heraus, die Allison mir heute Nachmittag in einer hübschen Schatulle auf den Schreibtisch gestellt hat.

»Junior Partner?« Zelda verzieht anerkennend den Mund. »Du verlierst keine Zeit, hm?«

Abgesehen von meinen paar Monaten in Europa, will ich sagen, aber ich habe keine Lust, mich selbst zu verarschen. Es stimmt. Mein Werdegang ist so linear wie … eine Gerade. Und dass mir kein besserer Vergleich einfällt, zeigt schon, was für eine einfallslose Nummer ich bin.

»Aber das bedeutet nicht, dass man völlig immun ist gegen gutes Bier, also lass mich mal probieren.« Ich schnappe mir Zeldas Bier und nehme einen Schluck. »Mhhh, was ist das?«

»Das IPA vom Fass.«

»Ich hole die nächste Runde«, sage ich.

»Das will ich meinen«, erwidert Zelda lachend, und als sie meinen fragenden Blick bemerkt, fügt sie hinzu: »Na, weil du doch jetzt einer von denen bist, die arsch viel Kohle verdienen, aber keine Zeit haben, sie auszugeben.«

Ich lache, obwohl sich bei ihren Worten etwas in mir verknotet.

Auf dem Weg zur Bar bin ich mir der Tatsache sehr bewusst, dass die Leute mich anstarren. Sie tragen Jeans und Hoodies mit dem Logo der Pearley University, einfache T-Shirts, selbst die Naturwissenschaftler maximal ein kariertes Hemd. Ich falle auf. Dabei bin ich vor einigen Monaten tatsächlich durch Europa getrampt. Dabei wollte ich tatsächlich in einem sehr gejetlagten Moment alles hinschmeißen, in die kleine Brauerei eines lustigen Mexikaners einsteigen und Craft Beer brauen. Stattdessen reiche ich dem Barkeeper meine peinlicherweise goldene Kreditkarte. Vielleicht sollte ich mir Es ist nicht das, wonach es aussieht auf die Stirn tätowieren lassen. Aber dann fällt mir auf, dass es eben doch genau das ist. Ein junger, erfolgreicher Anwalt, der an einer der besten Universitäten des Landes studiert hat und jetzt in der Kanzlei seines Vaters arbeitet. Ich seufze.

»Also, dann erzähl mal«, sagt Zelda, als wir alle ein Bier vor uns haben. »Wie ist es, erwachsen zu sein?«

Ich lache. »Ich weiß nicht, ob ich mich als erwachsen bezeichnen würde …« Doch das stimmt natürlich nicht. Ich bin seit Jahren erwachsen. War es immer. Mit Ausnahme der paar Monate in Europa. »Aber es ist jedenfalls interessant. Fordernd. Anstrengend. Keine Sekunde langweilig. Aber genug von mir. Was passiert bei euch?« Ich habe wirklich keine Lust, auszuführen, warum mein Job toll ist. Warum ich der glücklichste Glückspilz bin. Warum es sich trotzdem anfühlt, als würde ich einfach nur funktionieren. Und als wäre es nur eine Frage der Zeit, bis irgendjemand merkt, dass ich völlig falsch bin, wo ich bin.

»Ich liebe alles«, sagt Zelda und grinst so breit, dass es ansteckend ist. »Ich liebe meinen Studentenjob, ich liebe meine WG, auch wenn Leons Nachfolger ein bisschen weniger cool ist. Aber Arush und ich kriegen ihn schon noch dazu, Pinguin-Dokus mit uns anzuschauen. Immer noch schade, dass du nicht zu uns gezogen bist, Philip.«

Als ich aus Europa zurück war, habe ich ein paar Wochen in Leons altem Zimmer gewohnt, weil ich noch nicht bereit war, in mein normales Leben zurückzukehren. Aber dann fand Pearl die Wohnung im Zentrum und fragte mich, ob ich das größere (teurere) Zimmer haben wolle. Und ich sagte – wie sollte es anders sein – Ja.

»Wie geht’s deinem Bruder?«, frage ich.

»Welchem?«

»Dem netten?«

Zelda lacht. »Elijah ist Elijah. Man sieht nicht in ihn hinein. Aber soweit ich weiß, geht’s ihm zumindest nicht schlecht. Und das ist ja schon mal was. Marcus« – Elijahs Freund – »hat sich neulich auch drüber beschwert, dass er so verschlossen ist. Liegt also nicht an mir. Aber ich schätze, wenn man bedenkt, wo er herkommt, ist das auch nicht weiter verwunderlich. Entweder wirst du so wie ich und erzählst jedem gleich deine Lebensgeschichte, oder du wirst so wie Elijah und erzählst niemandem irgendwas.«

Zeldas Eltern haben ein massives Problem damit, dass ihr Freund Schwarz ist. Und sie hätten auch ein massives Problem damit, wenn sie wüssten, dass ihr geliebter Sohn Elijah schwul ist. Weswegen wir ein massives Problem mit Zeldas Eltern haben. In Zeldas Fall so massiv, dass sie den Kontakt komplett abgebrochen hat.

»Und bei dir, Tamsin?«

»Gerade ist es ein bisschen stressig. Meine Eltern kommen nächste Woche.« Sie verdreht die Augen. »Es ist das erste Mal, dass sie mich hier besuchen. Also ist es ein großer Schritt für uns alle. Aber ich bin echt brutal nervös.«

»Glaubst du, sie werden alles hassen?«, fragt Zelda.

»Keine Ahnung. Ich glaube, Mom wird sich zusammenreißen. Und Dad wird schweigen und schmollen. Ich hoffe nur, sie sind nett zu Rhys. Hab schon überlegt, ob wir das Kennenlernen vielleicht auf ein andermal verlegen. Aber wir wohnen nun mal zusammen, da ist das ein bisschen schwierig.« Sie spielt mit meiner Visitenkarte. Dieser Elternbesuch scheint sie wirklich nervös zu machen.

»Warum sollten sie nicht nett zu ihm sein?«, frage ich.

»Lange Geschichte …« Tamsin erzählt, wie sie vor über einem Jahr ohne das Einverständnis ihrer Eltern nach Pearley ging, um Literatur zu studieren. Wie ihre Eltern die Entscheidung nicht akzeptieren wollten. Und dass das nun die erste richtige Annäherung ist.

Je mehr Zelda und Tamsin über ihre Familien sprechen, desto dankbarer bin ich für meine Eltern. Und Pearl. Und auch Gran, so anstrengend, fordernd und biestig sie manchmal ist. Pearl würde das vermutlich anders sehen, aber Pearl … nun, sie tut auch nicht gerade viel, um das Verhältnis zu ihr zu verbessern.

Wenig später verabschiedet sich Tamsin. In einer unbewussten Bewegung steckt sie meine Visitenkarte als Lesezeichen in ihr Buch und lässt Zelda und mich mit einer zweiten Runde IPA zurück.

»Jetzt sag mal, wie es dir wirklich geht.« Zelda sieht mich mit ihren hellen Augen durchdringend an. »Ich bin nicht bescheuert. Ich weiß, dass das hier nicht du bist.« Sie wedelt mit der Hand meine Krawatte auf und ab.

Irgendwie hat es zwischen Zelda und mir vom ersten Moment an – schon bei dem albernen Verkupplungsversuch ihrer Familie – gefunkt. Nicht sexuell, auch wenn es Zeldas Eltern (und Gran) sicher sehr gefreut hätte, so erpicht, wie sie darauf waren, uns zusammenzubringen. Aber dafür umso mehr auf freundschaftlicher Ebene. Weil wir beide von Anfang an genau verstanden haben, was am anderen Fassade ist und was nicht.

Ich atme tief ein. Und wieder aus. Aber ich kann ihr ohnehin nichts vormachen. »Okay, pass auf. Wenn ich eine Pro-und-Contra-Liste für meinen Job machen würde …«

»Du machst Pro-und-Contra-Listen?«, fragt Zelda glucksend.

»Wenn ich würde. Also, dann wäre auf der Pro-Seite eine ellenlange Aufzählung von all den tollen Dingen. Und ich meine nicht nur, dass das eine großartige Chance ist, für die ich hart gearbeitet habe. Oder dass ich mir in meinem Leben sicher nie Sorgen um Geld machen muss. Oder dass ich Gutes bewirken kann. Dass ich einen richtigen Unterschied im Leben von Menschen machen kann. Ich könnte das ewig so weiterführen.« An meiner Hand zähle ich ab: »Ich habe ein eigenes Büro. Ich habe eine persönliche Assistentin, zum Teufel noch mal.« Ich muss selbst lachen, weil sich das alles so unfassbar fantastisch anhört.

»Aber auf der Contra-Seite?« Zelda sieht mich wissend an.

Wieder muss ich erst tief Luft holen, ehe ich antworte. Als würde es mich Überwindung kosten. Als würde es mich bescheuerte Überwindung kosten, auszusprechen, was ich wirklich denke. »Es fühlt sich nicht nach mir an. Es fühlt sich an wie Etikettenschwindel.« Und das ist es.

»Das ist scheiße«, sagt Zelda.

Ich nicke, doch im nächsten Moment wiegle ich ab. »Aber es ist wirklich nur dieser eine Punkt.«

»Klingt aber nach einem ziemlich gewichtigen Punkt, wenn du mich fragst.« Zelda nimmt einen Schluck von ihrem Bier, und ich tue es ihr nach.

»Einerseits, ja. Einerseits ist es ein großer Punkt. Aber andererseits habe ich diese Entscheidung getroffen. Und jetzt mache ich das Beste daraus.«

»Bist du sicher?«

Ich nicke. Doch stimmt es? Habe ich die Entscheidung getroffen? Oder habe ich … mich einfach ergeben?

3

Sophia

»Könnte jemand mit mir nächsten Freitag die Spätschicht tauschen?«, frage ich in die Runde. Wir sitzen alle zusammen um den größten Tisch herum. Rhys, Malik, Ollie, Celia und ich. Einmal pro Woche treffen wir uns alle im Imogen’s, um die Schichten noch mal abzusprechen oder Probleme zu bereden oder einfach zusammen einen Kaffee zu trinken, wenn nichts ansteht.

»Was hast du Schönes vor?«, fragt Ollie, die schon am längsten im Café arbeitet. Sie macht an der Pearley University einen Master in Gender Studies und verdient sich hier etwas dazu.

»Ich weiß noch nicht genau«, sage ich. »Amy hat mich gefragt, ob ich an so einem Programm teilnehmen will. Noch habe ich nicht zugesagt, weil es sich ziemlich bescheuert anhört, aber …«

»Dieses Patenprogramm?«, fragt Malik.

Ich nicke. »Irgendwelche reichen Leute spenden Geld, dafür soll ich mit ihnen essen.«

»Mich hat sie auch gefragt«, sagt er. »Aber wir wissen alle, wie mein letzter Ausflug in die Welt der Reichen und Schönen geendet hat …«

Ich kenne die Geschichte nur aus Erzählungen. Aber sie hat dazu geführt, dass seine Freundin Zelda den Kontakt zu ihrer Familie abgebrochen hat, also kann es nicht sonderlich prickelnd gewesen sein.

»Hä?«, fragt Celia. »Also, die zahlen Geld dafür, dass du mit ihnen isst?«

»Wie pervers ist das denn!«, sagt Ollie.

»Wenigstens kommt das Geld aber dann bei den Richtigen an.« Rhys’ eisblaue Augen, sein kantiges Gesicht bleiben völlig emotionslos. Ich kenne niemanden, aus dem man so wenig schlau wird. Aber so ist er eben einfach.

»Das hab ich mir auch gedacht. Also, ich hab keine Ahnung, warum zur Hölle die mich wollen sollten …«

»Nicht fluchen«, tadelt Celia.

»… weil du sau cute bist, vielleicht?«, sagt Ollie.

»Eher weil ich sau kriminell war.« Ich lache unsicher.

»Wenn du damit jemandem helfen kannst, würd ich es machen.« Celia strahlt, wie eigentlich immer. Manchmal ertappe ich mich bei dem Gedanken daran, dass ich auch gern so gut gelaunt wäre. Wegen allem. Ihre Liste positiver Gefühle wäre meilenlang.

»Amy sagt, sie kann dann neue Jugendliche aufnehmen.«

»Wär ’ne tolle Chance, oder?« Rhys tut nach wie vor so, als wäre er völlig unbeteiligt, aber ich weiß, dass Amys Programm ihn gerettet hat. Ebenso wie Malik. Und vielleicht mich. Und viele andere, wie man an der Wand im Flur von Amys Büro sehen kann. Eine merkwürdige Wärme breitet sich in mir aus. Ich werde ganz unruhig. Und auf einmal bin ich mir sicher, dass ich es machen muss. Weil ich es zwar bescheuert finde, aber weil ich nicht schuld sein will, wenn jemand anders nicht diese Chance bekommt. Weil Nein sagen keine Option ist, verdammt noch mal.

»Ich ruf Amy kurz an.«

Ollie klopft mir auf die Schulter, und Rhys nickt mir knapp zu als Zeichen dafür, dass er gut findet, was ich mache. »Zur Not übernehme ich deine Schicht«, sagt er.

»Oh, der Chef höchstpersönlich.« Ollie grinst und fängt sich einen warnenden Blick vom Chef höchstpersönlich ein.

Ich stehe auf und wähle die Nummer. »Amy?«, frage ich, als sie sich meldet. »Ich wollte nur sagen, ich mach’s. Ich geh zu diesen reichen Leuten.«

»Echt?« Ich kann ihr die Überraschung anhören.

»Ja klar, warum nicht? Ist ja deren Pech, oder?«, sage ich mit einem verirrten Grinsen.

»Und du bist dir ganz sicher?«

»Jep.«

»Danke, Sophia.«

»Schon okay.«

Als ich zurück an den Tisch komme, sagt Ollie: »Ich find’s immer noch ganz schön voyeuristisch. Da krieg ich gleich My-Fair-Lady-Vibes.« Sie schüttelt sich.

»Sag mal ›Es grünt so grün‹«, sagt Celia und lacht.

»Sophia tut was Gutes, also lasst den Scheiß«, schaltet Rhys sich ein. »Hat jemand von euch nächsten Freitag Zeit? Ollie? Celia?«

»Kann schon einspringen, kein Ding. Dafür geb ich dir den Montagmorgen.« Ollie wackelt mit ihren Augenbrauen.

»Deal«, sage ich. Dann frage ich an Celia gewandt: »Was ist My Fair Lady?«

»Du kennst das nicht?« Sie sieht ehrlich schockiert aus. »Da geht’s um Eliza, ein einfaches Blumenmädchen, das von Professor Higgins zu einer feinen Dame gemacht werden soll.«

»Die können mich mal«, sage ich.

Celia kichert, Ollie lacht laut, und auf einmal bin ich mir doch nicht mehr ganz sicher, ob es so eine gute Idee war.

»Malik?«, frage ich leise. »Glaubst du, ich kann Zelda ein bisschen was zu diesen reichen Leuten fragen?«

»Na klar«, sagt Malik und nickt mir aufmunternd zu.

Das Imogen’s ist inzwischen so was wie der Ort, an dem ich mich am allerwohlsten auf der Welt fühle. Mit seinen bunt zusammengewürfelten Tischen und Stühlen, den Bücherregalen, den Bildern an der Wand, die allesamt von Künstlerinnen und Künstlern aus Pearley stammen und zum Verkauf angeboten sind, dem massiven Holztresen mit antiker Kasse, Cookie-Gläsern und Cupcakes auf Etageren und der mächtigen silbernen Kaffeemaschine habe ich das Gefühl, so richtig dazuzugehören. Teil von etwas zu sein. Von einem Team. Von Ollie, Celia, Malik, Rhys und mir. Vor ein paar Monaten, als ich das erste Mal hier ankam, dachte ich noch, ich müsste so tun, als würde mir Kaffee schmecken. Ich wollte unter keinen Umständen auffallen, wollte einfach unsichtbar sein. Denn wenn man unsichtbar ist, sind auch die Fehler, die man macht, unsichtbar. Aber das Erstaunliche war, Ollie war das egal. Ollie hat mich einfach adoptiert, als wäre ich ein Straßenhund und sie … na ja, jemand, der einen Straßenhund adoptiert eben. Und als dann Celia kam, alles und jeden so fest und schön umarmt hat und genauso überfordert war von der Kaffeemaschine wie ich, wurde es auf einmal besser. Bis es dann irgendwann gut war. Und inzwischen richtig gut. Auch wenn ich es manchmal nicht zeigen kann. Das Imogen’s als Ort ist fast zu einem Gefühl geworden. Zu Geborgenheit. Und ich schätze, das kann auch auf die Liste.

»Seid ihr hier fertig?«, frage ich die drei jungen Frauen am Fenstertisch, den sie sich ausgesucht haben, weil dort das Licht am besten ist.

»Nee, das nicht, da zeig ich zu viel Zähne«, sagt die eine, gerade über ein Handyfoto gebeugt.

»Aber auf dem kneife ich meine Augen zusammen. Das sieht voll bescheuert aus«, sagt die andere.

Ich räuspere mich.

Ende der Leseprobe